Das Grossmährische Reich: Realität oder Fiktion? ; eine Neuinterpretation der Quellen zur Geschichte des mittleren Donauraumes im 9. Jahrhundert

Martin Eggers

 

5. Schlußfolgerungen

 

Exkurse  383

1. Bemerkungen zur karolingerzeitlichen geographischen Terminologie für die südöstlichen Nachbargebiete des Frankenreiches  383

2. Das Reich des Samo und seine angebliche Kontinuität zum <Großmährischen Reich>  392

3. Die Bezeichnungen «Župan» und «Ban»  396

 

Die Quellenanalyse hat einigen Völkern des Balkanund Donauraumes im 9. Jahrhundert ein neues «historisches Profil» zugewiesen, das hier thesenartig, unter Hervorhebung der Kontraste zu den Ansichten der bisherigen Forschung, zusammengefaßt werden soll [1].

 

Die Awaren verschwanden zwar tatsächlich aus der Geschichte, wie es in der «Nestorchronik» heißt, aber nur dem Namen nach; Restgruppen übten unter geänderten Gentilnamen noch einen beträchtlichen, insbesondere kulturellen Einfluß auf die Sudetenländer und den Nordteil des Donaubeckens aus.

 

Dagegen wurde die politische Rolle der Bulgaren im Karpatenbecken des 9. Jahrhunderts bisher maßlos überbewertet. Alles deutet darauf hin, daß sie nördlich der Donau den Raum jenseits der Karpaten niemals herrschaftsmäßig erfassen konnten.

 

Die Franken vermochten im frühen 9. Jahrhundert offenbar weiter nach Osten vorzustoßen, als dies bisher für möglich gehalten worden war. Allerdings blieben sie nur für eine relativ kurze Zeit im Besitz dieses ostdanubischen Raumes, der von einem Wallsystem umschlossen war, das die Franken wohl als ältere, wahrscheinlich römerzeitliche Anlage neu instand gesetzt hatten.

 

Ihre Erben waren aber nicht etwa die <Großmährer>, deren geschichtliche Existenz in dieser Arbeit widerlegt wurde; die ihnen zugeschriebene Kultur ist, wie andernorts noch gezeigt werden soll, einer ethnischen Gruppe awarischer Tradition zuzuweisen.

 

Die von der «orthodoxen» Schule für sie reservierte politische Rolle im mittleren Donauraum wurde vielmehr von dem südslawischen Stamm oder Stammesverband der Moravljanen gespielt. Diese waren im Gefolge einer südslawischen Eroberungs- und Einwanderungswelle zu Beginn des 9. Jahrhunderts ins östliche Karpatenbecken gekommen und hatten dort, anscheinend zunächst unter fränkischer

 

 

1. Es sei noch einmal darauf verwiesen, daß wichtige Argumente, die die hier gebotenen Thesen stützen, an anderem Orte erscheinen werden; es sind dies eine Monographie zur kyrillomethodianischen Mission und zu entsprechenden Traditionen im Untersuchungsraum; eine Abhandlung zur Neubewertung der archäologischen Funde des 9. und frühen 10. Jahrhunderts im Donaubecken, wie sie durch die Revision des historischen Materials unerläßlich scheint; sowie eine Untersuchung zur Ethnogenese der Ungarn.

 

 

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Protektion, eine eigene Herrschaft aufgebaut. Sie standen in engster Verbindung zu anderen südslawischen Völkerschaften, mit denen sie übrigens auch materielle Ausdrucksformen (die sog. Bjelo-Brdo-Kultur) teilten.

 

Unter diesen am wichtigsten sind hier die Bosnier, deren Fürstenhaus mit dem der Moravljanen verwandtschaftliche Beziehungen aufwies. Die Vereinigung beider Herrschaftsräume unter dem aus Bosnien-Slawonien stammenden Sventopulk bildete die Grundlage einer für die damalige Zeit überdimensionalen Reichsbildung, die denn auch nur eine Generation Bestand hatte.

 

Wie weit auch die Serben in dieses Großreich integriert waren, läßt sich aus den Quellen nicht deutlich erschließen; deutlich wurden aber zahlreiche bisher überse-hene Anknüpfungspunkte zur Geschichte Moravias. Spätere politische Verbindungen mit dem bosnischen «Restgebiet» des^einstigen Großreiches förderten die Bewahrung von aus Moravia stammenden Traditionen.

 

Dies gilt ebenso (und noch viel mehr im Bereich der kyrillomethodianischen Traditionen, wie in einer eigenen Studie ausgeführt werden soll) für Kroatien. Es zählte zwar nicht zum direkten Machtbereich Sventopulks, war aber diesem benachbart und stand wohl auch unter dessen Hegemonie. Die Reichsbildung des 10. Jahrhunderts unter Tomislav, der hier als Enkel Sventopulks angesprochen wurde, ging offenbar von Bosnien-Slawonien aus und verstärkte somit die Einbindung Kroatiens in die Traditionen Moravias.

 

Ganz anders in Böhmen, das erst spät (890) und nur für sehr kurze Zeit unter die Oberhoheit Moravias geriet. Die Vereinigung mit Mähren ist dagegen vielleicht schon ins 9. Jahrhundert zu setzen.

 

In der Slowakei ist während des Untersuchungszeitraumes eine restawarische Gruppe unter bulgarischem Namen beheimatet, welche in Sventopulks Großreich eingegliedert wurde. Ungesichert muß dies für die Wislanen in Südpolen bleiben.

 

Mit dem Einzug der Ungarn erfolgt der Anschluß der hier gebotenen revidierten Darstellung an die herkömmliche Auffassung von der Geschichte des mittleren Donauraumes; eine Differenz ergibt sich allein in der Reihenfolge, in welcher die Ungarn die einzelnen Teilgebiete ihres späteren Reiches eroberten. In einer demnächst erscheinenden Untersuchung soll zudem erwiesen werden, daß die landnehmenden Ungarn materiell allein in einer Variante der südrussischen Saltowo-Kultur repräsentiert waren, wogegen die Bjelo-Brdo-Kultur des Donauraumes dem «gemeinen Volk» der Ungarn abzusprechen und vielmehr Südslawen, darunter auch den Moravljanen, zuzuweisen ist.

 

Selbstverständlich wird sich der Leser fragen, wieso derartige Unstimmigkeiten des traditionellen Bildes bisher weitgehend unentdeckt bleiben konnten; dazu sei angeführt, was der hervorragende tschechische Historiker J. Pekař (in einem anderen Kontext) schrieb:

 

 

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«Ich war überzeugt, alles sei so evident und klar, daß alle Zweifel ausgeschlossen schienen ...: Der ganze große Irrtum schien mir darauf zu beruhen, daß ein ganzes Jahrhundert unkritisch Ansichten wiederholt hatte, die in der zweiten Hälfte des 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts ... ausgesprochen worden waren. [2]» So geschah es auch im Falle des <Großmährischen Reiches> - nur daß hier inzwischen zwei Jahrhunderte am Werk gewesen sind!

