Die Reichsverwaltung in Toscana von der Gründung des Langobardenreiches bis zum Ausgang der Staufer (568-1268). I. Die Grundlagen

Fedor Schneider

 

IV. KAPITEL.

Siedlung und Rasse in Toscana bei der langobardischen Eroberung: Römer und Langobarden, Stadt und Land. Die Landnahme der Langobarden.

 

Über antikes Städtewesen:

·       E. Kulm, Die städtische und bürgerliche Verfassung des römischen Reiches bis auf die Zeiten Justinians, 2 Bd. Leipzig 1864.

·       W. Liebenam, Städteverwaltung im römischen Kaiserreiche, Leipzig 1900.

Daneben noch immer

·       Carl Hegel, Geschichte der Städteverfassung von Italien seit der Zeit der römischen Herrschaft bis zum Ausgang des XII. Jahrhunderts (2 Bd. Leipzig 1847) I 1-150.

·       Marquardt, Römische Staatsverwaltung I2 3-215. Mommsen, Römisches Staatsrecht III 2 773-823. Karlowa, Römische Rechtsgesch. I 894-903.

 

Über Grossgrundbesitz und Kolonat im ausgehenden Altertum:

·       Segre, Studio sull’origine e sullo sviluppo storico del colonato romano, in: Arch. giurid. vol. 42. 43. 44. 46 (1889 ff.), daneben noch

·       Eustel de Coulanges, Recherches sur quelques problèmes d’histoire I, Le colonat Romain (1885).

·       O. Seeck, Art. Colonatus, in Pauly-Wissowa, RE. IV 1 S. 483-510.

·       M. Weber, Die römische Agrargesch. in ihrer Bedeutung für das Staat- sund Privatrecht, Stuttgart 1891 S. 220-278.

·       His. Die Domänen der römischen Kaiserzeit, Leipzig 1896.

·       Schulten, Die römischen Grundherrschaften, in Zeitschr. f. Sozial- und Wirtschaftsgesch. III (1895) 149-176. 297-405 (auch separat, Weimar 1896).

·       Salvioli, Sulla distribuzione della proprietà fondiaria in Italia al tempo dell’impero romano, in Arch. giurid. N. S. Ili (1899) 211-246, 499-539.

·       Rostowzew, Art. Kolonat, in Handwörterbuch der Staatswissenschaften 3 V 913-921, wo reiche Litteratur.

·       M. Weber, Art. Agrargesch. des Altertums, ebenda I 52-188.

·       Rostowzew, Studien zur Gesch. des römischen Kolonats, Leipzig 1910.

·       Schulten, Der röm. Kolonat, in Histor. Zeitschrift LXXVIII 1-17.

Altere Litteratur im übrigen bei

·       Hartmann, Gesch. Italiens I 48 Anm. 4.

 

Allgemein über den Niedergang der Volkswirtschaft in der späten Kaiserzeit:

·       Beloch, Die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt, Leipzig 1886.

·       Ed. Meyer, Die wirtschaftliche Entwicklung des Altertums, Jena 1895.

·       O. Seeck, Gesch. des Untergangs der antiken Welt I1, Berlin 1895; 2 1910.

Beste Zusammenfassung bei

·       Hartmann, Gesch. Italiens I 1-50.

 

Gothen und Byzantiner:

·       Dahn, Verfassung des ostgoth. Reiches in Italien (Könige der Germanen Bd. III).

·       Hartmann a. a. O. Bd. I. Mommsen, Ostgothische Studien, in Ges. Schr. VI (= Hist. Schr. III) S. 362-484. Auch

·       Hegel a. a. O. S. 99-125.

 

Die langobardische Ansiedlung und das Verhältnis zu den Römern:

Die ältere Litteratur bei

·       Hegel a. a. O. I 337-499 und

·       Salvioli, Manuale di storia del diritto italiano 3 (1899) p. 169 § 118; davon wertvoll:

·       v. Bethmann Hollweg, Über den Ursprung der lombardischen Städtefreiheit, Bonn 1846, und

·      C. Troya, Della condizione de’ Romani vinti da’Longobardi e della vera lezione d’alcune parole di Paolo Diacono intorno a tale argomento, Napoli 1841 (= Storia d’Italia del medio evo vol. I).

·       Pr. Schupfer, Delle istituzioni politiche longobardiche libri due, Firenze 1863. Jetzt kommt neben

·       Hartmann, Gesch. Italiens Bd. II besonders

·       v. Halban, Das römische Recht in den german. Volksstaaten (in Gierkes Unters, z. Deutschen Staats- u. Rechtsgesch. Heft. 64) Bd. II (1901), Teil 6, Das Reich der Langobarden, S. 1-203 in Betracht. Dazu

·       C. Cipolla, Della supposta fusione degl’Italiani coi Germani nei primi secoli del medio evo, in Rendiconti della R. Accad. dei Lincei V serie IX 329-360, 369-422, 517-563, 567-603.

 

 

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·       Salvioli, Contributi alla storia economica d’Italia nel medio evo I, Sullo stato e la popolazione d’Italia prima e dopo le invasioni barbariche, in Atti della li. Accad. di Palermo serie III vol. V (1899) 1-76.

Der einst berühmte Artikel von Pr. Schupfer, Aldi, liti e Romani, in Enciclopedia giuridica italiana I 2 (1892) 1120-1195 (vgl. derselbe, Degli ordini sociali e del possesso fondiario appo i Longobardi, in SB. der Wiener Akad. d. W. Phil.-hist. Cl. XXXV, 1860, 269-305. 391-501), der die von Hegel aufgenommene These Troyas, die Römer seien zu Aldien geworden, widerlegt und von grosser Wirkung auf die herrschende Doktrin war, ist auch neben v. Halbans Ergebnissen noch heranzuziehen, vgl. derselbe, Il diritto privato dei popoli germ. II 49-57. Gute Zusammenfassung bei A. Solmi, Storia del diritto italiano (1908) p. 23-161.

 

 

Zu den verschiedenen Rassen von Ureinwohnern und Einwanderern, die seit dem Ausgang der römischen Republik in Etrurien zu einem einheitlichen Volke von Italikern zusammenwuchsen und seit der Lex Iulia von 89 v. Chr. wegen des ihnen allgemein zustehenden römischen Bürgerrechts als Römer bezeichnet werden können (1), traten im Altertum noch manche fremde Elemente! Asiatische Sklaven und Freigelassene, die typischen Figuren des Davus, Draucus oder Ratta der römischen Komödie, abhängige Leute aus andern Gegenden der Peripherie des Reiches (2), orientalische Händler, die den Arno vom Portus Pisanus herauf oder von Faenza herüberkamen und vielfach in Kaufmannskolonien sesshaft wurden (3), vermischten sich mehr und mehr mit den Einheimischen,

 

 

(1) Oben S. 7.32. Hegel I 10-15. Hartmann I 3-6.

 

(2) Hartmann S. 4-5: “Seit der Einigung Italiens sind Personen italienischer Abstammung kaum mehr zu Sklaven gemacht worden; dagegen wurden durch ein oder zwei Jahrhunderte jährlich Zehntausende von Sklaven... nach Italien gebracht.., und weiterhin: “Um das Jahr 400 n. Chr. mag es vielleicht im italienischen Mittelstände keinen gegeben haben, der rieht durch irgend einen Urahnen Sklavenblut in seinen Adern hatte, keinen Hochgeborenen, der sich auch nur rein italienischer, geschweige denn latinischer oder römischer Abstammung rühmen konnte„. Dazu Salvioli, Sullo stato e la popolazione d’Italia p. 26. Seeck I2 308-336.

 

(3) Vgl. Hartmann S. 179 und die Angaben von R. Davidsohn, Gesch. von Florenz I 39.42 über die griechischen Inschriften des ältesten Florentiner Kirchhofs bei S. Felicita sowie allgemein die Studie von P. Scheffer-Boichorst, Zur Gesch. der Syrer im Abendlande, jetzt in Ges. Schr. II 187-224. A. Harnack, Gesch. der christl. Mission (1902) S. 13 hat auf den Zusammenhang der Verbreitung des Christentums mit dem Weltverkehr hingewiesen. Eingehende Studien der toscanischen Heiligenpatrozinien, deren Ergebnisse ich wegen allzu loser Verknüpfung mit dem Thema hier nur andeuten kann, haben die im Text angegebene Richtung als die der ältesten christlichen Mission ergeben, vgl. auch Harnack S. 504. In dieser allerersten Periode ist der Kult oströmischer Heiligen wie Vitalis, Antonius Abbas, Agatha, die in der Emilia (Diözesen Faenza und Bologna) weit häufiger sind, in die grösseren Städte, besonders Florenz, Pisa, Lucca, gedrungen, findet sich auch an den Strassen auf den Passhöhen, so z. B. der Futa, kam dagegen nicht weiter zu den Städten des Südens und überhaupt selten in das platte Land. Hierher wird auch der Reparata-Kult gehören, über den Davidsohn S. 37-39 und Forsch, zur Gesch. v. Florenz I 19-20 zu vergleichen ist. Doch möchte ich nicht mit Dav., Gesch. S. 54 die Kirche des Apollinaris in Florenz deswegen für byzantinisch erklären, weil diese Invokationaus Ravenna bekannt ist; sie findet sich noch in Spardacho (Vallebuia bei Lucca) : Mein, e doc. di Lucca Y 3 n. 1359, und in Turrita bei Arezzo : Pasqui n. 272; man kann kaum glauben, dass dort zwischen 552 und 568/69 genug Byzantiner in Garnison standen, um sofort das Bedürfnis nach eigener Kirche zu rechtfertigen. Kirchen stadtrömischer Heiligen gehören wohl einer späteren Schicht an. Ob der griechische Ortsname von Empoli (Nissen I 292 nach Cluver) dieser Strömung zuzuschreiben ist, bleibt unklar. In der Nähe fliesst die Evola, die im VIII. Jahrhundert Eubula hiess. Aber in der hohen Romagna findet sich bei Modigliana ein Flüsschen Ivola, und so heisst der toscanische Fluss auch Ivulu: Reg. Sen. n. 39; fluvius Eubula z. B. Mein, e doc. di Lucca V 2 n. 718. V 3 n. 1057. Die Era, auch Hera (s. das Register des Reg. Volat. S. 365), heisst fluvius Eira: ib. Y 3 n. 1653. Da keine antike Form überliefert ist, kann man keine weiteren Schlüsse aus dem Namen ziehen. Über griechische Ortsnamen auf Elba vgl. die Studie von R. Sabbadini, Le parole greche nella toponomastica dell‘ Elba, in Miscellanea di archeologia, storia e filologia dedicata al prof. A. Salinas (Roma 1911).

 

 

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die selbst immer von neuem die besten, tatkräftigsten Persönlichkeiten in ewig wiederholtem Aderlass hergeben mussten, um die Herrschaft der Respublica Romanorum in den Provinzen aufrecht zu erhalten (1). Italien war wehrlos, als die germanische Sturmflut den Limes sprengte und über die Alpen hereinbrach (2); Radagais und Alarich verkündeten den schwächlichen Epigonen der Weltbezwinger den Untergang ihrer Universalmonarchie.

 

 

(1) Seeck I2 269-307. Über das Personal der Zentralverwaltung vgl. O. Hirschfeld, Die kaiserlichen Verwaltungsbeamten bis auf Diokletian2 (1905) S. 411-413. Über Soldaten aus Italien und besonders aus der regio VII: Seeck in Rhein. Mus. XLVIII 602-621. Domaszewski bei Pauly-Wissowa II 2620. L. Hahn, Rom und Romanismus im griech.-röm. Osten (1906) S. 65. 160-161. Derselbe, Zum Sprachenkampf im röm. Reich bis auf die Zeit Justinians, in Philologus 1907 S. 685-686. Systematische Aussendung von Kolonien in den Orient: Hahn, Rom und Romanismus S. 58-61. 92-96. 148-149 (S. 148: “ Die Abnahme der Expansionskraft des Römertums gibt sich in diesem Zeitraum (von Tiberius bis Trajan!) darin zu erkennen, dass die von Augustus versuchsweise begonnene Kolonisation des Ostens nur in schwächlicher Weise fortgesetzt ward „). Zum Sprachenkampf S. 680-682. Römische Kaufleute und Steuerpächter im Osten: Hahn, Rom und Romanismus S. 28. 67-71. 188-190. Zum Sprachenkampf S. 688-690. Budinszky, Die Ausbreitung der lat. Sprache S. 181-267 für die einzelnen Provinzen. Marquardt I2 122.

 

(2) Vgl. noch immer Gibbon, History of the decline and fall of the Roman empire, 6 Bd. (1774-1788). Dazu etwa Gregorovius, Gesch. der Stadt Rom im Mittelalter I4 120-144. Nissen II 121-130. Seeck S. 391-428. Hartmann I 27. 31. 34. Auf die moralischen Ursachen des Niedergangs der Rasse legt neben den wirtschaftlichen besonderes Gewicht Salvioli, Sullo stato e la popolazione d’Italia p. 15-31.

 

 

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Italiens Bevölkening verminderte sich unaufhaltsam (1), die Felder lagen brach (2), und schon hat man besiegte Germanen und sarmatische Truppen in Italien ansiedeln müssen (3). Aber erst die Langobarden haben der siechen Rasse neue Lebensfrische gebracht.

 

Latifundia perdidere Italiam, in diesem Schlagwort fasste der ältere Plinius klar und erschöpfend wie in einer mathematischen Formel die letzten Ursachen des Untergangs der antiken Welt zusammen (4). Der Ackerbau der Kleinbesitzer lohnte sich infolge des Preisdrucks, den die Produkte kulturell tiefstehender, bedürfnisloser und deshalb billig arbeitender Provinzbevölkerungen ausübten, nicht mehr, die Bauern, infolge von Roms Weltpolitik dezimiert und wirtschaftlich ruiniert, wurden hauptstädtische Proletarier und fielen dem Staate zur Last; gern Hessen sie sich von den Händlern und Kapitalisten, den equites Romani, auskaufen, und so ging der Eigenbetrieb zurück, die grossen Herrschaften wuchsen. Immer mehr Weizenboden wurde zur Viehweide degradiert, die weniger Arbeitskräfte erforderte und sich besser rentierte, und wo einst kinderreiche Bauernfamilien, das von Horaz besungene Idyll der Sabiner, mit ihrem Rindergespann die eigne Scholle pflügten, da streifte jetzt nur noch selten ein einsamer Hirt zu Ross als Hüter fremder Herden durch die verödete Campagna (5).

 

 

(1) Salvioli p. 5. 10-13. 15, zum Teil auf den von Beloch, Bevölkerung der antiken Welt aufgestellten Berechnungen fassend, die Hartmann I 48 Anm. 3 für nicht immer haltbar erklärt; die Tatsache erkennt dieser S. 5-7 ausdrücklich an und beweist S. 120, dass sich auch unter den Gothen nichts änderte. Die populi, qui more segetum excreverant, die Paulus II 32 im Anschluss an Gregor I. Dial. III 38 etwa zu 575 erwähnt, sind sehr zu Unrecht öfters als einwandfreies Quellenzeugnis herangezogen worden; sie sind rhetorische Ausschmückung und besagen für die nüchterne Wirklichkeit gar nichts. Vgl. auch Seeck I2 337-390.

