Die Byzantinische Kunst

Wladimir Sas-Zaloziecky

 

VI. Die Kunst in den Balkanländern

 

1. Allgemeine Voraussetzungen  127

2. Die Architektur. Basilikale Anlagen  129

3. Kuppelbasilika  130

4. Die byzantinische Kreuzkuppelkirche  133

5. Die letzte Phase der serbischen Bauentwicklung in der Morawaschule  136

6. Die Architektur in der Walachei und Moldau  138

    Die monumentale Wandmalerei

7. Bulgarien  141

8. Serbien und Makedonien  143

9. Stilistische Veränderungen  145

10. Die Wandmalerei in der Walachei und Moldau  148

 

 

1. Allgemeine Voraussetzungen

 

Im Gegensatz zu Osteuropa ist die byzantinische Kunst in den Balkanländern nicht erst seit dem 10. Jh, als ein »Fremdkörper« aufgepropfl: worden, sondern sie wächst aus den alten antiken und spätantiken Grundlagen heraus. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Balkanländer wenig von dem eigentlichen Mutterboden, auf dem die byzantinische Kunst entstanden ist. Die Wurzeln der byzantinischen Kunst liegen hier tiefer als in Osteuropa. Selbstverständlich gibt es auch hier Unterschiede; so sind die den Konstantinopler und den griechischen Einflüssen näher liegenden Gebiete, wie Bulgarien, Makedonien, Südserbien, stärker den byzantinischen Einflüssen ausgesetzt gewesen als etwa die Walachei und die Moldau oder die restlichen Teile Serbiens, aber im allgemeinen ist die byzantinische Kunstkoniponente hier stärker als in Osteuropa.

 

127

 

 

Es kommen noch zwei weitere Unterschiede dazu: ein sich öfter wiederholender Archaismus, d. h. ein retardierender Prozeß, der durch die geographische Lage bedingt war; so bilden z. B. gewisse Teile der Balkangebiete, wie Bulgarien, eine Art »Kunstreservates«, das sich zwischen den zwei großen Kultureinflüssen des Ostens und Westens durch das Beharren an alten Kunstformen abseits erhalten konnte. Und zweitens macht sich hier eine sehr früh einsetzende Durchdringung abendländischer, byzantinischer und später auch islamischer Kunstformen bemerkbar und verleiht den Kunsterscheinungen dieser Gebiete ein besonderes Gepräge.

 

Wenn man alle diese Erscheinungen übersieht, dann kommt man zu der Überzeugung, daß wir es mit einem einheitlichen Kunstgebiet zu tun haben, unbeachtet dessen, daß regionale Züge diesen Gebieten ein abwechselndes Kunstkolorit verleihen.

 

Selbstverständlich ist diese regionale Verschiedenheit auch zeitlich bedingt. Bulgarien empfängt die stärksten byzantinischen Einflüsse, sowohl durch seine geographische Nähe als durch die zwischen 1018—1186 einsetzende politische Abhängigkeit von Byzanz. Serbien entwickelt sich bereits unter den Nemanjiden im 12. Jh. zu einem selbständigen Staatsgebilde, das am stärksten die Durchdringung der byzantinischen und abendländischen Einwirkungen in schöpferischer Verarbeitung fördert. Unter Milutin (1282—1321) und Dušan (1331—1355), die weit ins griechische Gebiet vorstoßen, erreicht auch die serbische Kunst ihren Höhepunkt, um sich nach der verlorenen Schlacht am Amselfelde (1389) unter dem Vordringen der Türken nach Westserbien und Bosnien zurückzuziehen. Die Eroberung auch dieser Gebiete gegen die Mitte des 15. Jh. bereitet der blühenden mittelalterlichen Kunst Serbiens ein Ende.

 

Anders entfalten sich die Verhältnisse in der Walachei und Moldau. Hier entstehen staatlich-politische Kristallisationspunkte viel später, kaum vor dem Ende des 13. bzw. Anfang des 14. Jh. Bald geraten die beiden Fürstentümer unter den kirchlichen Einfluß Konstantinopels: Die walachische Kirche wurde im 14. Jh. dem byzantinisch geleiteten Erzbistum von Ochrid unterstellt, während die neue moldauische Metropole,

 


 

Farbtafel VIII Ikone aus St. Clemens in Ochrida (Skopolje, Makedonische Staatssammlungen). Verkündigung. 14. Jh. Ausschnitt: Verkündigungsengel. Vgl. Farbtafel VII

 

128

 

 

anfangs des 15. Jh. errichtet, von Konstantinopler Patriarchen abhängig wurde.

 

Während der politische Einfluß von Byzanz in diesen Gebieten schwächer war als in den eigentlichen Balkanländern, ist die kulturelle Abhängigkeit zweifelsohne vorhanden gewesen. Allerdings war sie stärker ausgeprägt in der Walachei, wo die Nähe Bulgariens und der byzantinisch beeinflußten Schwarzmeerküste diesen Einfluß begünstigte, während in der Moldau durch die Nachbarschaft der ungarischen und siebenbürgischen, abendländisch gefärbten Kultur sich stärkere abendländische Einflüsse geltend machen. Einen getreuen Niederschlag fand die historische Entwicklung in der bildenden Kunst.

 

 

2. Die Architektur. Basilikale Anlagen

 

Die Tatsache, daß die altchristliche Basilika in den Balkanländern eine bedeutende Rolle gespielt und sich bis in die mittelalterliche Periode erhalten hat, beweist, daß sich in dieser Hinsicht die Balkanländer eher an Griechenland und an den Westen als an Konstantinopel angeschlossen haben, wo die justinianische Wölbungsarchitektur die Basilika weitgehendst verdrängt hat.

 

Obwohl es nicht leicht ist, eine stilgeschichtliche Trennung zwischen der oströmischen und weströmischen Basilika zu vollziehen, sprechen die Überbetonung der Tiefenrichtung und die Säulenstellungen (Basilika in Stobi, Tropaeum Traiani, Palikura bei Stobi) für eine weströmische Tendenz, während die Tendenz zum Ausgleich zwischen Tiefenrichtung und Breitausdehnung, Pfeilerstellungen, polygonale Apsis und fortschreitende Bedeutung des Altarraumes (Mesembria, alte Metropole; Hissar, Stephansbasilika; Kaljaja bei Lebane) für östliche Kontantinopler Anlagen eher charakteristisch sind.

 

Die monumentalste basilikale Anlage hat sich in Bulgarien, und zwar in Aboba-Pliska, erhalten, der ersten Zarenresidenz des im Jahre 864 zum Christentum bekehrten ersten bulgarischen Reiches.

 

Es ist eine tiefenbetonte dreischiffige Basilika (Hauptschiff 35 X 13,70m), die sowohl durch ihre Ausmaße, ihre monumental angelegte doppelte Vorhalle und drei polygonale Apsiden auffällt.

 

129

 

 

Besonders kennzeichnend sind die Nebenaltarräume und die Verbindung von Säulenstellungen mit Pfeilern und Arkaden im Hauptschiff. Während die Tiefenstreckung der Basilika in Aboba-Pliska auf die alte, in den Balkanländern eingewurzelte weströmische Tradition hinweist, geht die Monumentalisierung der Basilika und die Bedeutung des Altarraumes mit den Nebenräumen in den Apsiden auf Konstantinopler Einwirkungen zurück.

 

Die Basilika in Aboba-Pliska bildet ein Beispiel für die archaischen Stiltendenzen in der Architektur der Balkanländer und verbindet sich mit einer Gruppe anderer Bauten der altbulgarischen Hauptstadt zu einer originellen Bauschöpfung. Eine ähnliche basilikale Anlage kann in den Überresten der Palastanlage in Aboba-Pliska (der sog. Große Palast) festgestellt werden, die, nach einer gelungenen Rekonstruktion von Krsto Mijatev, einem dreischiffigen Thronsaal gleichkam. Hier scheinen unmittelbare Einflüsse des Konstantinopler Thronsaales, und zwar der sog. Magnaura, vorzuliegen, einer Palas tanlage, die von Konstantin d. Gr. errichtet und im 9. Jh. erneuert wurde.