 

 

Exkurs 1: Bemerkungen zur karolingerzeitlichen geographischen Terminologie für die südöstlichen Nachbargebiete des Frankenreiches

 

Es ist eine bekannte Tatsache, daß während der Karolingerzeit eine regelrechte Renaissance in der Verwendung geographischer Begriffe der Antike einsetzte, eine Erscheinung, welche mit der übergeordneten Idee einer «Renovatio Imperii» wie auch der karolingischen Bildungsreform in Verbindung zu bringen ist. Dieser Rückgriff auf die antike Nomenklatur erfolgte aber nicht nur in Hinsicht auf den gallisch-belgischen Kernraum [1], sondern auch für die Peripherie des Frankenreiches, besonders natürlich in jenen Gebieten, die sich auf ehemals römischem Reichsboden befanden. Bekanntestes Beispiel dafür ist die Wiederverwendung der Provinzialbezeichnung «Noricum», nunmehr für das bairische Stammesgebiet. Mit diesem Beispiel ist zugleich das Problematische dieser Neuaufnahme antiker Termini angeschnitten; denn der Raum des antiken Noricum deckte sich keineswegs mit dem des frühmittelalterlichen Baiern [2].

 

Es ist also zu fragen, woher die Schreiber der Karolingerzeit ihre mehr oder weniger gute Kenntnis der antiken Toponymie bezogen.

 

Hier ist wohl in erster Linie an die überlieferte geographische und historische Literatur des Altertums zu denken, aber auch an zeitgenössische Glossare. Andererseits wurde auch die Verwendung antiker Karten vom Typ der «Tabula Peutingeriana», vielleicht sogar dieses Kartenwerkes selber erwogen [3].

 

 

2. Pekař 1906, Einleitung.

 

1. E. Ewig, Beobachtungen zur politisch-geographischen Terminologie des fränkischen Großreiches und der Teilreiche des 9. Jahrhunderts; in: Spiegel der Geschichte, Festgabe für M. Braubach (Münster 1964), S. 99-140.

 

2. Dazu Klebel 1956; Braumüller 1958; Boedecker 1970, S. 158ff.; Koller 1974, S. 8/9; Wolfram 1979; Mühlberger 1980, S. 9/10.

 

3. Koller 1963, S.244; László 1975, S. 140; Wolfram 1985, S. 143/144.

 

 

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Die Annales Bertiniani bezeugen die Existenz einer derartigen Karte am Hofe Ludwigs des Frommen; zugleich macht dieselbe Quellenstelle aber deutlich, wie selten derlei Kartenwerke waren, denn Lothar I., der Vorschläge zur beabsichtigten Reichsteilung machen sollte, mußte sich in Ermangelung ebensolcher Unterlagen an den Kaiserhof wenden, wo dann anhand der oben erwähnten Karte Teilungspläne ausgearbeitet werden konnten [4].

 

Karten des genannten Typs waren jedoch für die genauere Abgrenzung bestimmter Regionen wenig brauchbar, wenn es sich - wie etwa bei der «Tabula Peutingeriana» -um reine Straßenkarten («Itinerarien») ohne maßstabsgetreue Wiedergabe der räumlichen Verhältnisse handelte.

 

So verwundert es auch nicht, daß sich die verwendeten geographischen Termini in den Gebieten, die sie umschreiben sollten, nicht immer mit den Vorstellungen der Römerzeit deckten, und daß antike Ortsbezeichnungen oft auf ganz andere Lokalitäten übertragen wurden, und zwar vor allem dort, wo die örtliche Traditionskette abgerissen war. Dies trifft nun in ganz besonderem Maße auf die südöstlichen Nachbargebiete des Karolingerreiches zu.

 

Mit den Barbareneinfällen des 5. und 6. Jahrhunderts, besonders aber der Awaren und Slawen, welche anders als die Germanen vorher in keinem Kulturaustausch mit der römischen Welt gestanden hatten, erlosch hier/fast jede kulturelle und damit auch toponomastische Kontinuität [5].

 

Interessant ist es nun, wie man in der Karolingerzeit für diesen Raum antike Begriffe verwendete. Während die Bezeichnung «Illyricum», zunächst eine römische Provinz etwa im Räume des späteren Dalmatien, dann seit der diokletianischen Reichsreform als eine der vier Präfekturen übergeordneter Begriff für einen wesentlich umfassenderen Sprengel, hier weitgehend außer Betracht bleiben kann, müssen vier Provinzialbezeichnungen, die den zu untersuchenden Raum abdecken, näher betrachtet werden, nämlich «Pannonia», «Dalmatia», «Moesia» und «Dacia».

 

Für die vorliegende Abhandlung von größter Bedeutung ist dabei die begriffliche Verschiebung von «Pannonia» im frühen Mittelalter, auf welcher wichtige Teile der Argumentation basieren. Die völlige Nichtbeachtung dieser Bedeutungsverschiebung hat wohl auch I. Boba fehlgeleitet, als er ein Moravia südlich der Donau annahm.

 

Die um 10 n. Chr. eingerichtete römische Provinz Pannonien wurde im Norden und Osten von der Donau begrenzt, im Süden umfaßte sie gegen Dalmatien hin noch einen Landstreifen südlich der Save. Die Grenze gegen Noricum im Westen wurde mehrfach abgeändert, verlief aber im allgemeinen entlang des östlichen Alpenrandes.

 

 

4. Zu dieser Episode Wolfram 1980b, S. 12.

 

5. Vgl. Kahl 1980, S. 62, 75; Vilfan 1982, S. 889 ff.

 

 

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Unter Trajan wurde die Provinz um 106 in einen westlichen («Pannonia superior») und einen östlichen Teil («Pannonia inferior») zerlegt. Diese beiden Begriffe erhielten sich bis zur Karolingerzeit, während die Namen der vier unter Diokletian eingerichteten Teilprovinzen (Pannonia I und II, Valeria und Savia) untergingen [6].

 

So kennt bereits die Anfang des 6. Jahrhunderts entstandene Severinsvita des Eugippius nur mehr ein «oberes» und ein «unteres» Pannonien, allerdings mit geändertem Geltungsbereich gegenüber der trajanischen Grenzziehung: Ersteres bezeichnet die nördliche, an «Noricum ripense» grenzende Hälfte Pannoniens, letzteres den damals in gotischer Hand befindlichen Südteil, beide wohl getrennt durch die Dräu - also eine 90-Grad-Drehung gegenüber den früheren Zuständen [7]!

 

Während die Tradition des Provinznamens «Pannonia» seit dem 6. Jahrhundert im Lande selbst erlosch, erhielt sich die Bezeichnung nicht nur in Byzanz, sondern besonders auch bei den Franken und Langobarden [8]; sie entwickelte sich bei diesen mehr und mehr zu einem Synonym für die Wohnsitze der Awaren. Weniger deutlich ist dies noch in der Chronik des sog. «Fredegar», der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus oder der Emmeramsvita des Arbeo von Freising [9]; bei allen diesen kann sich der im Zusammenhang mit den Awaren genannte Begriff «Pannonia» durchaus noch allein auf den Raum der römischen Provinz beziehen, wenn auch ebenso bereits die ganze «Avaria» gemeint sein könnte. Der anonyme, im 8. Jahrhundert schreibende, aber auf Quellen des 6. Jahrhunderts basierende «Geograph von Ravenna» schildert Pannonien jedenfalls noch im Umfang der römischen Provinz mit Unterteilung in Unterund Oberpannonien [10].

 

Dagegen lassen die fränkischen Quellen, die von dem Awarenkrieg Karls des Großen berichten, bereits eindeutig erkennen, daß man unter Pannonien nicht mehr nur den Westteil, sondern das Awarenreich als Ganzes verstand. K. Schünemann hat erstmals auf die entsprechenden Belege verwiesen und deren Bedeutung hervorgehoben [11].

