Die Reichsverwaltung in Toscana von der Gründung des Langobardenreiches bis zum Ausgang der Staufer (568-1268). I. Die Grundlagen

Fedor Schneider

 

V. KAPITEL.

Ackerbau und Ödland zur Zeit der Eroberung. Verschiebung der Besitzverhältnisse. Wirtschaftliche und soziale Differenzierung. Rodung und Urbarmachung unbebauter Landstriche. Spuren der langobardischen Siedlung.

 

Über die soziale und Wirtschaftsgeschichte:

·       F. Schupfer, Degli ordini sociali e del possesso fondiario appo i Longobardi, s o. S. 141.

·       Salvioli, Contributi, s. ebenda. L. M. Hartmann, Gesch. 11 2 (1903) S. 1-63.

·       P. S. Leicht, Studi sulla proprietà fondiaria nel medio evo, I. La curtis e il feudo nell’Italia superiore fino al secolo XIII (1903). II. Oneri pubblici e diritti signorili, 1. Il regno langobardo. L’Italia meridionale sino alla dominazione normanna (1907).

·       Hartmann, Zur Wirtschaftsgeschichte Italiens im frühen Mittelalter. Analekten (1904).

·       Davidsohn, Gesch. von Florenz I 302-326.

·       Dopsch, Die Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit vornehmlich in Deutschland, I. Teil (1912): Italien wird mehr gelegentlich herangezogen, die neuen Ansichten von D. sind auch für Toscana sehr beachtenswert.

 

Über die Agrarkontrakte:

·       Hartmann, Ecclesiae S. Mariae in Via Lata tabularium I (1895), Einleitung p. xxiv-xxxii.

·       Pivano, I contratti agrari in Italia nell’alto medio evo (1904) und dagegen

·       Schupfer, Precarie e livelli nei documenti e nelle leggi dell’alto medio evo (1905), zuerst erschienen in Rivista Ital. per le scienze giuridiche XL (1905) Heft 1-3.

·       Regestum Volaterranum (1907) S. xliii (bes. Anm. 8) - xlv.

·       P. S. Leicht, Livellario nomine. Osservazioni ad alcune carte amiatine del secolo nono, in Studi senesi in onore di Moriani (1905) I 283-351, auch separat.

Aus der Litterator seien

·       C. Calisse, Le condizioni della proprietà territoriale studiate sui documenti della provincia romana dei sec. VIII. IX. X, in Arch della Soc. Rom. di storia patria VII (1884) 309-352. VIII (1885) 60-100 und

·       G. Seregni, La popolazione agricola della Lombardia nella età barbarica, in Arch. stor. Lombardo XXII (= serie III vol. Ili 1895) p. 5-77 genannt.

 

Das für die Geschichte der Wirtschaftsgeschichtsforschung interessante Ruch von C. F. von Rumohr, Ursprung der Besitzlosigkeit der Kolonen im neueren Toscana (1830), dessen Ergebnisse H. Niese in Zeitschr. der Savigny-Stiftung Germ. Abt. XXXII (1911) S. 376 Anm. 7 akzeptiert, ist veraltet und wegen des äusserst geringfügigen Materials, das benutzt ist, ohne Beweiskraft; über seine Stellung in der zeitgenössischen Litteratur vgl. die gelehrten Bemerkungen v. Belows in Conrads Jahrbüchern f. Nationalökonomie und Statistik XLIII (1912) S. 577. Von der allgemeinen Litteratur kommen hier neben G. Waitz, Deutsche Verfassungsgesch. Bd. II 13 S. 217-383. IV2 176-364 besonders H. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte I2 279-292. Pertile, Storia del diritto italiano vol. III und IV, Il diritto privato, Torino 1893-94. A. Solmi, Storia del diritto italiano (Milano 1908, hebt die Probleme schärfer wie die bekannten Handbücher von Salvioli u. a. hervor) Fr. Schupfer, Il diritto privato dei popoli germanici con speciale riguardo all’Italia vol. I und II, Città di Castello 1907, in Betracht. Eine Wirtschaftsgeschichte Italiens ist bei dem Stande der Forschung vorläufig noch zu den pia desideria zu rechnen. Das Buch von Eheberg, Agrar. Zustände in Italien (Schriften des Vereins f. Sozialpolitik Bd. 29) bietet interessantes Vergleichsmaterial aus der Neuzeit.

 

Die Ausführungen dieses Kapitels, die zum Verständnis der Grundlagen der Reichsverwaltung nicht gut entbehrt werden können, gehören streng genommen nicht zum Thema;

 

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ich musste mich daher begnügen, die Hauptpunkte der Entwicklung in Toscana zu skizzieren und mit ausgewählten Belegen zu versehen, um so mehr, als eine einigermassen erschöpfende Behandlung des Gegenstandes in diesem Rahmen unmöglich ist. Jedoch hoffe ich an andrer Stelle ausführlicher auf die berührten Probleme zurückzukommen.

 

Toscana war zur Zeit der langobardischen Landnahme kein verwüstetes oder entvölkertes Land. Die antiken Ortsnamen (1), die Zeugnis geben, wie weit zum mindesten die römische Kultur von den Langobarden angetroffen und belassen wurde, erstrecken sich, von den im Altertum sumpfigen Tiefebenen und den Maremmen abgesehen, ziemlich gleichmässig über das ganze Land bis hoch ins Gebirge hinauf, wo auch jetzt Ackerbau und feste menschliche Wohnsitze aufhören und die Weideund Alpenwirtschaft beginnt; hier tritt der erste Grundsatz der Ortsnamenforschung in sein Recht, auf friedliche Eroberung und gute Nachbarschaft der Eroberer mit den Unterworfenen zu schliessen, wenn die Namensformen dieser erhalten bleiben (2). Zu dem gleichen Ergebnis führt eine Untersuchung der Kirchenpatrozinien (3). Solche, die nach den Heiligen der ältesten Zeiten heissen und wohl auf vorlangobardische Zeit znrückgehen, beispielsweise Stephanus, Cosmas und Damianus, Iacobus, sind über das ganze Land zerstreut; solche, die wir für langobardisch halten dürfen, wie Michael, Geminian, Donatus, haben auch keine bestimmte regionale Begrenzung und finden sich häufig in Orten, deren Bestehen schon im Altertum sicher ist,

 

 

(1) Besonders die der alten fundi auf. -anum (us) ans der römische Katasterkarte, s. o. S. 58 Anm. 2. 165. Lami, Eccl. Flor. mon. I 688-694. II 1497. Leicht, Studi I 13 nota 3. Dazu die von Jung, Grundriss der Geogr. von Italien S. 12 zitierten Werke von Flechia. Für die Garfaguana und Absilia öfter hervorgehoben von Pacchi p. 45-47, Santini I 28, vgl. Calisse, Doc. Amiat. p. 100 für Römisch-Tuscien. Neben diesen Ortsnamen sind solche wie Cecina von der bekannten etruskischen gens Caecina oder Vico Pancellorum (ein vicus Panuuculorum) zu beachten. Ein noch gewichtigeres Zeugnis für das friedliche Weiterleben der römischen Ackerbauer bietet die von A. Schulten, Die röm. Flurteilung, in Gotting. Abhandl. 1898 (vgl. schon Meitzen, Siedelung u. Agrarwesen I 319-321. III 138. 141) nachgewiesene antike Flurteilung, die beispielsweise um Florenz und Prato noch erhalten ist. Auch Ortsnamen wie Dicomano (bei Florenz und Bach bei Cascina nahe Pisa, Muratori, Antiq. Ital. III 1053, a. 934) werden darauf hinweisen und mit dem decumanus, einem der von den Feldmessern angelegten Richtwege, Zusammenhängen. Eine exakte Einzeluntersuchung ist, freilich vorwiegend vom Standpunkte des Linguistikers, von Pieri, Dalla toponomastica della Aralle dell’Arno, in Rendiconti Accad. Lincei XX 503-562 durchgeführt, ebenso von demselben für die Täler des Serchio und der Lima im V. Beiheft des Arch. Glottol. Ital. Das ganze übrige Material harrt der Abarbeitung für die Siedlungsgeschichte.

 

(2) Vgl. v. Jaksch, Über Ortsnamen u. Ortsnamenforschung mit bes. Rücksicht auf Kärnten, Klagenfurt 1891.

(3) S. o. S. 141.

 

 

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oft sogar als Herrenkirchen neben dem Gotteshaus der unterworfenen Römer (1). Die langobardischen Neukulturen, von denen noch zu reden ist, sind über die ganze Provinz verbreitet; höchstens dass sie an Strassenzügen wie der Frankenstrasse etwas häufiger sind. Ein grösseres geschlossenes Gebiet langobardischer Siedlung ist in Toscana nicht nachzuweisen, und es leuchtet ein, dass in diesen Verhältnissen das Germanenvolk schnell romanisiert werden musste.

 

Wie im Altertum war das untere Arnotal fast ununterbrochen von Sümpfen bedeckt (2); an der Mündung des Flusses und weit nach Norden, bis zur jetzigen Mündung des Serchio und zum See von Massaciuccoli, erstreckte sich eine solche von Busch und Stauwasser erfüllte Niederung, an deren Rande der Ort Arena lag, so genannt nach seinem wertlosen Sandboden. Die Monti Pisani begrenzten diesen Sumpf, und an ihrer Abdachung liegen die Städte Pisa und Lucca, beide nicht weit von dem kleinen Bergstock entfernt; aber jenseits von diesem, südlich von Lucca, treffen wir auf einen neuen Sumpfsee, den Lago di Bientina, der nach Norden nahe an Lucca heranreichte. Im Osten begrenzten ihn die waldigen Höhen Le Cerbaie, in denen der Hirsch hauste, und ostwärts von ihnen dehnte sich wieder ein stagnierendes Gewässer aus, der See von Fucecchio, dessen Abfluss in den Arno den Namen Arme trug (3). Südwärts von Lucca, östlich vom Pian Pisano war nur wenig Kulturland auf dem rechten Arnoufer,

 

 

(1) Dann liegt die ältere Kirche nach antiker Sitte ausserhalb des Ortes, oft ist sie Taufkirche, nie die langobardische, die im Orte und, wo wir der Lokaltopographie nachkommen, sogar in der späteren Burg, der alten villa = curtis, liegt. Last alle im Register des Reg. Volat. S. 389-390 verzeichneten Michaelskirchen liegen z. B., soweit sie nicht städtisch sind, in Burgen; typisch ist die im cassarum von Montevoltraio, die dortige Pieve S. Giovanni lag ausserhalb.

 

(2) Kiepert, Lehrbuch der antiken Geographie S. 405. Kissen I 305. II 292. Salvioli I 5. 8. 12. 28. 42-43. Vgl. oben S. 30. Auch der angeführte Atlas von Zuccagni Orlandini, der den Zustand vor der völligen Durchführung der “bonifiche„ wiedergibt, ist mit Vorteil zur Feststellung des Sumpflandes heranzuziehen.

 

(3) Alle diese Sümpfe, von denen ein Teil noch heute in Resten vorhanden ist, sind auf älteren Karten gut erkennbar. Über Wald bei Pisa zu Strabos Zeit Salvioli p. 12. Arme: Repetti I 135. Die Gusciana, die ihm mindestens für einen Teil des Laufes entspricht (Repetti II 566), führte im IX. Jahrhundert noch Fische: Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 789. Für Bientina (Nissen I 305) vgl. z. B. ib. V 3 n. 1369. Von den Cerbaie sagt Alexander II. JL. 4724 terra que dicitur Cerbaiola, quam ex agresti et sterili ad fecunditatem reduci fecimus. Die Pachturkunden über die einzelnen Parzellen sind mindestens grossenteils erhalten, Kehr III 451 n. 14 - 452 n. 24 und die Nachträge p. 488-492. — Einzelbelege können hier nicht erbracht werden. Über die auf Sumpf und Wasser deutenden Ortsnamen dort, zu denen noch Flexo = Fiesso am untern Serchio kommt, vgl. Repetti II 472 und über Analoga bei Mantua Darmstädter S. 137. 139. 142.

 

 

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die Frankenstrasse suchte sich mühsam zwischen den Sümpfen durch die Cerbaie ihren Weg bis zum Arno-Übergang, und inselgleich ragtendie bei den später vereinigten alten Kirchen S. Ippolito und S. Maria in Monte aus dem wüsten Gebiete hervor. Auf dem linken Ufer treten die Höhen, zuerst die Colline Pisane, dann die Hügel nördlich von Volterra, dichter an den Arno heran. Hier fand sich in den Tälern der Era und Evola viel unkultiviertes Waldland, und ähnlich sah es im Südwesten aus, in den kleinen Tälern der Bäche, die von den Grenzbergen zwischen Volterra und Pisa (Montalpruno) ins Tyrrhenische Meer fliessen.

 

In Osttoscana, wo im Altertum die Hauptstrasse vom Rom nach Florenz gezogen war, breitete sich jetzt der Chianasumpf südlich von Arezzo bis Chiusi immer weiter aus, und mit ihm die Malaria, .die das damals noch blühende Chiusi im Lauf der Jahrhunderte zu der gestorbenen Stadt machte, als die es Dante kennt. Zwischen Siena und Roselle reichte ein grosses Waldgebiet von den Quellen der Merse bis zur Orda, ein anderes dehnte sich auf dem vulkanischen Gebirge des Montamiata zwischen Chiusi und Sovana aus. An der Küste zerstörte die fortschreitende Ausbreitung des lacus Prilius bei Roselle den schiffbaren Hafen; überall griff auch hier das Sumpffieber, das schon im Altertum nicht gefehlt hatte (1), um sich und hat im Lauf der Zeit Roselle und Sovana zerstört, Grosseto nicht aufkommen lassen. Wie viel Anteil es an dem Dahinsterben der zahlreichen Städte des Südens wie Vetulonium, Ansedonia, Visentium hat, wie viel die Kriegsnöte dieser Jahrhunderte verschuldeten, das bleibt in den undurchdringlichen Schleier gehüllt, der über jenen dunkeln Zeiten schwebt (2). Die weiten fruchtbaren Flächen an der Meeresküste, so an der untern Cecina, um Populonia-Piombino, an der Mündung der Merse und Fiora, um Corneto scheinen dagegen erst infolge der Sarazenennot völlig verödet und der Malaria zum. Opfer gefallen zu sein (3).

 

 

(1) Vgl. über die Verödung in der späten Kaiserzeit Kiepert, Lehrbuch S. 407. Stellen wie Rutilius Namatianus I v. 282-284 zeigen die Maremma bereits mit Sümpfen erfüllt, in denen die Pinie wuchs und dichtes Buschwerk grünte; der aestivae paludis odor ist wohl auf Malaria zu beziehen. Die Stelle beschreibt die Maremmen zwischen Graviscae und Cosa. Salvioli p. 8, der aber p. 28 übertreibt. Über das Gebiet des lacus Prilius M.2 559.

 

(2) Vgl. z. B. Pelagius I. JK. 943. 963. Schon Gelasius 1. JK. 672, vgl. 621 nennt Tuscien unter den provinciae, in quibus hominum prope nullus existit; die Worte des Rutilius von Alsia und Pyrgi Nunc villae grandes, oppida parva prius (I v. 224) zeigen, dass das veränderte Wirtschaftssystem viel Schuld hatte. Man erinnert sich, dass zu Ende des VIII. Jahrhunderts die Stätte der untergegangenen Stadt der Sorrini nur casalem Surriuem trug (oben S. 136); ähnliche Beispiele sind nicht selten: von Tarquinii blieb ein Turm, von Volci die Pfarrkirche, Forum Cassii bestand als massa mit einer Marienkirche fort.

 

(3) Wenigstens werden in diesen im Altertum dicht bewohnten Küstenländern (Kiepert S. 407) noch zahlreiche Ortschaften das ganze IX. Jahrhundert und bis ins folgende hinein in den Luccheser und Amiatiner Urkunden genannt: eine Leihe von Einzelheiten wurde im 3. Kapitel zusammengestellt. Die cella s. Mariae ad Minionem südlich von Corneto wurde von den Arabern zerstört und lag 48 Jahre lang verödet: Calisse, Storia di Civitavecchia p. 78 mit vielen andern Notizen aus dem Farfeser Regest über dieses Klösterehen.

 

 

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In der Folge bildeten ziemlich alle Flussmündungen an der Küste Haffe, wie ein Beispiel noch bei Orbetello zeigt, oder stagnierende Gewässer (1). An der Cornia lag jenseits der gut angebauten Mündungsebene, wo eine Reihe von Dörfern noch lange bestand, ein weiter Wald, der sich bis zum grünen Berge von Monteverde in die Volterraner Randhöhen hinaufzog (2); dort deutet vielleicht der Name des alten Gehöftes Palatiolum (3) darauf hin, dass die Umgegend bereits römisches Fiskalland gewesen war. Im Süden scheint sich bei Visentium und Orvieto viel unbebautes Weideland befunden zu haben (4). Ein grosser Teil dieser unbewohnten Landstrecken war erst durch den Verfall der etruskischen Kanalisation dem Fieberdämon preisgegeben (5), da die spätantiken Agrarverhältnisse, die Latifundienbildung, die alte Entwässerung verkommen Hessen (6). Das Wald- und Weideland mag aber grösstenteils schon im Altertum städtisches Gemeingut und der Privatkultur, zu der es sich meist nicht eignet, entzogen gewesen sein; so die waldigen Höhen des Appennin und Montamiata, von denen diese Tatsache, weil wir zufällig Nachrichten besitzen, feststeht (7), aber auch Binnenwälder wie die zwischen Siena und Roselle (8). Diese weiten Odi linciereien sind, wie zu zeigen sein wird, an den langobardischen Staat gefallen (9).

 

 

(1) So am Serchio der See von Massaciuccoli, am Arno der sumpfige Wald von Tombolo und flussaufwärts die Seen von Bientina und Fucecchio, an der Bruna der See von Castiglione della Pescaia, am Ombrone der Prelio; von den kleinen Flüssen des Südens behielt aber z. B. die Marta den Hafen von Corneto, wie die Farfeser Diplome zeigen. Ähnlich war es an der Adria zu Strabos Zeit: Salvioli I 42.

(2) Der gualdus regis, von dem gelegentlich des Reichslandes zu sprechen ist, vgl. oben S. 117.

(3) In dein der Pisaner Walfrid 754 das Kloster Monteverde gründete, vgl. das Leben Walfrids von Abt Andreas, oben S. 5 Anm. 2.

(4) Wegen der dort augesiedelten Centenen.

(5) Kiepert S. 407. Nissen I 301. 308. 410 418. II 282. Doch galt Toscana teilweise schon im Altertum als Fieberland: Plinius, Ep. V 0, 1-2. Sidonius I 5, 8 pestilens regio Tuscorum. Rutilius I v. 282 über Graviscae. Oben S. 176 Anm. 1.

(6) Targioni Tozzetti IX 59-154, “Discorso intorno alle cause ed ai rimedi dell’insalubrità d’aria della Maremma toscana„.

(7) Salvioli I 48 und die Schenkung im Privileg Aistulfs für Annata, die, wie an anderem Ort zu erweisen ist, wenigstens in den Grundzügen echt ist.

(8) Karl der Grosse (M.2 559 und dep. 26) schenkte dort den Wald, der ehemals zum publicum von Siena gehörte, an S. Antimo.

(9) Siehe das folgende Kapitel über das Reichsgut.

 

 

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Im Laufe der Zeit müssen sich die Langobarden stark vermehrt haben, und bald mochte der einzelnen Lara der zugeteilte Besitz nicht mehr in der gewohnten "Weise ihren Unterhalt gewähren (1). Die Könige haben in manchen Fällen die Übersiedlung der ganzen fara in andre, wohl dünner bewohnte Gegenden gestattet (2) und ihr dann doch wohl neuen Besitz zugeteilt. Der grösste Teil des Krongutes eignete sich aber nicht zu diesem Zweck; er konnte erst durch mühsame Rodung, welche die Kraft einer einzelnen Sippe überstieg, dem Pflug dienstbar gemacht werden. Das ist vielfach durch Gründung von Reichsabteien bewirkt worden (3); wir finden aber auch Langobarden und ihre Bundesgenossen auf öffentlichem Boden angesiedelt, und dann wohl meist in grösseren Verbänden. Wo wir einen langobardischen sculdahis (centenarius) mit seiner Hundertschaft antreffen — einmal, in einem schon römischen Orte (4), sogar zwei zusammen —, da muss bewusste Besiedlung durch die Regierung mit bestimmten Absichten vorausgesetzt werden. Diese Absicht kann nun entweder wirtschaftlicher oder militärischer Natur gewesen sein (5). In der Tat lässt auch die Örtlichkeit, in der wir Bundesgenossenscharen oder Centenen in Toscana nachweisen können, regelmässig auf die eine der beiden Aufgaben, meist auch noch auf ursprüngliches Ödoder Fiskalland schliessen. Aus Paulus wissen wir, dass die stammfremden Hiilfsvölker der Langobarden in vici angesiedelt wurden, die nach ihnen hiessen.

