Die byzantinische Baukunst in den Balkanländern und ihre Differenzierung unter abendländischen und islamischen Einwirkungen

Wladimir Sas-Zaloziecky

 

Einleitung

 

 

Kulturgeschichtliche Grundlagen

 

Die zivilisatorische Großtat der Römer Bestand in der Einbeziehung der unwegsamsten und unzugänglichsten Gebiete des Balkans in ihr kontinentales Herrschaftssystem, und die geschichtliche Bedeutung dieser Einbeziehung für die Balkanländer bestand darin, daß sie seit der Verschiebung der Limesgrenze an die Donau zum erstenmal in die erweiterte römisch-antike Kulturoikumene ausgenommen worden sind. Damit wurden dauernde Grundlagen für die ganze weitere Entwicklung dieser Gebiete geschaffen, Grundlagen, die sich trotz mancher Rückschläge in der Völkerwanderungszeit in großen Zügen durch das Mittelalter hindurch erhalten haben und deren Spuren noch bis zum heutigen Tag nicht ganz verwischt worden sind.

 

Dieses an sich zu Kleinraumbildungen prädestinierte Gebiet wurde in ein übergeordnetes Großstaatsystem aufgenommen, dessen beherrschendes Zentrum sich im Westen befunden hat. Das ist insofern bemerkenswert, als sich diese Umwälzung im Gegensatz zu den natürlichen und in der griechischen und hellenistischen Periode auch geschichtlichen Neigungen, wenigstens eines guten Teiles unserer Gebiete, vollzogen hat. Und eben darum verdient dieses geschichtliche Ereignis eine wahre Umwälzung genannt zu werden. Hand in Hand geht damit eine intensive Romanisierung dieser Gebiete, die gleichzeitig zu den östlich am weitesten vorgeschobenen Posten dieses Romanisierungsprozesses des europäischen Kontinents gehört haben. Aber trotz dieser intensiven Romanisierungsbestrebungen ist es nicht gelungen, auf der Balkanhalbinsel Grundlagen zur Entstehung ähnlicher romanischer Völker zu schaffen wie im Westen. Die Einwanderung der slawischen Volksstämme in die Balkanhalbinsel, die Entstehung neuer Staatsbildungen und ihre Auseinandersetzung mit Byzanz bilden den Hauptinhalt des ersten Hauptabschnittes der mittelalterlichen Periode.

 

Vor allem wurde die kontinentale Verbindung, die in der römischen Periode aus den Balkanländern eine Brücke zwischen dem Westreich und Ostreich gebildet hatte, stark gelockert. Besonders deutlich wurde die Lockerung nach dem Zusammenbruch des großen Restaurationswerkes Justinians, der

 

 

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durch die Eroberung von Illyrikum und Italien die zerrissene Einheit wieder hergestellt hatte. Bald darauf traten die slawischen Volksstämme auf der Balkanhalbinsel auf und schoben sich keilartig vom Norden bis zum Peloponnes vor. Dieser Keil zerriß vorderhand die kontinentale Verbindung zwischen dem Abendland und dem byzantinischen Osten. Im Nordosten der Balkanhalbinsel setzte sich etwa um dieselbe Zeit (um 670) das hunno-onogurische Volk der Bulgaren fest, das nach Überschreitung der Donau das Gebiet zwischen der Donau und dem Balkangebirge besetzte und hier unter den angesiedelten slawischen Stammen das erste Bulgarische Reich gründete.

 

Nun ist das mit äußerster Anstrengung und gewaltsamen Mitteln durch Jahrhunderte vollbrachte Werk der Römer in den Balkanländern zusammengebrochen. Es beginnen sich Eigenzentren innerhalb der Balkanhalbinsel herauszukristallisieren, die sich geschichtlich aus dem Raum heraus entwickeln. Aber es zeigt sich bald, daß die natürliche Beschaffenheit der Balkanhalbinsel ihre Rechte fordert. Die neuen slawischen oder slawisierten (Bulgaren) Staatengründungen verfallen bald in den magischen Kreis von Kleinraumbildungen, welche die Kräfte der einzelnen staatsbildenden Völker zersplitterten und keine einheitliche große Balkannation entstehen ließen — auch angesichts der neuen Gefahr nicht, die ihnen nun wiederum von außen, aber diesmal vom byzantinischen Osten, nicht vom römischen Westen drohte.