 

 

6. Dazu Graf 1936, S.lOff; A. Mocsy, Pannonia; in: RE Suppl. 9 (1962), Sp.516-776; ders. in Der Kleine Pauly, 4 (1979), Sp.460-463; Boedecker 1970, S.372ff.; Huber 1972, S. 1 ff.; L. Barkóczi, The History of Pannonia; in: A. Lengyel, G. Radan (Hg.), The Archaeology of Roman Pannonia (Budapest 1980), S. 85-124.

 

7. Eugippius, Vita Severini 5.1, Ed. Noll 1981, S.64/65 und Brief des Eugippius an Paschasius, ebd. S.44/45.

 

8. Bei den Franken wohl hauptsächlich deswegen, weil der fränkische Nationalheilige Martin aus Pannonien stammte und eine «origogentis»-Sage die Franken von dort her ins Rheinland einwandern ließ, s. Koller 1974, S. 10.

 

9. Fredegar IV.72, Ed. Kusternig 1982, S.242 (in der Form «Pannia»); Paulus Diaconus, Hist. Langob. 11.7, 111.30, IV.ll, Ed. Waitz 1878, S.89, 135, 150; Arbeonis Vita S. Haimhrammi 3, 4, Ed. Krusch 1920, S.30, 32.

 

10. Cosmographia IV.19, 20, Ed. Schnetz 1940, S.56/57.

 

 

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So heißt der «Awarenring», anzusetzen zwischen Donau und Theiß, im Lobgedicht des Theodulf von Orléans auf Karl «pannonischer Ring»; den 796 durchgeführten Feldzug Pippins gegen diesen «Ring» kommentieren die jüngeren Salzburger Annalen: «Pippinus in Pannonia ad hringe». Ebenso lokalisieren die Reichsannalen, die Annalen von Fulda und die von Metz den «Ring» entweder «in Pannonia» oder «in Pannonias» und beschreiben den Feldzug Pippins mit eben diesen Zielangaben. Einhard schließlich sieht Pannonien als das Siedlungsgebiet der Awaren schlechthin («nam hanc provintiam ea gens tune incolebat») und dessen Entvölkerung als Kriegsfolge («vacua omni habitatore Pannonia»), was angesichts des Kriegsverlaufes auch Gebiete jenseits der Donau einschließen müßte [12].

 

Wahrend die bisher genannten Quellen Pannonien nicht weiter unterteilen - nur Einhard spricht einmal von «utramque Pannoniam», der Poeta Saxo von «Pannonias utrasque», was Anspielungen auf römische Teilprovinzen sein könnten [13] -, werden um 820 erstmals wieder ein «oberes» und ein «unteres» Pannonien erwähnt. Den aufständischen Slawenfürsten Liudewit nennen verschiedene Quellen «dux» oder «rector inférions Pannoniae»; ein Liudewit über «Pannonia superior» entgegenziehendes Heer mußte die Dräu überschreiten [14]. Da Liudewits Fürstentum etwa im heutigen Slawonien (mit Zentrum in Siscia = Sisak) lag, erschließt sich dieselbe Aufteilung in ein durch die Dräu getrenntes nördliches Oberpannonien und südliches Unterpannonien, wie sie uns in der Severinsvita entgegentrat; vielleicht beruhte diese Koinzidenz sogar auf einer Kenntnis der Vita bei den Annalisten [15].

 

Wenig später berichten die fränkischen, Reichsannalen über einen Vorstoß der Bulgaren die Dräu hinauf und darüber, daß diese «terminos Pannoniae superioris» verheert hätten; es wird sich hier wohl um ein und denselben Vorgang handeln [16].

 

 

11. Schünemann 1923, S. 132ff.; weitere Belege bei Boedecker 1970, S.384ff.; Huber 1972, S. 24 ff.; dort mit Hinweis auf einen angeblichen Wandel der Terminologie von «Hu ma/Avaria» zu «Pannonia» in der fränkischen Annalistik zwischen 791 und 796.

 

12. Theodulfi carmen ad Carolum regnem; in: MG Poetae latini, I, Ed. Dümmler 1881, S. 484: «quas tibi Pannonico mittit ab orbe deus...»; Ann. Iuvav. min. ad a. 796, Ed. Bresslau 1934, S.737; Ann. regni Franc, ad a. 796, Ed. Kurze 1895, S.98/99; Ann. Fuld. ad a. 795, Ed. Kurze 1891, S. 13; Ann. Mettenses priores ad a. 796, Ed. Simson 1905, S.81; Einhardi Vita Karoli Magni 13, Ed. Holder-Egger 1911, S. 16.

 

13. Einhardi Vita Karoli Magni 15, Ed. Holder-Egger 1911, S.18; Poeta Saxo V; in: MG Poetae latini IV, Ed. Winterfeld 1899, S. 60.

 

14. Ann. regni Franc ad a. 818, 819, Ed. Kurze 1895, S. 149, 150/151; Anon. Vita Hludowici 31,Ed.Pertz 1829, S.624.

 

15. So Katičić 1985, S. 300 Anm.4; zur Gliederung in Oberu. Unterpannonien nach 803 s. Bóna 1985b, S.152.

 

16. Ann. regni Franc, ad a. 827, 828, Ed. Kurze 1895, S. 173/174.

 

 

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Nach dem, was bereits über die Dräu als Grenzlinie gesagt wurde, ist es nicht einzusehen, warum ein Teil der Forschung eine Verwechslung von «Pannonia superior» und «inferior» annimmt.

 

Die bisher beobachtete Zweiteilung Pannoniens betrachtet K. Schünemann übrigens als «rein literarisch», da sie sich nicht in Urkunden wiederfinde. Andere vermuten hingegen hinter dieser Nomenklatur real bestehende Verwaltungseinheiten nördlich und südlich der Dräu; zu der «Pannonia inferior» des Liudewit ließe sich noch eine «Pannonia ulterior» für das (mit dem des Liudewit identische) Gebiet des Brazlav Ende des 9. Jahrhunderts stellen [17].

 

Eine völlig andere Konzeption vertritt dagegen die um 870 in Salzburg entstandene «Conversio Bagoariorum et Carantanorum». Sie spricht durchgängig nur von einer «Pannonia inferior», welche im wesentlichen das Salzburger Missionsgebiet im Osten umfaßt, jedoch auch, wie aus dem Kontext der folgenden Passage hervorgeht, Teile des südlich der Dräu liegenden Missionsgebietes von Aquileia einschließen muß: 796 vertraute Pippin dem Salzburger Erzbischof «partem Pannoniae circa lacum Pelissa inferioris» an [18]. Diese Wortwahl der «Conversio» impliziert aber, daß es ein größeres, nicht nur das Plattenseegebiet umfassendes Unterpannonien gegeben haben muß. Tatsächlich stellt sich dazu eine andere Aussage der «Conversio»: «Antiquis enim temporibus ex meridiana parte Danubii in plagis Pannoniae inferioris et circa confines regiones Romani possederunt...» [19]. Das «untere» Pannonien sah man also um 870 in Salzburg als den «südlich» bzw. rechts der Donau liegenden Teil Pannoniens an. Das eigene Missionsgebiet - seit ca. 840 im wesentlichen identisch mit dem «Dukat» des Pribina [20] - umfaßte nur einen gewissen Teil dieses Unterpannonien, in einem anderen, nämlich südlich der Dräu, missionierte Aquileia [21]. Wo aber lag für den Verfasser der «Conversio» Oberpannonien? Der Begriff als solcher wird in der Schrift nicht verwendet. Zumeist sucht man dieses «fehlende» Oberpannonien in jenem Rest der antiken Provinz Pannonien, dessen Missionierung in die Zuständigkeit des Passauer Bistums fiel - also im Raum zwischen Wienerwald und Raab [22]. Ein solcher Gebrauch ist jedoch nirgends expressis verbis nachweisbar.

