Reise von Belgrad nach Salonik nebst vier Abhandlungen zur alten Geschichte des Morawagebietes

Johann Georg von Hahn

 

ERSTE ABTEILUNG. Reiseskizzen.

 

  1. Von Wien nach Nisch  25

  2. Nisch  31

  3. Prokop  42

  4. Kurschumlje  47

  5. Thal der Pusta Rjeka  51

  6. Leskowatz  57

  7. Kurwingrad  61

  8. Thal der Medwedja  64

  9. Thal der Weternitza  69

10. Das Masuritza-Défilé der Morawa  76

11. Wranja  82

12. Sweti Prochor  87

13. Thal der Morawitza  91

 

 

I. Von Wien nach Nisch.

 

Da die Untersuchungsreise des Verfassers erst mit der Ueberschreitung der serbischen Südgrenze und der Ankunft in Nisch beginnt, so beschränkt er sich in diesem Abschnitt auf einige persönliche Notizen, welche das Verständniss der folgenden Berichte erfordert, und lässt denselben einen Blick auf den Lauf der vereinten Morawa folgen.

 

Der Verfasser fuhr am 11. September 1858 in Begleitung Herrn Gottschild's, cand. phil. aus Jena, von Wien die Donau abwärts nach Belgrad, wo er eine Woche mit den Vorbereitungen zur Weiterreise verbrachte.

 

Dort wurde er von dem damaligen k. k. Generalconsul, Obristen v. Radosawljewich, unter anderen interessanten Persönlichkeiten auch mit dem fürstlich serbischen Artilleriemajor F. Zach, Commandanten der Belgrader Militärakademie, bekannt gemacht, welcher sich so lebhaft für sein Reiseproject interessirte, dass er ihm vorschlug, die Reise mit zu machen. Der Major hielt dies anfangs für unerreichbar, entschloss sich aber, durch Herrn von Radosawljewich ermuthigt, die nöthigen Schritte zu diesem Zwecke zu thun, und brachte es durch die thatkräftige Verwendung des Letzteren dahin, nicht nur den erforderlichen Urlaub, sondern auch die entsprechenden Diäten für die Dauer der Reise zu erhalten, welche ihn in den Stand setzten, einen der zweispännigen gedeckten leichten Leiterwagen, wie sie in Serbien und Nieder-Ungarn zum Reisen benutzt werden, zu 1 Ducaten per Tag zu miethen. Dieser diente unter der Führung seines Eigenthümers Gusman, eines äusserst tüchtigen Kutschers, als gemeinsamer Bagagewagen.

 

Wenn der Verfasser dem Herrn v. Radosawljewich, ausser den vielen^ ihm erwiesenen Aufmerksamkeiten, namentlich für die Vermittlung eines so ausgezeichneten Reisegefährten erkenntlich sein muss, so schuldet er dem Kanzler des Generalkonsulats, Herrn v. Vraniczani, für die liebenswürdige Vorsorge, mit der er sich der

 

 

26

 

Beschaffung des ihm benöthigten Gefährtes annahm, gleichen Dank. Denn da sich in Belgrad keine entsprechenden Pferde fanden, so fuhr er selbst nach dem Pferdemarkte von Panschowa und brachte von dort ein Gespann von drei allerliebsten kleinen schwarzen Hengsten für einen unerwartet billigen Preis zurück. Freilich erschrak der Verfasser, als er hörte, dass das älteste dieser Thierchen noch nicht volle 4, das Handpferd 3 und das Beipferd kaum 2 1/2 Jahre alt sei. Auch erschien die einzige verkaufbare Jagdkalesche, wenn auch tüchtig in Kadern und Gestell, so doch für ihre Spurweite sehr hochgestellt und in ihren Druckfedern äusserst schwach, aber der Gedanke, dass seine Reisezwecke nur kleine Tagreisen gestatteten, und dass es bei einem so waghalsigen Unternehmen auf eine Chance mehr oder weniger nicht ankomme, hoben den Verfasser um so leichter über diese Bedenken, als er in der Wahl seiner Leute äusserst glücklich war; denn der Kutscher Jowan, ein geborener Albanese aus Prisrend, war eine in seinem Fache renommirte Persönlichkeit , er hatte die Türkei fast in allen Richtungen zu Wagen durchkreuzt, und trug seine stark geschwungene Falkennase so kühn in die Welt, dass ihn Jedermann für einen Türken hielt; Kyro aber (eine Abbreviatur von Kyrillos) Trificli, aus Kostainitza in der Militärgrenze, zeigte sich auf der ganzen Reise so praktisch, gewandt und unverdrossen, dass wir ihn jedem Reisenden im Innern der Türkei zum Bedienten empfehlen möchten. Uebrigens kannten die Leute ihren Werth und Hessen sich danach bezahlen, denn der Kutscher erhielt 7 und Kyro 5 Ducaten per Monat.

 

Dagegen erwies sich der Reitknecht des Majors, welcher dessen Reitpferd, eine hochbeinige Stute arabischer Abkunft, von phlegmatischem, aber ungemein zähem Temperament, besorgen sollte, sehr wehleidig und unpraktisch, und wurde daher, als er in Nisch das Fieber bekam und zurückzukehren begehrte, mit Vergnügen entlassen und die Stute von Gusman in Pflege genommen.

 

Am 21. September fuhren wir an einem schönen Nachmittage von Belgrad aus, hatten aber kaum eine halbe Stunde zurückgelegt, als die erste Begegnung ein bedenkliches Vorzeichen für unsere Reise ergab. Der Tartar, welcher die kaiserliche Post von Constantinopel nach Belgrad führte, ritt nämlich, in einen weiten weissen Burnus gehüllt, kraft seines Privilegiums, Niemandem auszuweichen, scharf trabend auf unsern Wagen zu und erschreckte die jungen Thiere dergestalt, dass sie gleichzeitig links sprangen und die Deichsel ihre Erhaltung nur ihrer grossen Elasticität verdankte, der Wagen aber zu kippen begann. Jowan hatte Mühe, die Thiere zu bändigen, bis

 

 

27

 

wir aus dem Wagen herzu eilten. Von da an fuhr freilich der Bagagewagen vor, aber der Vorfall eröffnete eine bedenklicke Zukunft und veranlasste in unserem Innern die lebhaftesten Strafpredigten gegen den Leichtsinn, mit so jungen und scheuen Pferden und einem so kippigen Wagen auf Entdeckungsreisen nach Gegenden auszugehen, von denen es noch nicht sicher war, ob sie überhaupt befahrbar seien. Es schien bei dem Hergange jedoch nur auf diese Zerknirschung abgesehen, denn die Thierchen zeigten sich nun so fromm, dass Jowan nach ein paar Tagen stillschweigend den ersten Platz wieder einnahm und auf der ganzen Keise behauptete, während welcher die Haltung dieser jungen Thiere oft unsere Bewunderung erregte. Nur in seltenen Fällen zeigten sie nach harten Strapazen Spuren von Ermüdung; selbst wenn sie am Abend vorher das Futter versagt, kaum ausgespannt sich niedergelegt hatten, waren sie am Morgen wieder munter und der erzählte Fall vor den Thoren von Belgrad blieb der einzige, in dem sie Neigung zum Scheuen gezeigt hatten. Sie kamen frischer und blanker in Salonik an, als sie von Belgrad ausgefahren, und Jowan erhielt das Trinkgeld, welches ihm der Verfasser versprochen hatte, wenn er den Wagen, ohne ihn umzuwerfen, nach Salonik bringen würde.

 

Unsere Keise durch Serbien war eine gemüthliche Spazierfahrt, denn in kleinen Tagreisen fuhren wir bei herrlichem Wetter auf chaussirten Strassen von Dorf zu Dorf, von Städtchen zu Städtchen, die breite Thalebene der vereinigten Morawa aufwärts. Der Major hatte den an ihrem Ostrande laufenden Weg dem westlichen, directeren vorgezogen, weil er trockener und reicher mit guten Herbergen besetzt ist. Wirklich fanden wir auch überall gutes Essen, leidlichen Wein, und wenn unsere Schlafzimmer sich auch nicht immer so schmuck zeigten, wie in Passarowitz und Paradschin, so waren sie doch reinlicher, als wir sie nach den Schilderungen erwarteten, und der Leser dürfte wohl staunen, wenn er hört, dass wir auf unserer ganzen Reise von Belgrad nach Salonik in keiner Nacht von Flöhen oder noch widrigeren Insecten beunruhigt worden sind. Freilich möchten wir diese Wohlthat vorzugsweise unseren Vorkehrungen zu danken haben. Wo nämlich nur der geringste Verdacht vorhanden war, liessen wir Alles, was in den Schlafräumen an Kissen, Teppichen oder Matten vorhanden war, entfernen, die frisch gefegte Schlafstelle mit einer Lage frischen Heues belegen und darauf unser eigenes Bettzeug breiten, welches jeden Abend mit persischem Insectenpulver eingestreut wurde, von dem wir mehrere Pfunde von Wien aus mitgenommen hatten.

 

 

28

 

Werfen wir nun einen flüchtigen Blick auf die Natur der Thalmulde, an deren welligem Ostrande wir hinzogen, und den Fluss, welcher sie durchläuft, weil wir auf unserer Reise dessen rechten Hauptarm bis zu seiner Quellgegend verfolgen werden.

 

Die vereinigte Morawa, welche aus dem Zusammenflusse der serbischen und bulgarischen Morawa bei Stalatsch gebildet wird, durchläuft von diesem Puncte bis zu ihrer Mündung in die Donau eine breite, ebene, äusserst fruchtbare Thalmulde, welche sich rechtwinkelig auf die Donaurinne aufsetzt und deren Länge von Stalatsch bis zur Morawamünduug bei Kulitz 17 geographische Meilen oder 34 Stunden beträgt. Dieselbe wird durch das Défilé von Bagrdan unweit Jagodin in eine kleinere südliche und eine grössere nördliche Hälfte getheilt, indem die den Ost- und Westrand der Mulde bildenden und denselben Namen, Zrni Wrh, führenden Bergzüge Ausläufer gegen die Morawa vorschicken. Das hierdurch gebildete Flussdéfilé ist nur etw a 200 Schritte lang, doch tritt hier auch der Höhenzug des linken Ufers dem Flusse so nah, dass ein Wagen nur bei niederem Wasserstande zwischen ihm und dem Flusse passiren kann.

 

Die Ausläufer des östlichen Zrni Wrh treten dagegen auf der ganzen Strecke zwischen Swilänatz und Glokowatz so hart an den Fluss, dass an den meisten Stellen nicht einmal Kaum für einen Fusssteig bleibt, und die auf dem rechten Ufer der Morawa laufende Strasse kreuzt diese Höhenzüge in einer grossen gegen Osten laufenden Bogenlinie.

 

Mit Ausnahme des Défilés von Bagdran und einer unbedeutenden, bei jedem Wasser leicht passirbaren Enge, welche ein vom Jaworberge gegen die Morawa streichender Ausläufer bei dem Dorfe Jowatz verursacht, bildet das linke Ufer der Morawa von Stalatsch bis zur Mündung eine vollkommene Ebene.

 

Bei dem Städtchen Tschupria weicht die von Belgrad nach Alexinatz und Nisch führende Strasse allmählich aus dem Rinnthale der Morawa, indem sie in gerader südöstlicher Linie den Winkel abschneidet, welchen die vereinigte Morawa mit dem untersten Laufe ihres bulgarischen Zweiges bildet. Sie muss jedoch zu dem Ende die Ausläufer kreuzen, welche die Moschnakette gegen Südwesten sendet, und deren hart an die bulgarische Morawa tretenden Theile den Ost-Rand ihres Mündungsdéfilés bilden.

 

Wir ritten daher von Schupeljak aus nach dem Dorfe Stalatsch, welches im Mündungswinkel liegt, um von der Vereinigung der beiden Morawa und dem Defil£ Einsicht zu nehmen, aus welchem die bulgarische Morawa kurz vor ihrer Mündung tritt.

 

 

29

 

Stalatsch liegt 348 Fuss über dem Meeres- und 158 Fuss über dem Donauspiegel seines Meridians, am Ausgange des erwähnten D6fil6s, am nordöstlichen Fusse des letzten Vorstosses desjenigen Höhenzuges, welcher die West-Wand des Défilés bildet. Dieser Vorstoss erhebt sich nach unserer Messung an 120 Fuss über den Flussspiegel und wird von den Ruinen des Schlosses gekrönt, dessen Einnahme durch die Türken die serbische Sage in einem ihrer schönsten Lieder besingt.

 

Sie bestehen aus der Hälfte eines dicken Thurmes und aus einer der Mauern des Schlosses, in welcher mehrere Spitzbogenfenster angebracht sind. Wir glaubten in diesen Resten drei Baualter unterscheiden zu können, deren ältestes wegen der Vortrefflichkeit des Cements vielleicht der Römerzeit angehört. Die beträchtlichen Umfassungsmauern scheinen anzuzeigen, dass die alte Stadt um das Schloss herum gruppirt war. Etwa eine halbe Stunde nördlich von dem Festungsberge erblickt man die Vereinigung der beiden Morawa, welcher die bulgarische, als ob sie sich über ihre Befreiung aus dem Zwang der Berge freute, in barocken Bogenläufen zueilt, während, gegen Südwesten zu, sich die Thalmulde der vereinigten Morawa fortsetzt und von dem serbischen Zweige derselben bewässert wird.

 

So oft wir die Morawa zu Gesicht bekamen, spähten wir vergebens nach irgend einem stromauf- oder abwärts gehenden Fahrzeuge, und erkundigten uns überall gleich erfolglos nach solchen. Es gibt nur Fähren, und die Schifffahrt, welche vor zwei Jahrhunderten den Fluss belebte, ist jetzt verschwunden. Wir fanden nämlich in der Reise, welche Brown [1] im Jahre 1669 durch diese Gegenden machte, dass die Morawa damals beschifft wurde und dass man auf ihr Salz und andere Waaren aus Oesterreich und Ungarn stromaufwärts brachte.

 

Wir hofften, auf unserem Rückwege zur Hauptstrasse bei Raschan, wo uns die Wägen erwarteten, das Mündungsdéfilé der serbischen Morawa zu passiren. Dies war jedoch nicht der Fall, und wir lernten auf diesem Wege nur so viel, dass dasselbe ausgedehnter sei, als wir vermuthet hatten, und aus zwei durch eine halbstündige Kesselebene getrennten Theilen bestehe.

 

Nach dem beiläufigen Ueberschlag der in Raschan vorgenommenen Höhenmessung hielten wir diesen Punct für viel höher gelegen, als ihn die Berechnung ergeben hat, denn nach dieser liegt er nur 423 Fuss über dem Mittelstand des Wasserspiegels der Morawa bei Alexinatz.

 

 

1. Deutsche Uebersetzung. Nürnberg 1686, S. 124.

 

 

30

 

Wir fuhren daher nach dem Kloster St. Romanus, welches eine starke halbe Stunde von dem rechten [1] Ufer der Morawa liegt, um von hier aus von Süden her in das Défilé einzudringen. Da der freundliche Abt dieses Klosters meinte, dass im Sommer mitunter Wagen durch das Défilé fuhren, so beschlossen wir, den Versuch zu machen, und fuhren um Mittag mit dem Bagagewagen ab, denn vom Kloster bis Stalatsch sollten nur 3 Stunden sein, und wir dachten daher vor Anbruch der Nacht wieder dahin zurückzukehren. Statt dessen wurden wir von dieser überfallen, noch ehe wir Stalatsch erreichten, und hatten nun noch eine Stunde zu thun, bis wir den schlüpfrigen abschüssigen Weg längs des Flusses Schritt vor Schritt, ja Fuss vor Fuss aufsuchend dort ankamen, während der Regen unsere erhitzten Glieder berieselte und stossweise das kühne Beginnen sogar beklatschte. Wir werden diese Nachtfahrt im Défilé von Stalatsch und die precären Situationen, in die sie uns brachte, noch lange in Erinnerung behalten, und waren auch von unserem ersten Erfolge dergestalt befriedigt, dass wir auf dessen Wiederholung um so mehr verzichteten, als sie durch den über Nacht gefallenen Regen noch mehr erschwert worden wäre. Wir zogen es daher vor, den Rückweg zum Kloster zu Pferde zu machen und den Wagen auf dem Fahrwege dorthin zu schicken. Die auf dieser zweimaligen Besichtigung über das Défilé gesammelten Notizen [2] ergaben, dass die Führung der Eisenbahn durch dieses Défilé zwar nicht unmöglich, aber mit ungemeinen Kosten verbunden sein würde, und dass eine technische Untersuchung wahrscheinlich die Umgehung desselben durch Kreuzung der Höhen von Raschan als die einfachere und wohlfeilere Linie herausstellen dürfte, da die sanfte Böschung ihrer langgestreckten Thäler dieselbe sehr zu begünstigen scheint [3].

 

Vom St. Romanus-Kloster fuhren wir zu dem schmucken Grenzstädtchen Alexinatz, wo wir zum letzten Male auf serbischem Boden übernachteten. Nach dem Abendessen bat daher Kyro um Erlaubniss, der Einladung Gusman's folgen und noch einen vergnügten Abend begehen zu dürfen, denn jenseits der Grenze höre alles Vergnügen auf und heisse es „Ohren steif". Auf die Frage, ob sie sich denn fürchteten, nach der Türkei zu gehen, antwortete er, das sei gewiss nicht der Fall, aber sie wüssten auch, dass es drüben nicht vergnüglich sei,

 

 

1. Nicht linken, wie bei Kiepert.

 

2. Siehe erste Ausgabe S. 131.

 

3. Bestätigt durch das in der zweiten Abtheilung angeführte Memoire von Kuss.

 

 

31

 

denn das Arnautlik, welches wir besuchen wollten, sei die verschrienste Nachbarschaft von ganz Serbien. Wir erfuhren somit, dass der dienende Theil unserer Gesellschaft die Gegenden, denen unser Herz entgegenschlug, mit sehr abweichenden Gefühlen betrete.

 

Dieses Gespräch veranlasste eine reifliche Berathung mit dem Major über die Art unseres Auftretens in diesen Gegenden, denn bei näherer Prüfung erschien unsere dortige Stellung keineswegs frei von allen Bedenken. In Alexinatz hörten wir nämlich von Unruhen, die unter den bulgarischen Bauern der Grenzbezirke ausgebrochen sein sollten; wir wussten auch nicht, welchen Eindruck das kurz vorher erfolgte Blutbad von Dschedda auf die Muhamedaner dieser Gegenden gemacht hatte, und wir wollten in der Gesellschaft eines serbischen Stabsofficiers in denselben topographische Untersuchungen anstellen. Alle diese Bedenken forderten nicht nur allgemeine Vorsicht, sondern zur Feststellung einer genau bestimmten Verhaltungslinie auf, und nach den kräftigen grossherrlichen Firmans, welche wir der gütigen Vorsorge der kaiserlichen Internunciatur in Konstantinopel verdankten, glauben wir der consequenten Befolgung derselben die anstandslose Durchführung unserer Untersuchungen zuschreiben zu dürfen.

 

Demzufolge zeigten wir uns von Alexinatz aus dem Pascha von Nisch auf telegraphischem Wege an, mit der Bitte, uns bis zur Grenze eine Begleitung entgegen zu schicken und in einem christlichen Hause Quartier für uns besorgen zu lassen.

 

 

II. Nisch.

 

Kein Land hat so wohlverwahrte Grenzen, als Serbien, denn längs des ganzen trockenen Theils derselben hat Fürst Milosch einen mächtigen Holzzaun gezogen, welcher auf serbisch Plot heisst und von seinen Nachfolgern sorgfältig unterhalten wurde. Er läuft meistens auf der Kante der Gebirgsrücken und wird von einer Art Communalgarde bewacht und täglich zu festgesetzten Stunden abgegangen. In diesem Zaune sind auf den Hauptverbindungswegen grosse Holzthore angebracht, welche stets verschlossen gehalten und nur für die Passanten geöffnet werden. Wir haben ihre Anzahl vergessen, sie ist jedoch sehr gering.

 

Ob dieser strenge Abschluss nur zu dem Zwecke eingeführt wurde, um das Land vor der Pest zu schützen, wissen wir nicht zu sagen;

 

 

32

 

doch ist es eine bedauerliche Thatsache, dass Serbien noch immer an der alten Quarantainepraxis festhält, während alle europäischen Staaten dieselbe seit langem den Bedürfnissen des Verkehrs angepasst haben. Wie sehr hierdurch nicht nur der eigene Handel dieses Landes, sondern auch der Durchgangsverkehr durch dasselbe erschwert wird, bedarf keiner näheren Ausführung, und es wäre daher gewiss im allseitigen Interesse, diesem Unwesen so rasch als möglich ein Ende zu machen. Wenn sich Serbien in sanitätspolizeilicher Hinsicht hermetisch von seiner Nachbarschaft abschliessen will, so ist dies eine Liebhaberei, gegen welche wohl Niemand etwas einzuwenden haben dürfte: wenn es aber mit dieser Absperrung zugleich Massregeln verbindet, welche zu seinem eigenen Schaden die Entwickelung eines regen Verkehrs zwischen dem südlichen Oesterreich und den durch Serbien von ihm getrennten türkischen Provinzen unmöglich machen, so dürften allerdings sowohl Oesterreich als die Pforte berechtigt sein, auf deren Abstellung zu dringen [1].

 

Das Thor der Constantinopeler Strasse steht zwei kleine Stunden von der Kreishauptstadt Alexinatz entfernt, der Weg bis zu ihr führt über die letzten sanftwelligen Ausläufer der Topolnitza-Kette gegen das Thal der Morawa, dessen wragrechte Sohle, wie uns versichert wurde, von dem oberen Ende des Défilés von Stalatsch bis zu dem von Kurwingrad durch keinerlei Ungleichheit unterbrochen wird.

 

Die Grenzlinie durchschneidet hier das Flussthal, indem sie einem vom Gebirge herabkommenden Bache folgt und jenseits auf der Kante eines Ausläufers des Jastrebatz zu dem Kamme dieses Gebirges aufsteigt.

 

Das serbische Thor öffnete sich ohne Umstände: wir fuhren durch und fanden uns den türkischen Grenzwächtern gegenüber, welche unweit des Thores ihr Wachthaus hatten und sich eben so coulant zeigten, als ihre serbischen Kameraden, obwohl sie die Frage, ob Jemand zu unserer Begleitung von Nisch gekommen wäre, verneinten. Da die Leute keine Pferde hatten und es schon spät am Tage war, so mochten wir die Zeit nicht mit Unterhandlungen verlieren,

 

 

1. Der serbische Finanz-Minister Cukić hat im Jahre 1865 den Transitohandel von allen Zwischenzöllen befreit. Die Abgaben von dem Gepäcke der Reisenden wurden bereits früher aufgehoben. — Diese und die folgenden mit den Initialen F. K. unterzeichneten Anmerkungen rühren von dem Reisenden Herrn F. Kanitz her, welcher die europäische Türkei in den letzten zehn Jähren wiederholt zum Zwecke archäologisch-ethnographischer Forschungen bereiste.

 

Der Autor.

 

 

33

 

und fuhren ohne Begleitung gegen Nisch; doch trafen die vom Pascha entgegen gesandten Reiter bald mit uns zusammen.

 

Es war ein herrlicher Abend und die Stimmung durch den Gedanken sehr gehoben, dass wir uns endlich auf dem lang ersehnten Boden befanden. Die dardanische Hochebene lag vor uns ausgebreitet. Doch kostete es Mühe, sich in derselben zurecht zu finden, denn da, wo Kiepert's Karte von Serbien den kleinen Jastrebatz auf dem linken Morawaufer als ein bis gegen Kurwingrad reichendes Massengebirge verzeichnet, dehnte sich unmittelbar am Fusse der steil aufsteigenden Gebirgskette eine mehrstündige Ebene aus. Hinter derselben erhob sich gegen Südwesten eine unbekannte wunderschön gezeichnete Kette mit drei Kuppen, welche meine Begleiter von Nisch nicht zu nennen wussten und deren eigentlichen Namen trotz emsiger Nachfrage wir niemals erfahren könnten. In der Richtung unseres Weges, gegen Südost gesehen, hatten wir einen Kranz von vielgestalteten Bergformen vor uns, welche die Busenebene von Nisch einfassen und aus deren Mitte der weisse Felskegel der Stara Planina [1] so steil heraus ragt, dass dessen Ersteigung von dieser Seite, wenn nicht unmöglich, so doch ungemein schwierig erscheint. Der grauweissen Farbe seines Gesteines dürfte der Berg den Namen des „Altgebirges" verdanken.

 

Die Ebene ist so wagrecht, dass sie das Erzeugniss des Wassers zu sein scheint, vermuthlich gehörte sie zu dem Boden des Sees, der vor dem Durchbruch des Défilés von Stalatsch die dardanische Ebene bedeckt zu haben scheint. Trotz ihrer Fruchtbarkeit ist sie schlecht bebaut,

 

 

1. Dieser Name „Stara Planina" ist in Nisch, wie im ganzen nördlichen Bulgarien, nur als die slavische Bezeichnung jener Parthie des Balkans gekannt, welche türkisch „Chodscha Balkan" heisst, geographisch die natürliche Wasserscheide zwischen dem Timokflusse und der Donau bildet und politisch-administrativ die Vijalets Nisch und Widin von einander trennt. Die Stara Planina erhielt durch die neuangelegte Heerstrasse zur Verbindung der grossen Militärcentren und Handelsstädte Nisch und Sophia mit Widin und Lom eine erhöhte Bedeutung. Das Gebirge im Süden von Nisch, welches irrig den Namen Stara Planina auf unseren Karten trägt, heisst Suva Planina. Es ist der mächtigste Gebirgsstock zwischen der bulgarischen Morava und Nischawa und trägt seinen Namen seit alter Zeit. Schon der Topograph von Rebain nennt es in seiner „Mappa" vom Jahre 1740, das „Suha-Felsen-Gebirge". Die Terrainzeichnung und Topographie unserer besten Karten leiden mitlang der grossen Constantinopler Strasse an so groben Unrichtigkeiten, dass sie für die Tracirung der projectirten Eisenbahnlinien nur eine höchst verwirrende Unterlage bieten. Ein Vergleich meiner Karte des nördlichen Bulgariens mit dessen bisherigen Darstellungen dürfte diesen Ausspruch rechtfertigen.

 

F. K.

 

 

34

 

eine Erscheinung, welche in der Umgebung der türkischen Hauptstädte, besonders in der Richtung der grossen Heerstrassen die Regel bildet. Der Druck der Lasten, welcher auf den Bewohnern der Nachbarschaft grösserer Städte lag, war in früheren Zeiten so gross, dass er sie aus derselben verscheuchte, und ihre Abstellung ist noch zu neu, um hierin eine Aenderung bewirkt zu haben.