(2) Salvioli p. 5-10. Hartmann I 8-14.

(3) Hartmann S. 5. 25. Salvioli p. 30, der richtig bemerkt, dass Italiener mit germanischem Typus ebenso gut auf diese wie auf Gothen und Langobarden zurückgehen können.

 

(4) Mommsen, Das Dekret des Commodus für den Saltus Burunitanus, jetzt Jur. Schr. III 173-176, hat an dieser Auffassung Kritik geübt; doch kommen seine Einwendungen im ganzen darauf hinaus, dass es in Italien Kleinbauern gab, die ja zu Anfang (Cod. Theod. XII 1, 33) neben der Pacht Eigengut haben konnten. Dass diese aber später nicht kleine Grundbesitzer, sondern die ursprünglich völlig freien Kolonen waren, darf als sicheres Ergebnis der oben angeführten neueren Forschungen über den Kolonat gelten (und geht auch aus der Diokletianischen Steuerverfassung hervor). Auf diese muss ich mich auch im folgenden beziehen, da ein Eingehen auf die Einzelheiten zu weit führen würde. Mommsen hatte die wirtschaftliche Einheit der beiden in der Villa verbundenen Teile des fundus nicht so scharf betont; die Darstellung bei Hartmann S. 13-15 wurde im Text im ganzen rezipiert. Hier sei noch besonders auf Salvioli, Sulla distribuzione della proprietà in Italia verwiesen.

 

(5) M. Weber, Röm. Agrargesch. S. 228 Anm. 25.

 

 

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Freilich hat in der nördlichen Hälfte Italiens und auch in Tuscien diese extensive Wirtschaft nie das Übergewicht erreicht (1); aber die freien Bauernschaften, die sich hier hielten, hatten ihr Eigen nicht bewahren können, sie sassen als Kleinpächter, als Kolonen auf fremdem Boden, und die wirtschaftliche Entwicklung hat ihre Freiheit mit der Zeit immer mehr beschränkt (2).

 

Die Latifundien sind Grossgrundbesitz ohne Grossgrundwirtschaft; diese Betriebsform hat in Italien bis heute im Gegensatz zu den nördlicheren Ländern das Übergewicht behalten. Der Mittelpunkt der Einzelwirtschaft ist die villa, Sommeraufenthalt des Besitzers und Wohnung des Verwalters, actor oder villicus, oder des Grosspächters, conductor, an den das Gilt ausgetan war. Diese Verpachtung scheint sogar die Regel gewesen zu sein (3). In der villa lebt die familia, das unfreie Hausgesinde, beschäftigt mit Mahlen, Backen und zeitweise mit der Bereitung von Heu, Öl und Wein, sowie mit den unentbehrlichsten gewerblichen Aberrichtungen wie denen des Schneiders und Schusters (4). Zur Eigenwirtschaft der villa gehörte eben der Wein- und Ölbau (5), ferner die Weidewirtschaft auf dem ausgedehnten unbeackerten Gras- und Waldboden; Hirten und Herden fanden, soweit sie nicht das ganze Jahr draussen blieben, in den Wirtschaftsgebäuden Unterkunft. Heben diesem Hoflande unterstand der Villa das Pachtland der Kolonen; beide Teile bildeten eine unauflösliche wirtschaftliche Einheit.

 

 

(1) Weber S. 228. Rostowzew, Art. Kolonat a. a. O. S. 917. Salvioli, Popolazione p. 24. Mommsen, Die ital. Bodenteilung n. d. Alimentartafeln, Hist. Schr. II 135-145.

(2) Mommsen S. 141. Hartmann S. 16. Salvioli p. 23. Von den späteren Phasen dieses Prozesses wird noch die Rede sein.

 

(3) So auf den Domänen: Hirschfeld S. 129: doch waren die Verhältnisse auf den Privatgütern offenbar ähnlich, ebenda Anm. 4. Auch auf den Patrimonien der römischen Kirche war Vergabung an einen conductor die Regel : Hartmann II 1 S. 144, der eine den Domänenpächtern (Hirschfeld S. 130-131 über ihre angesehene Stellung) gegenüber wesentlich verminderte soziale 'Geltung der kirchlichen conductores annimmt; doch waren unter den staatlichen selbst Freigelassene : Rostowzew, Gesch. der Staatspacht im Altertum S. 445. Eigenwirtschaft des possessor selten : Mommsen S. 138-141.

(4) Das ist der Ursprung der Hofhandwerker, aus denen die sogen, hofrechtliche Theorie das Zunftwesen ableitete; s. dagegen Keutgen, Ämter und Zünfte (1903) S. 18-47 (die Handwerker der Grundherrschaften) und 48-60 (die grundherrschaftliche Wirtschaftsweise und der Markt). In Wirklichkeit waren die Verhältnisse im Mittelalter nicht gar so arg von den spätantiken verschieden. Vgl. für Deutschland bes. G. v. Below, Territorium und Stadt S. 303-343 und Die Entstehung des Handwerks in Deutschland, in Zeitschr. f. Soz.- u. Wirtschaftsgesch. V 124-164. 225-247.

(5) G. Luzzatto, I servi nelle grandi proprietà ecclesiastiche italiane dei sec. IX e X (Pisa 1910) p. 55-59, vgl. 78-118. Hartmann, Analekten zur Wirtschaftsgesch. Italiens S. 52-53. M. Weber, Röm. Agrargesch. S. 225-235.

 

 

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Wie den Kolonen die Mühle und die ganze gewerbliche Tätigkeit der Villa, die Weidebenützung (1) und anderes unentbehrlich waren, so konnte die Eigenwirtschaft nur mit den Arbeitskräften der fronpflichtigen (2) Kolonen betrieben, die Sklavenschaft der Villa, die nur wenig Brotkorn baute, mit deren Naturalabgaben ernährt werden (3). Diese Betriebsform finden wir denn auch fast unverändert auf den Patrimonien der römischen Kirche unter Gregor I. (4) und im ganzen noch im VIII. Jahrhundert in der Sabina (5), wo die Langobarden offenbar nicht zahlreich genug waren, um die Entwicklung der nördlichen Landesteile herbeizuführen.

 

Die Städte waren mit dem Land zu einem untrennbaren Ganzen verbunden. Wie der Kolone die Villa, so brauchte die ganze Landbevölkerung trotz der kleineren, periodisch stattfindenden Märkte (6) den städtischen Hauptmarkt und die gewerblichen Erzeugnisse der Handwerker (7). Die possessores, die mittleren Grundbesitzer, denen ein grosser Teil des Territoriums gehörte (8),

 

 

(1) Über diese herrschaftlichen compascua oder pertinentiae (Hartmann, Gesch. Italiens II 2 S. 11; Analekten S. 105-113 leugnet die von Leicht, Studi sulla proprietà fondiaria I 37-44 behauptete Allmende für spätere Zeit) M. Weber, Art. Agrargesch. a. a. O. E. Mayer, Ital. Verf.-Gesch. I 281. 288 nicht ganz klar.

(2) Hartmann I 14.

(3) Weber S. 237. Hartmann S. 13. Hirschfeld S. 130.

(4) Hartmann II 1 S. 142-146, Litteratur daselbst S. 157-158 Anm. 10-12; hier kann auf die wichtige Materie nicht weiter eingegangen werden.

(5) In den Farfeser Urkunden begegnen uns zahlreiche coloni, anch noch einzelne conductores (vgl. Quellen und Forsch. XIII 235 Anm. 2), häufig sind actores (actionarii). So oft auf diese Agrarzustände gelegentlich verwiesen ist (z. B. Troya, Della condizione de’ Romani p. 232-234 und Luzzatto a. a. O. an vielen Stellen), so wenig sind sie erschöpfend behandelt, und das liegt unserm Gegenstände auch zu fern.

(6) In den Latifundien : Weber S. 272. Salvioli p. 24 n. 1. Hartmann, Analekten S. 92. E. Mayer I 353. Kuhn I 174-256. His S. 113. Die fora, städtische Ansiedlungen an grösseren Strassen, meist in deren Mitte, nach dem Erbauer benannt (Liebenam S. 462. Mommsen, Rom. Staatsrecht III 798. Marquardt I2 10-12) waren damals bereits zu den grösseren Stadtgebieten geschlagen.

(7) Hartmann, Analekten S. 91-93.

 

(8) Ebenda S. 91. Gesch. Ital. Il 1 S. 17. Gegenüber den bekannten düsteren Schilderungen von der Lage der Kurialen und Possessoren (Hegel I 74-79. 109-113 und überhaupt so ziemlich in der Litteratur von Savigny bis Liebenam) hat E. Mayer I 48-57 eine weniger ungünstige Vorstellung, der H. Niese in Zeitschr. d. Savigny-St. XXXII Germ. Abt. S. 375 Anm. 6 die zur Kurie pflichtigen kaiserlichen Kolonen mit 25 iugera Eigengut nicht hätte entgegenhalten sollen; diese haben nichts mit den späteren zu wirtschaftlicher Unselbständigkeit herabgedrückten Kolonen zu tun, es sind wirklich freie Kolonen der früheren Entwicklungsstufe. Ihr Eigen würde nach der deutschen Statistik schon zu den mittleren Betrieben gehören, obwohl jetzt, nicht aber in der antiken Gutswirtschaft, die unbestellten Gemeinländereien aufgeteilt sind. Kommt dazu noch eine Pachtung, so haben wir selbst in diesem untersten Grenzfall einen ganz respektabeln Gutsbesitzer einer Ackerbürgerstadt vor uns. Gegen die bereits von v. Savigny, Vermischte Schr. II 76 geltend gemachte Vorstellung, die Possessoren hätten Zwergbesitz, vgl. bes. Zachariae v. Lingenthal, Zur Kenntnis d. röm. Steuerwesens S. 3-4; Marquardt II2 234: “die possessores, unter welchen man nicht Leute zu verstehen hat, welchen irgend ein kleines Stück Land gehört, sondern Gutsbesitzer, welche von dem Ertrage ihrer Güter leben und den wichtigsten Teil jeder Stadtbevölkerung ausmachen„. Ihnen stehen die negotiatores Gewerbetreibenden gegenüber.

 

 

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wohnten vorzugsweise in der Stadt und waren die in ihr massgebende Schicht, aus der sich die curia ergänzte; Rom hatte seinen Einfluss auf die Stadtverwaltungen überall zur Schaffung eines aristokratischen Regierungssystems benützt, von dem die negotiatores und Handwerker (1) ausgeschlossen blieben. Das Stadtgut, besonders aus ausgedehntem Wald- und Weidegebiet bestehend (2), brachte auch in erster Linie dem Grossgrundbesitz Hutzen, der es für seine Herden pachtete; wenn heute noch die Schafe im Sommer im Appennin oder in den Abruzzen, im Winter in Apulien, der Campagna von Rom oder dem Hügelland von Binnentoscana weiden, so geht diese Ordnung auf uralte, teilweise nachweisbar antike Bräuche zurück (3). Dabei handelt es sich aber wohl meist um die Wirtschaft der illustres, der senatorischen Geschlechter, die den eigentlichen Hochadel mit Besitz in den verschiedensten Landesteilen bildeten (4) und am Hofe oder in den Kulturzentren lebten (5); sie genossen einige Privilegien, die ihr Gut fast völlig von der Stadtverwaltung eximierten und in der Art der mittelalterlichen Immunität zu selbständigen, den Staatsdomänen gleichgeordneten Bezirken machten (6). Die Kirche nahm eine ähnliche Stellung ein (7).

 

 

(1) Hegel S. 53-57. 79-84. Kuhn I 280-281. Marquardt II2 234. Mayer S. 60-63. Hartmann. Analekten S. 22-23. A. Solmi, Le associazioni in Italia avanti le origini del comune p. 18-28. 90-97. Überhaupt A. Stöckle, Spätrömische und byzantinische Zünfte (1911).

(2) Liebenam S. 2-14. Hartmann, Analekten S. 105. Mayer S. 280-284, vgl. Niese S. 388-389.

(3) M. Weber, Röm. Agrargesch. S. 228. Im Mittelalter werden in Toscana vielfach die Schafherden aus der Garfagnana genannt, die im Winter im Volterranischen und Pisanischen weiden: Reg. Volat, n. 572. Bonaini, Diplomi Pis. p. 23 (1156). Ann. Pis. 1172, MG SS. XIX 262. Cod. Pelav. ed. Lupo Gentile, Atti Liguri XLIV 399 n. 410 (1197), vgl. Volpe, Istit. com. a Pisa p. 77 nota 1.

(4) Hartmann, Gesch. Italiens I 14. 306. 358. Mayer I 57-58. 79-80.

(5) Hartmann S. 359. 406.

(6) Leicht, Studi sulla proprietà fondiaria nel medio evo II, Oneri pubblici e diritti signorili (1907) p. 5-38. Hartmann I 22. Mayer I 58-59. 227-228. Seeliger in Histor. Vierteljahrschr. X 305-308. Mommsen, Jur. Schr. III 162-167. Schulten, Grundherrsch, passim. His, Domänen S. 15. Rostowzew, Art. Kolonat S. 918.

(7) Mayer I 228.

 

 

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Mommsen hat die soziale Bindung, die zum Entstehen erblicher Kasten führte und allen Wettbewerb, alles Streben ertötete, mit genialem Blick als das Ergebnis einer Entwicklung erkannt, die mit dem lebendigen römischen Recht in schärfstem innerem Widerspruch stand und den Geist schuf, den man byzantinisch zu nennen pflegt (1). Bekannt ist der Niedergang der Kurien (2), der Hand in Hand mit der wirtschaftlichen Stagnation ging; es war eben kein gutes Geschäft mehr, herrschende Klasse zu sein, zumal der Staat die Kurialen für Fehlbeträge der eingegangenen Steuern haftbar machte (3), dagegen das Ansehen der Kurie durch Ernennung von Aufsichtsbeamten, die die Leitung der Verwaltung an sich brachten, herabsetzte (4). Auch die Kurialen (5), wie die Handwerker und freien Pachtbauern wurden erblich gebunden, und damit hatte der wirtschaftliche Ruin alles soziale Leben vernichtet und dessen äusserem Zeichen, der antiken Kultur, ebenfalls das Grab gegraben.

 

Odovakar und die Gothen haben diese Zustände mit den untauglichen Mitteln der bisherigen Regierungen zu konservieren, weiteren Niedergang aufzuhalten gesucht (6). Durch die Abteilung mit den Römern trat das neue Herrschervolk als Besitzer eines Drittels vom römischen Grundeigentum in den wirtschaftlichen Interessenkreis der possessores (7); in der Stadtverwaltung änderte sich bei der strengen Scheidung von Zivil- und Militärwesen überhaupt nichts (8). Da Theoderich sein Volk wesentlich in der Nordhälfte Italiens ansiedelte (9), scheint für Toscana die Einteilung in eine annonarische und eine suburbikarische Provinz neue Bedeutung gewonnen zu haben. Die suburbikarischen Bezirke, deren Steuererträge für die Versorgung der Hauptstadt mit Brotkorn und besonders mit Fleisch dienten, blieben frei von der Quartierlast, wenn sich auch der eine oder andere gothische Vornehme dort ankaufen mochte (10).

 

 

(1)  Jur. Schr. IlI ITC.