 

Gleichzeitig mit diesem neuen Aufkommen der byzantinischen Kulturoikumene haben wir es in den Balkanländern mit einer Abgrenzung und Entfremdung gegenüber der eigentlich abendländischen Welt zu tun.

 

Schicksalsschwer hat sich diese Veränderung in der Geschichte der Balkanländer ausgewirkt. An der Grenze zwischen diesen beiden, den alleinigen Anspruch auf universale Weltgeltung erhebenden Mächten gelegen, gerieten sie in den Strudel des Jahrhunderte andauernden Kampfes und in die Gefahr, zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben zu werden. Mit unendlichem Geschick gelang es der byzantinischen Staatskunst, immer wieder aus der Balkanhalbinsel festen Fuß zu fassen. Bald wurde der eine Staat gegen den anderen ausgespielt, und zwar der schwächere und für Byzanz weniger gefährliche gegen den stärkeren, bald wurden durch eine meisterhaft geführte Kirchen- und Kulturpolitik die Balkanvölker in den Kreis des griechisch-byzantinischen Einflusses einbezogen. Dabei wurde mit zäher Beständigkeit die Unantastbarkeit der griechischen Kerngebiete aus der Balkanhalbinsel verteidigt.

 

Die große byzantinische Offensive am Balkan begann im 9. Jh. nach dem Abschluß des verhängnisvollen Bilderstreites, der das byzantinische

 

 

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Reich im Innern zerrüttet und geschwächt hatte, und nach der Überwindung der persischen und arabischen Invasion, und zwar zunächst auf geistig-kirchlichem Gebiet. Es ging um den Primat der Universalität der nun nach dem Bilderstreit geläuterten byzantinisch-orthodoxen Kirche gegenüber der weströmischen, bei der kampfreichen Rivalität kirchenpolitischer Einflüsse auf der Balkanhalbinsel.

 

Hier hatte der Primat der Universalität für die jungen Völker eine unendlich wichtige Bedeutung, und Byzanz durfte als erste Kulturmacht auf diese geistige Vormachtstellung unter keinen Umstanden verzichten, wollte es kulturell und geistig diese Völker in den Bannkreis seines Einflusses einbeziehen. Serbien und, was noch krasser war, Bulgarien drohten in das Jahrwasser der römisch-westlichen kirchlichen und geistigen Kultursphäre zu geraten — infolge der zeitweiligen Ohnmacht Byzanz’. Aus dieser kritischen Lage heraus gewinnt die von Casar Bardas und Photios so intensiv unterstützte Missionstätigkeit der beiden Brüder aus Saloniki Kyrill und Methodios eine ganz besondere Bedeutung. Durch die Einführung des kyrillischen Alphabets und die Übersetzung der Kirchenbücher ins Altslawische wurde die Gewinnung der slawischen Völker der Balkanhalbinsel für byzantinische Kultureinflüsse eingeleitet. Das byzantinische Christentum und die byzantinische Kultur wurden den Balkanvölkern in einer Form dargereicht, die nicht als fremd empfunden wurde und doch nichts von ihrem byzantinischen Inhalt eingebüßt hatte. Nichts hat so stark zur Ausbreitung byzantinischer Kultur und byzantinischen geistigen Lebens in den Balkanländern beigetragen wie diese, von Byzanz mit überlegener staatspolitischer Weisheit durchgeführte, formale Anpassung an die gegebenen Verhältnisse.