 

 

(1) Hartmann II 2 S. 48-52.

(2) Ed. Roth. 177.

(3) K. Voigt, Kgl. Eigenklöster im Langobardenreiche (siehe unten in der Litteratur des 7. Kapitels) S. 152-154 macht diesen Gesichtspunkt nicht geltend; Bobbio auf Ödland gegründet: Hartmann, Analekten S. 42-44. Ebenso lag es in Annata und später in S. Antimo.

(4) Mosciano bei Lucca : Leicht, Studi I 14.

 

(5) Hier sei an die Ortsnamen Sculcula in der Maremma, Innocenz II. JL. 8090. und Sculcule bei Asciano, infra plebe s. Agathe 1040, Pasqui, Cod. dipl. d’Arezzo I 231 n. 159 (Kepetti I 152). erinnert, zu denen Formen wie Scurcola bei Tagliacozzo in den Abruzzen, Circondario Avezzano, und Sgurgola südlich Anagni zu vergleichen sind. Über sculca jetzt E. Mayer, Ital. Verfassungsgesch. I 411 Anm. 7; das Wort ist nicht griechisch, wie der Index zu MG Leges IV 677 erklärt, sondern hängt mit dem Verbum exculcare zusammen; exculcatores sind Vegetius II 15. 17 leichte Aufklärungstruppen, vgl. Ammian XXVII 10, 10. So sagt Theophylaktos Simokatta VI 9, der die griechische Bedeutung angibt, sculca sei ein römischer Ausdruck. Nach Gregor 1. Reg. II 33 und dem griechischen Historiker ist scalca eine Wache oder Wachmannschaft. Von den Langobarden wurde Wort und Begriff übernommen: Roth. 21 Si quis in exercito ambulare contempserit aut in sculca (vgl. Lombarda vulg. I 14). Die Glosse dazu (id est cabalcata) erklärt Mayer mit Recht für wertlos. So könnte dieser Ortsname auf eine langobardische, vielleicht aber auch byzantinische Besatzung oder Festung zurückgehen, zumal die beiden (verschollenen) Orte im Süden von Toscana lagen.

 

 

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Nun kommen unter den toscanischen Ortsnamen von den sechs Nationen, die der Geschichtschreiber aufzählt (1), nur die Bulgaren vor (2); auch die Thüringer, die im Heere Alboins vertreten waren, haben ihre Spuren hinterlassen, dicht bei Lucca, wo noch viel später reiches Königsgut, wohl aus alten Stadtweiden entstanden, lag (1).

 

 

(1) Hartmann, Gesch. Italiens II 1 S. 277 verweist auf Ortsnamen, die mit Bulgar gebildet sind, denkt jedoch an die Scharen des Alzeco, der cum omni sui ducatus exercitu ad regem Grimuald venit (Paulus V 29) und von dessen Sohn Romuald in Sepino, Boviano und Isernia angesiedelt wurde. Das war jedoch nur ein später Nachschub, so interessant uns auch die Fortdauer der Beziehungen zu den Balkanbulgaren ist. Auf eine etwa gleichzeitige Einwanderung geht wohl auch die legendarisch gefärbte, gewöhnlich mit Alzeco zusammengebrachte Nachricht des Theophanes zu 6171 (= 663, also in der Zeit Grimoalds), einer der Söhne des Bulgarenherrschers Krobatos habe Ravenna und die Pentapolis besetzt und sei unter die Herrschaft der Christen gekommen. Diese Bulgaren sprachen, wie Paulus sagt, noch zu seiner Zeit neben dem (Vulgär-)Latein ihr Bulgarisch (d. h. die alte ugrofinnische Mundart, Hertzberg, Byzantiner und Osmanen S. 10); vgl. Bruckner, Spr. der Langobarden S. 15. Aber die Worte Paulus II 26 (nicht Secundus)

 

Unde usque hodie eorum in quibus habitant vicos Gepidos, Vulgares, Sarmatas, Pannonios, Suavos, Noricos sive aliis huiuscemodi nominibus appellamus

 

zwingen an die mit Alboin eingewanderten Bulgaren zu denken; so Muratori, Antiq. Ital. I 14, auf den der Herausgeber Bethmann verweist; jenem Stamm des Alzeco wurden verödete civitates cum suis territoriis angewiesen, die ältere Schicht wohnte aber in vici, und gerade das trifft auf die toscanischen Orte durchaus zu.

 

(2) Volpe in Studi stor. XIII 56. Solche nach dem Volksnamen Bulgari heissenden Orte — wie genau die Angabe des Paulus ist, zeigt auch die beibehaltene Pluralform, nur in Oberitalien einmal Bulgaria — kenne ich in Toscana folgende:

 

·       Bulgari, jetzt Bolgheri bei Bibboua in der Volterraner Maremma; dort lag die sala ducis Allonis, ein grosser Komplex von Reichsland, noch später Grafengut, Reg. Volat. n. 575. 855. Vgl. Repetti I 333, der auf den Zusammenhang mit dem Herzogs und späteren Gherardeschibesitz dort hinweist.

·       Ebenfalls verschollen Bulgari in der Pieve Presciano im Aretinischen, links vom Arno oberhalb Montevarchi, eine curtis, später Kastell: Pasqui, Cod. dipl. d’Arezzo I 139 nota 1; ib. p. 158 n. 111. D.H II. 464. H III. St. 2321a, Pasqui I 244 n. 170; ib. 264 n. 185.

·       Westlich von Città di Castello in fluvio quod dicitur Soara in loco Vulgari in einer Urkunde von 1048 bei Magherini Graziani, Storia di C. di C. II 279, der den Ortsnamen nicht erkennt und vulgari druckt.

·       Ein weiteres Bulgari, später auch eine Burg, jetzt Borghero zwischen Orcia und Onzola, lag bei Chiusi : Reg. Sen. I n. 107 und meine Anmerkung über die Lage.

·       Ein anderes ist südwestlich von Lucca bei Vicopelago zu suchen : 819 in loco Bulgari Mem, e doc. di Lucca V 3 n. 428, dazu ebenda n. 503, a. 829, ferner Reg. del Capitolo di Lucca I n. 485. Dort ist ebenfalls Reichsgut nachweisbar.

·       Vermutlich geht auch der Ort Porcari bei Lucca auf ein Bulgarendorf zurück

·       Als Eigenname ist Bulgari, Wulgari (Reg. Camald. n. 261; in Süditalien häufig Pulcari) in Toscana so verbreitet, dass ich die Stellen, die fast jedes Urkundenbuch bietet, nicht weiter gesammelt habe;

·       immerhin ist zu beachten, dass er sich bei einem der ersten späteren Grafengeschlechter langobardischer Herkunft, den Kadoliugern, findet : Graf Wilhehn mit dem Beinamen Bulgari, Bulgarellus z. B. Muratori, Antiq. Ital. VI 227, Reg. Volat, n. 126, Bolgarinus JL. 7606; auch in den Seitenlinien im Patrimonium.

·       Vgl. über die Lombardei Seregni, La popolazione agricola della Lombardia nell’età barbarica 1. c. p. 17, der neben Ansiedlung von Bulgaren auch solche von Sarmaten und Gepiden nachweist.

·       Ein Ort Sclava bei Viareggio, jetzt Stiava, Repetti V 472, z. B. Mem. e doc. di Lucca V 3 n. 1696 (Solava Druckfehler); ebenso Ar 2 n.934, (wo Sclana gedruckt ist) und öfter, vgl. über das Wort Körting n. 8495.

 

 

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Im Lucchesischen, dessen Wirtschaftsznstände wir verhältnismässig besonders gut kennenr finden sich ebenso wie im Pisanischen innerhalb der Landstriche mit alter Kultur keine Hundertschaften: doch treffen wir jene beiden auf demselben fundus in Mosciano an, an der Frankenstrasse, wo diese aus dem Gebirge in die Luccheser Ebene tritt. Weitere Centenen sassen in den alten castra Montepulciano und Viterbo, und es mag sein, dass auch in andre der eroberten byzantinischen Festungen solche Heeresabteilungen gelegt worden sind. Wenn wir bei Chiusi wie bei Toscanella mehrfach Centenare finden, so wird das ebenso wenig zufällig sein, sondern mit dem Schutz der Südgrenze Zusammenhängen. Vielleicht nur zu Rodungszwecken, vielleicht aber auch zur Küstenverteidigung diente die Hundertschaft, die im Königswald an der Cornia angesiedelt worden ist (2). Diese Verbände gehen doch wohl kaum auf die alte Heeres- oder Volksverfassung zurück, mit der die Langobarden in Italien eingerückt sind (3). Sie hätten sonst bei der Ansiedlung nicht ganz unberücksichtigt bleiben können; diese erfolgte aber nach farae, und dem entspricht es,

 

 

(1) Im vicus Turingus Toringo; doch sind die Thüringer bei den Langobarden nicht sicher bezeugt, König Agilulf soll nach der Origo diesem Stamme angehört haben. Hartmann II 1 S. 121 Anm. 4 lässt mit Recht die Möglichkeit offen, dass Agilulfs thüringischer Abstammung ein Missverständniss zugrunde liegt: er war vor seiner Erhebung Herzog von Turin.

(2) Die Nachweise der toscanischen Hundertschaften sind im II. Buche zu geben.

 

(3) Richtig Hartmann II 2 S. 12; im Widerspruch mit dieser Stelle und den Nachrichten über die langobardische Ansiedlung stehen seine Ausführungen ebd. S. 39: “der Name centenarius weist durch die Hundertzahl auf die alte Hundertschaft und auf ein Abteilungskommando hin, das schon vor der Ansiedlung bestanden haben wird„. Wir wissen ja, dass, bei der Landnahme für solche Verbände kein Spielraum blieb, dass, wie H. II 1 S. 38 sagt, “das langobardische Heer nach Geschlechtern (farae) eingeteilt war und wanderte„, und werden ihm nur beipflichten, wenn er II 2 S. 12 sagt, dass von (alten) Hundertschaftsverbänden keine Spuren vorhanden sind. So sind auch die alamannischen Centenen jüngere Bildungen: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I2 161. Mann kann auch bei den Langobarden nicht wie in Deutschland (Brunner S. 160-163) einen Unterschied zwischen persönlichem Verband und gemeinsamer Siedlung machen, da durch die sippenweise vor sich gegangene Ansiedlung solche persönliche (Heeres-)Verbände zerstört worden sein müssen. Auch ist der sculdhais in loco ordinatus (Roth. 35), was auf einen territorialen Verband führt.

 

 

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wenn wir ausdrücklich überliefert, finden, dass die Langobarden in fara in das Land zogen (1). Dazu kommt, dass im Süden von Toscana, wo die meisten der Hundertschaften sassen, am öftesten Transpadiner (2), das heisst Leute ans dem Stammland, wo das Volk am dichtesten sass und am meisten überschüssige junge Mannschaft zur Verfügung gestanden haben muss, erwähnt werden;

 

 

(1) Oben 8. 165 Anm. 1, dazu Hartmann II 1 S. 32 Anm, 13 zu S. 21.

 

(2) Zu den sieben von Calisse, Doc. Amiat. p. 104-105 aufgezählten Transpadinern in und um Toscanella kommen noch acht aus dem 'Territorium um Viterbo, aus dem Regest von Farfa II n. 218. 221. 240. 259. 275 (vgl. Pinzi, Storia di Viterbo I 41 n. 2), davon drei im vicus Squaranus, zwei im vicus Palentiana. In und um Lucca kenne ich vier, die von 772 bis 819 genannt werden: Mem. e doc. IV 1 n. 75. IV 2 n. 6. V 2 n. 403, 428. Die letzten drei, die seit 805 erwähnt sind, könnten aus dem päpstlich gewordenen Süden abgewandert sein; über diese Rückwanderung wird noch gesprochen werden. Ein anderer hat sich vor 725 in Toscana niedergelassen, ein Priester, der mit seiner als coniux presbiteria bezeichneten Gattin von der Pilgerfahrt nach Rom zurückkehrte: ib. IV 1 n. 2. V 2 n. 13. Ein Transpadiner in Pistoia 742: Mem. e doc. V 2 n. 31. Endlich sagt in den Sieneser Zeugenaussagen von 715 Poto liber homo senex (Zeuge n. 46): Ecce sunt anni L et supra, que de trans Pado hic (zwischen Siena und Arezzo) me conlocavi; er ist also vor 665 eingewandert, ein Zeichen, wie früh diese Bewegung begann. Für die Frage, ob die magistri comacini (vgl. Roth. 144, 145, das Memoratorium de mercedes comacinorum im Edikt, das Grimoald oder wahrscheinlicher Liutprand zugeschrieben wird: Brunner DRG. I2 535: und Merzario, I maestri comacini, 2 Bd. 1893) nach Como heissen (so Hartmann II 2 S. 20), oder ob das Wort Maurer, französ. maçon, bedeutet (so, nach Diez, Mayer I 92, der behauptet, das Wort werde ohne jeden Beleg mit Como zusammengebracht: nun ist aber, wie er selbst aus Paulus V 39 weiss und ihm die Durchsicht einiger Register der Mon. Germ., etwa SS. XVIII, bestätigen würde, Comacinus ein übliches Adjektiv zu Como), ist das genannte Material über Transpadiner in Toscana entscheidend. Unter ihnen ist ein magister cummacinus (Brunetti I n. 31, 739) und nicht weniger als drei magistri casarii Transpudini kommen dazu (Mem. e doc. IV 2 n. 6. V 2 n. 403, 428). Also muss sich die römische Tradition des Bauhandwerks besonders nördlich des Po erhalten haben, was zu Hartinanus Ausführungen trefflich passt. Die Handwerker siedelten einzeln als Bauern oder Gutsbesitzer; gerade ihre Einwanderung war wohl im Lande besonders geschätzt. Von der Organisation, die für diese aus dem collegium der fabri des Altertums (vgl. Kornemann, Art. fabri bei Pauly-Wissowa, RE. VI 1888-1925) hervorgegangenen Bauhandwerker ursprünglich vorauszusetzen ist (Hartmann a. a. O.), findet sich also in langobardischer Zeit keine Spur mehr, sie würde auch nicht in die veränderten Wirtschaftsverhältnisse passen (gut ausgeführt von A. Solmi, Le associazioni in Italia av. le orig. del comune p. 57-67). Auch in Konstantinopel scheinen im X. Jahrhundert die Bauhandwerker keine Zunft mehr gebildet zu haben, vgl. jetzt A. Stöckle, Spätröm. und byz. Zünfte (oben S. 146 Anm. 1) S. 17-51, dazu S. 6 und 156 n. 22. — Nicht in diesen Zusammenhang gehören die beiden aus Mailand eingewanderten Bewohner von Lucca, die sich im X. Jahrhundert nachweisen lassen: Mem. e doc. V 3 n. 1079. 1311.

 

 

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sie scheinen vorzugsweise an gewissen Stellen zusammengewohnt zu haben. So liegt es nahe, die Hundertschaft für keine ursprüngliche, sondern für eine spätere künstliche Bildung zu halten, für Abteilungen verarmter Langobarden oder jüngerer Söhne, die der König nach den angegebenen Prinzipien ansiedelte, um ihnen Nahrung zu verschaffen. In diesen Zusammenhang gehören wohl auch die colliberti, die persönlich vollfrei und freizügig auf Königsgut, der fiuwaida in Arena — eben jenem Sumpfland zwischen Arno- und Serchiomündung — sitzen, das ihnen nur auf Widerruf überlassen ist. Allerdings setzen sie voraus, dass ihnen die Regierung, im Falle sie ihnen ihr jetziges Land nehmen sollte, anderswo Ersatz dafür gewähren wird; auch können sie ihr Landlos verkaufen oder verschenken. Daher darf man wohl die Zustände der colliberti von Arena verallgemeinern und annehmen, wenn auch die Rodung mit gemeinsamer Kraft geschehen war, so sei doch dann jedem Einzelnen eigner Besitz zugeteilt worden.

 

 

Die wichtige Urkunde (Litteratur bei Dopsch S. 341 Audi. 3) ist nicht, wie Hartmann, Analekten S. 106 und nach ihm Dopsch S. 340 annehmen, von Schupfer, sondern von Hegel I 486 Anm. 1 zuerst besprochen worden; zu Troya III n. 481 vgl. die Kollation von Simonetti in Studi storici I 473. Die Stelle savi aliis coliverti nostri ergänzt Brunner, DRG. I2 283 Anm. 14 vermutungsweise savi(entibus et consentientibus?), nach savi ist aber keine Lücke. Hartmann denkt an savi = salvis, was doch selbst bei Annahme schlimmsten Vulgärlateins zu weit abliegt; es könnte nur die Bedeutung von sive haben, wie Tamassia, I colliberti nella storia del dir. ital. (in Studi di dir. in onore di V. Scialoia) p. 163 n. 1 will, und durch eine von Dopsch veranlasste Untersuchung ist sichergestellt, dass sicut zu lesen ist, was mit meinen Notizen über die Urkunde, einer von Herrn Archivdirektor Pagliai auf meine Bitte gütigst vorgenommenen Nachprüfung und dem Wortsinn durchaus zusammenstimmt. Auch im übrigen kann ich mich den Ausführungen von DojdscIi S. 340-343 vollständig anschliessen. Etwas eher, 721, hat ein Freier terra ad Arina, qui mihi a regia potestate concessa est: Mem. e doc. IV 1 n. 36; also ebenda ausgetanes Krongut, vermutlich unter gleichen Bedingungen wie jenes von 730, dessen Rücknahme durch das publicum als möglich angesehen wird. Alan vergleiche Ludwig I. für Farfa M.2 664 gualdum nostrum in finibus Reatinae civitatis, dann lunic gualdum ... quod ad liberum et exercitalem populumpertinet, vel quicquid ibidem liberi homines ad proprium suum habere videntur. Die Ausführungen Hartmanns, Gesch. II 2 S. 62 Anm. 33, der zwischen fiuivaida und pascua publica einen Unterschied feststellen will, sind durch die Arbeit von Roberti modifiziert in den Analekten a. a. O. ausführlicher vorgetragen; an diese halten wir uns allein. Dass die coliverti von 730 nicht ursprünglich frei sind, wie Hartmann mit Roberti glaubt, lehnt Alayer I 2. 286 mit Hinweis auf Tamassia und die

 

 

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Glosse zu Liber Pap. Liutpr. 8 (colliberti = vicini) mit Recht ab (schlagend Ed. Ratchis 3). Nur beweist diese Stelle für die Landgemeinde nichts, vgl. Niese S. 388; fiuwaida bedeutet nämlich, wie die von Hartmann und Mayer angeführte Farfeser Erkunde sagt, communes pascuas, doch sind solche Allmenden oft, in Italien in der Regel (Hartmann S. 109) grundherrlich. Auch müssen die meisten Gemeinländereien unberücksichtigt bleiben, die zu einer Stadtgemeinde gehören; deren Charakter wird uns noch beschäftigen. Seit man die consortes nicht mehr als Markgenossen fasst, ist man von der Annahme, die Langobarden hätten nach deutscher Art in solchen Dörfern mit Allmende gesiedelt (z. B. Salvioli), zu ihrem Gegenteil, zur Leugnung der freien Agrargemeinden bei ihnen, übergegangen; so noch zuletzt Niese S. 388. Aber lassen sich auch vici freier Langobarden ohne Allmende denken, so haben wir doch zahlreiche Nachweise für Agrargemeinden mit einer solchen Allmende, die nach ihrer Bezeichnung nicht als herrschaftlich zu denken ist. So wird 840 die terra de ominibus Vadisiani (Vada Volterrana) genannt: Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 570. Andere Beispiele: 807 terra Treccasiana und Paternese im Staatsforst Gualdo del Re (oben S. 117), ib. n. 338, a. 879 silva und terra Titianise, silva que dicitur Pupiliana, colle que dicitur Lignanise und terra Lign., ib. n. 893; im Tal der Cascina locus qui dicitur Comunale, und ubi dicitur Cassinole ib. V 3 n. 1263; Land bei Capezzano grenzt an terra et silva que dic. Cappetianese ib. 1359; terra que dic. Lamarise n. 1393, bei Petriolo terra seo quercieto Petrolese, n. 1549. Das sind sicher teilweise keine zu einem einzelnen Fronhof gehörigen herrschaftlichen Allmenden, da es sich um Orte handelt, wo Freie in grösserer Anzahl wohnten (Tricasi Paterno Lamari). V’eitere Einzelheiten müssen der Agrargeschichte Vorbehalten bleiben. Hierhin gehört wohl auch der Ortsname Conmarca, der 792 im Tal des Asso im Senesischen in einem Reichsgutbezirk (bei Citiliano, s. u.) erwähnt wird : Brunetti II n. 34 mit der Verlesung Conmascu. Die Beispiele, zu denen aus Arezzo noch die Angabe von 1030, Pasqui I n. 146, gestellt sei, wo Walcheri aus einem sonst als Langobarden bezeichneten Geschlechte acquisivit illam (terram) ab hominibus de Carpineto, lassen sich beliebig vermehren, vgl. die von Davidsohn, Forsch. I 74 gesammelten Belege. Dazu Leicht, Studi I 37-44. Handloike, Die lombardischen Städte unter der Herrschaft der Bischöfe S. 111 Anm. 3 gegen Bethmann über die Bedeutung von commuualia. — Beispiel für herrschaftliche Allmende, ungedruckt von 876 aus Amiata (Lisini, Inv. p. 27): Libellarier erhält in ipso casale de Pidia in ipsa cumunia cappillum et pabulum. In einer Amiatiner Urk. von 823 (Calisse n. 23) findet sich gar ein casale qui dicitur Porciauellu qui pertinet de Rumnanenses (lies Rumilianenses) homines; offenbar ein Vorwerk, das in gemeinsamer Rodung auf der Allmende von Rovigliauo (vicus Rumilianus, territurio Martano, s. o. S. 132 und Calisse p. 113) angelegt war. Dieser vicus hat, wie die Urk. zeigt, einen sculdhais.