(2) Hartmann I 22-24. Kuhn I 246. Liebenam S. 494-495, dazu oben S. 145 Anm. 8.

(3) Marquardt I2 197. Hartmann I 22-23.

(4) Liebenam S. 480-501.

(5) Und zwar schon in der früheren Kaiserzeit : Mayer I 55.

(6) Hartmann I 107-109.

(7) Ebenda S. 93-97. 109-111. Aus den Nachweisen von Dahn, Könige der Germanen III 5-10 ergibt sich, dass die Gothen vielfach auch in kompakten Massen angesiedelt wurden. Er nimmt aber grosse soziale Unterschiede an: S. 40-41.

(8) Ebenda S. 107. Mommsen, Ostgoth. Studien, in Hist. Schr. III 433.

(9) Hartmann S. 96. Dahn S. 9: besonders in Toscana (Cassiodor, Var. IV 14). Der Widerstand der Gothen in Nordtoscana zeigt, dass ihrer doch nicht so wenige waren.

 

(10) Bekannt ist das Beispiel des Theodahat, dem der grösste Teil von Südtoscana gehörte: Dahn S. 9. Hartmann I 130 Anm. 17: 249. Überhaupt dürften sich die vornehmen Gothen stark dem römischen Adel assimiliert haben, vgl. Hartmann I 99. 261. In den nichtbesiedelten Landesteilen wurde das Drittel durch Geld abgelöst: Dahn S. 145. Dieser macht einen Unterschied zwischen besiedelten und nur mit Garnisonen belegten Ländern; damit könnte die Ablösung Zusammenhängen.

 

 

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Aber wir kennen aus der Kriegsgeschichte der Jahre 552 und 553 diejenigen Städte, die, von Gothen bewohnt, dem Narses Widerstand leisteten (1) : sie liegen in Nordtoscana, der Tuscia annonaria, die in der späteren Zeit der Gothenkriege besondere Bedeutung gewann (2). Die Folgerung ergibt sich, dass die erste germanische Ansiedlung grösseren Massstabs in Toscana gothisch war und die Suburbikaria unberührt liess. Agathias nennt die Gothen in diesen Städten ganz allgemein Pisaner, Lucchesen, Volterraner; bei der Belagerung des den Gothen so wichtigen Lucca, die er eingehend schildert, ist von Römern in der Stadt keine Rede, die Einwohner (3), die Lucchesen scheinen mit der gothischen Besatzung identisch. Man wird wohl zu der Annahme genötigt sein, dass in diesen Gebieten eigentlicher Gothensiedlung die römischen Besitzer verdrängt und wirklich, wie der Chronist ganz allgemein behauptet, in den Kriegszeiten bis zu Totila dezimiert sein werden (4); von der tertia ist da keine Spur zu entdecken. Freilich sagt ein anderes Quellenzeugnis, diese Gothen, die sich nach Agathias vertragsmässig unterwarfen, seien vertrieben worden (5); wohin, erfahren wir nicht, und die ganze Darstellung bei Agathias lässt sich damit vereinigen (6).

 

 

(1) Agathias I 11-14, s. o. S. 51 Anm. 1. 57 Anm. 2. 62 Anm. 2. 86. Vgl. den Brief von Papst Pelagius I. JK. 939 an die Bischöfe der Tuscia annonaria und dazu Duchesne in Mél. d’arch. et d’hist. XXIII 92; oben S. 86 Anm 3. Pelagius schreibt an folgende Bischöfe von Tuscia annonaria, wenn wir Duchesne folgen dürfen: Limi Lucca Pistoia Florenz Pisa Volterra; nach Agathias hielten sich Gothen in Limi Lucca Florenz Pisa Volterra, nur das weniger bedeutende Pistoia fehlt. Die Übereinstimmung ist augenfällig.

(2) S. o. S. 30 über die Bedeutung von Lucca wegen seiner Lage an der Strasse nach Oberitalien, nachdem Pavia die Hauptstadt der Gothen geworden war.

(3) Also nach der Bemerkung von Mommsen, Ostgoth. Stud., in Hist. Schr. III 433 die Possessoren.

(4) Agnellus c. 95. SS. rer. Langob. p. 338: a Basilii namque tempore consulatum agentis usque ad Narsetem patricium provinciales Romani ubique ad nihilum redacti sunt, vgl. Dahn II 239. Hartmann S. 353-354; ferner Auctarium Marcellini, MG Chron. min. II 106 zu 539: Gothi. . . omnes Romanos iuterficiunt (in Mailand). Dazu Salvioli a. a. O. p. 32-35. 56. Natürlich wurde den Römern da am schlimmsten mitgespielt, wo sich die Gothen am längsten hielten.

(5) Agnellus c. 79: Narsis . . . venit Lucam, expulit inde Gothos mensis Septembris; das heisst nur, dass sie nicht gerade in Lucca belassen wurden.

(6) Besonders der Umstand, dass eine förmliche Kapitulation stattfand; dass diese gothischen Abteilungen sich zu den Franken durchgeschlagen haben sollten, wie es Hartmann I 354 sicherlich richtig für andere Volksteile vermutet (vgl. Salvioli p. 61), ist unwahrscheinlich, weil sie gegen den Willen der bei ihnen weilenden fränkischen Sendboten (Agathias I 18) den Byzantinern die Unterwerfung anboten.

 

 

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Gefangene Truppenteile des Feldheers wurden von den Byzantinern in ihre Armee eingereiht oder teilweise nach dem Orient gebracht; das war aber mit grösseren Mengen von Gothenfamilien nicht durchführbar, und die allgemeine Ansicht (1) scheint begründet, dass Überreste der Gothen als byzantinische Untertanen in Italien wohnen blieben. Das wird besonders auf Nordtoscana mit Lucca als Mittelpunkt zutreffen.

 

Unter welchen Lebensformen diese Gothen in Toscana verblieben, werden wir aus ihrer früheren Lage erschliessen können. Da sie ein Drittel der Stadtwohnung, der Güter, Sklaven und Kolonen der possessores erhielten, sind sie keine Bauern geworden (2), sondern in den Städten geblieben; statt der Realteilung fand sogar vielfach die unter Odovakar eingeführte Zahlung der tertia, einer Grundsteuer von 33 1/3 % des Reinertrages, statt (3).

 

 

(1) Dahn, Kehlige der Germanen III 145 Anm. 4. Mommsen, Ostgoth. Stud. S. 475. Tamassia. Fonti gotiche della storia langobarda, in Atti della R. Accad. di scienze di Torino XXXII 20. Halban II 10. 99. So auch Leo I 52 und Davidsohn, Gesch. v. Florenz I 55, während Hartmann a. a. O. die in Italien verbliebenen Überreste der Gothen für geringfügig hält; dabei wird aber hauptsächlich das ziffermössig unbedeutende Feldheer (Salvioli p. 61 62) ins Auge gefasst.

 

(2) Hartmann S. 109-110, dem auch auffällt, dass von einer wirklichen Gothenansiedlung keine Spuren nachweisbar sind: S. 130 Anm. 17. Leicht, Studi II 1 p. 40. Die Barbaritani, die von der Krone im Jahre 939 (Pasqui I 89 n. 64) an Arezzo geschenkt wurden, hat Pasqui I 164 n. 115 nota 2 auf eine ehemalige Gothenansiedlung bezogen. Später heisst der Bezirk, über dessen Lage wir genau unterrichtet sind (Placitum Herzog Gottfrieds, Pasqui I 268 n. 188, dazu ib. p. 302 n. 213), die Barbaritana. Die sors barbarica (gothische Quartierlast nach Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I2 77 Anm. 22), die 540 (Marini, Papiri dipl. n. 115) erwähnt wird, ist wohl die oben S. 147 Anm. 10 erwähnte Ablösung: Dahn S. 143-146. Ortsnamen wie Barbaiano = Monte S. Savino (Pasqui I 295 n. 207j und Barbialla aus Barbarianula im Volterranischen gehören hierher, ob aber die Barbaricini, die einem Ort westlich von Pisa im Reichswald Tombolo (Repetti I 257) den Namen gaben, hier heranzuziehen sind, ist zweifelhaft. Ich möchte sie lieber mit dem gleichnamigen sardischen Bergstamm maurischer Herkunft in Zusammenhang bringen (Prokop, Bell. Vandal. II 13. Cod. Iust. I 27, 2), über den auf Besta. La Sardegna medievale I 14-16. II 261 verwiesen sei. — E. Mayer I 401 nimmt an, die Gothen seien teilweise (in grösseren Verbänden?) auf Fiskalland angesiedelt worden.

 

(3) Hartmann S. 94-95. Salvioli p. 61, der in seinem Zweifel, ob die gothische Landteilung überhaupt praktische Ergebnisse hatte, wohl zu weit geht. Auch Solmi, Storia del diritto p. 37 bezweifelt, dass die Gothen zu Bauern wurden; er vermutet, dass sie im ganzen vorzogen, sich von ihren possessores die ihnen zukommende Quote auszahlen zu lassen. Vgl. Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I2 77. Halban I 112-114. Auch als Grundherrn siedelten die Gothen sicher vielfach in den Städten.

 

 

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Die Gothen lebten eben in den Städten mit ihren Familien als Krieger, als Besatzungstruppen, und wie Abteilungen des Feldheers in das kaiserliche Feldheer gesteckt worden sind, so können eigentlich die gothischen Garnisonen nichts anderes geworden — oder besser wieder geworden — sein, als byzantinische Garnisonen. Darum schweigen die Quellen von den letzten Gothen nahezu völlig : ihre Unterwerfung, die berichtet wird, war eben das einzige Neue, das eintrat; nachdem ihnen durch Annahme ihrer Kapitulation Verzeihung für ihren Aufstand gewährt war, wurden sie wieder, wie vorher, Föderierte des Kaisers, die Italien militärisch zu schützen hatten (1). Da die Gothen, wenn man von etwaigen Sonderbräuchen auf dem Gebiete des Privatrechtes absieht, auch unter Theoderich dem Landesrecht unterlagen und durch die für sie und die Römer gleichmässig geltenden Gesetze ihrer Könige den römischrechtlichen Anschauungen immer näher gebracht wurden (2), ist es einleuchtend, dass Justinians pragmatische Sanktion so wenig Neuerungen brachte (3); seine Ergänzungen zu dem älteren Kaiserrecht sind auch in den von Gothen weniger beeinflussten Provinzen nicht sofort durchgedrungen (4).

 

In Toscana fehlte dazu die Zeit. Kaum war die Rückeroberung Italiens beendet, kaum hatte Narses die letzten Regungen der von Franken unterstützten Gothen erstickt (5) und einen Aufstand herulischer Grenztruppen niedergeschlagen (6), da machte sich König Alboin mit seinen Langobarden aus Pannonien auf, um dem Byzantiner seine hesperische Beute zu entreissen. Am zweiten Ostertage (2 April) 568 versammelte er sein Volk zur Wanderfahrt über die Alpen (7)

 

 

(1) Halban II 17 vermutet, dass die begnadigten Gothen im Besitze ihrer Ländereien blieben. Aligera, der sieh auch durch Vertrag unterworfen hatte, focht später im byzantinischen Heer gegen die Alamannen: Hartmann S. 340. 342. Vgl. den Widin Gothorum comes, der um 561 gegen Narses rebelliert: Paulus II 2.

(2) Dahn II 134-136. III 21-23. Mommsen S. 465-475. Halban I 128-133. Hartmann I 91-92. Paulus II 5 : deleta . . . vel superata Narsis omni Gothorum gente. Ein Hauptbeweis ist die Sanctio pragm. c. 5, die anordnet, dass Verträge, die von Anhängern des Totila abgeschlossen waren, angefochten werden konnten. Also waren diese noch da und im Besitz ihrer Güter; vgl. c. 2 und die edle Gothin Gundihild und die übrigen Gothen in Rieti 557, Marini, Papiri dipl. n. 79 (vgl. p. 265); Ravenna: ib. n. 119 und p. 348.

(3) Hartmann S. 355-361. Die Gothen gehören zu den milites, die auch in der Sanctio pragm. c. 23 den Römern fast wie in Gothenzeit im Edikt Theoderichs gegenübergestellt werden : Hartmann S. 356.

(4) Vgl. Brunner, Zur Rechtgesch. der röm. und germ. Urk. S. 66-71 über die Vollziehungsformel. Solini, Storia del diritto p. 52.

(5) 561-565 nach Duchesnes note 4 im Liber pont. I 307.

(6) Im zweiten Jahre nach Justinians Tode, also 567. Über die Chronologie s. Hartmann I 404 Anm. 1.

(7) Nach Paulus II 7, vgl. Greg. I. Reg. V 39. XIII 41 und die Anm. von Waitz in seiner Ausgabe, dazu Hartmann II 1 S. 23 mit 32 Anm. 15, der nur im Text den 1. April (Osterfest) angibt: alio die post s. pascha Paulus. Die Nachrichten, die das Ereignis zu 569 setzen, sind schon deshalb zu verwerfen, weil die Angabe, dass der Ostertag auf die Kalenden des April fiel, für 568 passt. Mit der Notiz der Excerpta Sangall., Chron. min. I 335, die Langobarden hätten Italien XII kal. apr. betreten, vermag ich nichts anzufangen. Bei Secundus trifft jedenfalls die Erklärung Hartmanns, die Autoren, die 569 überlieferten, hätten einen späteren Zeitpunkt der Eroberung im Auge, nicht zu, da er vom Betreten Italiens spricht; auch der Monat Mai, den er angibt, passt gut zu Paulus II 7.

 

 

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und betrat im Mai (1) den Boden Italiens; in den folgenden Jahren wurde bereits der Appennin überschritten und der grösste Teil von Toscana besetzt (2), wie es scheint, ohne Schwertstreich, denn auch später hören wir nur von Kämpfen an der Südgrenze und im Küstengebiet. Mit Hecht hat man vermutet, die Byzantiner hätten in Tuscien auf Widerstand verzichtet, um ihre Streitkräfte nicht zu zersplittern, da die Entscheidung doch auf der andern Seite des Appennins fiel (3). Noch verständlicher wird die mühelose Eroberung des Landes, wenn die Auffassung zutrifft, dass die Garnisonen der wichtigsten, den langobardischen Heerscharen bei ihrem Eindringen zunächst entgegenstehenden Städte mindestens grossenteils aus Gothen bestanden, die gewiss dem befreienden Bruderstamm freudig gegen den gemeinsamen Todfeind beistanden, zumal dessen Erfolg bei weitem nicht so ungewiss erschien wie der von fränkischen Heerhaufen, von denen die Gothen in Lucca vor 15 Jahren trotz schöner Versprechen im Stich gelassen worden waren (4).

 

Auch die Römer des Südens haben, durch den militärischen Bureaukratismus der Byzantiner bedrückt, anscheinend ohne inneres Widerstreben dem Feinde die Tore geöffnet (5).

 

 

(1) So in dem einzigen erhaltenen Fragment des Secundus, ed. Waitz, SS. rer. Lang. p. 25 n. 3. Vgl. die vorhergehende Anm.

(2) Oben S. 10-11. Hartmanns Auffassung (II 1 S. 44), die noch über die einst von Sackur geltend gemachte hinausgeht, hält (trotz S. 54 Anm. 8 zu Paulus II 26) den Quellen gegenüber nicht Stich; S. 48 kommt fast völlig mit Sackur überein. Richtig Hegel I 152.

