Die Byzantinische Kunst

Wladimir Sas-Zaloziecky

 

III. Die Spätbyzantinische Kunst

 

1. Die allgemeinen Voraussetzungen im Palaiologenzeitalter (1261—1453)  84

2. Die Architektur  86

3. Der Stilwandel in der monumentalen Malerei  92

 

 

1. Die allgemeinen Vor aus Setzungen im Palaiologenzeitalter (1261-1453)

 

Tiefe politisch-gesellschaftliche und geistige Erschütterungen durch die Eroberung von Byzanz durch die Lateiner und deren Herrschaft in Konstantinopel (1204—1261), Griechenland, Palästina, Syrien und Kleinasien haben das byzantinische Reich heimgesucht.

 

Eine den byzantinischen Vorstellungen fremde Welt drang in die bedeutendsten byzantinischen Provinzen ein und bemächtigte sich zuletzt der Herzkammer des Reiches, Konstantinopels.

 

Es genügt, die Beschreibungen der Kreuzfahrer, die uns Anna Komnena hinterlassen hat, sich in Erinnerung zu rufen, um die tiefe Kluft zu erkennen, die Byzanz bereits im 12. Jh. vom Okzident trennte. Man kann sich vorstellen, wie unendlich sich dieser Abgrund vertiefte, als die mit Byzanz zum Kampf gegen den Islam verbündeten Kreuzfahrer sich nun selbst plündernd und sengend Konstantinopels bemächtigten.

 

Allerdings, um den Wirkungen auf dem geistigen und kulturellen Sektor gerecht zu werden, die der Zusammenstoß dieser beiden, durch Jahrhunderte einander entfremdeten Welten verursachte, müssen zwei historische Tatsachen im Auge behalten werden: Erstens die erneuernde Kraft des Byzantinismus und zweitens abendländische Rückwirkungen. Die erneuernde Kraft des Byzantinismus tritt in scharfe Opposition gegen den lateinischen Westen im Reich von Nikäa,

 

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dann in Trapezunt und Epiros und gelangt nach der Eroberung Konstantinopels in der sog. Palaiologenzeit eruptiv zum Ausdruck.

 

Schon dadurch unterscheidet sich diese neue Renaissanceerscheinung von der sog. makedonischen Renaissance, daß sie keine »domizilierte«, aus gewissen Verfeinerungsbestrebungen esoterischer Hofkreise entstandene Palastrenaissance ist, sondern eine Bewegung, die aus einer erschütternden Reichskatastrophe, die alle Schichten erfaßte, hervorgegangen ist und die daher auch mächtiger in das historische Leben eingegriffen hat. Es handelte sich letzten Endes um den Existenzkampf des Byzantinismus, der seine Fortsetzung im geistigen Leben und auch in der bildenden Kunst erfahren hat.

 

In dieser dramatischen Peripetie erinnert als historische Erscheinung, aber nicht als historische Auswirkung, die palaiologische Renaissance mehr an die abendländischen Renaissancen als die makedonische. Es ist wohl selbstverständlich, daß hier alle schöpferischen Kräfte auf die Erneuerung der eigenen, bisher erreichten Kulturerrungenschaften konzentriert werden mußten. Nur so konnte man sich gegen das fremde, feindliche Kulturgut behaupten.

 

Aber neben diesen retrospektiven und die alte Tradition bewahrenden geistigen Kräften gab es noch andere, die in das alte Kulturgut etwas Neues hineinzutragen versuchten. Es ist wahr, daß diese neuen geistigen Strömungen auf halbem Wege steckengeblieben sind und Byzanz in einer bloß gemäßigten Form streiften, im Gegensatz zum Abendland, wo sie die ganzen mittelalterlichen Grundlagen erschütterten. Sie haben aber doch der palaiologischen Renaissance zur Herauskristallisierung ihrer Eigenart im Rahmen des Althergebrachten verholfen.

 

Diese zweite Wirkung geht auf eine Befruchtung durch die Berührung mit dem lateinischen Westen zurück. Wie so oft in der Geschichte beweist diese Erfahrung, daß sich auch fremde und feindlich gegenüberstehende Kräfte gegenseitig beeinflussen können. Die Durchdringung der byzantinischen Welt durch die feudale ritterliche Kultur des Okzidents geht auf eine längere Tradition zurück, die durch die Kreuzzüge und die immer enger werdenden dynastischen Beziehungen zwischen dem byzantinischen Kaiserhaus und den abendländischen Fürstenfamilien gefördert wird.

 

Durch die Berührung mit den Trägern des abendländischen Rittertums hat sich das byzantinische Reich, hauptsächlich in seinen Provinzen,

 

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teilweise selbst feudalisiert und abendländisch gefärbt. Manuel Komnenos ist ganz von den Idealen des feudalen Rittertums erfüllt und veranstaltet in Antiochia Turniere, in denen er durch seine ritterliche Erscheinung und sein kühnes Benehmen auffällt. In den byzantinischen Romanen des 13.—14. Jh., wie Belthandros und Chrysantza oder Lybistros und Rhodamne, sind deutlich erkennbar Einflüsse der »Chansons de geste« vorhanden.

 

Unzählige gotische Bauwerke, wie Burgen, Kirchenanlagen und sogar Kathedralen (Zypern), bedecken große Landteile Kleinasiens, Armeniens, Syriens, Palästinas und Griechenlands. Sie haben einen eigenen Stil herausgebildet, der mit Recht als Kreuzfahrergotik bezeichnet wurde.

