Die serbokroatischen Kolonien Süditaliens

Milan Rešetar

 

(A.) Historisch-ethnographischer Teil.

 

I. Bisherige Forschungen.

§ 1. — Gegenwärtige slawische Siedlungen in Italien  (Spalte 1)

§ 2. — Entdeckung der süditalienischen Slawen; M. Pucić und G. De Rubertis  3

§ 3. — Comparetti, Ascoli, Vegezzi-Ruscalla  6

§ 4. — Makušev und Drinov; Rolando; Kobelt  10

§ 5. — Kovačić; Hanusz; Aranza; Baudouin  12

§ 6. — Smodlaka und Barac; Baldacci; Gelcich; Rešetar  14

 

II. Ältere slawische Siedlungen in Italien:

§ 7. — im Friaul, in Venetien, Venedig;  17

§ 8. — in den Marken  19

§ 9. — im Königreich Neapel (im allgemeinen)  22

§ 10. — in den Abruzzen  24

§ 11. — in Apulien  31

§ 12. — in der Basilicata und in Kalabrien  33

§ 13. — in der Terra di Lavoro und im Principato ulteriore  39

§ 14. — auf Sizilien  42

§ 15. — Bulgaren in Italien  43

§ 16. — Entstehung und Verteilung der Kolonien  44

§ 17. — Verwechslung der Slawen mit Albanesen und Griechen  47

 

I. Bisherige Forschungen.

 

 

            § 1. (Gegenwärtige slawische Siedlungen in Italien)

 

In Italien leben heutzutage Slawen an zwei verschiedenen Punkten: in der Provinz Udine (dem ehemaligen Friaul), im nordöstlichen Winkel, und in drei Ortschaften der Provinz Campobasso (der Grafschaft Molise des ehemaligen Königreichs Neapel), nämlich Acquaviva-Collecroce, San Felice Slavo und Montemitro. Die ersteren, welche einige Alpentäler und Hügelketten längs der italienischösterreichischen Grenze bewohnen, bilden die am meisten nach Südwesten vorgeschobenen Vorposten des slowenischen Sprachgebietes Österreichs, speziell der Provinz Görz, mit welchem sie ein zusammenhängendes Ganzes bilden, können somit nicht als Kolonisten aufgefaßt werden, da sie mit den übrigen Slowenen, also etwa in der zweiten Hälfte des VI. Jahrhunderts, ihre gegenwärtigen Sitze eingenommen haben. Baudouin de Courtenay, der beste Kenner dieser friaulischen Slawen, behauptet allerdings (in seinem Aufsatze Sull’ appartenenza linguistica ed etnografica degli Slavi del Friuli, Cividale 1900), daß die slawische Bevölkerung der Bezirke Gemona und Tarcento aus Serbokroaten bestehe, die „eine Fortsetzung der Serbokroaten Istriens und der Quarnero-Inseln bilden (S. 10)“, ferner, daß

 

„die Slawen im Bezirke S. Pietro eine Kombination des serbokroatischen Elementes mit dem slowenischen darstellen, deren ursprüngliche Grundlage das Serbokroatische bilde, in welchem aber der slowenische Einfluß, besonders seit den letzten Jahrzehnten, immer stärker wird (S. 11)“.

 

Ich muß aufrichtig gestehen, daß mir die Sache nicht so einfach zu sein scheint ; wenigstens können uns von der Richtigkeit der Ansicht Baudouins über die

 

 

(Spalte 2)

 

sprachliche Zugehörigkeit der friaulischen Slawen die Sprachproben sehr wenig überzeugen, die Baudouin für den Dialekt der Slawen in den Bezirken Gemona und Tarcento (am Torre-Fluß) herausgegeben hat in seinem zweiten Hefte von „Materialien zur südslawischen Dialektologie und Ethnographie“ (Материалы для южнославянско діалектологіи и этнографіи. II. Образцы язрка на говорах Терских Славян в сѣверовосточной Италіи. St. Petersburg 1904). In diesen Sprachproben findet man allerdings manche Eigentümlichkeit, die sonst für das Serbokroatische gegenüber dem Slowenischen besonders charakteristisch ist (vgl. § 7), doch das genügt noch 'nicht, um die Sprache dieser Slawen als serbokroatisch zu bezeichnen; denn ungefähr dieselben Verhältnisse finden wir auch in solchen Dialekten im Görzischen und in Istrien, deren Zugehörigkeit zur slowenischen Sprache von niemand bezweifelt wird und auch nicht bezweifelt werden kann. Wenn man aber nicht einzelne Erscheinungen herausnimmt (da ein solches Vorgehen doch immer willkürlich und subjektiv ist), sondern den ganzen Komplex der sprachlichen Eigentümlichkeiten — eben die Sprache — als einen einheitlichen, lebendigen Organismus berücksichtigt, so glaube ich, im Gegensätze zu Baudouin, behaupten zu müssen, daß die Slawen der Bezirke Gemona und Tarcento in sprachlicher Beziehung nicht die Fortsetzung der Serbokroaten Istriens und der Quarnero-Inseln, sondern diejenige der ihnen benachbarten, im Görzischen und auf dem Karst lebenden Slowenen bilden.

 

 

(Spalte 3)

 

Damit will ich aber das Vorkommen serbokroatischer Elemente in der Sprache und in der Zusammensetzung der slawischen Bevölkerung im italienischen Friaul gar nicht bestreiten. Was ich aber entschieden in Abrede stelle, ist, daß die Sprache, mit welcher uns Baudouin in seinen „Materialien II“ bekannt gemacht hat, als vorwiegend oder gar rein serbokroatisch bezeichnet werde ; denn sie ist in der Tat so wenig serbokroatisch, daß ein nicht philologisch geschulter Serbokroate sie zumeist gar nicht versteht. Mit diesen friaulischen Slawen will ich mich also nicht weiter beschäftigen und nur diejenigen Slawen berücksichtigen, welche zumeist im späteren Mittelalter und im Anfänge der Neuzeit sich in Italien, besonders in Süditalien, niederließen und zu welchen eben auch die in der Provinz Campobasso lebenden gehören.

 

 

            § 2. (Entdeckung der süditalienischen Slawen; M. Pucić und G. De Rubertis)

 

Die Existenz slawischer Kolonien in Süditalien wurde schon von einigen neapolitanischen Lokalhistorikern des XVIII. Jahrhunderts konstatiert, doch sind ihre Angaben deswegen wenig verläßlich, weil sie — wie wir sehen werden — Slawen von Albanesen, welch letztere noch zahlreichere Kolonien in Süditalien gründeten, nicht genau unterscheiden, sie zum Teil sogar als ein und dasselbe Volk betrachten. Übrigens, wenn man davon auch absieht, waren diese neapolitanischen Lokalhistoriker im allgemeinen, insbesondere aber ihre Notizen über slawische Ansiedlungen in Süditalien so wenig bekannt, daß, als man seit der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts die Ethnographie wissenschaftlich zu behandeln und die ethnographische Zusammenstellung der Bevölkerung der einzelnen Länder zu studieren anfing, niemand davon wußte, daß es in Süditalien auch Slawen gibt.

 

Diese süditalienischen slawischen Kolonien mußten gewissermaßen neu entdeckt werden, und zwar geschah dies durch den aus Ragusa in Dalmatien gebürtigen serbokroatischen Dichter Graf Medo Pucić oder, wie er sich italienisch nannte, Orsatto Pozza. [1]

 

 

1. Alle altragusanischen Adelsgeschlechter haben eine zweifache Form ihrer Familiennamen, eine romanische (lateinisch-italienische) und eine serbokroatische, wobei in der Regel die zweite eine slawisierte Form der ersteren ist.