 

Nisch liegt fast am Ostende der Ebene, und wird von der Nischawa durchflössen, welche die Stadt von der nur wenig höher gelegenen Festung trennt. Eine gut gebaute Holzbrücke führt über den Fluss. Die Festungsmauern mit der von zahlreichen Minarets überragten Häusermasse, welche sich in mehrere grün durchwachsene Vorstädte auflockert, bieten von den benachbarten Höhen einen recht stattlichen Anblick, welchem jedoch das Innere keineswegs entspricht.

 

Den türkischen Städten geht es wie den Theaterdecorationen; sie wollen aus einer gewissen Entfernung betrachtet sein. Winkliche Strassen, schlechtes Pflaster und vernachlässigte Hausfronten hat die Stadt mit ihren Schwestern gemein, doch zeigt der ausgedehnte mit Brettern bedeckte Bazar auf blühenden Verkehr, und dass die Stadt im raschen Zunehmen sei, das beweisen die zahlreichen Neubauten derselben. Alte Leute erinnern sich, dass der Umfang der Stadt früher kaum die Hälfte des gegenwärtigen betrug und dass die Gegend im Süden des Flusses, wo sich jetzt die Vorstädte ausbreiten, mit Wald bestanden war. Die Zahl der Häuser wird auf 1000 muhamedanische und 1500 christliche angegeben, was auf die Bevölkerung von 12.000 bis 13.000 Seelen schliessen lässt.

 

Die Hauptausfuhr der Stadt besteht aus Wolle und Leder; eine geringe Anzahl Schweine wird von den Serben gekauft, und eine noch geringere Zahl Ochsen geht nach Süden. Ihr Getreide muss sie in Ermanglung irgend eines lohnenden Absatzweges selbst verzehren. Ihr Haupteinfuhr-Verkehr ist mit Wien, Pest und Belgrad, die Verbindung mit Salonik ist nur gering.

 

Man hatte uns das grosse nach türkischem Plane gebaute Haus eines österreichischen Unterthans, Dimitrakis Tsachatsi, des reichsten Kaufherrn der Stadt, zur Wohnung angewiesen. Es stand ganz zu unserer Verfügung, denn der Besitzer verweilte mit seiner Familie in Wien, und wir waren nicht wenig erstaunt, im Centrum der europäischen Türkei auf rothseidenen Magahoni-Sophas und Fauteuils sitzen, unsere gebräunten Gesichter in ungeheueren goldberahmten Spiegeln mustern und den Rheinfall oder den Pont neuf in Éffige studiren zu können.

 

 

35

 

Nisch ist die Hauptstadt des Paschaliks oder Ejalets gleichen Namens, welches in sechs Kreise oder Livas zerfällt, von denen drei, Nisch, Berkowatz und Pirot oder Scheher Kiöi auf dem rechten, und drei, Prokop (alb. Urkup), Kurschumlje und Leskowatz auf dem linken Ufer der Morawa liegen und welche von Kreishauptleuten oder Mudirs verwaltet werden, die in den genannten Städten residiren [1].

 

Der Vorschrift nach sollen die grossherrlichen Administrativbeamten nur die Präsidenten der aus den Sommitäten aller Confessionen gebildeten Provinzial- und Kreisräthe oder Medschlis sein und von diesen Käthen die ganze Verwaltung ausgehen. In Praxi regelt sich jedoch der Machtumfang zwischen diesen grossherrlichen Beamten und den ihnen zur Seite stehenden Municipalkörpern nach dem Gewichte der betreffenden Persönlichkeiten. Ist der Pascha ein energischer Charakter und findet er in dem Rathe keine ihm gewachsenen Persönlichkeiten, so muss sich der Rath in der Regel zur Rolle des Statisten bequemen, und fallt dieselbe wenigstens seiner christlichen Fraction zu. Es gibt jedoch bereits Provinzialräthe, in welchen sich das christliche Element so kräftig fühlt, dass es mitunter seihst dem auf die türkische Fraction gestützten Pascha die Stirne zu bieten wagt.

 

Der gegenwärtige Inhaber des Paschaliks von Nisch ist Seinel Pascha [2], ein geborerer Süd-Albanese, und es steht zu vermuthen, dass seine Nationalität bei seiner Wahl berücksichtigt worden ist, weil der Schwerpunct der Provinz in ihrem albanesischen Volkselemente liegt, welches dessen Westhälfte bewohnt. Dieses Element ist einerseits als Grenzhüter gegen Serbien für die türkische Regierung von grosser Wichtigkeit, kann aber andererseits wegen seiner urwüchsigen Unbändigkeit nur von einer geschickten Faust im Zaume gehalten werden, welche mit seiner Natur vollkommen vertraut ist und dieselbe zu behandeln versteht.

 

Wir fanden bei Seine 1 Pascha die zuvorkommendste Aufnahme, und sind ihm für die Bereitwilligkeit, mit der er jedem Wunsche entsprach, und die Vorsorge, die er uns während unseres ganzen Aufenthaltes in seinem Gebiete erwies, um so mehr zu Dank verpflichtet, als derselbe mit einer grossen Aufregung unter den bulgarischen Bauern zusammentraf

 

 

1. Das Paschalik Nisch bildet nunmehr in administrativer Hinsicht einen Theil des grossen Tuna-Vijalet (Donau-Provinz) und untersteht dem zu Rustschuk residirenden Gouverneur Mithad-Pascha, der als früherer Pascha von Nisch in den Jahren 1862—1864 sehr viel für die Verschönerung dieser Stadt gethan hat. Ihre Bevölkerung wird auf 20,000 Seelen geschätzt. F. K.

 

2. Im J. 1858. Seitdem fand ein häufiger Gouverneurwechsel statt. F. K.

 

 

36

 

und sich unmittelbar nach unserer Ankunft das Gerücht verbreitete, dass der Verfasser zur Untersuchung ihrer Beschwerden gekommen sei. Die Güterverhältnisse des Paschaliks befinden sich nämlich in derselben Krisis, welche in Bosnien so traurige Folgen gehabt, und welche hauptsächlich in der Aufhebung der Spahiliks ihren Grund findet.

 

Es waren dies bekanntlich Militärlehen, welche in dem Rechte der Zehnterhebung von den Ernten derjenigen Dörfer bestanden, die ihnen zugewiesen waren, und die ihre bäuerlichen Verhältnisse regelnden Gesetze den byzantinischen Kaisernovellen [1] über die Emphyteuse entlehnt, indem der Spahi im Namen des Sultans, als Obergrundherrn aller eroberten Länder, die nach den römischen Gesetzen dem Grundherrn zustehenden Rechte ausübte und der Bauer an die Stelle des Emphyteutars trat.

 

Viele der zehntpflichtigen Dörfer waren aber ausserdem Eigenthum grösserer Grundbesitzer, oder nach dem einheimischen Kunstausdruck Tschiftliks entweder von altersher oder nach und nach in solche verwandelt worden, und diese zahlten ihren Grundherren in der Regel ein Drittel des Reinertrages nach Abzug des Zehnten als Grundrente; wo dies aber nicht der Fall war, da ging wenigstens das Streben der Spahis dahin, ihre Spahiliks in Tschiftliks zu verwandeln und ihren Grundholden weitere Lasten als die Zehntpflicht aufzulegen.

 

Als nun dies Institut der Spahiliks abgeschafft und der Zehnt auf grossherrliche Rechnung erhoben wurde, suchten sich die Spahis, denen jene Verwandlung noch nicht gelungen war, als Grundherren ihrer Spahiliks zu behaupten. Dagegen erhoben sich die Bauern, wo sie sich stark genug fühlten, und dehnten ihren Widerstand auch auf die Tschiftlikherren aus, indem sie die Rechtmässigkeit ihrer Eigenthumstitel bestritten und die Zahlung der Grundrente au sie verweigerten. Derartige Processe waren zwar auch vor der Aufhebung der Spahiliks keine Seltenheit, dieselbe erweckte aber allerwärts die Hoffnung der Bauern, ihre Dörfer nun auch von Tschiftliks in Freidörfer verwandeln zu können, und gerade während unseres Aufenthaltes in Nisch hatte eine Deputation von 70 Dörfern der Umgegend

 

 

1. Dies ergibt sich aus den identischen Vorschriften beider Gesetzgebungen über Laudemium, Kanon und sämmtliche Verjährungsfristen. Wir stellen hiermit den asiatischen Ursprung des türkischen Kriegslehens und die Aehnlichkeit in dem Rechtsverhältniss des asiatischen Lehensbauern mit dem des römischen Emphyteutarius nicht in Abrede.

 

 

37

 

von der grossherrlichen Regierung die Absendung von Commissären zur Untersuchung eines solchen Thatbestandes erreicht. Bei ihrer Ankunft in Nisch sollen nun die gleichzeitig von Constantinopel zurückgekehrten Deputirten, um dem Vorwurfe zu entgehen, dass die Bewegung nur das Werk einiger unruhiger Intriguanten sei, die Bauern bewogen haben, sich in Masse dieser Commission vorzustellen. Demzufolge füllte sich an einem Sonntage ganz Nisch mit mehreren tausend Bauern, welche jedoch nach Vorbringung ihrer Beschwerden sich ohne Excesse wieder zerstreuten.

 

Daraufhin aber wurde die gesammte Deputation als Anstifter dieser Meuterei in’s Gefäugniss gesteckt. Wir wiesen natürlich alle Ansinnen, uns in diese Verhältnisse zu mischen, zurück, aber grössere Ueberwindung kostete es, kalt zu bleiben, als wir die Aecker in der ganzen Umgegend mit graumodrigen Getreidehaufen bestanden fanden, und die Leute klagten, dass ihr vor 6 Wochen geschnittenes Getreide auf dem Felde verfaulen müsse, weil sie es nicht einthun dürften. Es war dies einer der vielen Uebelstände, welche die Naturalerhebung der Steuern mit sich bringt. Die armen Leute litten durch den Hader zweier Compagnien, welche beide den Zehnt gepachtet zu haben behaupteten, und vor dessen Entscheidung die Erhebung nicht gestattet werden konnte. Wir erfuhren jedoch später, dass der Pascha die Erlaubniss zur Einbringung des Getreides auf seine eigene Verantwortung ertheilt habe, und das anhaltende schöne Herbstwetter hat wohl die Leute vor Schaden bewahrt [1].

 

Unsere Erkundigungen nach Besten des alten Naissus blieben leider ohne allen Erfolg, denn eine nähere Untersuchung der Substructionen der Festungswerke in Begleitung eines serbischen Majors erschien nicht wohl rathsam, und die bei dem Aufwurf einer Feldschanze in der Nähe der Festung entdeckten gewölbten Gänge oder Canäle, zu welchen uns der Pascha führen liess, deren Bestimmung uns aber dunkel blieb, können, nach der Qualität ihres Cementes zu urtheilen, auch späteren Zeiten angehören. Den eifrigen und mühevollen Forschungen des Herrn Kanitz, welcher zwei Jahre später

 

 

1. Die Gewalttaten der Pascha’s und fanariotisch-griechischen Bischöfe gegen die Bulgaren häuften sich im Jahre 1860 so sehr und die Klagen der aufgeregten christlichen Bevölkerung riefen so laut uni Abhilfe, dass sich Sultan Abdul Medschid bewogen sah, seinen Grossvezier als ausserordentlichen Commissär nach Bulgarien abzusenden. Mehrere Pascha’s, darunter jener von Nisch, die Bischöfe von Trnava und Pirot und viele Unterbeamte wurden damals ihrer Stellen enthoben.  F. K.

 

 

38

 

Nisch zum ersten Male und im Jahre 1864 zum zweiten Male besuchte, glückte es, die bisher vergeblich gesuchten Reste der römischbyzantinischen Grossstadt zu entdecken. Eine im Drucke befindliche Abhandlung des Reisenden, in den Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, wird der gelehrten Welt eingehende Aufschlüsse über dessen interessante Funde geben. Für uns war der äusserst roh und plump, aber in antiker Form gearbeitete inschriftlose Grabstein mit den Brustbildern eines Mannes, einer Frau und eines Kindes, welchen man uns in dem Peribolos der neuen Kathedrale sehen liess, der einzige örtliche Zeuge, dass wir hier wirklich auf der Geburtsstätte des Mannes standen, der zwar vor anderthalbtausend Jahren gelebt hat, dessen Thaten aber von solcher Tragweite waren, dass ihre Wirkungen die Hauptbasen unserer Gegenwart bilden, denn durch ihn hat das Christeuthum die Anerkennung des Staates errungen und durch ihn ist der Grund zur Spaltung des römischen Reiches gelegt worden. Wenn die letztere auch bereits von seinem Vorgänger Diocletian, durch Verlegung des kaiserlichen Hoflagers nach Nikomedia, angebahnt war, so ist Constantin der Grosse doch ihr wahrer Urheber, indem er das organische Centrum für die Osthälfte dieses Weltreiches gründete. Insofern wir aber diese Gründungsgeschichte richtig auffassen, wäre sie eine interessante Aufgabe für den Geschichtsschreiber, denn sie erscheint uns keineswegs als ein Act der persönlichen Willkür oder des persönlichen Nachdenkens, wir möchten hierin Constantin vielmehr als den Träger eines alten Gedankens betrachten, und zwar keines römischen, sondern eines illyrischen.

 

Als nämlich um die Zeit der 30 Tyrannen die Staatskraft der ewigen Stadt völlig verbraucht war und der Schwerpunct des Reiches aus ihr in die Feldlager überging, da erblicken wir die Reichsgewalt in den Händen einer ganzen Reihe von Kriegsherren, welche sämmtlich aus der bis dahin nur selten genannten Provinz von Illyrien stammen. Wir können uns diese Erscheinung nur durch die Annahme erklären, dass sich zu jener Zeit in den Feldlagern eine illyrische Schule oder Partei herangebildet und das Uebergewicht über alle anderen Elemete zu behaupten verstanden habe.

 

Fast alle diese Kaiser lebten aber in Hader und Zwiespalt mit dem römischen Senate. Dies war zwar auch schon in früheren Zeiten vorgekommen, und mancher aus dem Lager in die Stadt einziehende Feldherr war mit dieser nicht glimpflich verfahren ; es ist uns jedoch kein Anzeichen bekannt, dass sich irgend einer dieser Kaiser nicht als Römer gefühlt habe. Bei den illyrischen Kaisern dagegen scheint

 

 

39

 

dies nicht mehr der Fall gewesen zu sein und ihr Verhältnis s zu Rom hauptsächlich auf dem Nationalhasse zwischen Illyriern und Römern zu beruhen. Wir kennen zwar nur einen festen Beleg für die Existenz dieses Hasses. Lactantius [1] beschuldigt nämlich den Galerius, dass er sich einen Feind des römischen Namens genannt und daher den Titel „römisches Reich“ in „dacisches Reich“ verwandeln wollte. Ist es aber wahrscheinlich, dass ein solcher Gedanke in dem Gehirne dieses rohen Scheusales entstanden sei? Wirft er nicht ein schlagendes Licht auf das Lieblingswort des jungen Constantin „mein Rom ist Serdica (Sophia)“? und spricht sich in diesem Worte nicht der Wunsch aus, die Heimat zum Centrum des Reiches zu machen? Ein Blick auf die Karte zeigt, dass für diesen beschränkten Zweck der Punct sehr gut gewählt war. Allmählich aber erweitert sich der Gesichtskreis des Kaisers, er fühlt das Bedürfnis« der See für sein neues Centrum so gut, wie sein Vorgänger Diocletian bei der Gründung von Nikomedien, aber sein Hass gegen diesen erlaubt ihm nicht in dessen Fussstapfen einzutreten: er springt daher von Sophia auf Salonik über; weiteres Nachdenken drängt ihn dann zu dem ersten Seeschlüssel der Südosthalbinsel, den Dardanellen; er wählt den alten Boden von Troja [2], und bei dieser Wahl mag die von Burkhard in seinem Meisterwerke hervorgehobene Deisidaimonie wohl mitgewirkt haben, aber den Hauptbeweggrund möchten wir darin, nach unserer Auffassung von Konstantin's Charakter, nicht erblicken. Dort hat der Bau der neuen Hauptstadt bereits begonnen, aber eine schlaflose Nacht bringt den Kaiser auf andere Gedanken, und er stellt sein Neu-Rom an die wahre Stelle, von wo sie über die zu ihr gehörende Welt herrschen wird, so lange dort Menschen wohnen.

 

Abgesehen von dem militärischen Bedürfnisse, scheint also illyrischer Nationalstolz, gezügelt durch staatsmännische Bedenken, die Haupttriebfeder zur Gründung von Konstantinopel gewesen zu sein. Aber mit illyrischem Geiste und illyrischen Institutionen konnte Konstantin seine Schöpfung nicht ausstatten, weil nichts dergleichen vorhanden war. Alles dies wurde aus dem alten Rom in das neue

 

 

1. (Lactantius de mortibus persecutorum cap. 27. fin. Olim Cjuidem ille, ut nomen imperatoris acceperat, hostem se Romani nominis erat professus, cujus titulum immutari volebat, ut non Romanum imperium, sed Daciscum cognominaretur.) Wir verdanken die Stelle dem geistreichen Biographen Diocletian’s, Herrn Dr. A. Vogel.

 

2. Sozomenos II,  Zozimos nach Burkhard.

 

 

40

 

herüber geholt, trieb aber hier so mächtige und kräftige Wurzeln, dass der Stamm, den Constantin verpflanzte, noch heute grünt.

 

Wir können die Vorstellung von den tief greifenden Gegensätzen der türkischen und occidentalen Staatsordnung und die darauf gebaute Schlussfolgerung der Unmöglichkeit jeder Reform der ersteren im europäischen Sinne nicht tlieileu, weil wir sie im Wesentlichen als Kinder derselben Mutter — der römischen Welt — betrachten und den Unterschied nur darin finden, dass das eine in seiner Entwickelung fortgeschritten, das andere stehen geblieben ist. Freilich bietet die Türkei solche Gegensätze zum übrigen Europa, aber auf anderen Feldern, nämlich in dem Glauben und der Familien- und Gesellschaftssitte, so weit diese aus der Polygamie hervorgeht. Dennoch lässt sich nicht einmal behaupten, dass diese Urgewächse Asiens nicht fähig seien, sich in die Formen eines europäischen Staatssystems einzubequemen, weil die von unseren Voreltern wegen ihrer staatlichen Vollkommenheit angestaunte Blüthezeit des osmanischen Reiches das Gegentheil beweist, und diese gerade mit der Zeit zusammenfällt, in der sich der frische asiatische Stoff’ in die vorhandene alte römische Form ergoss und dieselbe neu belebte. Nur weiter zu bilden vermochte er sie nicht, und was nicht vorschreitet, das geht zurück.

 

Zwar sind wir kein so gründlicher Kenner der osmanischen Staatsordnung und des türkischen Rechtes, um uns ein unbedingtes Urtheil über dieselben zu erlauben, aber wir können sagen, dass wir uns das Meiste, was wir davon kennen, mit dem Corpus juris oder anderen römisch-byzantinischen Quellen als römisch zu belegen getrauen. Weil sie aber obsolete Phasen unserer eigenen Entwicklung sind, muthen sie uns fremd an, und bezeichnen wir sie daher ohne weiteres als asiatisch.

 

Dasselbe gilt aber auch von der türkischen Sitte und Lebensart, zu welcher sich in der Regel eine Parallele aus dem byzantinischen oder abendländischen Mittelalter stellen lässt, und diese Aehnlichkeit beschränkt sich nicht etwa auf die Lebensformen, sondern dehnt sich sogar auf die plastischen Formen der Künste und Handwerke aus. Wie viele dieser Formen, welche wir auf den ersten Blick für asiatisch halten, finden sich nicht genau ebenso in unseren Sammlungen hellenischer und mittelalterlicher Alterthümer, wenn nicht der reine s. g. Zopfstyl ihre neuere Entlehnung aus dem Abendlande bezeugt. Doch dürfte im Einzelnen diese Entscheidung selbst für die Kenner schwierig sein, weil Rococo, Renaissance und das Gothische von Haus aus dem Byzantinischen und Arabischen weit verwandter zu sein scheinen, als mit den classischen römisch-griechischen Formen.

 

 

41

 

Die entwickelten Ansichten bieten freilich der jetzt geläufigen vielfach die Stirne, und es erscheint daher wohl die ausdrückliche Verwahrung nicht überflüssig, als sollten sie die Türkei in ihrem gegenwärtigen Zustande mit dem Occidente identificiren. Sie vertreten nur die These, dass die türkische Staats- und Gesellschaftsordnung viele Wurzeln mit der unsrigen gemein habe, dass sie ihnen daher näher stehe, als man gemeinhin glaubt, und dass Islam und Polygamie durch die That bewiesen haben, dass sie der Einbequemung des osmanischen Elementes in europäische Staatsformen nicht unbedingt widerstehen. Hieraus folgt dann, dass, wenn die aus dem modernen Europa herüber geholten Reformen in der Türkei auf Widerstand stossen, die Ursachen dieses Widerstandes auf andern Feldern gesucht werden müssen, als auf dem des principiellen Gegensatzes.

 

Etwa eine Viertelstunde von dem nördlichen Ende der Festung erhebt sich ein Hügelrücken aus der Ebene, der an 200 Fuss hoch und auf seinem Südabhange mit Weinbergen bestanden ist. Er führt den bezeichnenden Namen Woinik, Kriegsberg, denn hier hatte die türkische Armee, nachdem sie in verschiedenen Schlachten von Belgrad das Morawathal aufwärts gedrängt worden war, 40.000 Mann stark ein befestigtes Lager bezogen, als sie der Markgraf Ludwig von Baden am 2:1. September 1089 mit nur 17.000 Mann angriff und vernichtete [1]. Das feindliche Lager und die Festung Nisch mit grossen Kriegsvorräthen wareu der Preis dieses Sieges, doch musste dieser Platz nach 24tägiger tapferer Vertheidigung, als alle Hoffnung auf Entsatz verschwunden war, am 9. September 1690 wieder an die Türken übergeben werden [2].

 

In dieser Nachbarschaft lagen auch die Redouten, welche die Serben gegen Nisch im Jahre 1809 errichtet hatten, und in denen sich Stephan Singelitsch mit den stürmenden Türken in die Luft sprengte [3]. Aus den Schädeln der dort gefallenen Serben wurde an der Strasse nach Constantinopel eine schauerliche Siegestrophäe aufgemauert, welche jedoch nun verfallen sein soll [4].

 

 

1. Ausführlich erzählt diese glänzende Waffenthat A. Arneth in seiner vortrefflichen Biographie Guido’s v. Stahremberg S. 110 f.

 

2. Arneth, S. 123.

 

3. Boué, Turquie d’Europe IV, S. 284.

 

4. Die Mauern der traurigen türkischen Siegestrophäe sind noch vollkommen gut erhalten. Ich zählte 16 Reihen mit je 16 Höhlungen von einst eingemauerten 1024 Serbenköpfen. Die Schädel wurden allmälig von der bulgarisch-christlichen Landbevölkerung ausgebrochen und in geweihter Erde begraben. Nur in den höchsten schwer zugänglichen Reihen finden sich noch hier und da einige Reliquien an den Opfertod jener serbischen Helden. F. K.

 

 

42

 

Nisch steht eine grosse Zukunft bevor, da es von der Natur selbst als Gabelpuuct der von Belgrad nach Constantinopel und nach Salonik führenden Eisenbahnen vorgezeichnet ist.

 

 

III. Prokop.

 

Wir nahmen nicht den etwa 4 Stunden betragenden directen Weg von Nisch nach Prokop , sondern fuhren zur Mündung der Nischawa in die Morawa, welche kaum 1/2 Stunde nördlich vom Dorfe Lalinze fällt, aber bei dem imstäten windungsreichen Lauf beider Flüsse durch den weichen Boden der Ebene häutigem Wechsel unterliegt. Vermuthlich wird sie nach dem Durchbruche eines etwa 120 Schritte betragenden Isthums, an dem beide Flüsse arbeiten, künftig um 5 Minuten südlicher fallen, als jetzt.

 

Wir schätzten die Breite der Nischawa trotz ihres kleinen Wassers zwischen 80 und 100 Fuss, und kürzer dürfte auch die Brücke nicht sein, welche in die Stadt Nisch über dieselbe führt.

 

Die Mündung liegt nach unserer Messung 445 Fuss über dem Meeresspiegel, der Fall der Morawa beträgt demnach von hier bis Stalatsch 97 Fuss. Nordwest-nördlich von der Mündung erblickten wir einige weisse Häuser des serbischen Grenzdorfes Subowatz, welches zwar eine Fähre über die Morawa, aber keine serbische Einbruchstation besitzt. Die Reisenden müssen daher den Umweg über Alexinatz machen. Die Bauern gaben die Entfernung des Dorfes von der Mündung auf l/2 Stunde an: wenn sie auch vermuthlich grösser sein sollte, so rückt die serbische Grenze doch weit näher an sie heran, als die Kiepert'sche Karte angibt.

 

Wichtiger ist jedoch der Irrthum in der Entfernung zwischen Nisch und Kurwingrad, welche überall gleich auf 2 türkische Stunden angegeben wird, während die Luftlinie der grossen Kiepert’schen Karte über 3 Stunden beträgt und auf der serbischen Karte noch bedeutender ist. [1] Nach unseren freilich sehr unsicheren Beobachtungen

 

 

1. Nach meinen Beobachtungen und Peilungen im Jahre 1804 fällt die Lage Kurvingrads um 1/4 Meile südlicher, als bei Kiepert. Nach des Serben Milenkovic Karte wäre Kurvingrad eine bedeutende Stadt mit Befestigungen auf beiden Ufern der Toplica. In Wirklichkeit existirt jedoch nur die Ruine eines mittelalterlichen Schlosses daselbst, dessen Erbauung mit Unrecht von Einigen den Römern und von Anderen dem ungarischen König Mathias Corvinus zugeschrieben wurde. Ich versuchte das Irrige dieser Behauptungen in der im Drucke befindlichen, von dem Herrn Autor bereits erwähnten Abhandlung eingehend nachzuweisen. Das Schlossplateau von Kurvingrad bietet einen vorzüglichen topographischen Orientirungspunkt über die weite Nischavaer Ebene und deren terrassenförmige Fortsetzung auf dem linken Morava-Ufer. F. K.

 

 

43

 

fallt die Mündung der Nischawa fast eine Stunde nördlicher, als Nisch, läuft die Morawa von Kurwingrad an streng von Süden nach Norden, und dürfte daher das Ende der Nischawa mehr gegen Norden gerichtet sein und die Lage von Nisch vermuthlich ein gut Stück südwestlicher fallen, als die Karte angibt.

