Die Byzantinische Kunst

Wladimir Sas-Zaloziecky

 

II. Die Mittelbyzantinische Kunst

 

1. Allgemeine Voraussetzungen  38

2. Entstehung und Bedeutung der Kreuzkuppelkirche  39

3. Byzantinische Baukunst in Griechenland  48

4. Der Bilderstreit und die Renaissancetendenzen in der mittelbyzantinischen Malerei  57

5. Die monumentale Mosaikmalerei. Ausschmückungsprogramm, Raumwirkung, Hieratisierung und Hierarchisierung  60

6. Stil- und Formprobleme  66

7. Renaissancetendenzen in der Buchmalerei  69

 

 

1. Allgemeine Voraussetzungen

 

Die mittelbyzantinisclie Periode bildet einen mächtigen politischen Aufschwung des byzantinischen Reiches nach der schweren Krise des Ikonoklastenstreites.

 

Stark profilierte Kaiserpersönlichkeiten der Makedonischen Dynastie, wie Basileios I. (867—886), Leon VI. (886—912), Konstantin VII. (913—959), Porphyrogennetos und Basileios II., haben neue Grundlagen für die Erhaltung und Erweiterung des byzantinischen Staates geschaffen.

 

Nicht nur der Vorstoß der arabischen Welt in den orientalischen Provinzen wird aufgehalten, sondern die Balkanländer müssen nach Unterwerfung Bulgariens die Oberhoheit von Byzanz anerkennen.

 

Aber nicht nur politisch bedeutet diese Periode eine Stärkung des Reiches, sondern es macht sich auch ein bedeutender geistig-religiöser Aufschwung bemerkbar. Die Folge dieses Aufschwunges und der wiedererneuerten universalen Ansprüche der Ostkirche unter dem Patriarchen Photios ist der Bruch mit der römischen Kirche.

 

Kompensiert wird dieser Bruch durch eine äußerst geschickte Gewinnung der slawischen Völker für die östliche Kirche und Liturgie durch die Einführung der kirchenslawischen Sprache. Auf dem Weg über die orthodoxe Kirche werden Riesengebiete für die Ausbreitung der byzantinischen Kultur, also der ganze Balkan und Rußland, gewonnen. Der kirchliche und kulturelle Universalismus von Byzanz wendet sich nun dem Osten zu. Auch im Innern des Reiches ist eine geistige und kulturelle Erneuerung feststellbar.

 

Die Größe des Begründers des sich erneuernden Reiches, Basileios’ I., besteht darin, daß er die römische Reichstradition und Gesetzgebung mit der Erneuerung der griechischen Kultur zu verbinden sucht und so neue Grundlagen schafft, die bis zum Untergang des Reiches standgehalten haben (Ostrogorsky).

 

Der feinsinnige und kunstliebende Konstantin Porphyrogennetos bildet den Mittelpunkt von wissenschaftlich-humanistischen Studien, und man geht nicht zu weit, wenn man die sog. »Renaissanceerscheinungen« in der bildenden Kunst mit seinem Wirken in Zusammenhang bringt.

 

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Den Höhepunkt erreicht dieser politische und kulturelle Aufschwung von Byzanz unter Basileios II. (976—1025).

 

Die Bestrebungen zur Erhaltung der neu wiedergewonnenen Stellung von Byzanz werden auch in der Komnenenzeit (1081—1185) fortgesetzt. Dazu kommt noch ein neuer Kontakt mit dem Abendland, der durch die Kreuzfahrer eingeleitet wurde. Auch in dieser Periode treten bedeutende Kaiser auf, z. B. Alexios I. und Manuel I. Die Tradition des byzantinischen Humanismus wird von der Tochter Alexius51., Anna Komnena, fortgesetzt. Nichtsdestoweniger zeigen sich bereits im politisch-gesellschaftlichen Leben Risse, die auf einen nahenden Zusammenbruch hindeuten, der auch tatsächlich durch die Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer erfolgt.

 

 

2. Entstehung und Bedeutung der Kreuzkuppelkirche

 

Die Entstehung der Kreuzkuppelkirche geht auf den Beginn der justinianischen Architektur zurück. Die Kuppelbasiliken in Philippi, die Irenenkirche in Konstantinopel und die Marienkirche in Ephesos bilden direkte Vorstufen der Kreuzkuppelkirche, die sich zum herrschenden Bautypus der mittelbyzantinischen Architektur ausgebildet hat.

 

Wie in der justinianischen Architektur im allgemeinen, so hat es sich auch in der Kuppelbasilika um die Verbindung einer basilikalen Anlage mit einer zentralen Kuppelanlage gehandelt.

 

Wir haben es mit dreischiffigen, längsgerichteten Anlagen zu tun, auf die im Hauptschiff eine Kuppel aufgestülpt worden ist. Also im Grunde genommen ein Versuch der Verschmelzung beider Baugestaltungsformen. Daß diese Verquickung der grundverschiedenen Bauideen mit Ausnahme der Sophienkirche keine endgültige Lösung gefunden hat, beweisen die verschiedenen Lösungen desselben Problems in den Anlagen der Irenenkirche in Konstantinopel, in Philippi und in der Marienkirche in Ephesos.

 

Demgegenüber vollzieht sich in einer Reihe von Übergangsbauten, und zwar in der Sophienkirche in Saloniki (errichtet in der nachjustinianischen Periode), in der Koimesiskirche in Nikäa (7—8. Jahrhundert) und in der Kalender-Djami in Konstantinopel, die mit der Kirche des Akataleptosklosters heute identifiziert wird (850 datiert),

 

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eine Wandlung, die auf eine strengere Zentralisierung der Kuppelbasilika hinzielt und somit die Kreuzkuppelkirche der mitmelbyzantinischen Zeit vorbereitet.

 

Diese Wandlung äußert sich darin, daß der zentrale Kuppelteil eine beherrschende Rolle im Bauorganismus zu spielen beginnt. In allen drei erwähnten Anlagen sind die basilikalen, längsgerichteten Tendenzen weitgehendst zurückgegangen: der eigentliche Gemeinderaum besteht nunmehr aus dem Kuppelraum und den über das Kreuz verlängerten (tieferen und seichteren) Tonnengewölben und massiven oder durchbrochenen Pfeilern, auf denen die Hauptkuppel ruht. Also bereits im Kuppelraum sind die basilikalen Tiefentendenzen, wie sie etwa in den justinianischen Kuppelbasiliken vorgeherrscht haben, weitgehendst durch den Zentralkuppelraum ausgeschaltet.

 

Ebenso grundsätzlich anders ist das Verhältnis der Umgänge zum zentralen Kuppelraum. Entscheidend ist, daß die basilikalen Nebenschiffe sich in Umgänge verwandelt haben, die sowohl mit der breiten Vorhalle als auch mit den östlichen Eckräumen und dem Altarraum verbunden werden. Es entsteht also ein Kranz von Umgängen um die zentrale Kuppel, wodurch der Bau einen dem Quadrat angenäherten Grundriß erhält.

 

Besonders klar treten diese neuen Tendenzen in der Sophienkirche in Saloniki und der Koimesiskirche in Nikäa zutage. Der einzige Überrest der basilikalen Anlage, die Säulen und Arkadenstellungen, befinden sich nun im Gegensatz etwa zur Irenenkirche in Konstantinopel am Ende der südlichen und nördlichen Tonnengewölbe, so daß sie ihre entscheidende Tiefenrichtung, oder noch klarer ausgedrückt, Tiefenrhythmisierung als Hauptbestandteil einer Basilika verlieren. Zu voller, ungestörter Wirkung dagegen gelangt der Kuppelraum mit seinen über Kreuz geführten Tonnengewölben (Fig. 15).

 

Wie klar diese zentrale Raumpartie nun mit einem Kuppelorganismus zusammenhängt, beweisen die Stützen. Sie werden nicht mehr verdeckt, sondern offengelassen, so daß ihre stützende Funktion sehr stark in Erscheinung tritt (z. B. in Saloniki, wo man diese Stützen mit Recht als Elefantenfüße bezeichnet hat). Im Gegensatz zu dem hochentwickelten Verstrebungssystem der justinianischen Architektur ist es bezeichnend, daß die Last der Kuppel nun auf ihren eigenen, im Innern sichtbaren Stützen ruht, mögen sie wie in Nikäa massiv oder wie in der Kalen der-Djami in Konstantinopel durchbrochen sein.

 

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Wir haben es hier daher mit einer vollkommenen Loslösung des Kuppelraumes als selbständigen Bauorganismus von einer basilikalen Bauform zu tun.

 

Man hat den Eindruck, daß in diesen Bauten der streng zentrale Baugedanke über den basilikalen den Sieg davongetragen und gleichzeitig zu einer Entfremdung von der westlichen Architektur geführt hat. War die ganze justinianische Reichsarchitektur ein Kompromiß zwischen Ost und West, so scheint es, daß der Westen mit seinen längsgerichteten Tiefentendenzen in diesen Übergangsbauten zurückgedrängt worden ist. Es bildet sich eine Raumgeschlossenheit aus, die alle rhythmischen Tiefentendenzen und jede Bewegung im Raume weitgehendst unterdrückt.

 

Als Erbe der justinianischen Periode kann jedoch sowohl die Erhebung des Raumes zum wichtigsten Element der Architektur als auch die farbig-koloristische und optische Auflösung dieses Raumes bezeichnet werden. In der Ausschmückung der Kalender-Djami, soweit sie sich noch erhalten hat,

 

Fig. 15 Saloniki. Sophienkirche. Nachjustinianisch. Grundriß und System

 

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kann man die Verkleidung der Mauern mit farbigen Marmor- und Porphyrplatten und eine ähnliche Feldereinteilung wie in der Sophienkirche in Konstantinopel beobachten. Die Gewölbe und die Kuppeln waren, wie man es noch in der Sophienkirche in Saloniki sieht, mit Mosaiken bedeckt. Die farbig-illusionistische Raumbehandlung hat sich in der Architektur der Übergangszeit und von hier aus in der mittel- und spätbyzantinischen Architektur fortgesetzt. Auch die kubisch-blockmäßige Außengestaltung der justinianischen Architektur setzt sich, wie man das aus allen drei Übergangsbauten ersieht, fort. Daß die aus diesen Übergangsbauten hervorgehende Kreuzkuppelbasilika in der hauptstädtischen Architektur und nicht in den byzantinischen Provinzen entstanden ist, beweist eine Reihe von kleinasiatischen Anlagen.

 

Die Kuppelbasilika in Meriamlik, die man in die Zeit Zenons (474—491) verlegte, die aber ihrer ganzen Formgestaltung nach eher im 6. als im 5. Jh. entstanden sein dürfte, schließt sich der Gruppe justinianischer Kuppelbasiliken (Irenenkirche, Philippi) an. Daß sie jedoch kaum als Vorbild derselben auf gef aßt werden darf, beweist die Folgerung, daß der quadratische Raum vor der Apsis mangels aller Schuttreste mit einem Zeltdach und nicht mit einer gewölbten Kuppel versehen war.

 

Eine weitere Bestätigung, daß die hauptstädtische Kuppelbasilika in Kleinasien ungewölbt und mit einem Zeltdach überdeckt gewesen ist, liefert die Anlage in Kodja Kalessi in Isaurien, wo nachweisbar die mittlere Partie mit einer Dachkonstruktion überdeckt gewesen ist. Die Anlage ist nicht datiert, dürfte aber in die Zeit der Entstehung der hauptstädtischen Kuppelbasilika fallen, demnach schwerlich vor dem 6. Jh. entstanden sein (Fig. 16).

 

Auch spätere Anlagen in Kleinasien zeigen eine retardierende Tendenz, wie z. B. die Klosteranlage in Dere Ashy in Lykien. Der Bau schließt sich, obwohl er im 8. Jh. entstanden sein dürfte, noch den kuppelbasikalen Anlagen, etwa der Irenenkirche in Konstantino'pel, an. Die Dreischiffigkeit ist noch gut erkennbar, und die Form der kreuzartigen Bildung der Tonnengewölbe tritt wie in der Irenenkirche erst über den südlichen und nördlichen Bogenstellungen zutage.

 

In allen erwähnten Anlagen sind Ansätze zur Ausbildung einer Kreuzkuppelkirche vorhanden, aber erst in der Zeit der makedonischen und komnenischen Dynastie tritt der klassische Typus einer byzantinischen Kreuzkuppelkirche auf.

 

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Fig. 16 Kodja Kalessi (Isaurien). Basilika mit Holzkuppel. 6. Jh. Grundriß

 

 

Weder die Kirche der Theodosia (sog. Rosenmoschee) in Konstantinopel, aus dem 8—9. Jh., noch die Anlage in Skripu aus der makedonischen Zeit, eine Stiftung des Protospathar Leo aus den Jahren 873/74, bilden ausgesprochene Kreuzkuppelkirchen.

 

Die Kirche der Theodosia — verstümmelt durch zahllose Umbauten aus byzantinischer und türkischer Zeit — dürfte in dem alten Kern mit sehr massiven Innenstützen und breiten Umgängen auf die kuppelbasilikalen Anlagen des 6. und 7. Jh. zurückgehen und muß als Prototyp der Kreuzkuppelkirche ausscheiden.

 

Dasselbe gilt für die Anlage in Skripu in Böotien. In Skripu und ähnlichen Anlagen auf dem Balkan, wie z. B. der Johanneskirche in Mesembria, haben wir es mit einer archaisierenden Tendenz, einer Verbindung von langgestreckten, tonnenüberwölbten Nebenschiffen und einer durch Tonnen angedeuteten Kreuzform mit einer Kuppel in der Vierung zu tun. Es ist eine gezwungene Verbindung von Basilika und kreuzkuppelartiger Bauform vorhanden, die auf eine provinzielle Lösung hinweist, die zwar auf die Balkanländer einen Einfluß ausübte, aber keinesfalls als Ausgangspunkt einer neuen Lösung der Kreuzkuppelkirche bezeichnet werden kann. Es ist z. B. besonders bezeichnend, wie die Kuppel hier nicht etwa auf selbständigen Stützen, sondern auf undifferenzierten Mauern ruht und daher in dieser Hinsicht keinen Fortschritt gegenüber der Kuppelbasilika bildet.