 

 

3. Kuppelbasilika

 

Neben der reinen basilikalen Anlage hat sich in den Balkanländern eine zweite Art von Basilika erhalten, die mit der Erneuerung der justinianischen Architektur aufkommt. Ihren Ausgangspunkt nahm diese Architektur in Thrakien, von wo sie sich auch in die angrenzenden Balkangebiete ausdehnte. Eine Vorstufe dieser Anlagen bildet die Basilika in Belovo, bei der im Gegensatz zu den vorhergehenden Basiliken Haupt- und Nebenschiffe gewölbt erscheinen.

 

Die ersten Kuppelbasiliken treten in Philippi (Derekler) und in der Eliaskirche bei Pirdop auf. In Philippi ist der Einfluß der justinianischen Architektur sowohl in der Verbindung zwischen Kuppel und dem basilikalen Schiff, das an die Irenenkirche in Konstantinopel erinnert, als auch in der Formensprache (die Kapitelle erinnern auffallend an die Sophienkirche in Kontantinopel) feststellbar. Auch die sich ansagende Kreuzform spricht für die Anfänge einer Kreuzkuppelkirche. Unausgeglichen allerdings im Gegensatz zu der Irenenkirche in Konstantinopel ist die Verschiebung der Kuppel nach dem Altarraum zu.

 

130

 

 

Die Kuppel ruht nicht auf vier freien Stützen, sondern im Westen auf zwei und im Osten auf der Apsis und ihren Strebepfeilern.

 

Entwickelter ist die Eliaskirche bei Pirdop. Ihre Ähnlichkeit mit der Irenenkirche durch die ausgeglichene Raumgestaltung und die Ausbalancierung der Kuppel ist größer als in Philippi. Die Anlage von Philippi wird in der Mitte oder in das dritte Viertel des 6. Jh., die Eliaskirche in die nachjustinianische Zeit datiert (Lemerle).

 

Auch die ursprüngliche Sophienkirche in Sophia scheint diesem Typus anzugehören, obwohl die Anlage im heutigen Zustand eine romanische, ausgeschiedene Vierung zu besitzen scheint. Nachdem aber sonst keine romanischen Bauformen zu finden sind und die Anlage sich in ihrem ursprünglichen Zustand nicht erhalten hat, müssen romanische Einwirkungen in Zweifel gestellt werden. Die Überwölbung aller Raumteile, das Fehlen von plastischen Wandgliederungen würden eher für einen frühbyzantinischen Ursprung sprechen.

 

Neben längs gerichteten Bauanlagen besitzen wir eine Reihe von gewölbten Rundbauten in den Balkanländern. Einige gehen auf römische Thermenanlagen (Georgskirche in Sophia), andere auf Anlagen vom Typus des Mausoleums in Spalato (Split) zurück, wie etwa die Rundkirche in Preslav aus dem 9. bis 10. Jh. Die letzte schließt sich den archaisierenden Tendenzen, die wir in den Basiliken von Aboba-Pliska festgestellt haben, an.

 

Reichere Zentralanlagen mit Umgang (Perustica, Rote Kirche) bilden etwas vereinfachte Ableger einer stilistisch verwandten Baugruppe von San Lorenzo in Mailand, der Hadrianstoen in Athen und des Rundbaus in Adrianopel.

 

Eine Gruppe von verwandten einschiffigen Kuppelbasiliken hat sich in Bulgarien (Stanimaka) und Altserbien (Raszien) (Kursumlija, Georgskirche in Ras und Studenica) erhalten. Sie zählen zu den bedeutendsten Kirchenanlagen dieses Typus. Die nächsten Stilparallelen finden wir auf der Insel Chios (Apostelkirche in Pyrghi, Sikelia, Nea Moni).

 

Während die bulgarische Anlage eine durch Schichtung hervorgerufene farbige Auflösung der Außenwände aufweist, tritt in den reifen serbischen Anlagen eine erstmalige Durchdringung der Kuppelbasilika mit romanischen Formelementen auf. Die Georgskirche in Ras (nach 1183) weist zwei massive Fassaden türme, querschiffartige Eingänge im Hauptschiff und eine romanische Außendekoration auf.

 

131

 

 

Zu den schönsten Anlagen dieser Art gehört die Muttergotteskirche in Studenica, eine Stiftung des Großzupans Stephan Nemanja (1183—1196). Die Kirchenanlage in Studenica kann man als eine der frühesten schöpferischen Auseinandersetzungen zwischen der byzantinischen einschiffigen Kuppelbasilika und spätromanischen Architekturformen bezeichnen. Im Gegensatz zu den rein byzantinischen Kuppelbasiliken haben wir es hier mit einem Quaderbau zu tun, dessen Wände mit Bogenfriesen und Lisenen gegliedert erscheinen. Nur die Größe der Kuppel und ihre beherrschende Stellung innerhalb des Bauganzen übertrifft die viel bescheidenere romanische Vierung.

 

Die Anlage besitzt drei romanische Portale. Das Hauptportal ist reich abgestuft und mit Skulpturen im Tympanon (Maria zwischen Engeln) geschmückt. Diese reifen spätromanisdien Formen sind auf dem Weg über Süditalien (Apulien) direkt oder über Dalmatien nach Altserbien eingedrungen. Die nächsten Stilparallelen treten im Hauptportal des Domes in Bitonto, dem Löwenportal in S. Nicola in Bari und in S. Leonardo in Siponto auf.

 

So bildet Studenica einen wichtigen Markstein in der Geschichte der Architektur Serbiens. Der Außenbau und die Dekorationen der Wände, Portale und Fenster schließt sich der süditalienisch-romanischen Architektur an, während die Raumgestaltung durch die dominierende Kuppel auf byzantinische Bauformen zurückgeführt werden kann. Diese Durchdringung westlich-romanischen und östlich-byzantinischen Formengutes entspricht der Zwischenstellung Altserbiens und dem geschickten Lavieren zwischen den abendländischen und byzantinischen Kultureinflüssen des Großzupans Stephan Nemanja.

 

Es ist auch für die ganze kommende Entwicklung der serbischen Architektur bezeichnend, daß trotz aller späteren Rückschläge diese schöpferische Synthese zwischen den beiden Richtungen immer wieder aufkommt und die Stellung Serbiens innerhalb der Architektur Südosteuropas bestimmt.

 

Man kann sogar im 13./14. Jh. von einer gewissen Vertiefung der abendländischen Einflüsse sprechen. In einer Reihe bedeutender Kirchenbauten, wie in der Krönungskirche in Žiča (1208—1221), der Erlöserkirche in Peć (um 1233), Morača (1252), Sopoćani (um 1260) und Gradac (Ende des 13. Jh.),

 

132

 

 

verändert sich die Grundgestalt der Kuppelbasilika durch Anfügung von sich klar abzeichnenden Querschiffen. Auch hier sind süditalienische Einflüsse (S. Giovanni Vecchio in Stilo, Kalabrien) anzunehmen. Eine Sonderstellung nimmt die Anlage in Dečani (1328—1338) ein, die man als den letzten Ausläufer dieser Stilrichtung bezeichnen könnte.

 

Dečani hat sich unter abendländisch-italienischem Einfluß in eine mehrschiffige Basilika verwandelt, die Kuppel hat ihre beherrschende Stellung eingebüßt, die einzelnen Räume sind mit gotischen Kreuzgewölben bedeckt, die den einheitlichen byzantinischen Raumeindruck in eine tiefenbetonte Jochabfolge verwandeln. Die Dekoration der Portale und Fenster schließt sich an Studenica an. Daß diese Einwirkungen über das Küstenland vermittelt wurden, beweist der Erbauer von Dečani, der Franziskanermönch Fra Vita aus Cattaro.

 

 

4. Die byzantinische Kreuzkuppelkirche

 

Eine breite Schicht von byzantinischen Kreuzkuppelkirchen kommt in den eigentlichen Balkanländern, mit Ausnahme von Griechenland, erst spät auf. Die frühen Kreuzkuppelkirchen (Johanneskirche in Mesembria, neuentdeckte Anlagen in Pliska, Vodoca in Makedonien, German am kleinen Prespasee) hängen wohl mit direkten byzantinischen Einflüssen (Ostbulgarien) zusammen oder treten durch griechische Vermittlung (Makedonien) auf. Aber im Grunde genommen sind es im 9.—11. Jh. nur sporadische Erscheinungen.