 

Die Byzantiner begnügten sich jedoch nicht mit der kulturellen und geistigen Durchdringung der Balkanvölker. Die mündig gewordenen und vom byzantinischen Staatsgeist durchdrungenen Balkanvölker (Bulgaren, Serben) übernahmen von Byzanz auch die mystisch-imperiale Kaiseridee und versuchten zu wiederholten Malen, die Schwäche des byzantinischen Staates ausnützend, von ihren eigenen Gebieten aus nicht nur die ganze Balkanhalbinsel zu beherrschen, sondern auch die Stellung Byzanz’ selbst einzunehmen. Daraus ergeben sich neue Konflikte, die mit einer Eroberung großer Balkanteilgebiete enden.

 

Den ersten Versuch sich ganz von Byzanz zu emanzipieren bildet das bulgarische Zartum, welches vom Fürsten Simeon von Bulgarien (893 bis 927) ins Leben gerufen worden ist. Es ist wohl der erste große Versuch zur Überwindung des naturbedingten balkanischen Partikularismus und zur

 

 

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Begründung eines einheitlichen Balkanstaates nach der Niederwerfung der byzantinischen Vormachtstellung auf der Balkarthalbinsel. Große Teile Thraziens, Mazedoniens, Serbiens (bis über die Drina), ein großer Küstenstrich an der Adria fielen in die Hand Simeons. Adrianopel wurde eingenommen (923), bulgarische Truppen stießen bis zum Golf von Korinth vor. Aber die durch die byzantinische Kaiseridee genährten hochfliegenden Pläne Simeons begnügten sich nicht mit der Beherrschung der Balkanhalbinsel. Das Eindringen in die griechischen Teile der Halbinsel hat gleichzeitig die von uns bereits öfters hervorgehobenen geopolitischen und kulturgeographischen Bedingtheiten mit neuem Leben erfüllt. Jede politische Macht, welche die ganze Balkanhalbinsel einschließlich der griechischen Teilgebiete beherrschte, geriet zwangsmäßig in den Kreis des griechischen Kultureinflusses. Daraus ergab sich nicht nur der übernationale Charakter eines derartigen Staatsgebildes, sondern auch der Konflikt mit Byzanz, welches diesen Gedanken durch Jahrhunderte wie ein heiliges politisches Recht gehütet hat. Dazu kam das aus der naturbedingten Beschaffenheit der Balkanländer fließende Fehlen eines die ganze Halbinsel beherrschenden Zentrums. Dieses Zentrum war Konstantinopel, die Schlüsselstellung am Bosporus. Nur wer dieses beherrschte, konnte den Traum der Weltherrschaft über das östliche Mittelmeer mit ihrer griechischen Einheitskultur verwirklichen. So mußte es zu einem Konflikt zwischen Simeon und dem byzantinischen Kaisertum kommen, vor allem in dem Augenblick, wo dieser die Byzantiner zur Verleihung des byzantinischen Kaisertitels durch sein Erscheinen vor Konstantinopel zwingen wollte. Später hat er sich, nachdem dieser Versuch mißglückt war, den Titel eines „Basileus Bulgaron kai Rhomaion" beigelegt.

 

An der Uneinnehmbarkeit Konstantinopels, der Schlüsselstellung zur Beherrschung eines universalen Reiches aus der Balkanhalbinsel, scheiterten die weitgespannten Pläne Simeons, sie beweisen jedoch, daß er nicht bloß ein national und regional beschränktes bulgarisches Reich, sondern ein neues universales Kaiserreich an Stelle des byzantinischen Kaiserreichs gründen wollte. Den weitgesteckten Plänen Simeons folgte in Bälde eine schwere Reaktion. Noch einmal raffte sich Bulgarien zu einer Großmachtstellung unter dem Zaren Samuel (997—1014) aus. Diesmal wurde das Hauptgewicht des Reiches aus dein im näheren Bannkreis Konstantinopels gelegenen Nordbulgarien nach dem Südwesten (Mazedonien) verlegt. Prespa und Ochrid wurden zu Hauptstädten des neuen westbulgarischen Reiches gewählt.