 

Es darf daher nicht wundernehmen, daß auch in der bildenden Kunst des Palaiologenzeitalters abendländische Einwirkungen vorhanden sind. Sie werden zwar von der lebendig wirkenden, erneuerten byzantinischen Tradition weitgehendst assimiliert, aber verschließen konnte sich ihnen Byzanz ebensowenig, wie sich z.B. Italien den byzantinischen Einwirkungen, die durch die Kreuzfahrer ausgelöst wurden, verschließen konnte.

 

 

2. Die Architektur

 

In der byzantinischen Hauptstadt haben sich nur die allerwenigsten Baudenkmäler erhalten. Sie fallen durch eine farbige Auflösung der Außenwände sowie durch Zierlichkeit und Streckung der Proportionen auf.

 

Die überaus reiche, farbige Behandlung der Außenwände beherrscht die Fassade des sog. Palastes des Tekfurserails und die Vorhalle der Theodoroskirche in Konstantinopel. Die Ruinen des Tekfurpalastes sind bis heute mit keiner historischen Palastanlage identifiziert worden, so daß auch sichere Anhaltspunkte für seine Datierung fehlen. Einige Stilmerkmale jedoch könnten für das 13. Jh. sprechen. Die Fassade des Palastes gliedert sich in ein Erdgeschoß, das aus zwei, je mit einer mittleren Säule verbundenen Doppelarkaden besteht, und in zwei Stockwerke, die von einer Reihe oben rund abgeschlossener Fenster durchbrochen werden (Abb. 13).

 

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Fig. 21 Konstantinopel. Kilisse-Djami (Agios Theodoros). Die im iß. Jh. vor die Kirche des 10. Jh. gebaute Vorhalle. Aufriß (vgl. Abb. 14)

 

 

Für die Fassade sind weiße und gelbe Marmorquadern, Ziegelschichten und eine Reihe von schachbrettartigen breiten Ornamentfriesen verwendet worden. Auch die Keilsteine der Arkaden sind farbig. Charakteristisch für die Wandgliederung sind die flachen Lisenen, die jede akzentuierte Tektonik vermeiden. Die Wandpfeiler zwischen den Fenstern des ersten Geschosses ruhen weder auf Sockeln noch auf einer Sohlbank. Die koloristische Auflösung der Wand wird noch durch die Verschiebung der Arkaden- und Fensterachsen verstärkt (sechs Achsen des ersten Geschosses entsprechen im zweiten Geschoß sieben Achsen).

 

Diese farbige, untektonische Auflösung der Wand war sicher auch für die Kirchenanlagen charakteristisch. Davon haben sich nur zwei Beispiele erhalten, eine Kapelle im Bogdanserail und die Vorhalle

 

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der Theodoroskirche (Kilisse-Djami) in Konstantinopel, die in der Palaiologenzeit dazugebaut wurde (Fig. 21 und Abb. 14).

 

Typisch für die Palaiologenarchitektur ist die Durchbrechung des Außennarthex durch je zwei Arkadenöffnungen mit Säulen, wodurch ein starkes optisches Element in die Fassade der Theodoroskirche hineingetragen wird. Die farbige, schichtenartige Wandbehandlung wird außerdem durch Nischenmotive an den Ecken belebt. Also geformte Wand und farbige Auflösung beherrschen die Fassade. Dasselbe gilt für die oberen, flach in die Mauer eingelassenen Arkaden. Sie stehen in keiner axialen Verbindung mit der unteren Partie; also ein ähnliches Sichhinwegsetzen über alle tektonischen Gesetze der Wand wie im Tekfurserail.

 

Von kirchlichen Anlagen haben sich nur Kapellen erhalten. Zu den schönsten und zierlichsten dieser Art gehört die südliche Kapelle (Paraklission) der Pammakaristoskirche (Fetje Djami) in Konstantinopel, die als Gruftkirche des Stifters des Klosters Michael Glabas Tarchaniotes 1370 errichtet wurde.

 

Die Anlage gehört zu den reizvollsten Konstantinopels. Sie ist dreischiffig und in der Mitte mit einer Kuppel versehen, die ursprünglich auf Säulchen ruhte. Die gestreckten Proportionen verleihen dem Bau eine außerordentliche Leichtigkeit. Auch die Außenwand zeichnet sich durch zierliche Formgestaltung aus, die Apsis ist ebenso ist die südliche Wand mehrgeschossig und durch große Bogenstellungen und schlanke Nischen durchbrochen (Abb. 15). Weitere Anlagen aus der Palaiologenperiode besitzen wir nicht. Man ersieht daraus, daß im 14. und 15. Jh. die Baulust erlahmte.

 

Dafür besitzen wir in den Provinzen, hauptsächlich in den Balkanländern und in Griechenland, eine Reihe von bedeutenderen Bauten. In Griechenland befinden sich die wichtigsten in Saloniki, Mistra (Peloponnes) und am Athos.