 

Auf dem West-Ufer der Morawa setzt sich die Ebene zwar fort, jedoch nicht im gleichen Niveau; denn kurz nach dem Uebergange über den Fluss hat man die etwa 40 Fuss über dessen Spiegel betragende Böschung einer Terrasse zu ersteigen, deren Ausdehnung mehr als eine halbe Quadratmeile betragen dürfte. Sie scheint durchweg mit fruchtbarer Ackerkrume bedeckt zu sein und auch grossentheils bebaut zu werden. Sie ist aber gänzlich baumlos und wasserarm ; die diese Ebene besitzenden Dörfer liegen daher sämmtich an dem inneren Bande des niederen flachen Höhenrückens, welcher diese Terrasse gegen West und Süd halbkreisförmig abschliesst, längs eines seinen inneren Abfall longirenden kleinen Baches. Dieser Höhenrücken scheint der einzige Ausläufer zu sein, welchen der Jastrebatz gegen Süden zum unteren Laufe der Toplitza herabschickt, denn als wir auf unserem Wege von Prokop mach Kurschumlje bei dem Chane von Tulare gegen Westen zurückblickten, sahen wir denselben Höhenrücken vom Jastrebatz auslaufen und sich im Süden zu den Hügeln von Prokop erheben. Wir brauchen daher dem Leser nicht erst zu sagen, dass der südliche Abfall des Jastrebatzgebirges steil und mauerartig sei.

 

Bei der scharfen Begrenzung der beschriebenen Terrasse ist es natürlich, dass sie von der übrigen Ebene durch einen besonderen Namen unterschieden wird, sie heisst Dobridscha, doch behaupteten die Bauern von Kurwingrad, dass dieser Name sich auf ihre niedrigere südliche Fortsetzung, d. h. das Mündungsgebiet dor Toplitza, erstrecke. Auf dieser Terrasse begegneten wir einem alten Bekannten aus Griechenland, dem Dornstrauche Paliurus, zum ersten Male in grösseren Massen, obwohl wir ihn einzeln bereits in Serbien, und das erste Mal, wenn wir nicht irren, in der Nähe von Belgrad angetroffen. In anderen Welttheilen mag es noch bösartigere Stachelgewächse geben, wer aber jemals mit einem durchgehenden Pferde einen hellenischen Paliurushain durchbrechen musste, der wird ihm

 

 

44

 

unter seinen europäischen Brüdern unfehlbar die Palme zuerkennen, und trotz dieser eben so schmerzlichen als kostspieligen Reminiscenz müssen wir gestehen, dass uns der Anblick dieses Stachelwaldes wahrhaft anlachte. Ein türkisches Sprichwort sagt: Was der Mensch nicht kennt, das hasst er; wir möchten als Gegensatz hinzufügen: Was der Mensch kennt, das liebt er.

 

Wir wollen unseren Nachfolgern die Hügel von Kraikowatz als einen leicht zu gewinnenden Orientirungspunct über dieses interessante Terrain empfohlen haben. Sie blieben uns leider unerreichbar, denn als wir uns über die Aenderung unserer Route beriethen, erblickten wir in der Ferne einen Reiterhaufen, der auf uns zukam; es war der Mudir von Prokop an der Spitze der christlichen Geistlichkeit und Honoratioren, um uns einzuholen. Diese Auszeichnung ist nach türkischen Begriffen nichts ausserordentliches, und darf daher nicht nach europäischem Massstabe gemessen werden, sie wiederfährt jedem Reisenden, welchen der Pascha seinen Mudirs oder der Bischof seinen Untergebenen besonders empfiehlt [1].

 

Sobald es der Anstand erlaubte, setzten wir unsere Erkundigungen über die Gegend fort und machten hier die auf der ganzen Reise bestätigte Erfahrung, dass Albanesen, Bulgaren und Serben zwar mit den Grenzen und Dörfern ihrer Gegend stets vortrefflich bekannt sind, sich dagegen um Wasser und Berge wenig kümmern und namentlich die Gebirgsketten nur ausnahmsweise als Ganzes zu fassen gewohnt sind. Sie wissen daher auch selten für eine Bergkette einen besonderen Namen anzugeben, sondern benennen dieselben in der Regel nach den Dörfern, zu welchen die einzelnen Stücke gehören, und wenn das Gebirge weit entfernt ist, so erhält man in der Regel auf die Frage nach dessen Namen die Antwort: „Ich kenne die Dörfer nicht genau, die dort liegen.“ Ueberdies hält es schwer, dem Examinanden begreiflich zu machen, dass man nicht über die in gleicher Richtung, aber in nächster Nähe gelegenen, wenn auch noch so kleinen Erhöhungen, sondern über die dahinter liegenden entfernten Berge Auskunft verlange.

 

So war uns gleich bei unserm Eintritte in die Ebene von Nisch die wunderschöne aus drei Gipfeln bestehende Berggruppe aufgefallen, welche dieselbe gegen Südwest abschliesst, und sich an 2000 Fuss über die Ebene erheben dürfte. Fast überall drängt sie sich dem Blicke auf, wir umkreisten sie vollständig, fragten aber überall vergeblich

 

 

1. S. Boué's Recueil d’itinéraires dans la Turquie d’Europe, tome I, S. 251 et passim.

 

 

45

 

nach ihrem Namen, und entschlossen uns endlich, ihr den des darauf gelegenen Hauptdorfes Paschiate [1] zu geben, welcher uns am häufigsten dafür genannt wurde.

 

In Prokop überzeugten wir uns von der Richtigkeit der in Nisch erhaltenen Angaben, dass nicht etwa blos die Städte Prokop und Kurschumlje, sondern das ganze Gebiet der Toplitza mit Ausnahme ihrer Mündungs - und Quellgegend [2] massenhaft von Albanesen bewohnt werden, und dass diese den ganzen Südabhang des Jastrebatzgebirges bis zu der auf seinem Kamme laufenden serbischen Grenze innehaben.

 

Durch diesen Zuwachs wird die ethnographische Grenze Albaniens um einen halben Grad weiter gegen Norden vorgeschoben und der Albanese, wie im Westen, so hier im Osten der unmittelbare Grenznachbar des Serbenstammes [3]. Die uns bekannten Sprachkarten verzeichnen höchstens kleine albanesische Enclaven um Prokop und Kurschumlje.

 

Um dieses Factum möglichst zu constatiren, begannen wir, wie es bereits mit der Dobridscha versucht worden war, von den mit der Gegend vertrautesten Polizeisoldaten (Saptié) des Mudir die Dörfer, welche an den von dem Jastrebatz der Toplitza zufliessenden Bächen liegen, nach ihren Entfernungen und der Nationalität ihrer Bewohner abzufragen. Der Versuch gelang so gut, dass er den Verfasser auf den kühnen Gedanken brachte, nach solchen Angaben ein Karten-Croquis über diese unbekannten Gegenden zu entwerfen, und dieser Gedanke gab seiner Eeise ihre vorzugsweise topographische Richtung, welche er trotz der damit verknüpften Anstrengung bis zum Eintritt in das macedonische Küstenland festhielt.

 

Major Zach verwarf den Gedanken graphischer Darstellung solcher Notizen anfangs als gänzlich unausführbar, und liess sich in Leskowatz nur aus Gefälligkeit für den Verfasser herbei, die Zusammenstellung der von diesem entworfenen Skizzen in das vierfach vergrösserte Netz der Kiepert’schen Karte zu beginnen. Als sich aber hier alles leidlich fügte, gewann auch er Vertrauen, und seiner eisernen Ausdauer , mit der er manche schwierigen Partien vier- und fünfmal

 

 

1. Vermuthlich ist dies die von Boué in den Itinéraires, I, S. 60 erwähnte Arnautska Planina.

 

2. Das albanesische Element ist an einem weiteren Vordringen an den Quellen der Toplitza namentlich dadurch gehindert, weil dieselben zum Theile auf serbischem Boden am Pusse des Kopacnik-Gebirges entspringen. F. K.

 

3. Boué ist der einzige uns bekannte Reisende, welcher die Existenz der dardanischen Albanesen relevirt hat; s. dessen Itinéraires I, S. 81.

 

 

46

 

umzeichnete, verdankt diese Karte ihre Entstehung, welche, wenn auch weit entfernt von irgend einem Ansprüche auf mathematische Genauigkeit, trotzdem der Wissenschaft als eine wesentliche Bereicherung unserer bisherigen Kenntniss von dem Innern der europäischen Türkei willkommen sein dürfte.

 

Was die Notizen betrifft, nach welchen unsere Karte gearbeitet wurde, so mussten wir uns entschliessen, dieselben in einer besonderen Arbeit zusammenzustellen, da alle Versuche misslangen, dieselben mit den übrigen Reisebemerkungen zu einem geniessbaren Ganzen zu vereinigen.

 

Wir blieben zwei Tage in Prokop, welches die Slaven Prokoplje, die Albanesen aber Urkup nennen. Ob die Stadt nach dem Kloster des h Prokopius benannt ist, von welchem sich nur die der christlichen Bevölkerung, als Pfarrkirche dienende unbedeutende Klosterkirche erhalten hat, wissen wir nicht anzugeben. Die Stadt ist der bedeutendste Platz in dem Gebiete der Toplitza und hat 500 türkisch-albanesische, 300 christlich-serbische, 10 jüdische und 20 Zigeuner-häuser, und dürfte daher zwischen 4—5000 Einwohner zählen. Sie liegt mitten in dem Défilé, durch welches sich die Toplitza winden muss, bevor sie die Ebene erreicht, und zieht sich von deren nördlichem Ufer die Anhöhe hinan, welche den Fluss begleitet und auf deren südwestlichem Abhange die beträchtlichen Weinberge der Stadt liegen.

 

Am westlichen Ende derselben beschreibt der Fluss eine Löffelcurve um einen gegen 300 Fuss hohen Kegelhügel mit den Ruinen einer Festung, und die Häuser der Stadt reichen bis zu dem etwa 40 Fuss über dem Fluss erhabenen Sattel, welcher den Hügel mit den Höhen des nördlichen Ufers verbindet, und von dem an der Festungsberg als schmaler Rücken aufsteigt. Auf diesem liegen die Reste einer kleinen Kirche, welche die Einwohner als eine lateinische bezeichnen, die aber nach dem Grundriss und den Bildwerken offenbar griechisch ist. Der Gipfel des Hügels ist ein eiförmiges Plateau, welches von den Ruinen einer mit Thürmen versehenen Festungsmauer eingefasst ist.

 

Auf der gegen Westen fallenden Spitze befand sich das etwa 80 Schritte im Durchmesser haltende Reduit der alten Festung. Hier fällt der Berg steil in den Fluss hinab. Ein an diesem stehender Thurm, welcher mit dem Reduit durch einen gedeckten Gang verbunden gewesen zu sein scheint, sicherte den Zugang zu dem Wasser.

 

Diese Spitze ist weithin gegen Westen sichtbar, denn in dieser Richtung öffnen sich die Berge und gestatten die Aussicht auf eine

 

 

47

 

sich mehr und mehr erweiternde Thalebene, durch welche die Toplitza, deren Breite bei der Stadt zwischen 40 bis 50 Schritte betragen mag, ihre Bogen zieht. Die Stadt verdankt offenbar diesem für eine Festung wie geschaffenen Hügel ihre Entstehung, weil sich anders nicht einsehen lässt, warum man statt der ost- und westwärts gelegenen Ebenen gerade dies enge Défilé für sie gewählt hätte.

 

Unter den Einwohnern hat sich die Tradition von einer Eroberung der von den Kaiserlichen besetzten Festung durch die Türken erhalten, welche dieselbe nach mehreren vergeblichen Versuchen endlich von einem auf dem rechten Ufer gegen Norden gelegenen Felsen wirksam beschossen und dann erstürmt haben sollen. Sie sagen, dass dabei 7 Pascha’s gefallen wären, deren verfallene Gräber auf den in der Umgebung der Stadt gelegenen Vorsprüngen noch sichtbar sind. Sie bestanden aus Kuppelgewölben, welche auf Säulen ruhten, und waren mit sehr gut gearbeiteten und vortrefflich gefügten Backsteinen ausgeführt. Von den fünf Minarets der Stadt sind zwei in derselben Weise gebaut, und in dem Sockel des einen sind nach byzantinischer Weise die Quadern durch Backsteine sehr sauber verbunden. Diese Bauten datiren offenbar aus der Blüthezeit der türkischen Baukunst, und dürften daher wohl früher fallen, als unsere Kriege in diesen Gegenden, deren Annalen von einer solchen Belagerung nicht zu sprechen scheinen.

 

 

IV. Kurschumlje.

 

Wir verliessen Prokop an einem neblichen Morgen, welcher uns kaum die Aussicht auf die Sohle des Flussthales erlaubte, durch das der Weg nach Kurschumlje stromaufwärts führt, und die hier nirgends breiter als 1/4 Stunde sein mag. Wir mussten uns daher mit der Erzählung unserer Begleitung begnügen, dass uns zur Linken vom Südufer des Flusses die Widowska Planina (St. Veitsberg) aufsteige, ohne dieselbe von Angesicht kennen zu lernen. Auf diesem Berge befindet sich eine Quelle, deren Wasser in ein 18—20 Schritte weites Felsbecken fliesst. Dies Wasser wird am St. Veitstage von dem Popen eingesegnet, und wer sich hierauf mit demselben wäscht, soll für das nächstfolgende Jahr vor allerlei Krankheiten, besonders vor Ausschlag, geschützt sein. Von dem St. Veitstage wusste unsere türkische Begleitung nur anzugeben, dass er in .den Sommer lalle. Wir empfehlen unseren Nachfolgern die Aufspürung der Legende,

 

 

48

 

welche sich an diesen, wahrscheinlich in die Heidenzeit reichenden, Brauch knüpft.

 

Allmählich erweiterte sich das Thal, indem die Höhen seiner nördlichen Wand sich mehr und mehr verflachten, und als wir uns nach unserer Ankunft im Chane von Tulare bei heiterem Himmel umsahen, befanden wir uns an dem Südrande einer grossen Thalmulde, welche sich gegen Westen zu einer Einsattlung des Jastrebatz hinauf zog. Dies ist der Jankowa Klissura genannte Pass, über welchen eine fahrbare Strasse aus dem Toplitzathale in das der serbischen Raschina bis Kruschewatz führt. Dieses Passes geschieht in der serbisch-türkischen Kriegsgeschichte öfters Erwähnung, er ist jedoch gegenwärtig serbischer Seits der Communication verschlossen [1]. Die Entfernung zwischen Tulare und Jankowa Klissura wird auf wenigstens 6 türkische Stunden angegeben, und scheint daher auf der Kiepert’schen Karte mit kaum 3 Stunden Luftlinie etwas zu kurz gegriffen zu sein.

 

Die westliche niedere Fortsetzung des Jastrebatz von Jankowa Klissura an wird von Kiepert’s Karte als Lepenatz bezeichnet, welche Benennung jedoch auf der albanesischen Seite nicht geläufig zu sein scheint, wenigstens konnten wir sie nicht erfragen. Gegen die beschriebene und von dem Gurgur-Bache bewässerte Hauptsenkung der Gegend muthet uns das von niederen mit Eichenwald bestandenen Höhenzügen gebildete enge Thal, durch welches die Toplitza von Kurschumlje bis Tulare fliesst, so sehr als Nebenpartie an, dass wir trotz des Widerspruches unseres Compassés und der Kiepert’schen Karte den Eindruck nicht los werden können, dass der Eintritt der Toplitza in das Hauptthal bei Tulare-Chan die Spitze eines Winkels in der Hauptrichtung ihres Rinnsales bilde.

 

Der Mudir von Kurschumlje, ein sehr anständiger Osmanli, welcher uns gleichfalls entgegengeritten war, entschuldigte sich, uns

 

 

1. Die österreichisch-serbisch-türkischen Kriege, dann die Auswanderung der christlichen Bevölkerung nach Serbien hatten diese Districte sehr entvölkert. Der Pforte erschien es aus wirthschaftlichen, mehr aber noch aus militärischen Gründen nothwendig, dort das albanesisch-mohamedanische Element zu stärken. Es erfolgte im Jahre 1864 die Ansiedlung vieler Tausender tscherkessischer Familien à cheval der serbischen Grenze, bei Mramor an der Nischawa beginnend, bis auf das berühmte Schlachtfeld von Kossowo. Mehr als die Hälfte der Einwanderer ist seitdem dem fremden Klima, dem Hunger und Fieber-Seuchen erlegen. Der Rest revoltirte und verlangte in stürmischen Scenen, nach der Krim zurückwandern zu dürfen. Die Bajonnete der türkischen Bataillone von Nisch zwangen die Ansiedler zu weiterem Verbleiben auf dem ihnen unheilvollen Boden. F. K.

 

 

49

 

kein convenables Quartier bieten zu können, denn wenn er gleich den Kadi aus dem Haremlik des Gouvernementsgebäudes ausquartiert habe, um uns darin zu beherbergen, so würde diese Wohnstatt sicher unter unserer Erwartung sein, doch sei das Wetter schön, und wenn unser Quartier auch nicht glänzend wäre, so sei es wenigstens sicher. "Wir hielten diese Entschuldigung für eine Phrase, aber der Augenschein belehrte uns, dass das Palais de justice von Kurschumlje, obgleich nebst dem Gouvernementsgebäude der grösste Baukörper der Stadt, auch den bescheidensten Ansprüchen auf Comfort nicht Genüge leiste, denn abgesehen von dem Mangel alles Fensterglases, fehlte auch der Kalk an den Zimmerwänden, deren Risse mit den legitimen Tagluken in der Erleuchtung ihrer Räume wetteiferten, und der Fussboden verstattete bequeme Aussicht in das Erdgeschoss : andere Gemächer endlich, bei denen dies am wenigsten willkommen, waren geradezu wie en filigrane gearbeitet. Doch das Wetter war schön und erlaubte uns an diesem Specimen albanesischen Baustyls unseren Witz zu üben. Sobald wir aber an den Zustand seiner Bewohner in strenger Winterzeit dachten, wandelte sich unsere Heiterkeit in aufrichtiges Mitleid.

 

Auch die Bitte des Mudirs, das Haus nicht ohne seine Begleitung zu verlassen, schien uns anfangs übertriebene Vorsicht, doch ersahen wir aus dem folgenden Berichte des Bedienten, dass er auch hierin vielleicht nicht Unrecht hatte. Am Spätabend unserer Ankunft expectorirte sich nämlich Kyro mit ziemlich verstörter Miene dahin : welches Land ! welche Leute ! Da hiess ich einen der uns vom Polizeimeister beigegebenen Männer einen Krug Wasser aus dem hundert Schritt vom Hause fliessenden Brunnen holen, der sagte aber, warte ein Bischen, bis mein Kamerad vom Mudir kömmt. — So geh’ doch selbst, denn ich brauche das Wasser. — Hier ist es nicht Brauch, Abends allein vor’s Haus zu gehen. — Du bist ja bis an die Zähne bewaffnet, und wir sind in der Stadt, oder schuldest du etwa Blut? — Das nicht, aber es ist nicht Brauch bei uns, in der Nacht anders, als zu zweien auszugehen. — So geh’ mit mir. — Das wäre das Wahre. Du darfst keinen Schritt aus dem Hause. — Wir gaben während unseres Aufenthaltes in Kurschumlje darauf acht, ob in all’ dieser Vorsicht irgend eine Spur von Ostentation sei, um etwa die Dauer unseres Besuches möglichst abzukürzen, doch wollte sich dieser Verdacht nicht bestätigen, und so oft wir die uns anstarrenden Köpfe musterten, wenn wir durch die kurze Bazarstrasse gingen, die einzige der Stadt, welche den Namen verdient und die wir betreten haben, da muthete

 

 

50

 

uns dies Volk hier wilder, selbstbewusster und unternehmender an, als wir es in irgend einem Theile des eigentlichen Albaniens gefunden. Dem albanesischen Blicke scheint überhaupt eine gewisse Starrheit und Härte eigenthümlich, welche je nach den Individuen zwischen Selbstbewusstsein, Kühnheit, Wildheit und Frechheit nüancirt, aber immer jeder feineren Herzensregung entbehrt. Dieser starre Blick ist darum noch kein offener, weil dieser Seele voraussetzt, doch dürften lauernde und versteckte oder scheue Züge sich öfter bei dem Slaven als bei dem Albanesen finden, auch stiessen wir bei jenen wohl hie und da auf einen weichen Blick, der aus dem Herzen kam.

 

Die Häuseranzahl von Kurschumlje ward uns auf 70 angegeben, wovon 50 muhamedanisch - albanesisch, 15 christlich - serbisch und 5 zigeunerisch. Hiezu kommen noch einige ihren Beruf hier betreibende fremde serbische Christen. Doch liess sich keiner von ihnen sehen, auch zeigte sich weder der Kadi noch irgend ein anderer albanesischer Honoratior, und wir verkehrten daher nur mit dem Mudir und dessen Leuten. Die Kutscher, die im Chane waren, erzählten später, dass die Christen sich kaum zu athmen trauten, und bekreuzigten sich, so oft von Kurschumlje die Rede war, und der Verfasser selbst muss gestehen, dass es ihm trotz seiner Bekanntschaft mit dem Albanesenthum nicht gelingen wollte, sich in Kurschumlje gemüthlich zu fühlen.

 

Die Stadt liegt im linken Mündungswinkel der Banska in die Toplitza, auf einer etwa 40 Fuss hohen Terrasse, um welche die Toplitza gegen N. und NO. einen Bogen beschreibt.

 

Auf der östlich gegenüberliegenden Anhöhe des linken Ufers der Toplitza erhebt sich eine ziemlich ansehnliche, aber bereits sehr schadhafte Kirche im byzantinischen Style. Einer ihrer beiden viereckigen Thürme steht noch; der nördliche ist vor 10 Jahren eingestürzt. Zwischen beiden liegt der früher überwölbte Eingangsraum, dann folgt das noch überwölbte, etwa 18 Schritt lange Schilf und endlich die Kirche selbst mit wohlerhaltener Kuppel, etwa 10 Schritt im Quadrat, aber mit dem Schilfe nur durch eine Thüre verbunden. Unter den um die Kirche liegenden alten Grabsteinen sahen wir uns vergebens nach Inschriften um. Die Kirche war früher mit Blei gedekt, welches die Albanesen jedoch zu Kugeln vergossen haben, und sie leiten aus diesem Bleidache den Namen der Stadt ab. Indessen sprechen die serbischen Chroniken von dem bedeutenden Bergbau, welchen die rascischen Könige am Südabhange des Jastrebatz und Kopaonik getrieben haben, und dass Kurschumlje

 

 

51

 

früher eine Bergwerkstadt war, das bezeugt sowohl der Name des nur durch den, die rechte Thalwand der Toplitza und Banska Rjeka bildenden Höhenzug von der Stadt getrennten Waldthaies von Samakowa, als auch die grossen Schlackenhaufen, welche sich dort befinden sollen [1].

 

Vermuthlich zog sich die alte Stadt in östlicher Richtung bis in das nahe Mündungsthal der Kostainitza, weil südöstlich von der erwähnten Kirche die Ruinen einer zweiten Kirche, und zwar gerade der Mündung jenes Baches gegenüber liegen, und auf der in dessen rechtem Mündungswinkel aufsteigenden Höhe die Ueberreste einer alten Festung stehen sollen, die wir jedoch aufzusuchen nicht Zeit hatten. Kurschumlje ist an dem Knotenpuncte der Strassen nach Prokop, Nowipazar, Wutschitrn und Pristina gelegen und daher von der Natur selbst zum Hauptorte dieser Gegend für alle Zeiten bestellt; welcher alte Name aber seinem heutigen entsprochen haben möchte, darüber haben wir bei der heillosen Verwirrung, welche alle zu dardanischen Orten gehörigen Zahlen des Ptolomäus betroffen hat, nicht einmal eine Vermuthung.

 

 

V. Thal der Pusta Rjeka.

 

Hätten wir in Kurschumlje nur einige Vorstellung von der Bodenbildung des inneren Dardaniens gehabt, so wären wir von dort die Kostainitza bis zu ihrer Quelle stromaufwärts gegangen, und hätten dann von der Wasserscheide aus irgend einen in der Richtung von W. nach O. führenden Weg nach Leskowatz aufgesucht. So aber gingen wir von Kurschumlje direct nach Leskowatz, in der Hoffnung, auf diesem Wege einige der von der Karte Viquesnel's verzeichneten Zuflüsse der Morawa zu kreuzen und nach dem dort angegebenen Orte Medoka [2] zu forschen, von dem man weder in Nisch,

 

 

1. Dieses enge Thal ist das erste linke Nebenthal der Kostainitza von ihrer Mündung stromaufwärts. Es ist jetzt unbewohnt und wird auch Leskawoda genannt. — Hadschi Khalfa in: Rumeli und Bosna, S. 147, bemerkt zu Kurschumlje: „Hier sind die Bergwerke von Saplina“, dieselben scheinen daher noch zu seiner Zeit im Gange gewesen zu sein.

 

2. Der Ort scheint aus Hadschi Khalfa’s Rumeli und Bosna S. 147 entnommen zu sein, der ihn als eigenen Kassa zwischen Leskowatz und Nowo Brdo bezeichnet. Der Name klingt an den Medwedja-Bach an, den wir später kennen lernen werden.

