Die byzantinische Baukunst in den Balkanländern und ihre Differenzierung unter abendländischen und islamischen Einwirkungen

Wladimir Sas-Zaloziecky

 

VI. Zusammenfassung und Ergebnisse

 

 

In der altchristlichen und frühbyzantinischen Periode war in den Balkanländern die Basilika die herrschende Bauform der sakralen Architektur. Eine klare territoriale Scheidung in die weströmische und oströmische Basilika ist nicht immer möglich. Aber an dem Überwiegen der Tiefenrichtung (Stobi, Tropaeum Trajani), der Verwendung von Säulen und den runden Apsisabschluß erkennen wir die weströmische Basilika, wahrend ein Ausgleich zwischen Tiefe und Breite, Verwendung von Pfeilern, polygonale Apsis und fortschreitende Bedeutung des Altarraumes für die östlich-Konstantinopler Anlagen (Hissar, Mesembria) charakteristisch ist.

 

Im Gegensatz zu Konstantinopel, wo die Basilika durch die justinianische Wölbungsarchitektur verdrängt wird, setzt sich in den Balkanländern die Basilika als archaische Bauform im Mittelalter fort. Die schönsten Beispiele solcher mittelalterlicher Basilikalanlagen haben sich in Aboba-Pliska in Bulgarien aus dem 9. Jh. erhalten. Ihre Monumentalisierung geht auf hauptstädtische Einflüsse zurück und durste auf engste Beziehungen zwischen Konstantinopel und dem ersten bulgarischen Reich zurückgehen.

 

Seit dem 6. Jh. tritt auch die neue justinianische Wölbungsarchitektur in den Balkanländern aus und wird durch Kuppelbasiliken repräsentiert (Philippi, Derekler, Eliaskirche in Pirdop).

 

Neben den längsgerichteten Anlagen besitzen wir eine Reihe von Rundbauten, die auf römische Thermenanlagen zurückgehen (Sofia, Georgskirche). Neben einfachen Nischenbauten wie der Rundkirche von Preslav aus dem 9.—10. Jh., die sich an mittelrömische Anlagen vorn Typus des Mausoleums von Spalato anschließt, kommen auch Bauten vor, die einen Umgang aufweisen (Peruštica, Rote Kirche), die stilistisch mit der Gruppe von San Lorenzo in Mailand, Hadrianstoen in Athen und ähnlichen Anlagen verwandt sind.

 

Eine Gruppe von verwandten Anlagen bilden einschiffige Kuppelbasiliken, die sowohl im Ostbalkan (Stanimaka, Mesembria) als auch im Westbalkan Kuršumlija (1168), Ras, Georgskirche (nach 1183), Studenica (1183—96) auftreten. Verwandte Anlagen finden sich auf der Insel Chios (Apostelkirche in Pyrghi, Sikelia, Nea Moni). Der Unterschied zwischen den ostbalkanischen und westbalkanischen Anlagen besteht darin, daß im Gegensatz zur farbigen Auflösung der Wände im Osten im Westbalkan eine strenge romanische Gliederung der Wände,

 

 

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romanische Plastik an den Portalen (Studenica) und Fassadentürme (Ras, Georgskirche) festgestellt werden können. Geschichtlich hangen diese in Raszien (Altserbien) entstehenden Bauten mit der Zeit des eigentlichen Begründers des serbischen Staates, Stephan Nemanja, und der Ausdehnung des serbischen Staates bis an das Küstengebiet der Adria zusammen. Süditalienische, apulische und dalmatinische oder aus Italien über Dalmatien eindringende Einflüsse in der Plastik von Studenica sind zweifellos feststellbar. Die weitere Entwicklung der serbischen Architektur im 13.—14. Jh. hangt mit einer neuerlichen, schöpferischen Verarbeitung der byzantinischen, romanischen und gotischen Architektur zusammen. Die Grundrisse der Kirchenanlagen von Žiča (1208 bis 1221), Peć (um 1233), Morača (1252), Sopoćani (um 1260), Gradac (Ende des 15. Jh.s) hängen mit den süditalienischen Bauanlagen zusammen (Stilo, S. Giovanni Vecchio). Starke gotische Einflüsse sind in Dečani (1327—1335), einer Stiftung von Stephan Uroš III. Dečanski, feststellbar. Die Anlage wird wiederum einer Basilika angenähert und besitzt Nebenschisse. In der Vorhalle und den Nebenschiffen find gotische Kreuzgewölbe vorhanden. Und doch bildet die byzantinische Kuppel das Hauptelement der Anlage, ja es ist ein deutliches Anknüpfen an die byzantinischen Kreuzkuppelbauten vorhanden (die Kuppel ruht auf freien Stützen).