 

Wann jedoch die »klassische« Kreuzkuppelkirche in der Hauptstadt zum erstenmal in Erscheinung getreten ist, ist schwer zu sagen,

 

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da eine der wichtigsten Bauanlagen der makedonischen Epoche, die sog. Nea Basileios’ I. sich nur in Beschreibungen erhalten hat. Die Nea (Weihe 881), die wir aus den Beschreibungen des Zeremonienbuches des Konstantinos Porphyrogennetos kennen, dürfte aber eine fünfschiffige, nicht eine dreischiffige Anlage gewesen sein, so daß sie in dieser Hinsicht kein direktes Vorbild der dreischiffigen Kreuzkuppelkirchen bilden konnte. Aber die neuen konstruktiven und baukünstlerischen Probleme, die sich auf das neue Verhältnis der Kuppel zu den Stützen und eine neue Raumgestaltung bezogen haben, scheinen in der Nea tatsächlich den Typus der klassischen byzantinischen Kreuzkuppelkirche bestimmt zu haben. Aus der Beschreibung geht hervor, daß die Nea fünf Kuppeln und einen ziemlich freien Blick auf die Gewölbe ermöglichte, was allerdings dafür sprechen würde, daß hier bereits ausgebildete Ecklösungen und freie Stützen angewendet wurden.

 

Besser als aus den Beschreibungen kann man diese wichtigen Neuerungen an folgenden erhaltenen und bedeutenden Bauten Konstantinopels der makedonischen und komnenischen Periode beobachten: der Stiftung des Romanos Lekapenos, der Kirche des Myreleionklosters (sog. Bodrum Djami, 920—944), dem Agios Theodoros (sog. Kilisse-Djami aus der zweiten Hälfte des 11. Jh.), der Kirche des Pantepoptu — des Allüberschaubaren Christus (EskiImaret-Djami), einer Stiftung der Anna Dukäna (1081—1118) und dem monumentalsten Bau aus der Zeit der Komnenen, dem Pantokratorkloster (Zeirek-Djami), einer Stiftung Johannes’ II. Komnenos (1118—1143) und seiner Gemahlin Irene. Eine dreischiffige Anlage mit Umgang hat sich, neuen Forschungen zufolge, in der Nordkirche der Fenari-Issa-Djami, in der man eine Stiftung Konstantin Lips aus dem 10. Jh. erblickt, erhalten.

 

Am anschaulichsten spiegeln sich diese neuen Bauideen in der Kirche des Agios Theodoros und der Südkirche des Pantokratorklosters wider (Fig. 17).

 

Im Gegensatz zu den Übergangsbauten bemächtigt sich nun eine neue Raumgestaltung der Kreuzkuppelkirche. Die alte Tendenz, die konkrete geschlossene Raumsubstanz zu entstofflichen, tritt uns in diesen neuen Bauten entgegen. Sie äußert sich in neuen Verräumlichungstendenzen im Gegensatz zu den stark zentralisierten Anlagen der Übergangsbauten, etwa in der Sophienkirche in Saloniki.

 

Diese Neuerungen bestehen im folgenden: Ersetzung der schweren,

 

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Fig. 17 Konstantinopel. Kilisse-Djami (Agios Theodoros). Kernbau (schwarz) 10., Vorhalle (schraffiert) 13. Jh. Grundriß

 

 

massigen, im Mauerverband verankerten Stützen durch dünne Pfeiler oder gar Säulen (Theodoroskirdie, die ursprünglichen Säulen der Südkirche des Pantokratorklosters), Befreiung der Ecklösungen aus ihrer Gebundenheit mit der Mauermasse. Die Ecklösungen werden durch Arkaden an allen drei Seiten durchbrochen und als Raumeinheit durch Kuppeln hervorgehoben, so daß die Trennung zwischen Umgängen und Hauptschiff, wie sie noch in der Sophienkirche in Saloniki besteht, aufgehoben wird. Zuletzt öffnen sich der Altarraum und die beiden Apsiden dem Gemeinderaum zu, so daß statt der Isolierung und Zentralisierung die Tiefentendenzen stärker in Erscheinung treten.

 

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Damit wird die Längsrichtung der Anlage stärker hervorgehoben.

 

Wenn man alle diese einschneidenden Neuerungen zusammenfaßt, dann ergibt sich, daß die Kreuzform der Tonnengewölbe mit der Kuppel in der Mitte den ganzen Bauorganismus durchdringt: sowohl räumlich als konstruktiv. In den Übergangsbauten könnte man die Umgänge, die Apsiden und die Vorhalle entfernen, und der mittlere Kern mit der Kuppel würde unversehrt weiterbestehen. In dem neuen Typus greift nun ein Teil in den andern so stark ein, daß hier eine Entfernung eines Teiles ohne Einsturz des andern unmöglich wäre. Der Bau besteht nicht mehr aus einem Kern und einer Ummantelung des Kerns, sondern alles gehört zum Kern. Auch die Last der Kuppel ruht nun nicht mehr auf den massiven Innenstützen, sondern die Last verteilt sich auf die Ecklösungen und sogar auf die Außenwände. Man kehrt eigentlich zu dem frühbyzantinischen System der Verstrebungen zurück, obwohl man dieselben vor den Augen des Beschauers nicht verdeckt. Man erfindet eben ein neues Verhältnis von Last und Stütze, indem man bis zum äußersten die Stützen entlastet, d. h. dünne Pfeiler oder gar Säulen als Stützen der Kuppel einführt.

 

Die Folge dieses künstlichen Entlastungssystems ist eine weitgehendste Verräumlichung des ganzen Innenraumes. Von allen Seiten zu öffnet sich der Raum, weil keine schweren und massiven Stützen den Raumeindruck versperren. Auch der Tiefe nach wird der Raum übersichtlicher, indem er sich hintereinander staffelt. Trotz aller Zentralität kommen wieder Tiefenwirkungen des Raumes auf.

 

Und als letzte Neuerung kann die aufstrebende Tendenz der ganzen Anlage bezeichnet werden. Dazu trägt die Längsstreckung schmaler Arkaden mit hohen Bogenstellungen bei sowie die vertikalen Tendenzen der Säulen als Stützen der Kuppel, ein hoher Tambour und eine kleine, aber steil abschließende Kuppel. Die schwere massive Kuppel der Übergangsbauten wird auf gegeben, und an ihre Stelle tritt eine leichte, in die Höhe gezogene Kuppel von geringem Umfang. Der Bau wird nun nicht nur der Tiefe nach, sondern auch der Höhe nach akzentuiert.

 

Durch zwei charakteristische Stileigenschaften zeichnet sich die »klassische« byzantinische Kreuzkuppelbasilika aus: durch eine neue Verräumlichung, das heißt, daß der ganze Bauorganismus der Gestaltung des Raumganzen dient,

 

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und durch neue Entstofflichungstendenzen. Diese Entstofflichungstendenzen bestehen in der äußersten Verfeinerung der einzelnen, konstruktiv wichtigen Bauteile, wie der Säulen, der Arkaden, der Kuppel. Es ist für die ganze Geschichte der byzantinischen Baukunst im Gegensatz zur eigentlichen abendländischen Architektur bezeichnend, daß sie nicht grundsätzlich neue Bauformen erfindet, wie etwa die Gotik, sondern die alten ererbten Bauformen verfeinert. Darin spiegelt sich ein konservativer Zug der byzantinischen Kunst. Es ist nicht ein Bruch mit der alten Tradition, sondern eine zur Perfektion erhobene Verfeinerung vorhanden.

 

Auch die frühbyzantinische Architektur hatte durch den gesteigerten Kolorismus und eine illusionistische Verstrebungsarchitektur höchste Entstofflichungstendenzen gezeigt. Diese Entstofflichungstendenzen bleiben auch in der mittelbyzantinischen Kreuzkuppelkirche bestehen, werden aber durch die Entstofflichung der Bauformen noch erheblich gesteigert. Wenn man den Grad der Entstofflichung der byzantinischen Architektur mit dem der gotischen vergleicht, so kann man, trotz aller entscheidenden Unterschiede, sich der Auffassung kaum verschließen, daß die mittelbyzantinische Architektur des 12. Jh. hinter der gotischen in bezug auf Entstofflichung nicht zurücksteht. Nur die Mittel, mit welchen diese Wirkungen erreicht werden, sind verschieden.

 

In einigen Anlagen des neuen Typus treten Umgänge auf (ursprünglich wohl auch in dem Agios Theodoros, aber klar sich abzeichnend in der Nordkirche der sog. Fenari-Issa-Djami). Aber man darf sie wohl nicht mit Nebenschiffen verwechseln. Sie ummanteln bloß den Bau von den Seiten. Man könnte sie wohl entfernen, ohne daß der Kern darunter leiden würde. Dadurch wird nach außen hin eine stärkere Geschlossenheit und Blockmäßigkeit der Anlage erreicht. Neu am Außenbau ist das Aufkommen der vier Nebenkuppeln, welche der mittleren Kuppel das Gleichgewicht halten, und eine immer häufiger anzutreffende Tendenz, dem Bau durch Schichtwechsel und farbige Steinanlagen einen farbigen Eindruck zu verleihen. Wir werden diese Tendenzen in der byzantinischen Architektur des 13. Jh. und in der Palaiologenarchitektur fortgesetzt und intensiviert wiederfinden.

 

Die neue Schöpfung der makedonischen und komnenischen Periode hat auch einen starken Einfluß auf die byzantinischen Provinzen ausgeübt.

 

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Im Osten sickerte der hauptstädtische Einfluß nur spärlich durch wie in Kleinasien, da die einzelnen Provinzen nacheinander unter die Herrschaft der Araber geraten sind. Selbstverständlich handelt es sich hier um die Beeinflussung der orthodoxen sakralen Architektur. Die islamische Architektur und Malerei wurde dagegen von der byzantinischen öfters auch im Mittelalter beeinflußt (Damaskus, Omarmoschee; Jerusalem, Felsendom, und sogar bis nach Bagdad reichen byzantinische Einflüsse). Dagegen haben andere Länder, die immer noch unter byzantinischer Herrschaft oder byzantinischem Einfluß standen, stärkere Impulse von der klassischen Form der Kreuzkuppelkirche erhalten. An erster Stelle stehen Griechenland und die griechischen Inseln, dann die eigentlichen Balkanländer und Rußland.

 

 

3. Byzantinische Baukunst in Griechenland

 

Die mittelbyzantinische Kreuzkuppelkirche spielt in Griechenland eine dominierende Rolle. Sie bestimmt den Charakter einer Reihe von Gebieten: vor allem in Attika, Böotien, Thessalien, Epirus, im Peloponnes, in Lakonien, Argolis, Messenien, Arkadien und Elis.

 

Man kann einige Lösungen von Kreuzkuppelkirchen in zeitlicher und stilistischer Hinsicht in der sog. griechischen Bauschule unterscheiden. Vor allem Kirchen mit Pfeilern, Säulenstützen und solche mit zwei Säulenstützen.

 

In den Kirchen mit Pfeilerstützen (z. B. der Theodoroskirche in Athen, 1050, und der Kako-Wuno, der Asomatikapelle im südlichen Peloponnes um 900) spiegelt sich ein lokaler archaischer Zug der griechischen Bauschule. Die Stützen sind außerdem nicht ganz frei und hängen mit Schiffswänden zusammen, die mit längsgerichteten Tonnen überwölbt sind. Es ist die alte, in Griechenland auch noch im Mittelalter verwurzelte basilikale Tradition,

 


 

Farbtafel III Staurothek. LimburglLahn. Domschatz. Reliquiar für das Wahre Kreuz. 948—959. Gold und Email cloisonne. Gesamtgröße (vgl. Abb. 20) 48 X 35 cm. Teil des Kaiserlichen Schatzes in Konstantinopel. Während des 4. Kreuzzuges 1204 nach dem Westen verschleppt

 

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die hier zum Ausdruck gekommen ist und die sich auch in Skripu (Böotien) in einer noch stärker traditionsgebundenen Form vorfindet.

 

Die Verwendung von längsgerichteten Tonnengewölben in den Nebenschiffen betont wiederum — ungeachtet der Quertonnen der beiden Querschiffe — die tiefenbezogene basilikale Tendenz. Sie steht auch in einem gewissen Gegensatz zur hauptstädtischen Architektur, wo ausgesprochene Ecklösungen, welche mit Kreuzgewölben, später mit Kuppeln überwölbt werden, entstehen und den zentralen Baugedanken stärker hervortreten lassen. Es ist noch hervorzuheben, daß diese tonnenüberwölbten »Nebenschiffe« auch in den stärker von der hauptstädtischen Architektur beeinflußten Bauten wiederkehren und der Raumgestaltung der griechischen Architektur ein besonderes Gepräge verleihen.

 

Die hauptstädtische Kreuzkuppelkirche mit Säulenstützen dringt Zuerst in die wichtigsten Hauptstädte Griechenlands, Athen und Saloniki, ein oder tritt in kaiserlichen Stiftungen, wie in Hosios Lukas in Stiris auf. Von da verbreitet sie sich in alle anderen Landteile Griechenlands.

 

Zu den schönsten Viersäulenkirchen Athens gehörten die Kirche des Kaisarianiklosters am Hymettos, die aus dem Anfang des 12. Jh. stammen dürfte (Fig. 18), und die kleine Panagia Gorgopiko (kleine Metropolis), die ursprünglich an Stelle von Pfeilern mit Säulen versehen war. Sehr schöne Beispiele stilistisch verwandter Viersäulenkirchen besitzt die benachbarte Argolis, an deren Spitze die Kirchen in Chonika (Anfang 11. Jh.), Merbaka (1190) und Aria-Nauplion (1148) stehen. Im Peleponnes gehört zu dieser Stilgruppe die Anlage in Karuda, die der von Kaisariani am nächsten steht.

 

In Saloniki hat sich in der sog. Kazandjilar-Djami (Panagia ton chalkeon) aus dem Jahre 1028 eine reine, hauptstädtisch beeinflußte Viersäulenkirche erhalten. Die Nebenkirche des Klosters Hosios Lukas hat sogar die mit Kreuzgewölben bedeckten Ecklösungen von der hauptstädtischen Architektur (vgl. die Kalender-Djami, die Kirche des Myreleionklosters in Konstantinopel) entlehnt und dürfte aus den ersten Dezennien des 11. Jh. stammen (Fig. 19).

 

Die Zweisäulenanlagen verwenden nur als Weststützen Säulen, während die östlichen Stützen aus Pfeilern bestehen. Solche Anlagen haben sich in ganz Griechenland erhalten (z. B. die Taxiarchoskirche in Athen, die Erlöserkirche in Amphissa; Vurkano, Samari und Gastuni im Peloponnes).

