Die Bulgaren in ihren historischen, ethnographischen und politischen Grenzen. Atlas mit 40 Landkarten.

Vorwort von D. RIZOFF

 

30. Die ethnographische Karte der Bulgarischen Professoren (1912)

31. Das bulgarische Exarchat (1870-1912)

32. Bulgarien nach der europäischen Konferenz (1876-1877)

33.        „           „    Fürst Tscherkassky (1877)

34.        „           „    dem Vertrag von St. Stefano (1878)

35.        „           „       „    Berliner Vertrag (1878)

36. Die Vereinigung beider Bulgarien (1885)

37.   „   Landkarte des „strittigen Gebietes” (1912)

38.   „   Balkanhalbinsel nach dem Krieg mit der Türkei (1912-1913)

39. Bulgarien nach dem Bukarester Vertrag (1913)

40.         „       im Jahre 1915

 

30. — Die ethnographische Karte der bulgarischen Professoren (1915).

 

Auch diese Karte ist eine bulgarische. Sie zeigt die Ausdehnung des bulgarischen Volkes auf der Halbinsel vor dem Balkankrieg von 1912. Während dieses Krieges und nachher sind in Mazedonien und Thrazien gewisse ethnographische Veränderungen vorgekommen. Die Karte ist von dem Professor der Geographie an der Universität von Sofia Dr. A. Jschirkoff unter Mitwirkung von vier anderen Professoren ausgearbeitet worden. Jschirkoff seihst hat die ethnographische Karte des Königreichs Bulgarien in seinen alten Grenzen (bis zum Jahre 1913) nach amtlicher Statistik gemacht; Professor Dr. Mileiitsch — die von Thrazien; Professor Jordan Ivanoff — die von Mazedonien; Professor Dr. S. Romanski — die der Dobrudscha und Professor Dr. B. Zoneff hat die Ausdehnung des bulgarischen Volkes in den Flußbecken der bulgarischen Morawa und des Timok hauptsächlich auf der Grundlage der Sprache dargestellt und der Karte eine Abhandlung über die Grenzen des bulgarischen und serbischen Sprachengebietes beigefügt. Die Karte war in „Petermanns geographischen Mitteilungen” Jahrgang 1915, Tafel 44, veröffentlicht.

 

Wir können uns aber damit nicht abfinden, daß der begrenzte Raum im Atlas zu einer solchen Verkleinerung der Karte genötigt hat, daß sie ohne Vergrößerungsglas kaum zu benutzen ist; aber wie bei den Karten Hahn's und Kantschoff's trösten wir uns mit dem Glauben, daß die Leser die Mühe nicht scheuen werden, sich auch auf der vorliegenden zu orientieren. Bei diesen drei Karten ist es wohl der Mühe wert.

 

53

 

 

( 30. — Die ethnographische Karte der bulgarischen Professoren (1915) )

 

54

 

 

31. — Das bulgarische Exarchat (1870—1912).

 

Diese Landkarte stellt die Grenzen des Bulgarischen Exarchats dar Der Streit um die Errichtung der bulgarischen Nationalkirche dauerte 40 Jahre lang. Er begann im Jahre 1830 und endete am 28 Februar 1880 (alt. st.) als ein türkischer Firman das Bulgarische Exarchat in Konstantinopel errichtete. Zuerst verlangte das bulgarische Volk, selbst seine Bischöfe wählen zu dürfen, die auch der bulgarischen Nationalität angehören sollten. Die ersten Städte, die einen derartigen Wunsch aussprachen, waren: Uskub und Samokoff (im Jahre 1833). Aber das griechische Patriarchat widersetzte sich dem entschieden; und der Kampf nahm zwei neue Formen an: Die Forderung bulgarischer Bischöfe wurde mit dem Wunsch nach eigenem Gottesdienst und eigenen Schulen erweitert ; die griechischen Bischöfe in den bulgarischen Eparchien wurden offen und mit Gewalt verdrängt und verjagt So geschah es in vielen Städten Bulgariens, Thraziens und Mazedoniens.