 

 

52

 

noch in Prokop, noch in Kurschumlje etwas wissen wollte. Wir sandten zu dem Ende die Wagen auf dem Fahrwege über Prokop nach Leskowatz, verfolgten zu Pferde denselben Weg die Toplitza stromabwärts bis zur Mündung der Grabonitza, und ritten dann das durch enge Waldthäler fliessende Rinnsal dieses Baches bis zu dessen Quelle bei dem Dorfe Tovrljan aufwärts. Auffallend waren in diesen Thälern lange Strecken junger Weissbuchenbestände, aus welchen alte Eichen ohne allen jüngeren Nachwuchs hervorragten, also eine offenbare natürliche Umwaldung dieser Gegend. Noch auffallender aber war uns die sowohl aus dem genannten als einem früher am Wege gelegenen albanesischen Dorfe Dedinse blickende Arbeitstüchtigkeit und Behäbigkeit seiner Bewohner, welche von den Bulgarendörfern der Ebene auf das erfreulichste absticht und den Vergleich mit den besten serbischen Dörfern aushält, die wir zu Gesicht bekomen hatten. Gut gehaltene, mit Steinplatten gedeckte Häuser, hie und da selbst von einem luftigen Holzkiosk überragt, wohlbestellte Gärten, von sauberen Zäunen aus Eichsparren umfriedet und mit Obstbäumen, Gemüsen, ja selbst mit Blumen besetzt, strauchreine, hie und da mit kleinen Düngerhaufen bedeckte Felder gaben von der Arbeitsamkeit der Bewohner eine andere Meinung, als wir in Nisch und Prokop gehört hatten, und in Leskowatz und Wranja wieder hörten. Was wir von den drei Theilen von Statofze zu Gesicht bekamen, von welchen der eine Kurschumlje, der zweite zu Prokop und der dritte zu Leskowatz gehört, deren Bezirksgrenzen hier zusammenstossen, machte auf uns denselben Eindruck, obwohl ihre Bewohner selbst unter den Albanesen für besonders wilde, nur Jagd und Raub liebende Bursche gelten, und auf unserer ganzen Reise fanden wir keine so reichbesetzten Dreschtennen, als in dem albanesischen Dorfe Schitni Potok, dessen wohlberittene Bewohner uns zwei Stunden weit entgegen kamen Unter ihren Pferden befanden sich einige Hengste von grosser Schönheit, und sie führten ihre Phantasien mit überraschender Präcision und Sauberkeit aus. Welcher Pferdefre- und könnte der türkischen Reitkunst, wenn solche Quälerei diesen Namen verdient, das Wort reden, und doch lässt sich nicht läugnen, dass sie ihre glänzenden Seiten hat. Wäre auch der grösste Rigorist deutscher Schule bei uns gewesen, und hätte er gesehen, wie sich die einzelnen Reiter von der Gruppe ablösend und in sanfter Curve derselben vorauseilend, in gestrecktem Carrière die lehn ansteigenden Terrassen längs des Weges hinauijagten oder, oben angekommen, Mann und Ross plötzlich zu einem Steinbilde wurde, er hätte vielleicht die Füsse und Ganaschen der exercirenden Thiere beklagt, aber

 

 

53

 

gewiss kein Auge von diesem eben so schönen als anregenden Schauspiel verwandt. Auch lässt sich nicht läugnen, dass der Türke mit weiten Kleidern, wuchtigem Sattelzeuge, gebogenen Knieen, festem Wadenschlusse, vorgebeugter Stellung, und den rechten Arm in irgend einem Tempo des Djeridwurfes ausgestreckt, weit mehr aus einem Gusse mit seinem Thiere erscheint, als der fränkische Reiter. Freilich lässt sich mit einem solchen Sitze nicht traben, aber unser wesentlich auf die Schonung des Thieres berechneter Trab ist auch in der Türkei unbekannt.

 

Unter den Reformen, welche in diesem Lande eingeführt wurden, gehört wohl die zur unglücklichsten Classe, welche den nationalen Sitz der türkischen Reiterei mit einem fremden vertauschte, der wesentlich für eine nicht climatische Gangart erfunden worden ist, denn angeboren ist dem Pferde nur der kurze Troller, und übt auch diesen das erwachsene Naturthier nur ausnahmsweise.

 

Diese Reiter sowohl, als was wir bis dahin von Albanesen gesehen hatten, waren in buntes Tuch gekleidet, während der serbische und bulgarische Bauer gleich dem macedonischen, thessalischen und griechischen ohne Ausnahme weisse Wollstoffe trägt Doch bildete die Fustanella in der albanesischen Tracht die Ausnahme, und die weite tuchene, unter dem Knie gebundene, und von da ab in eine anliegende Kamasche endende Hose die Regel. Alle diese Beobachtungen stehen in directem Widerspruche mit der in den Städten herrschenden einstimmigen Ansicht von dem financiellen Rückgänge und der theilweise gänzlichen Verarmung der dardanischen Albanesen, welche in früheren Zeiten Tausende von goldgeschmückten und herrlich berittenen Kriegern in’s Feld gestellt haben sollen, jetzt aber in Lumpen gekleidet zu Fusse gehen müssten. Wir waren jedoch viel zu kurz in diesen Gegenden, um uns ein allgemeines Urtheil über den wirthschaftlichen Zustand ihrer Bewohner zu bilden, wir können nur über die längs des Weges erhaltenen Eindrücke berichten.

 

Was die Natur der Gegenden betrifft, durch welche wir von Kurschumlje bis Schitni Potok kamen, so ist sie mit dem Worte waldiges Hügelland erschöpfend bezeichnet; wir ritten meist in der Sohle der Thäler, und kamen wir auch an einen höheren Punct, so fand er sich nur ausnahmsweise zur Orientirung in dem Labyrinthe von grossem und kleinern Erhebungen geeignet.

 

Etwa 3/4 Stunden westlich von Ober-Statofze erreichten wir einen Serwenna genannten Höhenrücken, auf dem uns in einem Felsen eine sitzähnliche Höhlung und nahe dabei ein Loch gezeigt wurde, mit dem Bemerken, dass sie von einem Riesen herrührten, der

 

 

54

 

hier zu ruhen und in das Loch seinen Streitkolben zu stecken pflegte. Wir begrüssten also hier die erste Spur von Marko Kral, dem wir auf unserer Reise noch nicht begegnet waren. Unsere Albanesen aber wollten oder konnten uns diesen Namen nicht nennen.

 

Von Statofze bis Schitni Potok, unserem Nachtlager, ritten wir in dem Thale der Hauptquelle der Pusta Rjeka in ost-südöstlicher Richtung ; dies erschütterte unsern Glauben an die Richtigkeit von Viquesnel’s Darstellung dieser Gegenden, und unsere Ansicht über seine Arbeit wurde im Fortgange unserer Reise immer geringer, bis wir zur Zusammenstellung unserer Notizen über die Südhälfte von Dardanien kamen, und wir nun zu unserem Erstaunen bemerkten, dass Viquesnel’s Gesammtautfassung der Bodenbildung richtiger sei, als die, welche wir uns von Norden ausgehend anfangs von derselben gemacht hatten.

 

Schitni Potok liegt in der Gegend, welche den Uebergang des westlichen Hügellandes zu der östlich gelegenen Morawaebene bildet, indem sich hier die Hügel mehr und mehr verflachen, und die Thäler weiter und offener werden. Sieht man von Schitni Potok gegen Westen, so hat man eine Bergkette vor sich, welche in einer Entfernung von etwa 2 Stunden von SWS. nach NON. zu streichen scheint und im Süden mit dem dreigipfligen Berge von Petrowa endet. Diese Kette wurde uns übereinstimmend als Radan Planina bezeichnet, und ihre Gipfel dürften die Ebene um 1500 Fuss überragen, der Petrowaberg aber noch höher sein. West-südwestlich von Schitni Potok ändert die Kette ihre Richtung, und streicht nun von SO. nach NW.; diesen Theil bezeichneten wir als Sokolska Planina, ein Name, welcher möglicher Weise nur einem einzelnen Felsen zukommt. Mit der nördlich davon von W. nach O. streichenden niedrigeren Jabulowska Planina ist die Sokolska nur durch niedere Hügelketten verbunden, und wie die nördlich von dieser in gleicher Richtung streichende und gegen Osten weiter vorgezogene Czerna gora mit der Jabulowska und den Bergen von Paschiata Zusammenhänge , wissen wir nicht anzugeben. Sämmtliche von der Radankette gegen Osten abfliessende Wasser sammeln sich in zwei Bäche ; längs des nördlichen, der meist nach dem Dorfe Statofze benannt wird, führte unser Weg hin; das Gebiet des südlichen, welcher vermuthlich auf dem Petrowaberge entspringt, blieb uns unbekannt.

 

In Schitni Potok brachte uns der Orts Vorsteher, der uns sein Haus eingeräumt, eine Pastete von Blätterteig von einer Güte, wie wir sie selten gegessen zu haben uns erinnern. Dies ist eines der beliebtesten über die ganze Südost-Halbinsel verbreiteten Luxus gerichte ;

 

 

55

 

den Liedern zufolge muss sie, um vollkommen zu sein, aus hundert möglichst feinen Mehlteigblättern bestehen, denn so bestellt sie der einkehrende Räuber oder Held, wenn er sich gütlich thun will. Zwischen diese Blätter werden je nach der Jahreszeit Fleisch, frischer Käse, gehackte Eier oder Kräuter gelegt, und das Ganze in einer etwa zwei Zoll tiefen schildähnlichen Kupfercasserole in reichlicher Butter im Brotbackofen gebacken. Die Erinnerung an diese Délicatesse wird jedoch durch eine andere Reminiscenz aus Schitni Potok verbittert, nämlich die freche Zudringlichkeit der albanesischen Jugend, der gegenüber wir in dem einsamen Hause uns etwa in der Lage befanden, welche der junge Seidlitz seinem Freunde Voltaire in jenem schlesischen Dorfe bereitet hatte, indem er ihn der Obhut der Autochthonen als des Königs Leibaffen empfahl. Diese jungen Dardanen betrachteten uns ganz wie fremde Curiosa, theilten sich ungenirt ihre Bemerkungen über unsere Persönlichkeiten und unser Behaben mit, und stiessen die Zimmerthür, so oft sie auch der Bediente schloss, von neuem auf, indem sie behaupteten, dass sie in ihrem eigenen Hause wären und sehen wollten, was darin vorgehe. Unsere türkische Begleitung war sehr weit von uns einquartiert, und express um Hilfe zu schicken, schien nicht passend. Wir beschieden uns also, bis ein älterer Mann erschien und die Jungen zurechtwies. Dasselbe widerfuhr unserer Begleitung am folgenden Morgen in möglichst scharfer Weise, und zeigte hier wie jederzeit die wohlthätigste Wirkung. Wir möchten überhaupt jedem Reisenden auf der südöstüchen Halbinsel den Rath ertheilen, bei jedem Personenwechsel die erste Gelegenheit zu benützen, um sein Verhältniss zu den neuen Individuen dadurch von vornherein zu klären, dass er, ohne grob zu werden, sich möglichst scharf zeigt, und stets zu bedenken, dass er nur zwei Hebel hat, um auf das autochthone Element zu wirken, d. i. Furcht und Interesse. Ein nur an asiatische Gesellschaftsschranken gewohntes Volk hat kein gesellschaftliches Mass für den reisenden Europäer, dieser muss dasselbe daher selbst reguliren, wenn er sich vor Unzukömmlichkeiten bewahren will.

 

Am folgenden Morgen setzten wir, dem Rinnsale des Baches in östlicher Richtung folgend, unsern Weg nach Leskowetz fort, und erreichten in 55 Minuten die Ruinen von Slata, welche auf einem von N. nach S, streichenden, gegen den Bach abfallenden, flachen Buckel, unweit des nördlichen Bachufers liegen. Sie ergaben sich als Reste einer Umfassungsmauer, welche aus grossen, hartgebrannten , mit reichlichem und ungemein festem Cemente gefügten Backsteinen bestand, und einen Hübel des erwähnten Buckels krönte.

 

 

56

 

Diese Reste lassen sich bis zum Bache verfolgen, an dessen beiden Ufern die Ueberbleibsel einer aus gleichem Materiale bestehenden Brücke sichtbar sind. Von der Gestalt und dem Umfange dieser alten Festung konnten wir uns nach den sichtbaren Mauerresten, welche in einer geraden Linie dem Bache zulaufen, keine deutliche Vorstellung machen. Nach der örtlichen Sage soll Sultan Murad dieselbe von einer Kralitza (Königin) erobert und hierauf zerstört haben; nähere Details über dieses Ereigniss wusste der Aga von Schitni Potok, der uns bis hierher begleitete, nicht auzugeben. Uns mutheten diese Baureste jedoch wie römische an, und zwar ohne alle vorgefasste Meinung, weil uns erst nach Verfertigung der Karte auffiel, dass Slata so ziemlich auf der Linie von Nisch nach Prischtina liegt, und wir uns dann erst an die Militärstrasse der Peutingerischen Tafel erinnerten, welche von Naissus nach Lissus (Alessio) an der adriatischen Küste führte. Diese Strasse führte daher wahrscheinlich über Slata. Wir werden dieselbe später einer genaueren Untersuchung unterwerfen.

 

Die Ruinen liegen an dem Kreuzungspunkte der erwähnten alten Strasse mit dem Wege von Kurschumlje nach Leskowatz, und ausserdem am Uebergangspunkte des Berglandes in die Ebene. Der Ort war daher vielleicht nicht blos Poststation, sondern auch zur Schützung der Ebene gegen die Einfälle der Hochländer bestimmt.

 

Dem Rinnsale des Baches weiter folgend, fanden wir in dem Dorfe Zerkwitza die ersten Bulgaren. Dies Dorf liegt bereits in der Ebene und mag etwa drei türkische Stunden von der Morawa entfernt sein. Bei demselben führt die Bublizka Rjeka die von der Südhälfte der Radankette kommenden Wasser dem von Statofze herabkommenden Hauptbache zu, und von hier an wird derselbe Pusta Rjeka genannt. Doch rücken die Albanesen im Pustagebiete bachabwärts noch weit näher an die Morawa heran, denn ausser den auf Zerkwitza folgenden Mischdörfern wurden uns Lapatinsa, Brianje und Stubla, letzteres kaum 1 1/2 Stunde von der Morawa entfernt, als rein albanesisch bezeichnet. Ist dies richtig, so sind die Albanesen auch Herren der grösseren (westlichen) Hälfte der Pustaebene, und bilden sie hier eine Ausnahme von dem oft gehörten Satz, dass, so weit die Berge reichten, Albanesen sässen, und mit der Ebene die Bulgaren begännen.

 

Das Gebiet der Pusta wird von dem der Jablanitza durch einen breiten, niederen Höhenrücken getrennt, welcher seinen Namen Kremen, d. h. Kiesel, mit Recht führt, denn er ist meist kahl und nur hie und da mit kümmerlichem Strauchwerk bestanden.

 

 

57

 

Er scheint ein Ausläufer der Radankette zu sein, streicht Anfangs von W. nach 0., wendet sich dann gegen NO., und zwingt die Pusta zu derselben Wendung, indem diese, hei dem Dorfe Ginjuscha gegen ihn anprallend, nordwärts zu laufen gezwungen wird, und dann vermuthlich in nordwestlicher Dichtung der Morawa zuläuft. Nachdem wir den Kremen überstiegen, führte uns der Weg durch ein breites, ebenes, äusserst fruchtbares Thal, in welchem der Jablanitzabach, der weiter westlich von den Albanesen Medwedja genannt wird, ungefähr in gleicher Dichtung mit der Pusta der Morawa zuläuft. Wir kreuzten Thal und Bach, und gelangten ebenen Fusses nach Leskowatz, indem sich diese Stadt an den steilen Ostabfall des Höhenrückens anlehnt, welcher in ähnlicher Weise wie der Kremen das Gebiet der Jablanitza von dem der Weternitza, dem dritten, bis dahin unbekannten westlichen Zufluss der Morawa in der dardanischen Hochebene, abscheidet.

 

 

VI. Leskowatz.

 

Leskowatz ist eine grün durchwachsene behäbige Landstadt, in der besonders an den Markttagen, wenn die lange Bazarstrasse mit Büffelwagen und Marktleuten vollgepfropft ist, und die Menge, die sie nicht zu fassen vermag, in die Nebenstrassen überfluthet, das regste Leben herrscht. In einer solchen wird auch der Viehmarkt abgehalten. Wir bemerkten hier, dass die grossen langhalsigen Donauochsen, deren Farbe von weisslich zu isabell und mäusegran nuancirt, die aber sämmtlich mit dem Esel den schwarzen Kreuzstrich über dem Dückgrate und den Schulterblättern theilen, mit schönen Köpfen und malerisch aufgesetzten und kühn geschwungenen, mitunter colossalen Hörnern bereits mit dem kleinen, buntfarbigen, mitunter gescheckten, meist struppig und verkommen aussehenden Hornviehschlag vermischt waren, welcher sich durch Macedonien, Thessalien, Albanien und Griechenland zieht, und nur des Fleisches wegen gezogen zu werden scheint, denn wir erinnern uns, nur äusserst selten diesen Schlag vor einem Pfluge oder Wagen gesehen zu haben; er ist zu schwach dazu. Alles Zugvieh der genannten Länder wird von der Donau eingeführt, und der neben diesen Zugochsen in Dardanien und Macedonien so häufige Büffel wird weiter gegen Süden immer seltener. Das einheimische Rindvieh wird nicht einmal zur Milchzucht verwendet, denn man melkt hier höchstens die Büffelkühe, und

 

 

58

 

wo diese fehlen, da klingt es z. B. dem griechischen Bauern noch viel fremder, wenn man ihm von Kuhmilch spricht, als dem unseligen, wenn er von Schafmilch hört, die der Grieche nebst der Ziegenmilch für allein geniessbar hält.

 

Die Pferde, welche in Leskowatz zu Markte kamen, waren klein, aber kräftig gebaut und munter aussehend; auch die hiesige Büffelrace zeigt sich weit kleiner, als die fast mannshohen, urthierartigen Colosse, welchen man namentlich in den Wardaniederungen begegnet.

 

Leskowatz ist der Hauptstapelplatz für den dardanischen Hanf, welcher für den besten der Südosthalbinsel [1] gilt, und theilweise für den örtlichen Verbrauch verarbeitet, theilweise nach Belgrad ausgeführt wird. Er stand während unserer Reise in kleinen, zeltartig gestellten Haufenreihen zum Trocknen auf den Aeckern und gab der ganzen Ebene das Ansehen eines ungeheueren Feldlagers.

 

Die Stadt wird von dem mitten durch dieselbe fliessenden Wasser in zwei ungleiche Hälften getheilt; die kleinere des linken Ufers lehnt sich an den ziemlich steilen Abfall des bereits erwähnten Höhenrückens, und ist vorherrschend von Muhammedanern, die grössere, rechte Hälfte von christlichen Bulgaren bewohnt. Die Häuserzahl wurde auf 2400 christliche, 500 türkische, 10 jüdische und 30 zigeunerische, mithin auf fast 3000 angegeben, wornach die Bevölkerung an 15.000 Seelen betragen dürfte. Sechs Minarets überragen die Häusermasse, doch ist keine der dazu gehörigen Moscheen beachtenswerth. Die beiden Stadttheile sind durch eine Holzbrücke verbunden, doch weil sie gerade ausgebessert wurde, mussten wir durch das Wasser waten, welches uns breiter als die Nischawa, aber für die Morawa, an welche alle Karten die Stadt Leskowatz verlegen, etwas zu schwach erschien. Als wir aber den erwähnten Höhenrücken erstiegen hatten, da zeigte man uns die Morawa eine gute Stunde östlich von der Stadt parallel mit dem diese durchschneidenden Wasser von Süden nach Norden fliessend, und gab uns die Spuren an, nach welchen wir erkennen konnten, wie das tief in die weiche Ebene eingegrabene Stadtwasser allmählich gegen Osten abbeugte und etwa eine Stunde nördlich von der Stadt in die Morawa floss. Wie heisst aber das Stadtwasser? fragten wir unsere

 

 

1. Der Hanfbau dieser Gegenden stammt wohl aus dem grauesten Alterthume, Thracien wenigstens war schon zu Herodot’s Zeiten wegen seines vortrefflichen Hanfes berühmt, denn dieser erzählt, dass die thracischen Hanfstoffe sich schwer von Linnen unterscheiden lassen. IV, 74.

 

 

59

 

aus etwa zwanzig Personen bestehende Begleitung. Hierauf fragte einer den andern: Du, wie heisst unsere Rjeka (Fluss, Bach) ? Nach längerer Berathung fiel die Antwort dahin aus, dass sie Rjeka heisse. Wie heisst sie denn weiter oben ? Dort nennt man sie Weternitza, hiess es einstimmig. So wird sie auch bei der Stadt wohl Weternitza heissen? Du magst Recht haben, aber Du fragst uns Dinge, an die keiner von uns jemals gedacht. Wir wiederholten später die Probe mehrmals mit anderen Leuten, und fanden, dass sie den eigentlichen Namen des Flusses von der Stadt bis zur Mündung nur durch obige Schlussfolgerung eruirten, und derselbe für die ganze Stadt „der Fluss“ schlechthin war; ein Beleg zu der Geschichte aller Flussnamen, welche sämmtlich mit dem Begriffe Wasser, Fluss oder Farbe zusammenhängende alte Appellative sind. Wir kennen in der Nähe von Aschaffenburg einen Bach, welcher „die Bach" heisst- und der umliegenden Landschaft den Namen Bachgau gegeben hat.

 

Wir hatten gleich beim ersten Anblick aus der offenbar künstlichen Ebenung des Höhengipfels, auf dem wir standen, vermuthet, dass derselbe eine Akropole getragen haben müsse, und fanden diese Vermuthung durch die örtliche Ueberlieferung bestätigt, wenn auch kein Ueberrest derselben in den gutgehaltenen Weinbergen, welche die Fläche bedecken, aufzufinden war. Unsere vergeblichen Forschungen nach örtlichen Sagen trugen wenigstens die merkwürdige Notiz ein, dass Leskowatz seinen Namen gewechselt und vor Zeiten Diboftschitza geheissen habe.

 

Der Rundblick von seiner Akropole erlaubte uns zum erstenmale einen, wenn auch unvollkommenen, Ueberblick über die Einfassung der dardanischen Hochebene. Kaum drei Stunden südlich von der Stadt streicht die Wutschanska Planina mit dem Jastrebatz parallel von W. nach 0., und bildet die südliche, wie jener die nördliche Grenze unserer Hochebene, wenn sie auch weder so hoch, noch so ausgedehnt ist, als jener. Ihre östlichen Ausläufer bilden mit der Schirena Planina den unteren Theil des sechs Stunden langen Défilé’s, in welches die Morawa aus der Ebene eintritt, und dessen Richtung sich durch vier übereinander lagernde Winkeleinschnitte seiner Wände weithin verfolgen lässt, eines der wenigen pittoresken Bilder dieser an grossartiger Scenerie so armen Länder. So schön es aber auch war, so fiel es uns schwer auf die Brust, und die bündigsten Versicherungen unserer Begleitung, dass das Défilé bequem zu Wagen passirbar wäre, konnten den beklemmenden Eindruck nur theilweise heben, denn ausser dem Wagen sollte ja nach unseren Gedanken auch die Locomotive ihren Weg künftig durch diese Bergwände finden,

 

 

60

 

und der Blick schweifte vergebens an ihnen hin und her, um irgend eine zweite Lücke zu finden, welche weniger haarsträubende Curven darböte, als sie das Morawa-Défilé von hier aus vermuthen liess.

 

Die Mündung der Wlaschina in die Morawa fällt ost-südöstlich von Leskowatz. Dieses Flüsschen kommt von Osten her aus einem breiten, äusserst fruchtbaren Thale, in welches mau von der Akropole tief hinein sehen kann. Das Wlaschinathal trennt die nördlichen Ausläufer der Schirena von den mit der Hauptkette parallel laufenden Vorbergen der Raditschka Gora, deren westlichen Abfall die Morawa bis Kurwingrad benetzt. Eine über diese Vorberge wandartig hervorragende Mittelkette lässt gegen Osten auf zwei lange, mit der Morawa parallel laufende Thäler schliessen, mit welchen wir jedoch jede nähere Bekanntschaft vermeiden mussten, um unsere Aufmerksamkeit auf das linke Morawaufer eoncentrirt zu erhalten. Der Raditschka Gora parallell laufend, bildet die früher genannte Radankette den westlichen Abschluss der nördlichen Hälfte der Hochebene, die mit dem Petrowaberge steil gegen dieselbe abzufallen schien. Um einen Ueberblick über die ganze am linken Ufer des Flusses sich ausdehnende Ebene zu erhalten, war jedoch unser Standpunct zu nieder, da dieselbe, wie der Leser aus den früheren Bemerkungen sich erinnert, von verschiedenen, wenn auch sehr niederen Höhenzügen durchzogen wird.

 

Der junge Mudir, ein Verwandter Sainel Pascha's, hatte uns ein neugebautes geräumiges Christenhaus zum Quartier angewiesen, welches zwar des Meubelluxus unserer Nichaer Herberge entbehrte, in dem wir uns aber trotzdem so gemüthlich fühlten, dass wir von jedem unserer Ausflüge mit neuem Behagen in dasselbe zurückkehrten.

 

Was diese betrifft, so war natürlich unser Hauptaugenmerk auf den albanesischen Westen gerichtet, über den wir in Nisch, Prokop und Kurschumlje nur so viel erfahren hatten, dass er auch in diesen Nachbarstädten fast unbekannt sei, und in Leskowatz hiess es, dass es zwar einen directen Weg von dort nach Prischtina gebe, dass aber alle Welt aus Furcht vor den dortigen Albanesen die doppelt so weite Bogenlinie über Wranja und Gilan vorziehe. Wir waren jedoch auf solche Fälle vorbereitet, und fragten daher den Mudir, mit welchem als Südalbanesen wir auch griechisch verhandeln konnten, welcher albanesische Häuptling dieser Gegenden den meisten Einfluss geniese. Er antwortete: Ram Butzo. Wer? fragten wir etwas betroffen ; der Mudir brach in ein wieherndes Gelächter aus und erklärte, als er sich beruhigt hatte, dass unter dieser, dem griechischen Ohre

 

 

61

 

etwas auffallenden albanesischen Abbreviatur Ramadan Aga aus dem Dorfe Bufze versteckt sei, und uns fiel als Gegensatz jener Münchner Marqueur ein, welcher nach der Erklärung des Wirthes eigentlich Nep heisse, und daher von den Studenten schlechtweg Nebukadnezar gerufen wurde. Ich verlangte also Ram als Führer in jene unbekannten Gegenden; der Mudir meinte, dass es wohl nicht schwer halten würde, ihn dazu zu bestimmen, und schickte nach ihm aus. Bald darauf erschien eine hohe, breitschulterige Gestalt, welche von der Last von wenigstens 65 Jahren noch nicht gebeugt, den klug, fast würdig aussehenden Kopf mit Anstand trug. Der Mudir setzte ihm meinen Antrag auseinander, Ram schien dadurch geschmeichelt, und nahm ihn ohne Umstände an, obwohl er eigentlich unwohl sei, weil ich, wenn ich einmal dorthin wolle, nur mit ihm gehen könne.

 

Die Wahl des Mudir wurde von Jedermann gebilligt, den ich darum befragte, mit dem Zusatze, dass die Albanesen des Mudirlik’s nur auf ihn hörten, und er im Stande sei, in 24 Stunden 10.000 Flinten nach Leskowatz zusammenziehen, denn er sei der Hauptvertraute des Ismael Pascha, dessen Familie, von der der bekannten Buschatli von Skodra stammend und seit mehreren Generationen in Leskowatz ansässig, reichen Güterbesitz in der Umgegend erworben habe. Dieser Ismael Pascha sei früher Gouverneur des Landes gewesen, seit einigen Jahren aber nebst seinem Bruder von der Pforte zu anderen Functionen berufen worden. Ram selbst aber erklärte die Häuser von Ismael Pascha und von Machmut Begola in Ipek für die bedeutendsten in ganz Albanien. Er erklärte mir ferner in einer vertraulichen Unterhaltung, dass er keine Leute des Mudir’s für unsere Reise brauchen könne, sondern seine eigenen Leute mitnehmen werde.

