Die serbokroatischen Kolonien Süditaliens

Milan Rešetar

 

(Vorwort)

 

 

In vorliegender Abhandlung sind die Resultate der Reise niedergelegt, die ich im Herbst 1907 im Aufträge und mit Unterstützung der Balkankommission der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu den serbokroatischen Kolonien Süditaliens unternommen habe. Diese wurden allerdings in den letzten Dezennien mehrfach, speziell auch von Slawisten besucht, doch fehlte es noch immer an einer zusammenfassenden Darstellung derjenigen Merkmale im Volksleben dieser Kolonisten, die sie aus ihrem Vaterlande in die neue Heimat mitgebracht und Jahrhunderte hindurch bis auf den heutigen Tag bewahrt haben, vor allem fehlte es an einer eingehenden Beschreibung des hauptsächlichsten unter diesen Merkmalen, nämlich ihrer Sprache. Obgleich sich nun die eigene Sprache der Kolonisten relativ noch am besten erhielt — denn auf den übrigen Gebieten des Volkslebens haben sich die Kolonisten ihrer italienischen Umgebung fast gänzlich angepaßt —, so war es doch die höchste Zeit festzustellen, welche Entwicklung das Serbokroatische in dieser seit Jahrhunderten vom Mutterlande gänzlich getrennten Sprachinsel genommen hat und wie es vom Italienischen beeinflußt wurde, da —, wenn bei der früheren Abgeschiedenheit und sehr' unzulänglichen kulturellen Entwicklung dieser Kolonien zwei bis vier Jahrhunderte notwendig waren, um aus den meisten von ihnen rein italienische Ortschaften werden zu lassen —, so werden unter den seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ganz geänderten Verhältnissen, die in - den noch erhaltenen Kolonien italienischer Kultur und italienischer Sprache Tür und Tor offen lassen, kaum viel mehr als ebensoviele Dezennien genügen, um diese interessante ethnographische Oase vollständig verschwunden zu lassen.

 

Leider war meine Zeit etwas zu knapp bemessen, somit konnte ich mich der Erforschung der sonstigen ethnographischen Eigentümlichkeiten im Leben der Kolonisten nur nebenbei widmen, um so mehr, als eine solche auch eine mir fehlende genaue Kenntnis der ethnographischen Verhältnisse Süditaliens notwendigerweise voraussetzte. Übrigens dürfte hier nicht viel nachzuholen sein, denn alles weist darauf hin, daß von dieser Seite der Italianisierungsprozeß schon sehr große Fortschritte gemacht hat. Ich habe daher vorzüglich die Sprache der Kolonisten studiert, da man hier in der relativ kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand, noch die sichersten und vollständigsten Resultate erzielen konnte.

 

Wenn ich aber zu befriedigenden Ergebnissen gelangen konnte, so habe ich es zum großen Teile Fräulein Concettina Giorgetti und ihrem Bruder, Herrn Ingenieur cav. Giovanni Giorgetti sowie Herrn Gemeindearzt Dr. Luigi Vetta in Acquaviva zu verdanken, die aus Liebe für ihre engere Heimat und ihren heimatlichen Dialekt mir mit großem Eifer und feinem Verständnis bei meinen Forschungen zur Seite standen.

 


 

 

Nicht weniger bin ich dem inzwischen leider verstorbenen Bürgermeister von Acquaviva, avv. Giovanni Graziani, und seiner edlen Gattin zu Dank verpflichtet, die mir und meiner Frau, die mich besonders auf ethnographischem Gebiete tatkräftig unterstützte, die Möglichkeit boten, uns für die Zeit unseres Aufenthaltes unter den Kolonisten ein eigenes Heim zu gründen und zu unterhalten — eine Aufgabe, die in einem Orte, wo es auch nicht das kleinste Gasthaus gibt, nicht so leicht zu lösen war und einige Zeit sogar meine Reise überhaupt als nicht ausführbar erscheinen ließ. Zuletzt muß ich mich bei Herrn Prof. J. Baudouin de Courtenay in St. Petersburg dafür aufrichtig bedanken, daß er mir die von ihm an Ort und Stelle in der Mundart der Kolonisten aufgezeichneten Texte bereitwilligst zum Gebrauche und zur Veröffentlichung überließ, während Herr Dr. Athos Mainardi in Urbino und Herr Dr. Angiolino Vetta in Acqua viva mir mehrere Photographien freundlichst zur Verfügung stellten, die für einige dem Werke beigegebenen Illustrationen verwendet wurden.

 

Wien, im September 1910.

 

M. Rešetar.

 

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