 

 

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Vielleicht gehört auch die Urk. von 839 (oben S. 85 Anm. 1) hierhin: Land in [P]iscina retunda in Tumulo Maritimense, also in der sala ducis Allonis, das in pasco publico grenzt. Es ist ja möglich, wenn auch nicht gerade wahrscheinlich, dass noch freie Kleingutsbesitzer römischer Kation sich in Toscana hielten : im allgemeinen rechnet man nicht mit ihrem Vorhandensein, und da unfreie Bauernschaften keine gemeinsame eigene Allmende, sondern, wie zahlreiche Urkunden lehren und auch nicht bestritten wird, Nutzungsrechte an der herrschaftlichen hatten, wird man an Langobardengemeinden der erwähnten Gattung denken müssen. Sicherlich hängt diese Siedlungsform mit der in Toscana nicht nachweisbaren arimannia zusammen, die man jetzt als Abgabe für terra publica fasst, die zu Verteidigungszwecken überlassen wird, und auch wohl mit ähnlichen byzantinischen Institutionen, wie der Ansetzung der limitanei, in Zusammenhang bringt: so Leicht in Meni. stör. Foroiul. V (1909) p. 85; Atti dell’Accad. di Udine XI (1902) p. 34-52; Studi sulla propr. fond. I 41-44. 49. II 49. Der Einspruch von Majmr I 21 Anm. 86 gegen Leicht, der dessen Argumente nicht zu widerlegen sucht, könnte höchstens die Möglichkeit eröffnen, dass diese Arimannen abgabenfrei angesiedelt wurden und ihre späteren Zinse Ablösungen öffentlichrechtlicher Leistungen sind; wenn ganze Gemeinden von Arimannen vom Könige vergabt werden (Beispiele Maver 12 Anm. 11), so ist das aus der ursprünglichen Landnahme der Langobarden kaum zu erklären, vgl. Hartmann, Analekten S. 60. Ähnlich wie Leicht hat dann Checchini, I fondi militari romano-bizantini considerati in relazione con l’arimannia, in Ardi, giurid. Ital. LXXIII (1907) fase. 3 das Problem zu lösen versucht und diese Ansicht in Comuni rurali padovani, in Nuovo Arch. Veneto N.S. XVIII (1909) p. 131-184 gegen Mayer verteidigt. Ein weiteres Eingehen auf die arimannia, das nur bei gründlicher Berücksichtigung des lombardischen Urkundenmaterials durchführbar ist, verbietet sich an dieser Stelle; auf den Zusammenhang muss aber hingewiesen werden.

 

 

Ein Unterschied dieser Neubildungen von der ursprünglichen Ansiedlung der Langobarden springt ins Auge: jetzt wurden nicht mehr (Gutsherren, sondern Bauern geschaffen, die mit eigner Hand den Unterhalt für ihre Familie erarbeiteten. Vielleicht ist diese Form der Ansetzung von Kleinbesitzen noch viel weiter verbreitet gewesen, als ihre Spuren reichen; denn es ist nicht einleuchtend, wenn man die zahlreichen Bauernschaften, die später in Dörfern geschlossen wohnen, sämtlich damit erklärt, dass die Volksvermehrung mit der Zeit die Sippe zur Teilung des alten gemeinsamen Landloses zwang (1); ans römischen Kolonendörfern wird man diese Ortschäften

 

 

(1) Das wäre — abgesehen von den zur Vollfreiheit Freigelassenen — die Konsequenz von Hartmanns Theorie der Siedlung der Langobarden als Grundherrn; vgl. seine Gesch. II 2 8. 48-49. Leicht, Studi I 13-15 setzt vicus mit fundus gleich; damit ist noch nicht viel gewonnen, da im byzantinischen Italien nodi viel später der fundus, wie beinahe jedes Diplom für einen wichtigeren Empfänger zeigt, das Prinzip der Einteilung blieb. Man müsste nachweisen, wie sich der Begriff fundus in vicus wandelte. Eine einzige, den fundus beherrschende curtis domnicata ist kein vicus, kann aber mit locus bezeichnet werden, so dass die drei Dinge fundus, vicus, locus doch nicht mit Leicht als kongruent zu setzen sind. Ein vicus kann sich nun aus dem fundus durch Teilung der langobardischen curtis, durch ursprüngliche Ansetzung mehrerer Langobardengeschlechter und durch die spätere Anlage eines Kolonistendorfes, wie in Arena, entwickeln. Deshalb sind die vielen vici für die Siedlungsgeschichte gewiss wichtig, aber nicht als Beweis für staatliche Ansiedlungstätigkeit zu verwenden.

 

 

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im ganzen wenigstens in Toscana aneli nicht herleiten dürfen. Im einzelnen ist da noch alles unklar, auch, ob Abgaben an den Staat gefordert wurden.

 

Schon die Gründung dieser Bauerngemeinden ist ein Zeichen, dass sich die Zahl der Volksgenossen beträchtlich vergrössert hatte; und damit ging die wirtschaftliche Differenzierung Hand in Hand (1). Die anfänglichen Verschiedenheiten waren nicht bedeutend genug gewesen, um die Bildung sozialer Klassen, etwa abgesehen von dem vorhandenen Uradel (2), zu bewirken; die schwerbewaffneten Heermannen waren, soweit der väterlichen Mundgewalt entwachsen, unter sich gleich an staatsbürgerlichen Beeilten gewesen. Das musste sich ändern, sobald aus den Herren Bauern wurden und ein Teil so verarmte, dass er weder das Kampfross noch die schwere Büstung besass. Ja mehr: bald finden sich Langobarden, die nicht einmal freie Kleinbesitzer sind (3). Schon im VII. Jahrhundert gibt es solche, die als unfreie Pächter auf fremder Scholle sitzen, gibt es Freie, die, um Brot zu haben, wohlhabendere Stammesbrüder um Ackerland bitten müssen (4).

 

 

(1) Hartmann II 2 S. 5. 48-52.

(2) Ed. Liutprand 62 : die minima persona der Arimannen hat 150 sol. Wergeid (Aldio 60, die gehobenen Sklaven, Schweinehirt und Ministeriale. 50 sol., Roth. 129. 130. 136), aber qui primus est 300 sol. Vgl. Hartmann S. 6. 10. 46. Mayer I 16. Oben S. 171 Anm. 2.

 

(3) Liutprand 83 (aus dem Jahre 727) kennt schon Arimannen, die nur ein Pferd besitzen, und minimi homines (aber sie sind noch Arimannen, da sie heerespflichtig sind) qui nec cusas nec terras suas habent. Aistulf musste aus wirtschaftlichen Gründen im Jahre 750 eine Neuregelung der Wehrpflicht vornehmen (Ed. 2. 3); wer unter 40 Morgen besass, sollte nun. wenn er einen Schild haben konnte, als Bogenschütze zu Fuss dienen, während das alte Volksheer ein Reiterheer gewesen war (Paulus V 17. Ratchis 4, nach Mayer I 411 Anm. 6). Vgl. Hartmann S. 50-51. Maver I 409-412.

 

(4) Das älteste Zeugnis in Toscana, für etwa 665, ist der Gaudiosus liber homo (Zeuge n. 56 der Seneser Zeugenaussagen im Pievenstreit. Pasqui I 17 n. 5), der 715 erklärt: L anni sunt, quod de Lucana civitate hic (in Alteserra) me collocavi, et sedeo in terra quondam Zottani (Herzogsland); vgl. Poto, oben S. 181 Anm. 2. Der Unterschied ist nicht wesentlich. Im Edikt von 643 (Roth. 227) wird vorausgesetzt, dass jemand sein Land auf 5 Jahre durch schriftliche Verleihung, libellus, vergabt habe, praestetisset. Brunner, DRG. I2 291. Pivano p 231. Die Genesis dieser Vertragsform ist gleich zu besprechen. Ausführlichere Nachweise dieses wirtschaftlichen Umschwungs gehören nicht hierher; immerhin sei an die verhältnissmässig recht zahlreichen Verkäufe des gesamten Besitzes erinnert, die ein Zeichen sind, dass die Verkäufer verarmt waren und ihr freies Eigen nicht mehr halten konnten.

 

 

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Die gleichen wirtschaftlichen Grundbedingungen führten die gleichen Abhangigkeitsverhältnisse herbei, denen der Kolonat entsprossen war; nur dass jetzt dessen Reste die Bildung des neuen Standes auch rein historisch beeinflussten. Aber die Geschichte kennt keine einfachen Wiederholungen; auch jetzt kam es zu interessanten Abweichungen.

 

Natürlich übte die Gestalt, die der Kolonat in den einzelnen Provinzen angenommen hatte, auf die Rechtsstellung des neuen Pächters ihre Wirkung aus. Wir haben ein Mittel, um festzustellen, dass die Kolonen der verschiedenen Landesteile durchaus nicht in der gleichen wirtschaftlichen Lage waren. Gehen wir über die langobardische Grenze nach Osten oder Süden, in das Gebiet von Sutri oder Nepi, nach Rom oder Subiaco, nach Ravenna oder Faenza, so finden wir dort noch freie Zeitpächter vor, die wir nicht als Grosspächter ansehen können, da sie verpflichtet sind, ihre Pachtung nur an kleine Leute, die selbst das Gut bebauen, zu veräussern. Diese Pächter entsprechen durchaus den ursprünglichen Kolonen, ehe sie erblich an die Scholle gefesselt waren, und ihr Kontrakt, der libellus, den wir glücklicherweise infolge der eindringenden Untersuchung Hartmanns kennen, ist in einigen erhaltenen Exemplaren bis zum letzten Drittel des VII. Jahrhunderts zurückzuverfolgen (1).

 

 

(1) Hartmann, Tabularium S. Mariae in Via Lata I p. xxiv-xxvii. Leicht, Studi sulla propr. fond. I 44-60. Pivano hat fast 90 Seiten seines fleissigen, nur rein formaljuristisch unter völliger Übergehung der historischen Zusammenhänge gedachten Werkes dem Libell gewidmet; Schupfers Einspruch gegen die Grundthese des Buches (in der oben S. 173 angeführten Abhandlung) können wir uns nur zu eigen machen. Die ältesten erhaltenen Libelle (ausser Papsturkunden, s. u.) sind von 681, Troya n. 347, und aus der 2. Hälfte des VII. Jahrhunderts. Marini n. 132, beide für Vornehme, der zweite sogar als Emphyteuse bezeichnet. Dass das aber nicht das Ursprüngliche, sondern eine sekundäre Abwandlung ist, zeigt ausser dem gallischen Brauch, der gleich zu besprechen ist, eine Reihe älterer Zeugnisse. So die Pachten der päpstlichen Patrimonien, Gregor. I. Reg. II 3 einem armen Kloster terrulam . . . libellario nomine ad summam tremissis unius habere concede; IX 78 voluerat possessionem iuris ecclesiastici sub libellorum speciem tenere; VIII 32 die habitantes (Hartmann, Unters, zur byz. Verwaltung S. 59. Gesch. Italiens II 1 S. 132.158) des auf Klostergrund angelegten castrum Squillace haben factis libellis Jahreszins für die ihnen überlassenen Klosteräcker gelobt; IX 194 ad tres siliquas aureas factis libellis ei vineolam ipsam locare debeas; libellaticum: Reg. I 42, vgl. Pivano p. 188-197. Noch älter für Ravenna der Brief von Papst Felix IV. JK. 877, Agnellus c. 60, SS. rer. Lang. p. 320 (526-530): Si quis vero de clero praedia urbana vel rustica ad ecclesiam pertinentia detinet, eisdem libellis sub iusta pensionis aestimatione factis statuimus collocandum. Echte Libelle in der späteren Form sind die Urkunden Honorius’ I. JE. 2011, Deusdedit III 138. ed. Wolf von Glanvell I 326. ein Haus einem Subdiakon auf 29 Jahre verpachtet, JE. 2013. Deusdedit III 139, l. c. p. 327. ein casale an der Via Portuensis einem Notar auf Lebenszeit, mit dem charakteristischen Quia petisti a nobis: vgl. llommsen, Kirchengüter unter Gregor I., in Jur. Schr. III 178-182. Hartmann p. xxv nota 4. Pivano p. 184 nota 26. Auf weltlichem Gebiet ein frühes Beispiel Cassiodor Var. V 7 comperimus per illam indictionem patrimonii nostri praedia... Thomati libellario titulo commisisse; das gestattet bereits Rückschlüsse aus der gothisehen Staatspacht auf die kaiserliche des V. Jahrhunderts, wie sie schon aus Cod. XI 66. 2 (vgl. ed. Krüger II 501), etwa aus dem Jahre 368 bekannt ist. Vgl. Pivano p. 161. Da die Emphyteuse für Toscana keine praktische Bedeutung erlangt hat, seien gleich die Ausführungen von Pivano p. 249-279, der den Libell, weil auch er bisweilen als Emphyteuse bezeichnet werde, nicht als Realkontrakt gelten lässt, mit dem Hinweis darauf berichtigt, dass die Gross- und Dreileiberpacht (Cod. I 2, 24. Justinian Nov. 7 c. 3) in Italien erst viel später wie der Libell die typische Form der Emphyteuse (Hartmann. Tabularium I p. xxvii-xxix), die Pacht des conductor, herausbildete. Anfangs bediente sie sich des Libellformulars, das sie vorfand. Usprünglich pachtete der conductor auf kürzere Zeit; die steigende Tendenz zur Erblichkeit grösserer Pachtungen ergibt sich aus den Bemühungen der Jurisprudenz, sie auf die beiden auf den ersten Pächter folgenden Generationen zu beschränken. Die genannte Emphyteuse in Libellform (Marini n. 132) ist noch lebenslänglich.

 

 

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Ja, der Vergleich mit einer dem Wesen nach analogen, in Einzelheiten wie der kürzeren Pachtdauer abweichenden Vertragsform in Gallien, der Prekarie, führt noch weiter. Es ist schon von Brunner und Schröder und noch eingehender von Pivano gezeigt worden, wie die Prekarie als Vertrag zwischen sozial Ungleichen infolge der veränderten wirtschaftlichen Lage durch Abwandlung der klassischen Rechtsform des precarium entstand (1). Ebenso wies bereits Brunner auf die Wesensverwandtschaft beider Akte hin (2). Wenn wir noch hinzufügen, dass der Name Libell nur in Italien, Prekarie in Italien aber, abgesehen von karolingischen Gesetzes- und Urkundenstellen

 

 

(1) Schröder. Deutsche Rechtsgesch.4 S. 286-287. Brunner. Deutsche Rechtsgesch. I2 289-292. Pivano p. 27-54, wo auch die ältere Litteratur besprochen ist. S. auch Schupfer. Precarie e livelli p. 10-52.

 

(2) S. 291 Anm. 58, vgl. E. Mayer I 193. Ebenso gibt Pivano p. 161 zu, dass Prekarie und Libell eine gemeinsame Grundform hatten; die folgenden, gegen Hartmann gerichteten Bemerkungen, der Unterschied sei, dass die Prekarie durch zwei verschiedene Dokumente {precaria des Pächters, praestaria des Grundherrn) verschiedenen Tenors, der Libell aber durch zwei Urkunden gleichen Wortlauts, duo libelli uno tenore conscripti, rechtsgültig wurde (vgl. auch P. p. 181), sind nur zu begründen, wenn man viel spätere Libellformen mit den ältesten Prekarien vergleicht, und gehen auf seinen von Schupfer richtiggestellten fundamentalen Irrtum zurück, Libell wie Prekarie seien keine Realkontrakte, deshalb könne ihr Unterschied auch nur formal sein.

 

 

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und einigen vereinzelten Beispielen karolingischer Zeit aus Lucca, Lodi und Bergamo, nur in den Reichsabteien Nonantola, Farfa und Casauria, stets nach der fränkischen Eroberung, vorkommt (1), so werden wir schliessen dürfen, beide Namen sind verschiedene Ausdrücke für die gleiche Sache, die nur in Italien und Grallien eine abweichende Entwicklung genommen hat. Und zwar muss die Grundform in Grallien gesucht werden, das zeitig vom Imperium gelöst wurde und also relativ alte Zustände bewahrt. Dort ist die Pachtdauer fünfjährig, diese Zeit kommt kaum noch in Italien vor (2),

 

 

(1) Da auch der Libell die Form der petitio hat, gehören die von Pivano p. 46 nota 52 gesammelten Beispiele aus Lucca u. a., die den Ausdruck precaria nicht enthalten, nicht hierher. Sonst genügt die Zusammenstellung, die er p. 55-70 gibt, in der aber freilich auch gar manches zum Libell Gehörige steckt. Leicht, Studi I 99 stellt die Prekarie richtig in die nachlangobardische Zeit und erklärt sie teils für Ususfrukt, teils für Libell; derselbe, Livellario nomine p. 34 hebt noch nachdrücklicher hervor, dass alle Kennzeichen fränkischen Einflusses vorliegen.

 

Gegenüber den vielen hundert Libellen, die bis zum Jahre 1000 in den Luccheser Memorie e documenti IV 2. V 2. V 3 gedruckt sind, finden sich nur sechs Prekarien : V 2 n. 447. 471. 485. 553. 561. 729 aus den Jahren 822 bis 856, vgl. Leicht, Livellario nom. p. 33. Sie sind fast alle an Priester gegeben, zwei haben Ölzins, eine eine Geldabgabe, n. 485 (nach 818) kennen wir nur aus einem Zitat. Keine enthält die Pachtzeit, also sind sie, da für Priester, lebenslänglich. Auch sonst ist die Prekarie in Toscana höchst selten; ich notiere eine pr. oblata aus Pistoia von 831, Muratori, Antiq. Ital. III 187 = IV 791, sowie die von Lambert D. 10 für Arezzo erwähnte: per cartulam emphiteosis quae vulgo precaria dicitur, wo die Terminologie ein Beweis dafür ist, wie fremdartig dieser Kontrakt im Grunde den Toscanern vorkam. Eine Verleihung toscanischen Gutes von St. Maurice im Wallis an die Kaiserin Angilberga, Muratori III 156. geschieht in nomine libelli sive praestariue auf 19 Jahre. Erwähnungen in Gesetzen und Diplomen, die die Begriffe der Zentralregierung oder einzelner Persönlichkeiten aus andern Provinzen wiederspiegeln, haben für die toscanischen Zustände keine Beweiskraft. Vgl. zur Entstehung der Prekarie L. M. Hartmann, Bemerkungen zur italienischen und fränkischen Precaria, in Vierteljahrschr. f. Soz.- und Wirtschaftsgesch. IV (1906) S. 340-348, der S. 342 richtig betont, in Italien sei diese Form der Belehnung ungebräuchlich, und S. 343, sie greife erst in karolingischer Zeit nach Norditalien über.