 

Die bedeutendste Anlage Salonikis ist die Apostelkirche, die zwischen 1312—1315 beendet wurde. Sie ist ein typischer Repräsentant der Palaiologenarchitektur, was durch die Streckung der Proportionen, hauptsächlich des mittleren Kuppelraumes durch den überhöhten Tambour, durch die lockere Anbringung der vier Nebenkuppeln und durch die von Arkadenöffnungen durchbrochene äußere Vorhalle bewiesen wird. Die Kuppel ruht auf schlanken Säulen. Der griechischen Bautradition entspricht das Vorherrschen des Ziegels,

 

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Fig. 22 Saloniki. Apostelkirche. Zwischen 1312 und 1315 beendet. Grundriß des Kernstücks

 

 

der Ziegelornamentik und das lockere Verhältnis zwischen dem Gemeinderaum und den breiten Umgängen, die an die Sophienkirche in Saloniki erinnern (Fig. 22).

 

Eine reiche Architektur hat sich in der byzantinischen Hauptstadt des Peloponnes, in Mistra, erhalten. Nach der Schlacht von Pelagonia (1259), wo die Frankenherrschaft im Peloponnes gebrochen wurde, ist das Despotat von Mistra mit der Ober- und Unterstadt Mistra auf felsigen Terrassen, die sich malerisch über der Ebene des Eurotas erheben, gegründet worden. Hier entstand eine Reihe von bedeutenden Kirchen und Klosteranlagen, in denen sich die wichtigsten Bauwerke aus der spätbyzantinischen Epoche erhalten haben, und zwar die Theodoroskirche im Brontochionkloster (um 1296), die dem hl. Demetrios geweihte Metropoliskirche (Umbau um 1310), die Aphendikokirche des Brontochionklosters (um 1310), die aus derselben Zeit stammende Peribleptoskirche und die der Lage nach am schönsten gelegene Kirche des Pantanassaklosters, eine Gründung des Despoten Manuel Kantakuzenos (1349—1380). Die Kirche wurde laut einer verlorengegangenen Inschrift von Johannes Frangopulos um 1428 umgebaut (Abb. 16).

 

Die traditionelle lokalgriechische Form einer Zweisäulenkirche hat sich in der Peribleptoskirche in Mistra erhalten. Eine Neuerung gegenüber den älteren Anlagen besteht darin, daß das harmonische Gleichgewicht einer zentralen Kreuzkuppelkirche zugunsten einer längsgerichteten Anlage verschoben erscheint. Diese neue Form

 

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wurde von der Sophienkirdie in Mistra, die um 1350 errichtet wurde, übernommen.

 

Die hier bereits zutage tretenden längsgerichteten basilikalen Tendenzen gehören zu den eigentlichen Neuerungen der Architektur Mistras. Es spiegelt sich darin nicht nur die Rückkehr zur altchristlichen Basilika, sondern der neue Geist der fränkischen Architektur, die auch sonst in den Bauten Mistras Spuren hinterlassen hat.

 

Es kommt zu einer eigenartigen Verknüpfung einer altchristlichen basilikalen Anlage mit einer zentralen Kreuzkuppelkirche. An drei Bauten können wir diese Synthese zweier grundverschiedener Formgestaltungen der Architektur verfolgen: an der Demetriuskirche in der Metropolis, der Aphendikokirche des Brontochionklosters und an der Kirche des Pantanassaklosters.

 

Es wird angenommen, daß der ursprüngliche Bau der Metropoliskirche des hl. Demetrios einer basilikalen Anlage entsprochen und um 1310 durch einen Umbau das jetzige Aussehen erhalten hat (Struck). Von der traditionellen hauptstädtischen Kreuzkuppelkirche unterscheidet sich die Anlage dadurch, daß die mittlere Kuppel nicht auf vier Säulen ruht, sondern auf vier Pfeilern, die sich erst in der Empore erheben, während das Erdgeschoß wie in einer altchristlichen Basilika aus einem Paar von je vier Arkaden und je drei Säulen besteht. Unten wird daher eine ausgesprochen basilikale Tiefenrichtung mit Pseudonebenschiffen in die Wege geleitet, während sich über den Emporen eine Kreuzkuppelkirche erhebt. Zwei Bauideen, die tiefenbetonte basilikale und die in sich ruhende zentrale, kämpfen um die Vorherrschaft. Immerhin scheint dieser Prozeß sich hier noch in einem Anfangsstadium zu befinden, und die zentrale Bauidee, die einer basilikalen sozusagen »aufgestülpt« worden ist, beherrscht mit der Betonung der Eckkuppeln und des Tonnenkreuzes den Bau.

 

Einen Schritt weiter ist die Aphendikokirche des Brontochionklosters gegangen. Hier ist der tiefenbetonte basilikale Gedanke durch die Verselbständigung der Nebenschiffe erreicht worden, die im Erdgeschoß von je fünf Kuppeln überdeckt sind. Allerdings wird diese »Emanzipierung« der Seitenschiffe im Erdgeschoß durch die Kuppel im Mittelquadrat und die Eckkuppeln in den oberen Teilen übertönt. Die fremdgewordene »fränkische« basilikale Tiefenrichtung wird zwar auf dem Wege über die altchristliche Basilika eingeführt, aber von der rein byzantinischen Idee der Kreuzkuppelkirche symbolhaft beherrscht.

 

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Die Kirche des Pantanassaklosters schließt sich engstens an die Aphendikokirche an. Beide bilden den letzten Ausklang der Palaiologenarchitektur vor dem Zusammenbruch Konstantinopels (1453) und Mistras, das den Pall von Konstantinopel um sieben Jahre überdauert hat.