 

Die Rückeroberung des Balkans durch die Byzantiner im 11. Jh. hat einen Rückschlag in der Geschichte der Architektur zur Folge gehabt. Die rein byzantinische Schöpfung der Kreuzkuppelkirche kommt wiederum zur Geltung und wird zur herrschenden Bauform in Bulgarien (Tirnovo, Mesembria, Preslav). Eine Annäherung an Kreuzkuppelkirchen erfolgt auch in den Westbalkangebieten, aber diese Annäherung ist nicht auf direkte hauptstädtische (Konstantinopler) Anlagen zurückzuführen, sondern vielmehr auf Anregungen der griechischen Architektur (Staro Nagoričino [1312 bis 1313], Gračanica [1313—1315], Matejić [nach 1355]). Neben den griechischen Einflüssen (Saloniki, Nerezi) sind auch bodenständige serbische künstlerische Kräfte am Werk, die die alte abendländische Tradition fortsetzen. Es ist die Höhenstreckung der Kuppeltamboure (Gračanica), die aus eine latente Gotik hinweist. Die griechischen Einflüsse gehen auf die Vorstöße Milutins und Dušans nach dem Süden zurück, es wurden damals ausgedehnte griechische Gebiete dem serbischen Staate einverleibt.

 

Die letzte Etappe vor der türkischen Eroberung in der Kunstentwicklung des Westbalkans bildet die sog. Moravaschule, die um die Wende des 14. zum 15. Jh. entsteht. Ein besonderer Bautypus, der mit der Klosterarchitektur des Athosberges zusammenhängt, hat den Charakter dieser Bauschule geprägt und zwar der Trikonchos.

 

 

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Wir können hier einen einfachen, einschiffigen Trikonchos mit mittlerer Kuppel und einer Vorhalle (Kruševac [nach 1381], Kalenić [1407—1413]) von einem reicher ausgebildeten, dreischiffigen unterscheiden, dessen Kuppel auf freien Stutzen ruht und bei dem die Eckräume mit vier kleineren Kuppeln versehen sind (Ravanica [1376—77], Nova Pavlica [nach 1381]). Diese letzte Kirchenanlage hängt wiederum mit Byzantinischen Kreuzkuppelkirchen enger zusammen. Ungemein reich ist die Außendekoration. Die farbige Wandbehandlung, die aus weißen Quadersteinen, roten Ziegelschichten und breiten weißen Mörteleinfassungen besteht, wird noch durch reiche Schachbrettmuster und glasierte farbig ornamentierte Scheiben bereichert (Kruševac). Aber neben diesen farbigen, auf die griechische Architektur hinweisenden Stilelementen kommt eine stärkere plastische Belebung der Wände durch Dienste und Halbsäulen auf, die wiederum romanische und gotische Einwirkungen verrät. Etwas ungewohnt ist auch die Ornamentik der Fenster und der großen Fensterrosen (Kruševac, Lubostinja). Diese Ornamentik besteht aus Bandgeflechten, die bordürenartig die Flächen ausfüllen und die tektonische Struktur der Fenster auflösen. Man hat diese Ornamentik mit der armenischen und georgischen Ornamentik in Zusammenhang gebracht, aber das flächige Bandornament ist letzten Endes spätantiken Ursprungs und verbreitet sich im ganzen Mittelmeergebiet. Dalmatien und Griechenland haben diesen Einfluß nach den Balkanländern vermittelt. Es tritt also in der Moravaschule eine letzte Synthese der griechisch-byzantinischen und der über Dalmatien übermittelten abendländisch-romanischen und gotischen Formenwelt zu Tage, zu der sich in der weitgehendsten farbigen Auflösung islamische Einflüsse Süditaliens und Siziliens gesellen. Der eingewurzelte balkanische Archaismus bedingt auch hier eine große stilistische Verspätung abendländischer Bauformen (Kloster Manasija 1406—1418).