 

Der Firman des Sultans, der die Errichtung des Bulgarischen Exarchats zum Gegenstande hatte, nannte ausdrücklich in dem ersten Absatz des Art. 10 als bulgarische Eparchien die folgenden: Rustschuk, Silistra, Varna, Schumen, Tirnovo, Lovetsch, Vratza, Vidin, Sofia, Kiustendil, Samokoff, Nisch, Pirot und Veless; der zweite Absatz desselben Artikels bestimmte, daß es gestattet sei, auch anderen Eparchien das Exarchat anzuerkennen, wenn wenigstens 2/3 ihrer christlichen Bewohner dies verlangten. Gemäß diesem zweiten Absatz des Firmans wurde in Mazedonien eine Volksabstimmung von den türkischen Behörden unter der Kontrolle des griechischen Patriarchats veranstaltet. Diese Volksabstimmung ergab, daß der größte Teil Mazedoniens das Bulgarische Exarchat anzuerkennen wünschte. Auf Grund derselben wurden in Uskub, Ochrida und Bitolia (Monastir) bulgarische Bischöfe ernannt (in Veleß, ausdrücklich in dem Firman erwähnt, war bereits ein solcher eingesetzt). Aber bald darauf fanden die bulgarischen Ausstände von 1875 und 1876 statt, denen der russisch-türkische Krieg folgte. Alle diese Ereignisse stellten die Bulgaren vor den Augen der Türkei bloß. Denselben ist es zu verdanken, daß die Volksabstimmung in dem südlichen Teil Mazedoniens nicht vollendet werden konnte, und dort, wo sie vollendet war, keineswegs überall bulgarische Bischöfe zugelassen wurden; aus den Eparchien, wo solche sich niedergelassen hatten, wurden sie von den Behörden verjagt. Die in den Jahren 1884/1885 gemachten Versuche, nach Mazedonien bulgarische Bischöfe zu senden, sind den Protesten des griechischen Patriarchats, Griechenlands und Serbiens mißlungen. Bald darauf kam auch die Vereinigung der beiden Bulgarien, was von neuem die Bulgaren vor der Türkei kompromittierte. Kaum im Jahre 1890 wurden neue bulgarische Bischöfe in Uskub und Ochrida zugelassen; im Jahre 1894 kamen solche nach Veleß und Nevrokop, und im Jahre 1897 in Monastir, Debar und Strumitza. Die übrigen Eparchien kamen überhaupt nicht dazu, bulgarische Bischöfe zu sehen. Die türkische Regierung gestattete nur, daß die bulgarischen geistlichen Ober häupter dieser Eparchien die Bulgaren vor den lokalen Behörden vertreten dürften und ihr Unterrichtswesen verwalteten. Die in den Karten weiß schraffierten Ortschaften stellen gerade die Eparchien dar, die nicht dazu gekommen waren, bulgarische Bischöfe zu sehen.

 

55

 

 

( 31. — Das bulgarische Exarchat (1870—1912) )

 

56

 

 

32. — Bulgarien nach der europäischen Konferenz in Konstantinopel (1876—1877).

 

Infolge des serbischen Aufstandes in Bosnien und Herzegowina im Jahre 1875, der bulgarischen Ausstände in Thrazien und in Bulgarien in den Jahren 1875 und 1876 und des nachfolgenden Krieges zwischen Serbien, Montenegro und der Türkei, im Monat Dezember 1876 wurde zu Konstantinopel eine Konferenz einberufen, um die Friedensbedingungen zu erörtern und Bosnien, Herzegowina und Bulgarien eine autonome Verwaltung zu geben.

 

Bezüglich Bulgariens beschloß die Konferenz, es senkrecht in zwei Provinzen zu teilen — in eine Ostprovinz mit der Hauptstadt Tirnovo und in eine Westprovinz mit der Hauptstadt Sofia, mit Selbstverwallung und unter der Kontrolle einer allgemeinen internationalen Kommission. Der Gedanke der senkrechten Teilung Bulgariens stammte von England, welches glaubte, daß die türkischen und griechischen Elemente in der bulgarischen Ostprovinz die Oberhand über das bulgarische Element gewinnen würden und auf diese Weise Rußland der Weg nach Konstantinopel versperrt würde.

 

Die folgende von Marquis Salisbury in der Sitzung vom 8. Januar 1877 abgegebene Erklärung verdient besondere Beachtung: „Die Grenzen dieser beiden Provinzen, die Bulgarien bilden, umfassen weder die Ortschaften, wo die bulgarische Bevölkerung nicht die Mehrheit bildet, noch die Ortschaften, die nicht der mißlichen Verwaltung unterworfen waren, die die Ausschreitungen des verflossenen Monats ermöglichten.” (Vergl. das englische Blue-Book No. 2 (1877) überschrieben: „Correspondence respecting the Conference at Constantinople and the affairs of Turkey: 1876—1877”, Seite 330). Das heißt: In den Grenzen dieser beiden autonomen Provinzen war nicht das ganze etnographische Bulgarien inbegriffen, sondern nur diejenigen Teile von ihm, wo die Bulgaren die Mehrheit bildeten und Gegenstand der bekannten türkischen Ausschreitungen vom Sommer 1876 waren. Trotz alledem umfassen die auf diese Weise geschaffenen beiden autonomen Bulgarien, wie ein Blick auf die Karte zeigt: ganz Dobrudja, den ganzen Kreis (Sandjak) von Nisch mit den Städten Vranja und Pirot (letzte Stadt ist nicht auf der Karte bezeichnet, aber bekanntlich ist sie östlich von Nisch zu finden), den ganzen Sandjak von Uskub (selbst das Städtchen Katschanik inbegriffen, das das Tor von Schar-Planina bildet) und die Städte Kostour (Kastoria) und Lerin (Florina) mit ihren Kreisen (Kaaza).