 

Während die Grundgestaltung der wichtigsten Anlagen Mistras aus für diese Periode so bezeichnenden »verhüllten Kompromißlösungen« bestand, sind an anderen Stellen eindeutige Einbrüche der »fränkisch-gotischen Architektur« zu verzeichnen. So besitzt eine Reihe von Anlagen Glockentürme (Aphendikokirche, Turm des Peribleptosklosters und der Pantanassakirche). Zu den schönsten Turmschöpfungen gehört der Turm an der Westfassade der Kirche des Pantanassaklosters. Der Turm trägt in seinem Verhältnis zum Bau den Charakter eines italienischen Campanile, in seinen Formen aber lehnt er sich an französische Vorbilder an. Die stark durchbrochenen Wände, die Dreipässe, die spitzen Giebel und der spitze Turmhelm mit Ansätzen von Fialen sprechen eine deutliche Sprache. Auch die Außendekoration der Pantanassakirche mit ihren Blendarkaturen, Spitzbogen, kielbogenartigen Dekorationsmotiven bildet eine Mischung von gotischen und islamisierenden Elementen, die an Sizilien erinnern (Dom von Cefalü, Monreale). Dagegen erinnert die leichte, loggienartig durchbrochene Vorhalle an italienische Denkmäler der Frührenaissance.

 

Diese letzten Spuren italienisch-abendländischen Einflusses vor der Eroberung Griechenlands durch die Türken werden begreiflich, wenn man bedenkt, daß in der Klosterkirche von Pantanassa berühmte historische Persönlichkeiten ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, so die Gemahlin des letzten byzantinischen Kaisers Konstantinos XL, Theodora Tocco, und die sowohl durch ihre Schönheit als auch Seelen- und Charaktergröße berühmte Gemahlin des Despoten Theodoros II. von Mistra, Kleepe Malatesta (Abb. 16).

 

Eine grundverschiedene Entwicklung nahm die strenge Klosterarchitektur des Berges Athos. Es herrscht hier die alte Bauform des Dreipasses (Trikonchos) vor. Wir können diese Form bis in die altchristliche Architektur zurückverfolgen (Cella Trichora in Rom, rotes und weißes Kloster in Ägypten). Am Athos wird dieser Trikonchos mit einer Kuppel und einer reichgestalteten Vorhalle verbunden. Diesen Typus finden wir in den frühesten Anlagen vertreten (Katholikon von Lavra, um 1004 beendet; Iviron und Vatopedi bilden Nachahmungen von Lavra).

 

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Auch in der Palaiologenarchitektur bleibt dieser Typus unverändert. Neuerungen treten nur innerhalb dieser Grundstruktur auf. Die Kuppel ruht auf Säulen, und die Proportionen werden schlanker (Chilandar aus dem 13. Jh.). Neu ist ein großer quadratischer Vorbau, der aus mehreren Traveen besteht und von zwei Kuppeln gekrönt wird (das sog. liti). Dieser Raum dient zur Verrichtung von liturgischen Gebeten und schützt die eigentlichen Sakralräume vor dem zu raschen Eindringen in dieselben (Chilandar, 13. Jh., Pantokrator, 1363, Esphigmenu, 14. Jh.).

 

Die Architektur der Athosklöster hat einen großen Einfluß auf die Klosterbaukunst Griechenlands und der Balkanländer ausgeübt.

 

 

3. Die Stilwandel in der monumentalen Malerei

 

Mit der palaiologischen Renaissance ist auch eine Reihe von monumentalen Malereien verknüpft. Zu den bedeutendsten dieser Denkmäler gehören die Mosaiken der Chorakirche (Kachrije-Djami) in Konstantinopel und die Fresken in den Kirchen Mistras.

 

In der Tat bedeuten sie einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der spätbyzantinischen Malerei und zeigen vielleicht die größte Wandlung, die sich innerhalb der byzantinischen Malerei vollzogen hat. Was die Mosaiken der Chorakirche und die Fresken von Mistra betrifft, so bedeutet das Wort Renaissance im Zusammenhang mit ihnen etwas anderes als in der Zeit der makedonischen Dynastie. Diese letzte Phase in der Geschichte der byzantinischen Malerei hat nicht mehr einen bloß restaurativen Charakter, sondern weist eine reale Wandlung auf, die für die ganze spätbyzantinische Kunst von entscheidender Bedeutung gewesen ist.

 

Ober den stilgeschichtlichen Verlauf der palaiologischen Malerei, deren Bedeutung erst in der allerneuesten Zeit erkannt wurde, bestehen zwei verschiedene Ansichten. Die ältere scheidet die Palaiologenmalerei in eine makedonische und in eine kretische Schule (Millet), während die neuere einen malerischen Stil des 14. Jh. (frühpalaiologisch) und einen beruhigteren, klassizistisch-graphischen der zweiten Hälfte des 14. Jh. und des 15. Jh. (spätpalaiologisch) annimmt (Lazarev). Die erstere Ansicht beruht auf keinen sicheren Grundlagen, dagegen hat die zweite den Vorteil,

 

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stilgeschichtliche Kriterien zur Beurteilung der Palaiologenmalerei herangezogen zu haben.