 

 

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Dieser sehr belesene und vielgereiste Mann, der speziell auch die italienische Literatur und Italien gut kannte, soll nämlich aus einigen italienischen Schriftstellern und von einigen Reisenden erfahren haben, daß es an der adriatischen Küste Italiens slawische Ansiedlungen gebe, und während seines Aufenthaltes in Moskau im Sommer des Jahres 1852 die Absicht geäußert haben, sie aufzusuchen. [1] Welche diese Schriftsteller und Reisenden gewesen sein mögen, wissen wir nicht, denn Pozza selbst sagt uns nur, daß er, nachdem er den Sommer 1852 in Rußland verbrachte, im Winter nach Neapel fuhr, um die winzigen slawischen Ansiedlungen aufzusuchen, in bezug auf welche er wußte, daß sie unter der Bevölkerung des Königreichs Neapel verborgen sind. [2] Von wem oder woher Pozza von diesen süditalienischen Kolonien erfahren habe, sagt er also nicht, es ist aber möglich,

 

 

1. Wenigstens behauptet dies O. Bodjanskij im Vorwort zu den sogleich zu erwähnenden Briefen des Giovanni De Rubertis (Чтенія въ Имп. Обществѣ Исторіи и древностей россійскихъ при Московскомъ Университетѣ, Band I, Moskau 1858, IV. Abteilung, S. III:

 

„Бивши еще въ Москвѣ [d. i. лѣтомъ 1852 года], этотъ ученый Дубровчанинъ сообщалъ мнѣ свое намѣреніе посѣтить, если обстоятельства позволятъ, Итальянскіе берега Адріатики, чтобы окончательно увѣриться, точно ли и теперь еще тамъ существуютъ какія либо Славянскія поселенія, о которыхъ упоминаютъ нѣкоторые Итальянскіе писатели и разсказы путешественниковъ, слышаные имъ не разъ. Я, со своей стороны, прибавилъ, что и мнѣ, во время путешествія моего по Славянскимъ землямъ, случалось иногда слышать тоже, особенно между Хорватами и Словенцами.“

 

Wenn diese Behauptung richtig ist (und wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln), so folgt daraus, daß die Notiz unrichtig ist, die Kobelt im Cottaischen Ausland, Jahrg. 1883, 8. 937 mitteilt:

 

„Erst im Jahre 1856 wurde der Bagusaner Nobile Conte Pozzo (sic!) durch eineu in Bari oder Trani ansässigen Kaufmann Marco Pollenter auf die Stammesgenossen in Italien aufmerksam“;

 

übrigens war dieser angebliche Kaufmann „Marco Pollenter“, wie Kovačić im Glasnik der serb. gelehrten Gesellschaft, Bd. 62, S. 295, richtigstellt, der aus Eagusa gebürtige Markus Parlender (d. i. Prlender), der in diesem Jahre österr. Konsul in Barletta war (vgl. Kukuljević J., Izvjestje o putovanju. Agram 1867, S. 48).

 

2. Im Begleitbriefe zu den Briefen des De Rubertis (vgl. Sp. 6) S. 5:

 

„Tu sai come, passato l’estate del 52 in Russia scendessi nell’ inverno a Napoli, e come dopo aver ammirato il colosso slavo del Settentrione ricercassi al Mezzogiorno le traccie d’un pigmeo slavo, che sapeva nascosto fra le varie popolazioni del Regno siciliano.“

 

 

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daß er während seines Aufenthaltes in Italien [1] zufälligerweise entweder auf einen der früher erwähnten neapolitanischen Lokalhistoriker, beziehungsweise auf jemand, der einen solchen kannte, stieß oder mit jemandem zusammentraf, der aus der Nachbarschaft der slawischen Kolonien stammte oder sonst diese kannte. Jedenfalls ersieht man aus seiner leider allzu knappen Äußerung, daß ihm die Existenz slawischer Kolonien im Königreiche Neapel bekannt war und nicht etwa bloß das Vorkommen von Slawen im Friaul, was er am leichtesten aus einem Artikel über die Slawen im italienischen Resia-Tale erfahren konnte, den der bekannte serbokroatische Dichter Stanko Vraz in der Agramer Zeitschrift Danica ilirska vom Jahre 1841, Nr. 29, erscheinen ließ, denn Pozza war um diese Zeit ein eifriger Mitarbeiter der Danica. Ganz zufällig trat er aber in Verbindung mit den süditalienischen Slawen: als er nämlich Ende 1852 nach Neapel kam, um dort zu überwintern, trat er einmal in ein Sehneidergeschäft, wo er zu seiner größten Überraschung den Geschäftsinhaber (mit Namen Francesco Chiavaro) mit einigen anwesenden Kunden serbokroatisch sprechen hörte : es waren dies Leute aus einer der süditalienischen slawischen Kolonien — aus Acquaviva-Collecroce! Als er dies von ihnen erfuhr und detailliertere Nachrichten über ihren Heimatsort und dessen Bevölkerung haben wollte, wurde er von ihnen an ihren Mitbürger, den Professor Giovanni De Rubertis, verwiesen. An diesen wendete sich Pozza brieflich Anfang 1853 und so entspann sich zwischen diesen beiden Männern ein inniger Verkehr, ohne daß sie sich je gesehen hätten, denn weder ging Pozza zu den slawischen Kolonisten, noch trafen sie sonst irgendwo zusammen! [2] Was Pozza von De Rubertis über die von ihm entdeckten süditalienischen Slawen wissen wollte,

 

 

1. Pozza studierte in den Jahren 1841—1843 an der Universität Padua und verbrachte die Jahre 1846—1848 an den herzoglichen Höfen in Lucca und Parma; es ist — möglich, daß ihn auf Slawen in Italien Kollar aufmerksam machte, mit welchem er im Jahre 1841 in Venedig bekannt wurde und auch später korrespondierte.

 

2. Diese Notiz über die erste Begegnung des Pozza mit süditalienischen Slawen und die Art und Weise, wie er mit De Rubertis bekannt wurde, verdanke ich der Tochter dieses letzteren, Fräulein Rosina De Rubertis in Acquaviva-Collecroce. — De Rubertis wurde im Jahre 1813 in Acquaviva-Collecroce geboren, wo er im Jahre 1889 starb; er war Mittelschullehrer und wirkte durch 23 Jahre am Staatsgymnasium in dem nicht weit entfernten Casacalenda, darauf als Privatlehrer in seinem Geburtsorte. Nachdem er mit Pozza bekannt wurde, interessierte er sich sehr für die serbokroatische Literatursprache und überhaupt für die slawische Welt; selbst ein Dichter, übersetzte er ins Italienische einige Lieder des Pozza, die er im Jahre 1866 in Campobasso herausgab; Poesie serbe di Medo Pucić (Orsatto Pozza) volgarizzate da Giovanni De Rubertis Italo-slavo; das Büchlein wurde dann mit mehreren neuen Liedern des Pucić, sowie einigen des J. Sundečić und Volksliedern ein zweites Mal in Caserta im Jahre 1869 herausgegeben.

