Nachwort

Eigentlich bedarf dieser Bericht keines Nachworts. In der großen Politik gibt es wohl Sieger und Besiegte — aber es gibt keine Richter, es sei denn die Nachwelt. Trotzdem ist ein Nachwort notwendig geworden. Mit derselben magischen Gewalt, die den Mörder immer wieder an den Tatort zurückzwingt, hat die Bluttat vom 9. Oktober 1934 ihre Anstifter nicht ruhen lassen. In einer höchst vorwitzigen Weise hat sich die sowjetische Agitation, in der Alexander von Jugoslawien nach seinem Tode plötzlich von der Rolle eines „antikommunistischen Hetzers" in die eines „von Faschisten ermordeten Märtyrers des Friedens" überwechselte, des für sie so heiklen Themas bemächtigt.

Ende März 1956 kehrte ein fast sechzigjähriger, brünetter, schlanker Mann aus Budapest nach Ostberlin zurück. Seine gepflegte, mit dem. Schnauzbärtchen ein wenig kokett wirkende Erscheinung ließ eher vermuten, daß es sich hier um einen k.u.k.-Rittmeister a. D. als um einen Kommunisten par excellence handelte.

Budapest war schon das zweite Exil des aus München gebürtigen Genossen Sepp Schwab gewesen. Walter Ulbricht hatte ihn zwei Jahre lang auf den Posten eines Botschafters der „DDR" in Ungarn abgeschoben, als er im Januar 1954 die SED-Führungsspitze von allen „Kapitulanten" säuberte, denen die Schuld am Volksaufstand vom Juni 1953 in die Schuhe geschoben wurde. Dabei hatte es wohl kaum jemals einen deutschen Kommunisten gegeben, der weniger zur Kapitulation neigte als Sepp Schwab. Was ihn allerdings im Kreise Ulbrichts verdächtig machte, ist seine charmante Anpassungsfähigkeit, sein nüchterner und kalter Intellekt und eine ungewöhnliche Schweigsamkeit.

In Budapest hat Schwab alte Bekannte getroffen: Rakosi, Gero, Münnich, mit denen er zwischen 1930 und 1936 zusammen im Exekutivkomitee der Komintern gearbeitet hat. Besonders eng ist die Freundschaft mit Ernö Gero, dem ungarischen KP-Sekretär. Sie begann 1919, in der Zeit der bayrischen Räterepublik, in der Schwab Leiter des Eisenbahnwesens war, und sie erneuerte sich zwischen 1938 und 1945. Gero war Deutschlandreferent der Komintern, Schwab Chefredakteur für
deutschsprachige Sendungen am Moskauer Rundfunk. Nach dem Kriegsende setzten die sowjetischen Freunde den bewährten Propagandisten als Chefredakteur der ersten KP-Zeitung „Deutsche Volkszeitung", später des SED-Parteiorgans „Neues Deutschland" ein, von wo aus Schwab die Leitung des staatlichen Komitees für das Filmwesen in der Sowjetzone übernahm. Die Fürsprache alter Kominternkollegen in Moskau hatte schließlich 1956 Schwabs Rückberufung nach Mitteldeutschland bewirkt. In erstaunlich kurzer Zeit wurde Sepp zur „Grauen Eminenz" des Pankower Außenministeriums. Selbst Genosse Ulbricht begann einzusehen, daß sein außenpolitischer Mentor in der neuen Position äußerst nützlich war. Mehrere Gefängnisjahre zwischen 1919 und 1927 hatte Schwab dazu benutzt, sich ein beachtliches Wissen anzulesen. Das kam ihm jetzt zustatten.


Sepp Schwab, einst Kommentator von Radio Moskau, heute
stellvertr. Außenminister der Sowjetzone Deutschlands.

Im April 1957 ernannte die NATO den deutschen General Dr. Hans Speidel zum Oberbefehlshaber ihrer Landstreitkräfte in Mitteleuropa. Diese Nachricht schlug im souveränitätshungrigen Pankow wie eine Bombe ein. Die Offiziere der sowjetzonalen Wehrmacht murrten neidisch. Angesichts des sowjetischen Führungsanspruchs im Warschauer Pakt bestand keine Aussicht, daß etwa einer der Generäle der Volksarmee ein übernationales Truppenkommando in den Ostblockstreitkräften erhalten könnte. Ja, unter den zuverlässigen proletarischen Generälen war nicht einmal einer, der eine Qualifikation für die Führung größerer militärischer Verbände besessen hätte.