 

Allerdings kann man eine Trennung zwischen dem 14. und 15. Jh. noch nicht durchführen, da das malerische, oder besser ausgedrückt, das optisch-koloristische Element das ganze 14. Jh.,

 

 

Fig. 23 Konstantinopel. Kachrije-Djami (Chorakirche). Grundriß. Kernbau (schwarz) 12. Jh. Äußere Vorhalle und Seitenschiff Anfang 14. Jh.

 

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ja sogar das 15. Jh., beherrscht und somit das dominierende gewesen zu sein scheint, wenn man von entlegenen Provinzen (Georgien) oder einzelnen retrospektiven Handschriftenillustrationen (z. B. dem Hippokratescodex der Pariser Nationalbibliothek, Gr. 2144, um die Mitte des 14. Jh.) und Ikonen absieht. Allerdings bereitet sich später gegen Ende des 14. Jh. ein graphischer Stil vor, der dann im 15. und 16. Jh., z. B. in den Athosfresken und in der Ikonenmalerei, herrschend wird.

 

In der Chorakirche liegt der Hauptakzent der Mosaikausschmükkung (zwischen 1310—1320) in der inneren und äußeren Vorhalle (Fig. 23). Von den Mosaiken des Gemeinderaumes haben sich nur Fragmente erhalten, und zwar die Darstellung Christi und der Muttergottes an den Pfeilern des Templons und eine kürzlich bloßgelegte Darstellung der Entschlafung Mariens.

 

Der Hauptzyklus besteht aus der Geschichte Mariens und Christi. Er beginnt in der Nordkuppel der inneren Vorhalle, die mit den Medaillons Mariens in der Kuppel geschmückt ist, und setzt sich über die Kuppelzwickel, Lünetten und Gewölbe des Innennarthex fort. Dann geht der Zyklus weiter an der Nordseite der äußeren Vorhalle, endet in dem südlichen Vorraum der Trapeza (Refektorium) mit Wundern Christi und klingt in der südlichen Kuppel mit der Darstellung Christi Pantokrators aus. Es ist ein einheitlicher Zyklus mit zwei Mittelpunkten in den beiden Kuppeln.

 

Im Bogenfeld der Eingangstür zum Gemeinderaum befindet sich die Darstellung Christi mit dem knienden Stifter der Kirche, Theodoros Metochites, rechts und links vom Portal befinden sich die schlanken Figuren von Petrus und Paulus. Im Bogenfeld der Tür, die von der äußeren Vorhalle in die innere führt, befindet sich das Bild Christi Pantokrators, das durch seine Proportionen und Darstellungsweise aus der Reihe der anderen Darstellungen herausfällt und offenbar einem älteren Mosaikzyklus angehört.

 

Die Mosaiken der Chorakirche unterscheiden sich von ihren Vorgängern durch eine Reihe von entscheidenden inhaltlichen und stilgeschichtlichen Momenten. Es ist ein geschlossener Erzählungszyklus aus dem Neuen Testament, der sich ununterbrochen von der Marienbis zur Christuskuppel hinzieht, wenn wir es auch mit Einzeldarstellungen zu tun haben, die den episch-historischen Zyklus bilden.

 

Die Mosaiken muten wie eine Rückkehr zur altchristlichen Erzählungsweise an, jedenfalls bilden sie eine klare Absage an den Festzyklus der vorhergehenden Malerei,

 

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der bekanntlich sogar die Vorhallen erfaßte. Schon darin ist ein Umschwung erkennbar, die unzugängliche, feierlich-göttliche, weitabgewandte Sphäre der Feste wird zugunsten eines mannigfaltigen, stark humanisierten, die menschlichen Episoden der Heilsgeschichte herausstellenden Zyklus aufgegeben. Dabei kommen Szenen auf, die ungewöhnlich sind und die auf apokryphe Evangelienberichte zurückgehen (Verleihung des Purpurs an Maria, Abb. 17, usw.).

 

Ebenso stark unterscheiden sich die Mosaiken der Chorakirche in stilgeschichtlicher Hinsicht von den Vertretern der mittelbyzantinischen Monumentalmalerei. Verschieden ist die Raumgestaltung, die Bewegung der Figuren, der geistige Kontakt und das Aufkommen von Naturbeobachtungen.

 

In der Raumgestaltung ist sowohl eine Vertiefung des Raumhintergrundes als auch der neue Versuch, die vordere Raumbühne anzudeuten, entscheidend. An der Reise nach Bethlehem, der Verteilung des Purpurs an Maria, der Heilung des Gichtbrüchigen, den drei hl. Königen vor Herodes, der Warnung Marias durch Josef kann man diese Neuerungen in der Raumwiedergabe verfolgen. Ebenso treten sie in der Betonung des Hintereinanders von Menschen, Felsen, Architekturen und der neuen räumlichen Bedeutung der Architekturen in Erscheinung.

 

Man hat die Raumdarstellungen in der Chorakirche nicht mit Unrecht mit den Darstellungen der Josuarolle verglichen. Die Beobachtung der räumlichen Tiefe durch die Wiedergabe der Hintergrundsarchitektur, wie sie z. B. in der Warnung Marias durch Josef, in der Verteilung des Purpurs und im Gebet Annas auf kommt, übersteigt jedoch alles, was in der Josuarolle an Raumdarstellungen erreicht worden ist. Noch kühner sind die perspektivischen Verkürzungen der Architekturen in der Darstellung des Segens Marias durch den Hohenpriester. Draufsichten, kühnste Verkürzungen von in die Tiefe ragenden, turmartigen Portiken, ferner eine Verräumlichung von Figuren durch verkürzte Tischdarstellungen, übersteigen alles, was bis dahin in der antiken (pompejanischen), altchristlichen und mittelbyzantinischen Kunst an räumlichen Darstellungen erreicht wurde, so daß man von einer neuen, auf Beobachtung beruhenden Raumdarstellung sprechen kann.