 

(2) Der Hauptbeweis, dass sie vorhanden war, ist Ed. Roth. 227. In Urkunden : Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 628, a. 845, die städtische Kirche S. Michele in Foro an den (fränkischen!) Grafen; nicht als Libell bezeichnet, freie Pacht auf 5 Jahre. Ähnlich, aber auf 6 Jahre, ib. n. 480, a. 826, auch freie Pacht der Hälfte eines Anwesens. In Amiata wird einmal — und zwar nimmt sie der Klosterpropst! — eine Pacht auf 2 Jahre in Form eines Libells angenommen: Calisse n. 30, vgl. Pivano p. 6 nota 10. 183. Weitere Beispiele von kurzfristigen Pachten ausser auf 19 und 29 Jahre (daneben 25, Lucca Mem. e doc. V 2 n. 911; ein Beispiel für 27 : Tab. S. Mariae in Via Lata I 28 n. 22 aus Sutri, Pivano p. 182) kennt auch Pivano in seiner Zusammenstellung p. 181-184, dazu p. 12 n. 19, nicht. Ob, wie Leicht p. 6 will, in seiner Urk. n. 9 eine Anspielung auf 5jährige Pacht zu sehen ist, scheint zweifelhaft. Von den zahlreichen Libellen auf 5 Jahre, von denen er da redet, findet sich in Toscana keine Spur; Beispiele gibt er nicht.

 

 

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hier ist aber die 19- oder öfter 29jährige Frist üblich geworden, um durch Erneuerung des Kontrakts den Verlust der Freizügigkeit nach 20-30 Jahren zu vermeiden (1). Die 20- oder 30jährige praescriptio ist relativ jung, sie geht auf die Gesetzgebung des byzantinischen Kaisers Anastasius zurück und ist wohl erst durch die Gothen eingeführt, durch Justinians pragmatische Sanktion durchgeführt worden (2). Seitdem war der Zeitpächter, wollte er nicht an die Scholle gebunden werden, gezwungen, nach höchstens 20 (30) Jahren ein neues Gesuch um Gewährung des Pachtlandes einzureichen. Im Edikt des Rothari wird noch von dem libellus praestandi gesprochen (3), Libell ist also noch nicht anerkannter technischer Ausdruck, praestare ist aber der juristische Terminus für die Gewährung der vom Kolonen vorgetragenen Bitte um Pachtland seitens des Grundherrn, und der precaria epistola, dem Bittbrief, entspricht bekanntlich die pretestaria. Auch der Libell ist ursprünglich ein libellus precatorius, eine Bittschrift, ja aus dem Formular kann man noch Reste der gemeinsamen älteren Vorlage gewinnen, aus der beide abgeleitet sind. Wir haben also für das V. Jahrhundert auch in Italien eine Vertragsform, die eine Zeitpacht (auf fünf Jahre?) enthält, vorauszusetzen. Sie kann der ganzen Sachlage nach nur für Kolonen bestimmt gewesen sein (4), und dem entspricht es auch, wenn die Frist infolge der neuen Verordnungen über die Verjährung auf 19 (29) Jahre hinaufgesetzt wurde; nur der Kleinpächter kann befürchten. seine Freizügigkeit zu verlieren. Die Zeit hatte denn auch die Tendenz nach weniger häufigem Wechsel der Pächter,

 

 

(1) Hartmann p. xxv. Pivano l. c.

(2) Cod. I 2, 24 1. 4-5. XI 48, 19. Nov. Iust. 120 c. 3, vgl. Hartmann p. xxv. E. Mayer I 193 Anm. 6, dessen Darstellung im § 12 über freie Pacht, Libellarvertrag und Precaria ich mir im ganzen nicht zu eigen machen kann. Eine eingehende Auseinandersetzung würde aus dem Rahmen dieser Arbeit fallen. Über die Gesetzgebung in bezug auf den Kolonat bes. Hartmann I 120. 132. 376-377. 408 Anm. 19. Leicht. Studi I 44-53.

(3) Ed. Roth. 227, s. o. S. 185 Anm. 4. 188 Anm. 2.

 

(4) Hartmann nimmt an. dass die alten “freien„ Kolonen alle an die Scholle gefesselt worden seien, und sieht in diesen Zeitpächtern eine Neubildung: Gesch. Italiens I 376. Analekten S. 54. Aber der Beweis, dass der Kolonat restlos au die Scholle gefesselt wurde, dann aber für entlaufene oder ausgestorbene Kolonen freie Pächter angesetzt wurden, ist nicht zu erbringen; woher kamen diese bei der These von der Freiheitsberaubung des Kolonats? So führt Hartmann, Analekten S. 6 selbst aus, dass im Exarchat die petitores der libelli sich coloni nennen und more colonicio pachten (vgl. dazu Leicht, Livellario nomine p. 16 nota 3. 17 n. 7). Warum sollen es keine gewesen sein ? Hartmanns Bemerkungen über die Kontinuität der wirtschaftlichen Entwicklung Italiens (S. 7) wird man nur um so mehr beipflichten (vgl. auch daselbst 8. 14-15).

 

 

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wie überhaupt der Immobilienwerkehr stockte (1). Bekanntlich hat dann die wirtschaftliche Rückentwicklung dazu geführt, dass grosse, vielleicht überwiegende Massen der Kolonen erblich an die Scholle gefesselt wurden. Für sie war eine Erneuerung des Kontrakts weder möglich noch nötig, eine Vertauschung der Pachtung ausgeschlossen. Wo sich also später eine 29jährige Dauer des Libells nachweisen lässt, muss es zur Zeit der langobardischen Eroberung noch freizügige Kolonen gegeben haben. Man darf nicht von einem Verschwinden der Zeitpacht reden und ihr späteres Vorkommen nicht als Neubildung auffassen (2).

 

Dies ist der Ursprung des Kontraktes der Kolonen, der im römisch-byzantinischen Gebiet die Form des Bittbriefes mit oder ohne Erwähnung, dass das Gesuch gewährt wurde, festhielt. Beispiele sind uns aus Venezien, Aquileia, Ravenna und der Emilia, Rom und Römisch-Tuscien, Subiaco, Neapel, La Cava, Amalfi u. a. erhalten. Im eigentlichen Tuscien (3), wo aus dem Kolonen der erblich an die Scholle gefesselte Massarier geworden ist, finden wir von Anfang an nur einen erblichen, ewigen Libell, aber in der östlichen Lombardei (4) und der langobardischen Emilia (5) hat sich der 29jährige Kontrakt erhalten,

 

 

(1) Leicht, Studi I 46. Erbliche Bindung war ja (Mommsen, Jur. Schr. III 176, s. o. S. L47) das Kennzeichen der sozialen Entwicklung dieser Zeit; das hängt mit der Naturalwirtschaft zusammen. Freilich ist auch diese in Italien nicht restlos durchgedrungen. Van könnte hier auch darauf verweisen, dass sich die römische Bureaukratie gegen die Einflüsse des fränkischen Lehnswesens noch bis ins X. Jahrhundert hielt.

 

(2) Wann will man schliesslich das Ende der alten (Kolonen-)Zeitpacht und den Anfang der jüngeren Bildung setzen? Nach dem Langobardeneinfall, wie H. möchte, ist das unmöglich, weil auch vorher das Vorhandensein der Libellarpacht feststeht.

 

(3) Ich kenne in Lucca Libelle auf 29 Jahre (sie charakterisieren sich als wirklich freie Zeitpacht) erst seit 851, und zwar 10: Mem. e doc. V 2 n. 684. 863. 897. 967. V 3 n. 1061. 1069. 1426. 1427. 1436. IV 3 n. 63; dazu V 2 n. 911 (s. o., 25 Jahre); n. 523, a. 834 (28 Jahre), vgl. Leicht, Livellario nom. p. 30, Pivano p. 12 nota 19; meist sind die Empianger Priester, das Objekt Kirchen oder Grund und Boden nahe der Stadt selbst. Die Unterschiede gegenüber den so überaus zahlreichen wirklichen Luccheser Libellarkontrakten sind so stark, die Zahl der 29jährigen Pachten diesen gegenüber so gering, dass Pivanos Angabe p. 183 : “I livelli Lucchesi sono pur essi in gran parte a vita od a 29 anni„ nicht gerade als besonders klare Darlegung des Sachverhalts bezeichnet werden kann; richtig E. Mayer I 195 und daselbst Anm. 17. Andere 29jährige Libelle gibt es in Toscana nicht. Davidsohn. Gesch. v. Flor. I 142. 777 will auch den Florentiner Libell 29 Jahre gelten lassen!

 

(4) Pivano hat nichts über sie, vgl. Darmstädter, das Reichsgut in der Lombardei S. 318 (dazu 316. 320. 325). Leicht. Livellario nomine p. 17. 26. Seregni, La popolazione agricola della Lombardia nell’età barbarica l. c. p. 55 (auch kürzere Fristen).

(5) Besonders Nonantola; Pivano p. 183: “Nelle memorie modenesi la durata che più frequentemente ricorre è quella a 29 anni„. Vgl. Leicht l. c. p. 18-19.

 

 

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und zwar deutet das Formular auf eine Zeit, in der der Wortlaut des römischen Libells noch nicht in seiner typischen Strenge ausgebildet war; denn der Ausdruck praestare, der sich im Edikt wie in der älteren Prekarie findet, in Rom aber geschwunden ist, erhielt sich hier (1). Südtoscana bildet in jeder Beziehung einen Übergang: hier enthalten die ältesten Libelle eine fakultative oder obligatorische Erblichkeit, das Formular ist aber das römische; so dass man von einem formell römischen, der Sache nach toscanischen Libell sprechen kann (2).

 

In der ersten Zeit nach dem Langobardeneinfall finden wir in Toscana neben dem Aldiengut, der nicht häufigen casa aldionaricia (aldiaricia), die wirtschaftlich besonders gute Bedingungen genoss (3), und der von einem Sklaven besetzten Pachtung — die alten servi rusticani hiessen nun servi massarii — in der Hauptsache nur die casa massaricia des massarius liber, des erblich an die Scholle gefesselten Kolonen. Nur im Süden gab es noch freie Zeitpächter oder wenigstens die Vorstellung von ihnen,

 

 

(1) Vgl. Leicht p. 28. Auf Einzelheiten kann hier nicht weiter eingegangen werden; doch mögen die Ergebnisse wirtschaftsgeschichtlicher Studien, die ich an andrer Stelle zu veröffentlichen gedenke, hier um des Zusammenhangs willen Platz finden. Der Bemerkung von Leicht, Studi I 54. dass mehr der lokale Brauch, wie juristische Vorstellungen die Bildung des Standes der Libellarier beeinflusste, stimme ich bei.

 

(2) So nach Calisse, Doc. Amiat. p. 141, Hartmann, Tab. p. xxvi; Calisse spricht hier nur von “i nostri documenti„, d. i. seinem Gegenstand gemäss solchen aus dem römischen Territorium, während man öfters seine Angaben auf den Amiatiner Libell überhaupt bezogen hat. Erblich war freilich auch der Chiusiner Libell, dessen Formel die bei Calisse nicht publizierten Stücke zeigen. Leicht. Livellario nomine p. 6 denkt an Dreileiberpacht, wenn Söhne und Enkel als Rechtsnachfolger des Libellariers genannt werden; dieser Sprachgebrauch kommt aber auch in Lucca vor und ist gleichbedeutend mit Erben überhaupt. Pivano p. 183 richtig: “I livelli amiatini sono generalmente a vita con trasinissibibilità agli eredi„; vgl. ib. p. 6 nota 10.

 

(3) Z. B. Brunetti I n. 26 (736): ein Aidio des Klosters S. Saturnino in Toscanella hat eine Freie geheiratet, die Kinder sind laut Roth. 216 frei und können gegen Erstattung des mundium, das ihr Vater für die Mutter de iure aus Klostergut gezahlt hat, fortziehen. Sie werden aber liberi residentes zu gleichen Bedingungen wie der Vater : Heumahd, Bau- und Wegfron. Das heisst warcinisca facere... sicut unum de warcini vestri (das Wort fehlt leider im Glossar von Bruckner, Sprache der Langob.). Wenn Schupfer in SB. d. Wiener k. Akad. Phil.-hist. CI. XXXV 279 die warcini für Unfreie erklärt, so ist das wohl zu viel gesagt. Leicht, Studi 1 97-98 (vgl. Seregni, Popol. agr. della Lombardia 1 c. p. 59) spricht von warcinisca “dei documenti lucchesi„; sie wird aber nur in der einzigen Amiatiner Urkunde erwähnt. Vgl. den vicus Guarcinensis im Präzept Aistulfs für Nonantola Troya n. 671, Chroust n. 20.

 

 

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die vielleicht von jenseits der Landesgrenze stammte (1). Es könnte sein, dass die gothische Ansiedlnng in der Tuscia annonaria teilweise zur Verdrängung der reinen Zeitpacht durch die primitivere Form der Erbpacht führte; freilich fallen weder die Grenzen zwischen dem annonarischen und dem suburbikarischen Tuscien mit denen zwischen dem Libell in römischer und in toscanischer Form zusammen, noch wüsste ich zu erklären, warum die Lombardei nicht auch vorwiegend erbliche Pachtung ohne Freizügigkeit hatte (2). Das waren die in Toscana üblichen Pachtverhältnisse, als sich gebieterisch die Notwendigkeit aufdrängte, die Rechtslage eines persönlich freien Langobarden, der in wirtschaftlicher Abhängigkeit auf fremder Scholle sass, festzustellen. Anfangs mag die herbe Not freilich gar manchen gezwungen haben, sich in die bedingungslose servitus zu ergeben; da auch freie Pächter, die hohe Strafsummen für Vertragsbruch in ihren Kontrakt aufnahmen (3), bei Zahlungsunvermögen die Freiheit verloren, nimmt es nicht wunder, wenn wir einmal urkundlich bezeugt finden, dass ein solcher Kontraktbrüchiger unter Mitwirkung der öffentlichen Gewalt in die Sklaverei hinabgestossen und dem Gutdünken seines Grundherrn preisgegeben wurde (4). Häufig mögen diese Fälle nicht gewesen sein;

 

 

(1) Dies muss man daraus schliessen, dass der südtoscanische Libell, der sich 808 als Libell bezeichnet, im Formular ganz auf die echten römischen Libelle, wirkliche Zeitpachtverträge, zurückgeht. Sie haben die Form der Petitio (peto ego A. vobis R. et A., ut bos mihi dignetis collocarem adque praestarem casam vel rebus bestris Brunetti II n. 89), auf die die Gewährung seitens des Grundherrn folgt; in einer oder beiden wird libellario nomine hinzugefügt (Brunetti II n. 78). Die ersten erhaltenen Libelle dieser Gegend — es handelt sich um Toscanella und Sovana — verpflichten nur den Pächter selbst auf Lebenszeit, lassen aber seinen Erben die Möglichkeit. in gleicher Weise (also lebenslänglich) die Pacht fortzusetzen; die Witwe kann aber auch mit den Kindern und der Hälfte der res mobiles verziehen. Aber die Pacht dieser Libellarier ist nicht, wie im Komischen, übertragbar. Im IX. Jahrhundert noch wird sie dann auch erblich; die Nachkommen der Libellarier werden aber auch vorher in der Kegel froh gewesen sein, überhaupt Land zu erhalten, und kaum vorgezogen haben, ihr Glück anderswo zu versuchen.

 

(2) Dort Pacht auf 29 Jahre: Seregni, Popol. agr. della Lombardia l. c. p. 29. Beispiele: Cod. dipl. Lang. n. 96, a. 822; n. 186, a. 854 auf 25 Jahre. Hier ist wohl auch die Formel 7 des Cartularium Langobardicum (MG LL. IV 596) anzuführen, falls nicht etwa Ravennater Einfluss vorliegt. Vgl. Pivano p. 12-14. Leicht. Livellario nomine p. 26-27, 30.

 

(3) Die Strafsummen sind hoch, wenn man sie mit den Güterpreisen vergleicht, und mögen im Durchschnitt dem Werte des Pachtgutes entsprechen. Wer nun so verarmt war, dass er keinen freien Besitz mehr hatte, konnte natürlich eine Strafe in derartigem Betrage nicht aufbringen.

 

(4) 809, Brunetti II n. 77. Propst und Vogt suchen den verzogenen residens in Toscanella auf und fordern presentis R. sculdais hic civitate (Tuscana) Wadia für die Zahlung der kontraktlich ausgemachten Strafe; dum non habuisset qui me deliveraret de ipsa wadia, quod non potuit recolligere, sagt der Überführte, repromitto me deservire... omnibus diebus vite mee et omnes vestras iussione . . . complere promitto die noctuque, ubiubi in me vestra fuerit iussio, ... et si ego M. ante diebus vite mee (me) subtraere voluero de suprascripto monasterio vel de servitio vestro D. preposito . . . et omnes vestras iussiones non adimplero . . . aut in alterius casa intravero ad abitandum vel vobis fuga lapsus fuero, quali ve partibus, ubicumque me invenire potueritis, . . . licentiam abeatis me prindere et ligare in ferro, in cippo mitere et disciplinare. So sah die servitus im Gegensatz zum freien Libellarier aus.

 

 

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die Beteiligung eines Beamten bei jener Versklavung könnte darauf hinweisen, dass der Staat den Schutz der Freiheit wirksam ausübte, wie auch sonst der Centenar in Erbpachtverträgen Freier aus langobardischer und frühkarolingischer Zeit öfters, und sicher nicht zufällig, Zeuge ist (1).

 

Das Vorbild, dem man bald und immer ausschliesslicher die Stellung der neuen Klasse anglich, war der Massarier. Die Annahme, dieser habe in der Regel ungemessene Fronden leisten müssen (2), ist so nicht richtig; freilich kommen später öfters Massarier wie Libellarier mit angaria nach Belieben des Herren vor, aber Regel war das nicht. Neben der Fron waren die Massarier zu bestimmten, einst kontraktlich festgesetzten, nunmehr gewohnheitsgemäss weitergezahlten Abgaben in Fruchtquoten, Vieh oder dessen Geldwert verpflichtet; dass der Staat sich um sie kümmerte, davon haben wir keine Anzeichen, weder werden sie zu Kriegsdienst noch zur Volksoder Gerichtsversammlung gezogen worden sein. Man möchte annehmen, dass sie, trotz formaler Freiheit, wie die Sklaven und Aldien ihren Gerichtsstand vor ihrem Herrn hatten. Ihnen wurde nun der Freie, der auf fremdem Boden pflügte, in wirtschaftlicher Hinsicht prinzipiell völlig angeglichen; wenn im einzelnen Unterschiede bestanden, wenn er etwa weniger scharf zum Frondienst oder zu Leistungen vom Ertrag herangezogen wurde, so macht das gegenüber der Tatsache wenig aus, dass öfters einem auferlegt wird zu zinsen, wie die übrigen Massarier des Ortes pflegen (3). Wie diese wurde er dauernd an die Scholle gefesselt, anfangs er selbst lebenslänglich, während den Kindern im Falle seines Todes die Wahl blieb, die Pacht zu erneuern, und zwar wieder auf die Zeit ihres Lebens, oder,

 

 

(1) Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 369. a. 810, Brunetti II n. 46, a. 798; Leicht, Liv. nom. n. 3. a. 819. Noch häufiger, wenn Freie ihr ganzes Gut verkaufen.

(2) Hartmann, Analekten S. 59.

(3) Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 85, a. 764; n. 505, a. 850 angaria . . . sicut est consuetudo vobis facere alii massarii de ipso loco und angaria ...sicut illi alii vestri massarii vobis faciunt vom Libellarier versprochen, vgl. etwa ebd. n. 363, a. 808, wo eine casa massaricia, die leer steht, libellarisch verliehen wird zu iustitia et angaria... sicut usum et consuetudo de ipsa casa et res (est).