 

 

17. Pirchegger 1912, S.275; Schünemann 1923, S.134; Bóna 1966, S.313ff.; Gjuselev 1966, S.33; Havlík 1970b, S.5; Huber 1972, S.33ff.; Wolfram 1979, S. 129/130.

 

18. Conversio 6, Ed. Wolfram 1979, S. 46/47.

 

19. Conversio 6, Ed. Wolfram 1979, S.44/45.

 

20. Conversio 11,12, Ed. Wolfram 1979, S.52-55.

 

21. Vgl. Wolfram 1979, passim.

 

22. Havlík 1970 b, S.5; Huber 1972, S. 3 8; Wolfram 1980b, S. 20.

 

 

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Wäre es nicht möglich, daß die «Conversio» sich Oberpannonien jenseits der Donau dachte, wo sie «in aquilonaris parte Danubii in desertis locis» die ehemaligen Sitze der Hunnen kennt [23]? Es war dies ja ein von der römischen Provinzterminologie nicht erfaßter Raum, der in der Antike von sarma-tischen Völkern bewohnt wurde. Irritierend wirkt dann allerdings der Gebrauch des Ausdrucks «Pannonia orientalis» für das Salzburger Missionsgebiet im letzten Kapitel der «Conversio» [24].

 

Die angedeutete Neigung, den Begriff «Pannonia» über die Donau hinweg nach Osten auszudehnen, setzt sich fort in der Berichterstattung über die Ungarnkriege; so etwa, wenn der Regensburger Fortsetzer der fuldischen Annalen einerseits die Ungarn «ultra Danubium» Untaten verüben läßt, andererseits - im selben Zusammenhang und zum selben Tatbestand - sagt, daß sie «totam Pannoniam usque ad internetionem deleverunt». Bei Regino von Prüm muß sich Pannonien ebenso auf linksdanubisches Gebiet erstrecken, da nach seiner Aussage die Ungarn noch vor der Überquerung der Donau «Pannoniorum et Avarorum solitudines» durchstreiften [25]. Übrigens deckte sich die karolingerzeitliche Auffassung der «Pannonia» auch nach Westen hin nicht immer mit der römerzeitlichen, sondern zeigte bisweilen eine Bedeutungsgleichheit mit «Avaria», dem Awarenland bis zur Enns. So bezeichnet eine Urkunde Ludwigs des Deutschen vom 1. Mai 859 den «fiscus Tullina» (Tulln) als in Pannonien liegend [26], eine weitere Urkunde vom 16. Juni 863 tut desgleichen für Niederaltaicher Besitz im Ennswald sowie bei Persenbeug [27]. Diese Tradition fand eine Fortsetzung zunächst bei Regino von Prüm, dann bei Otto von Freising, welche beide die «marchia orientalis» mit der «Pannonia superior» gleichsetzten [28] (was wohl die moderne Forschung auch bei der Lokalisierung der karolingischen «Pannonia superior» beeinflußte!). Im allgemeinen wurde jedoch «Pannonia», im 10. Jahrhundert in westlichen Quellen noch selten belegt, zu der Bezeichnung schlechthin für das Reich der Ungarn, vor allem seit der Christianisierung dieses Volkes; so etwa in den «Gesra Abbatum Lobiensium» des Folcuin (um 980): «Gens quaedam ripam insidet Danubii, provinciam quam incolit Pannoniam vocaverunt antiqui, Hungariam moderni» [29]. Anläßlich seines Streits um Diözesanrechte mit Salzburg verwendete Bischof Pilgrim von Passau in seinen bekannten, ca. 973/74 entstandenen Fälschungen für das umstrittene ungarische Reich die Begriffspaare «östliches und westliches» wie auch «oberes und unteres» Pannonien [30].

 

 

23. Conversio 6, Ed. Wolfram 1979, S.44/45.

 

24. Conversio 14, Ed. Wolfram 1979, S.56/57.

 

25. Ann. Fuld. Cont. Ratisbon. ad a. 894, Ed. Kurze 1891, S. 125; Reginon. Chron. ad a. 889, Ed. Kurze 1890, S. 132.

 

26. MG DD Ludowici Germanici, Ed. Kehr 1934, Nr. 96, S. 139.

 

27. MG DD Ludowici Germanici, Ed. Kehr 1934, Nr. 109, S. 157.

 

28. Schünemann 1923, S. 134; Koller 1974, S.8; Bóna 1985b, S. 153.

 

29. Folcuini Gesta; in: MG SS IV (1841), S.65.

 

30. Vgl. v.a. Wagner 1953, S.6ff.

 

 

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Es wird also deutlich, daß dem in der Antike noch eindeutigen Terminus seit der Merowingerzeit zunehmend ein «schillernder Inhalt» zukam31. Einerseits noch häufig auf den Raum der römischen Provinz bezogen, konnte er andererseits auch das gesamte Becken der mittleren Donau bezeichnen. Diese Tendenz verstärkte sich bis hin zum synonymen Gebrauch von Pannonien und Ungarn im Hochmittelalter. Dabei beschrieb das karolingerzeitliche «Pannonia» (auch mit den Zusätzen «inferior» und «superior») eher eine nicht allgemein verbindliche, wohl auch von der jeweiligen klassischen Bildung des Schreibers abhängige geographische Einheit, als daß es in einem verwaltungstechnischen Sinne zu verstehen wäre - auch wenn man sich mit H. Koller für eine bewußte, seit etwa 830 zu beobachtende Anbindung des Sprachgebrauches der fränkischen Kanzleien an die römische Nomenklatur ausspricht [32].

 

Im Gegensatz zu der Tradition Pannoniens konnte sich diejenige von der einstigen Lage Dalmatiens ungebrochen über das Frühmittelalter bis in die Karolingerzeit und darüber hinaus erhalten. Das mag damit zusammenhängen, daß die unter Augustus eingerichtete Provinz «Dalmatia» in ihrem Umfange bis zur Völkerwanderungszeit kaum Veränderungen erlitt, abgesehen von der Abtrennung der südlichen «Praevalitana» im 3. Jahrhundert [33]. Dalmatien wurde sogar im alter Umfang - zumindest nominell - 870 wieder als byzantinisches Thema eingerichtet, wenn auch de facto nur noch einige wenige Küstenstädte diesem Thema angehörten. Der byzantinische Sprachgebrauch bezeichnete mit Dalmatien die Adriaküste zwischen Istrien und dem Skutarisee samt ihrem Hinterland bis zur Save und Donau. Diese Tradition hielt sich auch im Lande selbst bis ins 13. Jahrhundert, wie der damals in Spalato/Split schreibende Thomas Archidiaconus bezeugt [34].

 

Im Bereich der fränkischen Quellen stammt die älteste Erwähnung Dalmatiens aus der sog. «fränkischen Kosmographie» des 7. Jahrhunderts, auch der «Geograph von Ravenna» (8. Jahrhundert) kennt die Provinz. Unter den Eroberungen Karls des Großen erscheint «Dalmatia» sowohl in Einhards Karlsvita wie auch in der Totenklage für Herzog Erich von Friaul und schließlich beim Poeta Saxo.