(3) So Kehr, Götting, gel. Anz. 1895 S. 704-705: “wahrscheinlich ist Tuscien von den Körnern gleich im Anfang aufgegeben worden; die kriegerische Entscheidung lag am Po und in der Emilia, im übrigen genügte den Byzantinern die Behauptung der Militärstrasse von Ravenna über Perugia nach Rom „. Vgl. oben S. 22 und über die Schwäche der byzantinischen Truppen Salvioli p. 62, über ihren geringen Widerstand Hartmann S. 34. 45 (auch in Oberitalien).

(4) Agathias I 12. Die Preisgabe der tuscischen Gothen muss man zu den Gründen hinzufügen, die Hartmann I 340 zum Verständnis der Kapitulation Aligerns geltend macht.

(5) Allgemein Hegel I 369-370. Liebenam S. 531 Anm. 3. Brunner, DRG. I2 51-52. Hartmann II 1 S. 109. Crivellucci in Studi storici IV-VI. So spricht Mommsen, Röm. Gesch. V 154 geradezu von der Germanisierung der Romanen. Vgl. über Gallien Jung, Die romanischen Landschaften S. 267.

 

 

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Zunächst hatten die Landbewohner unter dem wilden Anprall der langobardischen Krieger zu leiden (1), sie flüchteten in den Schutz der Stadtmauern, und wenn ein Reiterschwarm nach dem andern sengend und brennend, plündernd und raubend über das flache Land dahin brauste, konnte der Bauer nicht mehr sein Feld zu bestellen wagen (2), in den Städten herrschte Hungersnot, und in der auf engem Raum zusammengepferchten darbenden Bevölkerung wüteten bald Pest und Seuchen (3). Da mochte der Arme wie der Reiche denken, wenn doch einmal die Soldateska in Italien gebieten solle, sei es einerlei, ob das die Heruler, Warnen, Slawen, Armenier unter dem Befehl von Offizieren grösstenteils germanischer Abkunft oder die Scharen des Langobardenherzogs seien: wenn dieser nur wieder den Feldbau gestattete! Ein Interesse an der byzantinischen Restauration hatte nur das Heer, das vielleicht auf Befehl des Patricius beim Herannahen der feindlichen

 

 

(1) Auf die Kriegszeit beziehen sich die trostlosen Klagen Gregors I., die von der Litteratur seit Paulus II 32 (Schlusssatz), ohne die Rhetorik richtig zu bewerten, allzu ernst genommen wurden : vgl. etwa Troya p. 70. Hegel I 358-362. Schupfer, Istituzioni politiche longob. p. 39-48. Salvioli p. 37-41. Hartmann II 1 8. 36-38 schildert die Ereignisse am objektivsten. In dieser Frage stimme ich durchaus Mayer I 35-36 zu, der zum ersten Mal, so weit ich sehe, hervorhebt, dass die Langobardenkriege keine grösseren Verheerungen mit sich brachten wie die übrigen in dieser Zeit; Schupfer, Aldi, liti e romani p. 1176 hatte bereits den Klagen Gregors andere Stellen desselben Autors gegenübergestellt, die zeigen, dass sich die Römer vielfach den Langobarden zuneigten. Gerade aus der byzantinischen Kriegführung gegen die Ostgothen kennen wir viele Grausamkeiten; umgekehrt war es nicht anders. Narses selbst scheint ein ausnahmsweise humaner Feldherr gewesen zu sein. vgl. Agathias l. c. Die Langobarden galten als ungewöhnlich wild; im ganzen werden die kaiserlich byzantinischen Truppen den Krieg wohl zivilisierter geführt haben wie die “Barbaren„, aber die Soldaten werden sich weniger unterschieden haben wie die Führer: die langobardischen Herzoge dürften rücksichtsloser verfahren sein wie die Könige, die ihr politisches Interesse, die römische Bevölkerung zu schonen, wohl begriffen. Die Menge der erhaltenen antiken Ortsnamen, die teilweise bis heute unberührt gebliebene römische Flurteilung und die Übernahme der alten Agrarverfassung dürfen in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben. Ferner sind anfangs öfter langobardische Herzoge ins byzantinische Heer eingetreten: Paulus III 18. IV 8.

 

(2) Bei der Lektüre von Paulus II 4 habe ich stets den Eindruck, als wenn die Entvölkerung, die Gregor I. (z. B. Reg. III 13 über Fondi; 20. 29. Y 37. 43. Homil. in Ezech. II 6, 22. Dial. III 38) den Langobarden zur Last legt, vielfach die Folge der Epidemien war: vgl. die Worte des Paulus: Pastoralia loca versa fuerant in sepulturam hominum, et habitacula humana facta fuerant confugia bestiarum. Über Schwinden der Einwohner vor den Germanen-Einfällen vgl. Salvioli p. 10-31 und die bei Hartmann I 354 zitierte Stelle aus JK. 943.

(3) Zusammenstellung bei Salvioli p. 38-39, wo z. B. Gregor v. Tours IV 31 und Exc. Sangall. zu 571. Chron. min. I 336, Agnellus c. 94 übersehen sind.

 

 

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Horden die Städte räumte, jedenfalls aber verdrängt wurde (1), und der nicht ortsansässige hohe Adel, sowie die Kirche. Beide fürchteten mit allem Grund für ihren Einfluss und ihre irdischen Güter; das Imperium hatte ihre Interessen mit besonderer Hingabe vertreten, das Schlimmste aber liess für die einen der Landhunger, für die andere der Arianismus, für beide der politische Gegensatz des Feindes zu den berufenen Vertretern des byzantinischen Patriotismus befürchten (2). Diese Kreise flüchteten, wenn es irgend ging, in die nächsten festen Plätze, besonders am Meer (3), wo die kaiserliche Flotte wirksameren Schutz bot als das in fernen Provinzen kämpfende Landheer und wo im Notfall auch Aussicht auf Rettung in friedlichere Länder war. Daneben war Rom ein Zufluchtsort ungeheurer Menschenmassen.

 

Was dagegen übrig blieb, die mittleren und kleinen Besitzer, die Kurialen, die Zünftler und Kolonen, die von der Klassenpolitik des Staates in dessen einseitigem Interesse in wirtschaftliche Fesseln gelegt waren und denen dessen Ohnmacht jetzt nicht einmal das nackte Leben rettete, wenn den Gegner nach Mord gelüstete: wie konnten diese ein inneres Interesse an dem fernen Kaiser der Romäer nehmen, dessen Vertreter sie nur als Leute kannten, die drückende Steuern erpressten und dem Adel und Beamtentum ihre Vorzugsstellung und die Möglichkeit, rasch Vermögen zu erwerben, gewährleisteten (4)! Das harte Wort vom Klassenstaat war im Abendland kaum je so berechtigt wie damals.

 

 

(1) Deshalb erwähnt Secundus-Paulus mehrfach, wie als wichtigen Umstand, dass bei der Eroberung von Städten die milites verjagt werden : II 26. III 18. IV 23. 28. Es ist doch bei der sprichwörtlichen Wildheit der Langobarden auffallend, dass so oft den byzantinischen Garnisonen freier Abzug gewährt wurde.

 

(2) Adel: Paulus II 31. 32. Dass zahlreiche Vornehme erschlagen wurden, gehört in die Episoden des Krieges und beweist durchaus keine grundsätzlich schroffere Stellung zu den Römern wie bei den Gothen, die in ihren Kriegen ebenso verfahren waren. Kirche: II 32. IV 6 (diese Stelle spielt in der Kontroverse zwischen Duchesne und Crivellucci eine grosse Rolle; wir können hier nicht auf Einzelheiten eingehen). Dass das Gut einer Kirche nicht weggenommen wird, besondere Gnade : Paulus II 12. vgl. Schupfer S. 45-46. Den Zweifel Hartmanns II 1 S. 51 Anm. 2 (vgl. Halban S. 42 Anm. 1) halte ich für unbegründet.

 

(3) Überhaupt Schupfer S. 39. Bischof Cerbonius von Populonia nach Elba: oben S. 12 Anm. 2. 113. Das bewegliche Gut der Kirche von Fiesole nach Luni : S. 68, vgl. die auf der Isola Comacina gefundenen diviciae multae, quae ibi de singulis fuerant civitatibus commendatae, Paulus III 12, dazu IV 3. Auf die bekannten Fälle der Flucht des Mailänder Klerus nach Genua, des von Aquileia nach Grado und auf die zahlreichen Flüchtlinge in Rom genügt es hier wohl kurz hinzuweisen. Flucht der Vornehmen nimmt auch Hartmann II 1 S. 41 als häufig an.

(4) Vgl. Hartmann I 358-368.

 

 

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So kostete es den in der Stadt zusammengedrängten Römern wohl keinen schweren Entschluss, die Tore zu öffnen, vor denen drohend die langobardische Reiterschar hielt, und ihren Anführer als Herrn und Gebieter aufzunehmen (1). Wir stehen nunmehr vor der berühmten wissenschaftlichen Kontroverse, welcher Art die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen waren, die der Langobardeneinfall, dies bestimmende Ereignis in Italiens mittelalterlicher Geschichte, herbeiführte, und können ihr nicht ganz aus dem Wege gehen; das Verständnis der späteren Staatsgeschichte, ja zum grossen Teil auch der politischen Geschichte beruht ganz wesentlich auf der Auffassung, die man sich über die Grundlagen des langobardischen Volksstaates bildet. Dabei ist es nicht mehr erforderlich, die Entwicklung der Streitfrage von ihren Anfängen an zu verfolgen; durch einige vortreffliche neuere Arbeiten (2) ist ein Teil der Hauptschwierigkeiten beseitigt, die einer klaren Anschauung noch entgegenstanden, und wenn wir uns auch keiner der jüngeren Theorien in allen ihren Folgerungen anschliessen werden, erkennen wir doch dankbar an, dass nur durch ihre schöpferische Kritik einer innerlich möglichen Auffassung der Weg geebnet wurde. Nicht durch neue Hypothesen, sondern durch konservativere Interpretation der Quellen und ihre Anknüpfung an die vorausgehende wie an die spätere Entwickelung suchen wir unter Ausschaltung einiger quellenmässig nicht beweisbaren Annahmen der Wahrheit etwas näher zu kommen.

 

Das Problem, genau umgrenzt die Deutung der beiden einzigen Quellenstellen Paulus II 32. III 16, ist schwierig; die Lösungsversuche mögen so zahlreich sein wie die Textworte beider zusammen (3). Dazu ist neuerdings darauf aufmerksam gemacht worden, dass die uns bekannten späteren Agrarzustände einen Zusammenhang mit den Vorgängen bei der Ansiedlung kaum noch erkennen lassen (4).

 

 

(1) Hartmann II 1 S. 34. 45 hebt richtig hervor, dass sich die Römer auf die Verteidigung der festen Plätze beschränkten; wenn wir nur selten von ihrem Widerstand hören, heisst das nicht, dass sie die meisten Orte nicht zu halten vermochten, sondern dass sie überhaupt keine Besatzung in ihnen hatten oder diese, um die geringe Truppenmacht nicht zu zersplittern. zurückzogen. Das Volk der Kurialen, Kollegiaten und Kolonen war damals noch nicht wieder an das Waffenhandwerk gewöhnt, und die freiwillige Übergabe, wie sie z. B. Suana (s. o. S. 13) beabsichtigte, ist leicht erklärlich.

(2) Ich denke in erster Linie an L. M. Hartmann und A. von Halban.

(3) Die Stellen lauten II 32: His diebus (wird nach der Abschaffung des Königtums eingefügt) multi nobilium Romanorum ob cupiditatem interfecti sunt. Reliqui vero per hospites divisi, ut terciam partem suarum frugum Langobardis persolverent, tributarii efficiuntur. III 16: (nach Neubegründung des Königtums) populi tamen adgravati per Langobardos hospites partiuntur.

(4) Halban II 27-28, auf den Niese S. 373 verweist, und Hartmann II 1 S. 52 Anm. 5.

 

 

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Ein solcher ist aber doch vorhanden gewesen und, so viel sich in den dunkeln Zeiten des VII. Jahrhunderts verändert hat, vielleicht für den unvoreingenommenen Forscher noch deutlicher zu sehen, wie manche annehmen. Zweifellos lässt uns die Überlieferung drei Stadien unterscheiden (1) :

 

   I. Bei der Eroberung unter Alboin und Kleph wurden viele vornehme Römer getötet oder aus dem Lande gejagt, doch wurden die Langobarden damals noch nicht angesiedelt und erhielten auch keine geregelten Abgaben zugewiesen; also blieb den römischen Besitzern vorläufig Gut und Vermögen. Es darf auch als sicher gelten, dass es das Königtum war,

 

 

(1) Diese Dreiteilung ist am besten herausgearbeitet bei Halban S. 18-29, dem Maver I 40-41 teilweise folgt. S. auch Solmi, Storia del diritto italiano p. 99-100. Hartmann II 1 S. 40 (vgl. S. 65) zieht die beiden Quellenstellen zusammen und schildert die Entwicklung, ohne die Stufen auseinander zu halten, weil er (S. 52 Anm. 5) nicht zugibt, dass die Paulus-Stellen — wenn überhaupt — den Wortlaut des Secundus genau widergeben. Ein solcher Zweifel ist aber bei der uns gut bekannten Arbeitsweise des Paulus (Alommsen, Hist. Schr. III 508") nicht notwendig: S. 52 etwas vorher lässt H. Paulus II 32 ganz (auch den aus Gregor I. Dial. III 38 stammenden Schlussabsatz), und S. 82 Anm. 8 die angeführten Worte Paulus III16 und das Vorausgehende richtig aus Secundus stammen. “Das folgende ist„, fährt er fort, “wie man schon bemerkt hat (nämlich Waitz in der Ausgabe nach Pabst, Forsch, z. Deutschen Gesch. II 425 Anm. 1: Schupfer S. 44), unpassender Zusatz des Paulus„. Man lese diesen Zusatz, eine etwas unklare historische Phantasie des liebenswürdigen langobardischen Patrioten und friedfertigen Benediktiners Paulus, und vergleiche seine eines wirklichen Inhalts baren Phrasen mit den aus Secundus stammenden Teilen, die vorausgehen, und denen von II 32, und wird alle Hochachtung vor einer so klaren und präzisen Quelle wie Secundus haben können. Vgl. die guten Bemerkungen von Mayer I 40 Anm. 68, der die Herleitung aus Secundus nicht hätte hypothetisch zu fassen brauchen; sie ist ein sicheres Ergebnis der Quellenkritik : s. Mommsen, Die Quellen der Langobardengesch. des Paulus Diakonus S. 507. Hartmanns Auffassung, Paulus habe über die Vorgänge des VI. Jh. nur dürftige Quellen, ist so nicht richtig; dass er selbst keine deutlichen Vorstellungen davon gehabt habe, wird jeder zugeben. Auch Halban spricht hier ganz allgemein von Paulus als Gewährsmann, was wenig zu besagen hätte. — Im übrigen kann ich mich trotz Halbans des Bedenkens nicht erwehren, dass der Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Stadium sehr gering und mehr faktisch wie theoretisch ist. Es wäre eine hospitalitas in beiden Fällen, nur zuerst noch nicht systematisch durchgeführt. Die Überleitung mit His diebus gibt, wie Hartmann S. 52 bemerkt, keine genaue Zeitbestimmung; die Quellenkritik wird hinzufügen dürfen, dass solche Übergänge wohl kaum der Quelle, sondern dem Bearbeiter Paulus gehören, also wertlos sind. Dann darf man vielleicht die Vermutung äussern, dass die berichtete Massregel sich nicht nur auf die Herzogszeit, sondern überhaupt auf die Anfänge der langobardischen Herrschaft vor der Neubegründung des Königtums und der endgültigen Ansiedlung beziehen könnte. Diese Möglichkeit deutet auch Hartmann S. 41 an.