 

 

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Auch die Versuche des Zaren Samuel scheiterten an der Unnachgiebigkeit des, unter den Mazedoniern erstarkten, byzantinischen Reiches. Samuel wurde besiegt und im Jahre 1018 zog Basilius II. in Ochrid ein. Die ganze Balkaninsel wurde wiederum dem byzantinischen Reich einverleibt. Die Folgen dieses Zusammenbruchs machten sich in der starken Byzantinisierung der ganzen Balkanhalbinsel in der Zeit der uneingeschränkten byzantinischen Herrschaft (1018—1186) geltend. Das von Samuel begründete bulgarische Patriarchat in Ochrid wurde zwar von Basilius II. in ein Erzbistum verwandelt, aber sehr bald ganz hellenisiert und zum Hauptzentrum der byzantinischen Kirche in den Balkanländern erhoben.

 

Erst nach beinahe zweihundertjähriger Herrschaft auf der Balkanhalbinsel kommt es unter den Boljaren Peter und Johannes Asen zu einer Erhebung gegen die byzantinische Fremdherrschaft, in einem Zeitpunkt, wo innere Wirren und eine Bedrohung durch die Normannen im Jahre 1185 das byzantinische Reich in Schach gehalten haben. In der neuen Hauptstadt Tirnovo wurde Peter zum Zaren der Bulgaren und Griechen gekrönt und ein vom Konstantinopler Patriarchen unabhängiger Erzbischof eingesetzt. Nach längeren kriegerischen Auseinandersetzungen mit Byzanz gelang es dem Nachfolger Peter Kalojan (1197—1207), ein Reich zu gründen, das dem ersten Bulgarenreiche in seiner territorialen Ausdehnung kaum nachgestanden hat.

 

Zuletzt noch ein Blick auf den mittleren und westlichen Teil der Halbinsel.

 

Im Schatten dieses bulgarisch-byzantinischen Konfliktes entfalten sich zu immer stärkerer Geltung die bis dahin zersplitterten Teilfürstentümer des westlichen und mittleren Teiles der Balkanhalbinsel. Kroatien laviert längere Zeit zwischen Byzanz, Venedig und Ungarn, bis es sowohl politisch als auch kulturell sich endgültig dem abendländischen Kulturkreis anschließt.

 

Viel komplizierter liegen die geschichtlichen Verhältnisse in den eigentlich serbischen Gebieten.

 

Das Aufeinanderprallen der abendländischen und byzantinischen Kultur und die patriarchalischen Einrichtungen haben hier eine eigenartige Kulturverschmelzung hervorgerufen, wie es sie sonst mit Ausnahme von Rumänien in keinem anderen Balkangebiet gegeben hat. Eine weitere innere Austragung und Verarbeitung dieser Kulturgegensätze wurde allerdings durch den staatlichen Zusammenbruch im 14. Jh. erschwert.

 

Die serbischen Gebiete wurden nie so stark byzantinisiert wie z. B. die bulgarischen, anderseits wiederum nie so stark von okzidentaler Kultur durchdrungen

 

 

XII

 

wie die kroatischen Nachbarländer; sic bildeten wenigstens in der Zeit ihrer intensivsten Entwicklung im Mittelalter ein Land und ein Gebiet der Mitte.

 

In der Zeit des Niedergangs der byzantinischen Vormachtstellung auf der Balkanhalbinsel schließ en sich die neu entstandenen Teilfürstentümer an den lateinischen Kulturkreis Süditaliens und Dalmatiens an. Das gilt vor allem für das an der Küste gelegene Diokletien (später Zeta, das dem heutigen Montenegro und einem Teil Nordalbaniens entspricht). Den Fürsten von Diokletien gelang es im 11. Jh., die byzantinische Oberhoheit abzuschütteln. Sie lösen sich von den byzantinisch-orthodoxen Einflüssen von Durazzo los und stützen sich auf Rom, von wo sie den Königstitel erhalten, und auf das katholische Bistum von Antivari, das von Rom aus mit zahlreichen Privilegien bedacht wird. Dazu kommen noch die lateinischen Einstüsse aus Zachumlien (später Herzegowina), die vom Bistum Spalato ausgehen. So steht die ganze Küste mit Ausnahme von Durazzo eine Zeitlang unter dem Einfluß der abendländisch-lateinischen Kultur.