 

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Diese Anlagen treten auch in Thrakien und Bulgarien auf, und es bestellt die Möglichkeit, daß sie gleichfalls auf Konstantinopel zurückgehen, obwohl sich in der byzantinischen Hauptstadt keine derartigen Anlagen erhalten haben.

 

In der Kirchenanlage von Nikli-Tegea aus dem 12. Jh. und der Pantanassa bei Monemvassia 12./13. Jh. erreicht die reife, räumlich ausbalancierte, hauptstädtische, quadratisch angelegte und mit Eckkuppeln versehene Kreuzkuppelkirche ihren Höhepunkt.

 

Auch in der Außengestaltung unterscheiden sich die griechischen Kirchenbauten von den hauptstädtischen. Wohl gehen diese Unterschiede auf altgriechische Traditionen und Baugewohnheiten zurück. Vorzugsweise werden Quadersteine oder gar Marmorblöcke im Aufbau der Wände verwendet. In Merbaka bilden alte Marmorblöcke einen um den ganzen Bau herumlaufenden Sockel, auf dem sich der eigentliche Bau erhebt. Die Quadersteine werden von schmalen Ziegeln umrahmt. Aus reinen Ziegeln werden meistens nur Fenster, Kuppelteile oder Apsispartien errichtet. Die farbige Wirkung wird durch Schichtenwechsel (gelbe Quadersteine, rote Ziegel, weiße, mit Mörtel ausgefüllte Quaderfugen) erreicht, durch glasierte Ornamentik und mäanderartige Friese, die einen horizontalen Mauer-, Apsidenoder Kuppelabschluß markieren (Theotokoskirche Hagia Moni zu Aria-Nauplion, Merkaba).

 

Im Gegensatz zur Hauptstadt werden Abrundungen der Kuppeln, Apsiden und Bogenabschlüsse vermieden und durch polygonale Formen oder Giebeldreiecke (Chonika, Merkaba) ersetzt. Es ist also die kristallinisch scharf sich abzeichnende Klarheit der Außenarchitektur, die hier, in einem gewissen Gegensatz zu den weicheren, abgerundeteren, eher aus dem Ziegelbau hervorgehenden Bauformen Konstantinopels, zum Vorschein tritt und die ein schattenhaftes althellenisches Erbe fortsetzt. Außerdem haben sich in Griechenland kreuzartige, freistehende Bauten ohne Innenstützen scheinbar noch als Fortsetzung der altehristlichen Tradition erhalten (z. B. Soterkirche zu Plataniti in Argolis, Peterskirche in Pirgos).

 

Dagegen muß als unbewiesen gelten, daß die griechische Kreuzkuppelkirche aus den erwähnten freistehenden Bauten durch Hinzufügung von Ecklösungen (wie etwa in Hosios David in Saloniki oder in Navarino im Südpeloponnes, in einem Bau, der höchstwahrscheinlich aus türkischer Zeit stammt) entstehen konnte. Ebensowenig ist ihre Entstehung in Kleinasien zu suchen, da die kleinasiatischen Bauten der justinianischen Zeit,

 

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Fig. 18 Athen. Kirche des Kaisarianiklosters am Hymettos. Anfang 12. Jh. Grundriß

 

 

soweit sie nicht von Konstantinopel beeinflußt waren, ungewölbt gewesen sind (Rusapha, wölbungsloser Kreuzkuppeltypus).

 

Stilistische Übereinstimmungen sprechen eher dafür, daß sich die griechische Kreuzkuppelkirche im engsten Anschluß an die hauptstädtische entwickelt hat.

 

Eine Gruppe unter sich verwandter Kirchenanlagen bilden die sog. Achtstützenkirchen. Es gibt Achtstützenkirchen ohne Umang, wie die Nea Moni auf Chios (um 1054) und ihre Replik in Krina auf Chios, und Achtstützenkirchen mit Umgang, die in mehreren festländischen Anlagen auftreten, und zwar in Hosios Lukas in Stiris (Anfang des n.Jh.), in Christianu im Peloponnes (Anfang des

 

Jh. oder später), in der Panagia Likodimu, Athen (vor 1144), in Daphni unweit von Athen (zweite Hälfte des 11. Jh.), in der Panagia Paragoritissa (Anfang des 13. Jh.), in Monemvassia (Ende des 13. Jh.) und in der Theodoroskirche in Mistra (um 1296).

 

Zu den monumentalsten Schöpfungen der Achtstützenkirchen gehört das Katholikon von Hosios Lukas. Es besteht aus dem den ganzen Bau beherrschenden mittleren, mit einer Kuppel überwölbten Quadrat, einem breiten Altarraum mit zwei Nebenräumen und einem Umgang, der alle drei Seiten der Anlage umgibt. Die Kuppel von mächtigem Durchmesser ruht auf acht Pfeilerstützen, in den Ecken wird das Quadrat mittels Trompen in das Rund der Kuppel übergeleitet (Fig. 19).

 

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Wir stehen wiederum in einem Raum, der von einer mächtigen Kuppel beherrscht wird und der von farbig-illusionistischer Wirkung ist. Die ganzen Wände bestehen wie in der Sophienkirche in Konstantinopel aus farbigen Marmor- und Porphyrplatten und reicher Intarsia; die Gewölbe der Trompen und urspünglich auch die Kuppel waren mit Mosaiken auf Goldgrund bedeckt. Es herrschen also dieselben Entstofflichungstendenzen wie in Konstantinopel, nur werden sie noch durch die überschlanken Säulen und Bogenstellungen, die wie hauchdünne Scheidewände das Schilf von den Umgängen unten und den Galerien oben trennen, gesteigert (Abb. 7).

 

Dazu kommt die diffuse Lichtführung der mit relativ kleinen Öffnungen versehenen Fenster. Aber nicht nur dadurch wird die das materielle Lasten überwindende Wirkung des Kuppelraumes hervorgehoben, es kommt noch das verborgene Verstrebungssystem dazu. Dieses befindet sich, genauso wie in der Sophienkirche in Konstantinopel, in den Umgängen. Es ist nirgends ein klares Verhältnis zwischen der mächtig lastenden Kuppel und den stützenden Teilen vorhanden. Die Mauern werden nicht als Pfeiler an den acht Stellen, wo die Kuppel aufruht, charakterisiert, sondern in einzelne farbige Felder zerlegt. Die Bogen der Trompen schneiden wie in der Sophienkirche in Konstantinopel spitz in die farbige Dekoration bzw. das flach gehaltene, optisch aufgelöste Gesims hinein, als ob sie allen statischen Gesetzen Hohn sprechen würden, außerdem sind ihre konkaven Flächen mit Mosaiken auf Goldgrund ausgefüllt.

 

Zu diesen farbigen Auflösungstendenzen kommt hier an Stelle der noch schweren Formensprache der Bogenstellungen in der Sophienkirche in Konstantinopel die Tendenz, durch schlanke Säulen und Arkaden den Bau auch in der vertikalen Achse aufzulösen. Das Vibrieren von Licht und Schatten, gedämpfte Umgänge, aufblitzende Goldmosaiken, irgendwo im Dämmer sich öffnende unüberschaubare Räume,

 

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Fig. 19 Stiris (Phokis). Hosios Lukas. Hauptkirche des hl. Lukas und Nehenkirche der Theotokos. Anfang 11. Jh. Grundriß

 

I Exonarthex, II Narthex (Litai), III Naos, IV Zugang zur Nebenkirche.

A Apsis, B Altarraum, C Triumphbogen, D Diakonikon, E—M Christus-Mosaiken: E Verkündigung, F Geburt, G Darstellung im Tempel, H Taufe, J Fußwaschung, K Kreuzigung, L Auferstehung der Toten, M Ungläubiger Thomas. N Nördlicher Kreuzarm, O Grabkapelle, P Prothesis, Q Schatzkammer, R Kuppelraum, S Südlicher Kreuzarm, T Lukas-Grab, U Nebenkapelle, V, X Durchgangsräume, W Westlicher Kreuzarm, Y Baptisterium, Z Zugang zur Krypta.

 

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das alles sanft umschlossen von der Macht der Kuppel bestimmt den zauberhaften, unvergeßlichen Eindruck dieses Raumes, der wohl zu den bedeutendsten Raumeindrücken der byzantinischen Architektur gehört. Nun öffnet sich dieser Schiffsraum in der Tiefenachse in das Eingangsjoch und in den Altarraum, so daß diese Achse, die wiederum an die »Axialität« der Sophienkirche in Konstantinopel erinnert, gedämpft in Erscheinung tritt. Ebenso wirken die tiefenbetonenden Tendenzen, die durch die seitlichen Bogenstellungen hervorgerufen werden, schwächer als in der Sophienkirche. Die vertikale und zentrale Bedeutung der Kuppel ist hier stärker betont.

 

Genau wie in der Sophienkirche sind die Umgänge dazu be1stimmt, die Konstruktion vor den Augen des Beschauers zu verbergen. Der mächtige Schub der Kuppel wird durch die Strebepfeiler, Strebebogen und Strebegewölbe aufgefangen und auf die Außenmauer verlegt; würde man die Umgänge entfernen, dann würde der mittlere Baukern in sich Zusammenstürzen.

 

Ebenso wie in Konstantinopel bereitet eine prachtvolle, geräumige Vorhalle mit Emporen durch die farbig-koloristische Wirkung auf das Innere vor. Alles in Hosios Lukas täuscht durch höchste Steigerung der optisch-koloristischen Sublimierung über das materiell-physische Verhältnis von Last und Stütze hinweg.

 

In den anderen Bauten sind diese sublimen Mittel der optischvisuellen Auflösung weitgehendst zurückgegangen, so z. B. in der zweiten bedeutenden Achtstützenkirche des Klosters in Daphni. Es fehlen Emporen, die kulissenartigen Scheidewände zwischen Hauptschiff und Nebenumgängen, wodurch die Vertikaltendenzen abgeschwächt wurden, schließlich verschließen sich die Nebenumgänge in einzelne geschlossene Kammern, so daß sie den Charakter von Umgängen verlieren (Fig. 20).

 

In der Verklärungskirche von Christianu ist das Verhältnis vom Hauptschiff zu den Umgängen ein viel lockereres. Die Innenmauern sind dicker, statt Gewölbe befinden sich in den Umgängen Kuppeln, die als Verstrebungen fungieren. Das Konstruktionssystem macht einen viel gröberen Eindruck, und die sublimierte Raumgestaltung ist zurückgegangen.

 

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Fig. 20 Daphni (Attika). Klosterkirche. 2. Hälfte 11. Jh. Grundriß und Schnitt

 

 

An die Errungenschaften des n. Jh. knüpfen schließlich die letzten Ausläufer der Achtstützenbauten, die Anlage in Monemvassia und die Theodoroskirche in Mistra an. Monemvassia schließt sich an Hosios Lukas an, die Theodoroskirche in Mistra verbindet die Plangestaltung einer Zweisäulenkirche mit einer Achtstützenkirche. Während in Monemvassia noch Emporen und Kreuzgewölbe vorhanden waren, fehlt in der Theodoroskirche beides.

 

Eine Sonderstellung innerhalb dieser sog. verwandten Stilgruppe nimmt die Panagia Paragoritissa in Arta (Epiros) ein. Auch hier sind die Umgänge viel breiter, die Kuppel dagegen ist im Durchmesser viel schmaler, sie erhebt sich auf einem künstlichen Konstruktionssystem, das aus über Eck gestellten Säulen besteht, die auf Konsolen ruhen. Im letzten Stockwerk befinden sich Paare von ganz dünnen Säulchen, die auf zerbrechlich wirkenden »Konsolen« aufruhen und mit gotischem Dreipaß abgeschlossen in die Pendentifs vorstoßen. Hier sind alle Mittel verwendet worden, um dem Kuppelraum eine schwindelerregende Höhe zu verleihen: zwei Stile, die Entstofflichungstendenzen anstreben, begegnen sich hier: der byzantinische mit seinen Mosaiken und seiner Lichtoptik und der gotische mit seiner sublimierten Auflösung der Bauglieder noch oben zu. In der Außengestaltung der Anlage kommen Tendenzen der italienisch-sizilianischen Palastarchitektur zum Vorschein.

 

Einen Achtstützenbau ohne Umgang bildet die leider durch ein Erdbeben weitgehendst zerstörte Nea Moni in Chios. Hier mußten im Süden und Norden feste Mauern den Seitenschub der mächtigen Kuppel auf fangen, nur im Westen und Osten ist das Verstrebungssystem vorhanden. Die Innenstützen, mit Paaren von Säulchen geziert, springen stark ins Innere vor. Flache Blendnischen mit farbigen Marmorplatten bedeckt, oben mit mosaikgeschmückten Gewölben abgeschlossen, haben bis zum höchsten Grade eine Illusion in der Innenraumwirkung hervorgebracht, die die natürlichen Grenzen der Raumgeschlossenheit weit überschreitet.

 

Man versuchte diese bedeutenden Bauten aus dem Orient abzuleiten (Nestorianerkirche in Amida), da sich ähnliche Bauten in Konstantinopel nicht erhalten haben. Die Tatsache aber, daß die wichtigsten Bauten, wie Hosios Lukas und die Nea Moni in Chios, kaiserliche Stiftungen gewesen sind, ferner ihre optisch-farbige, illusionistische Raumgestaltung sind der beste Beweis, daß diese Bauten mit der Konstantinopler Architektur Zusammenhängen.

 

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Eine große Anzahl von bedeutenden Palastanlagen aus der Zeit des Kaisers Theophilus hat sich nicht erhalten, es gab aber eine Reihe von oktogonalen Bauten innerhalb der Palastanlagen, an die man anknüpfen konnte (z. B. die kleine Apostelkirche im Trikonchos des Palastes).

 

Ferner haben sich die Beschreibungen des spanischen Gesandten Clavijo (1403) von Konstantinopler Anlagen erhalten, aus denen hervorgeht, daß sich auch in Konstantinopel ursprünglich solche Anlagen befunden haben, so z. B. die nicht mehr bestehende Kirche der Peribleptos (1028—1034). Auch das Anknüpfen an die Sophienkirche in Konstantinopel wäre in der Zeit der makedonischen und komnenischen Renaissance nichts Außergewöhnliches. Ähnliche Anlehnungen finden sich auch in der damaligen Malerei.