Die Situation war höchst peinlich. Aber Genosse Schwab fand die rettende Lösung. Das Pankower Außenministerium unterhielt in dieser Zeit diplomatische Beziehungen nur zu anderen Volksdemokratien, und diese Beziehungen regelten sich automatisch durch Anweisungen aus Moskau. Alle darüber hinausgehenden „diplomatischen" Funktionen beschränkten sich auf reine Agitationsarbeit mit dem Ziel, den Nachweis zu erbringen, daß nur die „DDR", der „erste Arbeiter- und Bauernstaat der deutschen Geschichte", eine echte Demokratie wäre. Aus diesem Grunde beschäftigten sich Sepp Schwab und seine Kollegen außerordentlich intensiv mit einer Diffamierungskampagne gegen den deutschen NATO-General. Schwab hatte sich schon während seiner Kominternarbeit einmal mit dem Mord an Alexander und Barthou befaßt, den die kommunistische Internationale als „Werk faschistischer Elemente mit Unterstützung Nazi-Deutschlands" bezeichnet hatte. Inwieweit Schwab über die reine Idee hinaus, Dr. Hans Speidel mit dem Attentat in Verbindung zu bringen, auch Anteil an der perfektionierten Urkundenfälschung hatte,  die nun zur „Beweisführung" unternommen wurde, ist nicht zu klären. Jedoch entspricht die Methodik der „Beweisführung" mit trefflich gefälschten   „Dokumenten"   auffällig dem Charakter Schwabs, und seine guten Beziehungen nach Moskau, wo die notwendigen Zutaten — Akten und Dokumente des „Dritten Reichs" — als Kriegsbeute gesammelt und gesichtet worden waren, lassen vermuten, daß sich der „Stellvertretende Außenminister der DDR" auch mit der Diffamierungskampagne gegen General Speidel befaßt hat. Am 23. Mai 1957 stellte Neues Deutschland die Behauptung auf, der damalige Gehilfe des deutschen Militärattaches in Paris, Hauptmann Dr. Hans Speidel, habe im Auftrage Görings ein „Unternehmen Teutonenschwert" durchgeführt — nämlich mit Hilfe deutscher Agenten die Sicherungsvorkehrungen in Marseille beim Empfang des jugoslawischen Königs auszuspionieren und so das Attentat durch mazedonische und kroatische Terroristen zu ermöglichen. In einer Pressekonferenz in Ostberlin am 18. Juli 1957 wurden die sorgfältig vorbereiteten „Dokumente und Beweisstücke", darunter eine persönliche Anweisung Görings an Speidel, in Fotokopie vorgelegt.

Es gibt viele Argumente, die diesen kommunistischen Behauptungen entgegengehalten werden können. Das dokumentarische Material aus der Zeit des Dritten Reiches war schon fünf Jahre zuvor von einem gemischten Gremium deutscher Kommunisten und sowjetischer Historiker sorgfältig auf alle propagandistisch auswertbaren Anklagen hin durchsucht worden. Die „Enthüllungen" Pankows über den Königsmord erfolgten aber erst einige Wochen nach der überraschenden Ernennung des Generals  zum Abschnittskommandeur  der NATO.

Vom April 1941 bis zum Oktober 1944 war Belgrad von deutschen Truppen besetzt. In diesen vier Jahren hat die deutsche Abwehr nichts unternommen, um die Archive der Belgrader Polizei von einem Dossier „Roland Abbiate" zu befreien, der, wenn Abbiate deutscher und nicht sowjetischer Agent gewesen wäre, so ungeheuer kompromittierend für das Dritte Reich sein mußte.

Den kommunistischen Fälschern mußte es daran liegen, eine Kombination zwischen dem Gehilfen des deutschen Militärattaches in Paris, Dr. Speidel, einerseits und Hermann Göring andererseits zustande zu bringen, in dessen Amtsbereich 1934 die Aufsicht über die kroatischen Emigranten in Deutschland fiel und möglicherweise auch eine politische Koordination mit ihnen. So war es also notwendig, eine direkte, vom Luftfahrtminister persönlich unterschriebene Anweisung an den Gehilfen des Militärattaches in Paris herzustellen — eine Kombination, die nur demjenigen glaubwürdig erscheinen kann, der die Struktur der braunen Diktatur nur von außen kennt. Da die Dokumente des Dritten Reiches, soweit sie zur „Beweisführung" herangezogen wurden, nur einem beschränkten Kreis sowjetischer Militärs und Historiker zur Verfügung standen, ist kein Gegenbeweis zu erbringen; es sei denn, die Sowjets stellten die Originalschreiben zur Überprüfung durch Sachverständige zur Verfügung. Das haben sie nicht getan, und sie werden sich hüten, es zu tun. Eine immerhin nicht geringe Anzahl geheimer Dokumente des Dritten Reiches ist auch den westlichen Alliierten in die Hände gefallen. Sie konnten also den Wahrheitsgehalt der kommunistischen Zwecklüge mühelos überprüfen, und es darf angenommen werden, daß eine entsprechende Untersuchung erfolgt wäre, wenn auch nur der Anflug eines Mißtrauens in die Integrität des Generals aufgekommen wäre.