 

Anders gestaltet sich die Lage im eigentlich altserbischen Gebiet, dem sogenannten Raszien, das im Binnenland zwischen der westlichen Morava, Ibar, der oberen Drina und den Tälern von Tara, Piva, Lim und der Bergkette von Prokletje gelegen ist.

 

Wohl sind auch hier aus dem Küstengebiet Einflüsse des abendländischen Kulturkreises eingedrungen, aber sie sind nicht zur vollen und ungeteilten Entfaltung gelangt. Schon früh, wahrscheinlich durch bulgarische Vermittlung, macht sich hier der Einfluß des byzantinischen Kirchentums geltend.

 

So bedeutet das serbische Raszien in seinen Anfängen ein Schwanken zwischen okzidentaler und östlicher Orientierung und bildet das einzige Gebiet auf dem ganzen Balkan, das — vor allem nach der Einverleibung Zetas — okzidentale und byzantinische Kultur reibungslos nebeneinander bestehenläßt. Dasselbe Schwanken spiegelt sich in den politischen Beziehungen wider. Der serbische Großžupan Stephan Nemanja schließt sich se nach der Konjunktur in den Adriagebieten der ungarisch-venetianischen Koalition oder Byzanz an. Die erstarkende byzantinische Macht unter den Komnenen (Manuel, Andronikos Komnenos) hat wiederum eine Anerkennung der politischen Oberhoheit Byzanz’ zur Folge (Friede vom Jahre 1190), aber auch die Respektierung des staatlichen Eigendaseins Serbiens. Zu einer Niederwerfung Serbiens, wie Bulgarien sie erlebt hatte, ist es nie gekommen, obwohl die ganze serbische Geschichte im Mittelalter ein ständiges Ringen mit der sich erneuernden byzantinischen Machtentfaltung bildete.

 

 

XIII

 

Eine ganz neue Lage entsteht in den Balkanländern nach der Gründung des lateinischen Kaisertums in Konstantinopel. Der byzantinische Alpdruck ist gewichen, und es ist für die Balkanvölker ein neues Zeitalter hereingebrochen, das ihren politischen und nationalen Aspirationen neue Wege geebnet hat. Und doch wurde der Zusammenbruch der byzantinischen Macht am Bosporus von keinem der Balkanvölker so weit ausgenützt, daß eines von ihnen an die Stelle Byzanz’ getreten wäre.

 

Im Gegenteil, es ist kein Zufall, daß die serbische Kirche, in dem Augenblick, als das lateinische Kaisertum sich in hartem Kampf mit dem byzantinischen Reich von Nikaia befand, sich an das Patriarchat von Nikaia angelehnt hat. Noch auffallender ist, daß der bulgarische Zar Asen II., der sein Reich ähnlich wie einst Samuel nach der Besiegung des epirotischen Despoten Angelos in der Schlacht von Klokotnica (1230) beinah über die ganze östliche Balkanhalbinsel ausdehnte und sich den alten Titel des „Zaren der Bulgaren und Griechen" wieder beilegte, zuletzt das Bündnis mit dem lateinischen Kaisertum aufgab, sich mit dem Kaiser von Nikaia Vatatzes aussöhnte und die Gründung eines autokephalen Patriarchates in seiner Residenzstadt Tirnovo von dem Patriarchen von Nikaia erwirkte.

 

Die Wiederherstellung des byzantinischen Reiches in Konstantinopel hat die alten politischen Gegensätze wieder zu neuem Leben geweckt. Von Michael VIII., dem Palaiologen, werden die Balkanländer wieder in seine Restaurationspläne einbezogen. Das Patriarchat von Ochrid wird restituiert und der unmittelbaren Jurisdiktion des Kaisers unterstellt, womit die Rechte der autonomen Kirchen der Serben und Bulgaren geschmälert werden — anderseits schließen sich die Bulgaren und Serben antibyzantinischen Koalitionen an. Die alten politischen Gegensätze leben wieder auf. Nur die Rollen sind setzt vertauscht. Die Rolle des Vorkämpfers gegen die byzantinische Vormachtstellung auf dem Balkan übernimmt nun Serbien, das die Schwächung des durch innere Wirren entzweiten Bulgarien und die durch die vordringenden Türken abbröckelnde Macht des restaurierten byzantinischen Imperiums für seine politischen Expansionspläne ausnützt.