 

 

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beziehungsweise was letzterer darüber mitteilen konnte, das legte dieser in einigen vom 6. April bis 23. Juni 1853 verfaßten Briefen nieder, die später Pozza seinem Freunde Anton Kazali (Casali), Redakteur der offiziellen Zeitung Osservatore dalmato in Zara, behufs deren Publizierung zusandte und die von Kazali tatsächlich, samt einem Begleitbrief Pozzas, im Jahrgang 1856 dieser Zeitung veröffentlicht wurden. [1] Neben einigen, zumeist wenig begründeten Notizen über die serbokroatischen und überhaupt slawischen Kolonien Italiens, die De Rubertis einigen italienischen Geschichtswerken entnahm, enthalten die Briefe eine leider sehr knappe ethnographische Schilderung der Kolonien des Molise, wobei nur das Fest vom 1. Mai etwas genauer beschrieben wird ; im Anhänge wurde auch ein von De Rubertis in seinem Heimatsdialekt verfaßtes lyrisches Gedicht veröffentlicht — das erste und wohl auch das letzte Erzeugnis der Kunstpoesie in dieser Mundart!

 

 

            § 3. (Comparetti, Ascoli, Vegezzi-Ruscalla)

 

Das größte Verdienst dieser Briefe des De Rubertis liegt aber darin, daß durch sie die gelehrte und gebildete Welt von der Existenz slawischer Kolonien in Süditalien erfuhr. In demselben Jahre (1856) erschien nämlich in dem in Neusatz (Südungarn) von Dan. Medaković herausgegebenen belletristischen Journal Седмица (Die Woche) eine von Spiro Popović besorgte serbokroatische Übersetzung dieser Briefe unter dem Titel Славенске насеобине у Неаполю

 

 

1. Auch als Sonderabdruck erschienen: Delle colonie slave nel regno di Napoli. — Lettere del professore Giovanni de Rubertis. Zara, in Febbrajo 1856, 8°, 47 S.

 

 

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(Slawische Kolonien im Neapolitanischen), die, ebenso wie die Originalausgabe der Briefe De Rubertis’ zunächst kaum über die Grenzen Dalmatiens hinaus bekannt wurde, so verbreitete sowohl diese serbokroatische als auch die von О. Bodjanskij besorgte russische Übersetzung (erschienen als IV. Abteilung des I. Bandes der Чтенія [Vorträge] der Moskauer historischen Gesellschaft, Moskau 1858) die Kunde von den süditalienischen Kolonien nur unter den Serben, beziehungsweise Russen. [1] Die westeuropäische gebildete Welt dagegen erfuhr von ihnen erst durch eine kleine Notiz, die das Cottaische Ausland vom Jahre 1857 in der Nr. 35 vom 28. August (S. 840), brachte, [2]

 

 

1. Dr. Smodlaka (Posjet, S. 26, vgl. § 6) sagt, daß der bekannte kroatische Historiker Ivan Kukuljević Sakcinski in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die slawischen Kolonien des Molise besucht habe, wobei er wohl an die in den Jahren 1856/57 von Kukuljević nach Dalmatien und Italien unternommene Studienreise denkt; doch war Kukuljević bei dieser Gelegenheit gewiß nicht dort, denn in seinem Berichte über diese Reise (Izvjestje, Agram 1857, S. 50) erwähnt er bloß diese Kolonien, ohne ein Wort davon zu sagen, daß er von Foggia aus sie besucht hätte. Soviel mir bekannt, war auch später dieser Gelehrte dort nicht.

 

2. Es ist wohl angezeigt, die kleine Notiz hier wörtlich abzudrucken, weil sich so am sichersten ersehen läßt, daß sie in keinem Zusammenhänge mit den Briefen des De Rubertis steht, wie man dies gewöhnlich glaubt; sie befindet sich in einem kleinen, „Einwanderungen in Italien“ betitelten Aufsatz und lautet also:

 

„Weniger bekannt ist es, daß vielleicht seit länger als 500 Jahren eine slawische Kolonie in der neapolitanischen Provinz Molise, 15 Miglien vom Adriatischen Meere entfernt, noch heutzutage besteht. Sie macht etwa 3000 Seelen aus und bewohnt den Ort Wodajwa (slawisch, von Woda, d. i. Wasser), der im Italienischen Acquaviva genannt wird. Ihre Sprache hat große Ähnlichkeit mit der kroatischen Mundart, doch spricht der gebildetere Teil unter ihnen auch italienisch, und zwar, was als auffallend erscheinen muß, besser und wohlklingender als in der Umgegend. Der Elementarunterricht in der Ortsschule ist slawisch und ebenso wird auch von den Geistlichen, die in der Regel den theologischen Unterricht im Priesterseminar zu Termoli erhalten, slawisch gepredigt. Ebenso muß es auffallen, daß diese slawische Kolonie nicht nur der Zivilisation ihres ursprünglichen Heimatslandes weit voran ist, sondern auch auf einer höheren Bildungsstufe steht als der Bewohner der umliegenden Ortschaften.“

 

Mit Ausnahme des ganz allgemeinen ersten Satzes hat der Verfasser dieser Notiz alles Übrige von anderer Seite erfahren müssen; denn nichts davon ist bei De Rubertis zu finden!

 

 

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von wo sie (in gekürzter Form) in Petermanns Mitteilungen desselben Jahres in Heft XII vom 28. Dezember (S. 536), dann wieder (vollständig und fast wörtlich) im Jahrgang 1859 (S. 371) gelangte, worauf auch Diefenbach in seinen Origines Europaeae (Frankfurt 1861, S. 207) die kürzere Notiz aus den Mitteilungen 1857 reproduzierte. Am spätesten wurde die Entdeckung i dieser slawischen Kolonien in Italien selbst bekannt! Daß der bekannte Sprachforscher Biondelli in seinen Studi linguistici (Milano 1856) ihrer keine Erwähnung tat, obschon er hier auch einen Aufsatz den fremdsprachigen Kolonien Italiens widmete (Prospetto topografico-statistico delle colonie straniere d’Italia, S. 43—75), [1] ist noch begreiflich, denn das Werk erschien in demselben Jahre (1856), in welchem (allerdings schon im Februar) die Briefe des De Rubertis veröffentlicht wurden ; daher bespricht Biondelli (auf S. 54—56 unter Colonie slave) nur kurz die Slowenen im Friaul. Aber noch einige Jahre später wußte Ascoli in seiner Rezension des Werkes Biondellis (erschienen zuerst im Mailänder Ateneo, dann in seinen Studi critici, Görz 1861, S. 37 ff.) von der Existenz slawischer Kolonien in Süditalien gar nichts. — Der erste Italiener, der auf die in Petermanns Mitteilungen erschienenen Notizen aufmerksam machte, war Comparetti: in der in Turin erscheinenden Rivista italiana vom Jahre 1863 publizierte er den Aufsatz Notizie ed osservazioni in proposito degli „Studi critici“ del prof. Ascoli, wo er zumeist von den italienischen Griechen und Albanesen spricht, daneben aber auch die oben erwähnten Notizen über die slawischen Kolonien in Süditalien aus Petermanns Mitteilungen erwähnt (auf S. 21—22 des Separatabdruckes, Pisa 1863). Diese Mitteilung veranlaßte Ascoli, sich an De Rubertis zu wenden, um von ihm nähere Daten über diese Slawen zu bekommen. Die Hauptpunkte der von De Rubertis erhaltenen Antwort teilte Ascoli dem Comparetti mit, der den Brief Ascolis in derselben Rivista (Intorno agli Slavi del Napoletano. Notizie comunicate dal prof. Ascoli, Nr. 140 vom 25. Mai) veröffentlichte (und als Anhang dem Separatabdrucke seines Aufsatzes hinzufüge).

 

 

1. Der Aufsatz Biondellis war zuerst erschienen in Ranuzzis Annuario geografico (Bologna 1844) unter dem Titel Prospetto topografico-statistico delle Colonie straniere in Italia.