 

Außer den erwähnten, großartigen Bauanlagen in Griechenland gibt es noch eine Reihe weniger bedeutender, kleinerer Kirchenbauten, bei denen altchristliche, ja sogar spätantike Traditionen nach wirken, die auch im Mittelalter wieder auf gegriffen wurden. So z. B. die fünfkuppelige Anlage des hl. Andreas ton Peristeron, in der Nähe von Saloniki, aus dem 9. Jh., und die Demetriuskirche in Euböa aus dem 12. Jahrhundert. Die Andreaskirche besteht aus einer mittleren Kuppel, die auf Säulen ruht, und kreuzförmig angeordneten Nebenkuppeln, das Hauptschiff der Demetriuskirche aus einem Kuppelraum, der durch in der Querachse angelegte Nischen erweitert wird. Ähnliche Grundrisse finden wir in Konstantinopel (Mugliotissa), auf der Insel Chalkis bei Konstantinopel und in der armenischen Architektur. Prototypen dieser reichen, zentral angelegten Bauanlagen haben sich in den Zeichnungen Bramantinos nach römischen Tempeln erhalten.

 

 

4. Der Bilderstreit und die Renaissancetendenzen in der mittelbyzantinischen Malerei

 

Der Bilderstreit, der von 725 bis 843 gedauert hat, brachte eine tiefe Erschütterung der Grundlagen der byzantinischen Malerei. Er ist eine Art von »Kulturkampf«, der nicht nur die Kunst, sondern auch das ganze religiöse und politische Leben von Byzanz erfaßte, so daß nicht allein byzantinische Kaiser, wie Leo III. oder Konstantin Kopronymos,

 

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sondern auch die höchsten byzantinischen Würdenträger mit Leidenschaft an ihm teilgenommen haben.

 

Man hat auf verschiedene Ursachen des Bilderstreites hingewiesen: auf die Absicht, die Autokratie der byzantinischen Kaiser zu stärken, auf das Bestreben, den Einfluß des niederen Klerus und des Mönchtums durch die führenden Schichten zu beseitigen, auf agrarpolitische Maßnahmen der byzantinischen Kaiser, die den großen Klosterbesitz aufheben und damit die Macht des Mönchtums brechen wollten.

 

Ferner wurden auch starke islamische Einwirkungen festgestellt, hauptsächlich bei den ikonoklastischen Kaisern, die aus den östlichen Provinzen stammten, wie Leo III., der als sarazenenfreundlich bezeichnet wurde.

 

Sicher enthalten alle diese Ansichten ein Körnchen Wahrheit. Sie allein aber genügen nicht, um die tieferen Ursachen des Ikonoklastenstreites zu erklären. Diese tieferen Ursachen liegen im religiös-geistigen Leben von Byzanz; im Grunde genommen war eine ähnliche bilderfeindliche Tendenz bereits in der altchristlichen Periode vorhanden.

 

Der Streit geht hauptsächlich um die Verehrung der Bilder (Ikonen) heiliger Personen. Es ist dies im Grunde, wie alles im religiösen Leben von Byzanz, eine christologische und dogmatische Auseinandersetzung. Die Teilnehmer des bilderfeindlichen Konzils von 753 erklärten, daß die bilderfreundliche Kunst eine Blasphemie gegen die grundlegenden Dogmen des Heils bilde, d. h. gegen die Inkarnation Christi. Vom christologischen Standpunkt aus betrachtet, geht es im Bilderstreit um die Scheidung der beiden Naturen Christi, die nach der orthodoxen Auffassung unvermengt und ungetrennt bestehen. Wer aber ein Bild Gottes malt, der verfällt entweder dem Monophysitismus, indem er nur das Göttliche wiederzugeben versucht, das unbeschreibbar und undarstellbar ist, oder dem Nestorianismus, indem er nur die menschliche Natur Christi wiedergibt.

 

Während die Bilderfeinde (Ikonoklasten) die im Bilde dargestellte göttliche Person mit dem Urbild gleichsetzten, haben die Bilderfreunde (Ikonodulen), von platonischen und neoplatonischen Grundlagen ausgehend, das Bild nicht mit dem Urbild identifiziert, sondern behauptet, daß das Bild im Wesen vom Urbild verschieden, hypostatisch aber (d. h. im übertragenen Sinn) ihm gleich ist.

 

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Der alte Gegensatz, der sich bereits in der altchristlichen Periode zwischen der antik-sinnlichen Auffassung von der bildenden Kunst und dem neuen christlichen Spiritualismus herausgebildet hat, ein Gegensatz, der in den Schriften Clemens9 von Alexandrien ausgesprochen wurde, tritt nun wieder in Erscheinung. Nun wird dieser Gegensatz überbrückt durch die christlich gemilderte, platonische und neoplatonische Ideenlehre vom Prototypus und Ecktypus. Die Rechtfertigung der heiligen Bilder (Ikonen) besteht nun darin, daß sie Zeugnisse einer übernatürlichen göttlichen Welt sind und daß die sinnlichen Mittel, mit denen sie dargestellt werden, eben gleichnishaft zu verstehen sind.

 

Letzten Endes bedeutet diese Auseinandersetzung einen Kampf zwischen einer orientalischen Idolatrie, welche die Identität des Bildes mit dem göttlichen Urbild vertrat, und der antik-platonisierenden Auffassung, die im Bilde das göttliche Urbild nur im übertragenen Sinn erblickte. »Die Verehrung, die man dem Bilde bezeigt, geht auf den Prototyp über«, wäre die klassische Verteidigungsformel der Bilderfreunde.

 

Dieser tief in das byzantinische religiöse Leben eingreifende »Kulturkampf« endete mit der feierlichen Befestigung der Ikonen durch die Kaiserin Theodora im Jahre 843. Dieses Jahr bedeutet einen tiefen Einschnitt in der Geschichte von Byzanz und der Orthodoxie. Es siegte damals die auf der antiken, platonisierenden, aber gleichzeitig auf der christianisierenden Lehre beruhende orthodoxe Auffassung über den radikalen orientalischen Monophysitismus.

 

Armenische, kleinasiatische und syrische Kaiser sowie das Vordringen des Islams in den Ostprovinzen des Reiches, aus denen sich die Bilderfeinde hauptsächlich rekrutiert haben, verhalfen den bilderfeindlichen Tendenzen zum Durchbruch.

 

Der Verfall des Kalifenreiches und ein neuer Aufschwung des byzantinischen Reiches, das sich nun wiederum einerseits dem Islam gegenüber siegreich erwies, andererseits in den Balkanländern festeren Fuß faßte, haben zur Überwindung der orientalischen Häresien entscheidend beigetragen. Die schwere innere Krise, die sowohl im Innern des Reiches zur verhängnisvollen Spaltung führte als auch nach außen zu einer Entfremdung zwischen den bilderfreundlichen westlichen Provinzen und den östlichen viel beigetragen hat, wurde überwunden. Gleichzeitig mit der Überwindung des Bilderstreites kommt es sowohl zu einem neuen politischen Umschwung in der

 

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Zeit der makedonischen Dynastie als auch zu einer neuen Blüte des kulturellen, geistigen und politischen Lebens, die nicht zu Unrecht als »makedonische Renaissance« bezeichnet wird.

 

Das Wiederaufleben vorikonoklastischer Tendenzen, das Aufkommen einer profanen, imperialen, antikisierenden Reichskunst, die ebenfalls auf justinianische Kunsttradition zurückgeht, die Wiederbelebung altchristlicher Malerei wirken wie eine Befreiung aus dem unschöpferischen Bann, in den die byzantinische Kunst infolge des Ikonoklastenstreites verfallen war. Man muß sich jedoch hüten, die »byzantinische Renaissance« mit den abendländischen Renaissanceprozessen zu identifizieren. Sowohl die Ursachen als auch der Verlauf der byzantinischen Renaissance sind von den abendländischen Renaissancebewegungen grundverschieden.

 

 

5. Die monumentale Mosaikmalerei. Ausschmückungsprogramm, Raumwirkung, Hieratisierung und Hierarchisierung

 

Einen Niederschlag der neuen nachikonoklastischen Monumentalmalerei in Byzanz bildet das äußerst streng hierarchisch konzipierte, nach unverrückbaren christologisch-dogmatischen Grundsätzen aufgebaute mittelbyzantinische Ausschmückungssystem. Es hat sich leider in keiner hauptstädtischen Kirchenanlage erhalten, aber aus Beschreibungen der Nea Basileios’ I. können wir wohl entnehmen, daß es sich hier ausgebildet und daß die Nea den Ausgangspunkt dieses neuen Ausschmückungsprogramms gebildet hat.

 

Beschreibungen nach zu schließen, tritt hier zum erstenmal in der mittelbyzantinischen Malerei der streng hierarchisch abgestufte Pantokrator Zyklus auf. Im Kuppelrund wird Christus als Weltbeherrscher dargestellt, umgeben von einer Schar dienender Engel. Die Apsis wird von der als Orantin wiedergegebenen Muttergottes eingenommen, während die übrigen Wände mit einem Chor von Aposteln, Propheten, Patriarchen und Märtyrern geschmückt erscheinen. Sonst fehlen nähere Anhaltspunkte über die Verteilung der einzelnen Darstellungen im Kircheninnern.

 

Leider bieten die übertünchten und durch Salzenberg nachgezeichneten Darstellungen der Sophienkirche in Konstantinopel keinen

 

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genügenden Anhaltspunkt für die Rekonstruktion des ganzen Ausschmückungssystems, das unter Basil I. und II. erneuert wurde, es scheint aber naheliegend, daß es dem neuen Programm der Nea entsprochen hat.

 

Man ist auf drei Ausschmückungsprogramme der Provinzen angewiesen, die sich als die einzigen Zeugen der neuen monumentalen mittelbyzantinischen Malerei erhalten haben. Zu diesen gehören das Katholikon in Hosios Lukas aus den ersten Dezennien des 11. Jh., die leider stark beschädigten Malereien der Nea Moni auf Chios (um 1056) und die Ausschmückung der Klosterkirche von Daphni aus dem Ausgang des 11. Jahrhunderts.

 

Allen diesen Ausschmückungsprogrammen gemeinsam ist die Beherrschung der gesamten Ausschmückung durch das zentrale Kuppelbild Christi, des von Erzengeln oder Propheten umgebenen Pantokrators (nicht mehr erhalten, aber bezeugt in Hosios Lukas und Nea Moni), und die Darstellung der Feste, die sich in der Zone unter der Kuppel, in den Trompen, an den Wänden der Konchen oder an den Wänden der Umgänge (Daphni) befinden, die Darstellung der Muttergottes in der Hauptapsis und eine Reihe von Darstellungen aus dem Neuen Testament (teilweise als Fortsetzung der Feste) in den Vorhallen, ferner eine Reihe von Heiligen, Märtyrern, Anachoreten, Asketen und Mönchsheiligen, welche die Gewölbe, Wände und Pfeiler des Hauptschiffes, der Nebenapsiden und der Vorhallen bevölkern.

 

Eine Ausnahme bildet die Darstellung der Herabsenkung des Hl. Geistes, die sich in der Kalotte des Altarraumes des Katholikons von Hosios Lukas befindet. Am Tragebogen vor der Kalotte in Hosios Lukas, an den Wänden des Altarraumes in Daphni und in den Nebenapsiden der Nea Moni auf Chios sind die Erzengel Michael und Gabriel dargestellt. In Daphni sind die beiden Erzengel mit der Darstellung des leeren Thrones verbunden (Hetoimasia tou tronou).

 

Zuletzt fand folgende Verteilung der zwölf Feste statt: in Hosios Lukas ursprünglich vier Festdarstellungen im Kuppelraum (die Verkündigung — die Geburt fehlt —, die Darstellung im Tempel und die Taufe Christi), zwei in der Vorhalle (Kreuzigung und Auferstehung). In Chios sind acht Feste im Kuppelraum dargestellt (Verkündigung, Geburt, Darstellung im Tempel, Taufe, Verklärung, Kreuzigung, Kreuzabnahme, Auferstehung) und sechs in der Vorhalle

 

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(Auferweckung des Lazarus, Himmelfahrt, Einzug in Jerusalem, Herabkunft des Hl. Geistes, Eußwaschung und Gefangennahme Christi).

 

In Daphni (Abb. 8) finden wir zwölf Darstellungen im Kuppelraum (Verkündigung, Geburt, Taufe, Verklärung, Anbetung der Magier, Auferstehung, den ungläubigen Thomas, die Darstellung im Tempel, die Geburt Mariä, die Kreuzigung, den Einzug in Jerusalem und die Auferweckung des Lazarus) und sechs Szenen in der Vorhalle (das letzte Abendmahl, die Eußwaschung, den Verrat Judas’, die Vorstellung der Jungfrau, Segnung der Priester, Geburt Joachims und Annas).

 

Man ersieht daraus, daß erstens nur gewisse wichtige Feste sich wiederholen, während bei den anderen Darstellungen eine verschiedene Auswahl erfolgte, zweitens steigert sich, was den christologischen Zyklus anbelangt, die Zahl der Darstellungen von Hosios Lukas über die Nea Moni bis Daphni. Die größte Konzentrierung des Festzyklus findet man in der Nea Moni. Hier sind in vier sich gegenüberliegenden Konchen die Hauptszenen aus dem Leben Christi dargestellt; in der Hauptachse die Geburt und Kreuzigung, in der Querachse die Taufe und die Auferstehung, Diese inhaltliche Konzentrierung des christologischen Zyklus würde für eine starke Abhängigkeit von der byzantinischen Hauptstadt sprechen.

 

Der Inhalt des Darstellungsprogrammes und das Darstellungsprogramm als solches gehen aus den tieferen Schichten der byzantinischen religiös-geistigen Vorstellungswelt hervor. Diesem Programm liegen folgende Vorstellungen zugrunde: die Idee der kosmisch-universalen Herrschaft Christi, das streng hierarchische Ordnungsprinzip, das in Rangordnungen und Emanationen von der höchsten göttlich-überweltlichen Sphäre bis zur Erde herabreicht, eine sublimierte Hieratik, die sich der dargestellten göttlichen Personen bemächtigt, und zuletzt der strenge dogmatische Gedanke, der die Geschlossenheit des Zyklus und seine entsprechende Verteilung im Kirchenraum bestimmt.

 

Die Idee der kosmisch-universalen Herrschaft Christi wird durch die Darstellung des Pantokrators personifiziert. Er ist Christus und Gottvater in einer Person, nach byzantinischer Auffassung in idealer Wesenseinheit (Homousie) dargestellt. In ihm hat das höchste Prinzip der Unterordnung des Kosmos unter seine Herrschaft den Höhepunkt erreicht. Er nimmt daher den höchsten Platz in der Ausschmückung, die Kuppel ein.