 

Eine größere Anzahl von Kreuzkuppelkirchen in den Ost- und Westbalkangebieten tritt erst im 14. Jh. auf. Sie unterscheiden sich sowohl von den ziemlich schmucklosen frühen Kreuzkuppelkirchen als auch untereinander.

 

In den bulgarischen Kreuzkuppelkirchen des 14. Jh. tritt eine offenkundige Abhängigkeit von der palaiologischen Architektur der Hauptstadt in Erscheinung. Die schweren Kuppelpfeiler der frühen Anlagen (Johanneskirche in Mesembria) werden durch Säulen ersetzt, auf denen die Kuppel sich wie schwebend erhebt; die Außenwände bestehen aus Marmorquadern und roten Ziegelschichten und glasierter reicher Ornamentik (Pantokratorkirche und die Kirche des Johannes Aleiturgitos in Mesembria, Abb. 37).

 

133

 

 

Diese koloristische Belebung der Wände finden wir in Konstantinopel wieder (Tekfurserail, die Vorhalle der Kilisse-Djami).

 

Eine reiche Blüte der Kreuzkuppelkirche entsteht in Serbien und Makedonien. Es ist mehr als auffallend, daß die sich in der raszischen Bauschule anbahnende Verschmelzung der abendländischen und byzantinischen Baukunst in der serbischen Architektur des 14. Jh. plötzlich unterbrochen wird und eine Wiederbelebung der Kreuzkuppelkirche ihre Triumphe feiert. Eine Reihe von großen Stiftungen Milutins stellt dies unter Beweis, und zwar die bedeutenden Anlagen in Prizren (Fünfkuppelkirche Ljeviska, 1307—1309), Staro Nagoričino (1312—13) Gračanica (1313—1315), oder schlichtere Kirchen, wie die Nikitakirche in Čučer (1308—1318) oder die nach Milutin entstandenen Anlagen in Stip (1331) und Ljuboten (1337).

 

Aber der Unterschied zu den bulgarischen Anlagen besteht darin, daß wir es hier nicht mit Konstantinopler, sondern mit Einwirkungen der griechischen Architektur zu tun haben. Saloniki und das griechische Hinterland haben hier in stilistischer Hinsicht befruchtend eingewirkt. So ist eine stärkere Auflösung des klassischen geschlossenen Kreuzkuppeltypus durch eine lockere, malerische Komposition der Baumassen und eine farbig wirksamere Behandlung der Wände in Gegensatz zur Hauptstadt getreten.

 

Nichtsdestoweniger sind in dieser ersten Phase der Entwicklung der Kreuzkuppelkirche Abweichungen von der griechischen Architektur vorhanden, die in einer Verarbeitung gotischer Tendenzen zum Ausdruck kommt. Die Anlage in Gračanica spiegelt diese neuen Tendenzen am besten wider (Abb. 35 und Fig. 27).

 

Der Ausgleich der Proportionen einer Konstantinopler Kreuzkuppelkirche ist aufgehoben worden. Ähnlich wie in der Apostelkirche in Saloniki reichen die Eckkuppeln nur bis zum Fuß der Kuppel. Dazu kommt, daß die Hauptkuppel von einem Vertikaldrang erfaßt wurde, der alle Teile in ihr ausklingen läßt. Sogar die abschließenden Bogen der Tonnengewölbe unter der Kuppel haben gotische Spitzbogenformen angenommen.

 

Bezeichnend ist ebenfalls, daß zwischen der Außengliederung der Wände und der Raumdisposition keine Übereinstimmung besteht. Die Nebenkuppeln sind aus den Achsen ganz verschoben worden. Dieselben Neuerungen beherrschen das Innere.

 

134

 

 

Fig. 27 Gračanica. Klosterkirche. 1313-1315. Grundriß

 

 

Der byzantinische Raumausgleich wurde durch den steilen Vertikalaufbau der Hauptkuppel, die überhohen, schlanken »aufgesplitterten« Pfeiler, die dem Innern eine schwindelerweckende Höhe verleihen und die schweren Baumassen entstofflichen, überwunden. Die Gesetze der gotischen Architektur nisten sich hier in eine byzantinische Kreuzkuppelkirche ein und verändern schöpferisch ihre Grundlagen. Ein Nachwirken der raszischen Schule ist noch spürbar.

 

Erst in der Zeit Dušans tritt eine Reaktion des klassischen Typus der Kreuzkuppelkirche in der Anlage von Matejić (1355) auf. Es ist eine byzantinische Kreuzkuppelkirche in »Reinkultur«, die uns hier entgegentritt, nur in ihrer farbigen Auflösung der Mauerflächen sich an Griechenland anschließend.

 

Der neue Anschluß der serbischen Architektur an Griechenland ist hauptsächlich aus der südlichen Expansion des serbischen Staates unter Milutin und Dušan zu erklären.

 

135

 

 

5. Die letzte Phase der serbischen Bauentwicklung in der Moravaschule

 

Während in den östlichen Balkangebieten unter dem Vordringen der Türken nach der Schlacht am Amselfelde (1389) ein Stillstand eingetreten ist, verschiebt sich die ganze Bautätigkeit nach dem Westen ins Moravatal. Hier spielt sich die Endphase in der Entwicklung einer freischöpferischen südosteuropäischen Architektur ab.

 

Ausgangspunkt dieser letzten Phase bilden weder Konstantinopel noch Griechenland, sondern die Architektur des Athosberges, die der Moravaschule die Form einer Dreipaßkirche (Trikonchos) vermacht. Diese Grundform einer strengen Klosterarchitektur wird durch abendländische Einflüsse des Küstenlandes (Dalmatien) und islamische Einflüsse, die sich hier über Sizilien kommend ausbreiten, frisch belebt.

 

In der Moravaschule können wir zwei Stilgruppen unterscheiden: eine frühere mit Ravanica (1374—1377), Kruševac (nach 1381), Nova Pavlica (nach 1381), die aus der Zeit des Knezen Lazar stammt, und eine spätere mit Lubostinja (1402—1406), Kalenić (1407—1413) und Manasija (1406—1418), welche von den Nachfolgern Lazars Anfang des 15. Jh. errichtet wurde.

 

Zwei Hauptbauformen bestimmen die Architektur des Moravatales: ein dreischiffiger Trikonchos mit einer mittleren Kuppel auf vier Stützen (Ravanica, Nova Pavlica, Manasija, Lubostinja) und ein einfacher einschiffiger Trikonchos mit Kuppel ohne Innenstützen (Kruševac, Kalenić). Stilistische Anhaltspunkte sprechen dafür, daß die dreischiffigen Anlagen den Ausgangspunkt der ganzen Entwicklung gebildet haben.

 

In der Außengestaltung der reifen Bauanlagen der Moravaschule, etwa in Kruševac (Abb. 36 und Fig. 28) und Kalenić, fällt die farbige Behandlung der Wände auf, welche alles übertrifft, was bis jetzt in dieser Hinsicht in den Balkanländern erreicht worden war. Ein rascher Wechsel von farbigen Quadersteinschichten, Ziegellagen mit breitem weißem Mörtelverputz, glasierte Ornamentik an den Fensterrahmen, bunte intarsiaartige Füllungen von Fenstern und Kuppelhelmen (Kalenić) steigern die koloristische Wirkung dieser Bauten. In dieser radikalen farbigen Auflösung der Wand sind hier bereits islamische Einwirkungen Siziliens und Süditaliens vorhanden.

 

136

 

 

Fig. 28 Kruševac (Serbien). Kirche. Nach 1381. Grundriß

 

 

Neben dieser farbigen Auflösung der Wand tritt wieder eine Tendenz zur strafferen Gliederung der Wände durch Wandsäulen und Lisenen auf (Kruševac, Kalenić). Auch spitzbogige Fensterformen treten in Erscheinung (Kalenić). In der Ornamentik der Fenster und Portale herrscht eine flächige »unprofilierte« Ausweitung einer Ornamentik, die hauptsächlich aus Flechtwerk und symbolischen Tierdarstellungen besteht.