 

 

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Die in diesem Briefe mitgeteilten Notizen enthalten nichts Neues; auch der als Sprachprobe gegebene Text ist dem in den Briefen an Pozza veröffentlichten Liede des De Rubertis entnommen : nichtsdestoweniger erregten sie in hohem Maße das Interesse Ascolis, der schon hier an die Erklärung einiger Formen des serbokroatischen Textes herantrat und sich auch entschloß, die slawischen Kolonien selbstaufzusuchen. Sie veranlaßten ferner auch den italienischen Diplomaten und Ethnographen Giovenale Vegezzi-Ruscalla, sich in einer kleinen Broschüre mit der Sache zu beschäftigen, [1] doch auch er konnte in der Hauptsache nur das sagen, was er von „seinem lieben Freunde“ Giovanni De Rubertis erfuhr, somit, was schon in den Briefen an O. Pozza enthalten war. Aus Eigenem hat Vegezzi-Ruscalla nur ein paar Notizen aus älteren Schriftstellern über slawische Siedlungen in Italien mitgeteilt. Der größere Teil der kleinen Schrift (S. 18—35) ist aber der Sprache der slawischen Kolonisten gewidmet, wobei Prof. V. Danilo aus Zara dem Autor behilflich war: nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die Sprache folgt dem italienischen Texte der Parabel vom verlorenen Sohn eine von De Rubertis in seinem Dialekte sowie eine von Prof. Danilo besorgte serbokroatische Übersetzung nebst dem Texte aus Bernardins Evangelistarium aus dem Jahre 1495, worauf der Text De Rubertis’ eingehend erklärt, beziehungsweise mit demjenigen Danilos verglichen wird. Inzwischen hatte Ascoli sein Vorhaben ausgeführt und (im Oktober 1864) die slawischen Kolonien besucht, womit er die Reihe der Männer eröffnete, die zu wissenschaftlichen Zwecken sich zu den süditalienischen Slawen begaben. Leider hat er über die Resultate seiner Reise nur kurz berichtet im Mailänder Politecnico vom März des Jahres 1867, [2] von wo der betreffende Aufsatz in dem II. Band seiner Studj critici (Rom 1877) wieder abgedruckt wurde;

 

 

1. Le colonie serbo-dalmate del circondario di Lavino, provincia di Molise. Torino 1864, 8°, 38 S.

 

2. Auch als Separatabdruck erschienen: Saggi ed appunti. (Estratto dal Politecnico, fase, di Marzo 1867, vgl. Makušev, Записки S. 33.)

 

 

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über die Slawen im Molise spricht Ascoli hier auf S. 76—82, wo er auch ein paar kleinere Sprachproben, und zwar der echten Volkssprache mitteilt und illustriert. Wohl als Ergänzung zu diesem Aufsatze Ascolis erschien dann in demselben Jahre in der Gazzetta della provincia di Molise vom 5. Oktober 1867, Nr. 2, ein Artikel De Rubertis’, in welchem „interessante historisch-statistische Nachrichten über die Slawen im Molise mitgeteilt wurden“, wie Makušev (auf S. 38 seines sogleich zu erwähnenden Aufsatzes) sagt; den Artikel selbst habe ich nicht zu Gesicht bekommen. Vielleicht steht im Zusammenhänge mit dem Aufsatze Ascolis die Schrift Su l’origine delle nuove città e terre e su le colonie albanesi e slave della provincia di Molise von Luigi Alberto Trotta, welche Makušev im Сборникъ der russischen Abteilung der St. Petersburger Akademie, Band VIII (1872) auf S. 73 seines Aufsatzes Итальянскіе архиви архивы (Italienische Archive) erwähnt, doch habe ich dieselbe weder in Wien, noch in Venedig, Rom oder Neapel finden können.

 

 

            § 4. (Makušev und Drinov; Rolando; Kobelt)

 

Einige Jahre nach Ascoli besuchten auch zwei Slawen unsere Kolonien; es waren dies der russische Historiker V. Makušev und der damalige „Kandidat“ der Moskauer Universität und spätere bekannte bulgarische Historiker und russische Professor M. S. Drinov. Sie kamen, von Neapel aus, Ende April 1870 nach Acquaviva und hielten sich dort einige Tage auf; über die Resultate dieser Reise referierte dann Makušev im Aufsatze О Славянахъ молизскаго графства въ южной Италіи (Über die Slawen der Grafschaft Molise in Süditalien), erschienen im XVIII. Band der Записки (Denkschriften) der St. Petersburger Akademie (St. Petersburg 1871), S. 31—56; neben schon bekannten historisch-statistischen Daten und einer Beschreibung des Festes vom 1. Mai (S. 38—40) gab Makušev eine im Vereine mit De Rubertis verbesserte Lesart der schon herausgegebenen Texte und eine knappe Übersicht der hauptsächlichen sprachlichen Eigentümlichkeiten (S. 51—53). Das Interessanteste in diesem Aufsätze ist die Annahme, daß

 

„die Vorfahren der gegenwärtigen Bewohner von Acquaviva eine Mischung von Serben und Bulgaren waren, die nach Italien in einer sehr entfernten Zeit kamen, wahrscheinlich vor dem XIII. Jahrhundert — im XII., ja sogar im XI. Jahrhundert (S. 51)“;

 

 

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diese Annahme Makuševs stützt sich darauf, daß im Wortschätze der Kolonisten sich angeblich auch mancher altslawische Ausdruck vorfinde, der im Serbokroatischen verschwunden sei, dagegen im Bulgarischen (und Russischen) sich erhalten habe; zu diesen zählte Makušev pinez, gredem, rab, teg, kut, dom usw., somit lauter Ausdrücke, die entweder noch heutzutage im Serbokroatischen Vorkommen oder in älterer Zeit vorkamen und mit deren Hilfe weder das Vorhandensein bulgarischer Elemente in der Bevölkerung, noch die Zeit ihrer Ansiedlung bestimmt werden kann.

 

Das von den ersten slawischen Besuchern erzielte Resultat war somit ein sehr mittelmäßiges und auch das durch diesen Aufsatz erweckte Interesse in slawischen und slawistischen Kreisen war ein sehr geringes, denn es vergingen 14 Jahre, bevor sich wieder ein Slawe fand, der sich zu den süditalienischen Slawen begab. Dagegen fand sich einige Jahre nach Ascoli wieder ein Italiener, [1] der sich auf denselben Weg machte: Dr. Antonio Rolando publizierte im Annuario (Jahresbericht) des R. Liceo Ginn. Principe Umberto in Neapel für das Jahr 1875 eine Escursione storico-etnografica nei paesi slavi della Provincia di Campobasso („Historisch-ethnographische Exkursion in die slawischen Gegenden der Provinz Campobasso“; auch als Sonderabdruck, Neapel 1875, 12 S.); auch hier wird nur schon Bekanntes über Ursprung, Verbreitung, Anzahl und Gebräuche der süditalienischen Slawen erzählt und zuletzt einige ebenfalls schon bekannte Sprichwörter sowie De Rubertis’ Übersetzung der Parabel vom verlorenen Sohne mitgeteilt; doch gebührt dem Autor das Verdienst, daß er als Erster nicht nur Acquaviva, sondern auch San Felice und Montemitro besuchte; er hat auch zuerst die hebräische Inschrift auf der alten Kirche von San Felice (vgl. § 31) erwähnt, aber nicht entziffern können.