 

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Durch seine Kolossalität, Strenge und Morosität des Ausdruckes erinnert der Pantokrator an eine ins Malerische umgesetzte Kaiserbüste.

 

In den Zügen des Christus der Klosterkirche in Daphni ist eine Ähnlichkeit mit dem Zeus von Otricoli vorhanden. Unbegrenzte Macht und »herrscherliche Allpräsenz« spiegeln sich in der Darstellung, die wie eine Projektion der byzantinischen Autokratie in die göttliche Sphäre wirkt (Abb. 9). Daß es in dieser höchsten Sphäre tatsächlich um die Herrschaft geht, beweisen die in Hoftrachten dargestellten Erzengel, die die Insignien der weltlichen Macht, Weltkugel und Ripidien (Rangzeichen), halten.

 

Auch die ganze Sphäre des Kuppelgewölbes ist ins Überweltliche projiziert. Die unbegrenzte Unendlichkeit und Verklärtheit des Himmelsraumes wird durch den goldenen Hintergrund, die sphärenartige, in sich ruhende ideale Abrundung des Kosmos durch die Kuppel hervorgerufen. Einen ruhenden Mittelpunkt der überweltlichen Macht bildet Christus-Pantokrator.

 

Die kosmische Allherschaft Christi aber beschränkt sich nicht nur auf die oberste Sphäre. In strenger, hierarchischer Abstufung setzen sich die unter ihm befindlichen Ordnungen ab. Hier sind Einwirkungen der »himmlischen Hierarchie« des Dionysius Areopagita vorhanden, der unter dem Einfluß der neoplatonischen Emanationslehre eine strenge hierarchische Ordnung festgesetzt hat von der höchsten göttlichen Sphäre, mit ihren himmlischen Engelshierarchien, zu immer tieferen Rangordnungen, die über die kirchliche Hierarchie bis zur letzten untersten Ordnung der einfachen Mönche reichen.

 

In dem erwähnten klassischen Ausschmückungssystem der mittelbyzantinischen Kirchen spiegelt sich die Abstufung der himmlischen und kirchlichen Hierarchie ganz deutlich wider. Von der »Herrlichkeit des Himmels« über die Engelshierarchien, Propheten und Evangelisten der Kuppel, der thronenden Maria (Panachrantos) oder stehenden Maria der Apsis geht der Weg absteigend zu den großen Festen des Jahres, die sich unter der Kuppel oder an den Seitenwänden der Umgänge befinden, und mündet in den hl. Märtyrern, den Kirchenvätern, Heiligen, Asketen und Mönchsheiligen.

 

Eine entscheidende Rolle spielen die unter der »himmlischen Hierarchie« befindlichen Festdarstellungen. Sie sind nach den Festen des Kalenderjahres geordnet. Dem Weltkreislauf der kosmischen Ordnung entspricht hier der Zeitablauf des Kirchenjahres.

 

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Es ist eine rhythmisch-kreisende Bewegung, die sowohl die himmlische als auch die kirchliche Hierarchie erfaßt und durch ihren geschlossenen Ablauf und die ihn begleitende Kuppelform etwas UnbezwingbarUnverrückbares enthält. Es ist die allumfassende Allmacht der nach dem Bilderstreit klassisch gewordenen, fest konstituierten, dogmatisch begründeten Orthodoxie, die sich darin geltend macht.

 

Die Festdarstellungen enthalten die wichtigsten Begebenheiten aus dem Leben Christi. Diese Darstellungen werden in einer konzentrierten Form gebracht, und zwar als in sich geschlossene, monumentale Darstellungen. Neu gegenüber der vorikonoklastischen Malerei ist das Aufgeben des erzählenden, fortlaufenden Stils. Das Historische ist durch das Dogmatisch-Bedeutsame verdrängt. Die sinnliche Freude an der Erzählung, die für die ganze Kunst des Westens so bezeichnend ist, mußte einer gedanklich-dogmatischen, eher abstrakten Fassung weichen.

 

Am deutlichsten kommt diese strenge gedanklich-dogmatische Fassung in der Ausschmückung der Nea Moni in Chios zum Ausdruck. Bezeichnend ist auch die Auswahl der Themen. Passionsszenen werden auf ein Minimum eingeschränkt (Kreuzigung, Kreuzabnahme). Dagegen spielt die Geburt, Taufe, Kreuzigung und Auferstehung eine große Rolle (Nea Moni) neben der Verkündigung und Darstellung im Tempel (Hosios Lukas). In der Hervorhebung der Kreuzigung und Auferstehung ist ein Niederschlag der mystischdogmatischen Lehren des bilderfreundlichen Patriarchen Germanos (715—730) zu erkennen, der die Kirche als Verkörperung der Kreuzigung und Auferstehung bezeichnet hat.

 

Die Projektion der göttlichen Figuren ins Überweltliche hat nicht nur den idealen überzeitlichen antikisierenden Figurenstil begünstigt, sondern auch die Hieratisierung der Darstellungen. Die Darstellungen der Feste sind anthropozentrisch, alles Nebenwerk, die ganze natürliche Umgebung bis auf die allernotwendigsten Andeutungen durch den die Unendlichkeit des überweltlichen Raumes versinnbildlichenden Goldhintergrund verdrängt. Man hat immer den Eindruck,

 


 

Farbtafel IV Buchdeckel mit Erzengel Michael. Venedig. Schatz von San Marco. 11. Jh. Gold, teils in Relief, teils eingelegt; Email cloisonne. Gesamtgröße 48 X 36 cm

 

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die Figuren stehen oder bewegen sich auf einem schmalen Bodenstreifen am Rande der sichtbaren Welt (Hosios Lukas: Verkündigung, Taufe, Fußwaschung).

 

Eine Hieratisierung trifft vor allem die Einzelfigur. Sie ist unbeweglich und frontal, in einer auf den Beschauer bezogenen Haltung dargestellt. Vor allem der unbewegte Kopf und die auf den Beschauer geradeaus gerichteten Augen wirken hieratisch. Es äußert sich darin nicht nur einer Feierlichkeit und Distanzierung, sondern auch eine bis jetzt unerreichte Konzentrierung auf das geistige Moment. Jede physische Bewegung wird auf ein Minimum reduziert, um ja nicht von der geistigen Erfülltheit abzulenken. Diese geistige Erfülltheit ist auf kein individuelles Ziel, sondern wie der goldene Hintergrund auf gewisse überindividuelle, gleichsam übermenschlich-ewige Zielsetzungen gerichtet.

 

Durch die hieratische Unbeweglichkeit der Figuren ist weiterhin eine nicht unwesentliche Wirkung der ganzen Ausschmückung erreicht. Der Beschauer wird durch die fast starr wirkende Frontalität der Figuren direkt angesprochen. Diese geistige Ansprache ist so stark, daß der Beschauer das Gefühl verliert, es handle sich hier um bildlich-formale Darstellungen, die sich vor ihm in einen Mikrokosmos verschließen. Oft gewinnt er den Eindruck, besonders an jenen Stellen, wo die Frontalität von mehreren Seiten auf ihn eindringt, daß er sich inmitten dieser Figuren befindet: sie scheinen ihn geistig zu umfassen und damit auch in die Sphäre zu versetzen, in der sie sich selbst befinden.

 

Sie sind aber nicht etwa räumlich verbunden, wie man es zu erklären versuchte, da die Welt, in der sie sich bewegen, keine reale Welt ist. Es ist eine Welt, die uns über die natürliche Existenz und Raumverbundenheit hinwegtäuscht, es ist eine imaginäre, ideale Welt, jedenfalls idealer als die Welt des barocken Illusionismus, der ja nur natürliche Himmelssphären vortäuschte, wogegen diese Welt hier sich über alle natürlichen Himmelssphären in die ideale Unendlichkeit des im Licht bald verdämmernden, bald durch konkave Flächen aufblitzenden goldenen Hintergrundes flüchtet.

 

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6. Stil- und Formprobleme

 

Wenn man die drei Mosaikzyklen auf ihren Stil hin prüft, dann ergeben sich folgende Unterschiede:

 

Am hieratischsten sind die Darstellungen in Hosios Lukas. Die Figurenkomposition als formal-geschlossene Einheit hat sich noch nicht durchgesetzt. Ein Nebeneinander von Figuren wird bevorzugt (Taufe Christi, Darstellung im Tempel, besonders kraß in der Fußwaschung und der Szene mit dem ungläubigen Thomas). Die Figuren neigen mehr zum frontalen Hieratismus als zur Geschlossenheit der Komposition. In der Faltenbehandlung, der Darstellung der Köpfe, den Standmotiven, den Körperproportionen ist eine derbe provinzielle Art unverkennbar, die scheinbar an den Errungenschaften des sublimierten Hofstils in Konstantinopel noch keinen Anteil hat.

 

Ein anderer Stil spiegelt sich in den Mosaiken der Nea Moni wider. Die Figuren haben teilweise den hieratischen Bann gebrochen und sind viel bewegter dar gestellt worden, sie verraten keinen antikisierenden Stil. Die Gewänder sind knittriger und gebrochener, bei göttlichen Figuren mit Goldfäden durchwirkt (Christus in der Anastasis). Stilistisch sind die Mosaiken der Nea Moni in Chios am engsten mit den Narthexmosaiken (Evangelisten) der Koimesiskirche in Nikäa verwandt, die höchstwahrscheinlich zwischen 1059 und 1067 entstanden sind.

 

Zu einem wahren byzantinischen klassizisierenden Stil erheben sich die Mosaiken des Katholikon in Daphni. Hier ist der hieratische Stil am stärksten überwunden worden. Die Figuren haben an plastischer Wirkung zugenommen (Kreuzigung), die Bewegungen sind frei und souverän (Einzug in Jerusalem), die Falten schmiegen sich dem Körper an und deuten die Körperbewegung in voller Klarheit an. Die Frontalität, die in den Kompositionen von Hios Lukas gezwungen wirkte, wird aufgegeben, die Figuren bewegen sich frei von rechts nach links, ohne jede hieratische Vergewaltigung (vgl. die Anastasis in Hosios Lukas und Daphni). Antikisierend wirkt auch die Darstellung des nackten Körpers, so z. B. in der Kreuzigung. Neu ist die Tendenz, die Figuren zu einer geschlossenen, formal gestalteten Gruppe zu verbinden wie in der Geburt Mariä. Es ist der klassizierende Stil der Hauptstadt, der dem Darstellungszyklus von Daphni einen vornehmen kultivierten Charakter verleiht. Dieser Stil, den man als makedonische oder komnenische Renaissance zu bezeichnen pflegt,

 

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findet zweifelsohne in Daphni seinen Niederschlag (Abb. 8 und 9).

 

An einigen wenigen Denkmälern, und zwar in der Panagia Angeloktistos in Kiti (Zypern), der Koimesiskirche in Nikäa und der Sophienkirche in Saloniki kann man Veränderungen innerhalb der Darstellung der Maria in der mittelbyzantinischen Mosaikmalerei feststellen.

 

Die Madonnen der Apsiden werden entweder thronend (Saloniki, Hosios Lukas) oder stehend (Nikäa, Nea Moni, Panagia Angeloktistos in Kiti, Kiev, Sophienkirche, Nea des Basileios I., Kathedrale in Gelati in Georgien, 1130) dargestellt. Die thronende Muttergottes geht auf die Malerei des 6. Jh. zurück (Ravenna, Sant' Apollinare Nuovo; Parenzo, Marienkirche). Die stehende Madonna als Apsisdarstellung ist in der vorikonoklastischen Mosaikmalerei kaum nachweisbar. In der mittelbyzantinischen Malerei aber sind beide Darstellungsarten vorhanden. In der Regel unterscheiden sich die mittelbyzantinischen Madonnen von den altchristlichen dadurch, daß in ihrer nächsten Umgebung sich meist keine Begleitfiguren, wie Erzengel oder Stifter, befinden.

 

Sie heben sich von der Unendlichkeit des goldenen Hintergrundes der Konche ab, und darin spiegelt sich die distanzierende und isolierte »Inselhaftigkeit« einer Darstellung, die für sich allein die überirdische Sphäre der höchsten himmlischen Hierarchie beansprucht. Die Engel befinden sich meistens in dem Bogen vor der Apsis — im Gegensatz zur altchristlichen Malerei des 5. Jh. sind sie in reichsten Hoftrachten mit Insignien der weltlichen Macht ausgestattet — dargestellt. Sie begleiten des öfteren den leeren apokalyptischen Thron (Nikäa). Eine gewisse Ausnahme in dieser Hinsicht bildet die Maria in der Panagia Angeloktistos in Kiti auf Zypern, wo eine stehende Madonna zwischen zwei Engeln dargestellt ist; die Engel präsentieren der Madonna zwar Weltkugeln, sind aber nicht in Hoftrachten gehüllt.

 

Die stehenden Madonnen werden mit Kind (wie in Nikäa und der Panagia Angeloktistos) oder ohne Kind, mit erhobenen Händen, als Oranten dargestellt (Nea des Basileios, Nea Moni Chiofc, Kiev, Sophienkirche). Es scheint, daß dieser Typus durch die hauptstädtische Malerei bestimmt wurde. Sichere Anhaltspunkte zur zeitlichen Bestimmung der einzelnen Mariendarstellungen in den Apsiden der byzantinischen Kirchen besitzen wir nicht.

 

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Es ist nicht ausgeschlossen, daß die thronende Maria in der Sophienkirche in Saloniki aus dem Ende des 8. Jh. stammt, dafür würden ihre schwerfällige Form und die starke Disproportionierung zwischen Christus und Maria sowie die Inschrift sprechen.

 

Frühmakedonisch dürfte die Panagia Angeloktastos in Kiti sein, obwohl hier ein altchristliches Vorbild eine etwas archaische Fassung bestimmte, während die stehende Madonna in Nikäa eher unmittelbar nach dem Bildersturm entstanden ist, was die sieghafte Inschrift von der Wiederbefestigung der Ikonen, das aus der Ikonoklastenperiode stammende Kreuz und das noch etwas unbeholfene Verhältnis zwischen der Maria und dem Kind bestärken würden.