 

 

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etwa mit einem Teil des beweglichen Inventars, abzuziehen (1). Man sieht, wie die Wirtschaftsform auf erbliche Bindung hindrängte; hatte der Vater froh sein müssen, eine Bauernstelle zu pachten, so wird der Sohn auch selten in der Lage gewesen sein, freies Eigen zu erwerben, um so mehr, als die meisten Libellarier durch Schulden gezwungen worden waren, ihr Gut an einen Wohlhabenden zu verkaufen und von ihm sofort wieder als Pachtung zurückzunehmen, vielleicht noch um ein Feld oder eine Wiese vermehrt, die der neue Herr von seinem Besitz gern hinzufügte, um den verarmten Kleinbesitzer zum Verkauf zu bewegen (2).

 

 

(1) Hier muss ich mich darauf beschränken, einige Beispiele zu geben. 759 wird eine Pachtung mit Abgabe und angaria erneut, wie sie der Vater hatte: Mem. e doc. V 2 n. 63, ähnlich n. 144, a. 773. Doch n. 85, a. 764 und n. 121, a. 770 scheinen schon erblich, und das ist in Lucca um 800 die Pegel. Poch deutlicher lassen sich die Ursprünge des Standes der Libellarier um Andata verfolgen. Der Vertrag von 736, Brunetti I n. 28, lässt dem Pächter das Recht, jederzeit die Pachtung aufzugeben und die mitgebrachte Habe mitzuführen, ohne dass Konventionalstrafe gezahlt wird; dagegen können die Erben in die Pacht eintreten. Brunetti I n. 44 tritt der Schwiegersohn eines auf fremder Scholle Angesiedelten nach dessen Tode diebus vite mee in den Kontrakt; ebenda n. 79 ist der Übergang von persönlicher Bindung, die der Vater eingegangen war, zu erblicher, wie sie nun der Sohn auf sich nimmt. Die Erblichkeit wird gleichzeitig wie in Lucca Regel; Brunetti II n. 81. 86 ist sie z. B. noch ins Belieben der Söhne gestellt (a. 809. 811). In den formal römischen Libellen des Südens (besonders Sovana und Toscanella) geht der Prozess gleichartig, nur langsamer vor sich. Brunetti II n. 78. a. 808 sichert dem Sohn des Libellariers. den der Grundherr freigelassen hat (also hat der Libellarier eine Unfreie des Herren geheiratet und ist wohl deshalb auf dessen Grund und Boden gezogen), das Recht, die väterliche Pachtung zu erben, er kann aber unter den gleichen Bedingungen wie der Vater die Pacht aufgeben, ohne Strafe zu zahlen. Das ist (von Leicht. Studi I 56 erwähnt) der Typ, vgl. n. 89; Calisse, Doc. Amiat. n. 28. 35. 36. 38. 39. 40 (a. 871) und Inedita vom Februar 828 (vollkommene Freizügigkeit). Januar und Oktober 843, Juni 844 (nur lebenslänglich, keine Bestimmung über Erblichkeit); ferner Januar 854 (fakultative Erblichkeit, in diesem Falle haben die Libellarier ausserdem etwas freies Eigen). Dagegen dringt auch in diesem Gebiet (Sovana Mai 883) die Erblichkeit gegen Ende des IX. Jahrhunderts durch. Eine Möglichkeit der Entstehung des Libellarkontrakts zeigt Brunetti 1 n. 26 (s. o. S. 191 Anm.3): ein Aldio hat eine Freie geheiratet, die Söhne können nach Rothari 216 gegen Erstattung des vom Grundherrn für den Vater (der rechtlich kein Vermögen erwirbt) an die Familie der Mutter gezahlten Mundiums als Freie abziehen. würden dann aber wohl mittellos sein. Sie ziehen vor, unter gleichen Lasten wie ihr Vater (aber als Freie) an die Scholle gefesselt zu werden, der Abt von Amiata garantiert ihnen Erbpacht und keine Erhöhung der Lasten: vgl. ebd. n. 76.

 

(2) Gerade Amiata hat das Bauernlegen ganz systematisch betrieben. Einige Beispiele für Freie, die inr Gut verkaufen und vom Käufer als Libellarier angesetzt werden: Brunetti I n. 66. II n. 28. 55. Calisse n. 18. 23. 35 (durch hinzugefügtes Klostergut vermehrt). 40. Amiatiner Inedita vom Oktober 843 und Mai 856. Leicht n. 1. 4. 5. 6. 10. Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 668. Der Fall ist dort am häufigsten, wo es langobardische Kleinsiedler gab, also gerade nicht bei Lucca.

 

 

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Die Methoden des Bauernlegens waren damals, so viel unser Material ersehen lässt, wesentlich die gleichen wie in früheren und späteren Zeiten. Nur ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Massarier und dem neuen freien Erbpächterstand waltete ob : jene gehörten der unterworfenen Rasse an, diese den Siegern. Es gab keine Vertragsform mehr — wenigstens im eigentlichen Toscana —, durch die ein kleiner Freier eine gewohnheitsrechtlich nicht gebundene Gutspacht eingehen konnte (1). So stellten die beiden vertragschliessenden Parteien die Einzelheiten ihrer künftigen wirtschaftlichen Beziehungen durch ein Abkommen fest, dem die rechtskundigen Urkundenschreiber, weil keine der alten Formen auf die Vereinbarung zutraf, den Namen convenientia gaben. Erst später dringt, vermutlich aus Südtoscana, wo die ganz abweichende 29jährige Zeitpacht, der libellus, noch bekannt war, vielleicht aber auch aus der Lombardei oder Romagna, der Name Libell auch für diese sachlich verschiedene Pachtform ein nnd wird so üblich, dass man die freie Erbpacht als libellarium ius, den neuen Stand der Erbpächter schon in der frühkarolingischen Gesetzgebung als Libellarier bezeichnete, wie auch wir sie der Einfachheit halber nennen wollen (2).

 

 

(1) Das Bestehen freier Erbleihe soll damit nicht geleugnet werden; aber einerseits kommen als Pächter Priester in Betracht, denen die geistlichen Grundherren vielfach günstigere Bedingungen gewährten, andrerseits handelt es sich um städtische Hausmiete oder Parzellenpacht. Die Verträge, die der Grundherr bei der Anlage von Kastellen mit deren zukünftigen Einwohnern schloss, sind eine jüngere Entwicklung seit dem X. Jahrhundert. Von freier Gutspacht, die nicht Grosspacht eines Grossgrundbesitzers ist, habe ich bisher in meinen Sammlungen aus Toscana keine Spur aus älterer Zeit gefunden.

 

(2) Dass im langobardischen Italien die ältesten Libellarverträge sich nicht als Libelle bezeichnen, hob bereits Leicht, Liv. nom. p. 25, 28-29 hervor, und wir brauchen hier darauf nicht weiter einzugehen. Obwohl die Notare manche Wendungen des römischen Libells übernahmen, war es also anfangs ein formloser Vertrag, eine Neubildung, nicht etwa eine Ableitung aus dem römischen Libell oder eine Barbarisierung dieses Kontraktes. Das Cartularium Langobardicum, das offenbar alte Vorlagen hat, spiegelt diese Beziehungen wieder; c. 7 kennt als Libell den echten römischen Libellarkontrakt auf 29 Jahre, c. 15 convenientiae fiunt et precariae ad libitum, also formlos (Brunner, Bechtsgesch. d. röm. u. germ. Urk. S. 103), und convenientiae sind beispielsweise Brunetti I n. 28, a. 736; II n. 77, vor 808; ebenso Leicht n. 1, dazu n. 4-9 neben libellario nomine. So wird noch 1014 zu Arezzo in einem Placitum von Königsboten cartula convenientie que libellus dicitur gesagt: Hübner n. 1195, Pasqui I n. 103. Ähnlich die Einleitung Placuit atque convenit, zuerst 736, Brunetti I n. 26. 28, die sich bis in späte Zeiten in manchen Gegenden hält. Die ältesten Luccheser Libelle (z. B. Mem. e doc. V 2 n. 33, 746; n. 63, 759; n. 79 und IV 1 n. 56, 762) sind als promissionis pagina des Libellariers an den Grundherrn gefasst, vgl. Leicht p. 46. Wie dieser p. 28. 45 hervorhebt und das schon erwähnte Gesetz Rothari 227 zeigt, braucht die langobardische Gesetzessprache eher als die Urkunde den Ausdruck libellus; doch bei Rothari hat er noch die allgemeine Bedeutung von Schriftstück (Brunner 8. 152. Pivano p. 160 nota 1), erst Liutprand 92 aus dem Jahre 727 hat die technische Bedeutung vollkommen ausgebildet: liber homo in terra aliena resedens livellario nomine, und damit hängt zusammen, dass die Hauptverpflichtung des Libellariers, die in den Kontrakten kaum je fehlt, das residere ist; kommt die Erblichkeit hinzu, dann ist der Pächter, der sein Grundstück ad resedendum (sehr oft und ursprünglich Regel, später durch livellario nomine verdrängt; z. B. Brunetti II n. 28. 55. Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 63. 79. 85. 158. 268. IV 1 n. 12) erhält, an die Scholle gefesselt, also Libellarier. Erhält man ein Gut ad laborandum, so liegt ein freieres, nichtin wirtschaftsgeschichtlichem Sinn libellarisches Pachtverhältnis vor. Wenn in den genannten Urkunden und ganz regelmässig der Grundherr im Vertrage zum Pächter sagt firmavi, confirmavi te oder dieser firmasti, confirmasti me, so heisst das in der Mehrzahl der Fälle nicht bestätigen, sondern festsetzen, ansetzen. Wir haben auch mit Ausnahme von Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 217 aus dem Jahre 787. wo der Neubesitzer mit dem Libellarier einer gekauften Stelle einen neuen Kontrakt macht und vielleicht dessen Lasten ändert, nur Beweise, dass dem Sohne die Pacht des Vaters übertragen wurde; dann war der Vater noch nicht erblich, sondern nur persönlich gebunden. Ein echter Libellarier kann mit seinem oder einem andern Grundherrn keinen Vertrag mehr abschliessen, wir hören von ihm nur in dem Moment und durch den Akt, in dem er sich dieses Rechtes für seine Nachkommen begibt. —Libell in Urkunden des langob. Gebietes bereits um die Mitte des VIII. Jahrhunderts: Leicht p. 45, was für Toscana etwa zutrifft, z. B. Brunetti II n. 28 von 787. W enn Leicht dagegen p. 29 für Toscana die erste Hälfte des IX. Jahrhunderts und speziell für Lucca die Jahre 807-809 als Zeitpunkt des Erscheinens des Ausdrucks angibt (der bis 806 noch völlig fehlt, Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 268. 270. 272. 281. 301. 303. 310. 318. 321. 323. 325. 332 aus den Jahren 798 bis 806), so ist das für Lucca gewiss richtig, im Süden ist der Ausdruck aber eben älter, was die Beziehungen zu Gegenden wie Sovana und Toscanella, wo das Formular des römischen Libells im Gebrauch geblieben war, genügend erklären, obwohl der älteste erhaltene Libell dieser Art erst von 808 ist: Brunetti II n. 78. Auch in Pisa 804 noch nicht: Muratori, Antiq. Ital. III 1019: die Urk. von 801, ib. col. 1018, hat im Beurkundungsauftrag duo libelli prope uno tinore, ist aber kein eigentlicher Libell.

 

 

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Aus ihrem berührten Wesensunterschied von den Massariern ergab sich, dass der Staat Wert darauf legte, ihnen ihre Freiheit zu erhalten, sie müssen ihr Wergeid behalten haben, zuerst auch das Recht oder die Pflicht des Kriegsdienstes. Von Anfang an ergab sich aber eine rechtliche Minderung ihrer Vollfreiheit, die ja im Prinzip auf freiem Grundbesitz beruhte. Der Grundherr hatte schon durch ein Gesetz König Liutprands gewisse gerichtliche Befugnisse über die Libellarier, zugleich wurden Befreiungen vom Kriegsdienst für sie bestimmt, ja unter König Aistulf für die, denen ihre Mittel nicht mehr gestatteten,

 

 

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als Schwerbewaffnete zu kämpfen, besondere Gattungen leichter Fusstruppen geschaffen (1). Im Lauf der Zeit, wohl noch vor dem Sturze des Langobardenreiches, bildete sich die Rechtsstellung des Libellariers zu seinem Grundherrn zu einem reinen Schutzverhältnis aus: der Herr vertrat ihn vor Gericht und übte die niedere Strafgerichtsbarkeit über ihn aus; in welcher Weise die Immunität hier verschärfend einwirkte, gehört in einen späteren Abschnitt. Auch in Südtoscana ist der 29jährige Zeitpachtkontrakt, wenn er überhaupt je für die tatsächliche Entwicklung etwas bedeutet hat, im Lauf der Zeit der Ungunst der herrschenden Wirtschaftsverhältnisse erlegen; die Erblichkeit wird ausnahmslos vorgesehen (2).

 

Noch einer andern Klasse abhängiger Freier haben wir zu gedenken, die in der ursprünglichen germanischen Verfassung nichts Unbekanntes war. Könige und auch Herzoge hatten ihre gasindi, die sich ihnen zu einem besonderen Treuverhältnis, entsprechend dem der fränkischen Wassen, kommendiert hatten.

 

 

(1) 715 sind unter den Aretiner Zeugen, die der Königsbote vernimmt, noch Libellarier, sie werden also als Arimannen behandelt. Die ersten Minderungen ihrer Stellung enthält Liutprand 92, noch mehr 133, wodurch der Libellarier im Jahre 733 die wirtschaftliche Selbständigkeit verlor; er durfte, wenn er Vermögen in die Pachtung einbrachte oder durch sie erwarb, nicht mehr etwas (gemeint Grund und Boden) kaufen, was auch durch das Verbot in manchen Bibel larkontrakten, peculiarina facere (Beispiele aus Lucca 764, Mein. V 2 n. 85, in keiner anderen casa peculiarina facere; 798, n. 268; 806, n. 331), im Einzelfall erzielt wurde. Liutprand sagt, in der Praxis sei immer von seinen Vorgängern so entschieden worden, und regelt den Gegenstand durch das neue Gesetz, weil im Edikt nichts davon stehe. Vgl. Leicht, Studi sulla propr. fond. 1 55-56, der meint, der Libellarier erwerbe, wrenn er von eingebrachtem Gut etwas kaufe, das Objekt zu Eigen und erhalte deshalb, wenn er abziehe, den Kaufpreis ersetzt. Das steht nicht da: negotium dimittat in ipsam casam et recipiat pretium suum, also vom Abziehen ist nicht die Rede, das Objekt wird nicht Eigen des Libellariers, sondern, eben damit er keines erwerben kann, als Eigentum des Grundherrn zur Pachtung geschlagen und ihm der Preis ersetzt. — Nach Liutprand 83 haben die hohen Beamten das Recht, de minimis hominibus qui nec casas nec terras suas habent eine bestimmte Anzahl vom Heeresdienst zu dispensieren; das sind im wesentlichen die Libellarier. Aistulf 2. 3, der die Bewaffnung nach dem Besitz abstuft, lässt die minores homines, unter denen vor allem Kleinbauern mit weniger als 40 Morgen sein müssen, wie die ärmsten der nicht grundbesitzenden Kaufleute als leichtbewaffnete Fusstruppe mit Köcher. Pfeil und Bogen (ungepanzert) ausziehen; vgl. Hartmann, Gesch. II 2 8. 21 und E. Mayer. Ital. Verfassungsgesch. 1 409-411, dessen Ansicht, auch die Libellarier seien bei Aistulf vom Kriegsdienste ausgeschlossen, beachtenswert scheint: doch im Jahre 809 gilt die Heerespflicht von Libellariern als selbstverständlich: Brunetti II n. 82.

 

(2) Aber wir haben, wie erwähnt, keine Libelle des römischen Formulars aus dem VIII. Jahrhundert und müssen mit Folgerungen aus den erhaltenen vorsichtig sein.

 

 

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Die des Königs hatten erhöhtes Wergeld; sie scheinen durchaus frei gewesen zu sein, zum Unterschied von den Wassi, ob sie aber schon in Langobardenzeit als neugebildeter Adel anzusehen sind, bleibt zweifelhaft (1). Aber ein solcher entstand ganz von selbst durch die wirtschaftliche Differenzierung, und mancher Freie trat in das obsequium eines solchen Vornehmen, um Rückhalt gegen Bedrückungen durch Beamte oder andere Vorteile zu erlangen (2).

 

 

(1) Allgemein Schupfer, Degli ordini soc. l. c. p. 416-422. Istit. pol. longob. p. 248-254. Pabst, Exkurs über das langob. Gesinde in seiner Gesell, des langob. Herzogtums, in FDG. II 502-518, mit kritischer Würdigung der älteren Litteratur, in jeder Hinsicht grundlegend. Pertile I 97 (der Pabst betreffs der Gasindi des Senator, Troya n. 401, missversteht). Brunner, DRG. I2 188 Anm. 35 (auch über die Etymologie). II 260-261. Auf die fränkischen und angelsächsischen Gasindi ist hier nicht einzugehen. Hartmann, Gesch. Italiens II 2 S. 45-46. 62 Anm. 35. 128. 148. E. Mayer I 440-441. Schupfer, Diritto privato II 212 scheidet immer noch nicht scharf genug zwischen den Gasindi des Königs und der indices und dem obsequium Privater. Gasindi in Lucca: Mem. e doc. V 2 n. 120, a. 770; n. 239, a. 793; in Sovana: n. 19, a. 736; in Pistoia: Troya n. 791, a. 762.