 

Alles, was bis jetzt über die serbokroatischen Kolonien in der Provinz Campobasso von italienischen und slawischen Gelehrten geschrieben wurde, beruhte somit in der Hauptsache auf den von Giovanni De Rubertis gegebenen Informationen und den von ihm gesammelten historischen Notizen,

 

 

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ebenso wie sich die herausgegebenen Sprachproben auf die von ihm gelieferten Texte beschränkten; denn wenn auch Ascoli, dann Makušev mit Drinov sowie Rolando sich an Ort und Stelle begeben hatten, um die Kolonisten kennen zu lernen, so war doch ihr Aufenthalt unter ihnen ein zu kurzer, als daß sie hätten eingehender ihr Leben, besonders aber ihre Sprache studieren können. Nicht besser hat es auch der erste Deutsche, Kobelt, getan, der, durch die kurzen Notizen in Petermanns Mitteilungen und bei Diefenbach (vgl. Sp. 7—8) angeregt, sich mit diesen Kolonien beschäftigte und im Cottaischen Ausland des Jahres 1883, Nr. 47, S. 936—937, einen kurzen Aufsatz (Die Slawenkolonien im Molise) schrieb; neben schon genügend bekannten Notizen findet sich hier auch mancher grobe Fehler und zuletzt die vielleicht nicht harmlose Bemerkung, daß, seitdem Makušev und Drinov in Acquaviva gewesen waren, die dortigen Slawen aus Rußland mit slawischen Büchern versorgt würden. Diese einer Anschuldigung „panslawistischer“ Umtriebe sehr ähnliche, übrigens ganz falsche Behauptung machte unter den Gebildeten Acquavivas sehr böses Blut, ebenso wie es ihnen sehr unangenehm war, als sie erfuhren, daß Makušev gesagt hatte, daß ihr Bischof die größten Anstrengungen mache, um die slawische Sprache auszurotten (vgl. darüber bei Kovačić, S. 290. 297. 306). Zur Entschuldigung Kobelts muß aber gesagt sein, daß er in Acquaviva gar nicht war, vielmehr neben den vom Ausland gebrachten Notizen nur solche Mitteilungen verwendete, die er vom damaligen Bürgermeister von Acquaviva, cav. Dermide De Rubertis, erhielt.

 

 

            § 5. (Kovačić; Hanusz; Aranza; Baudouin)

 

Somit kann man sagen, daß dem aus Risano in Dalmatien gebürtigen und aus dem österreichischen Dienste aus politischen Motiven entlassenen Gymnasialprofessor Risto (Christophorus) Kovačić das Verdienst gebührt, die serbokroatischen Kolonien Süditaliens zuerst gründlich studiert und überhaupt das Interesse dafür neu belebt zu haben. Nachdem er sich im Jahre 1883 in Rom mit den älteren darauf bezüglichen Publikationen bekannt gemacht hatte, begab er sich im Sommer 1884 in unsere Kolonien und verbrachte dort eine längere Zeit;

 

 

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später kam er einige Male wieder in der Absicht, ein möglichst vollständiges Bild der noch erhaltenen serbokroatischen Kolonien zu geben und die sowohl auf diese als auch auf die übriger. schon geschwundenen Kolonien bezüglichen historischen Notizen und Traditionen möglichst vollständig zu sammeln. Leider hat Kovačić nur einen kleinen Teil der ihm vorschwebenden Aufgabe gelöst: zuerst veröffentlichte er einen kleinen italienisch geschriebenen Aufsatz : Gli Slavi serbi dell’ItaliaRicordi (Die serbischen Slawen Italiens — Erinnerungen), 1. Heft, Ancona 1884 (vgl. den folgenden Aufsatz S. 322), den ich nirgends finden konnte, nicht einmal in den größten Bibliotheken Italiens! dann einen längeren Aufsatz im Гласник (Bote) der serbischen gelehrten Gesellschaft in Belgrad, Band 62 (1885), S. 273—340: Српске насеобине у јужној Италији. Први извјештај (Die serbischen Kolonien in Süditalien. Erster Bericht). Kovačić ist, wie gesagt, der Erste, der nicht vorwiegend oder fast ausschließlich die Angaben De Rubertis’ benützt; er hat vielmehr selbständig geforscht und gesammelt, so daß schon dieser „erste Bericht“ wohl das Beste ist, was bis zu dieser Zeit über die Slawen in der Provinz Campobasso geschrieben wurde: nach einigen geographisch-statistischen Daten (S. 274—277) referiert Kovačić (S. 277—296) über die älteren und neueren Berichte (nur der Aufsatz Rolandos [vgl. Sp. 11] blieb ihm unbekannt) und druckt noch einmal die von Ascoli herausgegebenen Sprachproben (S. 296—299) ab, worauf ein Bericht über seine eigene Reise folgt (S. 299—324); auf S. 324—330 teilt Kovačić einige Sprachproben mit und schließt den Bericht mit Notizen aus älteren Schrifstellern über die übrigen slawischen Kolonien in Süditalien (S. 331—340). Leider hat Kovačić den versprochenen zweiten Bericht mit den von ihm gesammelten Texten nie veröffentlicht; es ist aber auch möglich, daß er nicht viel mehr Sprachproben aufzeichnete, als er schon im ersten Berichte mitteilte, denn er interessierte sich speziell auch in dieser Frage mehr für die historisch-ethnographische als für die rein sprachliche Seite.

 

Von den bisherigen slawischen Besuchern war somit noch keiner ein wirklicher Slawist;

 

 

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ein solcher war erst der leider zu früh gestorbene Dr. Jan Hanusz, der im Jahre 1887 auf seiner süditalienischen Reise (auf welcher er sich zumeist mit den albanesischen Kolonien beschäftigte) einen Abstecher auch nach Acquaviva machte, dort einen Tag verweilte und im gastfreundlichen Hause des De Rubertis ein Fragment eines Passionsliedes und eine kurze Erzählung aufzeichnete, die er im X. Band des Archiv für slawische Philologie (1887) mit einigen Bemerkungen und Erläuterungen veröffentlichte (Südslawische Sprachproben aus Süd-Italien, S. 362—364 ; man vergleiche dazu die Briefe Hanusz’ an Jagić, die in demselben Bande des Archiv, S. 660 ff., abgedruckt sind). Im XIV. Band desselben Archiv (1892) erschien dann auch ein kleiner Aufsatz von J. Aranza Woher die südslaivischen Kolonien in Süditalien? (S. 78—82), in welchem der Autor einige historische Daten anführt, die dafür sprechen, daß diese Kolonisten in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts aus der Umgebung von Zara dorthin ausgewandert, d. i. vor den Türken geflohen seien.

 

Im September des Jahres 1895 war durch einige Tage in Acquaviva und San Felice der bekannte Forscher der friaulischen Slawen, Prof. Baudouin de Courtenay ; er kam nicht dazu, die damals gemachten Notizen und aufgezeichneten Texte zu bearbeiten, beziehungsweise zu veröffentlichen, so daß letztere, dank seinem freundlichen Entgegenkommen, erst hier (Texte Nr. 41—56) zur Publikation gelangen; in dem Aufsatze aber О славянахъ въ Италіи (im Moskauer Journal Русская мысль, Jahr 1893, Bd. VI, S. 24—46) hat Baudouin nur wenige Worte über die süditalienischen Slawen gesagt (auf S. 26—27), sonst aber sich nur mit den norditalienischen beschäftigt.