 

Durch den hohen Kuppeltambour ist ein radikaler Flöhendrang vorhanden, der bereits in Gračanica die Außengestaltung betonte. Auch hier sind latente gotische Tendenzen vorhanden.

 

Die Einflüsse Dalmatiens machen sich hauptsächlich in der Anlage der Klosterkirche von Manasija bemerkbar. Sie bildet insoweit einen Bruch mit der farbigen Behandlung der Außenwände, als sie den reinen Quaderbau wieder einführt. Strenge Gliederung durch Wandsäulchen, ferner gotische Fenstermotive beweisen, daß hier dalmatinische Meister am Werke waren.

 

Man sieht, daß auch hier ein ähnlicher Verschmelzungsprozeß von Bauformen stattgefunden hat wie in der frühserbischen Architektur. Dies war aber die letzte schöpferische Atempause vor dem endgültigen Zusammenbruch durch das siegreiche Vordringen der Türken nach dem Westen.

 

Aber die letzte Phase der Entwicklung der serbischen Architektur bleibt nicht ohne Nachfolge. Sie befruchtet in höchstem Maße die Bauschöpfung der Walachei und Moldau. Auch geschichtliche Zusammenhänge beweisen diese stilgeschichtlichen Feststellungen. Das orthodoxe Christentum wurde durch die Klostergründungen des serbischen Mönches Nikodemus und seiner Schüler in der Walachei (1374) und Moldau eingeführt.

 

137

 

 

6. Die Architektur in der Walachei und Moldau

 

Mit einer sichtbaren Verspätung im Vergleich mit den anderen Balkangebieten kommt die Architektur in der Walachei und Moldau auf.

 

Die politischen Verhältnisse haben sich hier später konsolidiert als im Süden, so daß vor dem 14. Jh. keine nennenswerte Baukunst anzutreffen ist.

 

In der Walachei bilden im Gegensatz zur Moldau zwei Grundbauformen die Grundlagen der ganzen Entwicklung, wenn wir von den frühen tonnenüberwölbten Bauten (Nikolauskirche in Curtea de Argeș) absehen: der Trikonchos und die Kreuzkuppelkirche.

 

Der Trikonchos läßt sich stilistisch mit den serbischen Anlagen des Moravatales in Zusammenhang bringen, während die Kreuzkuppelkirche mit der hauptstädtischen Architektur in Zusammenhang steht.

 

Die frühe und bedeutendste Dreikonchenanlage in Cozia (1393 von Mircea d. Gr. errichtet) schließt sich eng an die Architektur von Kruševac an. Es ist dieselbe farbige Wirkung der Wände, dieselbe bordürenartige flache Fensterornamentik, die Gliederung der Wände durch Blendarkaden und der Vertikalismus der Kuppeltambours, die dem Bau den Stilcharakter der Moravaschule verleihen.

 

In den zwei späteren, stilistisch miteinander verwandten Dreikonchenanlagen der Walachei, der Klosterkirche in Dealu (um 1500 errichtet von Radu d. Gr.) und der bekannten Bischofskirche in Curtea de Argeș (errichtet 1512—1517 von Neagoe Bassarab), tritt eine sichtbare Änderung auf.

 

Der farbige Schichtenwechsel der Wände wird durch Quadern ersetzt, eine prononcierte Gliederung in zwei Stockwerke und stark vorspringende und profilierte horizontale Gesimse verleihen den Bauten einen strengeren, architektonisch durchgestalteten Stilcharakter. Dazu kommt eine reichgestaltete Vorhalle mit Kuppeln. Besonders auffallend ist die Monumentalität der Vorhalle in der Bischofskirche von Curtea de Argeș.

 

Eine Steigerung der Ornamentik läßt sich an den Kuppeln beobachten, wo neben den »à jour« durchbrochenen flachen »Fensterbordüren« eine plastische Gliederung der Kuppelsockel und des Tambours sich bemerkbar macht. Zum erstenmal treten hauptsächlich in Curtea de Argeș islamische Ornamentmotive auf, und zwar in dem »seilartig« gewundenen Wulst,

 

138

 

 

der horizontal die Wände in zwei Stockwerke scheidet, und in den Stalaktitenmotiven der Kranzgesimse und der Portalornamentik. In der Ornamentik und Gliederung der Wände begegnen sich hier venezianische Motive (Santa Maria dei Miracoli in Venedig) mit rein islamischer, teppichartig sich ausbreitender Ornamentart.

 

In den walachischen Dreikonchenanlagen verbinden sich eine byzantinische Raumgestaltung mit venezianischer, renaissanceartiger Wandgliederung und islamischer Ornamentik.

 

Dagegen schließen sich die Kreuzkuppelkirchen der Walachei, und zwar die Nikolauskirche (Biserica Domneasca) in Curtea de Argeș (14. Jh.), die alte Metropole in Târgoviște (1518), die Fürstenkirche in Târgoviște (1582), dem reinen Typus einer hauptstädtischen Kreuzkuppelkirche an.

 

Im Gegensatz zur Walachei mit ihren engeren Bindungen an Byzanz tritt in der Moldau ein anderer historischer Prozeß der Bauentwicklung auf.

 

Die Kreuzkuppelkirche suchen wir vergebens. Dafür bildet den herrschenden Bautypus der Trikonchos der Moravaschule. Aber diese byzantinische Grundform wird durch starke gotische Einwirkungen der Nachbarländer, hauptsächlich Siebenbürgens, weitgehendst schöpferisch umgestaltet.

 

Die frühesten Anlagen in der Moldau scheinen längsgerichtete basilikale Anlagen mit gotischem Charakter gewesen zu sein, die durch die Adaptierung geschlossener Vorhallen an den orthodoxen Ritus angeglichen wurden (Anlage in Radautz, Wende 14./1 5. Jh.). Aber bereits um 1400 tritt der Trikonchos in Erscheinung (Siret, DreieinigkeitS“ und Johanneskirche) und wird zum herrschenden Bautypus der Moldau.

 

Im Gegensatz zu dem Trikonchos der Athosklöster und des Südostens erfährt er hier eine tiefgreifende Gotisierung. In einer Reihe von frühen Anlagen aus der Zeit Stefans d. Gr. (1457—1504), und zwar in den Kirchen von Pătrăuţi (1487), Bădăuţi (1487), der Eliaskirche in Suczava (1488) und der Georgskirche in Voroneţ (1488) kann man die neuen Stilveränderungen feststellen.

 

Im Außenbau wird die blockmäßig geschlossene ausbalancierte Formgestaltung der byzantinischen Architektur durch vertikale Tendenzen aufgelöst; hauptsächlich in den abfallenden gotischen Satteldächern und dem spitzen Turmaufsatz der Kuppel.

 

139

 

 

Im Grunde genommen beherrscht den Bau nicht mehr die byzantinische Kuppel, sondern ein den Bau nach oben auflösender gotischer Turmaufsatz. Auch an den Fenstern und Portalen treten reine gotische Formen auf, die in engstem Zusammenhang mit der siebenbürgischen Gotik stehen. Auch im Innern ist eine Gotisierung der Gewölbe erfolgt. Das ruhige statische Lagern der byzantinischen Kuppel wurde durch die Verdoppelung der Zahl der Pendentifs in eine unruhige aufgelöste, leichte, schwebende Wirkung der Kuppel verwandelt. Es wäre möglich, daß hier auch islamische Kuppellösungen eingewirkt haben.

 

Die höchste Blüte erfahren die moldauischen Klosteranlagen in der späteren Regierungszeit Stefans d. Gr. An einer Reihe monumentaler Anlagen, wie in Neamţ (1497), Borzești (1493—1494), Războieni (1496) und späteren in Suczava (Georgskirche, 1514 bis 1522, Fig. 29), Suceviţa (1585), kann diese originelle Entfaltung der moldauischen Architektur verfolgt werden.

 

Die meisten von diesen Klosterkirchen zeichnen sich durch ihre Langstreckung aus. Die Vorhallen und Schiffe bestehen aus überkuppelten Traveen, wodurch die zentrale Wirkung des Trikonchos abgeschwächt wird. Es gibt sogar Kirchen, wie z. B. die Johanneskirche in Piatra (1497—1498), wo der Trikonchos im Außenbau überhaupt nicht in Erscheinung tritt.