 

Auch die serbisch-byzantinische Auseinandersetzung, die zur selben Zeit begann, als Serbien aus seiner binnenländischen Isolierung nach dem Süd-osten, nach Mazedonien und in das lebenswichtige Vardartal vorgedrungen war, hat verschiedene Wandlungen durchgemacht. Bald überwiegen lateinische Einflüsse wie unter Uroš I., der sich an Franken und Epiroten angeschlossen hast wobei die abendländischen Einflüsse durch seine französische Fran Helena eine große Förderung im ganzen Kulturleben erfahren haben,

 

 

XIV

 

bald folgt eine Wendung zugunsten Byzanz’, und zwar in dem Augenblick, wo Karl von Anjou die Adriaküste bedroht.

 

Eine letzte Wendung vollzieht sich in der Zeit der höchsten politischen Blüte des serbischen Reiches unter dem Zaren Stephan Dušan (1331 bis 1355). Nach der Schlacht von Velbužd, in der die mit Byzanz gegen Serbien verbündeten Bulgaren geschlagen worden waren, gab es für die Serben nur noch einen Gegner auf der Balkanhalbinsel: das durch Bürgerkriege geschwächte und durch die Türken in Schach gehaltene Byzanz.

 

Dušans ganze Expansion richtete sich daher nach dem Südosten mit dem Ziel, die byzantinische Macht in Griechenland niederzuwerfen.

 

Gleichzeitig bedeutete aber die Besetzung Griechenlands oder zumindest der wichtigsten Teile Griechenlands nicht nur die Festigung des nationalen serbischen Staates, sondern auch die politische und kulturelle Beerbung des byzantinischen Reiches, die nun Dušan ähnlich wie den bulgarischen Zaren vorgeschwebt zu haben scheint. Um 1340 wurde Albanien bis Joannina, um 1Z45 ganz Mazedonien besetzt und kurz darauf sogar Serres, die Schlüsselstellung zwischen Saloniki und Konstantinopel, ferner Drama und Philippi.

 

Zuletzt dringt er noch tiefer in griechische Gebiete, besetzt Akarnanien und Ätolien und schließlich das ganze Thessalien. Stolz nennt er sich nun „fere totius Imperii Romanie dominus". Tatsächlich war ein serbisch-griechisches Reich im Entstehen begriffen, welches das in sich zusammenschrumpfende byzantinische Reich in Schatten stellte und sich anschickte, seine Stelle einzunehmen. Nicht nur politisch, sondern auch kulturgeschichtlich bedeutend ist die Tatsache, daß dieses Reich sich über den Balkanpartikularismus nur zu der Zeit erheben konnte, als es sein Hauptgewicht nach dem Süden, nach Griechenland verlegte und ungemein wichtige Zentren des griechischen geistigen Lebens wie der Athosberg, die Meteora-Klöster in das neue Staatsgebilde eingegangen waren.

 

Aber diese neue Entwicklung, welche vielleicht imstande gewesen wäre, das byzantinische Universalreich in einer anderen Form wiederaufleben zu lassen, ist unter dem neuen Ansturm der Türken noch schneller zusammen gebrochen als das scheinbar bereits ganz lebensunfähige byzantinische Reich.

 

Die vielen Versuche, eine Koalition von Byzanz, Serbien und Ungarn gegen die vordringenden Türken ins Leben zu rufen, sind entweder zu spät zustandegekommen oder an der Uneinigkeit der Beteiligten gescheitert. Und so brach eine Katastrophe nach der anderen über die einzelnen Völker herein.

 

 

XV

 

1371 erlitten die Serben eine furchtbare Niederlage bei Černomen an der Maritza durch die Türken.