 

 

            § 6. (Smodlaka und Barac; Baldacci; Gelcich; Rešetar)

 

Der Aufsatz Aranzas leistete der Meinung Vorschub, daß die süditalienischen Kolonisten eigentlich dalmatinische Slawen sind, die vor Jahrhunderten ihr Vaterland verlassen und unweit der gegenüberliegenden Küste eine neue Heimat gefunden hatten. Es ist somit leicht erklärlich, daß das Interesse für diese Kolonien in Dalmatien auch weitere Kreise ergriff und dazu führte, daß im Frühling des Jahres 1904 ein junger Advokat aus Spalato, Dr. J. Smodlaka,

 

 

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auf der Fahrt nach Neapel von Termoli aus einen eintägigen Abstecher nach Acquaviva machte, dessen sehr interessante Beschreibung er in dem (in Zara erscheinenden) Kalender Svačić für das Jahr 1906 veröffentlichte, [1] nachdem er zuerst in der Agramer Revue Hrvatska Misao, Jahrgang III, Heft 12 (September 1904) einen kürzeren Aufsatz allgemeinen Inhaltes Ostanci jugoslavenskih naseobina u donjoj Italiji (Überreste der südslavischen Kolonien Süditaliens) herausgegeben hatte; Dr. Smodlaka hat allerdings in der Hauptsache für das weitere Publikum feuilletonistisch geschrieben, doch enthält besonders der Aufsatz im Svačić auch manche richtige und wichtige Bemerkung über das Leben, die Herkunft und die Sprache der Kolonisten. Er war aber selbst so sehr für die Sache eingenommen und wußte nach seiner Rückkehr in die Heimat auch andere so sehr dafür zu interessieren, daß er sich noch im Sommer desselben Jahres mit einigen Herren aus Spalato zum zweiten Male, diesmal auf einige Tage, nach Acqua viva begab. Es war dies gewissermaßen der erste „offizielle Besuch“, den das Mutterland seinen fast gänzlich vergessenen und verschollenen Kolonien abstattete ; dementsprechend wurden auch die dalmatinischen Gäste von den Kolonisten festlich empfangen: sie waren auch die ersten Slawen, die nicht nur Acquaviva, sondern auch die beiden anderen slawischen Kolonien besuchten. Einer der Teilnehmer dieses Ausfluges, Gymnasialprofessor J. Barač, schrieb darüber ein kurzes Referat: Hrvatske kolonije u Italiji (Die kroatischen Kolonien Italiens), Spalato 1904. Dr. Smodlaka versuchte auch das Interesse der Gebildeten in den Kolonien für die serbokroatische Sprache und überhaupt für die slawische Welt zu erwecken; er hielt darüber in Acquaviva öffentliche Vorträge, schrieb (in italienischer Sprache) eine kurzgefaßte Grammatik der serbokroatischen Literatursprache, die in einigen (handschriftlichen) Exemplaren verteilt wurde, endlich wurde auf seine Anregung in Acquaviva eine Biblioteca slava gegründet,

 

 

1. Auch als Separatabdruck erschienen: Dr. Josip Smodlaka, Posjet apeninskim Hrvatima (Ein Besuch bei den apenninischen Kroaten), Zara 1906; hier aber fehlen die schönen Bilder, die den Aufsatz im Kalender schmücken.

 

 

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damit den Gebildeten auch Bücher in serbokroatischer Sprache zur Hand seien; er hat überhaupt zwischen Dalmatien und den übrigen serbokroatischen Ländern auf der einen und den süditalienischen Kolonien auf der anderen Seite freundschaftliche Beziehungen angebahnt, die im Anfänge ziemlich rege waren, sich allmählich aber lösten, so daß von der ganzen, übrigens rein platonischen und nicht etwa politischen Zwecken dienenden Tätigkeit Dr. Smodlakas nur die in einem Kasten des Gemeindehauses von Acquaviva ruhig schlafende „slawische Bibliothek“ hinterblieben ist.

 

Im Jahre 1906 besuchte Acquaviva und San Felice Prof. Antonio Baldacci aus Bologna, der sich seit längerer Zeit intensiv mit den Albanesen, speziell mit den albanesischen Kolonien in Italien beschäftigt und auf einer seiner Studienreisen auch zu den Albanesen der Provinz Campobasso kam, bei welcher Gelegenheit er auch die slawischen Kolonien kennen lernte. Ein sehr sympathisch geschriebener Aufsatz von ihm über die letzteren ist erschienen in Nr. 3 und 4 des XCIII. Bandes (1908) des Braunschweiger Globus : Die Slawen von Molise (auch als Separatabdruck); darin hat Baldacci vorzüglich die Frage von der Herkunft dieser Slawen gründlich behandelt und ein recht gelungenes ethnographisches Bild derselben (dazu auch einige schöne Illustrationen) gegeben; auch zwei interessante Briefe des alten De Rubertis wurden ihrem Hauptinhalte nach mitgeteilt. Diese Publikation Baldaccis, beziehungsweise die von ihm wieder aufgeworfene Frage über die Herkunft der süditalienischen Slawen gab Herrn Direktor J. Gelcich in Triest den Anlaß, zu dieser Frage Stellung zu nehmen; in dem Aufsatze Colonie slave nell’ Italia meridionale, der zuerst im Journal Il Dalmata von Zara, Jahrg. 1908, Nr. 25—27, dann als selbständige Broschüre in Spalato 1908 erschien, hat Gelcich die Ansicht vertreten, daß das Gros der süditalienischen Slawen nicht aus Norddalmatien, beziehungsweise aus dem Bezirke von Zara stamme, sondern aus Montenegro in den Jahren 1513—1517 auswanderte, als dieses Land von den Türken vollständig erobert wurde.

 

Zuletzt habe ich über meine Reise einen Bericht erstattet, der im Anzeiger der philosoph.-histor. Klasse, Jahrg. 1908, Nr. II

 

 

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 und auch als Nr. XII der Vorläufigen Berichte der Balkankommission (Die serbokroatischen Kolonien Süditaliens) publiziert wurde. Derselbe Bericht mit einigen für das weitere Publikum bestimmten Zusätzen erschien dann in serbokroatischer Sprache im Journal Srđ von Ragusa, Jahrg. 1907, Nr. 24 [1] (auch als Separatabdruck).

 

Es sei endlich erwähnt, daß in einigen neueren Arbeiten über die Slawen Italiens eigentlich nur die friaulischen Slawen gemeint sind; dies ist der Fall mit der Slavia italiana von C. Podrecca (Cividale 1884), dann mit dem Aufsätze Le colonie slave d’Italia von Prof. Br. Guyon (in Studi glottologici italiani, Band IV, S. 125 bis 159, Torino 1907) und auch mit dem Artikel U italských Slovanů von A. Černy’ (im Prager Květ, Jahrg. 1906, Heft V und VI, auch als Separatabdruck).

 

 

II. Ältere slawische Siedlungen in Italien.

 

 

            § 7. (im Friaul, in Venetien, Venedig;)

 

Die gegenwärtig in der Provinz Campobasso lebenden Slawen bilden nur den letzten Rest einer an verschiedenen Punkten Italiens und zu verschiedener Zeit stattgefundenen Niederlassung von Serbokroaten. Wir wollen die darüber enthaltenen Notizen zusammenfassen und in der Weise besprechen, daß wir mit Norditalien den Anfang machen, um mit dem ehemaligen Königreich Neapel, speziell mit der Provinz Campobasso unsere Übersicht abzuschließen.

 

Wie wir gesehen haben (Sp. 1), behauptet Baudouin, daß ein großer Teil der friaulischen Slawen eigentlich serbokroatisch spreche, was kaum richtig sein dürfte, denn einige, zwar sehr wichtige und sonst wohl serbokroatische Eigentümlichkeiten (wie a, i, ć-đ für urslaw. ъ - ь, ě, tj - dj) genügen nicht, um die Sprache der betreffenden norditalienischen Slawen als vorwiegend serbokroatisch zu bezeichnen. Wie diese sonst slowenisch sprechenden Slawen zu diesen serbokroatischen Sprachmerkmalen gelangt sind, ist allerdings nicht leicht zu sagen; wenn dies aber in der Weise geschehen ist, daß zu den seit jeher hier sitzenden Slowenen später Serbokroaten in einer so starken Anzahl hinzutraten, daß die ursprünglich rein slowenische Sprache diese sonst serbokroatischen Eigentümlichkeiten angenommen hat, so muß man sagen,

 

 

1. Tatsächlich aber erschien der Bericht zuerst in dem Anzeiger, beziehungsweise in den Vorläufigen Berichten und erst später in dem Srđ, denn die betreifende Nummer dieses Journals wurde erst Anfang März 1908 (und nicht im Dezember 1907) herausgegeben.