 

Eine Bereicherung der in der Hauptstadt spärlich erhaltenen Denkmäler der Mosaikmalerei bilden die neuentdeckten Mosaiken in der Sophienkirche, und zwar eine Darstellung der Muttergottes zwischen Konstantin d. Gr. und Justinian in der südlichen Vorhalle, zwei Kaiserbildnisse in der südlichen Galerie und eine in Fragment erhaltene Deesis, mit Maria und Johannes dem Täufer.

 

Die Huldigungsszene mit Konstantin und Justinian dürfte noch aus dem 10. Jh. stammen, wofür die plastische Durchbildung der Gesichter und der farbige Illusionismus sprechen würden. In den beiden Kaiserdarstellungen tritt uns das typische, byzantinisch hieratische Kaiserporträt entgegen, wo das theokratische Prinzip der Übertragung der Herrschaft von Gott auf den Stellvertreter Gottes auf Erden, d. h. den Kaiser, zum Ausdruck gelangt.

 

In dem früheren Kaiserbild ist Christus zwischen Konstantin IX. Monomachos (1042—1056) und seiner Gemahlin Zoe dargestellt. Die drei Köpfe sind neu dazugekommen, d. h. die Gestalt des Kaisers Konstantin hatte ursprünglich einen anderen Kopf getragen, der mit einem seiner Vorgänger identisch war. Die Modellierung der Gesichter (vor allem der Kaiserin) ist noch auffallend plastisch, der strenge frontale Hieratismus ist durch die Hinwendung der beiden Figuren zum thronenden Christus weitgehendst gemildert.

 

Eine stilistische Veränderung offenbart sich im zweiten Kaiserbild, das den Kaiser Johannes II. Komnenos und seine Gemahlin Irene auf beiden Seiten der Muttergottes mit Kind darstellt. Dieses Kaiserbildnis wird in das Jahr 1118 datiert. Es fällt der große Unterschied in der ganzen Darstellungsart und im Stil auf.

 

Der strenge frontale Hieratismus hat zugenommen. Die beiden kaiserlichen Personen wenden sich nicht Maria zu.

 

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Sie verharren in einer viel strengeren Frontalität und Isoliertheit als die Figuren der früheren Kaiserbildnisse. Viel individueller, porträtmäßiger ist der Gesichtsausdruck des Kaisers und der Kaiserin. Trotzdem kommt das Hoheitsvolle und Unnahbare stark zum Ausdruck. Viel stärker ist auch das Flächige betont, die Farbe spielt eine größere Rolle sowohl in den kaiserlichen Gewändern als auch in der Modellierung des Gesichtes der Kaiserin.

 

Dagegen weist der Stil der Deesis eher ins 13. als ins 14. Jahrhundert. Der ausdrucksvolle Kopf Johannes des Täufers, die feinen Farbenschattierungen von bläulich-grünen Übergängen würden diese Datierung rechtfertigen.

 

 

7. Renaissancetendenzen in der Buchmalerei

 

Innerhalb der makedonischen und komnenischen Periode zeichnet sich die Buchmalerei durch einen besonderen Aufschwung aus. Sie spielt eine entscheidende Rolle in der Geschichte der mittelbyzantinischen Renaissance.

 

Schon dadurch unterscheidet sich die sog. mittelbyzantinische Renaissance von der abendländischen, daß sie sich scheinbar vor allem auf die Buchmalerei bezieht. Weniger betroffen von ihr ist die monumentale Malerei und kaum noch die Architektur. Aber auch die Buchmalerei kann unter keinen Umständen mit dem abendländischen Begriff der Renaissance verbunden werden. Es liegen ihr ganz verschiedene geschichtliche und kunstgeschichtliche Ursachen zugrunde.

 

Wie alle großen kunstgeschichtlichen Prozesse, ist auch die mittelbyzantinische Renaissance engstens mit der byzantinischen Hauptstadt verknüpft. Ihren Anfang nimmt sie nach der Beendigung des Bilderstreites, der die schöpferischen Kräfte von Byzanz auf dem Gebiete der bildenden Kunst durch zwei Jahrhunderte zurückgedrängt hat. Den politischen Hintergrund bildet die Erstarkung des byzantinischen Staates durch die neue, aus dem Westen stammende Dynastie der Makedonier (867—1056), die ganz große Herrscherpersönlichkeiten, wie Basileios I., Konstantin VII. Porphyrogennetos, Leo VI. den Weisen und Basileios II., hervorbringt.

 

Erfolgreiche Kämpfe mit den Arabern in Kleinasien, der erstarkende politische Einfluß in den Balkanländern,

 

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der gelungene Abwehrkampf gegen die Sarazenen in Griechenland, Dalmatien und Süditalien, die Eroberung Zyperns und Kretas, haben neue Machtpositionen geschaffen, die eine Erneuerung des byzantinischen Reiches zur Folge hatten. Hand in Hand damit gehen innere Reformen. Es ist bezeichnend, wie die Reform des Rechtswesens sich an das große Vorbild der Kodifizierung Justinians anschließt. Aber auch sonst sind Bestrebungen feststellbar, die wie eine Restauration des justinianischen Zeitalters anmuten.

 

Sowohl in der Tendenz, im Westen wiederum stärker Fuß zu fassen, als darin, im Innern das autokratische Regiment durch Festigung einer mächtigen Bürokratie und Beseitigung der Autorität des Senates auszubauen, ging man auf die Grundlagen zurück, die Justinian geschaffen hat und die scheinbar als die einzig lebensnotwendigen Richtlinien zur Erhaltung des Reiches empfunden wurden. Daß dies tatsächlich der Fall war, beweist die Tatsache, daß man stets in großen Gefahren des Reiches auf diese Grundlagen zurückgegriffen hat. Man hat von dem Begründer der makedonischen Dynastie, Basileios I., nicht mit Unrecht behauptet, daß sein erhaltendes staatsmännisches Wirken im stärksten Maße durch die römische Reichsidee bestimmt gewesen ist (Ostrogorsky).

 

Diese erwähnte Erneuerung der innen- und außenpolitischen byzantinischen Reichsidee aus der Zeit Justinians hat auch auf das geistige Leben und die bildende Kunst ihren Einfluß ausgeübt. Auch hier ringt man mit Erneuerungstendenzen. Der erneuerten Reichsidee muß auch ein erneuerter Reichsstil dienen. Selbstverständlich werden antikisierende Tendenzen wach. Wie immer, dienen sie der Verfeinerung der Lebensformen des byzantinischen Hofes. Leider sind wir über die Erzeugnisse der Profankunst dieser Periode nicht genug informiert, weil sie mit den Palastanlagen der byzantinischen Kaiser und den Palästen vornehmer byzantinischer Familien einfach zugrunde gegangen sind. Es haben sich nur Beschreibungen von Mosaikausschmückungen des Palastes von Digenis Akritas erhalten, die antike mythologische Darstellungen zum Inhalt hatten.

 

Einen schwachen Abglanz dieser zugrunde gegangenen monumentalen Malereien bildet eine kleine Auswahl von Handschriften wissenschaftlich-profanen Inhalts. Die Miniaturen dieser profanen, meist naturwissenschaftlichen Werke, die sich in Oppian (io. Jh.), der Marciana in Venedig (Gr. 479) und in dem Nikander (10. Jh.) der Pariser Nationalbibliothek (cod. suppl. gr. 247) erhalten haben,

 

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lehnen sich engstens an antike bzw. spätantike Vorbilder des 3. oder 4. Jh. an. Im Grunde genommen sind es Kopien nach spätantiken Handschriften. Die aufgelockerte Landschaft, das Nachwirken des illusionistischen Stils, eine weiche Körpermodellierung, relativ gute Anatomie bei Unbeholfenheit der Bewegung und Standmotive, eine Reihe von antiken Personifikationen entsprechen dem Stil des 4. Jh. n. Chr. Man hat zwischen dem Pariser Nikander und dem älteren vatikanischen Vergil mit Recht stilistische Übereinstimmungen festgestellt (Weitzmann).

 

Dieses Anknüpfen an die antike Malerei bedeutet aber nicht, daß man sich etwa direkt an hellenistische Vorbilder aus Alexandrien angeschlossen hat; dieser Anschluß erfolgte an Werke der spätantiken Malerei, die die pompejanische Malerei zur Voraussetzung hatten, aber kaum direkt an eine vorpompejanische Phase anknüpften. Jedenfalls kann man in diesen Miniaturen von einer starken Anlehnung an die spätantike Malerei sprechen.

 

Nicht anders verhielt es sich mit der sakralen Miniaturmalerei. Auch hier haben wir es mit einem Anknüpfen an die vorikonoklastische Malerei zu tun. Es ist selbstverständlich, daß diese Anknüpfung in manchem den Stil des 9. oder 10. Jh. verrät, aber das Festhalten an den alten Vorbildern ist stärker ausgeprägt als die neuen schöpferischen Tendenzen. Auch diese sind zweifelsohne vorhanden, aber die Neuerungen bedeuten in Byzanz nie eine von Grund aus neue Formensprache, eine neue bildmäßige Struktur, sondern eine erneuernde Kontinuität. Es ist der bewahrende, erhaltende Zug des Byzantinismus, der sich hier bemerkbar macht.

 

Das Bewahren des alten Kunst- und Kulturgutes bedeutet für Byzanz eine genauso große historische Anstrengung, angesichts der erschütternden Umwälzungen des Abendlandes, wie für das letztere die Erfindung immer neuer Gestaltungsformen. Man darf nicht vergessen, daß Byzanz sich im Kreuzfeuer zweier feindlicher Weltkulturen befunden hat: der abendländischen und der orientalischarabischen, und daß es nur durch diese Beharrlichkeit seinen Bestand sichern konnte.

 

Nur in diesem Sinne kann man daher von byzantinischen Renaissancen sprechen. Sie sind eben von den abendländischen grundverschieden. In einer Reihe von Handschriften des 10. Jh. tritt diese byzantinische Renaissance in Erscheinung. Sie bilden eine Gruppe von stilistisch verwandten Miniaturmalereien, und zwar der Pariser Psalter Nr. 139,

 

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die vatikanische Bibel Cod. Reg. gr. 1, die Josuarolle der Vaticana und das Prunkevangeliar des Athosklosters in Stauronikita (Cod. 43).

 

Die Miniaturen der erwähnten Handschriften sind stilistisch untereinander insofern verwandt, als sie derselben Richtung angehören, was durchaus nicht besagen will, daß sie alle aus einer Malschule hervorgegangen sind.

 

Ihnen schließen sich noch zwei frühere Handschriften an, und zwar der nach dem Bilderstreit entstandene Pariser Gregor aus den Jahren 880—886 (Cod. gr. 510) und der Cosmas Indicopleustes der vatikanischen Bibliothek (Cod. gr. 699), obwohl sich bei diesen die Stiltendenzen des 10. Jh. erst ansagen.

 

Bereits in den zwei frühesten Werken der nachikonoklastischen Malerei treten folgende »stilistische Neuerungen« in Erscheinung: ein antikisierender Gewandfigurenstil und das Bestreben, die Streifenkomposition in ein Vollbild zu verwandeln.

 

In dem Pariser Gregor tritt der antikisierende »schöne« Gewandstil in den Vollbildern (Vision des Ezechiel) stärker in den Vordergrund als in den Streifenkompositionen, während im Cosmas die meisten Darstellungen von ihm beherrscht werden (Farbtafel I).

 

Dasselbe gilt von der Bildstruktur. Während im Pariser Gregor die streifenartige, erzählend kontinuierliche Darstellungsweise vorherrschend ist und nur einige Vollbilder sich vorfinden, ist im Cosmas die Tendenz, die neue quadratische Bildstruktur beizubehalten, trotz mancher streifenartiger Rückfälle (Opferung Isaaks) viel ausgeprägter. Wenn die kontinuierlich-erzählende Darstellungsart, wie etwa in der Bekehrung des Paulus, nicht ganz überwunden ist, so ist das Bild doch zu einer Einheit durch den gemeinsamen Rahmen zusammengeschlossen, obwohl der räumliche Zusammenhang nur angedeutet oder durch einen neutralen Hintergrund ersetzt wurde.

 

Hier taucht bereits das entscheidende Problem der mittelbyzantinischen Renaissance auf, und zwar: sind diese beiden Tendenzen, d. h. der schöne antikisierende Figurenstil und die Überwindung der Streifenkomposition, durch die neue Bildstruktur ein Stilprodukt der byzantinischen Renaissance, oder sind diese Stiltendenzen bereits in der vorikonoklastischen Malerei feststellbar?

 

Der »schöne antikisierende Figurenstil« ist nichts Neues. Man findet ihn bereits in der altchristlichen Kunst der nachkonstantinischen Zeit, und man findet ihn in Ravenna.

 

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Aber auch später im 7. und 8. Jh. tritt dieser Stil in Santa Maria Antiqua in Rom auf. Es ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, wie weit dieser Stil von byzantinischen oder lokalrömischen antikisierenden Maltraditionen oder, was das wahrscheinlichste ist, von beiden Quellen herrührt. Entscheidend ist, daß dieser antikisierende Stil für die vorikonoklastische und im Westen auch noch für die Ikonoklastenzeit bestimmend gewesen ist.

 

Die Malereien, die in der Darstellung der Mutter der Makkabäer, der Kreuzigung, der Anbetung der Magier in Santa Maria Antiqua in Rom zutage treten, sind den Miniaturen des Gregor und des Cosmas so verwandt, daß man angesichts dessen von einem Wiederanknüpfen an die vorikonoklastische Periode sprechen muß. Eine Erneuerung nach einer Unterbrechung, aber kein neues Ringen um Formprobleme wie in der abendländischen Renaissance des 13. oder 15. Jh., tritt uns hier entgegen.

 

Das zweite Problem bildet die veränderte Bildstruktur. Hier ist die Frage nicht so einfach. In der altchristlichen und vorikonoklastischen Malerei finden wir beide Tendenzen: die kontinuierlicherzählende Streifenkomposition als Derivat der Rolle und ein Vollbild (in Santa Maria Maggiore und in der Wiener Genesis). Auch in den beiden frühen byzantinischen Handschriften der nachikonoklastischen Periode findet man diese beiden Tendenzen, aber die Tendenz zur bildlichen Gestaltung des geschlossenen Vollbildes ist im Wachsen begriffen. Sie scheint die bevorzugte neue Bildform zu sein. Hier liegt also offenbar keine neue Erfindung vor, sondern es handelt sich um eine Bevorzugung oder gar Umgestaltung der Streifenform zu einer Bildform, die aus dieser Bevorzugung hervorgeht.