 

 

VII. Kurwingrad.

 

Unser erster Ausflug ging jedoch nicht nach Westen, sondern in nördlicher Richtung die Morawa stromabwärts bis Kurwingrad, um dieses Stück des Flusses kennen zu lernen. Wir fuhren durch die wagrechte Ebene zwischen Weternitza und Jablanitza, kreuzten die letzteren bei dem stattlichen bulgarishen Dorfe Petschenefza, dessen um den Chan versammelte Bauernschaft — es war Sonntag — uns mit herrlichen Birnen bewirthete, Wir hätten gerne länger mit diesen

 

 

62

 

geweckten Leuten verkehrt, denen die Freude über den Anblick fremder Christen aus den Augen strahlte, aber die Zeit erlaubte es nicht.

 

Bald hinter Petschenefza näherte sich die Morawa unserem stets streng von S. nach N. führenden Wege, und erreichten wir das Nordende des Kremenrückens, dessen jähe, wie vom Wasser weggespülte Ostabfälle wir von dem Dorfe Dubljan an zur Linken hatten.

 

Wir waren also in der Pustaebene, und der erste Blick, den wir dieselbe aufwärts gegen Westen warfen, lockte uns einen Ausruf des Erstaunens ab, denn er ging scheinbar in’s Unendliche. Der Petrowaberg, welcher, wie oben bemerkt, die Radankette schliesst, fiel hier gegen Süden in die Ebene ab, und diese setzte sich südlich davon weiter gegen Westen fort. In weiter, wenigstens zwölf Stunden betragender Entfernung zeigte sich eine hohe Bergkette, welche scheinbar von Süden nach Norden ziehend, sich hinter die Radankette versteckte. Weiter südlich von dieser Kette und westsüdwestlich von unserem Standpuncte erblickten wir scheinbar in gleicher Entfernung von uns drei Berge, welche beträchtlich höher als jene Kette schienen, und es kam uns vor, als ob wir ihre ganze Contour sähen, und sie also mit ihrer Ostseite gleich dem Petrowa in die Ebene abfielen [1]. Uebrigens schien auch dieser ganze Strich keine vollkommene Ebene, sondern von flachen Höhenrücken durchfurcht zu sein. Man gab uns für jene drei Berge den Namen Mrkonje an, doch sah Major Zach den Gipfel des Mrkonje etwa sechs Stunden nordost-nördlich von Nowo Brdo, während nach unserem Croquis die vorliegenden Berge etwa 8—10 Stunden nordwestlich von diesem Orte fallen würden. Mit unserer Darstellung des Gebietes der Kriwa Rjeka lassen sich beide Angaben nicht vereinigen, doch sprechen auch noch andere Anzeichen dafür, dass dasselbe bei einer Revision seine Stellung bedeutend verändern dürfte. Wahrscheinlich sind dies die drei Gipfel der Kette, welche auf Viquesnel’s Karte die dardanische Hochebene im Südwesten einfasst, und von deren nördlichem Abfall die Wasser in Nordostnordrichtung (wenn wir uns recht erinnern, denn sie liegt uns nicht vor) der Morawa zufliessen. Diese Wasser haben wirklich in ihrem Quellgebiete im grossen Ganzen die Richtung von S. nach N., sie biegen aber später, was Viquesnel nicht errathen konnte, nach O. und NO. ab. Wie dem auch sei, so zeugt jener Blick für die grosse Ausdehnung der dardanischen Hochebene

 

 

1. Dies Flachland steigt von Osten nach Westen zu bedeutend an, denn Leskowatz ist 590 und Prokop 625, Kurschumlje 1033 und Deditsch circa 1100, die Labmündung aber 1591 Fuss hoch.

 

 

63

 

gegen Westen, so zwar, dass die Frage zu untersuchen bleibt, ob dieselbe überall von dem Amselfelde durch hohe Gebirge getrennt sei, oder nicht.

 

Die Mündungsgegend der Pusta ist sumpfig, und der Lauf der Wasser in ihr häufigem Wechsel unterworfen. Wir zählten gegenwärtig drei Hauptarme ; der mittlere bildet die Grenze zwischen den Kreisen Leskowatz und Prokop; die zwischen Leskowatz und Nisch auf dem rechten Morawaufer fällt etwas südlicher.

 

Bald nach der Kreuzung des letzten Armes der Pusta fuhren wir bei dem Dorfe Tschetschina, Dank dem niederen Wasserstande, ohne Anstand durch die Morawa und von da auf dem rechten ebenen Ufer dem Défilé von Kurwingrad zu, welches jedoch kaum diesen Namen verdient und selbst auf dem rechten Ufer, an welches der felsige Fuss des Festungshügels hart herantritt, der Trace einer Eisenbahn keine erheblichen Schwierigkeiten entgegensetzen würde.

 

Der an 500 Fuss hohe Hügel, welcher etwas westwärts über die von der Morawa longirte Hügelkette vorspringend, das erwähnte Défilé bildet, fällt gegen Norden in die Ebene von Nisch ab und beherrscht als Schlusspunct ihres Südrandes den grössten Theil derselben, doch wird die zwei Stunden nordöstlich von ihm gelegene Stadt Nisch durch einen vorspringenden Hügel verdeckt. Man kann von hier den streng von S. nach N. gerichteten Lauf der Morawa nicht nur durch jene Ebene, sondern bis tief nach Serbien hinein verfolgen, und noch weiter und reicher ist die Aussicht nach W. und S. über die dardanische Hochebene, deren Bau uns hier erst klar wurde.

 

Ein solcher Punct war für ein mittelalterliches Schloss wie geschaffen, und von ihm erhielt auch der Hügel seinen ominösen Namen, über welchen wir nur so viel erfahren konnten, dass er von der letzten Besitzerin des Schlosses herrühre, welche mit den Mönchen eines benachbarten, mit dem Schlosse durch einen unterirdischen Gang verbundenen Klosters einen ruchlosen Wandel geführt habe [1]. Dies wäre also nach der von der Slata, die zweite Kralitza, welcher wir auf der dardanischen Hochebene begegnen. Wir erinnern uns aus serbischen Liedern einer dritten von Poscharewatz. Im Falle sich, wie wir vermuthen, diese Sammlung vermehren liesse, würden

 

 

1. So erklärt den Namen die örtliche Tradition; E. Spencer, Travels in European Turkey in 1850, tom. I, p. 164 leitet, wir wissen nicht, nach welcher Quelle, den Namen von Matthias Cörvinus ab, der das Schloss als Grenzveste seines Reiches erbaut habe.

 

 

64

 

diese weiblichen Herrscher einen sehr beachtenswerthen Zug der serbischen Sage bilden [1].

 

Die Trümmer des Grad bestehen aus den sehr schlecht gebauten Umfassungsmauern, welche ein von W. nach O. laufendes Oblongum bilden, und mit doppelten Gräben umgeben waren. Der Réduit befindet sich auf dem höchsten Puncte der Höhe gegen Osten.

 

 

VIII. Thal der Medwedja.

 

Unser zweiter Ausflug von Leskowatz ging nach Westen, dem Laufe der Jablanitza oder Medwedja entlang, auf dem geraden Wege von Leskowatz nach Prischtina. Wir machten denselben, wie bereits erwähnt, unter dem ausschliesslichen Schutze Ramadan’s und seiner Leute. Wir hatten in denselben recht handfeste Bursche erwartet, fanden uns jedoch in dieser Erwartung gänzlich getäuscht. Kam’s Suite bestand nämlich aus einem alten Manne Namens Bektasch, der bei ihm Kammerdienste versah und nebenbei den Hofnarren machte: Mehemed Bev, dem verkommenen Sprösslinge einer herabgekommenen alten Familie, der echte Typus eines türkischen Bambocheurs, der es in der Kunst der Rechnungsstellung bereits sehr weit gebracht, übrigens aber geschmeidig und manierlich war: Ali, einem jungen, bosnischen Türken, in türkischer Kochkunst so erfahren, dass er dieselbe in unserer Meinung sehr erhob, und endlich in einem blatternarbigen Individuum mit breiten Zügen und einem Crachat von schwarzem Sammt auf der Brust, auf welchem in Goldfaden der Halbmond mit dem Abeudstern gestickt war. dessen Bedeutung wir zu erfragen vergassen. Der Mann erregte bei der Abfahrt dadurch unsere Aufmerksamkeit, dass er zurückblieb, um ein eifriges Gespräch mit zwei Derwischen zu beendigen, dessen Gegenstand wir zu sein schienen, ein Umstand, der von uns schwerlich beachtet worden wäre, wenn er nicht kurz nach dem Blutbade von Dschedda stattgefunden hätte, und wir damals über den Eindruck desselben auf die europäischen Muhammedaner und den Gehalt der Gerüchte über weitverzweigte Verschwörungen unter ihnen im Reinen gewesen wären. Wir erwähnen dieses Umstandes zum Beweise, wie weit oft die erhaltenen Reiseeindrücke von dem wahren Sachverhalte abstechen.

 

 

1. Auch an die schöne Ruine des Schlosses Golubatz an der Donau knüpft sich eine ähnliche serbisch-türkische Sage. F. K.

 

 

65

 

denn dieser Mann erwies sich nicht nur als ein vortrefflicher Courier, sondern auch als der aufmerksamste und vorsorglichste seiner Genossen, sobald wir im Quartier angekommen, wo wir stets alles nach Wunsch vorbereitet fanden.

 

Den vier Stunden langen Weg durch das wagrechte vom Kremen- und Leskowatzrücken scharf begrenzte Flussthal legten wir bis zu dem Dorfe Lebana zu Wagen zurück. Dies Thal mag im Durchschnitte 3/4 Stunden breit sein und ist eben so fruchtbar als bevölkert. Längs des Baches reiht sich Dorf an Dorf, und eine zweite Dörferreihe zieht sich am Fusse des Leskowatzrückens hin. Dieses Thal ist nebst dem südlich daran stossenden der Weternitza der Hauptsitz des dardanischen Hanfbaues, und wir sahen bereits auf mehreren Feldern kleine Düngerhaufen liegen, um sie bei dem künftigen Bau zu verwenden.

 

Die Bevölkerung der Thalebene ist durchaus bulgarisch, und hier reichen die Bulgaren selbst in das Hügelgebiet des Baches hinein, welches 1/2 Stunde östlich von Lebana beginnt, denn dieses und das etwa 3/4 Stunden westlich davon bachaufwärts gelegene Schillowa sind reine Bulgarendörfer; von da an westlich beginnen die Albanesen eben so unvermischt, und reichen längs dieser Strasse wenigstens bis Graschtitza, 2 1/2 Stunden nordöstlich von Prischtina.

 

Wir übernachteten in Lebana, und setzten am folgenden Morgen unsern Weg durch das von niederen Höhenzügen gebildete Flussthal zu Pferde fort.

 

An der Grenze des ersten albanesischen Dorfes Radinofze fanden wir 18 bewaffnete albanesische Bauern in Reih und Glied aufgestellt, welche Ram auf das freundlichste und zuvorkommendste begrüsste. In der Nähe des Dorfes machten wir einen kleinen Halt, und hier verbreitete sich Ram mit wahrer Beredsamkeit und einschmeichelnder, ja süsser Modulation über unsern Reisezweck, während die Gegenreden der Eingebornen zeigten, dass sie sich über unsern Besuch gerade nicht geschmeichelt fühlten und hinter demselben geheime Absichten versteckt witterten; kurz die Begegnung machte auf uns den Eindruck, und wir glauben hierin nicht zu irren, dass wir ohne Ram nicht unbehelligt durch dieses Dorfgebiet gekommen wären, und dass der Alte die Gemeinde nicht sowohl, wie er behauptete, zu unserer Ehre oder zum Beweise seines Einflusses aufgeboten hatte, sondern um durch deren Betheiligung an unserem Schutze jedes Hinderniss gegen unsere Reise zu beseitigen.

 

Mit den Begleitern des nächstfolgenden Dorfes machte Ram weit weniger Umstände, hier musste er sich also sicherer fühlen, und

 

 

66

 

diese Vermuthung ward durch die Antwort auf die Frage nach ihrem Geschlechte bestätigt, denn sie lautete: Sob (Heu), und der Alte war auch ein Sob. Die kleineren Dörfer am Wege hatte Ram nicht angerufen, als wir uns aber der Grenze von Deditsch, unserem Nachtlager, näherten, kamen uns die Sobs desselben zu Pferde entgegen. Dieses Dorf liegt in einem freundlichen, offenen Wiesenthale weithin verzettelt, dessen niedere Wände mit Eichengestripp bestanden sind. Wir glaubten uns hier in einem Hochgebirgsthale, obwohl es nur 1.100 Fuss über dem Meeresspiegel liegt. Das Dorf muss das bedeutendste der Landschaft sein, doch vergassen wir die Zahl der Häuser zu erfragen. Es hat eine Moschee, deren freundlicher Iman stets in unserer Gesellschaft blieb.

 

Alle Häuser, welche wir sahen, waren mit Ziegeln gedeckt und bestanden aus Unter- und Obergeschoss, doch werden sowohl die albanesischen als bulgarischen Wohnungen richtiger mit dem Worte Gehöfte bezeichnet, weil sie, gleichviel ob aus festen Häusern oder aus Hütten bestellend, stets einen Complex mehrerer von einander getrennter Baukörper bilden. Das Haupthaus ist das eigentliche Wohnhaus der ganzen Familie, in welchem oder um welches sie sich den Tag über aufhält, wo gekocht und gegessen wird und die Fremden Zutritt haben : hat das Haus zwei Stöcke, so ist der obere, stets mit einem gedeckten Vorplätze versehene, der Wohnraum, der untere Stall oder Vorrathshaus. Im Haupthause schlafen in der Regel auch der Hausvater und die Hausfrau. Sobald sich ihre Kinder verheirathen, erhält jedes Paar eine besondere Schlafhütte, und neben diesen finden sich in dem Hofraume in der Regel noch andere gesonderte Bauten, als: Stallungen, Werkstätten, Vorrathshäuser. Unterabtheilungen eines Hauses oder Flügelbauten haben wir auf dem Lande nur sehr selten gefunden. An den Hofraum reihen sich in der Regel auch mehrere kleine Hausgärten. Je vereinzelter diese Gehöfte liegen, desto sorgfältiger ist ihre Umfriedung aus mannshohen Lehmmauern, Eichensparren oder Flechtwerk, je nach dem localen Materiale, und namentlich in dem Quellgebiet der bulgarischen Morawa erregte die sorgfältige, ja elegante Construction der stattlichen Hofthore unsere Bewunderung. Sie bestanden aus einem leichten Gerippe von Holzbalken, deren Zwischenräume mit Flechtwerk ausgefüllt waren.

 

Interessant war für uns die Beobachtung, wie die Construction des Strohdaches den Anforderungen des Clima’s entsprechend ausgeführt wird, gegen welches es schützen soll; wir fanden es auf unserer ganzen Reise kaum halb so hoch, aber doppelt so dick, als das griechische, weil es hier vorzugsweise auf den Schutz vor der Kälte

 

 

67

 

und andauernden Feuchtigkeit berechnet ist, während jenes dem starken Winterregen raschen Ablauf gewähren und hoch genug sein muss, um unter ihm während der Sommerhitze aushalten zu können. Wir hatten in Deditsch den neugebauten Harem unseres jungen Wirthes inne, ein viereckiges Lehmhäuschen mit Ziegeldach, zu dem sechs Holzstufen führten und das sein Licht nur von der Thüre erhielt. Die Frauen hielten sich hier wie in allen albanesischen Dörfern vor uns versteckt, doch hörten wir, dass sie, nachdem wir schlafen gegangen waren, zu dem im Wohnhause campirenden Ramadan Aga kamen, um ihm die Hand zu küssen und sich mit ihm längere Zeit sehr lebhaft unterhielten, ohne sich vor unseren Leuten zu geniren; diese schilderten eine derselben als sehr schön von Gesicht, stattlich von Gestalt und imposant in ihrer Haltung.

 

Dass wir uns unter einem kriegerischen Volke befanden, zeigte die grosse Aufmerksamkeit, welche hier wie in allen albanesischen Orten unseren Waffen gezollt wurde. Besondere Beachtung fand ein Revolver, in dessen Wahl wir sehr glücklich gewesen, jeder wollte ihn in die Hand nehmen, jeder seine Construction untersuchen, und man bat uns so lange, bis wir uns entschlossen, seine Wirkung zu zeigen, die Probe fiel glücklich aus und wurde von einem wahren Freudenjubel der ganzen Versammlung begleitet. Die Kunde von dieser neuen Waffe scheint sich rasch verbreitet zu haben, denn sowohl auf dem Amselfelde als in Gilan wurden wir später von Albanesen ersucht, ihnen das Pistol mit sechs Schüssen zu zeigen, von dem sie gehört hätten.

 

Anders war dies bei den Bulgaren, denn von diesen wurde meine Luftmatratze, welche die Aufmerksamkeit der Albanesen nicht fesseln konnte, weit mehr angestaunt, als der Revolver, und die bulgarische Jugend drängte sich stets heran, um bei ihrer Füllung zu helfen.

 

In Deditsch hielten wir möglichst sorgfältige Nachfrage über die von hier aus nach Prischtina und Gilan führenden Wege, und erfuhren bei dieser Gelegenheit, dass etwa zwei Stunden von Deditsch entfernt, auf dem letzteren Wege das Dorf Swjarina liege, bei welchem sich nicht nur warme Quellen, sondern auch alte, aus Quadersteinen bestehende Festungsmauern finden sollten. Wir boten alle unsere Beredsamkeit auf, um Ram zum Besuche dieses Ortes zu bewegen, die jungen Deditschaner versicherten, dass dieser Besuch ganz ungefährlich sei, und erboten sich, uns dorthin zu begleiten, aber der Alte blieb unerschütterlich und wiederholte auf alle Vorstellungen mit grosser Geduld immer dieselben Gegengründe, dass

 

 

68

 

er dem Mudir für unsere Sicherheit haftbar sei, und dass er uns nur innerhalb der Grenzen des Mudirliks von Leskowatz zu führen versprochen habe, dass aber Swjarina zu Gilan gehöre, wo er seines Einflusses nicht gewiss sei.

 

Am folgenden Morgen hörten wir, dass in der Nacht mehrere Ortsvorsteher benachbarter Dörfer mit Gefolge nach Deditsch gekommen seien und Ram geweckt hätten, um von ihm Auskunft über uns und unsere Reise zu erhalten, über welche ihnen bereits befremdliche Gerüchte zugegangen waren, und der Alte wusste diesen Umstand sehr geschickt als argumentum ad hominem gegen den Besuch von Swjarina zu benutzen, indem er behauptete. nicht dafür stehen zu können, dass er den Verdacht der Swjariner ebenso zu beruhigen im Stande sein werde, wie den jener ihm befreundeten Vorstände. Wir sahen, dass der Alte nicht Unrecht hatte, und begnügten uns daher, das Thal der Medwedja bis zu dem Gabelpunkte der beiden Bäche, deren vereinigte Wässer diesen Hauptbach bilden, aufwärts zu reiten. Beide Bäche vereinigen sich am nördlichen Fusse des etwa 300 Fuss über denselben in der Gabelspitze ansteigenden Slubitzahügels. Der Tularebach kommt von SWS., und längs desselben läuft der Weg nach Prischtina bis zu seiner Quelle aufwärts, der Bainskabach aber kommt von SOS., und längs seines Rinnsales führt der Weg nach Gilan. Dass aber diese Thalgabel ein besonders hervorstechender Zug der Bodenbildung dieser Gegend sei. sehliessen wir aus dem Umstande, dass sie die Basis der stets den Naturgrenzen folgenden türkischen Territorialeintheilung bildet, denn hier stossen die Grenzen der Mudirliks von Leskowatz, Gilan und Prischtina zusammen, und werden ihre Grenzen durch die Rinnsale der Tularska, Bainska und Medwedja bezeichnet.

 

Wir vermuthen einen ähnlichen Grenzdreispitz der Mudirliks von Leskowatz, Kurschumlje und Prischtina in der Nachbarschaft des Petrowaberges, den wir beim Rückritte von dem Slubitzahügel wenigstens bis zu zwei Drittheilen seiner Höhe in Nordostnordrichtung vor uns erblickten, und empfehlen dessen nähere Eruirung unsern Nachfolgern.

 

 

69

 

 

IX. Thal der Weternitza.

 

Hätten wir von der Bodenbildung dieser Gegenden eine annähernde Vorstellung gehabt, so wären wir darauf bestanden, von Deditsch nach dem Binnsale des Baches von Bufze, der Heimath Ramadan Aga’s, geführt zu werden, welcher allem Anscheine nach von dem Thal der Medwedja aus ohne Hindernisse erreicht werden kann. Da wir aber unsere Fragen nach einem anderen Wege zur Weternitza nicht hartnäckig genug stellten, so fand es der Alte bequemer, uns denselben Weg längs der Medwedja zurückzuführen, und um unser Nachtquartier Schumana zu erreichen nur das nördliche Ende der Poroschtitzakette bei Schillowa bugarska zu kreuzen. Bei dieser Gelegenheit erblickten wir die drei grossen Berge, die wir auf dem Wege von Leskowatz nach Kurwingrad gesehen hatten, genau in westlicher Richtung von unserem Standpunkte, doch mussten wir uns leider mit einem kurzen Blicke begnügen, weil es schon spät am Tage war und Ramadan Aga zur Eile antrieb. Die Poroschtitza lieferte uns einen überraschenden Beleg zu unserer bereits in den „albanesischen Studien“ versuchten Erklärung des Namens Dardanien, denn wir fanden namentlich den Osthang derselben, so weit wir sehen konnten, mit wilden Birnbäumen besetzt, welchen wir zwar bereits früher, mit andern Bäumen vermischt, sehr häufig begegnet, die wir aber noch nicht in solcher Masse vereinigt gesehen hatten. Die wilde Birne ist über die ganze Südosthalbinsel verbreitet und unseres Wissens der einzige wilde Kernobstbaum auf derselben, und er gibt bekanntlich einem ganzen Gebirge in der Nordwestecke der Halbinsel den Namen ; daher scheint uns denn die Ableitung des Namens Dardania von dem albanesischen darde, Birne, darda, die Birne, welches im Accusativ dárdene zeigt, sehr plausibel und die Urbedeutung des Namens Birnbaumland zu sein.

 

Auf dem Wege von Schumana nach dem Thale der Weternitza entdeckten wir, dass der Leskowatzrücken aus zwei Parallelzügen besteht, und in dem inneliegenden Thale der Bach Sutschitza fliesst an welchem fünf Dörfer liegen. Von diesen ist allein das westlichste, das aus acht Gehöften bestehende Igrischte, von Albanesen bewohnt. Die Bulgaren wollen sich erinnern, dass auch dieses früher ein rein bulgarisches Dorf gewesen, und dass es gar nicht lange her sei, als der erste Albanese sich dort angesetzt; dieser habe dann andere nach sich gezogen, und vor deren Druck seien die Bulgaren allmählich gewichen, der letzte habe erst vor zwei Jahren das Dorf verlassen. Diese Erscheinung sei aber keineswegs eine vereinzelte, sondern

 

 

70

 

der regelmässige Verlauf in allen Dörfern, wo sich Albanesen einnisteten, indem die Ankömmlinge vorerst darauf bedacht wären, sich durch Heranziehen von Landsleuten zu verstärken, und wenn sie sich stark genug fühlten, so lange auf die Bulgaren drückten, bis sie den Ort verliessen. Diese Behauptung hörten wir allerwärts, und bedauern nur, nicht mehr factische Belege für dieselbe gesammelt zu haben, doch dürfte schon die Existenz zahlreicher Mischdörfer so viel beweisen, dass die Krisis nicht überall denselben raschen Verlauf hat, wie in dem Dörfchen Igrischte.

 

Wir begegnen also hier ganz derselben Anschauung, welche so vielen Stammsagen der albanesischen Malisor im Mutterlande selbst zu Grunde liegt [1], und nach welcher das albanesische Element das neue vordringende, das slavische aber das alte zurückweichende ist. Wann trat dieser Rückschlag ein ? denn bei der slavischen Einwanderung musste dies Verhältniss ein umgekehrtes sein. In dem albanesischen Alpenknoten dürfte er vor den Islam fallen, denn die dort gegen die Slaven vordringenden Albanesen sind keine Muhammedaner, sondern Katholiken. In Dardanien ist dies, wenigstens nach der Volksansicht, anders, denn die dardanischen Albanesen betrachten sich selbst als Einwanderer aus dem Mutterlande und wissen dort die Stammorte anzugeben, von welchen ihre einzelnen Geschlechter ausgingen [2]. Sie setzen die Zeit ihrer Einwanderung in die Kriege der Türken mit dem Kaiserstaate, in deren Folge die eingebornen Serben das Land geräumt hätten [3], und glauben, dass sie bereits als

 

 

1. Albanesische Studien I, S. 183. u. f.

 

2. Es wäre sicher eine eben so belehrende als interessante Aufgabe, die Stammsagen dieser Einwanderer zu sammeln. Wir hatten dazu weder Zeit noch Gelegenheit, und wäre sie uns auch geboten worden, so hätten wir sie nicht benutzen können, da unsere Kräfte kaum für die annähernde Lösung der geographischen Aufgabe zureichten. Wer ein neues Feld durcheilt, der wird darauf verzichten müssen, alle dargebotenen Richtungen auf einmal zu verfolgen, wenn seine Arbeiten brauchbare Ergebnisse liefern sollen.

 

3. Diese Auswanderungen, deren bedeutendste unter Anführung des Patriarchen von Ipek Arsenius II. im Jahre 1690 das Banat mit 37,000 Familien bevölkerte und sich 1710 unter Anführung des Patriarchen Arsenius IV. und der Erzbischöfe von Nisch, Novi Pazar und Uschitze wiederholte, sind allerdings historische Facta (s. Boué, Turquie d'Europe. II, S, 12), aber eben so factisch ist, dass in dem Feldzuge der Jahre 1689 und 1690 die kaiserlichen Heere, als sie das ganze Amselfehl eroberten und die südlichen Abhänge des Karadag besetzten, ein, wie es scheint, bedeutendes Hilfscorps von Albanesen hatten, welches nicht aus Söldnern, sondern aus Eingeborenen, mithin aus Dardanen bestanden zu haben scheint, s. A. Arneth, Leben des Grafen Guido von Starhemberg, S. 114—117. Wir werden später hierauf zurückkommen.