 

Wir entnehmen diese Landkarte im Faksimile dem englischen Blue-Book, No. 13 (1878) überschrieben: „Further Correspondence respecting the affairs of Turkey. (With Maps of proposed Bulgarien Vilayets).” Nach der Nachlässigkeit zu beurteilen, mit welcher diese Landkarte gezeichnet ist, ist nicht schwer zu ersehen, daß sie das Werk von Diplomaten ist, deren schwache Seite nicht gerade die Kartographie ist.

 

57

 

 

( 32. — Bulgarien nach der europäischen Konferenz in Konstantinopel (1876—1877) )

 

58

 

 

33. — Bulgarien nach Fürst Tscherkassky (1877).

 

Diese Landkarte existiert nicht im Original, sie ist vielmehr von Professor Ischirkoff auf Grund eines Berichtes von Fürst Tscherkassky (Zivilgouverneur in Bulgarien zur Zeit der russischen Okkupation) an den russischen Kriegsminister entstanden. In seinem Bericht behauptet Tscherkassky, daß die Grenzen Bulgariens folgendermaßen verlaufen: „Im Westen — der vom russischen Kaiser Alexander II. begutachteten Linie entlang (diese Linie umfaßte, — auch wie der russische Generalmajor Owssjanij in seinem Buch: „Die russische Verwaltung in Bulgarien in den Jahren 1877, 78, 79 St. Petersburg, 1906, Band I”, erklärt, die Städte Nisch, Korschumlie, Lesskovetz, Pristina und Prisren); im Süden — vom Berge Pind, längs des Flusses Bistritza (Indje-Karassu) bis zur Bucht von Salonik, und von dort, durch die Saloniker Halbinsel (Halkidika) gegen das Ägäische Meer zu (die Stadt Salonik und der See von Beschik in den Grenzen Bulgariens lassend), weiter den Meeresstrand entlang gegen die Mündung des Flusses Maritza und von hier aus mit dem Lauf dieses Flusses bis zu jenem Punkte, wo der Fluß Ergene von ihr aufgenommen wird; weiter geht die Grenze mit dem Lauf des Ergene und seinem Zufluß Tschorlu-Dere bis zum Bergkamm der Strandja-Planina und auf der Wasserscheide dieses Kammes bis zur Anasstasieffs Mauer, genannt Konstantinopeler Territorium; im Osten — längs des Ufers des Schwarzen Meeres; im Norden — der Donau entlang”.

 

Wir bringen diese Landkarte, um zu zeigen, daß ursrpünglich Rußland dachte, Bulgarien diese Grenzen zu geben, Grenzen begutachtet auch vom Kaiser selbst (wenigstens die im Westen), während der Vertrag von St. Stefano sie erheblich einengte. Letzteres geschah, um Serbien die bereits von ihm besetzten Städte Nisch, Kurschumlie und Leßkovetz als territoriale Entschädigung für seine Teilnahme am russisch-türkischen Kriege zu geben. So bekam seiner Zeit Serbien diese bulgarischen Städte mit ihren Landkreisen, nicht weil dieser Staat irgendwelches ethnographische oder historische Recht darauf hätte, sondern rein aus politischen Motiven — weil Rußland Serbien wegen der Teilnahme am Kriege entschädigen mußte und solche Kompensationen damals nicht auf dem Kossovo Pole von Rußland gegeben werden konnten, ohne Österreich-Ungarn gegen sich zu bewaffnen. Wie wir weiter unten sehen werden, gelang es Serbien mit Hilfe Österreich-Ungarn, auf dem Berliner Kongreß vom Jahre 1878, sich auch die bulgarischen Städte Vranja und Pirot sowie deren Landkreise anzueignen.