 

An den zwei hervorragendsten Miniaturhandschriften der makedonischen Renaissance, der Josuarolle der Vaticana und dem Pariser Psalter Nr. 139, kann man diese Feststellungen bestätigt finden.

 

Die Josuarolle der Vaticana ist die einzige erhaltene illustrierte Handschrift in Rollenform. In einer fortlaufend-erzählenden Art werden in zeitlich-historischer Aufeinanderfolge die Taten des alttestamentlichen Helden Josua geschildert. Die Abhängigkeit dieses Stiles von den römischen Triumphsäulen ist unverkennbar. Der Feldherr Josua wird hier, genau wie Trajan oder Marc Aurel, inmitten siegreicher Feldzüge an der Spitze seiner Truppen geschildert.

 

Aber nicht nur das verbindet die Rolle mit der römisch-antiken Kunst.

 

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Die Lebendigkeit der Schilderung, die Anschaulichkeit der Vorgänge, die Klarheit der Abfolge der einzelnen Begebenheiten, die Macht der packenden Erzählung, die flotte Bewegung der Einzelfiguren und der Massen, die Dramatik, die Drastik, das alles weckt die Erinnerung an die Hochblüte der antiken Kunst, in der sich diese hohen Qualitäten in reifster Ausprägung erhalten haben. Aber nicht nur das ruft die Erinnerung an die römisch-antike Kunst hervor, es kommen noch andere künstlerische Eigenschaften, die sich mit den erwähnten zu einer Einheit verbinden, hinzu.

 

Es ist dies die Darstellung des Raumes, der Landschaft, der Umgebung. In flotten skizzenhaften Strichen, lavierten farbigen Zeichnungen vergleichbar, tut sich vor uns der hügelige Hintergrund auf, wie hingehaucht, an japanische Landschaften erinnernde Baumsilhouetten, Stadtanlagen (Jericho), reizende römisch-antike Landhäuser, die in idyllischer Abgeschiedenheit den Hintergrund beleben, oder antiken Heiligtümern ähnliche, schlanke Rundädikulen, die von heiligen Hainen umgeben sind (die Emissäre der Gibeoniten, Vergehen und Tod Achans, die Rettung Rahabs durch die Spione Josuas). Der Raum ist tief gestaffelt, die Illusion der Tiefe und Weite sind übermächtig, die illusionistischen Mittel zur Hervorzauberung dieses Raumes überwältigend stark (Fall von Jericho, die Verfolgung der israelitischen Spione).

 

Man fühlt sich beim Anblick dieser Landschaften und Hintergründe mit ihren lauschigen Waldpartien und den aus den Hügeln auftauchenden Stadt- und Villensilhouetten an römische Landschaften erinnert, wie sie sich hauptsächlich in Pompeji oder in Neapel (Caivano) erhalten haben. Auch die duftige Andeutung der Atmosphäre weist in ihrer Auflösung auf spätantike Landschaftsbilder hin.

 

Dieser antike Gesamtcharakter wird noch durch eine Reihe von Personifikationen, die die Hügel und Berge bevölkern oder sich unter die Kämpfenden mischen, gesteigert. Oft gerät dieser antikisierende Charakter der Miniaturen mit dem christlichen Inhalt in Konflikt, so z. B. in der Darstellung des Dankgebetes Josuas oder der Emissäre der Gibeoniten. Josua steht betend vor einer antiken Ara, auf der ein Reinigungsfeuer (Opferfeuer) brennt, im Hintergrund befindet sich in einem Hain eine antike Ädikula, die wie ein heidnisches Heiligtum aussieht. Nur die Hand Gottes darüber erinnert an christliche Vorstellungen; so eng verknüpft kommt antikes Heidentum und Christentum nur selten zum Vorschein.

 

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Man hat nun bis vor kurzem angenommen, daß die Josuarolle eine Kopie einer aus dem 4. bis 5. Jh. stammenden altchristlichen Handschrift bildet. Über die Zeit der Entstehung dieser Kopie war man sich nicht schlüssig. Man verlegte sie bald ins 7. bald ins 10. Jh. Erst die letzten Untersuchungen haben ihre Entstehung ins 10. Jh. fixiert und sehen in ihr eine selbständige Schöpfung der makedonischen Renaissance (Weitzmann).

 

Dagegen erheben sich starke Zweifel, nicht was die Verlegung der Kopie ins 10. Jh. betrifft, sondern bezüglich der Selbständigkeit ihrer Schöpfung. Einzelne Teile der Rolle sollen im 10. Jh. durch Ersatzstücke ergänzt worden sein, verschiedene Einzelheiten sollen dem Original nicht entsprechen, so daß man eine Neuschöpfung bzw. eine weitgehende Abweichung von der ursprünglichen altchristlichen Rolle angenommen hat. Spätere Handschriftenillustrationen, wie z. B. der Oktateuch der Vaticana (Gr. 747), sollen den ursprünglichen Typus der Josuarolle besser wiedergeben.

 

Entscheidende Kriterien sprechen gegen diese Auffassung. Die Josuarolle ist eine Handschrift, die sich stilistisch engstens an ein altchristliches Vorbild anschließt. Dafür spricht vor allem der Stil der Rolle. Der Impressionismus, die flüchtige Art der gegenständlichen Darstellung, die weiten Räume, die Landschaft, die Wiedergabe der Atmosphäre, die organische Durchbildung des menschlichen Körpers, die rasche, überzeugende Beweglichkeit der Figuren, die pompejanischen Motive, die antiken Personifikationen, das antike Beiwerk, das alles spricht für eine Kopie nach einer altchristlichen Handschrift des 4—5. Jh. Es genügt, auf die Josuadarstellungen in Santa Maria Maggiore oder die Wiener Genesis hinzuweisen, um zu erkennen, daß sich in der altchristlichen Malerei stilistische Grundlagen erhalten haben, die auffallende Ähnlichkeiten mit der Josuarolle aufweisen.

 

Es ist zur Erklärung der Entstehung der Rolle auch nicht notwendig, auf irgendwelche hellenistisch-alexandrinische Einwirkungen hinzuweisen (Wulff, Morey), denn alle erwähnten »hellenistischen« Einwirkungen finden wir sowohl in der pompejanischen, der römischen, wie der altchristlichen Malerei bzw. den altchristlichen Vorbildern wieder, welche diese antiken Stiltendenzen innerlich verarbeitet haben. In der Josuarolle sind, stilgeschichtlich gesehen, keine grundlegenden Gestaltungsprobleme enthalten, die auf Einwirkungen einer vorpompejanischen hellenistischen Malerei schließen ließen,

 

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es sei denn, daß dieselben bereits in der pompejanischen Malerei umgeschmolzen wurden. Aber auch über die pompejanische Malerei gehen die Errungenschaften der Josuarolle hinaus, da sie eine Darstellungsweise zeigen, die sich erst in der spätrömischen und der altchristlichen Kunst ausgebildet hat. Es handelt sich hier um die fortlaufend-erzählende, den historischen Vorgang in seiner zeitlichen Abfolge abwickelnde kontinuierliche Schilderung der dargestellten Vorgänge.

 

Diese, durch Stil vergleiche erhärteten Tatsachen beweisen, daß es sich bei der Josuarolle um eine Kopie einer altchristlichen Handschrift des 4.-—5. Jh. handelt. Jede Kopie trägt auch den Stempel ihrer Zeit, das ist unvermeidlich. In einer relativ geringfügigen Verhärtung bzw. Verzeichnung der Formwiedergabe des nackten menschlichen Körpers, etwa bei der Wiedergabe der Beine, seltener bei der Gewanddarstellung, spiegeln sich die Stiltendenzen des 10. Jh. wider, sonst gibt die Kopie das Original treu wieder (vgl. Ullstein Kunstgeschichte, Band VII, Abb. 18).

 

Diese Sachlage wird durch die späteren Miniaturen des Oktateuch bestätigt (Vaticana Cod. Gr. 747; Cod. Gr. 746; Serail, Cod. 8; Smyrna Cod. A I; aus Athos: Vatopedi, Cod. 602 aus dem 13. Jh.). Alle erwähnten Miniaturen, mit Ausnahme der vatikanischen, 747, schließen sich der Josuarolle an, setzen aber deren Stil in den des 11., 12. oder 13. Jh. um. Sie sind charakterisiert durch einen harten Figurenund Gewandstil, das Fehlen der Raumtiefe, der illusionistischen Wiedergabe der Landschaft und durch erstarrte Bewegungen. Entscheidend ist der Umstand, daß sich die fortlaufende streifenartige Erzählung der Josuarolle in einzelne gerahmte Vollbilder verwandelt hat. Gerade diese Tendenz, ein geschlossenes Vollbild wiederzugeben, ist für die byzantinische Malerei der makedonischen und komnenischen Renaissance charakteristisch, wodurch andererseits wiederum nahegelegt wird, daß die Miniaturen der Josuarolle sich an das altchristliche Vorbild halten und am wenigsten von den Stiltendenzen des 10. Jh. geprägt wurden.

 

Wie verschieden sich dagegen die bekanntesten Miniaturmalereien des 10. Jh. zur Josuarolle verhalten, geht aus dem Pariser Psalter Nr. 139 hervor. Der Pariser Psalter wird als der Hauptvertreter der makedonischen Renaissancemalerei bezeichnet, und es erhebt sich auch hier wiederum die Frage, worin diese Renaissancebewegung der makedonischen Epoche besteht.

 

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Der Pariser Psalter beinhaltet vierzehn Miniaturen, acht Davidszenen (der harfenspielende David, Kampf Davids mit Goliath, Kampf Davids mit dem Löwen, die Frauen Israels huldigen David, Salbung, Krönung und Reue Davids, David zwischen Prophetie und Weisheit), zwei Mosesszenen (Übergang über das Rote Meer, Gesetzgebung) und Darstellungen aus dem Leben der Propheten und Könige (Gebet Jonas, Gebet Jesaias, Gebet Ezechiels, Gebet Hannas). Inhaltlich sind die Illustrationen uneinheitlich, jedenfalls beschränken sie sich nicht auf bloße Psalterillustrationen, sondern stammen eher von einer reichen Psalmen- und Odenillustration.

 

Aber nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch sind Unterschiede vorhanden. Ein Vergleich zwischen der Krönung Davids und der Darstellung »Die Frauen Israels huldigen David« einerseits, dem harfenspielenden David, der Reue Davids und dem Gebet Ezechiels andererseits, verrät große Unterschiede. Während die beiden ersten Darstellungen räumliche Unklarheit, Verzeichnungen und plumpe Figurendarstellung zeigen, zeichnen sich die anderen durch klare Raumwiedergabe, feine, eher illusionistische Hintergrundbehandlung und korrekt antikisierende Figurendarstellung aus. Man könnte noch weitere Unterschiede hervorheben (Abb. 11).

 

Diese Unterschiede können auf zwei Ursachen zurückgeführt werden, auf die Verschiedenheit der Vorlagen und auf die Verschiedenheit der Hände. Nachdem noch eine Reihe anderer Handschriften einen dem Pariser Psalter auffallend ähnlichen Stil verraten (Evangeliar in Stauronikita, Cod. 43 und Cod. Reg. Gr. 1 der Vaticana), würde man wie in anderen ähnlichen Fällen an eine Malwerkstatt denken, wobei auch eine Verschiedenheit der Vorlagen nicht ausgeschlossen ist.

 

Für die Stellung des Psalters in der makedonischen Renaissance sind der »schöne antikisierende« Figurenstil, die Bildstruktur und die Komposition entscheidend.

 

Den »schönen antikisierenden Figurenstil« teilt der Pariser Psalter, mit Ausnahme der erwähnten Darstellungen, die eine etwas plumpere und verzeichnete Figurenwiedergabe aufweisen, mit der Josuarolle. Auch die illusionistische Wiedergabe der Landschaft, die skizzenhafte Behandlung der Bäume, Stand- und Sitzmotive, die feine Wiedergabe der Atmosphäre, die gute Beobachtung in der Darstellung des nackten menschlichen Körpers, die räumliche Klarheit, die gute Erfassung des Hintereinanders von Figuren,

 

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ferner die antiken Personifikationen, pompejanische Motive, die als Säulenädikulen auftreten, zuletzt die enge Verbindung von christlichen und antiken Motiven, alle diese Merkmale, die in den besten Darstellungen des Pariser Psalters auftreten (z. B. im harfenspielenden David, im Kampf Davids mit Goliath und Davids mit dem Löwen), finden wir auch in der Josuarolle der Vaticana. Es gibt sogar antike Personifikationen, die sich in beiden Handschriften wiederholen, wie z. B. die der Nacht, oder die, die in engster Verbindung mit der Handlung stehen (Stadtpersonifikationen, Berggötter, Wüstenpersonifikationen).

 

Aus dieser Übereinstimmung kann man entnehmen, daß beide Handschriften auf ähnliche Vorbilder zurückgehen und daß die erwähnten Motive keine Erfindung einer gelehrten künstlichen Humanistengeneration sind, sondern daß sie sich an die vorangegangene vorikonoklastische Malerei anschließen und ferner, daß ähnlich wie in der Josuarolle hier kein alexandrinischer Hellenismus festgestellt werden kann, sondern die Fortsetzung jener Maltradition, die durch den Bilderstreit gewaltsam unterbrochen wurde. Man kann daher, von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, beim Pariser Psalter nicht von einer eigentlich schöpferischen Renaissance sprechen, sondern nur von einem Wiederanknüpfen an eine ältere vorikonoklastische Strömung, die damals bereits eine weitgehende Verschmelzung antiker und christlicher Motive vollzog.

 

Ungeachtet dieser Übereinstimmung gibt es aber auch Unterschiede. Sie beziehen sich auf die Bildstruktur. Die Josuarolle ist ein Vertreter des kontinuierlich-erzählenden Stils, der sich ununterbrochen in lebendigster Bewegung vor unseren Augen abrollt. In auffallendem Gegensatz dazu besteht der Pariser Psalter aus einzelnen Vollbildern, die sowohl durch das quadratische oder hochgestellte Format als eine breite ornamentierte Umrahmung sich von der Josuarolle unterscheiden. Größer kann der Unterschied nicht gedacht werden. Einerseits der kontinuierlich-erzählende fortlaufende Stil und anderseits das in sich geschlossene Vollbild.