 

 

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daß von einer Neukolonisation dieser Gegenden durch Serbokroaten nichts bekannt ist. Eine solche wäre zur Zeit der größten Türkennot, d. i. etwa Ende des XV. oder im XVI. Jahrhundert, durch die venetianische Regierung sehr leicht möglich gewesen; es ist ja bekannt, daß die Venetianer im Laufe des XVII. Jahrhunderts fast das ganze flache Land des ihnen gehörenden Teiles Istriens mit neuen, vorzüglich aus Dalmatien herangezogenen Kolonisten, beziehungsweise von dorther überführten Flüchtlingen neu besiedelten ; der bekannte venetianische Annalist Marin Sanudo erzählt uns auch, daß im Anfänge des XVI. Jahrhunderts die Venetianer viele vor den Türken flüchtende Montenegriner nach Italien, speziell auch nach Padua und Vicenza überführten (vgl. Gelcich S. 9), doch auch er weiß nichts davon, daß Serbokroaten bei dieser oder einer anderen Gelegenheit auch in das Gebiet der friaulischen Slawen gelangt wären. Sonst ist die soeben erwähnte Stelle aus Sanudo die einzige historische Notiz, die wir über eine Ansiedlung von Serbokroaten auf der zu Venedig gehörenden italienischen Terraferma besitzen; wenn aber dieser Ansiedlung noch andere gefolgt oder vorausgegangen sein sollten, so ist wohl anzunehmen, daß es sich dabei immer um eine geringe Anzahl von Serbokroaten handelte, die in Ortschaften mit großer italienischer Majorität angesiedelt wurden, wo sie sich auch bald assimilierten, so daß von eigentlichen Kolonien nicht einmal die Rede sein kann und tatsächlich solche auch nicht erwähnt werden.

 

Dagegen ist es selbstverständlich, daß in Venedig selbst sich frühzeitig Serbokroaten niederließen,

 

 

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da nicht erst mit der ständigen Besitzergreifung der ostadriatischen Küste durch die Venetianer (im Anfang des XV. Jahrhunderts) das mächtig emporblühende und erstarkende Venedig für die Bewohner dieser Küste ein Kulturzentrum geworden war. Doch dürfte es sich dabei in der Regel um solche Serbokroaten gehandelt haben, die, ohne ihr ständiges Heim in der Lagunenstadt zu gründen, beziehungsweise ohne ihre Familie aus der Heimat mitzunehmen, sich in Venedig auf kürzere oder längere Zeit, jedenfalls aber nur vorübergehend aufhielten. Es handelte sich also in der Regel um eine fluktuierende serbokroatische Bevölkerung, die ebenfalls keine Kolonie im eigentlichen Sinne des Wortes bildete. Jedenfalls fanden sich in Venedig so viele zumeist aus Dalmatien gebürtige Serbokroaten, daß schon am 24. März 1451 eine wohltätigen und frommen Zwecken dienende Vereinigung derselben unter dem Namen Scuola dalmata de’ SS. Giorgio e Trifone gegründet wurde, die im Jahre 1528 den Bau einer eigenen Kirche (in der Calle dei Furiani) beendigte und noch bis auf den heutigen Tag existiert. [1]

 

 

            § 8. (in den Marken)

 

Neben Venedig vermittelte den Verkehr zwischen den beiden Küsten der Adria vielfach auch die alte Handelsund Hafenstadt Ancona, die insbesondere als der adriatische Hafenplatz für die toskanischen Städte, vor allem aber für Florenz galt und von wo aus die aus den Balkanländern bezogenen Waren auf dem Landweg dorthin gelangten, beziehungsweise die Erzeugnisse der toskanischen Industrie den Seeweg nach den dalmatinischen Städten, vorzüglich nach Ragusa nahmen. Deswegen sehen wir auch, daß im Jahre 1199 zwischen Ragusa und Ancona ein Freundschafts- und Handelsvertrag abgeschlossen wurde (bei Smičiklas, Codex diplomaticus II, Nr. 307) ; doch wurde dadurch höchst wahrscheinlich ein noch älterer Vertrag nur erneuert und bekräftigt, wie dies der Ragusaner Chronist J. Resti ausdrücklich behauptet (Monum. Slav. merid. XXV, S. 69). Es ist daher leicht begreiflich, daß, diesem Handelswege folgend, auch viele Serbokroaten nach Ancona gelangten und sich dort niederließen.

 

 

1. Statuto della Scuola dalmata dei SS. Giorgio e Trifone in Venezia (Venedig 1904), S. 3 ; das Statut in der gegenwärtigen Form stammt aus dem Jahre 1862.

 

 

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Über das Vorkommen von Slawen in dieser Stadt und auf ihrem Gebiete hat Makušev im I. Bande seiner Monumenta historica Slavorum Meridionalium (Warschau 1874) einige interessante Dokumente auf S. 195—204 herausgegeben und auf deren Grund diese Frage auf S. 74—84 behandelt. Es ergibt sich daraus, daß cs schon im XIV. Jahrhundert in Ancona nicht wenige Slawen gab, die vorwiegend aus den dalmatinischen Küstenstädten, aber auch aus dem kroatischen Küstenlande stammten und verschiedenen Gewerben nachgingen, vielfach auch Grund und Boden besaßen, sowie das Bürgerrecht erworben hatten. Sie waren jedenfalls so zahlreich, daß sie spätestens im Jahre 1439 eine eigene Vereinigung (Universitas Sclavorum) bildeten. Sie waren jedenfalls ein wichtiger Bestandteil der städtischen Bevölkerung, denn als im Jahre 1487 Papst Innozenz VIII. von der Stadtgemeinde verlangte, daß alle „Morlaken“ (tucti li Morlacchi) vertrieben werden sollten, wollte sich diese nicht fügen, weil es den Ruin der Stadt bedeutet hätte, wenn man alle „Slawen und Morlaken“ (Schiavi e Morlacchi) vertrieben hätte, die sich seit längerer Zeit in Ancona niedergelassen hatten (o. c. S. 200) ; dagegen hatte die Stadtgemeinde ohneweiters die „Morlaken“ weggejagt, die im benachbarten Osimo gewesen waren, und erklärte sich gerne bereit, dasselbe mit allen anderen zu tun, die etwa nachfolgen sollten. Es wird dies zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber es ist so gut wie gewiß, daß diese letzteren „Morlaken“ lästige Flüchtlinge waren, die sich vor den vordringenden Türken geflüchtet hatten und, da zu gleicher Zeit in das Gebiet Anconas aus derselben Ursache auch Albanesen flüchteten, die bald wegen ihres turbulenten Wesens als ein sehr gefährliches Element angesehen wurden, [1] so ergibt es sich von selbst, daß — wie dies auch sonst geschah — die altansässige Bevölkerung, die zwischen Albanesen und Slawen nicht so leicht einen Unterschied machen konnte,

 

 

1. Charakteristisch ist diesbezüglich schon der Anfang eines Ratsbeschlusses von Ancona aus dem Jahre 1458, in dem zum ersten Male die Albanesen erwähnt werden: Quoniam Albanenses viri sanguinei sunt et malignantis nature omnes, a quibus tanquam a furiosis gladiis aufvgendum est . . . (Makušev o. c. 204).