 

 

31. So Deer 1965, S. 744.

 

32. Koller 1974, S. 12/13.

 

33. Dazu B. Saria, Dalmatia; in: RE Suppl. 8 (1956), Sp.21-59; Čirkovič 1964, S.27ff.; Wilkes 1969, S.416ff.; J. Szilágyi, Dalmatia; in: Der Kleine Pauly, 1 (1979), Sp. 1364-1368.

 

34. Dazu ausführlich Ferluga 1976; vgl. auch Thomas Archidiac., Hist. Salon, 1, Ed. Rački 1894, S. 3.

 

 

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Um 820 bezeichnen die fränkischen Quellen den kroatischen Fürsten Borna, den Kontrahenten Liudewits von Siscia, als «dux Dalmatiae atque Liburniae» [35]. Hiermit bahnt sich eine Identifizierung Dalmatiens mit Kroatien an, die sich bis ins Hochmittelalter erhält; erst zur Zeit der venezianischen Eroberungen im Adriaraum wird der Name Dalmatien auf diese übertragen [36].

 

Wahrend man sich zur Karolingerzeit über die Grenzpunkte Dalmatiens an der Küste im klaren war, schwankte die Abgrenzung im Binnenland, also gegen das antike Moesien und Pannonien, beträchtlich, da hier keine konkreten Fixpunkte vorlagen. Der Raum zwischen dem Dinarischen Gebirge und der Save bzw. der Donau wurde teils zu Pannonien, teils auch zu Dalmatien gerechnet. Letztere Auffassung liegt etwa vor, wenn die Reichsannalen 822 auch die Serben zu Bewohnern Dalmatiens erklärten [37].

 

Anders als die beiden bisher behandelten ehemaligen Provinzen des Römischen Reiches war das antike Moesien weitgehend aus dem Gesichtskreis und dem geographischen Wortschatz der Karolingerzeit verschwunden. Zunächst eine Großprovinz am südlichen Donauufer zwischen der Drina und dem Schwarzen Meer, war es mehrfach unterteilt worden, bis der Name schließlich an zwei räumlich voneinander getrennten Gebieten haften blieb: Moesia I umfaßte im 4. und 5. Jahrhundert den Norden des heutigen Serbien, Moesia II den mittleren Teil des heute bulgarischen Donauabschnittes, beide voneinander getrennt durch die Dacia ripensis [38].

 

Als rein literarische Reminiszenz ohne aktuelle Bezugnahme erscheint «Moesia» beim «ravennatischen Geographen», in den um 850 verfaßten Epigrammen des Ermenrich von Ellwangen sowie in der altenglischen Orosius-Bearbeitung. Zum ersten Mal mit Moravia in Zusammenhang gebracht wird Moesien in den «Miracula Sancti Apri» des 10. Jahrhunderts, welche von den Ungarn berichten: «Quibus nemine resistente ... Misia eversa, Marahensiumque licet gentilium convulsis taber-naculis, suam olim Pannoniam irruperunt» [39].

 

 

35. Kosmographie, Ed. Strecker in MG Poetae latini IV/2 (1923), S. 552; Ravenn. Anon. Cosmographia 1.11, IV. 16, Ed. Schnetz 1940, S. 10/11, 54/55; Einhardi Vita Karoli Magni 15, Ed. Holder-Egger 1911, S. 18; Versus Paulini de Herico duce 6, in: MG Poetae latini, I, Ed. Dümmler 1881, S. 131; Poeta Saxo 5, Ed. Winterfeld 1899, S. 60; Ann. regni Franc, ad a. 821, Ed. Kurze 155; Anon. Vita Hludowici 31, Ed. Pertz 1829, S. 624.

 

36. Vgl. Cessi 1942, S.345ff.; Katičić 1985, S.305.

 

37. Ann. regni Franc, ad a. 822, Ed. Kurze 1895, S. 158.

 

38. Dazu M. Fluss, Moesia; in: RE 15/2 (1932), Sp.2350-2411; C. Danoff, Moesia; in: Der Kleine Pauly, 3 (1979), Sp. 1386-1388; Mócsy 1974; Istorija srpskog národa, 1 (1981), S. 66.

 

39. Ravenn. Anon. Cosmogr. IV.6,7, Ed. Schnetz 1940, S. 47-50; Herrmann 1965, S. 110/111 (Ermenrich); altengl. Orosinus, Ed Bately 1980, S. 18, 61; Miracula S. Apri, Ed. Waitz 1841, S. 517.

 

 

391

 

In der Folgezeit verbinden weitere Quellen verschiedenster Provenienz Moesien bzw. die Moesier mit Moravia, so die «Gesta» des Ungarn Simon von Kéza, aber auch zwei kirchenslawische Schriften, nämlich die 2. Vita des Naum und die «Služba Mefodiju» [40].

 

Die in griechischer Sprache abgefaßte kürzere Vita des Klemens hingegen assoziiert den Begriff «Mysien» mit den Bulgaren; die Kombination «Moesier und Vlachen» wurde zum stehenden Begriff byzantinischer Schriftsteller für die Bewohner des 2. Bulgarischen Reiches (ab 1186) [41].

 

Im Gegensatz dazu steht eine der vier Redaktionen des «Presbyter Diocleas», welche den Begriff «Mysier» analog zu «Bosnier» verwendet («a Mysis, qui nunc Bosnenses appellantur») [42]. Der anonyme französische Dominikaner, der 1308 eine Beschreibung des östlichen Europa anfertigte, sieht schließlich «Messia et Pannonia» als antikisierende Bezeichnung für das Ungarische Reich im damaligen Umfange, also einschließlich Kroatiens, Bosniens und Nordserbiens [43].

 

Wenn somit diverse Quellen Moravia und Moesien in Beziehung bringen, so deutet dies unmißverständlich darauf hin, daß die jeweiligen Verfasser Moravia einem südslawischen oder genauer bosnisch-serbisch-bulgarischen Gebiet benachbart sahen. Ebenso wie «Moesia» fand auch das römische «Dacia» nur sehr beschränkten Eingang in die karolingerzeitliche Annalistik, ohne Zweifel aus demselben Grund: Das betreffende Gebiet lag im wesentlichen außerhalb der Interessenzone der Franken. Die römische Provinzialbezeichnung hatte im Falle der «Dacia» bereits im Altertum eine besonders dramatische Verschiebung des Geltungsbereiches durchgemacht. 107 unter Trajan als Provinz konstituiert, umfaßte Dacien zunächst Siebenbürgen und Teile der Walachei; ob auch das Banat hierher oder aber zu Moesia superior zu rechnen ist, bleibt bislang ungeklärt. 270 wurde dieses nord-danubische Dacien aufgegeben und stattdessen südlich der Donau neu eingerichtet, unterteilt in «Dacia mediterranea» und «Dacia ripensis»; beide lagen im Grenzgebiet zwischen Serbien und Bulgarien [44].

 

Wie auch im Falle Pannoniens wurde aber nicht der spätere, sondern der Bedeutungsinhalt des 2. Jahrhunderts ins Frühmittelalter tradiert. Dies ist bereits zu beobachten in einer Kosmographie des frühen 5. Jahrhunderts, die «Dacia» mit dem Zusatz «ubi et Gothia» kommentiert.

 

 

40. Simon de Kéza, Gesta 32, Ed. Domanovszky 1937, S. 166/167; II. Žitije Nauma, Ed. Lavrov 1930, S. 182; Služba Mefodiju 28, Ed. Lavrov 1930, S. 126.

 

41. Siehe MMFH 2 (l 967), S. 270 ff.; dazu V. Täpkova-Zaimova, Quelques remarques sur les noms ethniques chez les auteurs byzantins; in: Studien zur Geschichte und Philosophie des Altertums (Budapest 1968), S. 400-405.