Aber schließlich weiß jedes Kind, daß sich fotokopierte Fälschungen mühelos durch das Übereinanderlegen von zwei Dokumenten herstellen lassen. Eine solche Komposition aus mehreren Schriftstücken verschiedener Herkunft und verschiedenen Inhalts liegt bei den „Dokumenten" aus Pankow vor.


DEFA- Regisseur Andrew Thorndike und Frau Annelie,
die geistigen Eltern des „Unternehmen Teutonenschwert".

An diesem makabren „Stoff" entzündete sich die Phantasie eines kommunistischen Nationalpreisträgers, der schon mit einer Reihe ähnlicher Filme zur Verklitterung des DDR-Geschichtsbildes beigetragen hatte: Andrew Thorndike. Der DEFA-Regisseur hatte durch eine rührseligkitschige Filmbiographie Wilhelm Piecks das Wohlwollen der SED-Machthaber gewonnen. Der Mann, der die Auslieferung des KZ-Häftlings Thälmann an Stalin aus persönlichem Ehrgeiz zu unterbinden wußte und auch schon bei der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts eine mehr als zweifelhafte Rolle gespielt hatte, erschien in Thorndikes Film als treuherzig-mutiger Kämpfer für Recht und Freiheit.

Generaldirektor Andrew Thorndike senior, ein engerer Mitarbeiter Hugenbergs und u. a. auch Aufsichtsratsmitglied der UFA, brachte seinen hoffnungsvollen Sprößling als Generalvertreter der Werbefilmabteilung bei der UFA unter, wo Andrew junior, wie er heute behauptet: „voller Abscheu", Filme produzierte, die die deutsche Rüstungsindustrie verherrlichten. In den ersten Kriegsjahren drehte Thorndike dann Filme mit antisowjetischer und antienglischer Tendenz. Ihre Qualität blieb jedoch so weit unter dem Durchschnitt, daß sich die Wehrmacht mehrfach energisch danach erkundigte, ob denn Thorndike nicht lieber die Kamera mit einem Karabiner vertauschen wollte. Der Regisseur, der damals Durchhaltefilme drehte, wurde schließlich von der Gestapo vier Wochen lang inhaftiert. Man warf ihm vor, daß er sich „seine UK-Stellung erschlichen und so die Wehrkraft zersetzt" hätte.

Der Sanitätssoldat Thorndike war vier Jahre lang in sowjetischer Gefangenschaft. Dieser Zeit der kommunistischen Umerziehung hätte es nicht bedurft, um aus ihm einen Kommunisten zu machen, denn Thorndike war ja immer Opportunist gewesen. Die zehn Filme, die er im Auftrage der DEFA, teilweise gemeinsam mit seiner Frau Annelie, seither gedreht hat, sind durch die Bank schnulzige oder zackige Durchhaltefilme für die deutschen Kommunisten geworden. Ganz besonders fühlte sichThorndike zur „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" hingezogenen der die Hauptrolle meistens dem erlösenden sowjetischen Märchenprinzen zufällt. Der „Dokumentarfilm": „Unternehmen Teutonenschwert", der 1958 uraufgeführt wurde, hat sich den Marseiller Königsmord nach dem Konzept der Pankower Fälschungen vorgenommen. Der Beifall blieb nicht aus: Auf den Karlsbader Filmfestspielen verliehen ihm die Kommunisten einen Preis als „Dokumentarfilm".

Cui bono? Wem anders sollte das „Unternehmen Teutonenschwert" nützen als denen, die ihr schlechtes Gewissen vor dem Urteil der Geschichte zu tarnen versuchten, mit den gleichen Mitteln, in denen sich die kommunistische Agitation in der Ost-West-Diskussion als Meister erwiesen hat: in der Entstellung und in der Verleumdung.

Wolfram Wolf



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