 

 

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dem die Unterworfenen ihren Schutz zu danken hatten (1); und zwar waren die Prinzipien Alboins, die man das ursprüngliche Programm der Langobarden nennen könnte, offenbar milder wie die seines Nachfolgers, der die Interessen des Königtums nicht mehr so energisch den Volksstimmungen gegenüber vertreten konnte (2). Ob sich die langobardisclien Krieger durch ungeregelte Requisition (3) oder durch die römische Form der Einquartierung (4) ernährten, bleibt ungewiss; bei der Besitzergreifung scheint aber überall die Entfernung der byzantinischen Garnisonen die Voraussetzung zu bilden (5), und das macht wahrscheinlich, dass vorläufig überall der langobardische Arimann an die Stelle des byzantinischen Miles trat (6) und wie dieser, vielleicht unter Heranziehung der fiskalischen Einkünfte, unterhalten wurde. Es handelt sich um die kurze Übergangszeit von sechs Kriegsjahren, in denen man mit der Eroberung vollauf beschäftigt war und keine Müsse hatte, an die Schaffung dauerhafter Zustände zu denken (7).

 

   II. Unter dem primitiven Bundesstaat der Herzoge, der das abgeschaffte Königtum nach Klephs Tode ersetzte,

 

 

(1) Halban S. 7. 18-19. 27; etwas anders Hartmann S. 38 oben (Alboin), der aber S. 40 etwa mit Halban übereinkommt; so auch Mayer S. 40 Aura. 69. Halban S. 12 bringt wohl mit Recht die Annahme des Titels Flavins durch die Langobardenkönige in diesen Zusammenhang : abweichend Mayer S. 86: sie hätten dadurch der ersten Rangklasse angehören wollen. Schliesslich kommt das auf dasselbe hinaus: sie wollten patricii (Mayer S. 60) werden wie der Exarch, um ebenso wie dieser legitime Oberhäupter der Römer zu sein. Gegen Mayer ist zu bemerken, dass Paulus III 16 ausdrücklich sagt, Authari habe den Titel Flavins zuerst geführt. Von den übrigen Hypothesen scheint mir die von Chroust und Hartmann gebilligte von Schupfer die Ausprüche des Königtums weniger präzis wiederzugeben wie die von Halban und Mayer (vgl. diesen S. 87 Anm. 95); die von Brunner, DRG. I2 66 trifft wohl auf andere Germanenfürsten, vielleicht aber weniger auf das Langobardenreich zu.

 

(2) Paulus II 31, vgl. die vorhergehende Anm.

(3) Hartmann 8. 40 hält das neben der andern Möglichkeit der Einquartierung für sehr wahrscheinlich.

(4) Brunner, DRG. II2 79; dass sie sich als Einquartierte in Feindesland betrachteten, meint Hartmann, und Halban hält für möglich, dass Alboin und Kleph die Einführung der hospitalitas beabsichtigten.

(5) S. o. S. 153 Anm. 1.

(6) So für die erste Zeit auch Hartmann S. 39-40, der I 354 richtig die Byzantiner an die Stelle der Gothen treten lässt.

 

(7) Auch Gregor von Tours gibt Kunde von dieser Zeit der Eroberung: Hist. Franc. IV 4L Alboenus . . . Italiam cum omni illa Langobardorum gente petiit. Nam commoto exercita cum uxoribus et liberis abierunt, illuc commanere deliberantes. Quam regionem ingressi, maxime per anyos septem pervagantes, spoliatis ecclesiis, sacerdotibus interfectis in suam redigunt potestatem. Dass hier von der Kriegszeit die Rede ist, in der von dauernder Niederlassung der Langobarden an bestimmten Orten in der Regel abgesehen werden musste, zeigt die Zeitangabe.

 

 

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ist die erste Regelung erfolgt, und zwar in der einst von Theoderich gewählten und deshalb in Italien nicht ungewohnten Form der römischen Einquartierung (hospitalitas), die ein Drittel nicht nur von der städtischen Wohnung, sondern auch von dem gesamten Reinertrag der Güter der Besitzenden an die Soldaten überwies (1). Die vornehmen Römer, die eigentlichen Latifundienbesitzer, wurden von dieser Last natürlich in erster Linie betroffen. 'Weniger von der theoretischen Notwendigkeit durchdrungen, die wirtschaftlich starken Schichten der Unterworfenen zu schonen, wie das politisch zielbewusste Königtum, hat die Herzogszeit nun in stärkerem Masse unter diesen Elementen aufgeräumt (2). Von einer Ansiedlung darf auch jetzt bestimmt nicht gesprochen werden, und der einzelne Krieger mit seiner Familie bekam auch kein Privatvermögen (3). Nur die Herzoge, wohl wenigstens im Prinzip und teilweise hierin als Rechtsnachfolger des Königtums handelnd, nahmen das öffentliche Gut und das der Kirche in Besitz (4). Die Römersteuer verwaltete in den einzelnen Städten eine Art Quartiermeister des Kriegsvolkes, der Gastalde (5), und verpflegte seine Leute, wie es ähnlich wohl schon vielfach bei den byzantinischen Truppen üblich gewesen war.

 

 

(1) Hartmann I 27. 93-98. oben S. 149. Nach dem dort Gesagten kann der Unterschied gegen die gothischen Zustände kaum als wesentlich betrachtet werden, man hat im Gegenteil den Eindruck, als sei unmittelbar an das gothische Vorbild angeknüpft worden. Das wäre noch augenfälliger, falls die Einführung der tertia gleich unter die ersten Könige gesetzt werden könnte, oben S. 156 Anm. 4.

(2) Paulus II 32, dazu Halban S. 7. 20. Hartmann S. 41. Vgl. Mayer I 40 Anm. 69.

(3) Hier weiche ich aus den oben S. 155 Anm. 1 dargelegten Gründen von Hartmann ab, dessen Auffassung ich mir in diesem Falle nach den Argumenten Halbans zu meinem Bedauern nicht aneignen kann, da sie dem Wortlaut der Quelle weniger genau entspricht.

 

(4) Nach Paulus III 16 hatten sie Vermögen; von ihren substantiae werden, wie später die des Königs obsequiis per diversa officia dediti von dessen Anteil, so die im obsequium der Herzoge Stehenden gelebt haben. Über die Entstehung des langobardischen öffentlichen Gutes ist später zu handeln. Konfiskation des Kirchengutes, d. h. der mensa episcopalis, ist nach Paulus II 32. IV 6 anzunehmen und erklärt das Eingehen vieler Bistümer, wie es Duchesne, dem Hartmann folgt, nachwies (s. o. S. 12 Anm. 1); Mayer S. 36 Anm. 55 kann ich nicht zugeben, dass in der Friedenszeit unter Agilulf die Kirchen gut behandelt wurden. Mir scheint ein gewisses Prinzip bei der Besetzung der civitates, das aber Ausnahmen zuliess, denkbar. Dass das Land der gemordeten vornehmen Römer nicht, wie Halban S. 26 denkt, verteilt, sondern konfisziert wurde, geht schon aus den Lebensverhältnissen des Volkes in der Zeit des kriegerischen Kommunismus hervor, noch mehr aus der Analogie mit den Römermorden des Königs Kleph (Paulus II 31); wenn dieser seine Gründe hatte, manche der reichsten Besitzer nicht zu schonen, werden sie später die Herzoge auch gehabt haben; das Kriegsvolk wird doch wohl von den Führern in Disziplin gehalten worden sein.

 

(5) Diese These von Schupfer p. 74, die Halban S. 24-26 beachtenswert findet, aber am Ende doch ablelmt, scheint mir in der Tat, trotzdem casa und terra tributaria rein privatrechtliche, mit dein Fiskus in keiner Beziehung stehende Dinge sind und von Halban nicht hätten erwähnt werden sollen, die einzige Möglichkeit, die Lebensbedingungen der Langobarden vor der Ansiedlung und zugleich das ursprüngliche Wesen des Gastaldats zu erklären. Die allgemeine Annahme, jedem langobardischen Familienhaupt seien Römer zugeteilt worden (reliqui divisi per hospites), setzt, wie Halban bemerkt, bei dem Fehlen sachkundiger römischer Behörden ein ungeregeltes Verfahren voraus, noch grössere Schwierigkeiten wie die Verteilung selbst musste es doch machen, wenn der einzelne Krieger der Langobardengarnison seine Römer zur Zahlung der tertia bewegen wollte; der Soldat hatte seine kriegerischen Pflichten, die ihn oft in weite Ferne riefen, die Familie musste aber leben. Man muss wieder zu der Annahme völliger Willkür greifen, mit der man alles, aber nicht die Einführung dieses geregelten Systems der Einquartierung erklären kann, und kommt dann dazu, doch wieder von der klaren Quellenstelle abzuweichen, die nur besagt, wie die Römerquartiere in den Garnisonstädten an die Langobarden verteilt wurden. Der Gastalde — der actor, der eine grundsätzlich verschiedene Stellung hat, ist nicht mit Schupfer heranzuziehen — ist meiner Ansicht nach der ständige Beamte, der die Abgaben zum Unterhalt jeder einquartierten langobardischen Truppe einzutreiben und zu verteilen hatte.

 

Das Wort gastald, für das Bruckner, Sprache der Lgb. S. 205 keine Ableitung gibt und das oft (so im Glossar der MG.-Ausgabe des Edikts p. 671, vgl. Brunner, DRG. II124) als Partizip “der Gestellte„ gedeutet wird, bedeutet wohl eben den, der der Gäste waltet; -ald, auch wenn es nicht als -oald -aald erscheint, fasst Bruckner S. 317 in Kompositionen von Eigennamen stets als -wald von “walten„ (z. B. Faroald, der einer fara waltet; Erminald, der der Gesamtheit, irmin waltet, Fromald, der wacker, mhd. frum, waltet, u. v. a.); den ersten Bestandteil hat bereits Schupfer p. 314 auf gast = hospes (vgl. Paulus II 32 per hospites, III 16 per Langobardos hospites) bezogen, und ebenso Körting, Etymol. Wörterbuch der roman. Sprachen3 S. 474 n. 4180, der aber für den ersten Teil einen Stamm von cast = castrum annimmt, mit dem ich wenigstens keine Bedeutung herausbekomme.

 

 

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Die Last war also nicht aussergewröhnlich schwer, wenn auch bei ihrer Verteilung genug Ungerechtigkeit vorgekommen sein wird; fehlte doch den Langobarden der sachkundige römische Verwaltungsapparat, der den Gothen bei der Einquartierung zur Verfügung gestanden hatte (1), und während diese die Massregel im vollen Frieden als Herrscher über die ganze Halbinsel durchführen konnten, mussten es jene mitten in den Sorgen um das ungewisse Kriegsglück tun, ehe sie wussten, wie viel von ihrer Eroberung ihnen schliesslich bleiben würde. Diesen Zuständen entspricht die Form der hospitalitas, die gewählt wurde, vollkommen; die einzelnen Kriegerfamilien mussten noch in der Stadt zusammengehalten, konnten noch nicht zur Ansiedlung auf Privatbesitz entlassen werden, das Interesse des Einzelnen durfte das öffentliche nicht beeinträchtigen.

 

 

(1) So Halban S. 25, s. vorige Anm.

 

 

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So ist der Unterschied der zweiten Periode von der ersten sehr gering (1); mehr die Art der Verpflegungsabgaben wurde geregelt wie das System der Einquartierung. Die Berührung, in die das Langobardenvolk mit den Byzantinern in Pannonien und während des Gothenkrieges gekommen war, erklärt genugsam die Kenntnis dieser Institution (2); ferner können die in Italien gebliebenen Gothen, die den Langobarden den Übergang in die italienischen Zustände erleichtert haben müssen, auch die Anfänge der langobardischen Besitzergreifung in die ihnen gewohnten Bahnen gelenkt haben, und dann ist die Einquartierung vielleicht doch geregelter vor sich gegangen, wie man es im allgemeinen für möglich hält (3).

 

   III. Als nach 10-bis 12jähriger Anarchie eine Neubegründung des Königtums als unvermeidlich erkannt wurde, war es an der Zeit, endgültige Zustände zu schaffen und dem tapferen Volke, das sich nicht länger auf seinen Lohn vertrösten Hess, die ersehnte eigene Scholle zu gewähren. Die Führer sagten sich, dass die ursprünglich geplante Eroberung ganz Italiens nach gothischem Vorbild vorläufig unmöglich sei: traten doch um diese Zeit die Umrisse der späteren Grenzlinie nach jedem Feldzuge eines der Könige, Herzoge oder Exarchen deutlicher hervor (4). So beschränkten sich die Langobarden in der auswärtigen Politik auf das Erreichbare, und dadurch war der Antrieb und die Möglichkeit gegeben, Herren im eignen Hause zu werden. Der König teilte mit den Herzogen ab und schuf damit die Grundlagen des langobardischen Staatswesens; das Volk wurde sesshaft und in Italien heimisch.

 

Über den Modus der Landnahme ist von je her gestritten worden; nur der lakonische Satz bei Paulus III 16 populi tamen aggravati per Langobardos hospites partiuntur gibt darüber Auskunft.

 

 

(1) In diesem Zusammenhang wäre, wenn überhaupt ein Unterschied gegen die erste Königszeit vorhanden war. denkbar, dass die tertia mit der Abschaffung des Königtums zusammenhinge. Während diese das Programm der Eroberung Italiens vertrat (vgl. noch die Legende über Authari Paulus III 32), mochte das Volk sich nach ruhigeren, sicheren Lebensbedingungen sehnen und den Wunsch haben, dass man sich mit dem Errungenen begnüge. Halban S. 19 meint auch, dass das Königtum nicht geneigt war, solche Zustände zu schaffen, wie sie während des Interregnums eintraten.

(2) Halban S. 9-10 schlägt diesen Einfluss geringer an als den der Gothen in Italien.

(3) Vgl. jetzt v. Schubert, Staat und Kirche in den arianischen Reichen S. 116-123. Die Anekdote über Alboins Absicht, Pavia zu zerstören (Paulus II 27), charakterisiert sich schon durch die dann folgende Wundergeschichte genugsam. Bei allem Einverständnis mit Halbans Darstellung kann ich mir sein Endurteil S. 24 nicht aneignen. Hegels Einwände (I 356) gegen Savigny I 404 berühren Paulus II 32 noch nicht. Dass die Herzöge milder mit den Römern verfuhren, wie man ihnen zutraut, darf nicht stutzig machen, da man den Umfang des herrenlosen Gutes, also auch das Bedürfnis nach weiteren Ländereien, nicht kennt.