 

 

71

 

Muhammedaner in das Land gekommen, obwohl die Erinnerung, dass ihre Voreltern einst Christen waren, keineswegs hei ihnen erloschen ist.

 

Wir dürfen solche Einwanderungen nicht in Zweifel ziehen, sie schneiden jedoch die Möglichkeit einer latenten Existenz von Ueherresten der dardanischen Urbevölkerung [1] keineswegs ah, und wir möchten sogar nach anderweitigen auf der Südosthalbinsel bestehenden Analogien annehmen, dass für die Fortdauer des illyrisch-albanesischen Urelementes in den Gebirgen die Vermuthung spreche. Denn wenn eine Sprachgrenze so beschaffen ist, dass sie die eine Sprache in die Gebirge verweist, die ringsum liegenden Ebenen aber der anderen zuwendet, so erklärt sie die Erfahrung als das Ergebniss einer Eroberung und die erste Sprache als dem zurückgedrängten älteren, die zweite aber dem nachwandernden erobernden Volke angehörig. Nun erblicken wir in Dardanien die das Bergland ost- und südwärts einschliessenden Ebenen oder Thalmulden der bulgarischen Morawa mit geringen Ausnahmen durchweg von Bulgaren bewohnt, das südwestlich anlagernde Amselfeld zwischen Serben und Albanesen getheilt und die daran stossende Ebene der Sitnitza bis Nowi Pazar hin wahrscheinlich ganz im Besitze des serbischen Elementes, so dass, wenn die das dardanische Bergland bewohnenden Albanesen mit dem eigentlichen Albanien in ununterbrochenem Zusammenhänge stehen, die schmalen Verbindungsstriche nur über das Gebiet der Drenitzabäche im Nordwesten und über die Kette des Karadag im Süden des Amselfeldes laufen können. Schon der Name des letztgenannten Gebirges spricht aber dessen rauhen, unwohnlichen Charakter, im Gegensätze zu den fruchtbaren von Bulgaren besetzten Niederungen, aus, welche durch dasselbe getrennt werden. Die dem herrschenden Glauben ungehörige Race sitzt mithin in dem mageren Berglande und die sich zu dem unterdrückten Glauben bekennende in den fetten Ebenen.

 

Wir wissen ferner, dass die Einwanderung der Serben in diese Länder und die spätere der Bulgaren der historischen Zeit angehören, und stützen nun auf diese Vordersätze folgende Vermuthung. Die erobernden Slaven nahmen bei ihrer Einwanderung die Ebenen in Beschlag, drängten die Nachkommen der Dardanen in die Gebirge, und versanken wie überall, als die Besitzer der reichen, leicht zugänglichen Landestheile bei der türkischen Eroberung in Knechtschaft,

 

 

1. Wir werden später auf den in den albanesischen Studien versuchten Beweis zurückkommen, dass die Albanesen Nachkommen der alten Illyrier und die Dardanen ein illyrischer Stamm gewesen seien.

 

 

72

 

wenn dies nicht bereits früher geschah und die Türken nur die Nachfolger in dem Güterbesitz des einheimischen Adels wurden. Die Knechtung der armen, in schwer zugänglichen Gebirgsstrichen wohnenden streitbaren Albanesen bot dagegen mehr Mühe als Lohn, und unterblieb also; wie wir überhaupt auf der ganzen Südosthalbinsel kein Freidorf in der Ebene, sondern nur in den Gebirgen, die Bewohner der Ebenen aber durchweg, wenn auch nicht leibeigen, so doch grundbesitzlos, und in dieser Hinsicht dem herrschenden muhammedanischen Elemente dienstbar finden. Hier wie überall geht aber das albanesische Element nach seinem Axiome: „wo das Schwert, da ist auch der Glaube”, zu der herrschenden Religion über, während der christliche Slave dem Glauben seiner Väter treu bleibt. Nun erfolgen die erwähnten Kriege mit dem Kaiserstaate, sie bringen die Albanesen des Mutterlandes mit den Ueberbleibseln der Dardanen in nähere Verbindung, und als die Slaven massenhaft diese Gegenden verliessen, kommen zahlreiche albanesische Einwanderer zu ihren dardanischen Brüdern herüber, und bevölkern mit diesen die verlassenen Räume. Sobald sie aber allmählich gegen die Ebene vorrücken, finden sie in dem Widerstande des seinen Grundbesitz schützenden türkischen Staatsadels einen Damm gegen ihre weitere Ausbreitung. Durch die Annahme eines albanesischen Grundstockes erklärt sich also die spätere albanesische Einwanderung gerade in diese Gegenden viel natürlicher, als ohne dieselbe, und Diejenigen, welche dieser Vermuthung die albanesische Einwanderung in Griechenland entgegen halten wollten, bitten wir zu bedenken, dass die Albanesen dort keineswegs in den Bergen, sondern ihrer Hauptmasse nach in den fetten Ebenen von Böotien und Argolis und in den mageren Flächen von Attika sitzen, welche sie wahrscheinlich verödet vorfanden, da ihre Einwanderung einen friedlichen Charakter gehabt zu haben scheint, und dass daher wohl erst ihr Ueberschuss die Berggegenden jener Landschaft bevölkert habe.

 

Von Igrischte ritten wir 3/4 Stunden nach Miruschefz an der Weternitza, und faudeu hier die vorausgegangenen Wagen vor. Ein westwärts von diesem Dorfe gelegener, etwa 400 Fuss über die Ebene aufsteigender Hügel, welchen man uns Umatz nannte, schien zur Orientirung in diesem neuen Thale besonders geeignet, indem er südlich von der Nordwand desselben vorspringend, im Vereine mit dem vorspringenden Ende der südlichen Thalwand den Ausgang des Défilé’s bildet, durch welches die Weternitza ihr Berggebiet verlassend, in die Ebene tritt, die, von Umatz aus betrachtet, etwa drei Stunden laug und eine Stunde breit sein mag. Auf drei Seiten von

 

 

73

 

niederen Höhenzügen eingeschlossen, lagert sie gegen Süden wider die nebst ihrer westlichen Vorkette, dem Zrni Wrh, steil aufsteigende Wutschanska Planina, welche wir bereits als den dem Jastrebatz parallel laufenden südlichen Abschluss der dardanischen Hochebene kennen gelernt haben.

 

Von Umatz westlich blickend, konnten wir den von S. nach N. gerichteten Lauf der Weternitza an den Winkeln ihrer Thalwände etwa vier Stunden weit zurück verfolgen, und sahen weiter hinauf ein Labyrinth von Höhenzügen im Hintergründe von einer höheren Kette überragt, welche uns Guribaba Planina genannt wurde [1]. Auch hier hält sich die Sprachgrenze strenge an die Regel, dass die Ebene dem Bulgaren, die Berge dem Albanesen gehören, denn während die östlich von Umatz beginnende dörferreiche Ebene nur von Bulgaren bewohnt wird, sind nur die zwei diesem Hügel stromaufwärts nächst gelegenen Dörfer der beiden Ufer bulgarisch, die darauf folgenden aber albanesisch. Indessen befinden sich die Albanesen nicht in dem ausschliesslichen Besitze des wahrscheinlich ganz gebirgigen Quellengebietes der Weternitza, denn der längs ihres Rinnsales führende Gebirgsweg von Leskowatz nach Wranja, welcher das Flussbett fünfzigmal kreuzen soll, führt an der Poljanitza Planina vorüber, welcher Name nicht nur ein Gebirge, sondern auch einen aus zwölf bulgarischen Dörfern bestehenden Bezirk bezeichnet. Auch wurde das weiterhin an diesem Wege auf der Wasserscheide, 3 1/2 Stunden nördlich von Wranja liegende Dorf Drenowatz als bulgarisch angegeben. Diesen Weg zog Brown im Jahre 1669, um von Leskowatz nach Wranja zu gelangen. Er nennt die Weternitza Lyperitza, und vergleicht sie mit dem Maeander, weil man sie binnen zwölf Stunden neunzigmal kreuzen müsse, und verlegt Leskowatz sehr richtig an diesen Fluss. Auf diesem Wege übersteigt er das Gebirg Klissura, welches von dem vielen Frauenglase glänzt, aus dem es besteht, er steigt auf einem engen, felsigen Pfade herab, kommt an dem festen Schlosse Golembotz vorbei und erreicht Wranja.

 

Bei unserer Rückkehr nach Miruschefz fanden wir, dass es noch zeitig genug sei, um das drei Stunden entfernte Dorf Wutsche zu erreichen, und fuhren daher zum grossen Missvergnügen unserer Begleitung, die sich bereits häuslich niedergelassen und zu kochen begonnen, an einem herrlichen, schliesslich vom Monde erleuchteten Abende quer über die Ebene nach jenem Dorfe, mussten aber diesen

 

 

1. Näheres über diese Gegenden siehe in der ersten Ausgabe S. 141.

 

 

74

 

Genuss mit unserer Nachtruhe erkaufen, denn alles Treibens uneraclitet wurde es fast Mitternacht, bis wir zum Essen kamen.

 

Wutsche, welches dem Gebirge und Bache, an denen es liegt, den Namen gegeben hat, ist das Hauptschiftlik Ismael Pascha's, des Protectors unseres Ram, und dabei das grösste und wohlhabendste der ganzen Plbene, denn es besteht aus 80 zum Theil zweistöckigen Häusern mit Ziegeldachung, welche zu beiden Seiten des Baches liegen, der hier aus dem Gebirge in die Ebene tritt. Das enge Felsdéfilé, aus dem er kommt, ist das pittoreskeste, welches wir auf unserer Reise gesehen haben. Eine halbe Stunde vom Eingänge zeigt sich am Fusse seiner linken, fast senkrechten Thalwand ein kleines, rundes Felsbassin, welches die Eingebornen den Kessel des Dev neunen, von dem wir aber leider nichts weiter erfahren konnten, als dass der Dev in ihm allnächtlich seine Suppe koche. Die Bauern meiden gleichwohl den Weg auch bei Nacht nicht, bekreuzen sich aber, bevor sie an der Stelle vorüber gehen. Als wir fragten, wer der Dev sei, hiess es, das sei der Teufel. Dies ist aber, wenn die Wahrheit nicht verschwiegen wurde, wohl sicher eine spätere Substitution, denn wir fanden diesen interessanten Namen auch in Albanien, dort bedeutet aber dif oder def ein Wesen von übermenschlicher Stärke, und hat die Redensart: „er ist ein Def“ den Sinn der unsrigen: „er ist ein Simson“. In Elbassau sind es ungeheure Riesen, welche das Geschäft haben, die Kessel zu heizen, in denen das Wasser der in der Nachbarschaft zu Tage kommenden warmen Quellen gesotten wird, sie kommen aber nie an’s Tageslicht [1]. Eine auffallende Uebereinstimmung zweier weitab liegender Ortssagen, welchen zufolge dem Dev ein Kessel zukommt, in dem er kocht. Leider wissen wir nicht, ob der Dev den Türken bekannt sei oder nicht, obwohl wir es nach unserer Kenutniss der einschlagenden Verhältnisse für ungemein schwer halten, dass ein mit den Türken ein wandern der Dämon sich auf der Südosthalbinsel frisch localisiren könne. Lässt es sich daher nicht sicher nachweisen, dass ihn die Türken aus Asien herübergebracht, so sind wir wohl berechtigt, das Alter des Dev in die Zeit zu verlegen, in welcher die persischen, albanesischen und slavischen Sprachzweige sich noch nicht von dem gemeinsamen Mutterstamme abgelöst hatten, und ihn zugleich mit den Albanesen und Slaven nach Europa einwandern zu lassen.

 

Auf einem Vorstoss der steilen Felswand, in deren Fuss Dev’s Kessel eingegraben ist, stehen die Ruinen einer kleinen Kirche, und

 

 

1. Albanesische Studien I. 8. 162.

 

 

75

 

auf dem Kamme derselben sollen die Kalkmauerreste eines Schlosses zu sehen sein. Wie oft mag dieses nicht den Bewohnern der Umgegend Zuflucht gewährt haben gegen die unzähligen Völkerstürme, welche über sie hinbrausten, aber die Bauern wussten nichts mehr davon zu erzählen, und dürften schwerlich aus Furcht geschwiegen haben, denn sie waren zutraulich und gesprächig und mit Mehmed Bey sehr intim. Indem wir am rechten Ufer eine Viertelstunde weiter bachaufwärts gingen, gelangten wir zu einer wenigstens 100 Fuss hohen, senkrechten Felswand, Ramni Kamen genannt, weil auf ihrer Höhe eine kleine Ebene liegt. Dieser Wand gegenüber bildet der Bach einen schönen Wasserfall, indem er, von SW. kommend, aus beträchtlicher Höhe über mehrere Absätze in das Thal herabstürzt und sich dort gegen NON. wendet. Die Scenerie erinnert an die sächsische Schweiz. Um zu jener Felswand zu gelangen, mussten wir uns über den Schutt eines beträchtlichen, erst vor wenigen Monaten sich ablösenden Bergabrutsches Bahn brechen.

 

Ausser dem Wutschanskabache führt auch der ostwärts von ihm in gleicher Richtung von S. nach N. zwischen zwei niederen, von der Wutschauskakette abgezweigten Höhenrücken fliessende Nakriwanskabach die Wasser jenes Gebirges der Weternitza zu, welche nach dessen Aufnahme in die Morawaebene eintritt, etwa eine Stunde stromabwärts von Westen her die früher erwähnte Sutschitza aufnimmt, und dann in tief gegrabenem Bette durch die Stadt Leskowatz der Morawa zufliesst. Die zahlreichen Spuren von Flintenkugeln an den Thorhäusern des wohlverwahrten Palastes Mochamet Pascha’s, in welchem gegenwärtig der Mudir wohnt, erinnerten uns an eine Notiz Spencer’s [1] von einem blutig gedämpften Aufstande der Bulgaren im Jahre 1841, zu dem ein türkischer Seits verübter Mädchenraub den Anlass gab, und wir versuchten daher zu wiederholten Malen das Gespräch darauf zu bringen, erhielten aber sowohl von Albanesen als Bulgaren ausweichende Antworten. Wir ersahen hieraus, dass dies Ereigniss noch immer nachklinge, und verschoben dessen Eruirung auf eine passende Gelegenheit, welche sich aber nicht finden wollte. Wir bereuen gleichwohl diese Vorsicht nicht, weil nach unserer Kenntniss der Verhältnisse eine unbedachte Frage hinreichen konnte, um unsere so günstige Stellung unwiederbringlich zu compromittiren und die Bereitwilligkeit, mit welcher unsere statistischen Fragen beantwortet wurden, schroff abzuschneiden.

 

 

1. Spencer, Travels in European Turkey, I, p. 146.

 

  

76

 

 

X. Das Masuritza-Défilé der Morawa.

 

Wir verliessen das gastliche Leskowatz an einem schönen Herbstmorgen in der Gesellschaft Ramadan’s und seiner Genossen, deren Begleitung wir vom Mudir bis Wranja erbaten, und fuhren durch das südliche Ende der Morawaebene dem grossen Défilé dieses Flusses zu, welches wir in Ermangelung eines allgemeinen Namens nach dem Nebenflüsse benennen, dessen Mündung sich als der südliche Anfangspunkt desselben betrachten lässt. Unsere Spannung war in stetem Steigen, denn diese Flusseuge durfte ja der künftigen Hauptarterie Europa’s den Durchgang nicht verweigern, wenn dieselbe ihre Aufgabe vollkommen lösen und das Aermelmeer mit dem ägäischen auf dem möglichst geraden Wege verbinden soll.

 

Die Uferstrecke von der Mündung der Weternitza bis zu der der Grabonitza gehört zu den bevölkertsten Theilen der Ebene, sie beträgt nicht viel mehr als zwei türkische Stunden, und man zeigte oder nannte uns auf ihr, dem linken Ufer der Morawa entlang, nicht weniger als zehn Dörfer, welche zusammen etwa 225 Häuser zählen, und versicherte, dass das ganze Wlaschinathal auf dem rechten Ufer wenigstens eben so dicht bevölkert sei.

 

Zwei Stunden südlich von Leskowatz nähert sich die Strasse allmählich dem Morawaufer, und verengt sich die Ebene zum Thale, das bald darauf den Charakter des Défilé’s annimmt. Der Weg führt in demselben eine gute halbe Stunde zwischen dem Flusse und der linken Thalwand, bis ihn ein jähe in den Fluss abfallendes Felsriff zum Uebergange von dem linken auf das rechte Flussufer zwingt. Dieser erfolgt auf einer Holzbrücke, bei welcher ein grosses verfallenes Wachthaus steht, denn die beiden Grenzwachen liegen nun an der etwa zwanzig Minuten südlich von der Brücke das Défilé kreuzenden Grenze der Bezirke von Leskowatz und Wranja. In dem ersten der bei denselben liegenden Chan’s hielten wir Mittag und erfreuten uns dabei an der freundlichen kleinen Kesselebene von Orahowitza, welche sich dem hart an dem rechten Flussufer liegenden Hane gegenüber ausdehnt, die einzige Fläche, welche das achtstündige Défilé unterbricht. Sie mag kaum zwanzig Minuten im Geviert haben und von den vielen auf ihr stehenden Nussbäumen den Namen Orahowitza, zu deutsch : Niisschen, herleiten [1].

 

 

1. Auch den in Griechenland mehrmals wiederkehrenden Dorfnamen Arachowa möchten wir lieber von Orachowina, Nussholz, als von Kak, Krebs, ableiten.

 

 

77

 

Stromaufwärts verengt sich das Défilé noch mehr, indem die Wand des linken Morawaufers meist steil in die Flussrinne abfallt, aber auch die Böschung des rechten dann und wann bis in dieselbe reicht und mitunter so steil wird, dass die Strasse an derselben bis auf 60 Fuss über den Flussspiegel hinansteigen muss, um dort die nöthige Fläche zu gewinnen. Diese Strecken bilden jedoch nur Ausnahmen [1], denn in der Regel ist das Thal so breit, dass der Weg neben der Flussrinne auf einer schmalen entweder ganz ebenen oder nur sanftgeböschten Sohle hinläuft. Die Höhen, welche die Wände des Défilé’s bilden, verdienen, so weit wir es von dem Thale aus beurtheilen konnten, fast nirgends den Namen von Bergen, denn wir möchten ihre Durchschnittshöhe eher unter als über 300 Fuss setzen, doch dürfte nach der Fernsicht von Leskowatz zu urtheilen, der Hauptrücken der Schiroka Planina nicht sehr weit von dem Ostufer des Flusses streichen.

 

Die niederen Thalwände sind meist mit Laubknieholz bestanden, seltener kahl; Hochwald fehlt gänzlich. Die Curven, welche die Thalenge beschreibt, sind nur selten beträchtlich, und schienen nirgends unüberwindliche Schwierigkeiten für eine Eisenbahn zu bieten. Je weiter wir vordrangen, desto zufriedener wurden wir mit dem andauernden zahm prosaischen Charakter dieser Engen, und in der Zufriedenheit unseres Herzens nahmen wir es selbst mit dem elenden Nachtlager leicht, zu welchem Ramadan, wer weiss aus welchen Rücksichten, den Machmut Bey Chan auserlesen hatte. Denn die ganze Strasse von Nisch bis Salonik ist dermassen mit Chan’s bespickt, dass man fast immer so zu sagen die Auswahl hat. Nach unseren Erfahrungen dürfte es auf der ganzen Linie schwerlich eine zweistündige chanfreie Strecke geben. An Hauptpunkten stehen sie reihenweise neben einander. Unser Défilé aber gehörte zu den gutbesetzten Strecken, denn in ihm möchte auf jede Stunde wenigstens ein Chan kommen.

 

Am folgenden Morgen besserte sich sogar die Ansicht des Thales; es wurde anfangs weiter und bequemer, und wenn es sich dann auch wieder verengte, so war doch die Böschung nicht erschreckend. Wenn also auch die Bahn längere Strecken künstlichen Unterbaues oder Strebemauern erforderte, so zeigte sich doch, so weit wir dies zu beurtheilen im Stande waren, nirgends die Nothwendigkeit eines Tunnels oder Viaductes. Wir schmeichelten uns daher bereits mit der Hoffnung, dass auch das Ende des Défilé’s unseren Wünschen

 

 

1. Nähere Nachweise gibt die erste Auflage S. 145 u. f.

 

 

78

 

entsprechen würde, als sie bei unserer Ankunft in dem Duplanski Chan der Chanschi mit der unerwarteten Nachricht zerschmetterte, dass es von hier an keinen Fahrweg längs der Morawa gebe, dass dieser, dem Rinnsal eines östlichen Zuflusses derselben folgend, die östliche Wand des Défilé’s übersteigen müsse und erst auf einem zwei Stunden betragenden Bogen das Morawathal wieder erreiche. Wir dachten jedoch mit Peter Simpel: „Weinen hilft nicht“ und fügten uns rasch in das Unabänderliche. Major Zach und Herr Gottschild stiegen zu Pferde, um mit den Reitern unserer Begleitung den Rest des Défilé’s zu besichtigen, und der Verfasser fuhr mit Ramadan Aga bergan, aber seine Stimmung trübte sich in dem Grade, als der Weg schwieriger und die Hoffnung auf eine Umgehung des Défilé’s in dieser Richtung problematischer wurde, bis das überraschende Bild, welches sich auf dem Kamme des erstiegenen Höhenzuges plötzlich vor ihm aufrollte, seinen Gedanken eine andere Richtung gab. Er sah in eine herrliche Thalmulde hinab, deren Sohle über eine Stunde lang und halb so breit sein mochte. Sie war rings von Bergen eingefasst, unter welchen sich die ihm gegenüberliegende südliche Reihe durch ihre Höhe und wunderschönen Contouren auszeiclmete. Gegen Osten war ein Défilé sichtbar, aus welchem ein stattliches Wasser in die Mulde trat und hier durch einen die südliche Kette durchbrechenden Zufluss verstärkt wurde. Der Bach durchfloss die Mulde in ihrer ganzen ostwestlichen Länge und verliess dieselbe, indem er sich durch den niedern Rücken Bahn brach, welcher die Mulde gegen Westen abschliesst. Sieben stattliche Dörfer belebten das Bild, welches an Reichthum, Harmonie und rundem Abschluss Alles übertraf, was der Verfasser in diesen Ländern bis dahin gesehen hatte. Er glaubte in der ersten Ueberraschung ein neues Stück Morawathal vor sich zu haben, wurde jedoch dahin berichtet, dass dies die nach ihrem Wasser benannte Landschaft Masuritza (alb. Brunnröhrchen, Weberschiffchen) sei und ganz von Albanesen bewohnt werde.

 

Dies vermehrte unsere Ueberraschung, weil wir bis dahin keine Ahnung davon hatten, dass die Albanesen die Morawa irgend in östlicher Richtung überschritten hätten. Die Summe der uns bei den sieben Dörfern einzeln angegebenen Häuserzahlen beträgt 210, was also für diesen östlichsten Vorposten der albanesischen Race eine Stärke von etwa 1000 Seelen ergäbe.

 

Wir fuhren auf dem lehn abfallenden nördlichen Rande in die Mulde herunter, durch das westlichste Dorf derselben, Prekodolza, dessen behäbige Häuser auf wohlhabende Bewohner schliessen liessen, und erreichten, nachdem wir den niederen Höhenzug überstiegen,

 

 

79

 

unweit dessen sich die Masuritza Bahn nach der Morawa gebrochen zu haben scheint, in der Nähe ihrer Mündung das Thal der Morawa, welches hier eine ausgedehntere, aber niedriger umränderte und weniger geschlossene Mulde bildet, und auf dessen fast wagrechter Sohle wir dem Jeni Chan Zufuhren, während unsere Reiter auf dem linken Ufer der Morawa diesem unseren Nachtquartiere zueilten, und den Wagen auch glücklich den Rang abliefen. Beide Theile hatten auf ihren verschiedenen Wegen etwas über drei Stunden zugebracht. Der Major berichtete über den seinigen, dass der Fluss hier eine grosse Löffelcurve beschreibe und die felsigen Uferränder mehrmals so nahe an den Fluss treten, dass sie nicht einmal Raum für den Reiter lassen, und dieser daher genöthigt ist, über dieselben zu klettern. Er glaubte daher, dass es für die Eisenbahn unvermeidlich sei, diese Curve durch einen etwa 25 Minuten langen Tunnel abzuschneiden.

 

Jeni Chan, der neue Chan, führt seinen Namen mit Recht, weil er erst seit zwei Jahren erbaut wurde, und bildete mit seinen reinlichen Fremdenzimmern einen angenehmen Gegensatz zu unserem scheusslichen Nachtlager in der Mitte des Défilées. Sein wohlverwahrter Hofraum und die fünf ungeheuren Hunde innerhalb desselben warfen dagegen ein sehr zweideutiges Licht auf die Nachbarlichkeit seiner Umwohner. Der nördliche Theil dieser Thalmulde ist nämlich gleichfalls im Besitze der Albanesen, welche in dem eine halbe Stunde westlich vom Chane an der Jeleschnitza gelegenen grossen Dorfe gleichen Namens, dem eine Stunde südlich von demselben entfernten Wrbowo und dem jenseits der Morawa gelegenen Dorfe Lepenitza wohnen. Letzteres soll jedoch nach der ausdrücklichen Versicherung des Handschi das einzige albanesische Dorf auf dem linken Morawaufer sein und die arnautische Landschaft im Zusammenhänge erst 4 bis 5 Stunden westlich davon beginnen, der Zwischenraum aber von Bulgaren besetzt sein.

 

Dieser Handschi war ein sehr gesetzter, verständiger Sprössling der westlich von Janina gelegenen epirotischen Berglandschaft Zagori und nicht etwa durch Zufall hieher verschlagen, sondern der althergebrachten Geschäftslinie seiner Heimath und seines erblichen Berufes folgend, hier angesiedelt. Auch war er keineswegs der erste Zagorianer, dem wir auf unserer Route begegneten, da alle an der Strasse von Nisch nach Monastir und Salonik gelegenen Chans fast ausschliesslich von diesen Epiroten besetzt sind, welche vielleicht ihr Leben lang in ein und demselben dardanischen oder macedonischen Chane verbringen, den sie stets von Neuem pachten, ohne sich an dem Orte

 

 

80

 

ihres Aufenthaltes jemals heimisch zu fühlen, und dieses Gefühl nur in den seltenen Fällen gemessen, wo sie ihre in Zagori zurückgebliebenen Familien besuchen.