 

42. Presb. Diocl. 19, Ed. Šišić 1928, S.405 (nur bei Marulić).

 

43. Anon. Descriptio 1308, Ed. Gorka 1916, S.43.

 

44. Vgl. C. Brandis, Dacia; in: RE 4/2 (1901), Sp.1948-1976; C. Daicoviciu, La Transylvanie dans l'antiquité (Bucarest 1938); J. Fitz, Dacia; in: Der Kleine Pauly, 1 ( 1979), Sp. 1355-1357.

 

 

392

 

Mit den Goten bringt auch die sog. «fränkische Kosmographie» von der Mitte des 7. Jahrhunderts Dacien in Verbindung. Der Ende des 8. Jahrhunderts schreibende «Geograph von Ravenna» setzt Gepiden und Awaren in der «Dacia» an. Eine Gleichsetzung Daciens mit dem sich im Westen bis zur Theiß oder sogar zur Donau erstreckenden Gepidenreich liegt vielleicht auch vor, wenn Einhard bei der Aufzählung der Eroberungen Karls des Großen «utramque Pannoniam et adpositam in altera Danubii ripa Daciam» nennt; im Gegensatz zu einem anderen, bereits zitierten Abschnitt seines Werkes rechnet er die Theißebene hier also nicht zu Pannonien, sondern zu Dacien [45].

 

Die alte Gotengleichung nimmt, hierin wohl auf spätantiken Vorlagen basierend, das «Liber glossarum» aus dem Regensburger Kloster St. Emmeram wieder auf, ebenso auch der angelsächsische Orosius-Bearbeiter. Eine Erwähnung der «Dacia» als Sitz der «Abodriti qui vulgo Praedenecenti vocantur» in den Reichsannalen ist der einzige weitere Beleg in den Quellen der Karolingerzeit [46].

 

 

Exkurs 2: Das Reich des Samo und seine angebliche Kontinuität zum <Großmährischen Reich>

 

Äußerst problematisch gestaltet sich die Frage nach Ausdehnung und Struktur des sog. «Samo-Reiches», eines östlichen Grenznachbarn des Frankenreiches im Z.Jahrhundert. Hauptund im Grunde genommen die einzige Quelle ist die bis 658 abgefaßte Chronik des sog. «Fredegar», deren Interpretation jedoch mancherlei Schwierigkeiten bereitet; strittig ist bezeichnenderweise bereits die «Nationalität» des Reichsgründers Samo, gesichert scheint nur seine Herkunft aus dem Frankenreich [1].

 

 

45. Cosmographia II.1, Ed. Riese 1878, S.95; Versus de Asia et de universi mundi rota, Ed. Strecker in MG Poetae latini TV/2 (1923), S. 552; Ravenn. Anon. Cosmographia 1.11, IV14, Ed. Schnetz 1940, S. 10/11, 53; Einhardi Vita Karoli Magni 15, Ed. Holder-Egger 1911, S. 18; s.a. Poeta Saxo V, Ed. Winiierfeld 1899, S.60.

 

46. Liber glossarum: «Scythia... post han Dacia ubi est Gothia. Deinde Germania» (Herrmann 1965, S. 117/118); altengl. Orosius, Ed. Bately 1980, S. 13: «Wisle lond. And be eastan thaem sint Datia, tha the iu waeron Gotan.» Ann. regni Franc, ad a. 824, Ed. Kurze 1895, S. 165.

 

1. Dazu grundlegend Goll 1890; G. Schnürer, Der Verfasser der sog. Fredegar-Chronik (Freiburg 1900); B. Krusch, Fredegarius Scholasticus (Göttingen 1926); Mayer 1929; S. Hellmann, Das Fredegarproblem; in: Histor. Vierteljahresschriften, 29 (1935), S. 36-92; Labuda 1949, S. 52 ff.; Tiso 1961, S. 2 ff.; W. Goffart, The Fredegar Problem Reconsidered; in: Speculum, 38 (1963), S.206-241; F. L. Ganshof, Een historicus uit de VII eeuw, Fredegarius (Brüssel 1970).

 

 

393

 

Nach «Fredegar» wurde Samo im 40. Regierungsjahre Chlothars II., also 623/24 (aber auch dieses Datum ist nicht zuverlässig), von Slawen, die sich gegen die Awaren erhoben hatten, zum König gewählt [2]. Damit ist ein erster Anhaltspunkt für die Lokalisierung seines Reiches gegeben: Es muß sich um Gebiete handeln, die innerhalb der Grenzen des ersten awarischen Reiches lagen, da laut «Fredegar» die Awaren bei den genannten Slawen überwinterten, diese wiederum den Awaren Kriegsdienste leisteten [3]. Es wäre also auch zu erwarten, daß «frühawarische» Funde -wenigstens in geringer Anzahl - in jenem Gebiet gemacht wurden, über das Samo nunmehr für 35 Jahre zu herrschen begann. Damit scheidet der Raum nördlich des Erzgebirges aus; Böhmen dagegen weist solche Funde der awarischen Frühzeitebenso auf wie in größerem Ausmaße auch die östlich und südöstlich anschließenden Gebiete Mährens, Niederösterreichs und Karantaniens [4].

 

Zugleich muß das Reich Samos an der Peripherie des Frankenreiches gelegen haben. Es könnten vor der awarischen Herrschaft die entsprechenden Landstriche sogar den Franken Untertan gewesen sein, da König Dagobert I. (628-639) vor Samo das «servicium» einforderte [5]. Hier könnte man an einstige Eroberungen der fränkischen Teilherrscher Theuderich I. und Theudebert I. von Austrasien (511-534 bzw. 534-548) denken, die zusammen mit dem Thüringerreich sicher auch das heutige Nordbayern, vielleicht auch Böhmen unter ihre Gewalt brachten [6], während die von den Ostgoten übernommenen Gebiete auch Karantanien umfaßten.

 

Weitere Anhaltspunkte liefert die Chronik des «Fredegar» mit der Angabe, daß Samos Slawen «in Toringia et relequos (!)... pagos» einfielen, also wohl in der Nähe Thüringens zu suchen sind. Der Anschluß der Sorben («gens Surbiorum») im Elbe-Saale-Gebiet deutet gleichfalls daraufhin, daß die Slawen Samos zumindest teilwei-se in Nordbayern und Böhmen angesetzt werden müssen [7].

 

Schließlich vermag vielleicht noch das «castrum Wogastisburc» Aufschluß zu geben, von dem die Fredegarchronik als einem Stützpunkt Samos berichtet [8]. Bisher wurde es meist auf dem Burgberg bei Kaaden (tschech. Uhošť) in Nordwestböhmen gesucht. Auch das urkundlich bezeugte «Wogastisrode» bei Staffelstein wurde vorgeschlagen, neuerdings auch der Ort Burk bei Forchheim.

 

 

2. Fredegar IV.48, Ed. Kusternig 1982, S. 208.

 

3. Fredegar IV.48, Ed. Kusternig 1982, S. 208; dazu A. Avenarius, K otázke polohy vzniku Samovejnie; in: Historické Studie, 13 (1968), S.177-200; Kollautz/Miyakawa 1970, 1, S. 228 ff.