 

Kühne Verkürzungen durch Drauf sicht auf ganz im Vordergrund befindliche Gegenstände finden wir bei den Krügen in der Hochzeit von Kana und dem Brunnen in der Verkündigung an Maria,

 

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so daß im Zusammenhang mit der ebenfalls verkürzten Architektur des Hintergrundes Tiefenwirkungen entstehen, die weder in der altchristlichen noch in der mittelbyzantinischen Malerei je erreicht wurden. Es genügt, auf die konzentrischen Kuppelausschmückungen in Ravenna (Neonbaptisterium) oder Hosios Lukas zu verweisen, um zu überzeugen, daß dort Verkürzungen entweder ganz vermieden oder nur in einzelnen Figuren mit unbeholfenen Mitteln versucht wurden.

 

Die neue Bedeutung der Vorderbühne, die Überschneidung von Figuren im Raum und vor allem die Vertiefung des Raumes ist eine Errungenschaft der Gotik. Sie tritt besonders eindringlich seit der Malerei des ausgehenden 13. Jh. in Italien auf (Cavallini, Giotto), und als Tendenz zur Dreidimensionalität könnten diese neuen Raumvorstellungen auch von der byzantinischen Malerei aufgegriffen worden sein. Aber nur die »raumgestaltende Tendenz«, d. h. der Stilimpuls, ist westlich. Er beruht auf einem neuen subjektiven Verhältnis zur Raumtiefe. Die Anwendung dieses Stilimpulses aber auf die Kuppeldekoration und die Verwendung von antiken Architekturen zur Verkürzung des Raumes ist durch und durch byzantinisch bzw. geht auf eine Wiederbelebung der antiken Architekturmotive zurück. Neu allerdings ist die Steigerung des Realitätsgrades im Verhältnis zwischen Figuren und Architektur (Tempelgang Mariens, Verteilung des Purpurs an Maria).

 

Im Gegensatz zur altchristlichen und mittelbyzantinischen Malerei ist auch die heftige Bewegung der Figuren neu (Flucht nach Ägypten, Ankunft in Bethlehem, Verkündigung, Warnung Mariens durch Josef). Bewegungen kommen einzeln auch in der mittelbyzantinischen Kunst vor, wie bei den Märtyrerszenen (Menologion Basils II.), aber sie sind hier durch die Drastik des Todes besonders bedingt gewesen; alle anderen Darstellungen dagegen sind streng hieratisch wiedergegeben. In der Chorakirche sind besonders hieratisch empfundene Szenen (Verkündigung, Wunderszenen, Szenen aus dem Leben Marias) bewegt dargestellt oder einzelne Figuren

 


 

Farbtafel VI Ikone. 14. Jh. Die vier Evangelisten mit Heiligenscheinen vor den acht übrigen Aposteln. Inschrift im Goldgrund: „Die Versammlung der zwölf Apostel". Ausschnitt (Vgl. Skizze S. 158)

 

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darin treten in eilender Hast auf (Maria wird von den Hohenpriestern gesegnet).

 

Aber auch dort, wo die Figuren sitzen (Hohepriester bei der Verteilung des Purpurs), wenden sie sich mit bewegten Gesten zueinander. Die Bewegung dient sowohl der Annäherung der Figuren untereinander als zur Verlebendigung der Darstellungen. Manchmal werden Bewegungen und hieratische Ruhe einander gegenübergestellt (Verteilung des Purpurs), um um so stärker zu wirken. Diese Bewegung, die auch die göttlichen Figuren (Christus, Maria) ergreift, verdrängt einen der wichtigsten Stilgrundsätze der mittelbyzantinischen Malerei, und zwar den auf Distanz, Entpersönlichung beruhenden Hieratismus. Die Vorgänge gewinnen an Lebendigkeit, werden dem Beschauer näher gebracht und dienen dem neuen Humanisierungsprozeß, der ebenfalls vom Westen her seine Impulse erhält,

 

Dasselbe gilt von den neuen geistigen Kontakten zwischen den einzelnen Figuren. Die Verlebendigung der Darstellung wird nicht nur durch die äußere physische Bewegung der Figuren, sondern auch durch geistige Beziehungen hervorgerufen. Die Figuren sind nie am Vorgang unbeteiligt. Sie sind entweder zu zweit innerlich geistig verbunden, wobei sich diese Verbindung bis zur intensivsten innerlichen Zwiesprache steigert (Hohepriester segnen Maria, Flucht nach Bethlehem, Maria im Tempel), oder die Gefühlsäußerungen mehrerer Figuren verbinden sich mit einer Figur (Heil- und Wunderszenen). Gesten, Kopf- und Körperneigungen auch der göttlichen Figuren verbinden die Szenen geistig zu einer Einheit, und es sind bereits Versuche vorhanden, den individuellen Gesichtsausdruck wiederzugeben. Auch diese Vertiefung des seelischen Ausdrucks, die zur Verlebendigung der Erzählung unendlich viel beiträgt, hat den auf geistiger Isolierung beruhenden Hieratismus überwunden. Hier sind zweifellos wiederum westliche Einwirkungen vorhanden, die mit den Verinnerlichungstendenzen der Gotik Zusammenhängen.