 

Überprüft man die Vollbilder des Pariser Psalters, so fällt ein Unterschied in der figuralen Komposition auf. Bei einigen Darstellungen (dem harfenspielenden David, Kampf Davids mit Goliath und Davids mit dem Löwen, der Krönung, der Salbung Davids) entspricht dem Vollbild auch die für sich bestehende geschlossene Komposition. Bei anderen Darstellungen hat man den Eindruck,

 

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daß es sich um Ausschnitte aus einer kontinuierlich fortlaufenden Darstellung handelt (bei der Reue Davids, dem Gebet Ezechiels, der Jonasszene, der Gesetzesübergabe an Moses). Das Entscheidende bei jenen Darstellungen, wo die fortlaufende Erzählungsart vorherrscht, ist die Tatsache, daß zwei zeitlich voneinander geschiedene Szenen auf einem Bild dargestellt wurden und daß die Hauptperson zweimal wiederkehrt (David, Ezechiel, Jonas, Moses).

 

Ferner ist eine abrupte Darstellungsweise charakteristisch, d. h. die Geschlossenheit der Komposition ist dadurch gesprengt worden, daß einzelne Figuren ganz am Rande der Darstellung angebracht wurden und sich mit dem Rücken zur Mitte wenden, so als ob sie die Fortsetzung der Handlung, die plötzlich durch den Rahmen abgebrochen wurde, bilden würden (besonders kraß in der Reue Davids, Abb. n). Auch das Übereinanderstellen von Figuren, wie etwa im Übergang über das Rote Meer, und die plötzliche Unterbrechung einer bewegten Menschenmasse durch den Rahmen, sprechen für die Umsetzung einer fortlaufenden Erzählung in ein geschlossenes Vollbild.

 

Im Pariser Psalter sind im Gegensatz zur Josuarolle zwei Bildstrukturen vorhanden: Vollbilder mit geschlossenen einheitlichen Kompositionen und Vollbilder ohne geschlossene einheitliche Komposition, bei denen die fortlaufende Erzählung in einen Rahmen hineingepreßt und so künstlich zu einem Vollbild wurde.

 

Es erhebt sich die Frage, ob die Tendenz zur Gestaltung von Vollbildern bzw. die Umsetzung des fortlaufenden Erzählungsstils in Vollbilder eine Stileigentümlichkeit des 10. Jh. bildet oder sich bereits in der vorikonoklastischen Malerei vorfindet. Im allgemeinen hat sich die Umsetzung der Rollenform in einen Codex bereits in der altchristlichen Malerei vollzogen (Wiener Genesis), sie ist also keine neue Errungenschaft der Renaisance des 10. Jh. Die besprochenen Oktateuche und die ganze spätmakedonische und komnenische Malerei bevorzugen immer mehr das Vollbild. Dies hängt wohl mit der erstarkten Hieratik und der Tendenz, in den sog. Festen die Einzeldarstellung zu bevorzugen, zusammen.

 

Man hat also aus der vorikonoklastischen Malerei in erster Linie das entnommen, was den Stiltendenzen des 10. Jh. am besten entsprach, das Vollbild mit geschlossener Komposition, also die antike Bildstruktur. Es wäre nicht ausgeschlossen, daß einige Vorbilder, die eine kontinuierliche Darstellungsweise auf wiesen, im 10. Jh. zurechtgestutzt,

 

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d. h. durch die Anbringung von Rahmen in Vollbilder verwandelt wurden. Andererseits aber ist kaum anzunehmen, daß der ganze schöne antikisierende Stil neu erfunden, die vielen Personifikationen angestückelt wurden, da ja bereits in der altchristlichen, vorikonoklastischen Malerei ein antikisierender Stil herrschte und solche Personifikationen verwendet hat.

 

Wenn die Malereien in Castelseprio, die vor kurzem von italienischen Forschern entdeckt wurden, aus der vorikonoklastischen Zeit stammen sollten, wofür vieles spricht, dann hätten wir in ihnen einen Beweis mehr, daß großfigurige antike Personifikationen engstens mit altchristlichem Inhalt verschmolzen, bereits damals auch die Wandmalerei beherrschten.

 

Man muß sich daher bei der Beurteilung der mittelbyzantinischen Renaissance von den Vorstellungen der abendländischen Renaissance befreien. Sie ist keine grundsätzliche Neuschöpfung des 9. bis 10. Jh. wie die abendländische Renaissance des 13.—15. Jh., sondern eine Fortsetzung und Neubelebung einer bereits bestehenden Malerei, die durch den Bildersturm unterbrochen wurde. Es spiegelt sich in ihr die Tendenz, den »schönen antikisierenden Stil« aus dem Reservoir der altchristlichen Malerei hervorzuheben, und darin kommt bereits ein gewisses verfeinertes Stilempfinden zum Ausdruck, das für den Hof von Konstantinopel so bezeichnend war. Nicht umsonst hat man die Gruppe von Handschriften, die mit dem Pariser Psalter in Verbindung stehen, als Werk einer Malschule, die zu einer aristokratischen Richtung gehört, bezeichnet.

 

Wenn in letzter Zeit der Kaiser Konstantin Porphyrogennetos als der Urheber dieser Erneuerung bezeichnet wurde, und zwar nach authentischen Nachrichten, in dem Sinne, daß er sich um eine Restauration und Erneuerung dieses Lebens, das vergessen und verschwunden war, bemühte, so bestätigt dies die Interpretierung der byzantinischen Renaissance, die hier versucht wurde. Es ist mehr als auffallend, wie sich diese restaurative und bewahrende Renaissanceauffassung mit derjenigen Justinians deckt, der in der 17. Novelle seines Rechtscodexes von der Wiederherstellung des

 


 

Farbtafel V Kreuzreliquiar. Cosenza. Domschatz. 12. Jh. Vorderseite. Silber vergoldet und Email. 26 X 21 cm. 1222 von Friedrich II. der Kathedrale von Cosenza geschenkt

 

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ganzen schon verlorengegangenen und zusammengeschrumpften Altertums spricht (nobis reparantibus omnem vetustatem iam deperditam iam deminutam). Wir stoßen hier auf eine der entscheidenden Kern- und Existenzfragen des ganzen Byzantinismus.

 

Neben der höfischen, von Konstantinopel ausgehenden Buchmalerei besitzen wir eine andere, die als mönchische oder volksmäßige Psalterillustration bezeichnet wurde. An zwei Vertretern kann man die Stileigenschaften dieser Psalterillustrationen hervorheben, an dem Pantokratorpsalter im Athos (Cod. 61) und dem bekanntesten unter ihnen, dem Chludoffpsalter in Moskau (Historisches Museum, Cod. 129). Diese Psalterillustrationen bestehen aus Marginalienmalereien, die am Rande des Textes angebracht waren und in einer flotten, skizzenhaften, aber ausgesprochen derben Art den Psalter illustrieren und darüber hinaus verschiedene andere Szenen einflechten, wie z. B. erbauliche Darstellungen oder Darstellungen, die sich auf den Bilderstreit beziehen (Chludoffpsalter).

 

Die Darstellungen sind ungerahmt und schildern abgekürzt die einzelnen Begebenheiten, sie sind lebendig bewegt und fern von jedem »höfischen Klassizismus«. Es unterliegt keinem Zweifel, daß wir es hier mit einer Provinzkunst zu tun haben, und es ist höchstwahrscheinlich, daß diese Illustrationen in Kleinasien entstanden sind (Weitzmann). Auch diese Darstellungsart knüpft an den erzählenden Stil der altchristlichen Malerei an.

 

Die kleinasiatischen Psalterillustrationen beweisen, daß sich in den byzantinischen Provinzen im Gegensatz zur Hauptstadt ein vulgarisierter altchristlicher Stil erhalten hat, der sich über den Bildersturm hinaus bis ins Mittelalter fortsetzte. Die höfische »klassizisierende« Malerei hat ihn nicht zu verdrängen vermocht. Es spricht vieles dafür, daß diese Psalterillustrationen knapp nach dem Bilderstreit im 9. Jh. entstanden sind.

 

Im Zusammenhang mit ihnen sind die kappadokischen Höhlenfresken zu erwähnen. Sie schmücken die Wände von Höhlenkirchen in der Nähe von Caesarea. Ihre Entstehungszeit ist umstritten (9.—14. Jh.) und muß vorderhand offenbleiben.

 

Man kann zwei Stilgruppen von Malereien unterscheiden. Eine frühe Gruppe, in der sowohl in den Themen, in der Anordnung der Fresken als auch in dem Stil ein starker Archaismus festgestellt werden kann (Eusthatioskirche, Toquale Kilisse und Queledjar) mit friesartiger, chronologisch ablaufender Aneinanderreihung von Fresken,

 

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die ebenso wie gewisse Themen, z. B. die archaische Fassung der Frauen am Grabe und der Kreuzigung, an altchristliche Malereien erinnern.

 

Auch die Malweise ist grob stilisiert, von einem derben Graphismus getragen und entspricht diesem vulgarisierten altchristlichen Stil, dessen Nachklänge in den Mönchspsaltern nachwirken. Aber neben diesen Einflüssen dringen immer intensiver Konstantinopler Einwirkungen ein, die sich in der strengen Anordnung der Fresken nach den Vorbildern des Pantokratorzyklus mit Festen bemerkbar machen. Vor allem in den Kreuzkuppelkirchen von Gereme, QuaranlegKilisse und Elmaly-Kilisse tritt dieses strenge hauptstädtische Ausschmückungsprogramm in Erscheinung (Christus Pantokrator in der Mittelkuppel, Evangelisten in den Pendentifs, Propheten in den Bogen unter der Kuppel und Ansätze zu Festdarstellungen). Auch der lineare Graphismus der früheren Fresken tritt zurück und macht einem zwar derberen, aber doch »schönen Figurenstil« Platz.

 

Obwohl die Fresken von keinen hervorragenden Künstlern ausgeführt wurden, beweisen sie doch das Fortleben der altchristlichen Maltradition in den kleinasiatischen Provinzen und damit deren Zusammengehörigkeit mit der großen Kunst- und Kultureinheit des Mittelmeerraumes.

 

Wie sich der antikisierende schöne Figurenstil der Josuarolle und des Pariser Psalters und verwandter Miniaturen verflüchtigt, dafür sprechen Handschriften aus dem Ausgang des 10. Jh. und aus der komnenischen Periode (1081—1185).

 

In der makedonischen Zeit kann das vatikanische Menologion des Kaisers Basil II. (976—1025) den Umschwung verdeutlichen. Die Handschrift enthält vierhundertdreißig Miniaturen, wovon dreihundert auf Heiligen- und Märtyrerszenen entfallen. Es haben sich auch die Namen von acht Miniaturmalern erhalten, die an der Ausmalung des Codex beteiligt waren.

 

Die Miniaturen entfernen sich von dem impressionistischen Stil der makedonischen Renaissance durch die Zunahme an strengem mittelalterlichem Hieratismus, der durch frontale Heiligenfiguren und symmetrisch dargestellte Architekturen hervorgehoben wird, wie durch die konventionelle Wiedergabe der Landschaft durch kahle Felskulissen, hinter denen der goldene Hintergr- und zum Vorschein kommt, und durch das Zurückdrängen der die Figuren miteinander verbindenden Atmosphäre. Ferner tritt eine Monotonie

 

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durch die Wiederholung derselben Motive auf, die auf einen Niedergang der schöpferischen Kräfte hinweist, der durch eine souverän beherrschte Routine, etwa in der Farbengebung, nicht wettgemacht werden kann. Die große Zeit der byzantinischen Buchmalerei ist damit bereits überschritten. Die zahlreichen Nachahmungen des Menologions verraten ein weiteres Absinken des Stils.

 

In der komnenischen Miniaturmalerei ist ein Zunehmen des Hieratismus feststellbar. In den späteren Fassungen der Oktateuche, vor allem in dem Exemplar des Serail, das auf Veranlassung Isaaks, des Sohnes Alexius’I. Komnenos (1081—1118) illuminiert wurde, kann diese Zunahme der strengen mittelalterlichen Richtung beobachtet werden. Die Miniaturen entfernen sich sichtlich von den antiken Vorbildern, der Illusionismus tritt zurück, das Vollbild wird aus dem fortlaufenden Erzählungsstil, d. h. der Rollenform, herausgeschnitten.

 

Diese neuen hieratischen Tendenzen spiegeln sich auch in einer Reihe von Evangelienillustrationen wider. Neben den Evangelisten werden nun auch die Feste als Vollbilder in die Evangelien aufgenommen (Florenz, Laurenziana VI, 23; Athos Iviron Nr. 1).

 

Die neue Hieratisierung erfaßt vor allem die Figuren. Sie werden überaus schlank, mit kleinen Köpfen dargestellt. Offensichtlich ist die Tendenz zur Streckung der Figuren, die im Gegensatz zu dem »schönen Figurenstil« der makedonischen Renaissance steht (Evangeliar Med. Palat. 224 der Laurenziana in Florenz; Ende des 11. Jh.).

 

Daneben gibt es überaus reiche, kleinfigurige Evangelienillustrationen, wie im Pariser Evangeliar Nr. 74, wo auch Randminiaturen auf treten. In ihrer kalligraphischen, reich mit Gold durchwirkten Behandlung der Gewänder erinnern sie an byzantinische Emailarbeiten und wirken spielerisch, beinahe zu illustrativer Kunstfertigkeit herab gesunken.

 

Prunkhaft in der Ausführung, streng in der kompositioneilen Gruppierung der Figuren sind die Illustrationen der Homilien (Lobgesänge zu Ehren Marias), von dem Mönch Jakob Kokkinobaphos verfaßt. Zwei illuminierte Handschriften haben sich erhalten (Rom Vat. Gr. Nr. 1162 und Paris Nr. 1208), deren Darstellungen aus dem Leben Marias einen trockenen Stil zeigen, wie wir ihn bereits aus den Menologien kennen.

 

In den Bildnissen der byzantinischen Kaiser treten gewisse neue naturalistische Züge sowohl in der Darstellung der zeitgenössischen

 

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Tracht als auch in der individuellen Wiedergabe der Gesichter zutage, wie man das aus der Miniatur mit der Darstellung des Kaisers Nikephoros Botaniates (1078—1081) der Pariser Nationalbibliothek (Coislin 79) ersehen kann.

 

Im allgemeinen kann beobachtet werden, daß in der komnenischen Zeit die mittelalterlich-hieratischen, ja sogar mönchischen Tendenzen die üppige Blüte der antikisierenden Richtung mit ihrer positiven Einstellung zur sinnlichen Erfassung der Außenwelt zurückdrängen.

 

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