 

Diese stilistischen Veränderungen gehen auf eine durchgehende Gotisierung des Trikonchos zurück.

 

Fig. 29 Suczava. Georgskirche. 1214-1522. Grundriß

 

140

 

 

Die monumentale Wandmalerei

 

7. Bulgarien

 

Nicht das Mosaik, sondern die Freskomalerei beherrscht die monumentale Wandmalerei der Balkangebiete. Es sind große einheitliche Malzyklen, die alle Wände, Gewölbe und Kuppeln bedecken und farbig auflösen. Ein streng festgelegtes Ausschmückungsprogramm mit dem beherrschenden Pantokratorbild in der Kuppelmitte, den Festen des Kirchenjahres, hierarchischer Stufenleiter und Rangordnung in der Darstellung der Heiligen, Märtyrer, Anachoreten und Mönche und mit der Kommunion der Apostel in der Apsis bildet den dogmatisch-liturgischen Inhalt der Darstellungen.

 

Eine Trennung zwischen den Ost- und Westbalkanländern macht sich, ähnlich wie in der Architektur, auch hier bemerkbar. Der Ostbalkan hängt enger mit der Malerei der Hauptstadt zusammen, während im Westbalkan abendländische Einwirkungen eine entscheidendere Rolle spielen und sowohl inhaltlich als auch stilistisch eine Wandlung verursachen.

 

Diese Trennung macht sich bereits in Bulgarien bemerkbar. Sie ist sowohl kunstgeographisch als auch zeitlich bedingt. Von den frühen ostbulgarischen Malereien hängen diejenigen der Grabkapelle des Klosters von Backovo aus der Mitte des 12. Jh. engstens mit der komnenischen Malerei der Hauptstadt zusammen. Das Ausschmückungsprogramm entspricht noch dem strengen hierarchischen Pantokratorsystem, wenn auch in einer verkürzten Fassung, während im Stil der klassische Hieratismus, eine formale Geschlossenheit und Anpassung der Kompositionen an die Architektur, überschlanke, elegante Figurendarstellung und der festlichfeierliche Gesamtcharakter der Dekoration die sublime Atmosphäre der byzantinischen Hauptstadt atmen.

 

Während der Errichtung des zweiten bulgarischen Reiches (1186 bis 1393) bildet die Hauptstadt Tirnovo das Zentrum der ostbulgarischen Malerei. Die Anfänge dieser Tirnover Malschule sind schwer faßbar, da die Malereien der Kirche der vierzig Märtyrer in Tirnovo (1230 errichtet), mit Ausnahme unbedeutender Reste in der Vorhalle, sich nicht erhalten haben und die Kopien des Museums in Sophia keine Handhabe zur stilistischen Bestimmung bilden.

 

141

 

 

Überreste von Freskendarstellungen der Tirnover Malschule haben sich in vierzehn Kapellen in Trapezica erhalten, die meistens Darstellungen von Kriegerheiligen oder auch Fürstenpersönlichkeiten enthalten. In der Beweglichkeit der Figuren, in freien Standmotiven, individualisierten Zeittrachten und bewegtem, knittrigem Faltenstil spiegelt sich bereits der neue Malstil des Palaiologenzeitalters des 13.—14. Jh. wider.

 

In dem letzten hervorragenden Denkmal der Timover Schule, den Malereien der Peter-und-Paul-Kirche in Tirnovo, deren Entstehung ins 14. und 15. Jh. fällt und die sich nur fragmentarisch oder in Kopien erhalten haben, kann man diese engen Beziehungen zu der Konstantinopler Hofkunst bestätigt finden. Während die frühere Darstellung des Todes Mariä noch die strengere byzantinische Hieratik verrät, spiegelt sich bei den Aposteln und Eremitenfiguren der Vorhalle in der illusionistischen Lichtmalerei und stärkeren Individualisierung der Gesichter der Stil der Malereien in Mistra wider.

 

Im Gegensatz zu der ostbulgarischen Malerei tritt in den westbulgarischen Fresken in Bojana, Zemen, Berende eine andere Richtung auf.

 

Ein Denkmal der frühen westbulgarischen Malerei hat sich in Bojana in der Nähe von Sophia erhalten. Während in der Kuppelkirche noch das Pantokratorsystem mit einer gewissen Lockerung des streng dogmatischen Inhalts vorherrschend ist, treten in der Grabkammer, die aus dem Jahre 1259 stammt, neue Strömungen auf, die entweder direkt oder auf dem Wege über die Kreuzfahrergotik abendländische Einflüsse erfahren haben. In den christologischen Szenen ist in der freien räumlichen Verteilung und lebhaften Beziehung der Figuren zueinander dieser Einfluß spürbar, während in den Porträtfiguren der Stifter (Sebastokrator Kalojan, Prinzessin Dessislava, Zar Konstantin und Zarin Irene) sich sowohl in der Tracht als auch vor allem in der individuellen Wiedergabe der Gesichter abendländische gotische Einflüsse bemerkbar machen.

 

In den Malzyklen von Zemen (1354 durch den Despoten Dejan ausgemalt) tritt eine weitere tiefgreifende Wandlung ein. Zum Festzyklus gesellen sich Passionsszenen, die eine viel entscheidendere Rolle spielen als in der mittelbyzantinischen Malerei. Aber auch der Stil ist einer tiefen Wandlung unterworfen.

 

Es ist ein ausgesprochener Archaismus, der in den Fresken von Zemen zum Vorschein kommt.

 

142

 

 

An den Passionsszenen (Christus vor Pilatus, Kreuzigung) kann man eine direkte Abkehr von der antikisierend-byzantinischen Malweise feststellen: Disproportionierung in der Figurenwiedergabe, Flächenprojektion der Figuren, räumliche Unklarheit, eckige Bewegungen, graphische Behandlungen der Falten verraten eine Abwendung von Byzanz und eine Anknüpfung an die vorikonoklastische Malweise, die man sowohl in den kappadokischen Höhlenmalereien als auch in den unteritalienischen Höhlenmalereien beobachten kann. Dazu kommen noch grobe naturalistische Motive, die aus der abendländischen Malweise entlehnt wurden.

 

Das Zurückgreifen auf vorikonoklastische Vorbilder erfolgt auch in der italienischen Malerei des 13. Jh. Nur daß die bulgarischen Fresken diese Stiltendenz noch vergröbern und daher als Ausdruck eines gewissen Rückfalles ins Archaische und Vergröberte erscheinen.

 

In Berende (14. Jh.) ist dieser Archaismus teilweise überwunden worden, und es tritt die illusionistische Lichtmalerei des Palaiologenzeitalters wieder stärker in Erscheinung (Tod Mariä).

 

 

8. Serbien und Makedonien

 

Die Bedeutung der monumentalen Malerei der Westbalkanländer ist erst in der letzten Zeit erkannt worden. Sie bildet heute einen aufschlußreichen Beitrag nicht nur zur Geschichte der Malerei des Südostens, sondern in ihr kann man einen ähnlichen Durchdringungsprozeß der abendländischen und byzantinischen Malerei wie in der Architektur verfolgen.

 

Folgende Stilphasen in der Geschichte der Malerei der Westbalkanländer sind zu unterscheiden:

 

1. Der Ausklang des monumentalen Malstils, der das Ende des 12. und das ganze 13. Jh. umfaßt. Den Ausgangspunkt dieses Stiles bildet Altserbien (d. h. Raszien). Die Hauptdenkmäler dieser Richtung haben sich in der Marienkirche in Studenica (Ende des 12. Jh.), in Žiča, Mileševo (um 1237), spätere Werke aus der zweiten Hälfte des 13. Jh. in Sopoćani (1272—1276), Gradac und Arilje (um 1300) erhalten.

 

2. Eine tiefe Wandlung vollzieht sich unter dem Einfluß der spätbyzantinischen Malerei im 14. Jh. Hauptausbreitungsgebiete dieses spätbyzantinischen Stiles bilden Südserbien (das sog. byzantinische Serbien) und Makedonien.