 

59

 

 

( 33. — Bulgarien nach Fürst Tscherkassky (1877) )

 

60

 

 

34. — Bulgarien nach dem Vertrag von St. Stefano (1878).

 

Diese Landkarte stellt die Grenze des, kraft des Vertrages zwischen der Türkei und Rußland am 19. Februar (a. St.) 1878 zu St. Stefano geschaffenen, Fürstentums Bulgarien dar. — Diese Grenzen umfassen keineswegs die ganze völkliche Ausdehnung des bulgarischen Volkes. So wurde damals der größte Teil der Dobrudja von Rußland dem verbündeten Rumänien abgetreten, als territoriale Entschädigung für das Rumänien abgenommene Bessarabien, während die Städte Nisch und Lesskovetz mit ihren Landkreisen Serbien als Entschädigung für dessen Teilnahme an den Krieg gegen die Türkei gegeben wurden. Trotz alledem befanden sich in dem Bereich des neugeschaffenen Fürstentums Bulgarien fast ganz Nord-Bulgarien und der größte Teil von Thrazien und Mazedonien, mit Westgrenzen, die die Städte Pirot, Vranja, Katschanik, Debr, Struga, Ochrid und Konscha einschlössen, im Süden gehörten zum neuen Fürstentum die Städte Kostur, Voden, Enidje-Vardar, die Mündung des Flusses Vardar im Hafen von Salonik, Seress, Drama, Kavala, Mustafa-Pascha, Losen-Grad (Kirklisse) und Liule-Burgas; die süd-östliche Grenze berührte das Meer unmittelbar über das Städtchen Midia.

 

Es versteht sich von selbst, daß die Befreiung Bulgariens von allen Bulgaren damals als eine so große Wohltat empfunden wurde, daß niemand auf den Gedanken kommen konnte, vor Rußland dagegen Protest zu erheben, daß es Serbien und Rumänien bulgarisches Land abgetreten hatte; aber in den bulgarischen Herzen hinterließ dieser Verlust eine klaffende Wunde, die die bulgarischen Heere erst in den Jahren 1915 und 1916 heilen konnten.

 

Wir entnehmen diese Landkarte dem englischen Blue Book, überschrieben: „Turkey. Nr. 23 (1878). Maps showing the New Boundaries under the Preliminary treaty of peace between Russia and Turkey, signed ad San Stefano, 19th February — 3rd March 1878.” Darin sind sehr deutlich die Rumänien und Serbien abgetretenen bulgarischen Territorien zu sehen.

 

61

 

 

( 34.— Bulgarien nach dem Vertrag von St. Stefano (1878) )

 

62

 

 

35. — Bulgarien nach dem Berliner Vertrag (1878).

 

Diese neue Karte des berühmten deutschen Kartographen Kiepert stellt die Balkanhalbinsel dar, wie sie vom Berliner Kongreß in den Monaten Juni und Juli 1878 begrenzt und von den Spezialkommissionen in den Jahren 1879—1880 technisch festgelegt wurde.

 

In Gemäßheit des, in diesem Kongreß am 13. Juli d. Js. unterzeichneten Vertrages wurde das neugeschaffene Fürstentum Bulgarien in fünf Teile zerstückelt: Die Rumänien nach dem Vertrag von St. Stefano uberlassene bulgarische Dobrudja wurde vergrößert; das nach demselben Vertrag Serbien gegebene bulgarische Land erweitert, indem ihm auch die Städte Pirot und Vranja mit ihren Landkreisen überlassen wurden; ganz Mazedonien wurde der Türkei zurückgegeben; Thrazien, ohne jeglichen Ausgang am Meere und südlich sowie östlich erheblich verstümmelt, wurde vom Fürstentum Bulgarien abgerissen und davon eine autonome Provinz unter dem Namen „Ostrumelien” gebildet. Dem Fürstentum Bulgarien selbst, in einer so ungerechten und gewissenlosen Weise verstümmelt, wurde die politisch selbständige Existenz eines kleinen Staates nur in seinem nördlichen Teil beschieden, und noch dazu unter dem ewigen Druck der türkischen Garnisonen, das auf dem Balkan selbst garnisonieren mußte, mitten drin zwischen den beiden Bulgarien.

 

Das dem bulgarischen Volk zugefügte Unrecht war so schreiend, daß die Vertreter beider Bulgarien, zu Tirnovo versammelt, nicht anders konnten, als dagegen Protest zu erheben, während die in Ostrumelien ins Leben gerufenen „Turnkompagnien” mit bewaffneter Hand gegen die Niederlassung türkischer Garnisonen auf dem Balkan Widerstand zu leisten beschlossen. Die Großmächte überzeugten sich bald, daß neue Stürme die Balkanhalbinsel heimsuchen würden, und beeilten sich daher, die Türkei zu beratschlagen, von einer Absendung türkischer Garnisonen auf den Balkan Abstand zu nehmen.