 

4. Die sog. «frühawarische» Fundperiode wird i. a. bis ca. 670 gerechnet, s. Bóna 1971, S.292.

 

5. Fredegar IV.68, Ed. Kusternig 1982, S.236/237.

 

6. Böhmens Zugehörigkeit zum Thüringeroder Langobardenreich im 5. und 6. Jahrhundert ist unklar, s. Prinz 1984, S.36/37.

 

7. Vgl. Fredegar IV.68, 75, 77, Ed. Kusternig 1982, S.238/239, 246/247, 248/249.

 

8. Fredegar IV.68, Ed. Kusternig 1982, S.236/237.

 

 

394

 

Als endgültig gelöst kann die Frage bisher nicht gelten [9].

 

Das Zentrum des Samo-Reiches hat man bisher meist in Böhmen, daneben aber auch in Oberfranken, in Mähren, Wien oder Preßburg/Bratislava angesetzt; die beiden letztgenannten Varianten gehen dabei von einer Ausdehnung des Samo-Reiches bis in die Ostalpen aus. Eine Zugehörigkeit Karantaniens zum Reiche Samos wird auch von anderen postuliert, teilweise jedoch heftig bestritten [10].

 

Die zeitgenössische Chronik des «Fredegar» bietet/ «)eine solche Annahme nur einen einzigen vagen Hinweis: Beim fränkischen Heerzug gegen Samo (632) seien auch «Langobardi solucione Dagoberti» dabeigewesen [11]. Entscheidend ist hier doch wohl die Auslegung des Begriffes «solucione»; man hat es als «zur Unterstützung, zur Hilfe» interpretiert, aber auch als «auf Bezahlung» [12]. Aus ersterer Variante könnte man herauslesen, daß das italienische Reich der Langobarden an dasjenige Samos grenzte; letztere läßt hingegen die Deutung zu, daß Langobarden als Soldtruppen vom Boden des Frankenreiches aus operierten. In jedem Fall muß es überraschen, daß im Aufgebot Dagoberts nicht auch die Baiern genannt sind.

 

Im Kontrast zur unklaren Ausdrucksweise «Fredegars» steht eine ganz explizite Äußerung der um 870 entstandenen «Conversio Bagoariorum et Carantanorum»: Zur Zeit Dagoberts sei «Samo nomine quidam Sclavus manens in Quarantanis ... dux gentis illius» gewesen [13]. Ähnliche Bezeichnungen Samos als Herzog der Karantanen finden sich auch in drei anderen, von der «Conversio» abhängigen Quellen [14].

 

Die scheinbar so eindeutige Aussage der «Conversio» verliert aber dadurch enorm an Wert, daß die «Conversio» den sog. «Fredegar» nur als mittelbare Quelle, über die «Gesta Dagoberti» des frühen 9. Jahrhunderts, benutzt hat; diese aber ließ das 48. Kapitel des 4. Buches bei «Fredegar», welches Samo als «homo nomen Samo, natione Francos de pago Senonago» bezeichnet, aus. Die Abweichung der «Conversio» von «Fredegar» beruht also kaum auf mündlichen Überlieferungen Karantaniens, sondern vielmehr auf einer unzulässigen Gleichsetzung der «Sclavi» oder «Venedi» seiner Vorlage mit den ihm bekannten slawischen Karantanen durch den Verfasser der «Conversio».

 

 

9. So Turek 1974, S. 134; Graus 1980, S. 17 Anm.2; Prinz 1984, S. 48.

 

10. Und zwar von Labuda 1949, S. 357 ff.; Chaloupecký 1950b, S. 234; Preidel 1954, S. 95 ff.; Prinz 1984, S. 49.

 

11. Fredegar IV.68, Ed. Kusternig 1982, S.236/237.

 

12. Erstere die Übs. bei Kusternig 1982; zweiteres die Deutung bei Goll 1890, S. 445; Preidel 1939, S. 339; Kunstmann 1981, S.97ff.

 

13. Conversio 4, Ed. Wolfram 1979, S. 40/41 und dazu der Kommentar S. 73 ff.

 

14. «Excerptum de Karantanis», Auctarium EkkeHardi Altahense und Auctarium Garstense.

 

 

394

 

Als weitere Stütze für die behauptete Herrschaft Samos in Karantanien zog E. Klebel eine Passage der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus heran, welche von einer Eroberung der «regio, quae Zellia appellatur, usque ad locum, qui Meclaria (veraltete Lesart: Medaria) dicitur», durch die langobardischen Herzöge Taso und Cacco berichtet [15]. Dieses Ereignis bezog Klebel zeitlich auf den fränkisch-langobardischen Vorstoß gegen Samo 632 und erschloß daraus ein Aneinandergrenzen des Samo-Reiches mit den Langobarden in der Gegend des kärntnerischen Gailtales [16]. Doch ist dies kein zwingendes Argument: Vorstöße der beiden langobardisehen Herzöge von Friaul sind auch anderweitig überliefert und müssen zeitlich keineswegs mit dem Feldzug Dagoberts zusammenhängen; A. Kollautz datiert die bei Paulus berichteten Ereignisse denn auch etwa 10 Jahre früher [17]. So wird man also eher der These zustimmen, daß Dagobert 632 Langobarden als Söldner an-warb, und eine Zugehörigkeit Karantaniens zum Samo-Reich ablehnen.

 

Doch auch für das Wiener Becken und selbst Mähren ist eine solche Zugehörigkeit mehr als zweifelhaft. Der scheinbare räumliche Zusammenfall des Samo-Reiches (unter Einschluß süddanubischer Gebiete) mit dem Umfang des <Großmährischen Reiches> in seiner traditionellen Ansetzung verleitete nämlich einen guten Teil der Forschung, eine Kontinuität sowohl in dynastischer wie territorialer Hinsicht anzunehmen [18]. In bezug auf ersteren Punkt, der sich durch keinerlei historische Daten untermauern läßt, sei auf Kapitel 3.2.4. dieser Arbeit verwiesen, in dem der Nachweis einer Abstammung der Dynastie Moravias von einer südslawischen Herrscherfamilie versucht wird.

 

Für den territorialen Aspekt sind in letzter Zeit verstärkt Bemühungen zu registrieren, archäologische Argumente einzubringen. Angeblich soll von der ersten Hälfte des 7. bis zum 10. Jahrhundert in Mähren die ununterbrochene Entwicklung einer Kultur slawischer Prägung zu beobachten sein. Besonders betont sei dagegen die von S. Szatmári herausgearbeitete breite Übereinstimmung der materiellen Kultur Mährens mit derjenigen unzweifelhaft awarischer Areale in spätawarischer Zeit, d.h. ab 670/80 [19]. Das verstärkte Auftreten awarischer Kulturträger in Mähren wie auch im Wiener Becken etwa seit der Mitte des 7. Jahrhunderts weist vielmehr darauf hin, daß sich die Awaren - nach Verlust ihrer in Böhmen, vielleicht sogar weiter nördlich gelegenen «Außenposten» - dort eine verstärkte Verteidigungsposition schaffen wollten [20].

 

 

15. Paulus Diaconus, Hist. Langob. IV.38, Ed. Waitz 1878, S. 166.

 

16. Klebel 1939, S. 105ff. bzw. 1960, S.667/668.

 

17. Kollautz 1965, S.626, 638; Bertels 1987, S.99ff.

 

18. So Dvornik 1933, S.221; Labuda 1949, S.146ff, 249ff.; Tiso 1961, S.20/21; Bulín 19j S.68ff.; Dittrich 1962, S.5ff; Baltl 1980, S. 146; Kučera 1980, S.46/47; Veselý 1982, S. Gegenstimmen: Rez. Brückner 1933 zu Dvornik 1933, S.468 Anm. 1; Vanček 196 S.216/217; Preidel 1968, S.22.