 

In die Szenen mischen sich spärliche Naturbeobachtungen, antike Bukolik und antike Genremotive (Pfaue, Vela, Ädikulen, wie im Gebet der Anna). Die Vegetation und der Brunnen mit dem plätschernden Wasser, der Mann mit dem Korb in der Warnung Marias und vor allem die Kranken in den Heilungsszenen verraten diese neuen Naturbeobachtungen. Der »schöne Figurenstil« ist öfters durchbrochen, und ein Abstieg von den weitabgewandten Sphären,

 

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in denen sich die Figuren in der mittelbyzantinischen Malerei bewegten, wird kenntlich. Auch in den Trachten tritt, wie in dem Stifter Theodor Methochites, das zeitlich Bedingte gegenüber dem Überzeitlich-Antiken zurück. Also auch hier ein intensiver Humanisierungsprozeß, der auf den gotischen Naturalismus hinweist.

 

Selbstverständlich treten alle diese Neuerungen in gemäßigten Formen auf, wir finden kein Aufgeben der Grundeinstellung der byzantinischen Kunst. So heben sich alle Szenen immer noch vom goldenen Hintergrund ab, als ob sie sich doch noch am Rande der Welt abspielen würden, überstrahlt von der unfaßbaren Unendlichkeit und Ausgedehntheit überweltlicher, goldener Kuppelsphären.

 

Stärker als in der mittelbyzantinischen Mosaikmalerei tritt das Licht in Erscheinung, bald als modellierender Faktor bei der Gewandung oder aufleuchtend in den Hintergrundskulissen (in den Felsen bei der Flucht nach Ägypten) oder ganze Partien grell beleuchtend (Hoheprieser im Segen Marias). Allerdings entbehrt das Licht in der Chorakirche dieser intensiven Wirkung, die es etwa in den Malereien von Mistra erreicht (Farbtafel II).

 

Außer den Mosaiken haben sich in der Trapeza der Chorakirche (Refektorium) Fresken erhalten. Leider befinden sich diese in einem sehr schlechten, teilweise fragmentarischen Zustand. Das Ausschmückungssystem entbehrt einer strengen Anordnung. In der Kuppel sind Maria mit zwölf Engeln und die Kirchenväter, auf der Decke das Jüngste Gericht, an den Wänden Szenen aus dem Alten Testament und eine Reihe von Heiligen, Kirchenvätern, hl. Kriegern usw. dargestellt.

 

Zu den hervorragendsten Kompositionen gehört die Darstellung des Propheten Jesaias mit dem Erzengel. Die heftige barocke Kontrapostbewegung des Erzengels und die Verräumlichung des Hintergrundes durch das Stadtbild übertreffen die Mosaiken. Auch in den einzelnen Köpfen der Heiligen und Kirchenväter (hl. Chrysostomos) tritt die Verinnerlichung und die Wiedergabe des Individuellen außerordentlich stark hervor. Wohl finden wir auch eine Lichtmodellierung der Gesichter, aber diese reicht nicht an die der Fresken in Mistra und Theophanes* des Griechen in der Verklärungskirche in Moskau heran. Nichtsdestoweniger würde der Stil für eine spätere Ansetzung der Fresken sprechen. Sie sind zweifellos nach den Mosaiken entstanden.

 

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Einen der bedeutendsten Ableger der hauptstädtischen Malerei bilden die Fresken von Mistra, der Hauptstadt Moreas. Zu den wichtigsten Zyklen gehören die Fresken der Metropolis (nach 1310), der Peribleptos aus der Wende des 14. zum 15. Jh. und der Phantanassa, die nach 1430 entstanden sind.

 

Neben den archaisierenden Darstellungen aus dem Leben des hl. Demetrius lehnen sich die Szenen aus dem Leben Christi im Hauptschiff in der Metropolis am stärksten an die Mosaiken der Kachrije Djami an. Sie zeigen dieselbe epische Erzählungsweise, ähnliche Architekturdarstellungen, Raumtiefe und perspektivische Verkürzungen, die die Darstellungen beherrschen.

 

Neuerungen treten dagegen in den Fresken der Peribleptoskirche und der Pantanassa, auf. Die höchste Qualität verraten die Fresken der Peribleptoskirche. Der neue Stil tritt in den Darstellungen aus dem Leben der Eltern Mariens, dem Leben Mariens und Christi in Erscheinung. Seinen Höhepunkt erreicht er in der göttlichen Liturgie der nördlichen Apsis. Neu ist in den Fresken der Peribleptoskirche auch der Lichtillusionismus. Blitzlichtartig tritt er in einigen Darstellungen auf, wie z. B. in der Begegnung Joachims und Annas an der Goldenen Pforte, oder in der Annahme des Opfers Joachims. Dieser gesteigerte Lichtillusionismus erfüllt das ganze Bild, die Figuren, die Architektur, ja sogar den Hintergrund mit einer visionär-mystischen, überweltlichen Atmosphäre.