 

143

 

 

Hier kann man zwei größere Stilgruppen unterscheiden: eine frühere aus den ersten Dezennien des 14. Jh. mit Staro-Nagoričino, Gračanica, der Königskirche in Studenica, der Nikitaskirche Čučer, Peć und den späteren Malereien in Žiča, ferner eine zweite Gruppe um und nach Mitte des 14. Jh. mit Dečani, Matejić, Ljuboten, Lesnovo, Sopoćani, Markov Manastir und der Andreaskirche an der Treska bei Skoplje.

 

3. Die Schlußphase der Entwicklung der Wandmalerei des Westbalkans bildet am Ausgang des 14. und in den ersten Jahrzehnten des 15. Jh. das Moravagebiet (sog. Schule von Resava). Zu den wichtigsten Denkmälern dieser Gruppe gehören die Malereien in Lubostinja, Rudenica, Manasija und Kalenić.

 

Was die Veränderung innerhalb des Ausschmückungsprogramms und der Darstellungsstoffe anbelangt, so vollzieht sich dieselbe in drei Etappen.

 

Vom hieratisch-feierlichen Monumentalstil des 12. und 13. Jh. schreitet das Ausschmückungsprogramm zu einer erzählend-zyklischen und von dieser zur enzyklopädisch-erzählenden Darstellungsweise des 14. Jh. weiter. Später, um die Wende des 14. und 15. Jh., macht sich eine gewisse Einschränkung der Darstellungsstoffe bemerkbar.

 

Im hieratisch-feierlichen Monumentalstil, in dem die Pantokratordarstellung in der Kuppel, die Hauptfeste und die feierliche Darstellung der Liturgie in der Apsis das ganze Ausschmückungssystem beherrschen, schieben sich im 14. Jh. Darstellungen aus dem Leben Christi (Wunder- und Passionsszenen), wie in Staro-Nagoričino, Matejić, oder Darstellungen aus dem Leben Mariä (Königskirche in Studenica) oder einzelne Heiligenviten in das ganze Ausschmükkungssystem ein.

 

Um die Mitte des 14. Jh. steigert sich diese erzählend-zyklische Art zu einer wahren Enzyklopädie von Darstellungen, die in Dečani ihren Höhepunkt erreicht.

 

Durch das neue Ausschmückungssystem tritt auch ein neues Verhältnis zum Beschauer in Erscheinung.

 

In dem mittelbyzantinischen Ausschmückungssystem hat die orthodoxe Lehre ihre volle Auswirkung erfahren. Die Wiedergabe des überirdisch-göttlichen Seins verlegte sie als zentrale Idee in die Kuppel, von wo aus sie, ausstrahlend in hierarchischen Abstufungen,

 

144

 

 

über das Dogma der zwölf Feste und die Darstellungen der Liturgie des Opfers im Altarraum bis an die Schwelle des irdischen Bereiches herabreicht. Durch diese Stufenleiter wird der Beschauer in die Sphäre des erhaben-feierlichen Seins bis zum Ruhepunkt dieses Seins läuternd emporgehoben.

 

Nun verändert sich der Inhalt des Ausschmückungsprogrammes, und es schieben sich zwischen den Beschauer und das überirdischkosmische Sein die erzählenden Zyklen ein. Die spannungsreiche Verdichtung der Beziehung des Beschauers zum Überirdischen wird zerrissen. So wird den rein objektiven Spiegelungen des dogmatischgedanklichen Aufbaues ein neues Moment der subjektiven Inanspruchnahme des Beschauers gegenübergestellt. Gleichzeitig mit der Subjektivierung der Darstellungsinhalte erfolgt eine Annäherung dieser Darstellungen an den Beschauer. Es folgt eine weitgehende Humanisierung und Naturalisierung der Darstellungen, und es werden in den Darstellungen der heiligen Personen ein gutes Stück realer Welt und eine weitgehende »Vermenschlichung« der Gefühlsinhalte vorweggenommen.

 

 

9. Stilistische Veränderungen

 

In der Wandmalerei des 13. Jh. wirkt noch die Tradition der byzantinischen Wandmalerei und Mosaikmalerei nach.

 

In den Fresken von Milesevo (die Kirche wurde um 1236 unter König Vladislaus errichtet, die Fresken jedoch dürften später sein) tritt in der Nachahmung des goldenen Mosaikhintergrundes durch eine gelbe Farbe, in der plastischen Modellierung, der monumentalen Gewandbehandlung und in der illusionistischen Farbengebung der Gesichter der monumentale byzantinische Stil in Erscheinung.

 

In den späteren Wandmalereien von Sopoćani (1272—1276 oder später), hauptsächlich in den Darstellungen der Propheten, der Apostel, der Kreuzigung und des Todes Mariä spiegelt sich ein neuer monumentaler Figurenstil wider, der in der plastischen Rundung, selbstbewußten Haltung, monumentalem Wurf der Gewandung, antikisierenden Tendenzen und illusionistischen Körperbehandlung seine Stilparallelen in der italienischen Malerei des 13. Jh., und zwar in den Engeldarstellungen von Grottaferrata (1272), den Fresken in Santa Maria in Vescovia (1270),

 

145

 

 

in alttesta mentlidien Szenen aus der Oberkirche in San Francesco in Assisi (1270—1280) und in den Werken Pietro Cavallinis (Santa Cecilia) besitzt.

 

Auch die geistige Verinnerlichung und Sublimierung des Gefühlslebens, die in den Szenen der Ohnmachtwerdung der Maria (Svanimentomotiv), in der Kreuzigung von Sopoćani zum Ausdruck kommen, gehen auf die Verinnerlichung der italienischen Malerei zurück (Abb. 39). Es spiegeln sich darin Wandlungen des religiösen Lebens, die mystisch-religiöse Bewegung der Franziskaner und der dolce stil nuovo, der sich über Sizilien weiter auf das Küstengebiet und die Westbalkangebiete ausdehnt. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, fallen die Fresken der Pantelejmonkirche in Nerezi bei Skoplje, die man nach der Portalinschrift, die aus der Zeit des Alexios Komnenos (1164) stammt, sich jedoch nicht direkt auf die Wandmalereien bezieht, datiert, aus ihrer Zeit heraus und dürften später entstanden sind.

 

Es müssen daher bei der Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen der byzantinischen und abendländischen Malerei in den Balkanländern zwei geschichtliche Erscheinungen im Auge behalten werden: erstens die Verschmelzung der byzantinischen und abendländischen Malerei in der Palaiologenmalerei selbst außerhalb der Balkanländer und ihre Ausbreitung in die Balkanländer und zweitens die Aufnahme weiterer italienischer Einflüsse in den Balkanländern, welche durch die oben erwähnte Verschmelzung in der Palaiologenmalerei begünstigt gewesen ist.

 

Im 14. Jh. verändert sich die Lage. Durch die südöstliche Expansion des serbischen Staates unter Milutin und Dušan kommt es auch in der Wandmalerei zu einer stärkeren Annäherung an die spätbyzantinische Malerei der Palaiologen. Denkmäler der Malerei am Anfang des 14. Jh., vor allem die Fresken der Königskirche in Studenica (um 1314) mit den Darstellungen aus dem Leben Joachims und Annas (Abb. 38), ferner die stilistisch untereinander verwandten und von griechischen Malern ausgeführten Freskenzyklen von Staro Nagoričino (um 1317), Gračanica (um 1320) hängen mit dem Stil der Mosaiken der Kachrije-Djami in Konstantinopel oder den ihr nahe verwandten Fresken in Griechenland (wie etwa den Malereien der Hagios-Christos-Kirche in Verria aus dem Jahre 131J, oder den ursprünglichen Malereien in den Athosklöstern, wie in Chilandar oder dem Protaton in Karyäs) zusammen.