 

Der Berliner Vertrag ist der überzeugungskräftigste Beweis dafür, wie internationale Verträge nicht geschrieben werden dürfen. Mit dem durch ihn begangenen Unrecht war auch der Friede Europas dahin, darauf sind zweifellos auch die Balkankriege zurückzuführen, die den Keim des gegenwärtigen Weltkrieges in sich bargen.

 

63

 

 

( 35. — Bulgarien nach dem Berliner Vertrag (1878) )

 

64

 

 

36. — Die Vereinigung beider Bulgarien (1885).

 

Die künstliche Verteilung von Nord- und Süd-Bulgarien, vollzogen auf dem Berliner Kongreß, bestand, wie jedes unnatürliche, ungerechte und erzwungene Werk nicht lange, nämlich nur sieben Jahre. Diese kurze Zeitspanne hat genügt, um die sittliche Einheit des bulgarischen Volkes dies und jenseits des Balkans zu befestigen und eine so starke Bewegung zugunsten einer Vereinigung beider Bulgarien hervorzurufen, daß keine bulgarische Regierung mehr entgegenarbeiten konnte. Und als ein geheimes Revolutionskomité, begründet in Philippopel im Monat Juli 1885 zwecks Ausrufung der Unabhängigkeit, sich an die bulgarischen Offiziere der ostrumelischen Miliz mit der Bitte wandte, am nationalen Werke mit ihren Truppenteilen teilzunehmen, stellten sich diese sofort zur Verfügung des Komitee. Der Streich vom 6/18. September 1885 wurde so leicht und so schnell inszeniert, daß Ostrumelien in einigen Stunden in Liquidation trat Es hat dazu genügt, den Generalgouverneur in Haft zu nehmen, die Grenzeisenbahnbrücke, die die Türkei mit Ostrumelien verband, zu zerstören, um die Vereinigung auszurufen, welche vom Volke beider Bulgarien mit einem Enthusiasmus, fähig zu allen für die Erhaltung ihrer entsprechenden Sanktion notwendigen Opfern, aufgenommen wurde.

 

Von allen neidischen bulgarischen Nachbarn, die auf die Vereinigung beider Bulgarien nicht gerade mit gutem Auge blickten, war es nur Serbien, das sich entschloß, sie mit Gewalt zu vereiteln.

 

Ohne jegliche vorherige Kriegserklärung drang es in der Nacht vom 1/13 November 1885 in Bulgarien ein, in der Absicht, Sofia zu erobern und es der Türkei zu ermöglichen, Ostrumelien wiederherzustellen, und, wenn die Türkei dies nicht wünschte, selbst territoriale Entschädigungen für sich in Bulgarien zu suchen. Die Serben hofften einen leichten und schnellen Sieg davonzutragen, hauptsächlich weil die russischen Offiziere, die die höheren Stellen im bulgarischen Heere bekleideten, Bulgarien schon verlassen hatten. Aber, empört über den hinterlistigen Überfall seines Nachbarn, erhob sich das bulgarische Volk wie ein einziger Mann vor seinem Feinde, und das bulgarische Heer warf sich unter dem höchsten Befehl bulgarischer junger Offiziere gegen Serbien mit einem solchen Anlauf, daß es in 13 Tagen das serbische Heer überrumpelte, es vom bulgarischen Territorium hinausjagte und die Stadt Pirot im Sturm nahm. Der weitere Siegeszug des bulgarischen Heeres in Serbien wurde von Österreich, dem damaligen tatsächlichen Beschützer Serbiens, aufgehalten.

 

Auf diese Weise wurde die Vereinigung beider Bulgarien sanktioniert und brachte überdies noch dem bulgarischen Volke eine unerwartete Wohltat: die Zurückberufung der russischen Offiziere aus Bulgarien, die das bulgarische Heer zur Verfügung Rußlands hielten. Wie jeder außerordentliche Gewinn, brachte die Vereinigung auch ein Unglück mit sich:

 

Das besiegte Serbien, unfähig, bulgarisches Land an sich zu reissen, richtete seine Eroberungsgelüste gegen Mazedonien So wurde die serbische Propaganda in Mazedonien geschaffen, deren Anfang vom Jahre 1885 her datiert.