 

Wir hatten in den albanesischen Studien oft Gelegenheit, über die Wandersitte epirotischer und albanesischer Bergdistricte zu sprechen [1]. Diese der Südosthalbinsel ureigene Sitte dürfte über die dunkle Natur der attischen Demiurgen Licht verbreiten, von welchen so Widersprechendes berichtet wird, sobald man zwischen den in Attika angesessenen, also das attische Bürgerrecht geniessenden und den fremden Handwerkern unterscheidet, welche anderwärts eingebürgert sind und in Athen nur ihr Gewerbe treiben. Wenn aber ein Albanese bei Herodot die Geschichte jener pelasgischen Tyrrhener läse, welche den Athenern das Pelasgikon bauten, so würde er zu denselben in den wandernden Maurerbanden seines Vaterlandes ein schlagendes Analogon finden, welche, wenn anders die Verhältnisse günstig wären, auch heut zu Tage noch in ähnliche Verhältnisse gerathen könnten, wie jene pelasgischen Maurer.

 

Dem Inhaber des Jeni Chan verdanken wir die später in Wranja bestätigte Notiz von dem Reichthume an Eisenerzen der oberen Masuritza, welcher gross genug ist, um sechs in der Umgegend gelegene Eisenschmelzen mit Material zu versehen. Er versicherte, dass dessen Beschaffung keine andere Arbeit koste, als den von den angeschwollenen Bächen herabgeschwemmten reinen Eisensand aufzuschaufeln und nach den Schmelzen zu schaffen; Bergbau, auch in der rohesten Form, werde hier nirgends getrieben. Wir hegten gegen diese letzte Angabe grosses Misstrauen, bis wir sie von Boué bestätigt fanden [2].

 

Alles gewonnene Eisen soll sogleich an Ort und Stelle weniger zu Hufeisen und anderen Artikeln, als hauptsächlich zu Hufnägeln verarbeitet werden. Diese Industrie wird von Zigeunern betrieben, welche in dieser Gegend sehr zahlreich sind; man berechnet sie auf wenigstens 300 Familien, von welchen 100 in dem benachbarten Dorfe Jeleschnitza wohnen.

 

Der mittlere Lauf der Morawa lässt sich in drei Becken oder Mulden zerlegen, welche wir nach den in ihnen mündenden Hauptzuflüssen der Morawa, Jeleschnitza, Bainska und Morawitza benennen wollen. Sie werden durch Ausläufer von einander getrennt, welche die rechte Thalwand in das Flussthal bis zum Ufer der Morawa

 

 

1. I, 8. 42, et passim.

 

2. Itinéraires I, 8. 341.

 

 

81

 

vorschiebt, die meistens hart an der linken, schroffer abfallenden Thalwand hinfliesst. Doch setzen beide Eücken der Bahn keine beachtenswerthen Hindernisse entgegen. Unser Weg von Jeni Chan nach Banja führte anfangs auf den ebenen Terrassen hin, welche die Wurzel der rechten Thalwand bilden, und führte nach Uebersteigung des niederen Höhenrückens, welcher beide Mulden trennt, in einer wagerechten Ebene bis zu dem an der Strasse gelegenen Viertel von Banja, von dem die warmen Quellen, welche dem Dorfe und Bache den Namen geben, eine gute halbe Stunde östlich liegen. Sie kommen am Fusse eines mit dem Bache parallel laufenden Felsrückens zu Tage, mit welchem das Défilé abschliesst, aus dem der Bach in die Ebene tritt, und machen sich durch die aus ihnen aufsteigenden Dämpfe und einen leichten, au faule Eier erinnernden, aber zugleich auch accidulen Geruch bemerkbar. Sie müssen an den Sprudeln einen an den Siedpunct grenzenden Hitzegrad haben. Leider konnten wir sie nicht messen, weil unsere Luftthermometer nur bis zu 40 Grad markirten. Der Geschmack des Wassers ähnelt dem einer sehr leichten Fleischbrühe. Bedeutende Niederschläge waren im Rinnsale der Quellen nicht zu bemerken, und die schwarze Farbe des Bodens kann auch vom Hanfrösten herrühren, zu dem dieses Wasser sich vorzüglich eignet. Wir fanden daher auch den Ort mit einer Masse kleiner Hanfzelte bedeckt, und wohl an dreissig Menschen, Männer und Frauen, mit dieser Arbeit beschäftigt.

 

Bei diesen Quellen steht ein steinernes Badehaus, in welchem sich ein oblonges Gesellschaftsbad aus wohlgefügten Quadern von 20 Fuss Länge und 14 Fuss Breite befindet, zu dem man auf Stufen hinab steigt. Die Wärme des zum Gebrauche mit einer kalten Quelle vermischten Badewassers betrug hier 34 Grad.

 

Das Bad schien namentlich von den Bewohnern von Wranja fleissig besucht zu werden ; wir fanden hier zwei Büffelwagen, welche türkische Frauen hierher gebracht hatten, von denen wir jedoch keine zu Gesicht bekamen, und begegneten anderen mit Frauen besetzten Wagen auf dem Wege dahin. Ueber die therapeutischen Wirkungen des Bades konnten wir nichts Sicheres erfahren.

 

Etwas südlich von dem an der Strasse liegenden Viertel von Banja springt der, Kumarewa Tschuka genannte Felsrücken aus der rechten Thalwand so weit gegen die linke hervor, dass er mit dieser ein kleines Défilé bildet, in welchem der Fluss einen Bogen um jenen Vorsprung beschreibt. Nördlich von demselben geht daher die Strasse von dem rechten auf das linke Morawaufer über und führt von da

 

 

82

 

an auf langgestreckten Terrassen, welche die Wurzel der linken Thalwand bilden, in zwei Stunden nach der Stadt Wranja.

 

 

XI. Wranja.

 

Die Stadt Wranja liegt grün durchwachsen und reichlich mit Minarets geschmückt auf einer Terrasse der linken Wand des Morawathales, an dem Ausgange eines streng von Nord nach Süd laufenden Défilé's, aus welchem der nach der Stadt benannte Bach mitten durch dieselbe fliesst und etwa dreiviertel Stunden südlich von ihr bei dem Dorfe Slatokop in die Morawa fliesst.

 

Die rechte Wand dieses Défilé’s wird Platschewitza Planina, die linke Krschtilowatz genannt, denn der Sage nach sprang Marko Kral, als er die in dem Défilé gelegene Burg an die Feinde verlor, in einem Satze zuerst auf' die Platschewitza und weinte, und dann auf den Krschtilowatz und bekreuzte sich; wir begegnen hier mithin einem slavischen mythus ex etymo natus, weil „platsch“ im Slavischen das Weinen und „Krst“ das Kreuz bedeuten. Auch zeigt man an dem Morawaufer einen an einem eingehauenen Kreuze kennbaren Felsblock, welchen Marko Kral aus der Burg bis an "seinen gegenwärtigen Standort schleuderte, und in eine Felsplatte am Fusse der Burg hat dessen bekannter Hengst Scharatz sein zehn Fuss grosses Hufeisen eingedrückt ; endlich wird ein r- und ausgehöhlter Felsen im Bachbette das Bad des Marko genannt. Hier hat also Marko nicht nur reiche Spuren hinterlassen, sondern zeigt er sich auch an seinem Ursitz, der Felsschlucht; doch scheint der Zug, dass er sie selbst gesprengt habe, von der örtlichen Sage vergessen zu sein, denn offenbar ist er ein alter Slavengott, welcher mit dem geschichtlichen Marko Kral, wenn es überhaupt einen solchen gegeben hat, zu einer Person verschmolzen wurde. Die erwähnte Burg liegt etwa eine halbe Stunde bachaufwärts von der Stadt auf der Spitze der Gabelung der Schlucht, und war offenbar zur Beherrschung der beiden Pässe bestimmt, von denen der westliche nach dem zwrei Stunden entfernten Dorfe Belaniza genannt wird, der östliche aber den längs der Weternitza nach Leskowatz führenden Beitsteig enthält, welcher um vier Stunden kürzer ist, als der löstündige längs der Morawa, den wir gemacht hatten.

 

Die Burg führt den Namen Golub, das slavische Appellativ für Tauben, und von ihr wird Wranja auch Golubine genannt. Vermuthlich ist dies das noch auf der Kiepert’schen Karte drei Stunden nördlich

 

 

83

 

von Wranja auf dem linken Morawaufer figurirende Golumbatz, nach welchem wir uns im Morawa-Défilé vergebens erkundigt hatten [1].

 

Ist es nun nicht auffallend, dass Strabo [2] die Galabrii als einen dardanischen Stamm anführt, welcher dem Zusammenhang der Stelle nach in dem südlichen Dardanien selbst sass ? und liegt hier nicht die Vermuthung einer Slavisirung der alten Form nahe, wenn man bedenkt, dass die dardanischen Albanesen ihren Nachbarn unter dem Gesammtnamen Lab Gulab bekannt sind, dessen erster Theil offenbar die Anwohner des Labflusses bezeichnet? Strabo theilt den Galabriern auch eine alte Stadt zu, ohne deren Namen anzugeben. Vielleicht ist dies jedoch das benachbarte Nowo Brdo, welches nach Hammer [3] die reichste und festeste Stadt Serbiens war und von Alters her „die Mutter der Städte“ hiess, denn die Erklärung, dass sie diesen Beinamen ihren Silberminen verdanke, will uns nicht einleuchten.

 

Die Ruinen des Golubgrad gehören offenbar dem Mittelalter an, hier so wenig als in der Stadt zeigte sich irgend ein antiker Best, und unsere betreffenden Fragen wurden ebenso wie die nach alten Münzen oder geschnittenen Steinen einstimmig verneint.

 

Die Türken dehnen den Namen Wranja in Wiranja, dagegen dürfte die wohl aus Hadschi Khalfa, S. 144, entnommene Form Wiwarin der Kiepert'schen Karte als obsolet zu streichen sein.

 

Die Häuserzahl der Stadt wird auf 1000 christlich-bulgarische, 600 meist albanesisch türkische und 50 zigeunerische angegeben, was auf eine Bevölkerung von circa 8000 Seelen schliessen lässt. Wranja ist gleich Leskowatz Stapelplatz für den in der Umgegend stark gebauten Hanf, welcher den Hauptausfuhrartikel derselben bildet; ihre Einfuhrartikel bezieht sie theils von Belgrad, theils von Salonik und Seres.

 

Das Mudirlik von Wranja untersteht nicht dem Pascha von Nisch, sondern dem Pascha von Prisrend. Wir blieben daher auch aller Empfangsceremonien von Seiten des Mudirs überhoben; doch war uns ein junger Bulgare, der reichste Mann der Stadt, als unser künftiger Wirth bis Banja entgegen geritten. Derselbe glaubte uns am Abende nicht besser unterhalten zu können, als durch den Tanz reisender Zigeunerinnen, welche kurz vor uns in Wranja eingetroffen

 

 

1. Dieses Golubatz dürfte wohl seine Stellung einem Missverständnisse von Brown’s angeführter Schilderung des Weternitzaweges von Leskowatz nach Wranja verdanken, indem man seine Lyperitza für die Morawa hielt.

 

2. VI. pag. 316.

 

3. Geschichte I, 135.

 

 

84

 

waren. Es waren fünf Frauen, von denen jedoch keine an Preciosa oder Esmeralda erinnerte. Sie trugen lange Cattunröcke, darüber ärmellose Tuniken von schreienden Farben, mit Seidenfrausen besetzt, nach altrömischem Schnitte, welche durch einen Gürtel zusammengehalten wurden, und goldgestickte, vorne offene Tuchjäckchen ohne Aermel; die flatternden Haare reichten kaum über die Achseln. Sie begannen im Chore mit gellender Stimme unter Begleitung von Tambourinen und Metallcastagnetten, welche sie selbst schlugen, und eines aus Violine, Mandoline und schreiender Clarinette bestehenden Orchesters in langsamem Tacte, entweder reihenweise vor und zurück gehend oder einen Kreis bildend, unter fortwährendem Aufzucken der Bauchmuskeln ihre Bewegungen, welche hauptsächlich in dem heftigen Vor- oder Rückwärtswerfen des Kopfes und Oberleibes bestehen, bei denen das entweder vor- oder zurückfallende Haupthaar geschüttelt wird. Der erste Eindruck ist ein höchst widerlicher, und Herr Gottschild machte kein Hehl aus demselben, bis wir ihn auf den antiken Charakter dieses Tanzes aufmerksam machten, denn man brauchte jedem dieser Geschöpfe nur einen Thyrsusstab in die Hand zu geben, um die tanzende Mänade in allen Bewegungen, wie sie uns aus den erhaltenen Darstellungen bekannt sind, leibhaftig vor sich zu haben, und diese Reminiscenz war gerade hier um so interessanter, wo wir nicht allzuweit von dem uralten Dionysus-Heiligthume der Besser [1] entfernt waren.

 

In diesen Frauentäuzen hat sich der Orgasmus des alten Naturdienstes als bedeutungslose Form erhalten. Anders ist dies jedoch bei den heulenden Derwischen, wo er auf breiter und fester religiöser Basis ruht, und sich höchst wunderbarer Weise dem Monotheismus des Islam’s anbequemt hat. Wir betrachten diese bis in die Gegenwart reichenden Reste des alten Kybeledienstes als eine der merkwürdigsten Erscheinungen der Culturgeschichte, denn dass der Dienst der Heuler so weitreichende Wurzeln habe, das dürfte wohl Keiner bezweifeln, welcher ihre mit aller Art Handpauken und Marterinstrumenten gezierte Moschee in Skutari, am Saume Europa’s, betreten und ihrem Gottesdienste beigewohnt hat. Diese Secte soll eine nicht unbedeutende Literatur besitzen. Eine nähere Untersuchung derselben wäre gewiss von hohem wissenschaftlichen Interesse, und dennoch dürfte es durch die Geschichte dieser Secte übertroften werden, weil diese nicht nur Aufklärung über die Umstände zu geben hätte, welche die Erhaltung des Kybeledienstes in Asien während der langen Herrschaft

 

 

1. Bésse-a alb. der Glaube.

 

 

85

 

des Christenthums ermöglichten, sondern auch die Frage beantworten müsste, in welcher Weise es diesem Dienste gelungen ist, sich mit dem Islam zu verschwdstern. In Constantinopel hörten wir, dass Herr Brown, Dolmetscher der dortigen amerikanischen Gesandtschaft, sich seit längerer Zeit mit dieser Secte beschäftige: wir wünschen, dass er die Ergebnisse seiner Forschungen recht bald bekannt geben möge. Der Dienst der walzenden Derwische ist wohl ebenfalls orgastischer Natur, doch liegt seine Verknüpfung mit einem älteren Dienste wenigstens nicht so klar vor, als bei den Heulern.

 

Von den Fenstern unseres Quartiers hatten wir die Aussicht auf die kaum vollendete stattliche Kathedrale der Stadt. In welchem Grade sich hier Landes das Bewusstsein des christlichen Elementes bereits gehoben hat, das lässt sich wohl mit keinem Argumente schlagender beweisen, als mit der Hinweisung auf dieses Gotteshaus. Auf einer kleinen Erhebung des Stadtareals stehend, dringt sich dieser stattliche Bau sogleich dem Blicke auf, von welcher Seite man die Stadt betrachten mag, und schimmert, alle Moscheen derselben verdunkelnd, weit in die Thäler der Morawitza und oberen Morawa hinein. Kein Wunder war es also, dass die mohammedanischen Albanesen jener Thäler, welche für die wildesten aller Dardanen gelten, als sie sich vor einigen Jahren vorwändlich gegen die neuen Recrutirungsgesetze erhoben und die Stadt Wranja besetzt hatten, den so verhassten Bau, nachdem sie ihn nebst allen Christenhäusern ausgeplündert, in Brand steckten. Kaum aber war dieser Aufstand gedämpft, so legten die Bulgaren, deren Väter wohl schon bei dem blossen Gedanken an ein solches Gotteshaus gezittert hätten, rüstige Hand an die Wiederherstellung desselben, und nun beherrscht er bereits grösser und stattlicher die ganze Gegend, als dies früher der Fall war. Freilich wäre es nicht undenkbar, dass auch er von dem Schicksale seines Vorgängers betroffen würde, aber dieser neue Brand würde, weit entfernt das Selbstgefühl der Christen zu ersticken, dasselbe nur kräftiger anfachen. Doch nicht blos in Wranja, auch in anderen dardanischen Städten bauen die Christen ihre Kirchen und Klöster. In Nisch fanden wir eine nach Landesbegriffen höcht grossartige Kathedrale mit steinernen Säulen und Quaderbekleidung im Baue. In Leskowatz war die Stadtkirche bereits seit langer Zeit vollendet, jedoch ein etwa eine Stunde südlich davon liegendes grosses Kloster noch im Umbau begriffen, dessen Kirche früher den Städtern als Pfarrkirche gedient hatte, da in der Stadt kein christliches Gotteshaus geduldet war. Ebenso war man in Kumanowa mit der inneren Einrichtung einer bereits ausgebauten neuen Stadtkirche beschäftigt.

 

 

86

 

Auch die Kirchen von Skopia, Wellese und Prilip waren Neubauten, welche in dem laufenden Jahrzehend ausgeführt worden sind.

 

Alle diese Kirchen haben das Gemeinsame, dass sie in einem ummauerten und mit Thoren versehenen Hofraume stehen, und wenn wir nicht irren, ohne Ausnahme nach dem Basiliskenstyl mit einem Hauptschiffe und zwei Nebenschiffen erbaut und daher mit einem glatten Ziegeldache gedeckt sind. Nur die Kirche von Wranja zeichnet sich durch eine Kuppel über dem Hochaltäre aus. Thürme und Glocken fehlen überall. An der Umfassungsmauer lehnen in der Regel das Schulgebäude und Wohnungen der Geistlichen. Wer diese Facta zu würdigen versteht, für den sprechen sie lauter, als jede abstracte Betrachtung.

 

Gegen Süden wird der Horizont von Wranja durch einen Gebirgszug von sanft undulirten Contouren begrenzt, welcher sich aus dem Morawitzathale sehr allmählich zu zwei südwestlich von Wranja fallenden Flachgipfeln erhebt, gegen Osten zu aber weit rascher abzufallen scheint, als er von Westen her aufgestiegen ist. Sein nördlicher Abfall gegen das Morawathal ist äusserst lehn und gibt demselben das Aussehen einer Mulde von zwei bis drei Stunden Breite auf vier bis fünf Stunden Länge. Dieses Gebirge trennt die Wasser der Ptschinja (bei Boué und Kiepert: Kriwa) von der bulgarischen Morawa, und bildet mithin die Wasserscheide zwischen dem Donau- und Wardargebiete. Boué bezeichnet dasselbe als das höchste Gebirge Obermösiens, gibt seine grösste Höhe auf 4.993 Fuss an, und sagt, dass man dasselbe Kurbetska Planina nenne, dass er aber in Kurwingrad den Namen Spass für dasselbe gehört habe. Da der erstere Name im Albanesischen ein Appellativ ist (Kurbet, Reise), so erkundigten wir uns mit besonderer Sorgfalt sowohl auf dieser als auf der anderen Seite des Gebirges nach demselben, fanden jedoch, dass Niemand diesen Namen kannte, überall hiess es, dass das Gebirg keinen Gesammtnamen habe, und nur die östliche Kuppe nach einer dort befindlichen Capelle Sweti Elia genannt werde. Dies brachte uns auf die Vermuthung, dass Boué, welcher, wie wir, von Norden her nach Wranja kam, etwa auf dem Prewalzarücken stehend, sich nach dem Namen des Gebirges erkundigt, und dass der Befragte ihm nach der bereits erwähnten allgemeinen Regel die nächstgelegenen Höhen des in gleicher Richtung liegenden Dorfes Kurbeftze als Kurbeftska Planina bezeichnet und Boué das inlautende f überhört habe. Da wir aber einen neuen Namen erfinden müssten, und derjenige, welchen das Gebirge von seinem Entdecker erhalten hat, bereits auf

 

 

87

 

allen Karten figurirt, so zogen wir es vor, an dem gegebenen Namen festzuhalten.

 

Der Bezirk von Wranja ist ein vorherrschend bulgarischer, denn von seinen 360 Dörfern sind nur 60 albanesisch : letztere bekennen sich sämmtlich zum Islam, und stellen jährlich 25 bis 30 Recruten zum türkischen Heere. Doch befindet sich in dem Bezirke auch ein walachisches Dorf, welches Preobratschinje heisst, und zwei Stunden östlich (?) von Wranja, dem Uebergang über die Morawa gegenüber, eine Stunde vom rechten Ufer entfernt ist, und ein türkisch sprechendes Dorf Namens Biljatsch, dessen Lage zu erfragen vergessen wurde [1]. Diese Türken werden von ihren Nachbarn Tschidazi genannt. In Wranja gab man uns auch die merkwürdige Notiz, dass in dem Karpinagebirge christliche Zigeuner leben, während die übrigen Zigeuner im Süden der Donau sich durchweg zum Islam bekennen, und dass dieselben zum Theile wallachisch sprechen, sie sind Nomaden und werden von ihren Nachbarn Linguri genannt. Doch wusste man in Wranja nichts von einem Zigeunerkönige und Zigeunerstaate, von dem wir, wir wissen nicht mehr bei welchem Schriftsteller, gelesen hatten.

 

 

XII. Sweti Prochor.

 

In Wranja erzählte man uns so viel von dem vier Stunden entfernten Kloster von Sweti Prochor oder Sweti Otaz (heil. Vater), welches nach dem Kloster Gratschanitza bei Prischtina das bedeutendste von ganz Dardanien sei, dass wir uns entschlossen, statt der als vollkommen eben und uninteressant geschilderten Fahrstrasse zu folgen, einen Umweg über das Gebirge zu machen und dieses Kloster aufzusuchen. Wir schickten daher die Wagen nach dem Dorfe Biljatsch im Morawitzathale, erstiegen zu Pferde die Kurbetzka Planina in südlicher Richtung von Wranja aus auf einem sehr lehn ansteigenden Wege, welcher die Gipfel dieses Gebirges in beträchtlicher Entfernung nordostwärts lässt, und blickten, nachdem wir wenigstens zwei Stunden ansteigend, auf der Wasserscheide angekommen, in das Ptsehinjathal hinunter, welches zwischen dem jähen Südhang der Kurbetzka und dem noch steileren nördlichen Abfall des kahlen Felsgebirges Koschiak

 

 

1. Die Kiepert’sche Karte verzeichnet ein Biljas am Südhange der Kurbetzka, jedoch ausserhalb des Gebietes von Wranja.

 

 

88

 

eingekeilt, hart aber tief zu unseren Füssen lag. Die kaum eine halbe Stunde bachaufwärts verfolgbare Thalrinne ist jedoch so gestaltet, dass die Ptschinja bis zum Kloster nach Süden bei West, vom Kloster ab aber von Norden nach Süden fliesst.

 

Das Kloster liegt am linken Ufer der Ptschinja in einem schmalen Wiesenthale, einem so heimlichen versteckten Fleckchen, wie es sich der Einsiedler nur immer wünschen kann. Auch gilt es für die Gründung eines solchen, nämlich des heil. Prochor. Nach der Legende bewohnte derselbe anfangs eine hoch über dem Kloster gelegene Grotte, bei der man noch seine in den Felsen eingedrückten Fusstapfen zeigt, später lebte er an einer der Grotte gegenüber liegenden Stelle, wo jetzt die Ruinen einer Kirche stehen, und endlich zog er in das Thal, wo er starb und in einer kleinen Felsenkrypte begraben liegt, welche einen Theil der Klosterkirche bildet. In derselben befindet sich eine kleine, Gel ausschwitzende Oeffnung, in welche der Priester mit einem kleinen Wedel hineinlangt, um die Besuchenden mit dem heiligen Oele auf der Stirne zu bekreuzen.

 

Die Klosterkirche ist klein und ohne Anspruch auf architektonische Schönheit, aber dadurch ausgezeichnet, dass ein viereckiger Thurm von gleicher Breite mit der Kirche an dieselbe angebaut ist, dessen oberstes Stockwerk eine kleine Capelle bildet. Es scheint, dass dieser Thurm nach Art der Wachthürme construirt und nur durch eine im mittleren Stocke angebrachte Thüre zugänglich gewesen sei, zu der man auf einer einziehbaren Leiter gelangte. Jetzt führt eine Holzstiege aus der Kirche zu ihm. In dem mittleren und oberen Stocke befindet sich eine ziemliche Anzahl geschriebener Bücher; wir fanden sie jedoch sämmtlich auf Papier geschrieben und kein einziges Pergament darunter.

 

Die Kirche ist mit Malereien verziert, welche die Lebensgeschichte des Heiligen darstellen, und aus denen sich dessen innige Verbindung mit dem Knes Lazar ergibt , welcher als Erbauer des Chalkidicums der Kirche auch unter den dargestellten Kirchenfürsten einen Platz gefunden hat.

 

Wir fanden in diesem Kloster nur einen einzigen Mönch, Namens Sylvester, und dieser war ein Fremder, ein geborner Slavonier, welcher aber bereits seit zwanzig Jahren hieher ausgewandert ist. Doch beschränkt sich seine Wirksamkeit nur auf Ausübung der geistlichen Functionen und wird er, wie er behauptete, von den Weltgeistlichen. sehr knapp gehalten, welche sammt ihren Familien im Kloster hausen und in Verbindung mit den unter den Archonten von Wranja gewählten Klostervögten die weltlichen Angelegenheiten

 

 

89

 

desselben leiten. Nach den ausgedehnten, noch nicht vollendeten Neubauten des Klosters zu urtheilen, welche nebst den beträchtlichen alten Bauten zur Aufnahme der Besucher bestimmt sind, muss dasselbe bedeutende Einkünfte besitzen. Man behauptet, dass an seinem Kirchweihfeste, welches in die ersten Tage des November fällt, sich hier in der Regel über 6000 Menschen versammeln.

 

Das Kloster steht auch bei den umwohnenden Albanesen in hohem Ansehen. Nach dem Beispiele der Christen schicken sie mitunter ihre Kranken und Wahnsinnigen zur Heilung hierher, denn es ist eine durch die ganze Südosthalbinsel verbreitete Sitte, Kranke zu diesem Endo in den Kirchen der Wallfahrtsorte schlafen zu lassen und Wahnsinnige an deren Mauern oder selbst an den steinernen Altartisch zu binden, welcher in dem Templon, dem nach griechischem Ritus dem Laien unzugänglichen Raume, steht, und auf welchem das Messopfer dargebracht wird, oder es geschieht dies wohl auch unter einem der in der Wand angebrachten Heiligenbilder, welche das Templon von der Kirche scheidet, denn beide Räume stehen bekanntlich nur durch drei Thüren in Verbindung, welche während der Messe mehrmals geschlossen und wieder geöffnet werden.

 

Das Kloster bleibt daher auch stets von Räubern verschont, an denen im Koschiak und der Kurbetzka kein Mangel sein soll; sie erscheinen nur dann und wann vor demselben, um Brot zu verlangen, wenn sie die Noth dazu zwingt.