 

146

 

 

Die Zunahme des erzählenden Stiles, die friesartige Darstellungsart, die Vorliebe für Passionsszenen, eine weitgehende Belebung der Szenen, gesteigerter psychischer Ausdruck (Passionsszenen in Staro Nagoričino, in Gračanica), stärkere Individualisierung, antikisierende Figuren- und Architekturdarstellungen, freiere Raumwiedergabe (Darstellung des Tempelganges Marias in Studenica), ferner Verminderung des Bildformates weisen auf die weitgehendste Lockerung des strengen hieratischen Stiles der monumentalen byzantinischen Malerei hin, der im 13. Jh. in den Balkanländern noch vorgeherrscht hat«

 

Die Stilgruppe von Staro Nagoričino-Gračanica zeichnet sich nichtsdestoweniger durch harmonische, in sich geschlossene Kompositionen, klaren Raumaufbau, gemäßigte Bewegungen, eine psychische Belebung der Vorgänge und gut beobachtete Proportionierungen der Figuren aus, so daß man sie als Wandmalereien des »Schönen Stiles« bezeichnen könnte. In erster Linie gehören dazu die Passionsszenen, Darstellungen aus dem Leben Christi und die Georgslegende aus Staro Nagoričino. Es ist naheliegend, diese Wandlung mit der Annäherung an die Malerei Griechenlands des 14. Jh. zu erklären.

 

Eine weitere Lockerung des strengen byzantinisch-hieratischen Ausschmückungssystems und eine Abschwächung des »Schönen Stiles« bilden die späteren Wandmalereien, die zur Zeit Stefan Dušans oder unmittelbar nach ihm inDečani (1348), inMatejić (nach 1355), im Markovkloster (um die Mitte des 14. Jh.) und in Lesnovo (1349) entstanden sind. Eine Fülle von Darstellungen, die in Dečani einen abendländisch-enzyklopädischen Zug verraten, die Vermehrung von Zyklen, ferner eine Vergröberung des Stiles bei gleichzeitiger Steigerung visionärer Ausdruckskraft (in den Darstellungen des Markovklosters »Rachel beweint ihre Kinder und will sich nicht trösten, da sie nicht mehr leben«) ist für diese zweite Phase der serbischen Malerei um die Mitte des 14. Jh. charakteristisch.

 

Die letzte Phase der Geschichte der serbischen Malerei bildet die sog. Schule von Resava und vollzieht sich ähnlich wie die der Geschichte der Architektur im Moravatal. In den Wandmalereien von Ravanica (1381), Lubostinja (zwischen 1402—1405), Manasija (1406 bis 1418) und Kalenić (zwischen 1407—1413) breitet sich ein neuer illusionistischer Stil aus, der mit der griechischen Malerei, vor allem den Fresken von Mistra (Peribleptoskloster) eng zusammenhängt.

 

147

 

 

Dieser illusionistische Stil spiegelt sich in der Zunahme der Monumentalität (Lubostinja), der großen Form, Steigerung der impressionistischen Farbenwirkung, im pastosen Farbenauftrag und starker Licht- und Schattenwirkung wider (z. B. in der Darstellung des hl. Maximos in Ravanica, des Engels in Manasija und Johannes des Barmherzigen in Kalenić, Abb. 40).

 

Auch die kühne Raumbehandlung, die mystische verinnerlichte Versenkung, welche sich in den Gesichtern spiegelt, die reiche Stofflichkeit und das gedämpfte Kolorit der letzten Ausläufer dieser Malerei in Manasija und Kalenić finden ihre nächsten Stilparallelen in den monumentalen Freskenzyklen von Mistra. Eine besondere Verfeinerung haben die Fresken in Kalenić erfahren. Die Figuren haben an Schlankheit und Eleganz gewonnen. Die dramatischen Handlungen weichen einer milden, gefühlsbetonten Beziehung der Figuren untereinander (Marienzyklus, Hochzeit zu Kana). Ähnliches gilt von den Wandmalereien in Manasija. Eine reiche Verwendung von Gold an den Kleidern und Heiligenscheinen verrät eine zunehmende Steigerung stofflicher Pracht, wie sie sonst für die norditalienische gotische Malerei, vor allem für Venedig charakteristisch ist.

 

Daß diese illusionistische Hell-Dunkel-Malerei über Griechenland nach Serbien gelangte, beweisen die kunstgeschichtlich bedeutenden Malereien der Andreaskirche an der Treska bei Skoplje (1389). Hier kommt der malerisch-illusionistische Stil zum vollen Durchbruch. Die illusionistische Auflösung des Raumes beherrscht das letzte Abendmahl, die Fuß Waschung und das Gebet am ölberg. Durch die intensive Durchdringung von Licht- und Schattenwirkungen und durch die skizzenhafte Auflösung der Gesichter kommt eine weitgehende gegenständliche Entstofflichung auf. Man wird an die Malereien Theophanes’ des Griechen in Novgorod erinnert.

 

 

10. Die Wandmalerei in der Walachei und Moldau

 

Die Wandmalerei dieser Gebiete hat sich enger an die byzantinische Maltradition angeschlossen als die Architektur. Das läßt sich wohl damit erklären, daß die an den byzantinisch-orthodoxen Ritus gebundene Malerei nicht diesen tiefen Wandlungen unterworfen war wie die Architektur. Allerdings weist die Wandmalerei der Moldau eine Sonderstellung innerhalb der Geschichte der spätbyzantinischen Malerei auf,

 

148

 

 

die sich auf die Erweiterung der Darstellungsstoffe auf die Außenwände bezieht und die sonst keine Parallelen in der Geschichte der byzantinischen Malerei besitzt.

 

Der Walachei gebührt der Vorrang, das byzantinische Dekorationssystem zum erstenmal in die dortige Architektur eingeführt zu haben.

 

Der Bestand der Wandmalereien in der Walachei aus dem 14. bis 16. Jh. ist äußerst gering. Viele Wandmalereien haben sich nur in Fragmenten oder im übermalten Zustand erhalten (Cozia, Bischofskirche in Curtea de Argeș) oder es sind nur Nachrichten über solche Freskenausschmückungen überliefert worden (Fresken der alten Metropole in Târgoviște).

 

Das bedeutendste Werk der walachischen Malerei sind die Fresken der Nikolaus-Domnesc-Kirche in Curtea de Argeș. Sie sind relativ gut erhalten und bieten eine gute Vorstellung von der Gesamtdekoration einer walachischen Kirche um die Mitte des 14. Jh.

 

Das Ausschmückungsprogramm schwankt, wie in der serbischen Wandmalerei, zwischen einem reinen hierarchischen Pantokratorzyklus und einer reich belebten Erzählungsweise. Zum Pantokratorzyklus gehören Darstellungen der Feste, welche die sichtbaren Flächen der oberen Tonnengewölbe und Wände einnehmen. Unter den Festen befinden sich an den Wänden Darstellungen aus dem Leben Christi und Wunderszenen auf der Nordseite, Passionsszenen und Darstellungen aus dem Leben Marias und Josefs auf der Südseite. Es ist auffallend, daß das strenge hierarchische Prinzip hier noch nicht so gelockert erscheint wie in den serbischen Malzyklen und die Passionsszenen eine viel bescheidenere Rolle spielen.

 

Eine Bereicherung hat auch die Ausschmückung der Apsis erfahren. Sie hat sich in eine mystische Darstellung des Tabernakels mit huldigenden Erzpriestern und Königen verwandelt.

 

Den Stil der Fresken hat man mit dem Mosaikzyklus der KachrijeDjami in Konstantinopel in Zusammenhang gebracht. Vor allem können gewisse Übereinstimmungen in der apokryphen Mariengeschichte (Flucht nach Ägypten, Verhör von Quirinus) hier und dort festgestellt werden. Aber stilistisch weichen die Malereien der Nikolauskirche in Curtea de Argeș von den Konstantinopler Mosaiken ab.

 

Die Raumdarstellung ist unklarer, die antikisierenden Tendenzen sind schwächer. Es scheinen daher Einflüsse der Palaiologenmalerei hier nicht direkt,

 

149

 

 

sondern eher auf dem Umweg über die Balkanländer eingedrungen zu sein. Viele stilistische Berührungspunkte bestehen zwischen Staro-Nagoričino und Gračanica. Auf demselben Weg sind auch stärkere italienische Einwirkungen erklärbar.

 

Die Bedeutung der Fresken in Curtea de Argeș beruht darin, daß sie eine enge Verbindung mit der Malerei der Balkanländer bilden.