 

1389 besiegelt das Los Serbiens die Schlacht am Amselfelde, 1393 wird Trnovo von den Türken erobert. Nur Teilgebiete Serbiens (Moravatal und die Gegend um Belgrad) fristeten unter dem Fürsten Stephan Lazarević († 1427) und den Despoten Georg Branković (1427—1456) noch ein kurzes Scheindasein mit dem letzten Emporlodern eines selbständigen kulturellen Eigenlebens.

 

*

 

Im rumänischen Raum entstehen die ersten staatlich-politischen Kristallisationspunkte viel später als am Balkan, wohl kaum vor dem Ende des 13. und Anfang des 14. Jh.s. In geschützten Gegenden entwickeln sich zwei wichtige Zentren. Das walachische Fürstentum an den südöstlichen Abhängen der transsylvanischen Alpen in Argeș später Târgoviște und etwas später im Raum zwischen Suczawa und der Moldau das moldauische mit den nacheinander folgenden Hauptstädten von Seret, Baia und Suczawa.

 

Was die beiden Fürstentümer von den Balkanländern vor allem unterscheidet ist das verschiedene Verhältnis zum byzantinischen und abendländischen Kulturkreis. Politische Auseinandersetzungen zwischen den rumänischen Fürstentümern und Byzanz hat es kaum gegeben, weil die byzantinische Expansionskraft sich auf die eigentlichen Balkanländer beschränkte und nicht über den unteren Lauf der Donau hinausreichte. Ferner war in der ersten Hälfte des 14. Jh.s das byzantinische Reich zu geschwächt, um politisch über die eigentlichen Balkangebiete hinausgreifen zu können. Dafür umso günstiger gestalteten sich für Byzanz die kirchlichen und kulturellen Beeinstussungsmöglichkeiten. Im Jahre 1359 wurde eine vom Konstantinopler Patriarchen abhängige Metropolie in Vidin in eine ugro-walachische Metropolie umgewandelt, — später unter dem Fürsten Mircea I. wurde die walachische Kirche dem Erzbistum von Ochrid unterstellt. Somit geriet die Walachei unter den Einfluß des byzantinisch-slawischen Kulturkreises der Balkanländer. In der Moldau wurde um das Jahr 1401 oder 1402 eine vom Konstantinopler Patriarchen abhängige Metropolie gegründet, später von Cetatea Alba nach Suczawa verlegt. Auch die moldauische Metropolie war zeitweise von dem Erzbistum in Ochrid zumindest nominell abhängig.

 

Die beiden ungemein bezeichnenden Tatsachen beweisen wie eng die beiden Fürstentümer sich geistig und kulturell an die byzantinisch-balkanische Kultur angeschlossen haben. Trotzdem ist ein Unterschied zwischen den beiden Fürstentümern

 

 

XVI

 

in kulturgeschichtlicher Beziehung vorhanden. Die Moldau war stets stärkeren abendländischen Einflüssen ausgesetzt und man kann sagen, daß von allen Balkangebieten hier die stärkste Annäherung an den abendländischen Kulturkreis, vor allem durch die siebenbürgische Vermittlung, erfolgte. Die Folge war eine schöpferische byzantinisch-abendländische Kultursynthese, die allen Erscheinungen des geistigen, kulturellen ja sozialen Lebens einen tiefen Stempel aufdrückte.

 

Aber zum Unterschied von den Balkanvölkern waren die beiden Fürstentümer nicht von den Türken gänzlich unterjocht worden, sondern gerieten in ein Abhängigkeitsverhältnis. Der große Vorteil dieses Vasallitätsverhältnisses war, daß der Faden der Kontinuität eines zumindest halb selbständigen gesellschaftlichen, kulturellen und geistigen Lebens nicht ganz abgerissen worden ist. Es ist daher keine derartige Stagnation und Patriarchalisierung der Lebensverhältnisse eingetreten wie in den Balkanländern. Unter der türkischen Tünche pulsiert das nationale und kulturelle Leben weitest die Beziehungen zum Abendlande werden nicht abgerissen, wenn auch die Fremdherrschaft tiefe Spuren in der Geschichte des rumänischen Volkes hinterläßt.

 

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