 

Wir schickten am folgenden Morgen den Tross auf dem directen Wege nach Biljatsch, und machten, nur von zwei Reitern begleitet, einen Umweg über die etwas in das Morawathal vorspringende, Rujan genannte Flachkuppe (2879 Par. Fuss Meereshöhe) der Kurbetzka Planina, welche zwar bedeutend niedriger ist, als die des St. Elias, doch nach unserer Beobachtung immer noch 1600 Fuss über Wranja liegt. Wir konnten jedoch der weiten Rundsicht von derselben nicht froh werden, weil wir uns im Kloster verspätet hatten, und unsere Begleiter unter Hinweis auf die sinkende Sonne immer dringender zur Eile mahnten, um vor Anbruch der Nacht aus dieser unsichern Gegend nach Biljatsch zu gelangen, wo wir denn auch mit der Dämmerung eintrafen, ohne vom Rujan herab ein anderes lebendes Wesen als ein paar Steinadler gesehen zu haben, welche über diesen ungewohnten Besuch ihres Forstreviers beunruhigt, uns eine lange Strecke begleiteten.

 

Der Blick vom Rujan war wenigstens insoferne belehrend, als er im Norden den Horizont von der weit niedrigeren Kette der Karpina Krschtilowatz und Platschewitza begrenzt zeigte, auf welche

 

 

90

 

wir aus der Entfernung von etwa drei Stunden heruntersahen. Der Hintergrund der Schlucht zwischen Krschtilowatz und Platschewitza, durch welche der Reitweg von Wranja nach Leskowatz läuft, war von einem fernen Gebirgszuge ausgefüllt, dessen Contouren jedoch von denen der genannten Vorberge überragt wurden. Gegen Nordwesten fiel diese Schranke weg und verstattete eine Fernsicht über ein weites Hügelland, aus welchem die früher gesehenen drei Berge als einsame felsige Stumpfkegel hervorragten, deren höchster wahrscheinlich der bereits öfter erwähnte Mrkonje ist, denn von unseren Begleitern wusste ihn keiner zu nennen. Dieser Anblick bestätigte unsere Vermuthung, dass sich von dem Westhange der Stara Planina bei Nisch an, durch das Gebiet der Pusta Rjeka über das Amselfeld und die Metoja bis zu dem östlichen Fusse des albanesischen Alpenknotens ein breiter, wahrscheinlich ununterbrochener Streif ebenen oder hügeligen Flachlandes ziehe.

 

Genau im Westen des Rujau erhob sich die majestätische Pyramide der Ljubatrn als grandioser Grenzstein der alpinen Scharkette ; etwas nördlicher von derselben, jedoch weit niedriger, begrenzte die Hauptkette des Karadag den Horizont, allmählich in schiefer, schwach undulirender Linie zu ihrem spitzen Culminationspuncte (2400 Fuss Boué) aufsteigend und von da schroffer gegen Nordwesten abfallend, denn von hier aus betrachtet, zeigte sich zu unserer Ueberraschung die Hauptkette des Karadag der allgemeinen Gebirgsrichtung der Westhälfte der Halbinsel folgend und von Nordwesten nach Südosten streichend.

 

Südlich von der Ljubatrn blickte ein Berggipfel über die niederen Züge des Karadag weg zu uns herüber, vermuthlich der Karschiak bei Skopia.

 

Gegen Süden zeigten sich weite Ebenen, in beträchtlicher Ferne durch die fast geradlinig von Osten nach Westen laufenden Ketten von Istib begrenzt.

 

Am gebirgigsten sah es gegen Osten aus, doch können wir darüber nur so viel sagen, dass wir von Nordosten bei der Platschewitza anfangend, vier last geradlinige Ketten bis zur Kurbetzka Planina zählten, von welchen die erste die höchste war, und nur die dritte zwei und die vierte einen Gipfel zeigte, deren Namen aber nicht zu erfragen waren. Zwischen der Kurbetzka und dem nahen felsigen Kosiak im Südwesten zeigte sich ein Stück der Kette der Czerna Rjeka. Alle diese Bergketten des Ostens schienen von hier aus betrachtet im Wesentlichen von Westen nach Osten zu streichen.

 

 

91

 

 

XIII. Thal der Morawitza.

 

In Biljatsch fanden wir die Wagen vor, welche nach Versicherung der Kutscher bis hieher stets in der Ebene gelaufen, und ein kleines Nebenhaus im Gehöfte des Vorstehers der christlichen Gemeinde zu unserer Aufnahme hergerichtet, welcher sich nebst seinen Freunden in Gegenwart unserer türkischen Begleitung sehr zurückhaltend zeigte und nur in den Augenblicken gesprächig wurde, wo diese fehlten, was nur selten der Fall war, denn wir wurden hier besonders streng überwacht.

 

Bas Morawitzathal hat von Biljatsch aus betrachtet einen offenen freundlichen Charakter, und die Breite der ebenen Thalsohle beträgt hier wenigstens eine Stunde. Von Osten senken sich die Ausläufer des Rujan sehr sanft zu ihr herab, und die östlichen Vorberge des Karadag, welche den Westthalrand als eine ziemlich geradlinige und steil abfallende Kette bilden, möchten selten die Höhe von 300 Fuss überschreiten. Sie sind meist nackt und zeigen nur selten mageren Eichenhochwald auf den Kuppen.

 

Am Fusse dieses Thalrandes zieht sich eine reiche Kette von stattlichen Dörfern hin. Sie werden vorherrschend von Albanesen bewohnt, welche die Grundherren dieses Thales sind, mehrentheils aber auch eine Anzahl bulgarischer Familien als Beisassen haben. Doch gab der Heimathstolz dem Saptié, welcher uns sein Geburtsthal erklärte, bei Angabe der Häusermenge seiner Dörfer so hochgegriftene Zahlen in den M- und, dass wir sie, als der Uebertreibung dringend verdächtig, in der topographischen Beschreibung streichen mussten, und wir begnügen uns daher mit der Versicherung, dass das Morawitzathal zu den bestbevölkerten albanesischen Strichen gehört, welche wir kennen. Aber welche Bevölkerung! und welche Zustände! Die Morawitzaner sind gefürchtet auf weit und breit und bilden den Kern des ganzen Karadag, bei dessen häutigen Erhebungen sie stets an der Spitze stehen. Mucharem, der ihre Stärke in seinem Patriotismus auf 7000 Flinten steigerte, erklärte sie unbedenklich für die ersten Soldaten, nicht nur des Albanesenstammes, sondern der ganzen Welt, und schloss seine Lobreden mit dem Ausrufe: „und was würden sie erst sein, wenn jeder einen Revolver hätte!“

 

Uns erschien indessen ein Factum für die Zustände des Thales und seiner Bewohner bezeichnender als alle hohen Lieder Mucharem’s. Dass die albanesischen Dardanen bei Nacht ihre Häuser nur ungern einzeln verlassen, das hatten wir in Kurschumlje selbst zu erfahren Gelegenheit und fanden wir auf unsere Nachfrage auch anderwärts

 

 

92

 

bestätigt. Von den Morawitzanern aber heisst es, dass sie auch bei Tage nie einzeln auf das Feld oder über Land ziehen. Dies ist zwar als allgemeine Regel eine Uebertreibung, denn wir begegneten selbst mehreren einzelnen eingebornen Albanesen sowohl zu Pferd als zu Fuss. Doch reicht wohl der Umstand hin, dass von diesem Thale eine solche Rede im Schwünge ist, um auf die Sicherheit und die Nachbarlichkeit zu schliessen, welche in ihm herrscht. Und durch dieses Thal muss die Eisenbahn gelegt werden, welche Belgrad mit Salonik verbinden soll! Es wäre unbezweifelt leichter gewesen, zu Zeiten des deutschen Faustrechtes eine Eisenbahn durch die Lüneburger Raubkammer oder die Mordau im Breisgau zu führen, und es dürfte mehr als gewöhnlichen Tact erfordern, die Arbeit in diesem Thale vor aller Bluttaufe zu bewahren. Der einzige mögliche Weg hiezu wäre wohl der, nach einem gründlichen Studium der Parteiverhältnisse des Thales die geeignetste Partei zum Schutze der Bahn gegen die übrigen aufzurufen.

 

Welcher Umschwung steht diesem Thale bevor, wenn es unmittelbar aus den Zuständen des Faustrechtes und der Blutrache in den Strudel des modern-europäischen Lebens hinübergezogen wird? Und dennoch verdient es die Spanne Entwickelung, welche unser europäisches Leben vor dem dieser Thalbewohner voraus hat, im Vergleiche zu dem Umschwünge in Anschlag gebracht zu werden, welcher der ganzen Menschheit durch die neuen Hebel der Locomotion bevorsteht?

 

Der Blick schwindelt bei dem Gedanken an diesen Umschwung, so oft er ihn näher in's Auge zu fassen und ihm namentlich von dem materiellen Felde in das gesammte geistige Gebiet der Menschheit zu folgen wagt. Die auf diesem Gebiete zu erwartende Revolution bleibt in der Regel vor der Verwunderung über die mögliche Tragweite der materiellen Veränderungen unbeachtet, und doch möchte sie vielleicht die grössere sein.

 

So oft es nämlich dem Menschen gelingt, seiner eigenen organischen Kraft eine unorganische, sei dies eine einfache Maschinenkraft oder eine Naturkraft, zu substituiren, geht aus dieser Substitution in allen hievon mittelbar oder unmittelbar berührten Kreisen eine Umgestaltung hervor. Wir erinnern beispielsweise an das Schiesspulver und die Druckerpresse, deren Wirkungen auf die Staats- und Gesellschaftsverhältnisse des Mittelalters so umbildend waren, dass sie zu den Hauptfactoren der sogenannten neueren Zeit gerechnet werden, und dennoch äusserten beide Erfindungen keinerlei directen Einfluss auf den Denkprocess an sich, denn die eine erleichterte ja

 

 

93

 

nur die Verbreitung des vollendeten Gedankens, und die andere änderte Verhältnisse, Anschauungen in unbewusster Weise, nur durch ihre praktischen Erfolge.

 

Ganz anders aber muss die Wirkung der Dampfmaschine und der Drahtpost sein, durch welche die Naturkraft der Locomotion des Menschen, seiner Güter und Gedanken dienstbar gemacht wird, während sie früher nur durch organische Thier- und Menschenkräfte [1] vermittelt wurde, im Verhältniss zu welchen die Naturkräfte als ungemessen betrachtet werden können. Denn wenn wir auch von den noch unberechenbaren materiellen Veränderungen absehen, welche sich aus der Ungeheuern Verschnellerung und Erleichterung der körperlichen und geistigen Bewegung für alle menschlichen Verhältnisse entwickeln werden, und nur die weniger selbstverständlich geistigen Reformen ins Auge fassen. so können wir schon die unmittelbare Wirkung, welche diese allseitige Steigerung der Locomotion auf das Verhalten des menschlichen Geistes äussern muss, gar nicht hoch genug anschlagen; denn diese Steigerung der körperlichen und geistigen Bewegung muss ja eine gleiche Steigerung der Fühlung des Individuums mit der Aussenwelt bewirken und diese nach und nach das geistige Verhalten des Mikrokosmus zum Makrokosmus in dem Grade umändern, als diese Fühlung intensiver wird. So gross aber auch die hierdurch bewirkte Umgestaltung im Gebiete des Geistes angeschlagen werden mag, so halten wir sie doch im Vergleiche zu einer anderen nur für gering, weil diese letztere sich über alle unsere irdischen Anschauungen und Vorstellungen erstrecken muss. Diese beruhen bekanntlich sämmtlich auf den Begriffen von Raum und Zeit als untersten Basen und vermögen wir beide nur als Massbegriffe zu fassen. Wenn nun im Masse dieser Begriffe selbst eine Veränderung eintritt, so müssen sie sich in dem Grade umgestalten, als jene Veränderung wesentlich ist, und muss diese Umgestaltung der Fundamente den allmählichen Umbau des ganzen logischen Gebäudes nach sich ziehen, welches auf denselben ruht. Unsere Argumentation hat wohl schwerlich den Einwurf zu fürchten, dass das Zeitmass ein astronomisches, und daher von der menschlichen Bewegung unabhängiges sei, denn Zeit und Raum sind ja für die menschliche Anschauung correlate und zwar im umgekehrten Verhältnisse stehende Begriffe, und daher muss der Begriff der Zeit für uns in dem Masse wachsen, als der des Raumes abnimmt.

 

 

1. Denn die von der Segelschifffahrt benutzte Windkraft kann ihrer Unsicherheit wegen hier nicht in Anschlag gebracht werden.

 

 

94

 

Eine Folge dieser logischen Umgestaltung muss aber die sein, dass die auf der Locomotion durch Naturkräfte basirte Denkweise unserer Enkel grösseren Schwierigkeiten begegnen wird, sich in die unserige zu finden, als wir in Bezug auf die Verhältnisse und Gedanden der Alten, weil wir vor dem Eintritte der Naturkräfte ganz eben so wie diese Raum und Zeit nach der Scala der organischen Menschen- und Thierkraft zu messen gewohnt waren.

 

Der Eintritt dieser Naturkräfte in die Weltgeschichte wird daher künftig für deren Eintheilung massgebend werden und dieselbe vielleicht schon unseren Enkeln in die Geschichte vor und in die nach den unorganischen Bewegungskräften zerfallen, dem lebenden Geschlechte aber ist das seltene Loos zu Theil geworden, an den Beginn einer Krisis gestellt zu sein, deren intensive Bedeutung für die Entwicklung der Menschheit sich nur mit der des Christenthums vergleichen lassen dürfte.

 

Biljatsch liegt fast auf der Mitte des am rechten Ufer der Morawitza führenden Fahrweges, sechs Stunden von Wranja und fünf von Kumanowa entfernt, an dem Fusse der Kurbetzka Planina (hier Rujan), welche sicli sehr allmählich gegen das Thal abflacht. Es ist das bedeutendste Dorf auf der rechten Thalseite, von Albanesen und Bulgaren bewohnt und mit einer Moschee nebst Minaret geschmückt, dessen blankes vom Monde beschienenes Blechdach von den drei Reisenden längere Zeit als der damals sichtbare Komet angestaunt wurde, dessen ungewöhnliche Pracht wir uns nicht erklären konnten, bis ein kleiner Platzwechsel den Verfasser, den Entdecker dieses astronomischen Wunders, auch unsern Irrthum erkennen liess, ein Vorfall, der zur Erheiterung des Abends nicht wenig beitrug.

 

Am folgenden Morgen fuhren wir bis zum Chan von Tschukarka, und ritten von da aus in das Thal hinein, um die niedrigste Stelle der Wasserscheide zwischen den Gebieten der Donau und des Mittelmeerbeckens aufzusuchen und zu vermessen. Der Chan liegt auf den letzten Ausläufern des östlichen Thalrandes und gewährt einen guten Ueberblick über die Gegend, so dass wir von hier aus beiläufig die Stelle bestimmen konnten, wo wir zu suchen hätten. Sie lag in dem zur Regenzeit sumpfigen Tiefgrunde zwischen dem von Südosten nach Nordwesten in die Morawitza fliessenden Tschukarkabache und der in umgekehrter Richtung dem Wardar zulaufenden Golema Rjeka zwischen den Dörfern Dolnja Tschukarka im Tiefgrunde und Trnowo oder Nortsche an dem Fusse des jenseitigen westlichen Thalrandes. Als wir aber an Ort und Stelle kamen, wurde die Bestimmung so schwierig, dass wir mehrmals den Lauf der

 

 

95

 

kleinen Regenrinnen des Flachgrundes auf den Knieen untersuchen mussten, bevor wir den tiefsten Punct des Flachlandes finden konnten, an dem sie in entgegengesetzter Richtung aus einander gingen, eine Operation, von der wir auch dann noch nicht abliessen, als uns einfiel, dass sie uns ein schlagendes Nationalitätszeugniss ausstelle, denn jeder Franzose oder Engländer hätte ohne weitere Scrupel sein Instrument an jedem beliebigen Puncte des Flachgrundes aufgestellt, wohl wissend, dass ein paar Zoll höher oder tiefer für die Barometermessung gleichgiltig seien. Unser Messpunct lag kaum eine halbe Stunde von den beiden Schluchten der westlichen Thalwand entfernt, aus welcher die Morawitza und die Golema in gleicher Richtung von West nach Ost in die Thalebene eintreten, um hier in entgegengesetzter Richtung abzuschwenken. Der zwischen beiden Schluchten gelegene Isthmus möchte schwerlich eine volle halbe Stunde breit sein und die flache Böschung ihres Fusses reicht etwas weiter in die Thalsohle hinein, so dass die auf ihr stehenden Dörfer Prschowo, Nortsche und Trnowo etwas höher als der Messpunct liegen. Die Breite der Thalsohle mag hier noch immer drei viertel Stunden betragen, sie wird aber gegen Süden durch eine vorspi ingeude Terrasse der östlichen Thalwand bedeutend verengt.

 

Wer diese interessante Stelle auf unseren älteren Karten aufsucht, der wird auf ihnen die alpinen Formen der sogenannten Centralkotte der Südosthalbinsel über dieselbe gezogen finden, welche nach der früher allgemeinen Vorstellung in lückenfreiem Laufe vom adriatischen bis zum schwarzen Meere streichen und die Donauländer von den zum Beckengebiete des Mittelmeeres gehörigen eben so hermetisch abschliessen sollte, als Deutschland von Italien durch das Alpengebirge gesondert wird. Diese Vorstellung scheint sich aus Strabo bis in die neuere Geographie vererbt zu haben, ohne dass sie die Vorsicht berücksichtigte, mit welcher der geniale Grieche, dessen Vorstellungen von der Südosthalbinsel die Basis für jede Schilderung derselben bilden müssen, seine Ansicht ausspricht, indem er sagt: „Gewissermassen laufen mit dem Ister die illyrischen, paeonischen und thrakischen Berge parallel, welche fast eine Linie bilden, welche sich von der Adria bis gegen das schwarze Meer hin erstreckt“ [1].

 

 

1. VII, pag. 313. 1. μίαν πως γραμὴν ἀποτελοῦντα ἀπὸ τοῦ Ἀδρίου μέχρι πρὸς τὸν Ποντον. Dies mildernde πως, welches unserem fast gleichsam entspricht, ist hier sicherlich nicht überflüssig. Das 10. Fragment dieses Buches spricht sich freilich unbedingt aus, doch fragt es sich, ob dasselbe von Strabo sei.

 

 

96

 

Diese Gebirgslinie ist allerdings ein Hauptmoment für die Bodengliederung der Halbinsel, nur muss man sie als ein Stückwerk verschiedener Systeme und nicht als ein lückenfreies, homogenes, am wenigsten aber als alpines Ganze denken. Kiepert hat zwar auf seiner grossen Karte das Verhältniss, so weit seine Kenntniss der Gegend reichte, angedeutet, doch ist die Straffirung des Westendes seines Karadag, namentlich aber des Ostendes seiner Kurbetzka, viel zu schwarz gerathen.

 

Unsere Messung ergab für diese Wasserscheide eine Meereshöhe von 1328 Fuss und deren Zusammenstellung mit unseren übrigen Messungen der respectiven Flussrinnen folgendes Profil der Bodenhebung zwischen der Mündung der Jessawa in die Donau bei Semendria und der Wardarmündung in das Mittelmeer (Salonik).

 

[[ Donau, Morawa, bulgar. Morawa, Golema Rjeka, Wardar ]]

 

 

Aus dieser Tabelle ergibt sich auch das wichtige praktische Resultat, dass eine Eisenbahn von Semendria nach Salonik, auf der vorliegenden Linie gezogen, kein einziges Gebirge zu überwinden hätte, da sie längs des Rinnsais cascadenfreier Flüsse laufen würde, und die einzige Wasserscheide, welche sie zu kreuzen hätte, in einem flachen Tiefgrunde liegt. Die einzigen Schwierigkeiten dieser Bahnlinie

 

 

1. Von da die Bäche Golema und Ptschinja und den Wardar abwärts bis Welese oder Köprülü.

 

2. Beiläufige Schätzung nach der 593 Fuss betragenden Meereshöhe des 6 Stunden oberhalb gelegenen Dorfes Taor. Die spätere Messung ergab 541 Par. Fuss. Siehe des Verfassers Drin- und Wardarreise II, S, 82, Nr. 53.

 

 

97

 

bestünden mithin in den Flussdefilés, welche die Bahn zu durchlaufen hätte, und deren die Morawa zwei, nämlich das von Stalatsch und das der Masuritza, der Wardar aber fünf darbietet; nämlich das der Ptschinjamündung, das des Wardar oberhalb Welese oder Köprülü, das unterhalb dieser Stadt, das eiserne Thor des Wardar Demir Kapu, und die Zigeunerenge. In Bezug auf diese sechs Flussengen unserer Naturlinie stellt, so viel fest, dass das erste der Morawa bei Stalatsch ohne grosse Schwierigkeiten umgangen werden kann. Das drei österreichische Meilen betragende Masuritzadéfilé dürfte unumgehhar sein. Was die Wardarengen betrifft, so vermuthen wir, dass die oben verzeichnete Naturrinne der Ptschinja sich nicht als praktisch für die Bahntrace zeigen, sondern dass sie vielmehr die Ptschinja kreuzen und über die sogenannte Mustapha Owasi nach Istile und von da aus entweder längs der Bregalnitza in das Wardarthal laufen oder dem heutigen Fahrwege von Istile nach Salonik folgen und das ganze Wardarthal vermeiden werde. Wir halten das erstere für wahrscheinlicher und hoffen, dass es gleichwohl gelingen werde, die schwierige Zigeunerenge des Wardar zu umgehen. Wenn daher das uns unbekannte Thal der Bregalnitza keine Schwierigkeiten bieten sollte, so würden sich dieselben für die ganze an ge deutete Linie von Semendria, resp. Basiasch, bis Salonik auf eine Gesammtstrecke von höchstens fünf österreichischen Meilen Flussengen beschränken.

 

Auf dem Rückwege zum Chan zeigte man uns etwas südwestlich von Unter-Tschukarka einen sehr regelmässigen Hügel mit dem Bemerken, dass nach der Ortssage auf demselben das Zelt Murad’s I. gestanden habe, als er auf seinem Zuge nach dem Amselfelde in diesem Thale lagerte. Die Sage stimmt zu Hammer’s [1] Angaben über diesen Zug, denn derselbe ging über Güstendil nach Karatowa, wo längere Zeit gelagert wurde. Hierauf sagt Hammer:

 

„Nachdem das Heer durch die Schluchten des Orbelos wieder nördlich gezogen und sich zu Gümisch Hissar (Silberschloss) am westlichen Ufer der Morawa gelagert hatte, setzte es in der Nacht über den Fluss mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiele. Von hier ging der Marsch in westlicher Richtung den verbündeten christlichen Heeren entgegen, welche sich auf der Ebene von Kossowo an Bosniens und Serbiens Grenze gelagert hatten. “

 

Murad zog mithin durch das Morawitzathal, und jene Schluchten des Orbelos erscheinen als ein Zusatz Hammers, den er den ihm vorliegenden Karten entnahm, weil man den Weg von Karatowa bis zur Morawa so ziemlich ebenen Fusses zurücklegt.

 

 

1. 9 I, S. 175.

 

 

98

 

Da wir es hier mit tief wurzelnden geographischen Vorurtheilen zu thun haben, so möge als Pendant zu jenen Orbelusschluchten hier die Schilderung Platz finden, welche Rudtorffer’s Militärgeographie aus uns unbekannten, vermuthlich alten Quellen über die durchlaufenen Landstriche entlehnt hat; wir übersetzen aus der französischen Uebersetzung S. 861 in’s Deutsche zurück.

 

„Der mittlere Theil der Centralkette, welcher von West nach Ost läuft, trennt Serbien von Macedonien und verbindet den Schardag mit dem Balkan; wie wir bereits erwähnten, ist dies keine durch ihre Höhe ausgezeichnete Kette, sondern eine Art rauher und wüster Hochebene, welche nur zwischen 660 bis 1000 Meter (!) hoch ist, obgleich sie darum nicht leicht zu passiren ist. Dichte Wälder (sie sind jetzt bis auf wenige Reste gänzlich verschwunden), Mangel an Anbau, Dörfern (jetzt die bevölkertsten Theile Rumeliens) und gebahnten Strassen (man fahrt fast, wohin man will), die Gefahren und Schwierigkeiten, welche der Weg zwischen Abgründen und Felsen darbietet, grosse Strecken von Steingerölle, über die selbst die au das Terrain gewohnten Pferde der Eingehornen oft nicht gehen können, endlich die Stosswinde, welche in den Sommermonaten mitunter ganze Karawanen in den AbGrund wehen, all’ dies macht die Passage häufig unmöglich. Zwischen der Hauptstrasse von Nissa. nach Adrianopel und der von Novibazar hach Pristina und Uskjub durch schnei den nur zwei in gewöhnlichen Zeiten passirbare Saumwege die Centralkette, der eine von Nissa nach Kumanowa durch Leskowatz die Klissura Golubatz und Wranja (dazu kommt unser Fahrweg längs der Morawa, dann der Fahrweg von Nisch über Kurschumlje nach Prischtina und von da südlich über Katschanik nach Skopia und nördlich nach Nowi Pazar, endlich der Fahrweg von Prischtina über Gilan nach Wranja, sämmtlich mit kleinen Ausnahmen nur durch Ebenen und offene Thäler führend), der andere von Sophia nach Köstendil über Radomir. Alle anderen Wege ziehen mühsam zwischen Schnee und steilen Felsen, sie sind nur im Herzen des Sommers passirbar (!) und nur wenigen Arnauten und Bewohnern der benachbarten Orte bekannt.“

 

Wer solche Schilderungen gelesen hat, der muss freilich die Achseln zucken, wenn er von Eisenbahnprojecten durch diese Gegenden hört.

 

In etwa einer Stunde vom Chane von Tschukarka erreicht der Weg in dem sich nach und nach verengenden Thale das rechte Ufer der Golema Rjeka bei dem Dorfe Topanofze, welches, obwohl bereits zu dem Bezirke von Kumanowa gehörend, vermuthlich seiner albanesischen Bevölkerung wegen, dennoch als das südlichste Dorf der Morawitzalandschaft betrachtet wird. Als das äusserste südöstliche

 

 

99

 

albanesische Dorf wurde uns Dschetirze, etwa dreiviertel Stunden ostsüdöstlich von Topanofze angegeben, und im Chan von Tschukarka nannte man uns die etwa zwei Stunden östlich von demselben gelegenen Dörfer von Sutschewo, Mutscheiowa und Bugarini als die letzten albanesischen Orte, über welche hinaus gegen Osten keine Albanesen mehr wohnten.

 

[Previous] [Next]

[Back to Index]