 

Diese Landkarte stellt Bulgarien nach der Vereinigung dar, mit den Grenzen, die es bis zu den Kriegen mit der Türkei, Serbien, Montenegro, Griechenland und Rumänien in den Jahren 1912/13 hatte.

 

65

 

 

( 36.— Die Vereinigung beider Bulgarien (1885) )

 

66

 

 

37. — Die Landkarte des „strittigen Gebietes” (1912).

 

Wir entnehmen diese Landorte dem Bericht der bekannten Carnegie-Kommission, welche im Jahre 1913 eine Enquete über die Ausschreitungen während der Balkankriege veranstaltete. Mit deren Veröffentlichung beabsichtigen wir zweierlei: a) die Grenzen des sogenannten „strittigen Gebietes” in Mazedonien, welches nach dem Schiedsspruch des russischen Kaisers zwischen Bulgarien und Serbien aufgeteilt werden sollte, ersichtlich zu machen, und b) der serbischen Legende ein Ende zu machen, als ob ganz Mazedonien „strittiges Gebiet” wäre. Nur fühlen wir uns verpflichtet, zu bemerken, daß die Landkarte bezüglich ihrer westlichen Grenze nicht ganz genau ist, da das „strittige Gebiet” hinter dem Städtchen Struga endete und kein Territorium westlich des Ochridasees umiaßte.

 

Bekanntlich erkannte Serbien pemaß Art. 2 des „geheimen Zusatzes” zum Bündnisvertrag zwischen Serbien und Bulgarien vom 29. Februar 1912 (alten Stils), Bulgarien das unbestrittene Recht, über das Territorium östlich der Rhodopen und des Flusses Struma zu, und Bulgarien erkannte Serbien dasselbe Recht zu über das Territorium nördlich und westlich der Schar-Planina. Was Mazedonien anbelangt, d. h. „das Territorium zwischen Schar-Planina und den Rhodopen”, dem „Archipelag und dem Ochridasee” (wie es Wort für Wort in dem „geheimen Zusatz” lautet), so verpflichtete sich Serbien, nichts diesseits einer Linie, die das „strittige Gebiet” vom übrigen Mazedonien trennt, zu suchen.— Der Leser wird sich dessen überzeugen, wenn er diesen Bündnisvertrag und seinen „geheimen Zusatz” in der französischen Zeitung „Le Matin” vom 24. November 1913 nachliest. Im übrigen, selbst der Ideologe der serbischen Aspirationen in Mazedonien, Prof. Zwijtsch, bestätigt dies in einem in der englischen Zeitschrift „Review of Reviews” von ihm erschienenen Aufsatz vom Oktober 1912. — Ein autoritatives Dementi der oben erwähnten Legende erfolgte auch seitens der serbischen Regierung des Herrn Paschitsch selbst, indem er die „Revision” des Bündnisvertrages mit Bulgarien forderte, eine „Revision”, die vollständig überflüssig sein würde, wenn ganz Mazedonien „strittiges Gebiet” gewesen wäre.

 

Der Gedanke einer Teilung des bulgarischen Mazedonien, mit wem es auch sein mag, war stets für jeden Bulgaren so frevelhaft, daß es unbedingt notwendig erscheint, an dieser Stelle zu erklären, wie bulgarische Staatsmänner einer solchen Teilung zustimmen konnten, indem sie einwilligten, daß der nördliche und nordwestliche Teil Mazedoniens als „strittiges Gebiet” zwischen Serbien und Bulgarien ge rechnet werden.

 

Die Beweggründe dieses “Frevels” der bulgarischen Staatsmänner, die beim Abschluß des serbisch-bulgarischen Bündnisvertrages vom Jahre 1912 mitwirkten, waren die folgenden: 1. Diese Staatsmänner waren fest überzeugt, daß die panmusulmanische Politik der Jungtürken die freie nationale und kulturelle Entwicklung der Bulgaren in Mazedonien nicht nur verhindern, sondern sie noch systematisch zwingen würde, ihr Vaterland zu verlassen und nach Bulgarien auszuwandern, ein Umstand, der in der allernächsten Zukunft den ethnographischen Charakter Mazedoniens geändert haben würde. 2. Dieselben Staatsmänner waren ebenso tief überzeugt, daß Bulgarien nicht in der Lage gewesen wäre, die freie nationale und kulturelle Existenz der mazedonischen Bulgaren zu gewährleisten, ohne sie der Herrschaft der Türkei zu entziehen — was ohne ein Bündnis, wenigstens mit Serbien, nicht erreicht werden konnte; sonst lief Bulgarien im Falle eines Krieges mit der Türkei Gefahr, gegen sich alle seine Balkannachbarn zu sehen, wie es im Jahre 1913 der Fall war. 3. Diese Staatsmänner glaubten aufrichtig, daß, um das Bündnis zwischen Serbien und Bulgarien aufrecht erhalten zu können, das für Rußland so notwendig war, dieses als Schöpfer Bulgariens von St. Stefano, Serbien vom „strittigen Gebiet” nur das Ueskübische geben würde, was der russische Minister in Belgrad, Hartwig, allen Bulgaren erzählte, mit denen er zu jener Zeit zusammenkam. 4. Diese Staatsmänner wußten positiv, daß Serbien bald versuchen würde, Montenegro, sogar Bosnien und Herzegowina zu annektieren. Ein solcher Versuch hätte einen bewaffneten Konflikt zwischen Serbien und Oesterreich-Ungarn hervorgerufen und Serbien gezwungen, aus eigenem Triebe den Landkreis Uesküb Bulgarien für die Neutralität dieses abzutreten.