 

(2) Die Scheidung, die Pabst a. a. O. S. 503-512 durchführte, ist im allgemeinen anerkannt. Über obsequium Pabst S. 503-504. Hartmann II 45. Leicht, Studi I 56-60. Schupfer, Dir. priv. l. c. und p. 201-211. E. Mayer I 210-215. 441. 445-446. Das obsequium ist oft mit Landschenkung verknüpft: Leicht p. 59, der wie Mayer auf Beziehungen zu den spätrömischen Schutzverhältnissen hinweist. Dagegen möchte ich die fiuwaida von Arena nicht in diesen Zusammenhang bringen, da sie mir in das Gebiet der späteren arimannia (dahin auch der mons arimannorum, Hartmann, Anal. S. 60) zu gehören scheint, während das obsequium die Grundlage des Lehnswesens und darum zu unterscheiden ist. In den L’rkk. lässt sich die Oblation eines Freien an eine Kirche noch am häufigsten nachweisen. im ganzen ist das Material gering, da der Akt der persönlichen Tradition genügte und seine Beurkundung darum in der Regel unterblieb: Brunner, Recktsgesch. der röm. u. germ. Urk. S. 139. Beispiele : 750, Muratori, Antiq. Ital. III 1007. Brunetti 1 n. 41. Troya n. 636 aus Pisa, ebenso von 763. Muratori col. 1009. Brunetti n. 58. Troya n. 795; Lucca 765 : Mem. e doc. V 2 n. 95 Val d’Aramo bei Pescia, 772 n. 134 Gualdo an der Cornia, n. 137 bei Lucca, 783, ib. IV 1 n. 11 Gualdo; 788. V 2 n. 222 ebenda. Ein Teil dieser Leute könnte freilich zu Libellariern geworden sein; der von 765 gibt dem Rektor der Kirche das Recht faciendi de suprascripta res (seinem Gut) quod roluere et me ipso imperandi comodo unus de aliis servis ipsius ecclesie, womit aber vielleicht gesagt ist, dass er sich in die servitus ergab; vgl. auch den von 783 und Pabst S. 507. Bekannt ist der lombardische Fall der Freien von Limonta, die propter hostem Aldien wurden : Cod. dipl. Lang, n. 126, Darmstädter S. 339. Schupfer, Dir. priv. I 115 hält freilich Ergebung eines Freien aus frommen Beweggründen in die Knechtschaft für möglich, obwohl der Edikt eine freiwillige Ergebung in die Knechtschaft nicht kennt: Aistulf 22, vgl. Mayer S. 208; die von diesem S. 209 Anm. 7 angeführten Ausnahmen sind anders zu erklären, in Lucca handelt es sich um die Oblatio einer Frau an eine Kirche, auf das Vermögensrecht der Frau kann hier nicht eingegangen werden, die alte strenge Auffassung des Mundiums milderte sieh im Lauf der Zeit, Schupfer, Dir. priv. I 20, vgl. die von ihm p. 382 angeführte Glosse zum Edikt. In der Formel zu Roth. 204 wird ja der Fall angenommen, dass eine Frau über ihr Gut per cartam verfügt; das ist dann ungültig. Die zweite Ausnahme M.s ist der oben erwähnte Fall des Libellariers. der kontraktbrüchig wurde: es ist nicht freiwillige Selbstverknechtung, sondern propter debitum, Schupfer p. 113-115. Die ersten Karolinger haben aber in Italien solche Obligationen für ungültig erklärt: Schupfer p. 110. Andere Oblati geloben einen Zins, so der in Gualdo 774 eine tremissis; dann könnte man glauben, sie seien Libellarier geworden. Der von 703 aus Pisa will in lumina ria solido uno, also Wachs oder Öl in diesem Werte, zahlen. Da die Wachsund Olzinsigen auch in Italien sonst den eigentlichen Libellariern gegenüber in gehobener Stellung erscheinen, wird er zu der späteren Klasse der liberi commendati zu zählen sein. Zu dieser gehört sicherlich die Mehrzahl der genannten Oblati, die keinerlei Abgabe festsetzen (Mayer I 213 Anm. 20, aber auch rein kirchliche Oblatio zu unterscheiden). Im Privileg des Bischofs Felix für S. Frediano di Lucca von 687), Brunetti I n. 1, Troya n. 349 ist mit sibe hominem seu equus . . . offertam fuerit wohl allgemein von Schenkungen die Rede. Vgl. das Beispiel von S. Giulia di Brescia, Hartmann, Analekten S. 60 Anm. 2. Der Ausdruck commendare, schon bei Gregor I. Reg. 142, Maver S. 208. 211-212, ist in langobardischer Zeit ungebräuchlich und wird zuerst in den Gapitularien Karls des Grossen verwendet. Das Kloster Agna delle Regine (s. im 7. Kapitel) erhält von Lothar 1. die Befreiung von Heerdienst und publica functio für 12 liberi homines: M.2 1134. In D. O III. 209 stehen die commendati in einem der Einschübe des XII. Jahrhunderts, in Heinrichs III. Diplom St. 2428. Pasqui I n. 177 werden die comendati, commendaticii neben den vasalli genannt. Über die in Lucca 1164. St 4010 genannten facticii vgl. Mayer S. 212; der Ausdruck ist in der Lombardei seit dem X. Jahrhundert (B. 1437. I). 0 III. 200. 267) nachweisbar, in Toscana sonst unbekannt. Handloike, Die lombard. Städte unter der Herrschaft der Bischöfe und die Entstehung der Communen S. 29-33 kann ich nicht folgen, wenn er diese Klasse von Ariinannen für solche mit Allod hält. Über Arezzo Mayer I 212 Anm. 23.

 

 

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Im Edikt wird von Schenkungen eines Freien an einen andern gesprochen und als Zweck vorausgesetzt, dass der Beschenkte dann bei dem Geber wohnen bleibe (1); die karolingische Gesetzgebung fand bei der Regelung des Gerichtsstandes eine besondere Klasse der commendati vor, und sie begegnen auch nicht so selten in Urkunden. Die grossen Klöster besassen welche, die sogar noch in karolingischer Zeit Ariinannen heissen (2), und Einzelurkunden über die Kommendation selbst sind erhalten. Sie zeigen vielfach, wenn nicht,

 

 

(1) Rothari 177.

(2) So in den Ravennater Verfügungen, Handloike a. a. O. S. 31. M.2 1633. 1634 Dagegen sind St. 2428 a. 1052 Freie mit Allod gemeint, die Handloike schon für den Ausgang des IX. Jahrhunderts dem bischöflichen Immunitätsgericht eingefügt werden lässt: sie sind es nur in jenem Sonderfall von 1052 und ähnlichen. Über die liberi commendati von S. Giulia di Brescia s. Hartmann, Anal. 8. 60, dazu die arimanni von Bobbio, die Frondienste leisten, vielleicht keine commendati, sondern mit der arimannia zusammenzubringen, oben S. 198 Anm. 2.

 

 

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wenigstens in Toscana, als Regel, dass der Vollfreie nicht nur sich, sondern auch seinen Besitz dem Herren kommendierte oder schenkte, und deshalb nahm er auch häufig eine gehobene soziale Stellung gegenüber dem Libellarier ein, der den Kaufpreis für sein Gut erhalten hatte. Seine Abgaben sind meist imbedeutend wie die des Aldio : aber er behielt sogar später das Recht, selbst die Gerichtsversammlung zu besuchen und vor ihr in eigner Person seine Sache zu vertreten. Der Kriegsdienst regelte sich nach der Wirtschaftliehen Lage des Einzelnen; aber damals scheinen die commendati noch mit den grundbesitzenden Dreien zusammen in den Scharen des Herzogs oder Gastalden, nicht im Aufgebot ihres Herren zu Kelde gezogen zu sein. Freilich liegt im Wesen ihres Treuverhältnisses, dass die Gefolgsleute ihrem Herren gerade im Kriege beistanden, und später sind die betreffenden Bestimmungen darum auch geändert worden. Sozial sind diese liberi commendati wohl teilweise in die später öfter genannten Vasallen der geistlichen und weltlichen Grossen übergegangen; das Lehnswesen, das im allgemeinen langsam und nicht durchgreifend in Toscana Einfluss gewann (1), hat in den Kreis seiner Anschauungen dann aber noch einen andern Stand hineingezogen,

 

 

(1) Oft begegnet in den Urkk. beneficium, ohne dass man sagen kann, ob nicht nur eine Pfründe in kirchlichem Sinne (vgl. JL. 4230. 5894 oder Pasqui u. 99) gemeint sei; so, um nur einige Beispiele zu geben, Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 1003. 1006. V3 n. 1127. 1163. 1198. 1201. 1209. 1244. IV 2 n. 83. vgl. schon V 2 n. 13 von 725. Verleihung einer Kirche durch beneficiis cartula, dazu ebd. n. 298, a. 801. Aber die nachweisbaren beneficia sind rein weltlicher Natur und noch lange nicht vererblich, wie die so häutige Nennung verstorbener Inhaber gelegentlich erneuter Verfügung über sie beweist; so Lucca: Mem. e doc. IV 2 n. 36. V 2 n. 514. 539. 576. 866. V 3 n. 1293. 1571. 1670 Chiusi: Leicht, Liv. nom. n. 1. Pisa: Muratori. Antiq. ital. III 1023, a. 827. Arezzo: M.2 1108. Pasqui I n. 44. 95. 106. 130 und öfter. Deutlich ist der Charakter des Lehens als frei widerruflich und jedenfalls unvererblich 833 im Placitum Hübner n. 716, Pasqui I n. 27. Libellarische Verleihung (nicht mit der Pacht des Libellariers zu verwechseln, s. u. S. 202), um das beneficium dem Beliehenen dauernd zu sichern, z. B. 843, Mem. e doc. IV 2 n. 26. V 2 n. 586. vgl. Mayer I 436. Lehen vom Reich : vielleicht hat der Wassus Ghisalmari die Reichsabtei S. Silvestro so. Mem. e doc. V 2 n. 819. 822. 836. 841. 854. Wassus Adelgrim. Franke, 807: ib. n. 347, vgl. 355.539: n. 628 831. Pasqui n. 44. 45. Vasallen des Markgrafen z. B. 852, Lami. Mon. II 969: 897. Hübner n. 819. Wassus eines markgräflichen fidelis (vgl. Reg. ASt. Lucca I n. 901: Ludwig III. D. 12. Bischöfliche Vasallen: 941 Hübnern. 881 Luni: 853. 862 Mem. e doc. V 3 n. 1763. IV 2 n. 36 Lucca: 850 Pasqui n. 37, Kehr III 148 n. 10. 51.2 1179a (Aretiner miles neben milites regni); 900 Ludwig III. D. 2. 833 Pasqui n. 28. M.2 1038. vgl. 979 Pasqui n. 77. 1008 n. 92. 1029 n. 137. 1030 n. 146 Arezzo, hierauch in der Liste der Abhängigen in den Diplomen. Vasallen von Grafen : 1012 Arezzo. Pasqui n. 101: 1071 Amiatiner Ined.. Verkauf per licentia U. comes seniore meo; 1027 Kadolinger Mem. e doc. V 3 n. 1784; von Klöstern: 1135 fideles von S. Savino, Pisa Mensa n. 326; vor 816 Inghipert vassallo nostro, von Amiata. Leicht n. 1. 1153 JL. 9732 feuda in Radicofani, was auf nicht ritterliche Lehen gehen kann, wie 1041 Arezzo Pasquin. 159 sorte et res qui est de feo Gizo Balduci (so zu lesen, nicht Feogizo als Name), n. 94 (Fischer) und oft, vgl. Mayer I 435 Anm. 17; dessen Versuch I 431-438, Lehen mit und ohne fidelitas zu unterscheiden, kann am toscanischen Material nicht nachgeprüft werden, über niedere Lehen dort S. 438. Nach D. O II. 268 haben die Florentiner Bischöfe Land der Canonica in beneficio distribuendo verschleudert. Einmal werden die Vasallen des Aretiner Bischofs mit dem lombardischen Ausdruck capitanei genannt : 1044 Pasqui I n. 166. Noch Roffred von Benevent verglich die cattani von Toscana mit den sizilischen Baronen, was um so interessanter ist, als er gerade in Arezzo wirkte; vgl. C. Della Rena. Serie degli antichi duchi e marchesi di Toscana (1690) p. 24. Varvassor Name : Reg. Cap. Luc. n. 984.1139. 1153. Pasqui n. 153, a. 1033 wird arengainässig gesagt, die ruricolae füllen de suis iustis laboribus . . apothecas . . secularium militum, vgl. JL. 6478: zu dem von Heinrich IV. an Pisa geschenkten Reichshof Papiana gehören 1126 feoda militaria. Ughelli III2 385. Da man oft nur den Zius als Lehen betrachtet, während der Oberlehnsherr das Gut vergabt (Hausmiete Lucca Mem. e doc. V 3 n. 1637, 1638), werden die meisten am Anfang dieser Anni, zusammengestellten beneficia Lehen sein; in den genannten Urkunden wird bestimmt, eine Pacht sei an den Grundherrn oder an den, der das Objekt von ihm in beneficio abuerit, zu zahlen. Dafür heisst es Mem. e doc. V 3 n. 1294 per fendum abuerit; und zwar sind es oft die privatrechtlichen, als Lehen vergabten Zinse: so 1120. Muratori, Antiq. Ital. III 1133, die von ad curtem geschiedenen Abgaben de feorali in Bientiua: Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 1003. V 3 n. 1115; vgl. Mayer I 436 Anm. 19 und die dort S. 438 Anm. 1 angeführten lombardischen Beispiele. Paschal II. JL. 5946 verbietet dem Bischof von Volterra, S. Gimignano in feudum zu geben.

 

 

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die freien langobardischen Grundherren, die mit dem wachsenden Übergewicht der Naturalwirtschaft und dem daraus erfolgenden Niedergang der Eigenwirtschaft besonders geistlicher Grossgrundherrschaften als Grosspächter eingegangener Eronhofsbetriebe mehr und mehr Kirchengut der toten Hand abnahmen und sich, wenn man den Klagen der Prälaten aufs Wort glauben darf, der Pachtzahlung mit Vorliebe entzogen (1).

 

 

(1) Vgl. Davidsohn. Gesch. I 142-144. Die Form war die des Libells. nur dass nie ad residendum gesagt wird und später die Bestimmung über das Hofrecht fehlt; dadurch wird die freie Pacht beurkundet. Ältere Beispiele aus Lucca 803. Mem. e doc. V 2 n. 310, dedisti ad lavorandum, hohe Geldabgabe; dann 805 n. 321. aufgegebener Fronhof. und n. 323. Diese Pacht geht aber schnell in Grosspacht über, weil man dem Kleinpächter den Libellarier vorzieht, und bald ist ein Libell, der nicht einen echten Libellarier betrifft, fast ausnahmslos Grosspacht: ib. n. 313. 357. 365. 410. 419. 514. 568 (= IV 3 n. 36). 576. Gerade in diesen Lrkk. wird in Lucca zuerst livellario ordine gesagt. So auch Armata. Inedita von 826. 845, 853, 862. wo das Gut per vos aut per vestros homines besetzt werden soll, ein deutliches Kennzeichen der sozialen Verschiedenheit dieses Pächters vom echten Libellarier. In Pisa ist die Form von Anfang an sehr häufig. In Lucca werden später so ganze Pieven und Zehnten an die Grossgrundbesitzer vergabt; die trotz der Erblichkeit häufige Bestätigung an die Pächter oder ihre Söhne, die beim echten Libell nicht nachweisbar ist. zeigt, dass von voller Entfremdung keine Rede sein kann: z. B. Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 860. 904; V 3 n. 1500. 1533; 1513. 1632. Hier müssen wir uns mit diesen Andeutungen begnügen.

 

 

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Die Gesetzgebung griff ein und verbot aufgrund alter kanonischer Verfügungen diese Grosspacht überhaupt, ein Luccheser Bischof des späten IX. Jahrhunderts führte einen erbitterten prinzipiellen Kampf gegen sie, musste sich aber schliesslich den Tatsachen beugen (1). Hier liegt eine gewisse Analogie zur Emphyteuse vor, die aber in Toscana vor der Renaissance des römischen Rechtes ohne praktische Bedeutung blieb; vielmehr knüpfte auch diese Neubildung, wieder Libell schon in frühster Zeit auf römisch-byzantinischem Boden entgegen seiner wahren Natur auch für Pacht von Kirchengut durch grosse Herren die Rechtsform abgeben musste (2), formal an den langobardischen Libell an und unterschied sich äusserlich so gar nicht von ihm, dass man überhaupt den Libell nicht hat als Realkontrakt gelten lassen wollen (3): doch fehlt die angaria, und in den dispositiven Worten ist statt der Residenzpflicht eine weniger drückende Verpflichtung wie ad laborandum, laborare faciendum oder am öftesten ad gubernandum gewählt. Als im XI. Jahrhundert die Erblichkeit auch der kleinen Lehen gesetzlich wird (4),

 

 

(1) M.2 1187 und D. O II. 239 für Lucca, ähnlich Alexander II. JL. 4724, Berengar I. D. 31 für Luni, M.2 1273 für Volterra, und für Arezzo Pivano p. 202 und Reg. Volat. Einleitung S. xliv-xlv; schon Karl III. M.2 1589 erwähnt für dieses Bistum eine verlorene Verfügung Ludwigs II., quae nocivas eidem aecclesiae episcoporum evacuat scriptiones. Vgl. auch Dopsch 8. 192; Volpe, Istituz. comunali a Pisa p. 25-26 lässt diese Verleihungen zu Allod werden : das war bei Grosseto u. a. Gütern der Fall, die die Aldobrandeschi vom Bistum Lucca durch Grosslibell hatten, 973 aber als Allod behandelten: oben S. 122 Anm. 1. Verallgemeinern möchte ich diese Einzeltatsache nicht, wenn sie auch oft vorkam. Lucca: Klage des Bischofs Peter II. auf dem Florentiner Placitum von 897 fs. o. S. 200 Anm. 1); seine ersten Grosslibelle betreffen unbedeutende Objekte, aber schon Mem. e doc. V 2 n. 1046 wandelt er die alten Bahnen, vgl. etwa V 3 n. 1216. Da die Bischöfe vielfach aus den Grosspächterfamilien hervorgingen und das Bistumsgut massenhaft an ihre Verwandten verschleuderten, darf man ihre Klagen nicht allzu ernst nehmen. Allgemein: Karls II. Capitulare Papiense vom Februar 876 § 10, Capit. II 102 n. 221 Verbot von Libell und Emphyteuse fin Toscana kommen einige Zwei- und Dreileiberpachten vor, stets an Vornehme, Davidsohn, Gesch. I 142 Anm. 2. Hem. e doc. di Lucca V 2 n. 637. 646. 652? 855, auf zwei Leiber n. 365. 729. vgl. V 3 n. 1222 und oben 8. 188 über Prekarie; die Bezeichnung Emphyteuse kommt nicht vor). Vgl. Hartmann, Gesch. Italiens III 2 S. 20.

 

(2) Troya n. 347 von 681 und Marini. Papiri dipl. n. 132 s. VII med.; vgl. Pivano p. 162-164 und oben S. 186 Anm. 1.

(3) Das ist die These von Pivano, dessen rein juristisch-formale Untersuchung die reale Wirklichkeit, die Wirtschaftsgeschichte, nicht genügend berücksichtigt, s. o 8. 186 Anm. 1.

(4) Konrads II. Mailänder Lehnsgesetz vom 28. Mai 1037, Constit. 190 n. 45. D. C II. 244.

 

 

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finden wir nun dieses erbliche Grosspachtverhältnis, das wir als Grosslibell bezeichnen können, in das Gebiet des Lehnrechtes gezogen (1), und wo Lehnsträger des Reiches Vorkommen, wie in der Garfagnana und Versilia, können sie ebenso entstanden sein.

 

Wenig ist von den Aldien, die mehr und mehr verschwinden (2) von den Massariern, die sich länger halten, aber auch allmählich einzeln durch Libellarier ersetzt werden (3), und von den eigentlichen Sklaven zu sagen.

 

 

(1) Übergänge schon eher: Arezzo 1025 erbliche Benefizien des Dombaumeisters, Pasqui n. 125; Lucca V 3 n. 1782, a. 1017 sagt der Grosslibellarier zum Bischof quando in oste pergigeritis, caballum dare debeamus, si nobis cognitum feceritis, et siugulis quibusque anni vobis obediendi et serviendi ut mox (= mos) est. Schon 1028 bietet ein Amiatiner Ineditum einen Grosslibell a fidelitate. 1045 klagt zu Lucca ein Grosslibellarier, der Bischof habe ihm investituram mit einem Teil der Burg entzogen : Hübner n. 1340. Der betreffende Lehnsträger gehörte zu dem Hause der Herren von Porcari, die Grosslibelle vom Bistum hatten. Später wird der Grosslibell als völlig identisch mit dem Lehen behandelt: Alexander II. JL. 4724 verbietet preter illa que in beneficium nunc usque dari consueverunt (die alten, stets erneuerten Grosspachten) . . . res ecclesie vel per beneficium dare aut per libellum concedere: 1072 hat man den Zehnten in beneficio aut pier concessionem, der sonst durch Grosslibell (Lucca V 3 n. 1542. 1734 u. oft) vergabt wird, 1109, 1115 und 1152 wird das Pachtverhältnis per libellum sive per feudum und ähnlich genannt, Lucca V 3 n. 1799. 1809. 1820. Giuratori, Antiq. Ital. III 1120. — 1111 werden bei Pisa (Mensa Arcivesc. n. 221) Güter erwähnt, que fuerunt de feodum Lambardibus de Ciriliano. Vgl. für Arezzo Pasqui n. 159. Dazu Volpe. Istituzioni comunali a Pisa p. 20, der in Studi stor. XIV 127 zu den gleichen Ergebnissen wie ich kommt.

 

(2) S o. S. 167 Anm. 1. ln Pertinenzformeln öfter, z. B. für Lucca Hugo und Lothar II. B. 1389. D. O II. 239. O III. 218. 219. Für Arezzo M.2 1589. St. 2428. MV 1634 und D. O III. 201 für Brugnato. D. H II. 285 für Monteverde, auch Brunetti I n. 33. Seltener in Privaturkk., was wichtiger wäre; so als Pertinenz der Morgengabe im Jahre 1029 bei Arezzo. Pasqui I n. 138. Pisa, Muratori III 1035, a. 877. Calisse n. 20. 43, a. 823. 973. Der einzige toscanische Aldio, über den wir etwas mehr wissen (s. o. S. 168), ist der von Toscanella, Brunetti I n. 26 von 736, dazu das Testament des Bischofs Peredeo von Lucca 778. idem, e doc. IV 1 n. 86. vgl. Luzzatto p. 122. Einige Beispiele der stellenweise erwähnten res aldionarida (aldericia D. K I. 155 für S. Miniato) sind im Glossar des Peg. A’olat. S. 429 zusammengestellt, dazu etwa Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 162. 365. V 3 n. 1241. 1262. 1266. 1355. 1541. 1667. Im ganzen werden die Aldien als Zubehör vor Gütern recht selten genannt und können in Toscana nie eine grosse Bedeutung gehabt haben. 764 schenkt jemand in Lucca der von ihm gegründeten Kirche auch casas aldionales und aldiones. Mem. e doc. IV 1 n. 57. Spätes Beispiel Davidsohn, Gesch. I 315 Anm. 2.