(4) S. oben S. 13-16.

 

 

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Dabei ist nun vor allem festzuhalten, dass die Stelle, wie der vorausgehende Satz über die Neubegründung des Königtums, aber im Gegensatz zu dem folgenden redselig-idyllischen, einer schroff nationalistischen Tendenz entsprossenen Phantasiegemälde des Paulus von den glücklichen Tagen unter Authari, auf einen einsichtigen Zeitgenossen zurückgeht: den Abt Secundus von Trient (1). Wenn dieser wortkarge, nur die Tatsachen achtende Chronist das Ereignis der Aufzeichnung würdigte, wird es irgend etwas Neues gegenüber der hospitalitas bedeuten, wie diese ihrerseits etwa gegenüber der ungeregelten, gewaltsamen Einquartierung (2). König Authari hat zuerst den Zunamen Flavins angenommen: nicht in das Imperium wollte er damit das Reich von Pavia einordnen, wohl aber in den Kulturkreis und das Rechtsleben der Römer, wie das nach einem halben Jahrhundert in der Gesetzgebung des Königs Rothari so überraschend stark hervortritt (3). Sicherlich ist auch die Form der Ansiedlung ebenso in Rücksicht auf die altangesessenen Elemente wie auf die Eroberer gewählt worden.

 

Um eine Beziehung von Paulus III 16 zu den reliqui (oder reliqui nobiles) von Paulus II 32 herzustellen, hat man ans der späteren Stelle eine Teilung der kleineren Gutsbesitzer oder gar der städtischen Bevölkerung unter die Langobarden herausgelesen. Sehr viel schärfer und näher an der Wahrheit ist Halbans Interpretation:

 

 

(1) Oben S. 155 Anm. 1.

(2) Deshalb mag ich nicht wie die bei Halban S. 27 Anm. 1 zusammengestellten Autoren, denen jetzt Bartmann beizufügen ist, diese Phase als Fortsetzung der Massregeln aus der Herzogszeit fassen. Unsere Quelle ist so trefflich, dass übergrosse Skepsis nicht am Platze sein dürfte: so schon Baudi di Vesme und Fossati und jetzt auch Brunner. Erst muss man jedenfalls den Versuch machen, mit konservativer Quellenkritik durchzukommen, und mir scheint, dass wirklich jeder Zwang zu radikalen Umdeutungsversuchen entfällt. Die sachlichen Folgerungen aus dieser prinzipiellen Lage der Überlieferung hat aber zuerst Halban gezogen; und ohne Not gibt Niese, Zeitschr. der Savigny-Stiftung XXXII Germ. Abt. S. 373 die gesicherte Grundlage wegen anscheinender grammatischer Schwierigkeiten auf. Seine eigene Interpretation ist zu künstlich und nicht einleuchtend, sachlich kehrt sie zu der Meinung des alten Türk zurück, die Stadtbewohner seien verknechtet worden, was in der praktischen Durchführung schwer zu erklären sein dürfte. Die Deutung E. Mayers, die Niese für diskutabel hält, glaube ich Hist. Vierteljahrschr. XVI 107 widerlegt zu haben. Meine ganze Auffassung beruht auf rein philologischer, möglichst ungezwungener Interpretation, und das Ergebnis scheint mir historisch-sachlich einleuchtender zu sein wie die früheren Theorien; ohne Halbans Ergebnisse wären wir wohl nicht so bald zur Klarheit gelangt.

 

(3) Chroust. Langob. Königsurkk. S. 26-27. Hartmann S. 65. Halban S. 12. Brunner, DKG. I2 66 Anm. 8. Mayer I 60. 86. Über das Becht bes. Zeumer in Neues Archiv XXIV 60 und sonst. Tamassia, Fonti dell’Editto di Rothari (Pisa 1889) und in Sav.-Z. XVIII Germ. Abt. S. 148-169. Halban S. 98-124. Vgl. oben S. 65.

 

 

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ans der negativen Tatsache, dass nicht mehr (weder Paulus III 16 noch irgendwo sonst) von der tertia die Rede ist, folgert er, nunmehr sei eben die Drittelsabgabe durch die Realteilung ersetzt worden. Aber dann hätte unser Gewährsmann uns gerade das Wichtigste mitzuteilen vergessen : wie viel man den Eigentümern nahm. Noch bedenklicher ist die grammatische Begründung; man kann als Subjekt zu partiuntur, als den leidenden Teil nicht dieselben Leute wie II 32, die nobiles, denken, denn die populi sind nicht die nobiles, trotzdem man an sich in aggravati eine Riickbeziehung auf das tributarii efficiuntur von II 32 suchen könnte (1). Niese hat mit Recht diese Deutung als grammatisch unmöglich abgelehnt; populi partiuntur kann weder mit “die Grundbesitzer geben einen Teil ab„, noch mit “es wird mit den Grundbesitzern abgeteilt„ übersetzt werden, es heisst einfach “die Bevölkerungen werden verteilt„. Ganz logisch nahm deshalb Hartmann mit vielen Alteren an, die römischen possessores seien bis dahin nahezu vollständig ausgerottet worden (2); dann, so darf man den Gedankengang vollenden, wäre der Grund zur Teilung der Pachtbauern leicht zu erraten : es war keiner mehr da, um die tertia zu zahlen (3). Diese Ausrottung der possessores ist aber, wie wir sahen (4), quellenwidrig. Mögen noch so viele und oft gerade die Reichsten ob cupiditatem gemordet worden sein, so haben wir doch kein Recht, solche Ausnahmefälle als Regel zu behandeln. Man würde nicht begreifen, woher noch gerade in den Tagen des Authari und Agilulf die Bürger von Römerstädten den Mut nahmen, den Langobarden die Tore zu öffnen, wenn sie wussten, dass sie sich damit sicherem Tode weihten; denn die possessores, nicht die armen Kolonen hatten über die Übergabe zu entscheiden. Wir wissen, dass sie bei der Einführung der hospitalitas ihr Eigen behielten; wenn sie also zwischen 574 und 584 noch in solchen Mengen vorhanden waren, dass man sie zum Objekt einer besondern, den Unterhalt des ganzen Langobardenvolks bestreitenden Steuergesetzgebung machte, so werden sie unter Authari, zwischen 584 und 590,

 

 

(1) Aber nicht muss. Nieses Auffassung, der Satzbau in II 32 und III 16 müsse parallel sein und III 16 nach Analogie von II 32 dem Sinne nach aggravantur et partiuntur aufgelöst werden, erscheint mir durchaus nicht zwingend, ja die etwas gewaltsame Interpretation widerstrebt mir; die einfach wörtliche Auslegung liegt näher. Dazu kommt, dass man in II 32 divisi schon wegen des davon abhängenden Finalsatzes partizipial fassen muss, wozu bei aggravati III 16 kein grammatischer Grund vorliegt.

(2) S. 41.

(3) H. S. 42 sagt nur, die tertia habe, nachdem jeder Langobarde Grundbesitzer geworden, keinen Sinn mehr gehabt. Sie war aber nach der im Text gegebenen Begründung bei Hartmanns Ansicht überhaupt irreal geworden.

(4) Oben S. 155.

 

 

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auch noch dagewesen sein (1). Dass man die Leute, deren Freiheit und Eigen selbst die stürmische Herzogszeit im Prinzip geachtet hatte (2), jetzt, bei der Herstellung eines geordneten Staatswesens mit einem Flavins an der Spitze, hätte ihres Besitzes berauben und in die Halbfreiheit herabdrücken sollen, ist innerlich unmöglich; historia non facit saltum. Secundus wird schon gewusst haben, warum er schrieb: populi aggravati partiuntur. Wer sind also die populi? Mayer (3) hat methodisch richtig den Sprachgebrauch der Quelle untersucht, um das festzustellen; er findet, Paulus bezeichne mit populus “die romanische Bevölkerung Italiens„. Wir müssen noch einen Schritt weitergehen und uns, ohne die im einzelnen nicht sämtlich brauchbaren Nachweise über die Diktion des Paulus nachzuprüfen (4), auf die Stellen beschränken, die aus Secundus stammen, um zu sehen, ob der Sinn im ganzen übereinstimmt und uns den Begriff liefert, den dieser zeitgenössische Autor im Auge hatte; so werden wir die Interpretation zwingend erweisen können, selbst wenn uns die eine oder andre Stelle nicht ganz wörtlich genau überliefert worden sein sollte (5). Zweimal wird neben einer civitas ihr populus genannt (6); einmal ist dann von einer Seuche berichtet, dass sie die populos von Verona hinraffte (7). Endlich haben sich Italiae populi über die Büffel und Wildpferde gewundert, die damals zuerst in ihr Land kamen (8). Diese Stelle in ihrer allgemeinen Ausdrucksweise wird man nicht zum Ausgangspunkt nehmen, sondern durch die andern zu interpretieren suchen. Es ergibt sich, dass einmal ausdrücklich eine civitas von ihren populi unterschieden wird ;

 

 

(1) H. S. 41 meint: “jetzt (im Interregnum) wurde vollends unter ihnen aufgeräumt„. Damals (S. 42) sei “vielleicht auch der eine oder der andere kleine Grundbesitzer, der ... verschont worden war„, in den Aldionat herabgedrückt worden. Diese These ist m. A. jetzt durch Halban S. 52-59, dem sich auch Niese S. 372 anschliesst, endgültig entkräftet worden. Ich möchte einen indirekten Gegenbeweis hinzufügen. Die possessores wären gleichzeitig Aldien gewesen und hätten ihr Drittel abgeführt. Ein Grundbesitzer, dem 2/3 der Renten seiner Kolonen zum Leben bleiben, ist aber ein ganz undenkbarer Aldio.

(2) Was Schupfer p. 71 scharfsinnig aus Paulus II 32 folgert; Halban S. 23 folgt ihm.

(3) I 41 Anm. 71. Niese S. 373 stimmt ohne Einschränkung zu.

(4) Aus Mayers Sammlung fallen auch an sich noch ein paar Stellen weg, die aus dem Liber pontificalis oder Gregors I. Dialogen übernommen sind.

(5) Aber Paulus benützt, von kleinen, an ihrer Tendenz meist leicht erkennbaren Einschüben abgesehen, seine Quellen ziemlich wortgetreu, s. o. S. 155 Anm. 1. Umarbeitungen, die nur den Sinn, nicht den Wortlaut erhalten, liegen seiner Arbeitsweise fern.

(6) II 9 (nicht I 19, wie Mayer angibt). II 10.

(7) IV 14.            (8) IV 10.

 

 

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in einem zweiten Falle werden diese wenigstens neben der civitas erwähnt, in einem dritten nur die populi einer civitas genannt. Es ist wohl klar: auf den Umstand, dass populus — oder besser populi — von civitas geschieden wird, ist bei Secundus jedenfalls Gewicht zu legen. Das fiel auch Mayer auf (1). Ob bei Paulus die populi "nicht allenfalls nur die niedrigen Schichten„ umfassen, wie dieser dann meint, wäre durch Aussonderung der aus Quellenzitaten stammenden Stellen unschwer zu erweisen; bei Secundus dagegen, auf den es uns ankommt, bedeuten — es ist kaum ein Zweifel — populi die Landbevölkerung, und zwar die niedere, wirtschaftlich unselbständige, da die possessores vor allem zu dem gehören, was Secundus als civitas zusammenfasst, zur städtischen Bevölkerung: sie sind deren massgebende Schicht. Die populi sind die römischen Kolonen und Unfreien, die in landwirtschaftlichen Betrieben tätig sind (2). Wenn Secundus dann von Italiae populi spricht, die über die cavalli silvatici und bufali staunten, so kann man dabei ohne Zwang an die ländlichen Kreise denken, die zuerst mit diesen ungewohnten Tieren in Berührung kamen; der damalige Städter Italiens wird wie der heutige weniger Interesse für das Land und seine Angelegenheiten gehabt haben (3).

 

Nun sagt unsere Quelle noch deutlicher: populi aggravati partiuntur. Diese mit Abgaben belasteten Bevölkerungen werden kaum die possessores sein, trotz ihrer tertia, durch die sie tributarii geworden waren: näher liegt doch der Gegensatz der populi aggravati zu den nobiles, die nur das tributum, die tertia, zahlten und dabei freie Grundherren blieben. Will man nun annehmen, alle populi, die gesamte Landbevölkerung sei verteilt worden, so kommt man etwa zu Zuständen, wie sie sich Hartmann vorstellt. Dann haben die übrig gebliebenen possessores ihre Kolonen verloren, sind mithin depossediert worden. Aber aus den angeführten, besonders von Halban erkannten Gründen erscheint es ausgeschlossen, dass die römischen Besitzer vom restaurierten Königtum schlechter behandelt wurden wie von der Herzogszeit.

 

 

(1) Der aber doch schliesslich "populus eben die zur civitas verbundene Bevölkerung„ sein lässt. Wohlgemerkt, bei Paulus, dessen Sprachgebrauch M. von dem seiner Quellen nicht sondert.

(2) Im Edikt und bei Paulus scheint dagegen populus auch die zünftige und handeltreibende niedere städtische Bevölkerung zu umfassen, wie auch Mayer für Paulus vermutet. Hier wie überhaupt bei Secundus scheint mir diese Interpretation ausgeschlossen; wie wollte man das Volk der kleinen Handwerker teilen? In diese Zeit kann man die seit dem IX. Jh. nachweisbare Organisation des Handwrerks als Grossbetrieb durch einen sozial Höherstehenden als Leiter der Produktion Unfreier oder wirtschaftlich unselbständiger Gehülfen noch nicht setzen. — Zu demselben Ergebnis wie ich kommt Leicht, Studi 1 22, der aggravati auf die tertiae ganz allgemein beziehen will; er wreist darauf hin, dass nach Schulten populus die Bewohner eines fundus sind. Für die Interpretation einer Stelle aus Secundus ist aber in erster Linie dessen eigener Sprachgebrauch massgebend.

(3) Vgl. die Bemerkung von Nissen, Ital. Landeskunde I. 17-20.

 

 

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 Über das Fortbestehen der tertia wissen wir nichts; sie mag, weil nach der Landnahme überflüssig, aus der Übung gekommen sein (1). Die römischen Freien, so viel oder so wenig übrig waren, gingen unter den Langobarden auf.