 

19. Szatmári 1969, S. 173/174; s.a. Bóna 1971, S.304, 328.

 

 

396

 

Es ist dringend anzunehmen, daß sich diese Maßnahme gegen die von den Awaren abgefallenen Slawen Samos richtete, die somit sicher in Böhmen zu lokalisieren wären. Die Theorie einer auf Samo bezüglichen Tradition in Böhmen, wie sie bisweilen vertreten wird, ist dadurch ungleich wahrscheinlicher als eine angebliche entsprechende Tradition in Mähren.

 

Ebenso scheint der Überlegung wert ein Konnex zwischen der Reichsbildung Samos und der Schwächung des Awarenreiches nach der Niederlage vor Konstantinopel (626) sowie dem awarisch-bulgarischen Bürgerkrieg ca. 630 einerseits, der Verselbständigung der Serben und Kroaten andererseits, wie ihn G. Labuda hergestellt hat [21].

 

 

Exkurs 3: Die Bezeichnungen «Župan» und «Ban»

 

Die Institution eines «Župan» wird von zwei Quellen mit Sventopulk in Verbindung gebracht: Von einer Gruppe arabisch-persischer Quellen des 9. und 10. Jahrhunderts wird ein Župan als Stellvertreter oder Vizekönig des «Slawenherrschers» Sventopulk genannt; ebenso kennt der «Presbyter Diocleas» des 12. Jahrhunderts m Sventopulks «Regnum Sclavorum» Župane, die er mit dem Zusatz «id est comités» näher erläutert.

 

Die Herkunft des Wortes ist umstritten, man hat bereits awarisch-türkische, aber auch indogermanische Etymologien vorgebracht. Der älteste Beleg datiert aus dem Jahre 777; eine Urkunde des Baiernherzogs Tassilo III. nennt als Führer einer slawischen Siedlergruppe bei Kremsmünster einen «iopan qui vocatur Physso» [1]. In der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts nennen kroatische Inschriften Župane in den Formen «iuppanus» oder «zuppanus» [2]. Mitte des 10. Jahrhunderts führt Konstantinos Porphyrogennetos ??«oujtavovc» als «Älteste» oder «Häuptlinge» wie auch «Çoimavicu» als territoriale Einheiten bei den Südslawen [3]. Bei den Slowenen war der Titel «Župan» im Mittelalter in der Bedeutung «Richter, Amtmann, Würdenträger» verbreitet. Doch auch weiter nördlich erscheinen Župane, so in Böhmen, bei den Sorben, in Polen; hier sind sie allerdings erst seit dem 12. bzw. 13. Jahrhundert belegt und speziell in Polen als eine sekundäre Erscheinung anzusehen.

 

 

20. Vgl. Pohl 1988, S. 91 zur frühen Besiedelung des Wiener Beckens.

 

21. Labuda 1949, S. 194ff; s.a. Chaloupecký 1950b, S.231 ff.

 

1. ÜB Oberösterreich, 2 (1856), Nr.2, S.2-4, hier S.3.

 

2. Belege bei Katičić 1985, S.309 Anm.44; s.a. Malingoudis 1972, S.64ff.

 

3. Konst. Porph. DAI 29, 30, 32, 34, Ed. Morayesik/Jenkins 1949, S. 124/125, 144/145, 158/159, 162/163.

 

 

397

 

Als eine Entlehnung aus der kroatischen Form «Span» ist wohl auch die ungarische Bezeichnung «ispán» zu sehen, welche das slawische «Zupan»-Gebiet trennt [4].

 

Für eine awarische Herkunft des Wortes spricht zunächst seine Verbreitung hauptsächlich auf dem Boden des früheren Awarenreiches. Ein weiterer wichtiger Beleg ist die inschriftliche Nennung eines «Cocutav» auf einer der Schalen des Schatzes von Nagyszentmiklos, deren spätawarische Zuordnung auf Grund stilistischer Merkmale wahrscheinlich gemacht werden kann. Genuin türksprachliche (also nicht etwa slawische) Parallelen in protobulgarischen Inschriften des 8./9. Jahrhunderts in den Schreibungen ??«coitav» oder «oimav» finden sich mehrfach sie meinen Gefolgschaftsführer niedrigeren Ranges [5]. Nicht ganz eindeutig ist die Korrelation zwischen dem Amt des Župan und den teils als Territorialeinheiten teils als Sippenverbänden gesehenen, nach T. Wasilewski zu unterscheidenden Begriffen «Župa» und «Zupamja», letztere die größere Einheit. Ist das eine vom anderen ableitbar? Mit H. Ditten könnte man «an eine Kontamination von türksprachig Župan mit slawisch Župa denken» [6].

 

Die Nennung von Županen in Verbindung mit Sventopulk wäre also als ein Beleg für die Übernahme awarischer Institutionen zu werten, was bereits vorgebrachte Erkenntnisse ergänzen würde. Zugleich verweist sie Sventopulk zum wiederholten Male in den südslawischen Bereich, in welchem allein sich vor 900 Župane finden.

 

Dasselbe gilt nun für das Amt des «Ban», eine Bezeichnung, welche nach dem «Presbyter Diocleas» die von Sventopulk eingesetzten «duces» getragen haben sollen; auch dem «Supetarski kartular» zufolge hat der «rex Suetopeleg» das Amt des Bans in Kroatien eingeführt [7].

 

Die Herkunft des Wortes «Ban» aus einer Turksprache, und zwar als Bezeichnung eines Dienstranges, gilt als gesichert. Man bringt es mit dem Namen des ersten in Europa bekanntgewordenen Awarenherrschers, Baian, in Verbindung; das Wort «ban/bajan» ist vielen Turksprachen in der Bedeutung «reich, besitzend» bekannt [8]. -

 

 

4. Malingoudis 1972; Zeit 1975; vgl. neuerdings auch M. Hardt, Der Župan. Ein For schungsbericht; in: ZfO 39 (1990), S. 161-171.

 

5. Beševliev 1963, S.238, 287ff.; Malingoudis 1972; Ditten 1978, S.449; Fritze 1982, S.435;Pohl 1988, S.305.

 

6. Wasilewski 1970; Ditten 1978, S. 448 ff; zur verfassungsgeschichtlichen Seite des Zupanates s. Vilfan 1983, S. 108ff.; Turk Santiago 1984, S.41 ff.

 

7. Presb. Diocl. 9, Ed. Šišić 1928, S.307,398/399; Supetarski kartular, Ed Novak/Skok 1952, S.31.

 

8. Arnim 1932, S.406; Kollautz 1954, S. 156; Božic 1968, S. 145 Anm. 57; Ditten 1978, S.450; Kronsteiner 1978, S. 145.

 

 

398

 

Seine erste Erwähnung als Titel eines Würdenträgers findet sich im «De Administrando Imperio» («βοάνος, βοεάνος») für den Verwalter dreier kroatischer Županien, in welchen sich - wiederum nach Konstantinos Porphyrogennetos - ausgerechnet flüchtige Awaren angesiedelt hatten [9]!

 

Das Amt des Ban blieb im mittelalterlichen Bosnien und Kroatien geläufig; es wurde von dort in die ungarische Ämterhierarchie als Titel der Grenzmarkgrafen im Süden übernommen und lebt fort im Namen der Landschaft «Banat».

 

 

9. Konst. Porph. DAI 30, 31, Ed. Moravcsik/Jenkins 1949, S. 142/143, 144/145, 150/151.

 

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