 

Wenn man berücksichtigt, daß die äußere Politik eines jeden Staates unmöglich ohne gewisse Zugeständnisse geführt werden kann, so werden die oben aufgezählten Beweggründe den „Frevel” der bulgarischen Staatsmänner in diesem Falle rechtfertigen, umsomehr, als Serbien in dem Bündnisvertrag das Recht Bulgariens auf fast ganz Mazedonien anerkannte. So verstanden, bleibt von dem ganzen „Frevel” nur ein politischer Opportunismus übrig, den die Ereignisse rechtfertigen.

 

67

 

 

( 37. — Die Landkarte des „strittigen Gebietes” (1912) )

 

68

 

 

38. — Die Balkanhalbinsel nach dem Krieg mit der Türkei in den Jahren 1912-1913.

 

Diese Landkarte stellt die Balkanhalbinsel nach Beendigung des Krieges zwischen der Türkei und den vier Balkanstaaten: Bulgarien, Griechenland, Serbien und Montenegro dar. Bekanntlich endigte dieser Krieg mit einem Friedensvertrag, abgeschlossen in London am 30. Mai 1913. Dieser Vertrag setzte nur die neue Ostgrenze Bulgariens fest mit einer geraden, von dem Städtchen Enos (am Ägäischen Meere) und dem Städtchen Midia (am Schwarzen Meere) gehenden Linie. Die spätere Botschafterkonferenz zog, in London, auch die Grenzen Albaniens. Das ganze übrige der Türkei in diesem Krieg entrissene Territorium bildete ein Condominium Bulgariens, Griechenlands, Serbiens und Montenegros. Die Verteilung dieses gemeinsamen Territoriums sollte geschehen: zwischen Bulgarien und Serbien gemäß dem von ihnen vereinbarten Bündnisvertrag; zwischen Bulgarien und Griechenland — nach Vereinbarung. Aber Serbien weigerte sich, den Bündnisvertrag zu erfüllen, und forderte von Bulgarien neue, außerordentliche territoriale Kompensationen in Mazedonien. Und Griechenland — welches im Frühjahr 1913 selbst durch die Vermittlung des Venizelos und des Genadios, griechischer Minister in London, Bulgarien, gegen Abtretung von Salonik, eine bulgarisch-griechische Grenze „längs der Linie der Chalkidikaseen” vorschlug, d. h. Bulgarien alles übrige in Mazedonien abzutreten — als es sah, daß Serbien Anstalten machte, Bulgarien zu berauben, schloß ein Bündnis mit ihm, um sich selbst an dem Raub zu beteiligen. So brach der zweite Balkankrieg zwischen den vier Verbündeten aus, der dank der Einmischung Rumäniens mit dem Bukarester Frieden vom 28. Juli —10. August 1913 endigte.

 

Das ganze der Türkei entrissene Territorium, das ein Condominium der Verbündeten bildete, ist auf der Landkarte weiß bezeichnet.

 

69

 

 

( 38. — Die Balkanhalbinsel nach dem Krieg mit der Türkei in den Jahren 1912-1913 )

 

70

 

 

39. — Bulgarien nach dem Bukarester Vertrag (1913).