 

Da bleiben nur die zur Zeit herrenlosen populi, deren Besitzer geflohen oder umgekommen waren, sowie die der heimgefallenen ehemals gothischen, fiskalischen oder bischöflichen Ländereien. Ich denke, sie mochten zur Ansiedlung des Langobardenvolkes genügen, auch wenn man die königlichen und herzoglichen, vielleicht hauptsächlich aus altem Fiskalland gebildeten Domänen abrechnet. Die Abgaben dieser wirtschaftlich unselbständigen Klasse müssen, wie die tertia, vorher von den Gastalden als Quartiermeistern der langobardischen Garnisonen eingehoben und verteilt worden sein, und dabei ging es wohl mitunter nicht ganz menschenfreundlich zu, denn der Soldat hatte Hunger und die Ansprüche des Eroberers, der Gastalde kein Interesse an den wirtschaftlichen Bedürfnissen und Nöten des Kleinpächters aus feindlichem Stamm; auch waren die Lasten, je nachdem die Feldzüge grössere oder kleinere Truppenteile in die einzelne civitas führten, gewiss recht ungleich. Gar nicht konnte bei solchem System die Eigenwirtschaft der villa bestehen, und so leisteten die Güter selbst unter Hochdruck bei weitem nicht das, was ihnen bei geregeltem Betriebe nicht einmal schwer gewesen wäre. So war es aus verschiedenen schwerwiegenden Gründen an der Zeit, die grundlegende Neuordnung der Agrarverhältnisse vorzunehmen. Der Krieger wollte nach 16 Kriegsjahren endlich den Lohn seiner Kämpfe und Mühen, eignen festen Besitz, erhalten; die römische ackerbautreibende Bevölkerung konnte bei der wechselnden Höhe der Quartierlasten zu keinem ruhigen Erwerbsleben kommen, die Landwirtschaft litt aufs schwerste unter dieser kommunistischen Betriebsleitung, in der niemand auf die altgewohnten Grundlagen der Agrarverfassung Rücksicht nahm. Die zersetzende Wirkung solcher Zustände auf den Landbau muss sich sofort, gewiss bereits in dem Jahrzehnt der Herzogszeit, fühlbar gemacht haben.

 

 

(1) Halban meint, die tertia sei durch Realteilung abgelöst worden. Überliefert ist darüber nichts, und ich folge der Ansicht Hartmanns S. 42 (s. o. S. 161). Auch Mayer I 41-46 denkt an eine Realteilung mit den römischen Besitzern : über die von ihm nach Schupfer, Istituzioni p. 75-80 herangezogenen tertiatores der Leburia (Terra di Lavoro), deren Rechtsverhältnisse wohl ostgothischen Ursprungs sein dürften, vgl. Niese S. 373 Anm. 4. Die oberitalienischen Drittelabgaben, die M ebenfalls nach Schupfer noch erwähnt, stammen aus zu später Zeit, um beweiskräftig zu sein; immerhin aber könnten Reste geblieben sein. Überhaupt skeptisch gegenüber der langobardischen tertia verhält sich Hartmann, der meint, Raulus möge vielleicht an die tertiatores der Leburia gedacht haben (S. 52 Anm. 5). Dem gegenüber ist festzuhalten, dass die Stelle aus Secundus stammt, also den vollen Wert einer zeitgenössischen Quelle hat.

 

 

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Nicht als Bauer ist der Longobarde mit seiner fara angesiedelt worden, sondern als possessor, dem eine Anzahl von coloni zugeteilt wurde. Er war Herr der villa und leitete ihre Wirtschaft im ganzen in der althergebrachten Art; dabei war er, wie ursprünglich sein Vorgänger in der Toga, Vollbürger und Wehrmann der Stadt, zu der er gehörte und wo er ein Wohnhaus sein eigen nannte (1). Man darf die Frage nicht aufwerfen, ob diese neuen Gutsherrn grosse oder mittlere Grundbesitzer waren; wir kennen ihre Zahl und die jeweils in den Territorien zur Verteilung gelangte Bodenfläche nicht, auch gab es unter den Langobarden soziale Verschiedenheiten (2), so dass regionale und individuelle Unterschiede bestanden haben dürften. Nur eins stellt fest: die Wirtschaftseinheit, der fundus, blieb im allgemeinen bestehen. Die unendlich zahlreichen, grösstenteils auf Einzelgüter und nicht auf Dörfer bezüglichen, von Eigen- oder Gentilnamen abgeleiteten Ortsnamen auf -anus (um), bei denen fundus zu ergänzen ist. Über die ganze Halbinsel bis hoch in die Gebirgstäler hinauf verstreut, fehlen gänzlich nur in Landstrichen, die damals waldig, öde oder versumpft waren, und werden noch viel später oft genug als fundus bezeichnet; ein Zeichen, dass keine Ausrottung oder Verdrängung und nur in beschränktem Masse eine langobardische Kolonisation stattfand, und dieser Zustand macht es verständlich, dass der germanische Stamm, in den ersten Zeiten seiner Ansiedlung nirgends dauernd in grösseren geschlossenen Mengen zusammenwohnend, bald seine Sprache mit der der Unterworfenen vertauschte (3).

 

 

(1) Es genüge auf Hartmann II 1 S. 42 zu verweisen. Über Ansiedlung nach fara: Marius Avent, zu 569. Paulus II 9. Ed. Roth. 177. Hartmann S. 52-53 mit einer Zusammenstellung der noch bestehenden oder urkundlich nachweisbaren Ortsnamen mit fara; dazu ebenda II 2 S. 4-12, auch für das folgende. Dass die neuen possessores Wohnhäuser in der Stadt hatten wie die alten, schliesse ich allerdings aus späteren Urkunden (bes. s. IX, aber schon s. VIII begegnen in Lucca zahlreiche Häuser, die den langobardischen Grundbesitzern gehören). Ich denke mir eben, dass das Leben des possessor wesentlich das alte blieb.

(2) Deswegen war das Wergeld eines Langobarden secundum nationem oder nobilitatem suam abgestuft: nicht ganz richtig bei Schupfer, Istituzioni p. 69, wo die Quellenstellen, vgl. Hartmann II 1 S. 42.

 

(3) Bruckner, Sprache der Langob. S. 11-14 will das Langobardische noch um das Jahr 1000 keine tote Sprache sein lassen; seine Beweise sind sehr schwach : wenn in einer Urkunde von 872 ein Notar schreibt in hanc cartolam ih me subscripsi, soll das ih = ich ihm, “der offenbar gewöhnlich deutsch sprach„, versehentlich entschlüpft sein; es ist aber orthographische Variante für hic. Aus Beinamen und einem in die Vulgärsprache mit lat. Endung übergegangenen Verbum gamaitare ist nichts zu schliessen, und Chron. Salernitanum c. 38 sagt geradezu, dass die Langobarden olim, das heisst um 978 nicht mehr, eine lingua todesca sprachen; dass der Sinn des Wortes stoleseyz wiedergegeben ist, muss nicht auf Kenntnis der Sprache, sondern nur der Amtspflichten beruhen. Man wird, besonders im Hinblick auf Paulus V 29, der hervorhebt, dass zu seiner Zeit die Bulgaren Italiens ihre Sprache noch sprachen, zu der Auffassung Bluhmes zurückkehren, dass das Langobardische im VIII. Jahrhundert ausstarb. Hartmann II 2 S. 58 Anm. 15 nimmt einen etwas späteren Zeitpunkt an. Vgl. auch Cipolla, Della supposta fusione degli Italiani coi Germani, in Rendic. Accad. Lincei IX 17. Mayer I 24.

 

 

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Die Höfe in Toscana, deren Grösse wir später kennen, sind nicht gerade bedeutend : ein bis zwei Dutzend Kolonen mögen im VIII. und IX. Jahrhundert der Durchschnitt sein. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass unsere urkundlichen Nachrichten erst vier bis fünf Menschenalter nach der Landnahme spärlich einsetzen; und in dieser langen Zeit mussten sich bei der starken Bevölkerungszunahme, die wir für die Langobarden wie für jedes von der Kultur noch wenig berührte Volk bei reichlichem Nahrungsspielraum anzunehmen haben, die Agrar- und Besitzverhältnisse verschieben. Der Adel mag, wie spätere Beispiele nahelegen (1), von vornherein oder im Lauf der Kriege Besitz in mehreren Territorien oder Provinzen erhalten haben; die Mehrzahl der Heermannen verwuchs mit ihrer Stadt und fühlte sich bald so zu ihr gehörig, wie einst die Römer und später die Gothen (2). Ob neben der Einzelansiedlung von farae auf fundi schon die ersten Gründungen von Dorfgemeinden, in denen zu bestimmten Zwecken grössere Abteilungen sesshaft gemacht wurden, in diese Zeit fallen, ist ganz ungewiss (3). Regel musste jedenfalls sein, dass der Krieger, in der langen Zeit der Wanderungen und Kämpfe der Feldarbeit entwöhnt, nicht selbst den Pflug zu führen bestimmt wurde, sondern den mühelosen Erwerb erhielt, den er als Preis begehrte (4), schon weil er in diesen noch immer kriegerischen Jahrzehnten an der Erfüllung seiner militärischen Pflichten nicht durch Nahrungssorgen gehindert werden durfte.

 

Nun hatten die Güter wieder ihren Betriebsleiter, der als Germane und entsprechend seiner Kulturstufe und seinen pannonischen Erinnerungen der terra dominica mit ihren Wäldern und Weiden gewiss kein geringeres Verständnis entgegenbrachte als der römische Vorbesitzer (5), zugleich aber auch am Wohlergehen der Kolonen,

 

 

(1) Vgl. die Dotation von Monteverde durch Walfrid, Brunetti I n. 48, oben S. 50 Anm. 1. 116 Anm. 1.

(2) Man darf die Brescianer bei Greg. I. Reg. IV 37 nicht, wie so oft geschehen ist, für eine Römergemeinde halten; vgl. Paulus V 36. 38. Troya dürfte da gegen Schupfer, Istituzioni p. 87-88 und Hegel I 368 recht haben.

(3) Leicht, Studi sulla proprietà fondiaria I 23 will das schon für die ursprüngliche Ansiedlung annehmen. Im nächsten Abschnitt soll der Versuch gemacht werden, die Entstehung der Langobardendörfer in Toscana genauer zu bestimmen.

(4) Hartmann II 1 S. 41.

(5) Ebenda II 2 S. 5. 17; vgl. für das folgende überhaupt das erste Kapitel im 2. Teile des II. Bandes. Ich muss hier meine Auffassung der sozialen und Wirtschaftsverhältnisse wenigstens kurz skizzieren und mir die Begründung der — im ganzen wenig beträchtlichen — Abweichungen von Hartmann vielfach für eine besondere Studie über die Agrarverhältnisse in Toscana verspüren.

 

 

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auf deren Leistungsfähigkeit ein wesentlicher Teil seiner Existenzmittel beruhte, regen Anteil nahm. In die villa mag ein fremdartiges Treiben seinen Einzug, genommen haben. Neben die fronenden römischen Kolonen, deren Arbeitskraft zur Kultur von Wein und Öl auf dem Hoflande nötig war, traten die Aldien des neuen Herren und seine germanischen und sarmatischen Sklaven, die er mit seinen Herden aus den fernen ungarischen Steppen mitgeführt hatte: sie weideten seine Rosse und Schweine und erfreuten sich nach germanischem Brauch einer menschenwürdigeren Behandlung wie einst der berittene Ochsenknecht und die gefesselten Sklavenbanden der Römerzeit. Die servi ministeriales werden noch wie früher von den servi massarii und rusticani geschieden, die servi massarii haben im langobardischen Recht eine beschränkte Vermögensfähigkeit nach römischem Muster. Neben ihrer casa massaricia hören wovon der casa tributaria des freien Kolonen. Freilich treffen wir in Toscana kaum noch die Bezeichnung colonus (oder casa colonica), die sich zum Beispiel im Spoletinischen und in der Sabina erhielt; man sagt nun massarius liber oder bloss massarius (1).

 

 

(1) Dass selbst die Kolonen nicht ihrer Freiheit beraubt oder den Aldien gleichgestellt wurden, ist anzunehmen, da ein Gegenbeweis fehlt und es bekanntlich jedenfalls bei Farfa freie Kolonen gab. Bisher hat man, weil im Edikt nur der servus massarius vorkomint und auch bloss massarius heisst (Roth. 132. 134. 137. 234. 352), alle massarii der Urkunden für solche servi massarii gehalten (Hartmann II 2 S. 6, dazu Analekten S. 53. 59; diese Auffassung ist die Folge der andern, dass die Kolonen Aldien geworden seien); aber ihre wirtschaftliche Stellung, kaum verschieden von der der alten Kolonen, widerspricht dem. Auch die Libellarier, eine wirtschaftlich dem Kolonat analoge spätere Bildung, entsprechen den Massariern so sehr, dass H., Analekten S. 59 selbst zugibt, in manchen Fällen falle der einzige wesentliche Unterschied fort. Man kann weitergehen und sagen: in der Regel. Neben solchen massarii ohne nähere Bestimmung finden sich nämlich auch liberi massarii (H., Analekten S. 53 Anm. 2 vermag sie bei seiner These nicht zu erklären), und zwar nicht selten. Ich bin geneigt, mustarius in Urkunden ohne Zusatz eher auf einen Freien als auf einen Sklaven zu deuten: 1021 wird eine Anzahl von massarii aufgeführt, von denen ein einziger als servus massarius unterschieden wird: Pasqui I n. 111. Ein Hauptargument ist, dass Aldien sehr selten und in geringster Anzahl Vorkommen (Hartmann. Analekten S. 54), was mit der Annahme, die so zahlreiche Klasse der Kolonen sei unter sie aufgegangen, gänzlich unvereinbar ist. Die alte casa colonica muss der später so häufigen massaricia entsprechen; von casae aldionariciae ist nur höchst selten die Rede, meist nur der Vollständigkeit wegen in den Pertinenzformen der Urkunden und Diplome, ein atdio 730 bei Siena genannt: Reg. Sen. I n. 2. Im Pisanischen findet sich (Arch Arcivesc., Mensa n. 15, a. 804, ed. Muratori, Antiq. Ital. III 1019) eine casa et colonia erwähnt, in der ein Libellarier angesetzt wird, ganz gleichbedeutend wie sonst casa et res (sors) massaricia. Bei Cosona zwischen Siena und Arezzo wird 796 in einer Amiatiner Urkunde Land ad lavorandum, tam dominicale quam et de colone erwähnt: Brunetti II n. 43. In Pertinenzformeln der Diplome für toscanische Empfänger sind die coloni nicht oft genannt, am häufigsten in Arezzo (z. B. Konrad II. D. 263), Città di Castello und Perugia (D. H II. 369. C II. 185). Aus Arezzo notiere ich noch Pasqui I n. 108. 109 (a. 1016); dazu n. 112 tam domnicata quam colonitia. Ein Libellarier, eigens als homo liber bezeichnet, übernimmt im Jahre 764 die Verpflichtung, angaria zu leisten siciit est consuetudo vobis facere alii massarii de ipso loco, was doch mehr an Kolonen wie an Sklaven denken lässt (Mem. e doc. di Lucca V 2 n. 85). In den später von Karl dem Crossen an den Kirchenstaat abgetretenen Teilen von Südtoscana werden bisweilen Kolonen genannt, so im Privileg Leos IV. für Toscanella cum . . . colonis et colonabus ibidem residentibus. Ein Besitzer verkauft im Jahre 776 (Mem. e. doc. di Lucca ib. n. 159), sein Wohnhaus in Legoli im Eratal. wo er habitator ist, mit Zubehör unter der Bedingung, ut tu (der Käufer) ... de ipsa res iustitiam donica perexolvere diveas, sicut et ego perexolsi; es könnte eine alte Kolonenstelle sein, an der trotz Besitzwechsels die Abgabenpflicht haftete; dann wäre der Kolone ursprünglich nicht einmal der Freizügigkeit beraubt gewesen. Es kann aber auch Ansiedlung auf Kronland wie in dem vielbesprochenen Fall von Arena (s. u.) vorliegen. In der Zeit, ehe die Libellarier zahlreich werden, muss es doch noch besonders viele Kolonen gegeben haben; warum sollten sie, aber nicht die Sklaven ausgestorben sein? Da wird einmal (a. 764, ib. IV 1 n. 57) aufgezählt curtes sundriales, casas massaricias et aldionales. Ist nun der Weg, die Kolonen zu Aldionen werden zu lassen (gegen den spricht, dass die Aldionen auch in Toscana nur Brief-oder Botendienste zu haben scheinen, während die Kolonen nicht so milde behandelt worden sein können : denn a. 754, Mem. e doc. IV 1 n. 47 sind es wohl aldiones, die mit qui fuerunt epistolas deportantes erklärt werden, vgl. Hartmann, Analekten S. 54 Anm. 1), nicht gangbar, so liegt wohl die Identifizierung der freien Massarier mit den Kolonen am nächsten.