 

(3) Die Fälle, wo ein Libellarier auf casa massaricia, die z. T. noch vorher von einem Massarius besetzt war, angesetzt oder eine Anzahl solcher Stellen in Grosspacht mit der Verpflichtung, sie zu besetzen, vergabt wird, sind so häufig, dass keine Beispiele notwendig scheinen.

 

 

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Ministerialen werden wie in römischer Zeit gelegentlich genannt, später meist nur formelhaft als Vorsteher der Fronhofsverwaltungen; auch servi und ancillae finden sich nicht selten. Mit der Steigerung des Feudalismus und der Auflösung der alten Heergemeinde ging Hand in Hand das Entstehen einer Klasse von unfreien Kriegern, den servientes oder der masnada (1). Im Immunitätsverband vollzog sich allmählich ein gewisser Ausgleich dieser wirtschaftlich oder persönlich unfreien Schichten, man legte, da die wirtschaftliche Lage und die Stellung zur Grundherrschaft sie nicht mehr stark unterschied,

 

 

(1) 766 Lucca in der alten Bedeutung de servis vel ancillas ministerialis Mem. e doc. IV 1 n. 63. Die spätere Formel ini Libell vobis reddere debeamus hic Luca ad suprascripto domum vel ad ministerialem illum quas ibi pro tempore in ipso domo fuerit, ih. V 2 n. 966, vgl. z. B.n. 949-951. 953. 954. 956-960. 963. 9(55. 996. 970. Reg. Camald. n 986. Später ist das Lehnsrecht auch hier eingedrungen, zugleich bildet sich eine unfreie Kriegerkaste auf den grossen Grundherrschaften (Mayer 1 176-177, 421), die Masnata. Über die Etymologie (die zur mansio maison des Grundherrn gehören) Pertile III 105. Freilassung: Mayer S. 176 Anm. 26. Davidsohn, Gesch. I 311-314, dessen Florentiner Material meist einer späteren Zeit angehört. Das älteste Beispiel aus Toscana ist Reg. Sen. I n. 24 (1001); die masnada des letzten Kadolingers wird 1115 genannt, Reg. Volat, n. 150, es ist von feodis equitum de m. die Rede, vgl. Mem. e doc. IV 3 n. 98. Es sind die S. 200 Anm. 1 erwähnten kleinen Lehen, und die 1044 im Bistum Arezzo genannten ministeriales oder servientes des Markgrafen von Monte S. Maria, die diesen ihren Senior nennen und vom Gastalden angeführt werden, wie der 1038 genannte Aretiner serviens gehören hierher (Pasqui n. 159. 167), ebenso die in einem Amiatiner Ineditum von 1009 April erwähnten servientes an der Paglia und die equites des Grafen Paltonerins von 1145 Reg. Sen. I n. 191; auch die 1201 in Palaia mit manentes zusammen vergällten fideles et vasalli; Mem. e doc. di Lucca V 3 n. 1829. Einer, der sich 1121 (ib. n. 1813) der Gewalt des Luccheser Bischofs, der er sich entzogen hatte, per fidelem et manentem vel quomodocumque vis wieder unterwirft, verspricht nichts zu tun, wodurch der Bischof neque ullus suus masnadingus Schaden erleide. Ministeriale des Markgrafen 1038: Reg. ASt. Lucca I n. 90. Auf Sammlung der Stellen über die Masnada muss ich hier verzichten wie auf Vergleich der Zustände im Friaul, die aus den Arbeiten von Leicht bekannt sind; dort war das Institut am meisten entwickelt. Zu der 1136 erwähnten habitatio, Pasqui 1 n. 342, vgl. die Friauler habitatores. Vierteljahrschr. f. Soz.u. Wirtschaftsgesch. IX 532-534 (ob das z. B. 1115 vom Libell unterschiedene teuimentum, Muratori. Antiq. Ital. III 1120. damit zusammenhängt?). Diese Form der Abhängigkeit hängt mit dem Kastellbau zusammen und entwickelt sich aus ursprünglich freier Pacht zu einer Art Lehen, in Toscana spielt sie keine grosse Rolle, vgl. das Pisaner Ineditum von 1141 (Mensa Arcivesc. n. 343). durch das der Bischof die Einwohner des künftigen Kastells Fascina und so viel Genossen, wie sie wollen, per fustem investiert und ihnen Land pro feodo zuweist, das sie unter einander teilen und erblich besitzen sollen; sie zahlen eine Abgabe, und unusquisque fidelitatem archiepiscopo iurare debet, tum potestatem habeat in res suas in castro et burgo. Richtig charakterisiert Volpe, Istituz. comunali a Pisa p. 63-64 diese Art Leihe als ein Burglehen. Vgl. Mayer I 179 und allgemein Luzzatto p. 78-118 und passim.

 

 

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auf die rechtlichen Abweichungen wenig Gewicht und gewöhnte sich, sie als manentes, als Grundhörige, zusammenzufassen (1). Schliesslich haben das Bestehen zahlreicher kleiner Freien, die Bildung vollfreier Burggemeinden auf der Immunität und die neue Entwicklung des Comune rurale, das seine feudalen Fesseln im Laufe der Zeit abstreifte, die rückläufige Bewegung eingeleitet, die neue Städtefreiheit hat sie zum Ziele geführt.

 

Wir haben schon von der staatlichen Fürsorge für die Urbarmachung und Rodung von Sumpf-, Öd- und Waldland gesprochen: der Zweck war, der wachsenden Bevölkerung Acker zu schaffen. Die von der Regierung angesetzten Kleinbesitzer und die auf den grossen unkultivierten Bezirken, die den älteren Reichsabteien überwiesen waren, beschäftigten Libellarier sind keine Einzelerscheinung. Man rodete auch noch später im Reichswald, ob mit oder ohne Erlaubnis der Behörde, ist unbekannt (2); die Grossgrundherrschaften haben in gleicher Weise wie die Reichsabteien Wüstungen zur Rodüng vergabt (3), und wohl auch der Einzelne machte Unland urbar, wo sich ihm die Gelegenheit bot. Im Süden, bis nach Siena hinauf, sind die Rodungen mit citina bezeichnet (4) :

 

 

(1) Richtig Luzzatto p. 24. 121. 124; in Toscana ergeben die Urkk. die im Text angegebene Entwicklung. Vgl. z. B. M.2 1194. Wido D. 18 und das Luccheser Inventar des X. Jahrhunderts Mem. e doc. V 3 u. 1758. das Mayer 1 182 irrig ins VIII. Jahrhundert setzt; die spezielle Bedeutung, die er dem Begriff geben will, finde ich in den Quellen zu wenig belegt, für Toscana stimmen wir aber überein. Vgl. Hist. Vierteljahrsehr. XVI 110.

 

(2) Königshufen D. O III. 223 duos regales mansos in loco Louiano vocato (am untern Serchio auf Sumpfboden) qui recti fuerant per M. et I., vgl. Darmstädter S. 301 Anm. 3. dessen Berechnung nicht zutrifft, da der 30 Joch betragende, von Berengar I. verschenkte mausus, der ein gewöhnlicher war, nicht allgemein gilt: vgl. jetzt Dopsch S. 320-324. der zeigt, dass die Königshufen variabel, nicht zusammenhängend und Rotthufen sind. Noch Konrad III. St. 3398 vergabt presas Cassiaulensium et illorum de Ripule in campo Lepoiano positas, vgl. über die Burggemeinde Cascianla Volpe p. 21.

 

(3) Libelle über Grundstücke, auf denen der Libellarier Pflanzungen angelegt hat, sind nicht selten.

 

(4) Repetti I 318 erklärt Debbio und Cetina als “sodaglie con poca macchia bassa e molta pastura naturale, in qualche parte suscettibili di essere seminati„; dagegen I 677 gegen Ducange : “campo senz’alberi, dove, fatta la messe, quindi bruciata la stoppia, suol lasciarsi a pastura, o a maggese„ als heutige Bedeutung von cetina in den Maremmen. Das ist wohl nicht gut praktisch möglich und mit den Urkunden unvereinbar, da es nur den augenblicklichen Zustand des Feldes bezeichnet. Tommaseo, Dizionario della lingua latina s. v. gibt an : “= fossa in cui si fa il carbone„ und zitiert aus alten Polizeigesetzen, man solle nicht in den Weideflächen des Maremmenviehs “far cetine o tagliar di alcuni arbori iandiferi e da frutto„. Mit dem Brennen wird es schon seine Richtigkeit haben, aber das Wort kann in den Urkunden nur Rodung, besser Schwendung bedeuten. Einige ältere Beispiele: Brunetti I n. 31. II n. 28. 40. 50. 55. 65. 69.71. 75. 76. 82. Calisse, Doc. Amiat. n. 18. 19. 21. 26-28. 35. 36. 39-40. 42. Leicht n. 12 und oft, die nördlichsten Beispiele aus dem Gebiet von Siena und Florenz, vgl. Davidsohn, Gesch. I 866, der ohne Begründung “unbebautes, baumloses Terrain„ erklärt.

 

 

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im ganzen übrigen Toscana überwiegt debblum, und der Zusatz eines Eigennamens wird uns die Person des ersten Kulturpioniers verraten (1). Das Problem, ob dem kleinen Dreien oder der Grossgrundherrschaft das Verdienst solcher Kulturarbeit gebührt (2), ist in diesem Zusammenhänge. wo wir uns mit einem Hinweis auf die wichtige Erscheinung des Wirtschaftslebens begnügen müssen, nicht zu lösen; doch scheinen beide Teile im ganzen nur im Verein, einander stützend, die erspriesslichsten Fortschritte erzielt zu haben. An eine grossartige Organisation der Grundherrschaft, an systematische Rodung durch abhängige Arbeitskräfte, ist in Toscana sicherlich nicht zu denken. Die eigentliche Fronhofswirtschaft war wohl schon im X. Jahrhundert stark in der Zersetzung begriffen, terra domnicata und kleine Haupthöfe werden in immer steigender Menge ausgetan, Verkehrs- und Wirtschaftsverhältnisse, teilweise auch die politische Not der späteren Karolingerzeit erschwerten die Übersicht über die weit entlegenen Besitzungen, die meist klein und, so weit wir sehen, ausnahmslos in Streulage waren (3).

 

 

(1) Repetti I 318. Noch im modernen Italienisch debbio = Heidebrand, Schwendung. Die Ortsnamen mit debblum sind beispielsweise häufig in den im frühen AI ittelalter noch dicht bewaldeten linken Seitentälern des untern Arno, denen der Evola, Era und Cascina, sowie im Sumpfwald am rechten Ufer des Stromes, zwischen Arno und Arme, wie man sagte. Nur einige Beispiele: Afem. e doc. di Lucca V 2 n. 694. 957 (Debbio bei Cevoli). 1020. V 3 n. 1252. 1545. 1749 (Debbio bei Verciano). 1226. 1252. 1263. 1391. 1464. Mit possessivem Genitiv z. B. V 3 n. 1263 debbio Romaldi und n. 1020 debbio Socciati, mit Adjektiv ebenda debbla Petronese. 787 sagt der Grundherr den Pächtern si in ipso res . . . vel nostra debbio battederitis, quarto modio novis reddere deveatis (V 2 n. 214, günstige Pacht für Rodland). Aus Pisa: Mensa Arcivesc. Ined. n. 98. 154. 184. 326 von 1032. 1068. 1085. 1137 (in der letzten wie in den Luccheser n. 1020. 1252 ad debbla neben Flurnamen Cardetulo Distelfeld, oft neben Wald und sterpetum). — Auch runcus, roncus bedeutet Rodung: Brunner, Zur Rechtsgesch. der röm. und germ. Urk. S. 254 Anm. 1. Das Verb runcare roden ist bereits klassisch. Beispiele aus der Lombardei gibt Seregni p. 67, dessen Erklärung nicht genau ist. Toscanische Ortsnamen mit dieser Wurzel : Repetti IV 816. Beispiel aus Lucca: Alem. e doc. V 3 n. 1654.

 

(2) S. darüber zuletzt Dopsch S. 243-246, 284, dessen Auffassung ich mich mit den für Italien nötigen Modifikationen (Grafen und Vögte dürften weniger wie in Deutschland Kirchengut gewaltsam entfremdet haben) durchaus anschliesse.

 

(3) Diese Tatsache hat auch für andere Länder Dopsch an vielen Stellen seines Buches stark betont, in Toscana tritt die Streulage überall hervor (ein treffliches Beispiel der Hof Älassarosa, den Alarkgräfin Berta kaufte und Hugo und Lothar II. dem Luccheser Kapitel schenkten, B. 1389, Reg. del Cap. di L. I n. 9). Das Schwinden der Eigenwirtschaft lässt sich z. B für Lucca an der Hand der Pachturkunden verfolgen.

 

 

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So hielt ein Bistum oder ein Kloster nur mehr einige wichtige Haupthöfe und vergab die andern durch Grosslibell, meist an die weltlichen Grossen, mit denen die Dom- und Stiftskapitel sozial aufs engste verknüpft waren. Aber auch Kleinpacht an umwohnende Kleinbauern ist häufig genug nachzuweisen, und andrerseits hat das Eingehen so vieler Eigenwirtschaften und das Auf hören der an sie schuldigen Fron sicherlich auch zur Entstehung jener Bauerngenieinden beigetragen, deren Glieder unter sich im wesentlichen gleich waren und durch die Entwicklung tatsächlich, bald auch rechtlich frei wurden (1).

 

Wie starken Anteil das langobardische Kassenelement sich schliesslich an der Bevölkerung Toscanas errungen hat, ist kaum zu bestimmen. Die Grundherrn, die in dieser Landschaft schon vor dem Jahre 1000 Langobardi, später meist Lambardi heissen (2), werden eben im Volke überwiegend als solche gegolten haben. Man hat oft und bis in die jüngste Zeit den Versuch gemacht, exakte Ergebnisse für den römischen Teil der Bevölkerung aus Statistiken zu gewinnen, die auf dem Verhältnis der professiones legis Romanae zu denen des langobardischen Rechtes beruhten. Obwohl nun seit der Besitzergreifung Karls des Grossen wie im Frankenreiche auch das römische Recht als drittes gleichberechtigt neben das langobardische und das fränkische der Sieger trat (3), ist es doch ganz unmöglich,

 

 

(1) R. Caggese, Classi e comuni rurali nel medio evo italiano (2 Bd. Firenze 1907-1909) mit viel toscanischem Material, dazu die Speziallitteratur (vgl. A. Solmi, Sulle origini del comune rurale nel medio evo, in Riv. Ital. di sociol. XV, 1911, Heft 6). Davidsohn, Gesch. I 315-326 sowie in seinen daselbst S. 302 Anm. angeführten Aufsätzen legt auf den Nachbarschaftsverband besonders Gewicht. vgl. Pietro Sella, La vicinia come elemento costitutivo del comune (Milano 1908). Hier kann die Frage, die wohl kaum auf eine einfache Formel zu bringen ist, nicht eingehend behandelt werden.

 

(2) Davidsohn, Gesch. I 305. Volpe, Istit. com. a Pisa p. 25-31 und in Studi stor. X 398. XIII 53-55. 58-64, der trotz der Ausführungen X 418. XIII 59 zuletzt (Istit. com. p. 25 “quella classe di proprietari di origine prevalentemente longobarda„; dazu p. 30) bedingt zugibt, dass sie langobardischen Stammes waren. Vgl. überhaupt seine Aufsatzfolge Lambardi e Romani nelle campagne e nelle città. Per la storia delle classi sociali, della Nazione e del Rinascimento italiano, in Studi stor. XIII 53-81. 167-182. 242-315. 369-416 mit den Nachträgen Bd. XIV 124-144. Er wies bereits darauf hin, dass sich in der Pönformel von Bullen für S. Antimo (und, dürfen wir hinzufügen, für andere siidtoscanische Klöster wie Sestinga) nach Aufzählung der Beamtenhierarchie et ceterorum Langobardorum findet; sie werden so gewisserinassen als herrschende Klasse hingestellt, der die Behörden angehören. Nördlich von Chiusi-Grosseto sind mir keine Beispiele für die Formel bekannt.

 

(3) Über die Einführung des Personalitätsprinzips im Recht: K. Neumeyer, Die gemeinrechtl. Entwickelung des internationalen Privat- und Strafrechts bis Bartolus, I. Stück: Die Geltung der Stammesrechte in Italien (München 1901) S. 82-83.

 

 

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dass die römischen Teile des Volkes nun etwa sich ihrer Herkunft wieder erinnert hätten und zu ihrem alten Rechte zurückgetreten wären (1); nach den früheren Darlegungen haben wir uns die Verschmelzung der Rassen und die Ausbildung des Edikts als damals schon vollendet zu denken. Mochten auch manche Römer aus dem nichtlangobardischen Italien einwandern, mochten auch Kapitulariengesetzgebung und Gerichtspraxis ihnen wie den Franken und andern Germanen, die sich im neuerworbenen Königreich niederliessen, ihr Recht wahren: die späteren Gesetze bilden, wie der Liber Papiensis zeigt, doch die unveränderte Fortsetzung des Edikts und schaffen ebenso wie dieser Landrecht, und die zahlreichen Gerichtsund Privaturkunden zeigen, dass es tatsächlich so lag. Wo findet man da, trotz der vielen, die nach römischem Rechte lebten (2), ein Ab weichen von den Bestimmungen des langobardischen Gesetzes (3)? Auf die Salfranken und Ribuarier, Alamannen und Bayern wurde freilich Rücksicht genommen; ihr Vorrecht bestand nicht nur in streng festgehaltenen und feierlich betonten sjmibolischen Akten bei privatrechtlichen Handlungen (4), wie sie das unter römischem Einfluss von Anfang an nüchternere, man möchte sagen modernere Recht des Langobardenreiches nicht kannte. Man hat auch längst erkannt, das jene, die später, besonders seit dem XI. Jahrhundert, als nach römischem Rechte lebend genannt werden, in keinem Zusammenhänge mit der unterworfenen Klasse stehen, mit deren Geschicken sich die Forschung aus falscher Sentimentalität so gern beschäftigt hat;

 

 

(1) Woran z. B. Neumeyer S. 88 in manchen Fällen denken möchte, der aber im Prinzip die im Text gegebene Auffassung vertritt.

 

(2) Auch Davidsohn, Gesch. I 305 will zweifelhaft lassen, ob Burgherrn, die nach römischem Recht lebten, Römer oder Priesternachkommen waren; dagegen weist Neumeyer S. 88-90 mit Recht auf die in den Grenzgebieten in grösseren Massen nachweisbaren Römer hin. die wohl wirklich Romanen waren. Hartmann, Gesch. II 2 8. 20 über das römische Recht langobardischer Priester; dazu Brunner. DRG. I2 392-395. Neumeyer S. 153-155. E. Mayer I 25-26. Die älteste Profession römischen Rechtes in Toscana finde ich 807 : Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 345. Anerkennung des römischen Rechts seit Liutprand : Neunter S. 80-81; Einführung des Personalitätsprinzips: daselbst S. 82-84. Es ist zu beachten, dass unter Liutprand die Expansionspolitik wieder auf genommen, römisches Gebiet erobert wurde, vgl. oben 8. 23. 97.

 

(3) Neumeyer 8. 88. 139. Eine gute Illustration bietet die Tatsache, dass 1030 ein zu Pescia, Bientina und Gambassi begüterter Sarazenenknabe nach dem Edikt lebte und nach Liutprand 19 testierte: Mem. e doc. di Lucca V 3 n. 1785.

 

(4) Die in den Formeln des Buches von Pavia und dem Cartularium Langobardicum sorglich vermerkt werden. Vgl. Neumeyer S. 111-115. 121-122. 130-134, der betont, dass die Sonderheiten der Stammesrechte doch tiefer greifen, wie die Urkunden zeigen. Wie sich in diesen der eigentümliche Symbolismus der genannten Rechte mit der Geschäftspraxis der langobardischen Rechtshandlung verschmolz, hat in glänzender Weise Brunner, Zur Rechtsgesch. der röm. und gemi. Urk. S. 96-111 aufgeklärt.