 

Zuletzt konnte nachgewiesen werden, daß auch die Baukunst der Walachei und Moldau sich eng an die geschilderte Kunstentwicklung der eigentlichen Balkanländer anschließt. Die Verpflanzung der Klosteranlagen durch den serbischen Mönch Nikodemus im Jahre 1374 nach der Walachei hat enge Beziehungen zwischen der Baukunst des Moravatales und der Walachei bestimmt.

 

Wir können jedoch einen sichtbaren Stilunterschied zwischen der walachischen und moldauischen Baukunst feststellen. Die Walachei lehnt sich enger an die balkanische (serbische und bulgarische) und an die Konstantinopler Architektur an, während die Moldau den balkanischen Trikonchos mit starken gotischen Einflüssen verbindet.

 

 

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Der Anschluß an Byzanz spiegelt sich in der Walachei in der Übernahme der Kreuzkuppelkirche (Curtea de Argeș, Nikolauskirche, 2. Hälfte des 14. Jh.s, alte Metropole 1518, und Fürstenkirche 1589, in Târgovişte) wider. Der walachische Trikonchos dagegen übernimmt Dekorationsmotive von der serbischen Architektur der Moravaschule (Cozia 1393) und bereichert dieselbe durch üppige islamische und venezianische Ornamentik in den Kirchenanlagen von Dealu (1500) und hauptsächlich der Bischofskirche von Curtea de Argeș (1512—1517).

 

Die moldauische Architektur steht wiederum in enger Beziehung zu der Gotik Siebenbürgens und der westlichen Nachbarländer. Der traditionelle Trikonchos wird weitgehendst „gotisiert". Die Kuppel verwandelt sich in einen turmartigen Anbau, die Dächer verwandeln sich in steile Satteldächer, der Spitzbogen bestimmt Fenster und Portalformen. Wir können diese Wandlung an einer Reihe von Kirchen aus der Zeit des Fürsten Stephan des Großen verfolgen (1457—1504) und zwar in Pătrăuţi (1487), Bădăuţi (1487) der Eliaskirche in Suczawa (1488) und der Georgskirche in Woronetz (1488). Auch die Kuppelform ist verändert. An Stelle der reinen byzantinischen Pendentifkuppel tritt uns eine Kuppelkonstruktion entgegen, die aus mehreren segmentartig übereck gestellten Bogenüberführungen und Pendentifen besteht. Die statische ruhende Wirkung einer Kuppel wird dadurch aufgelöst, starke Licht- und Schattenwirkungen treten in Erscheinung. Später kommen Netzgewölbe auf, welche den Kuppelraum auflösen (Dragomirna). Es scheint, daß — wenn auch islamische Einwirkungen nicht geleugnet werden sollen — diese Konstruktion der Kuppel auf gotische Einwirkungen zurückgeführt werden kann.

 

In der Kirche in Hârlău (1492) treten uns neue Raumtendenzen in der Verbindung von Kuppeltraveen und in einer Monumentalisierung der ganzen Anlage entgegen, die dann ihren Höhepunkt in den langgestreckten Anlagen von Borzeşti (1493—94) Războieni (1496) und in der monumentalsten Anlage in der Klosterkirche von Neamţ (1497—1498) erreichen. Dieser monumentale Kirchenbau beherrscht das ganze 16. Jch. (Georgskirche von Suczawa 1514—1522, Bistrica 1554 und Suceviţa 1585).

 

Im 17. Jch. erfolgt eine Verschmelzung der moldauischen und walachischen Architektur. In der moldauischen Anlage von Dragomirna (1609) treten islamisch-walachische Einflüsse aus, während in der walachischen Anlage der Steleakirche in Târgovişte (1645) gotisch-moldauische Stilelemente (turmartige Kuppeln, Strebepfeiler, Sternsockeln) das eigentliche Gepräge der Anlage verleihen.

 

 

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Man kann daraus ersehen, daß wir es mit einem einheitlichen Kunstkreis in allen Balkanländern zu tun haben, der in verschiedenen Brechungen, je nach Lage und geschichtlicher Entwicklung, die verschiedensten Differenzierungen der byzantinischen Baukunst unter abendländischen und islamischen Einwirkungen erfahren hat.

 

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