 

 

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In der Stadt ist eine grössere Veränderung vor sich gegangen. Von dem Volke der Krämer und Handwerker wissen wir wenig (1); die Abgaben von ihren Erzeugnissen und Waren an das Gemeinwesen mögen, wie ein Beispiel aus dieser Zeit nahelegt (2), fortbestanden haben, aber im übrigen ist kein Grund zum Zweifel vorhanden, dass diese Leute frei blieben, soweit sie es gewesen waren (3).

 

 

(1) Vgl. die Kaufleute de Langobardia, die angeblich 629 den Markt von Paris besuchen, D. Merow. Spur. n. 23 (echte Vorlage). Unter den Handwerkern findet sich später mancher exercitalis, die Langobarden haben sich sehr bald dem städtischen Leben und seinen Berufen angepasst. An der Darstellung der ursprünglichen Ordnung ändert diese Tatsache aber nichts. Vgl. die von Schiaparelli in Bull. stor. Ital. XXX (1909) herausgegebenen Urkunden aus Piacenza p. 58 n. 4.

(2) Die bekannte Seifensteuer aus Piacenza, Troya n. 566. 591, Hartmann II 2 S. 43 und Analekten S. 94. Auf spätere Abgaben der Fleischer für ihre Verkaufsstände auf dem Markt von Genua wies ich Hist. Vierteljahrschr. XIV 88 hin: wahrscheinlich gehen auch sie über die Langobardenzeit auf römische Ordnungen zurück.

(3) In den Urkunden finden wir oft neben exercitales Personen, die nicht als solche, sondern etwa nur als liberi homines bezeichnet werden (715, Pasqui I n. 5 unter den Zeugen); dass es derartige niedere Freie gibt, beweist das Vorhandensein der nicht freizügigen liberi massarii und später liberi libellarii.

 

 

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Freilich fehlten ihnen wohl meist die Voraussetzungen zum Kriegsdienst zu Ross, der Grundlage der vollen staatsbürgerlichen Rechte; dieser blieb den eigentlichen Hochfreien, den Arimannen (Heermannen, lateinisch exercitales), Vorbehalten. Die Stadtgemeinde war wieder, wie in der Frühzeit des klassischen Altertums, mit der Hoplitengemeinde identisch, und es hatte wenig gefehlt, dass selbst die Zersplitterung der Urzeit, als Italien in zahlreiche unabhängige städtische Gemeinwesen zerfiel, von neuem eintrat; so wirksam war der Rückfall in längst überwundene Wirtschaftsstufen, dass in der Herzogszeit schon ein Anfang dazu gemacht worden war, und es bedurfte noch harter Kämpfe, bis es dem Königtum gelang, die Einheit des Reiches von Pavia zu festigen.

 

Zu der Gemeinde der Arimannen, der grundbesitzenden Vollbürger, gehörten auch die Überreste der römischen possessores; wir hören noch einmal von einer vornehmen Römerin zu Pavia (1), im ganzen treten uns als Bürger der Langobardenstädte eben nur Langobarden entgegen, die Römer der sozial führenden Klassen waren verschwunden oder mit ihnen verschmolzen. Bei der Eroberung von Römerstädten wurden die Einwohner gezwungen, die langobardische Haartracht anzunehmen (2), das äussere Symbol des Gedankens, dass sie nunmehr dem Germanenstamme, seinem Staate und Ivulturkreise angehörten und sich seinem Recht zu beugen hatten. Denn nicht wie beispielsweise in den Reichen der Gothen und Franken stand eine Römergemeinde der langobardischen gegenüber; es gehört zu den gesicherten Ergebnissen der Forschung seit Hegel bis auf Halban, dass das langobardische Recht — schränken wir sofort ein: ursprünglich — territorial war (3). Erst spät und unter gänzlich veränderten Verhältnissen, seit dem erneuten Vordringen König Liutprands in den byzantinischen Exarchat,

 

 

(1) Paulus V 37 zu 36. 38. II 32, vgl. Schupfer, Istituzioni p. 95. Hegel I 380. Hierhin gehört z. B. auch die Tatsache, dass König Adalwald das römische Element begünstigte; doch sicher unter den Vornehmen, wie Schupfer p. 89 hervorhebt.

(2) Über die langobardische Haartracht Paulus IV 22. Über das more Langobardorum tondi unterworfener Römer: Liber pont. I 420; vgl. Regel I 423. Mayer I 47.

 

(3) Es ist nicht erforderlich, auf diese Streitfrage zurückzukommen, da auch Hartmann trotz abweichender Erklärung mit der Einschränkung, Gebrauch römischen Rechtes im Langobardenreich sei das Ergebnis späterer Entwicklungen, zustimmt. Niese S. 371-372, der Mayers zu weit gehende Ansichten über die Geltung des römischen Rechts auf das richtige Mass zurückführt, schliesst aber, “dass im allgemeinen der Römer weithin eine rechtliche Sonderstellung einnahm„, was ich in dieser Fassung nicht zageben kann.

 

 

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hören wir wieder von Römern im Langobardenreiche (1), und dies haben alle die nicht beachtet, die einen ursprünglichen Dualismus im Reiche von Pavia aus der Erwähnung von Römern in den Gesetzen Liutprands haben erschliessen wollen.

 

Die aus Langobarden und Römern neu entstandene einheitliche Rasse sprach eine romanische Sprache, eine Abart des Vulgärlateins (2). Wenn man auch aus der Sprache keinen Rückschluss auf die Rasse ziehen darf — die heutigen Bulgaren, ugrofinnischer Herkunft, sprechen seit vielen Jahrhunderten eine slawische, also den indogermannischen zugehörige Sprache —, so ist doch sicher, dass das germanische Element in der Minderzahl war; sonst wäre die langobardisehe Sprache wohl weniger schnell und gründlich in Vergessenheit geraten. Aber unter den Grundbesitzern fühlte sich das langobardisehe Element als massgebend, besonders in Toscana, wo noch viel später die freien Herren des platten Landes als Langobardi, Lambardi bezeichnet wurden (3); und diese Kreise mochten sich, nachdem sie längst der germanischen Laute entwöhnt waren, noch immer stolz als Herren der Römer fühlen (4), da ihnen die abweichende Sitte der abhängigen ländlichen wie der niederen städtischen Bevölkerung immer aufs neue vor Augen trat. In diesem Sinne sagte noch König Aistulf, durch das Königtum sei ihm der Populus Romanorum übertragen (5), und ein viel späterer Schriftsteller, Bischof Liutprand von Cremona, äusserte mit dem hochgemuten Kationalstolz des Langobarden, bei ihnen sei es die ärgste Schmach, ein Römer geschimpft zu werden (6). So stand das Herrenvolk, das die Reste der römischen Vornehmen in sich aufgenommen hatte, den zahlenmässig weit überwiegenden sozial tiefstehenden Schichten römischer Herkunft etwa gegenüber wie einst die Etrusker den unterworfenen Italikern,

 

 

(1) Hartmann II 2 S. 4. 25. Neumever S. 55-57. Halban S. 65-71. Niese S. 371.

(2)  Hartmann II 2 S. 22-25.

(3) Diese Tatsache lässt sich nicht, wie Volpe. Pisa e i Longobardi, in Studi Storici X 41S in übergrosser Skepsis will, ohne Zurückgehen auf ethnographische Grundlagen erklären. Warum sollte man die Römer Langobarden genannt haben?

 

(4) Ein gutes Beispiel bietet der Geschichtsschreiber der Langobarden, ein völlig romanisierter Geistlicher, wie Hartmann II 2 S. 24 mit Recht sagt, der Diakon Paulus, Sohn des Warnefrid, der aber doch voller Nationalstolz, ja in seiner Art ein Nationalist ist und sich im Hervorheben der Vorzüge seines Volkes nicht genug tun kann; vgl. oben S. 155 Anm. 1 und etwa noch die Stelle Paulus III 29. wo der Autor tadelnd bemerkt, in seiner Hauptquelle. Secundus, sei ein bestimmter Sieg der Langobarden übergangen: er beeilt sich, ihn nach einer ausländischen Quelle, in derer ihn gefunden hat (Gregor von Tours IX 25), zu berichten.

 

(5) Edikt. Prolog des ersten Jahres.

(6) Legatio c. 12.

 

 

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wie die Deutschen in den russischen Ostseeprovinzen den Esthen und ihren Stammesbrüdern oder wie die Türken den Rajahvölkern — nur dass es seine Sprache nicht bewahrte. Und dieses Herrenvolk ist auch gemeint, wenn von den Bürgern oder dem Aufgebot einer Stadt gesprochen wird; denn die Stadt blieb der kulturelle Mittelpunkt und der hauptsächliche Markt (1). In der Frühzeit der Langobardengeschichte wird selten ein Landort als Wohnsitz eines Freien genannt: und doch werden die Grundbesitzer noch weniger wie im Altertum oder in unsern Tagen vorwiegend in der Stadt gewohnt haben.

 

Die Gemeinde der Heermannen, gleich an Rechten und Pflichten, wenn auch ungleich an Ansehen und Besitz (2), stand nur hinter den Führern, dem König, den Herzogen und Gastalden, zurück, umgekehrt wie im sinkenden Kaiserreich des Altertums. Der schöne Schein von Freiheit und Selbstverwaltung der Städte war entschwunden. die wahre persönliche Freiheit, von der in jenen trüben Tagen des Verfalls und der Versteinerung aller Lebensformen selbst der führenden Klasse der Kurialen nur ein trauriges Zerrbild geblieben war, hielt wieder ihren Einzug in die Nordhälfte Italiens. Das ethische Empfinden des Germanentums hatte das spätantike verdrängt, und erst der Langobarde lehrte den Enkel des Romulus wieder das altrömische Mannesideal kennen, das dem altgermanischen so wesensgleich war wie sein edler Zwillingsbruder (3).

 

Keinen Verfall und keinen Ruin haben die Langobarden Italien und insbesondere Toscana gebracht (4).

 

 

(1) Dass die Römer langobärdische Namen annahmen (Mayer I 47), ist eine unmögliche These. Hier ist an die bis auf die gebräuchlichsten christlichen Namen rein germanische Zusammensetzung der Eigennamen beispielsweise im langobardischen Lucca zu erinnern. Zwischen lateinischen Namen wie dem des Königs Desideritis, der Herzoge (tregorius von Chiusi und Benevent einerseits, der Bischöfe Martian und Gaudentian von Volterra, Lupertian von Siena andrerseits kann man aber noch einen Wesensunterschied heransfühlen. Da jede Beziehung auf einen Heiligen oder der Wunsch einer glücklichen Vorbedeutung, der bei der Namengebung eine solche Rolle spielt (zu Desiderius vgl. spätere Namen wie De(o)taiuti, Bentivenga, Cacciaconte), in der zweiten Reihe fehlt, eben was einen Langobarden zur Wahl dieser Namen hätte veranlassen können, so werden ihre Träger wohl römischen Geschlechts gewesen sein, und ihr geistlicher Stand ist sicher kein Zufall.

 

(2) Hartmann II 2 S. 5 zu II 1 S. 42-43.

(3) Vgl. die schönen Bemerkungen Mommsens über das römische und das byzantinische Kulturideal. Jur. Schr. III 176.

 

(4) Man hat das hauptsächlich durch Verallgemeinerung der rhetorischen Übertreibungen Gregors I. wie Dial. III 38 zu erweisen gesucht. Schon Kaiser Ludwig II. hat einmal in charakteristisch-unhistorischen Worten, wohl in Erinnerung an die Gesetze seiner Vorgänger im alten Reich, die glückliche Römerzeit — Romanis imperatoribus tranquille pacis felicitate orbem regnantibus — den Langobardenstürmen — antequam Longobardorum gladius Italiam populando devastaret — entgegengestellt: Pasqui, Cod. dipl. d’Arezzo I n. 37, BM.2 1179a. Ähnlich lautete damals die Aussage toscanischer Priester, nur noch etwas schauerlicher. Solche Ansichten, die seit der Renaissance in Italien aus nationalistischer Tendenz recht häufig vorgebracht werden, sind auch infolge eines gewissen Vorurteils mitunter von ernsten Gelehrten, wie Schupfer und etwas anders gewendet P. S. Leicht. Studi sulla proprietà fondiaria I 163, geäussert worden; sie fehlen aber selbst in der deutschen Litteratur nicht. Hier kann ein so allgemeiner Gedankengang nicht weiter verfolgt werden.

 

 

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Noch heute gehören die von ihnen dereinst besiedelten Provinzen zu den volksreichsten und zeichnen sich durch überlegene Kultur aus. Nur ihre Städte haben in den glorreichen Zeiten der Kommunalbewegung einen neuen Aufschwung im Volksleben Italiens geschaffen, sie haben die Grundlagen der Renaissance, die Freiheit und Persönlichkeit, für die Welt errungen. Die Landschaften, die kein Langobardenfuss betrat, wie die Campagna und Maremma und viele Gebiete des Südens, blieben entvölkert und in wirtschaftlicher Stagnation; zum mindesten fehlte ihnen, wie Campanien und der Pentapolis, noch lange die Lebensund Schöpfungskraft, und nur in den Seestädten blieb wenigstens wirtschaftlich eine rege Tätigkeit. Niemand hat diesen Mangel an innerer Kraft schöner und treffender charakterisiert wie Vittorio Altieri, der in seinem berühmten Sonett “Lo Stato Romano„ dem Kirchenstaat mit machtvoller Rhetorik seine Erbärmlichkeit vor Augen hielt. Wo die Langobarden festen Fuss fassten, da sehen wir bis in unsere Tage die dichteste Besiedlung, den intensivsten Ackerbau, die grösste Verbreitung von Werten materieller und geistiger Kultur. Nicht zerstört haben die Langobarden die antike Welt: sie haben ihren erschöpften und ausgesaugten Kulturboden mit ihrer noch ungebändigten, aber jugendfrischen und bildsamen, schöpferischen und tatkräftigen völkischen Art befruchtet (1).

 

 

(1) Dazu sei ein ansprechender Gedanke E. Mayers angeführt (um so mehr, als ich mir seine Gesamtauffassung von der Stellung der Römer zu den Langobarden im ganzen nicht zu eigen machen kann). Zu einer späteren Zeit, der fränkischen, bemerkt er in der Einleitung seiner Ital. Verfassungsgesch. S. xliv: “übermüdete Menschen und Völker können ja immer nur durch Barbarisierung gesunden„. Das dürfte noch mehr auf die Wirkung des Langobardeneinfalls zutreffen.

 

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