 

Dieser Vertrag bildet die Sanktion des zweiten Balkankrieges, als sich Serbien, Montenegro, Griechenland, Rumänien und die Türkei auf Bulgarien stürzten, um ihm fast alles wegzunehmen, was es mit seinem Blute in dem Krieg gegen die Türkei in den Jahren 1912/13 eroberte, sogar einen Teil seines eigenen Territoriums. Kaum wird man in der Geschichte der internationalen Beziehungen einem ungerechteren, des Zeitalters unwürdigeren, und die grösste Entrüstung hervorrufenden Akt begegnen, als dem Bukarester Vertrag. Der weitsichtige Staatsmann würde noch hinzufügen: und politisch kurzsichtigeren. Denn Bulgarien wurde nach diesem Vertrag so gewissen- und erbarmungslos beraubt, dass eine nahe Reaktion gegen den ausgeführten Raub unumgänglich war. Und, wie wir alle wissen, trat diese Reaktion viel schneller ein, als es die kühnsten Geister ahnen konnten.

 

In Verbindung mit diesem Vertrag verdienen zwei denkwürdige Tatsachen hervorgehoben zu werden. Erstens: Die rechtswidrige Verletzung seitens Russlands der Militärkonvention mit Bulgarien vom 31. Mai 1902 (a. st.), deren Art. 3 das russische Kaiserreich verpflichtete: „die Einheit und Unverletzlichkeit des bulgarischen Territoriums mit allen seinen Kräften zu verteidigen.” Anstatt dies zu tun, nicht nur verhinderte Russland nicht im Jahre 1913 den Einfall Rumäniens in Bulgarien, sondern ermutigte es, so zu handeln, ja, der russische Zar Nikolaus IL ging selbst nach Abschluss des Bukarester Friedens nach Kiustendje, den siegreichen rumänischen König zu begrussen und Hess sich zum Chef desjenigen Regiments ernennen, das zuerst bulgarischen Boden betreten hatte.

 

Die zweite Tatsache ist: Bulgarien hätte auch in diesem zweiten Balkankrieg den Sieg davontragen können, wenn es stärkere Nerven besessen und dem hinterlistigen Ratschlage Russlands, die beiden in Serbien eingedrungenen Armeen zurückzunehmen, nicht Folge geleistet hätte.

 

71

 

 

( 39. — Bulgarien nach dem Bukarester Vertrag (1913) )

 

72

 

 

40. — Bulgarien im Jahre 1915.

 

Die Karte stellt die, gemäss der „Konvention betreffs Rektifikation der bulgarisch-türkischen Grenze vom 24. August bis 6. September 1915” durchgeführte Regulierung der türkisch-bulgarischen Grenze dar. Das von der Türkei Bulgarien abgetretene Territorium ist weiss schraffiert.

 

Diese Konzession seitens der Türkei ist ein Akt wahrer staatsmännischer Klugheit und Weitsichtigkeit. Die türkische Geschichte kennt wenig Beispiele von Territorialabtretungen, die nicht mit Waffengewalt erkämpft sind. Wenn die Türkei es in der Vergangenheit es verstanden hätte, freiwillig notwendig gewordene Konzessionen zu machen, so wäre es kaum zweifelhaft, dass ein grosser Teil der Balkanhalbinsel noch heute Bestandteil des Ottomanischen Reiches bleiben würde. Die heutigen türkischen Staatsmänner haben dies mit seltenem Scharfblick eingesehen. Sie haben eingesehen, dass die Türkei und Bulgarien ein gemeinsames Lebensinteresse haben, nämlich, es zu verhindern, dass Russland sich in Konstantinopel und an den Dardanellen niederlässt; infolgedessen musste zwischen diesen beiden Nachbarstaaten die Voraussetzung völliger Harmonie geschaffen werden, indem man alles Trennende beseitigt und alles Verbindende pflegt. Nach der Liquidation der mazedonischen Frage war das einzige Hindernis dieser Harmonie die Unnatürlichkeit der türkisch-bulgarischen Grenze — dies ist auch durch obige Konvention aus der Welt geschaffen.

 

Nunmehr bestehen zwischen der Türkei und Bulgarien endgültige Grenzen. Der Erfolg dieser türkischen Konzession springt in die Augen. Seit zwei Jahren verteidigen auf dem Kampffelde kameradschaftlich die türkischen und bulgarischen Heere ihre Länder und das Recht auf freie und ungestörte Entwicklung. Wenn die türkische Politik künftig ebenso klug geführt wird, wie es gegenwärtig der Fall ist, und sie territoriale Fragen zu erheben vermeidet, die die aufrichtige Freundschaft zwischen der Türkei und Bulgarien beeinträchtigen könnten, so kann nicht bezweifelt werden, dass diese Freundschaft von Dauer sein wird.

 

73

 

 

( 40. — Bulgarien im Jahre 1915 )

 

[Previous]

[Back to Index]