 

Eine weitgehende Entmaterialisierung der menschlichen Figur durch Lichtintensivierung ist in der Figur Christi in der Verklärung und in den Engeln der göttlichen Liturgie vorhanden. Von bisher unübertroffener, unwirklicher Schönheit ist der rhythmische Fluß der durchleuchteten Gewänder und der in mystischer Versenkung im Lichtillusionismus hingehauchten Gestalten. Hier hat die palaiologische Malerei ihren Höhepunkt erreicht. Nicht durch Prunkgewänder, nicht durch Hof trachten und kaiserliche Insignien, sondern durch schlichte, aber allem Materiellen entrückte »schleierartige« Gewandbehandlung und tiefste Verinnerlichung wurde das Göttliche der Liturgie hervorgezaubert (Abb. 18).

 

Dagegen bedeuten die Fresken der Pantanassa einen Rückschritt. Die Farben sind krasser, die Umrisse härter, der Hauch des Ungegenständlichen hat sich verflüchtigt. Einzig in der Himmelfahrt ist das Visionäre beibehalten. Neu dagegen ist die Kühnheit der Raumdarstellung, z. B. in der Auferweckung des Lazarus oder im Einzug in Jerusalem. Der souveräne Aufbau der Landschaft in der Tiefe,

 

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die Raumzäsuren, die perspektivischen Verkürzungen von Figuren, die der Wirklichkeit mehr entsprechenden Stadtansichten, die zeitgenössischen Trachten erinnern so auffallend an italienische trecentistische Darstellungen (z. B. Ambrogio Lorenzetti), daß hier enge Beziehungen angenommen werden müssen.

 

Es gibt keine Anhaltspunkte, die in den Fresken von Mistra eine Scheidung zwischen einer makedonischen und einer kretischen Schule vorzunehmen erlauben würden, genauso wie es keine Beweise gibt, sie mit der syrischen Malerei in Zusammenhang zu bringen. Es ist eher anzunehmen, daß sie mit der hauptstädtischen Malerei in Verbindung stehen. Zwar haben wir in der Hauptstadt keine Beispiele des starken Lichtillusionismus feststellen können, Ansatzpunkte aber liegen in den Fresken der Chorakirche vor. Gegen syrische Einwirkungen spricht die Tatsache, daß sich bereits am Ausgang des 13. Jh. in zahlreichen Handschriftenillustrationen und Ikonen Tendenzen vorbereiten, die am Anfang des 14. Jh. zum Durchbruch gelangen (Lazarev), sich aber bereits im 13. Jh. mit den westlich-italienischen Kunsterrungenschaften auseinandersetzten.

 

Die Wandlungen in der spätbyzantinischen Malerei hat man auch mit dem Hesychasmus, d. h. einer mystisch-religiösen Bewegung, dessen Vertreter der Mönch Palamas gewesen ist, in Zusammenhang gebracht. Es ist gut denkbar, daß die Lehre von dem »unerschaffenenTaborlicht« mit dem Lichtillusionismus der Palaiologenmalerei in Zusammenhang steht, vielleicht eher als der am Ausgang des 15. Jh. entstehende trockene, klassizistische, graphische Stil.

 

Die Palaiologenmalerei Konstantinopels und Mistras hat auf alle anderen Provinzstädte und Länder einen nachhaltigen Einfluß ausgeübt. So vor allem auf Griechenland (Saloniki, Meteoraklöster) und auf die Malereien der Athosklöster. Von Griechenland oder Konstantinopel aus sind auch die Balkanländer von den neuen Strömungen erfaßt worden. Schwer zu unterscheiden ist allerdings, ob Rußland direkt von Konstantinopel oder auf dem Wege über Mistra beeinflußt wurde.

 

Die Fresken der Athosklöster aus dem 14. und 15. Jh. haben sich leider nicht in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten. Vor allem von den Malereien des 14. Jh. hat sich kaum etwas erhalten. Die Fresken des serbischen Klosters in Chilandar (Katholikon), einer Stiftung Milutins (1293), wurden 1804, die Fresken des Katholikons des Klosters Vatopedi aus dem Jahre 1312 wurden zweimal, 1789 und 1819, übermalt.

 

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Relativ noch am besten, trotz Übermalungen, haben sich die Fresken des Protaton in Karyäs erhalten, obwohl sie auch 1526/1540 gründlich restauriert bzw. neu gemalt wurden.

 

Während man vom Stil der restaurierten Fresken nur wenig aussagen kann, übt das Ausschmückungssystem, das nun lückenlos alle Wände bedeckt und sich friesartig ausbreitet, einen besonderen Reiz aus. Die Hauptfeste werden in die Konchen des Dreipasses verlegt, an den Gewölben und Wänden sind die evangelischen Begebenheiten dargestellt, während das strenge Pantokratorbild die Kuppel ziert. Es ist also die Rückkehr zum strengen hierarchischen Aufbau feststellbar. Eine thematische Neuerung bildet die Einführung von Passionsszenen.

 

Die eigentliche Blüte der Athosmalerei fällt in das 16. Jh. und hängt mit dem Maler Theophanes dem Griechen und anderen Malern aus Kreta zusammen (Lavra, 1535, Xenophontos, 1544—1563, Dionisiu, 1547, Dochiariu, 1568). Diese kretische Richtung zeichnet sich durch einen gewissen kühlen Akademismus und zum Linearen neigende Trockenheit aus.

 

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