 

Einen anderen Weg beschreiten die Wandmalereien der Moldau. Sie treten erstens später auf und nehmen in ihrer Entwicklung eine Sonderstellung in der Geschichte der spätbyzantinischen Malerei ein. Da sie zeitlich den Rahmen dieser Darstellung überschreiten, können nur ihre Ausgangspositionen angedeutet werden.

 

Die Masse der Denkmäler der moldauischen Wandmalerei des 15. und 16. Jh. kann in zwei Stilgruppen eingeteilt werden:

 

1. Frühe Werke um die Wende des 15./16. Jh., welche sich noch enger an die Ausläufer des byzantinisch-hieratischen Stiles anschließen, deren bedeutendster Vertreter sich in Voroneţ erhalten hat.

 

2. Die eigentliche Blütezeit, welche sich bis zur Mitte des 16. Jh. erstreckt und die man als die klassische Periode der moldauischen Wandmalerei bezeichnet hat (Paul Henry). In dieser Periode entsteht ein neues Ausschmückungsprogramm, das in der Erweiterung der Ausschmückung auf die Außenwände und in der Verarbeitung des strengen Stiles durch verschiedene fremde Kunstströmungen beruht. Zu den wichtigsten Vertretern dieser Stilgruppe gehören die Fresken in Homor (1530), Vatra-Moldoviţei (1537) und in der Georgskirche (1522) und Demetriuskirche in Suczava.

 

Die inhaltliche Verteilung des Bilder schmuckes beruht auf dem Pantokratorsystem; die Darstellung der Feste mußte dem Dreikonchentypus so angepaßt werden, daß die wichtigsten Darstellungen in den Konchen der Apsiden Platz gefunden haben. Darunter befinden sich die Passionsszenen, die entweder um die ganzen Wände herumlaufen (Homor, Vatra- Moldoviţei, Suczava: Georgs- und Demetriuskirche) oder nicht chronologisch konsequent verlaufen wie in Voroneţ.

 

Diese Anordnung ist für die spätbyzantinische Malerei der Balkanländer charakteristisch. Die Darstellungen in den Konchen gehen auf die Klosterkirchen des Athosberges zurück. In der Ausschmükkung der Apsiden ist insofern eine Abweichung von der Malerei der Balkanländer vorhanden, als die Darstellung der Kommunion der Apostel durch ein Mittelfenster zerrissen (Voroneţ, Homor, Vatra-Moldoviţei) oder durch andere Darstellungen erweitert wurde.

 

150

 

 

Neu gegenüber der Malerei der Balkanländer ist der Schmuck der Außenwände. In den moldauischen Anlagen wird ein Teil des bildlichen Ausschmückungsprogramms seit dem 16. Jh. in einer Reihe bedeutender Anlagen, wie in Voroneţ, Homor, Vatra-Moldovftei, Georgskirche in Suczava und verschiedenen anderen Kirchen, auf die Außenwände verlegt.

 

Da man hier keine Analogien in der byzantinischen Malerei finden kann, denkt man unwillkürlich an die monumentalen Ausschmückungssysteme abendländischer Kathedralen, wo ein Teil des gigantischen, ideal-bildlichen Programmes im plastischen Schmuck nach außen verlegt worden ist. Auch der umfassende Reichtum der Darstellungsstoffe erinnert an die aufs Enzyklopädische gerichteten Aufgaben abendländischer Kathedralen, welche die sichtbare und unsichtbare Welt umfassen.

 

Allerdings ist ein tiefer Unterschied zwischen der abendländischen und byzantinischen Auffassung vorhanden. Es ist nicht der Kampf der Heilstatsachen mit der niedrigsten Stufe des Kreatürlichen wie in den gotischen Kathedralen, sondern der verklärte Triumph der christlichen Idee in hieratischer Erhabenheit, der in den moldauischen Außenwandmalereien seinen Ausdruck gefunden hat. So bilden die beiden Kernstücke der Außendekoration moldauischer Kirchenanlagen das Jüngste Gericht an der Westseite der Vorhalle und ein überdimensioniertes Triumphbild in Form einer Huldigung an Christus an den Apsiden (sog. Deesis). An den Seiten wänden befinden sich Darstellungen der Wurzel Jesse, des Akathistos Hymnos (Hymnus zu Ehren Mariä) und des Lebens von Lokalheiligen.

 

Den Mittelpunkt der Deesis in Voroneţ bildet Gottvater, darunter die thronende Muttergottes mit Kind, und Christus im Kelche (sog. Amnos). Dasselbe Thema wird mit kleinen Abweichungen in Homor, Vatra-Moldoviţei und anderen Kirchen wiederholt. Schließlich wird die ganze Darstellung von einer himmlischen Hierarchie, die in Abstufungen bis zur irdischen Kirche herabreicht, umrahmt. Im Grunde genommen spiegelt sich in dieser Darstellung der Apsis eine verklärte gigantische Santa Conversazione der ökumenischen östlichen Kirche wider, die den Beschauer in die erhabenste Sphäre himmlischer Hierarchie versetzt.

 

Stilgeschichtlich bilden die Fresken im Innern der Kirche von Vorone; die frühesten Darstellungen in der Moldau und dürften bald nach der Errichtung der Kirche um 1488 entstanden sein.

 

151

 

 

In ihnen spiegelt sich noch in ziemlich ungebrochener Reinheit die byzantinische Stiltradition wider; die Szenen sind auf einige wenige Figuren beschränkt, die Landschaft und die Felsenkulissen folgen der alten konventionellen byzantinischen Darstellungsart (Auferstehung, Verklärung, der Weg nach Golgatha). Wenig differenziert ist auch die Architektur, es fehlt vor allem eine räumliche Verbindung zwischen Figuren und Architektur (Kommunion der Apostel, letztes Abendmahl). Das erzählende Moment, die Steigerung des Gefühlsausdruckes und die Vermenschlichung ist z. B. in den Passionsdarstellungen noch nicht so entwickelt wie in den späteren moldauischen Freskendarstellungen.

 

Die Fresken in Voroneţ sind am nächsten den Malereien in Xenophon auf dem Athosberge und den Malereien des »Schönen Stils« in Staro-Nagoričino verwandt, wenn auch der Stil einen strengeren, altertümlicheren Charakter als bei den letztgenannten aufweist.

 

In den nächstverwandten Zyklen von Homor (1530) und Vatra-Moldoviţei (1537) können wir die tiefe Stilwandlung verfolgen. Das Überindividuelle, Unpersönlich-Erhabene und Feierliche weicht lebendigen Schilderungen. Es weicht auch die Atmosphäre eines über der Naturbasis stehenden erhabenen Idealismus, und man steht der Schilderung wirklichkeitsnäherer Begebenheiten gegenüber.

 

Besonders stark tritt dieser neue Stil in den Passionsszenen von Vatra-Moldoviţei in Erscheinung. In der Kreuzaufrichtung und der Kreuzabnahme kommt neben der sicheren Geschlossenheit der Komposition, der klaren Raumwiedergabe eine Verinnerlichung der Gefühlsinhalte auf, welche in Homor noch fehlte. In der Pilatusszene sind nicht nur zeitgenössische Trachten, eine überzeugende Schilderung einer Menschenmenge mit individualisierten handelnden Personen wiedergegeben, sondern auch die packende Lebendigkeit der ganzen Szene dargestellt worden. Dieser neue Stil ist aus den Balkanländern in die Moldau eingedrungen, und eine weitere Bereicherung dieser »okzidentalisierten« byzantinischen Malerei erfolgte durch Anregungen der benachbarten siebenbürgischen gotischen Malerei.

 

Schließlich bildet das Jüngste Gericht der Kirche in Voroneţ, das zwischen 1547 und 1550 entstanden ist, eine neue Rückkehr zum strengeren byzantinischen Stil, der sich durch eine strenge Geschlossenheit der Komposition, eine Ausbalancierung der Figurenmassen, gemäßigte Bewegung der Figuren, erhabene Feierlichkeit und klare Umrißzeichnung dieser Figuren auszeichnet.

 

152

 

 

Hier ist der »byzantinisch-akademische«, etwas trockene Malstil, der in den Malereien der Athosklöster im 16. Jh. vorherrschend war, wieder in Erscheinung getreten.

 

[Previous] [Next] 

[Back to Index]