 

 

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Kleriker leben nach dem ius Romanum als Glieder der römischen Kirche, die G-eistlichkeit war vor dem Investitnrstreite mindestens grossenteils verheiratet, und die Nachkommen dieser Ehen, die sich ursprünglich nicht so streng an jene Bestimmung hielten und Langobarden blieben, werden, je stärker sich die Priesterehe verbreitete, um so mehr Anlass gehabt haben Rechtsrömer zu werden, je weniger sich bei einer zahlreichen Klasse übersehen liess, dass sie nach dem langobardischen Edikt als aus unrechtmässiger Ehe hervorgegangen nicht die Vollfreiheit besass. Als rechtmässig empfand man nun, vielleicht infolge des steigenden Einflusses der römischen Kirche auf die Legierung, wenigstens die Ehen der Priester nicht mehr wie in langobardischer Zeit, ohne darum gesellschaftlich an ihnen Anstoss zu nehmen; die Kinder führten jedoch den Vatersnamen nicht wie jeder andere Vollfreie (1). So wird man den Ausweg, sie nach römischem Rechte leben zu lassen, ergriffen haben, und die ganze Klasse dieser neuen Römer wird prinzipieller wie es bisher geschieht auf Priestersöhne zu beziehen sein. Da nun fast alle nach der Mutter Genannten wie die nach römischem Recht Lebenden zu den gehobenen Klassen zählten (2), da überhaupt der Priesterstand und besonders die städtische höhere Geistlichkeit, in deren Kreise die Priesterehe in erster Linie eingedrungen war, der führenden Schicht in Stadt und Land, den Grundbesitzern, angehörte, wird der Stand der Rechtsrömer der Rasse nach gerade überwiegend langobardisch wie diese gewesen sein: von irgend welchem Material zum exakten Nachweis des römischen Elementes kann keine Rede sein.

 

Dieses war zweifellos am stärksten in den niederen Volksschichten in Stadt und Land vertreten. In der Stadt kann es sich besser gehalten haben, obwohl auch Handwerke, und nicht bloss das mehr kunstgewerbliche des Goldschmiedes,

 

 

(1) Vgl. Davidsohn, Forsch. I 38-39. In vorfränkischer Zeit (725) wird ein Presbyter cum coniuge mea presbiteria erwähnt: Mem. e doc. di Lucca IV 1 n. 2. Er kam aus den partibus Transpadanis. Auch Priestersöhne bezeichnen sich damals bisweilen als solche.

 

(2) Das ergibt eine Statistik der sich nach der Mutter Nennenden in toscanischen Urkunden vor dem Investiturstreit, die ich mir für sozialgeschichtliche Feststellungen angelegt habe. Es ist kaum ein Libellarier darunter, dagegen Priester und Grosspächter, sowie vielleicht noch mehr Grundbesitzer. Über die Beziehungen zwischen Domkapitel und Landadel in Volterra s. meine Bemerkung in Reg. Volat. Einleit. S xxxii und Davidsohn, Gesch. I 142-144 zu Forsch. I 38. Darauf geht auch D. O II. 268, die Bischöfe von Florenz hätten Land der Canonica meretricibus dando verschleudert; damit ist nicht, wie Davidsohn, Gesch. I 145 meint, gesagt, der Bischof habe Kirchengut mit feilen Dirnen vertan, sondern man hat an den von Dav. selbst gegebenen Stammbaum zu denken : die einzelnen Bischöfe statteten ihre Konkubinen und deren Nachkommenschaft durch Libellarpacht mit Kirchengut aus.

 

 

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von Arimannen ausgeübt wurden (1); es ist kaum möglich, sich an der Hand der Urkunden von der städtischen Plebs ein Bild zu machen. Auf dem Lande dagegen ersehen wir aus den Pachtverträgen, wie zahlreiche früher mit einem Massarier, also vermutlich einem Römer (2), besetzte Stellen nun an Libellarier gegeben werden, und dass die Massarier im Laufe der Zeit hinter den Libellariern zurücktraten, steht für Toscana ausser Zweifel: man kann die Entwicklung in den Urkunden verfolgen. So bliebe der Stand der kleinen Freien (3), unter denen ja solche römischer Herkunft sein können; aber auch jene Ansiedlungen freier Langobarden auf Ivronland schufen neuen Zuwachs dieser Klasse. Die Langobarden sind rasch und durchgreifend romanisiert worden; so stark ihr Anteil an den heutigen Bewohnern von Toscana nach dem Cfesagten auch gewesen oder besser geworden sein muss, überwiegend war er wohl nicht.

 

Das bestätigt auch die Ortsnamenforschung. Neben jenen erwähnten zahlreichen antiken (4) kommen in vielleicht gleicher Stärke die von der Bodenbeschaffenheit abgeleiteten Bezeichnungen,

 

 

(1) Einzelne Beispiele: Landbesitzer in Lucca caldararius (Kesselmacher) 767, Mem. e doc. V 2 n. 102 (vgl. 7-12 n. 31); clavarius (statt Verifo stirivario zu lesen Verifons clavario) 798, V 2 n. 270; pistrinarms (Bäcker) 846, IV 3 n. 41, dazu V 3 n. 1178; als Grosspächter ghalligharius (Schuhmacher) V 3 n. 1251 (Pacht 10 Solidi). Unter den Urkundenzeugen caleclarius (Schuhmacher) 759, V 2 n. 58: aurifex 762, IV 1 n. 23; 772, V 2 n. 141; 807 n. 347 (ein Franke); ein anderer z. B. a. 739 n 24 Grundbesitzer, ebenso in Annata und Montepulciano Brunetti II n. 68. 73 (vgl. Repetti III 4 65). Leicht, Liv. nom. n. 9. Ebenso sartor : Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 137, a. 772.— Andere Handwerker, wie faber (sehr häutig) und ollarius Töpfer 986, Mem. e doc. IV 2 n. 77, vgl. die Hofhandwerker von 761, Mem. e doc. IY 1 n. 54. Davidsohn. Forsch. I 152 157.

 

(2) Hier kommen auch die Kaufleute in Betracht, die nicht selten genannt werden; sie sind vollfrei. Namen römischen Klangs, die wir sonst bei den Toscanern des früheren Mittelalters nicht finden, sind für Massarier Costantio. Gustantio. Mem. e doc. di Lucca V 3 n. 1419 (vgl. 1562), Marco n. 1379 (1468 servus), Gaudentius n. 1449, und ein Walerio n. 1350 sitzt anf casa et res massaricia, ohne dass seine Rechtsstellung bezeugt ist. Römische Namen bei den Langobarden sind überwiegend den Heiligen entlehnt, natürlich solchen, die in Toscana verehrt wurden. Markuskirchen sind in Toscana vorhanden, den Namen kann ich aber lange Zeit nicht in andern Kreisen nachweisen (vgl. n. 1394): im Regest von Coltibuono heisst n. 18 so ein Massarier, die n. 61. 95 Genannten sind Pächter, die jedenfalls auch massarischer Herkunft sein können. Die interessante Zusammenstellung von Davidsohn, Forsch. 1 160-162 ergibt für unsere Frage nichts, da sie keine älteren Namen enthält. Über Namen von Sklaven der interessante Exkurs von Luzzatto p. 184-190. I nomi dei servi e la loro nazionalità, der p. 186 Augustus, Crispus, Flavius als spezifisch römisch anführt; bei Flavius bin ich zweifelhaft, aber von den p. 187 als nichtrömisch genannten muss Petrunaci = Petronax ausgesondert werden.

 

(3) Über diese haben wir naturgemäss am wenigsten Nachrichten.

(4) Oben S. 174 Amn. 1.

 

 

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etwa nach Sumpf, Busch, Steineichenwald, Myrtengebüsch, in Betracht : sie entstammen wohl vielfach erst der langobardischen oder einer noch späteren Periode und sind fast ausnahmslos romanisch (1). Einige wenige von germanischem Klang haben sich freilich erhalten, so die mit Wald oder Gehege, cahagium, cagium, später cafagium gebildeten, wie der waldus regis im Territorium von Populonia, eine Ortschaft Waldus im Lunesischen, terra Valda Ponsacco im Eratal und die zahlreichen Cafaggio (2). Daneben, in der Art der schwäbischen auf -ing und der bayrischen auf -ingen, die gentilizischen, auf die angesiedelte fara verweisenden auf-ing, häufig in der Lombardei (Marengo Casalpusterlengo), aber in Toscana sehr selten : neben Turingus, das aber vielleicht eine Thüringersiedlung war, ist nur der vicus Elingus Marlia zu nennen, beide bei Lucca (3). An Wardestalla Guastalla bei Peggio schliesst sich im Küstenland bei der Cecina Guardistallum (4) an, das noch heut so heisst. Flurnamen wie Fontenassa und Ad Spangas begegnen (5),

 

 

(1) Beispiele : Padule Sumpf Repetti IV 7-19. Leccia, Leccete Steineichenwald, Elci gleicher Bedeutung, Cerreto, Querceto Wald anderer Eichenarten ib. I 658-666. II 47-52. 665-671. IV 694-698. Mirteto, Morteto ib. III 615-616. Faito, Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 768, ist wie Faido im Kanton Tessin Buchenwald, fagetum.

 

(2) Hier genüge es auf Repetti I 378-379. II 368-374 zu verweisen : 7 Cafaggio, dazu 3 Gaggio, 3 Cagiole, Caggiolo, Cafaggiolo, Gaggioleto, Gaggiolo, Gaiole. Aus den Urkunden lassen sich sehr zahlreiche cagium, cafagium mit possessivem Genitiv beibringen, und zwar ist die zweite Form, die Davidsohn, Forsch. I 37 offenbar für die Grundform des seiner Meinung nach von campus und fagus abgeleiteten Wortes nimmt, relativ jung (ich finde sie erst 857, Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 740). Rothari 319. 320 hat gahagium, die ältesten Luccheser Urkk. cahagium: z. B. 747 und 773, Mem. e doc. V 2 n. 38. 143. An der Etymologie ga-hag Gehege kann kein Zweifel sein, Bruckner 8. 205. 334. Gualdo: Repetti II 556-558. Terravalda: ib. II 556. IV 511, terra Watda Valda, seit 780, Brunetti II n. 13, Reg. Camald. n. 1. Mein V 2 n. 341. V 3 n. 1273 und öfter. Walda bei Marlia (Lucca): ib. n. 1391.

 

(3) Über -ing Waitz, DVG. I3 84. Bruckner S. 329-333 mit reichen Zusammenstellungen. Lombardei: Seregni l. c. p. 17-18 ohne Einzelnachweise. Vicus Turingus s. o. S. 180 Anm. 1; vicus Elingus z. B. Mem. e doc. V 2 n. 282. 311. 359. 679. Ortsnamen mit fara kann ich in Toscana nicht nachweisen; vgl. Bruckner S. 334. Hartmann, Gesch. II 1 S. 52-53. Brunner, DRG. I2 117. Volpe in Studi stor. XIII 55-58. Leider hat Bruckner die Luccheser Urkk. fast gar nicht herangezogen.

 

(4) Zu Guardistallo vgl. das Register zu Reg. Volat. S. 372 und Repetti II 559; Guastalla heisst Wardestalla im Testament der Kaiserin Angilberga Cod. dipl. Lang. p. 453 n. 270, dazu Bruckner S. 335. Vgl. Mem. e doc. di Lucca V 3 n. 1590 Stallo Murillatico.

 

(5) Poggio Fontenassa auf der Generalstabskarte Blatt 129 südlich vom Montamiata, nordwestlich vom M. Civitella, Ad Spangas Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 530 neben campo Nantari; a la Spranga Reg. Cap. Lue. n 1172.

 

 

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an altes Sondergut erinnert Sundrilascio (1), das durch Volksetymologie zu einem vermeintlichen Heiligen Sant’Arlascio geworden ist. Zahlreich sind aber einzelne Namen von Grundstücken, Tälern, Bächen, Höfen, Burgen mit Beifügung des langobardischen Besitzers : der vicus Gundvaldus, ricus Tiari, vicus Willeradi, vicus Amilonghi, die sala Witinghi, die massa Gongili und die massa Grausi Massarosa w. Lucca, die rivi Windolfus und Wappalus, der campus Nantari und der romanisiert langobardische campus Rudaldaticus, der campus da Arnichisi, die casalia Filvarti und Asi, der collis Berlingus, castellum Ulf und Aghinulfi, das cafagium Hisimbaldi (2), die vallis Chunichisi (3) im Tal der Evola, aus der die merkwürdigste Volksetymologie den heutigen Namen Balconevisi gemacht hat, zeugen von der Tätigkeit des Germanentums in Toscana, freilich vorwaltend im Lucchesischen, wo sich auch einige Namen finden, in denen man die Suffixe -heim, -ham und -lar erkennen könnte:

 

 

(1) Z. B. ib. V 2 n. 158. V 3 n. 1279 und oft, V 2 n. 786 vicus Sundrilascius.

 

(2) Ib. V 2 n. 504 (Repetti II 473. V 538. 755). 913. IV 1 n. 63. V 2 n. 246. 440. V 3 n. 1275 (und 2 Sala IV 1 n. 27, dazu Vico Auseris sala Repetti I 170. V 757-764. später Auserissola, jetzt Bach Seressa; die Grundform hat sala: Pisa, Mensa Arcivesc. n. 33 von 960). V 2 n. 137. Massa Grausi = Massarosa Urk. Hugos und Lothars II. B. 1389. Rivus Windolfus (vgl. Bruckner S. 329 vicus Ludolfus u. a.) Mein. Lucca V 2 n. 314 (als Ort n. 384. 913. V 3 n. 1103) und öfter. Wappalus (Wappaus) V 2 n. 973. V 3 n. 1233. 1352. 1357 : vgl. Repetti III 461; campus Rudaldaticus V 2 n. 440. Die andern: V 2 n. 305. 310.472. Collis Bertingus steht in den Luccheser Kirchenkatalogen, vgl. dazu Repetti I 764. Über die beiden Kastelle s. o. S. 38. 50 Anm. 2. 57 Anm. 2. Cafagium Hisimbaldi Mem. Lucca V 3 n. 1580; der Sohn des Hisimbald, Willeram, lebte noch um 980 und wird häufiger in den Luccheser Urkk. erwähnt. Zu diesen uneigentlichen Ortsnamen Bruckner S. 328-329.

 

(3) Repetti I 254 hat die Herkunft von Balconevisi nicht erkannt, gibt aber III 406, nachdem die älteren Luccheser Urkk. inzwischen bekanntgeworden waren, die Etymologie und ältere Geschichte des Ortes. Das Register zu Mem. e doc. di Lucca V 3 p. vn erklärt Valle Cunichisi als luogo della Pieve di Quaratiana. Im Luccheser Kirchenkatalog von 1260, ib. IV 1 App. p. 47. finden wir innerhalb der Pieve Quaratana (Corazzano im Tal der Evola) die eccl. s. Petri de Valconeghisi, und ebenso 1276. Diese Peterskirche ist 916 gegründet worden, und zwar in valle Chimichisi: Mem. IV 3 n. 60 = V 3 n. 1167, vgl. noch n. 1231. 1568 (die Orte des Kirchspiels im Jahre 983). Der Name Chunichis z. B. 873. V 2 n. 824: aber kaum identisch mit dem, der dem Tal den Namen gab. In der Urk. von 916 wird ein nahes Tal vallis Barbatuli genannt. 983 vallis Lupili. Repetti meint, dass der ältere Name, 865 nachweisbar, Montelabbro gewesen sei, wo später (l. c. n. 1231) eine nicht mehr bestehende Peterskirche erwähnt wird; eher möchte ich denken, diese habe auf der Höhe gelegen und sei nach ihrem Einsturz tiefer unten, im Tale des Chunichis. wieder anfgebaut worden. Die von Jung, Itinerar Sigerics, in Mitteil. XXV 63 vorgenommene Identifizierung der Station der Frankenstrasse Sande Petre currunt mit Balconevisi, weil es in der Pieve Corazzano lag, scheint mir aus sprachlichen und topographischen Gründen bedenklich.

 

 

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so Guamo, älteste Form Wlamo, und Sculcamo Salisciamo, dazu Asulari, wenn es nicht doch romanisch und Ad solarium ist, wie wohl sicher der vicus Wallari San Genesio auf Valerius zurückgeht (1). So wird man sich auch nach den Orts- und Rodungsnamen das Land noch im wesentlichen in dem Kulturstand denken müssen, den es in der Römerzeit hatte (2), und die wirtschaftlichen Eroberungen der Langobarden und ihrer toscanischen Nachfolger nicht allzu weit ausgedehnt vorstellen dürfen: es waren bestimmte, uns wohlbekannte Gebiete, die von ihnen dem Ackerbau gewonnen wurden, an grosse zusammenhängende Gebiete langobardischer Siedlung und Landeskultur darf man nicht denken. Trotzdem genügt ein Vergleich des antiken und heutigen Arnound Serchiotales, um die Bedeutung der langobardischen Kulturarbeit für Toscana richtig einzuschätzen.

 

 

(1) Wlamo Mem. e doc. V 2 n. 30. a. 740. Schulcamo n. 697. über Salisciamo (V 2 n. 126. V 3 n. 1749 und oft) s. Repetti V 10 unter Salissina. Asulari = Vico in Val di Serchio: Repetti I 166. 524. V 754. Oft genannt: 2 n. 1004. 1027 u. s. w.; doch V 3 n. 1344 u Solario, also wohl lateinisch. Über Vico Walleri, Wallari s. neben Jung a. a. O. S. 64 besonders Repetti I 352-353, der den Namen für langobardisch hält, dazu VI 32. Überwiegend ist die Form Vallari, Wallari, Walari, doch 883, Muratori, Antiq. Ital. III 1039, Valleri. — Einige Ortsnamen, die vielleicht germanisch sind, die ich aber nicht zu erklären vermag: Asilatto, Aslagito (= Bibbona an der Cecina; Repetti I 157. 162. Beispiele Mem. e doc. di Lucca IV 1 n. 58. V 2 n. 188. 570. 667. 728. 812. V 3 n. 1322. 1518. Reg. Sen. I n. 141 (künftig Reg. Massanum). D. H II. n. 285. Eowurno (jetzt Vorno bei Lucca, Repetti V 836 kennt die Grundform nicht) Mem. cit. V 2 n. 797. V 3 n. 1252. 1256. 1274. 1421. Stranipagio, Strampudio (vielfach verlesen) : ib. V 2 n. 836. V 3 n. 1190. 1253. 1622. 1689. Der bei Repetti fehlende Ort lag bei Pontetetto. Canpo Duabbaro ib. n. 1233. Clascurule n. 1186. — Dagegen ist lama (oft als Flurname oder sonst erwähnt, z. B. Mem. e doc. V 3 n. 1521. 1661. Reg. Volat, n. 79, wo es im Glossar falsch erklärt ist) trotz Paulus, Hist. Langob. I 15, dem früher die Germanisten folgten (Bruckner S. 183. 208), ein klassisch lateinisches Wort, worauf Mommsen, Hist. Schr. III 501 hinweist. Vgl. Körting n. 5398. Langobardisch dagegen ist im Urkundenlatein der Ausdruck terra rauda 775, Brunetti Un. 3 (so zu lesen, raudacis der Druck).

 

(2) Die Ansicht Darmstädters S. 304 : “In der langobardischen Zeit war der Boden Italiens wahrscheinlich weitaus zum grössten Teil und ziemlich intensiv angebaut„, trifft, wenn überhaupt, so jedenfalls für Toscana nicht zu, wie schon die Bemerkungen zu Anfang des Kapitels zeigen dürften, richtig Davidsohn, Gesch. I 136 und wenigstens für Lucca Salvioli, Sullo stato e la popol. d’Italia p. 42, der dann p. 43 für einen grossen Teil des übrigen Toscana ohue Begründung den germanischen Invasionen die Schuld an der Verödung zuschreibt. Mit Ausnahme der Malaria an den Küsten (s. o. S. 176) liegt hier unzulässige Generalisierung von Einzeltatsachen vor, wenn er die Verwüstung übertreibt, und im übrigen fehlt der Nachweis, dass die Ödländer im Altertum angebaut waren.

 

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