 

 

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da alle eine ihr gleichmäßig unverständliche Sprache sprachen, gegenüber Albanesen und Slawen auch zu denselben Repressivmaßregeln griff, um sich diese lästigen und gefährlichen Fremdlinge vom Halse zu halten. Wohin sich diese dann wandten, wissen wir nicht; jedenfalls konnte Makušev nach dem Jahre 1510 keine weiteren Erwähnungen von slawischen Flüchtlingen in den Archiven von Ancona finden. Aus demselben Jahre stammt übrigens auch die letzte Notiz über die freiwillig in Ancona ansässig gewordenen Serbokroaten : es ist ein Gesuch der Schiavoni possidenti et habitanti de la . . . cipta de Ancona vom 13. Juni 1510, mit welchem sie um Nachlassung einer Abgabe bitten (o. c. 203). Wie lange es in Ancona eine serbokroatische Kolonie gab, läßt sich nicht sagen; Makušev (o. c. 84) sagt allerdings:

 

„Im XVII. Jahrhundert entstand [in Ancona] eine allgemeine Armut und die verarmten und von fremden Elementen umgebenen Slawen und Albanesen verloren spurlos ihre Nationalität“;

 

aus den von ihm herausgegebenen Quellen ist dies aber nicht zu ersehen und er. zitiert sonst keine anderen.

 

Slawische und albanesische Flüchtlinge gaben aber auch der südlich von Ancona und unweit von der Seeküste gelegenen Stadt Recanati viel zu schaffen; einige interessante Daten darüber veröffentlichte Thallóczy im Archiv für slawische Philologie, Bd. XXVII, S. 82 bis 85. Demnach werden schon im Jahre 1437 albanesische Flüchtlinge erwähnt, gegen welche im Jahre 1451 „attesa la loro malignità” Vorkehrungen getroffen wurden. Slawen (Schiavoni), d. i. ohne Zweifel Serbokroaten, werden neben Albanesen erst im Jahre 1456 erwähnt, in welchem, um die Pestgefahr abzuwenden, am 17. Jänner beschlossen wurde, daß weder Albanesen noch Slawen aufgenommen und die von Weihnachten (1455) an angekommenen vertrieben werden sollten. Demnach werden in Recanati slawische Flüchtlinge um 30 Jahre früher als in Ancona erwähnt, womit selbstverständlich nicht gesagt werden soll, daß wirklich nach Recanati erst im Jahre 1455 und nach Ancona erst im Jahre 1487 solche gekommen seien.

 

 

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Trotz diesem Beschlüsse blieben (oder kamen später andere) Serbokroaten nach Recanati, denn im Jahre 1479 existierte dort eine slawische „Bruderschaft“ (fraternità); in demselben Jahre werden auch, zum letzten Male in den veröffentlichten Quellen, Slawen erwähnt: es handelte sich wiederum um eine Pestgefahr, die noch einmal das Verbot veranlaßte, Slawen (und Albanesen) in die Stadt aufzunehmen. Die weiteren Schicksale auch dieser in Recanati angesiedelten Serkokroaten sind uns nicht bekannt; im allgemeinen aber wissen wir (und dies wurde von Aranza im Archiv für slawische Philologie, Bd. XIV, S. 79—80, hervorgehoben), daß im Jahre 1525, dann wieder um das Jahr 1541 aus dem Gebiete von Zara viele Bewohner nach den Marche (wo bekanntlich sowohl Ancona als auch Recanati liegen) und nach Apulien flüchteten, welch letztere wenigstens zum Teil von der venetianischen Regierung zurückbefördert worden sein sollen. Auch für die Marken lassen sich also keine geschlossenen serbokroatischen Kolonien nachweisen ; die in Ancona freiwillig angesiedelten und dann die seit Mitte des XV. Jahrhunderts dorthin geflüchteten Serbokroaten waren wohl in einer so geringen Zahl, daß sie, wie auf dem venetianischen Festlande, bald in der italienischen Bevölkerung aufgingen.

 

 

            § 9. (im Königreich Neapel (im allgemeinen))

 

Die meisten Nachrichten von serbokroatischen Ansiedlungen in Italien besitzen wir in bezug auf das ehemalige Königreich Neapel. Über einzelne Slawen, darunter auch Bulgaren (besonders auf der Insel Ischia) hat ältere Notizen aus dem neapolitanischen Archiv Makušev im VIII. Band, Nr. 4, S. 67 ff. des Сборникъ der russischen Abteilung der St. Petersburger Akademie (St. Petersburg 1871) veröffentlicht; außerdem haben uns neapolitanische Lokalhistoriker die Erinnerung an einst auf verschiedenen Punkten des Neapolitanischen vorhandene slawische Niederlassungen erhalten, so daß es zweckmäßig ist, alle diese Notizen nach den einzelnen in Betracht kommenden Gebieten zu gruppieren. Wenn man aber von Slawen in Süditalien spricht, so muß man vor allem an die von Paulus Diaconus überlieferte Erzählung denken, wonach im zweiten Jahre der Regierung des langobardischen Herzogs von Benevento Ajo, also im Jahre 642, Slawen mit vielen Schiffen in der Nähe von Sipontum (unweit von Manfredonia in Apulien) landeten

 

 

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und den sie angreifenden Herzog mit einigen seiner Leute töteten, worauf dessen Bruder Radoaldus die Slawen täuschte, indem er zu ihnen „in ihrer eigenen Sprache (propria illorum lingua)“ sprach, sehr viele von ihnen tötete und die übrigen aus dem Lande vertrieb (Monum. Slav. merid. VII, S. 276). Ich erinnere aber an diese Notiz des Paulus Diaconus, weil man in neuerer Zeit die serbokroatischen Kolonien des Molise mit den angeblich nach dieser Niederlage im Lande verbliebenen Slawen in unmittelbaren Zusammenhang bringen wollte, was — leider ! — schon deswegen nicht geht, weil Paulus Diaconus ausdrücklich sagt, daß Radoaldus alle übrigen Slawen aus dem Lande verjagte (de illis finibus eos, qui remanserant, hostes fugavi petere coëgit); ohne Zweifel.gingen also die überlebenden Slawen mit ihren Schiffen denselben Weg zurück und im Lande verblieben wohl nur die Leichname der Getöteten ! Doch ist diese älteste Notiz über Slawen in Süditalien — ihre Richtigkeit vorausgesetzt — in zweifacher Beziehung interessant : erstens beweist sie, daß die Serbokroaten (denn nur um solche kann es sich handeln !) wenige Dezennien, nachdem sie das ostadriatische Küstenland — mit Ausnahme einiger wenigen Küstenstädte und Inseln — besetzt hatten, sich die Kunst des Schiffbaues und Seefahrens angeeignet hatten und relativ große Überfahrten (zu Raubzügen) unternahmen ; man könnte am ehesten an die Bewohner des dalmatinischen Küstenstriches zwischen den Flüssen Cetina und Narenta denken, die später als kühne Seefahrer (und Seeräuber) unter dem Namen der „Narentaner“ bekannt waren und vor denen einige Zeit auch Venedig zitterte! Andererseits ist es sehr auffallend, daß in so früher Zeit ein italienischer (langobardischer) Herzogssohn slawisch konnte ; doch, wenn die ganze Erzählung speziell auch in diesem Detail wahr ist, so handelte es sich wohl nur um ein paar Sätze, die sich der langobardische Herr etwa im ebenfalls langobardischen Friaul aneignen konnte, das um diese Zeit noch mehr von Slowenen bewohnte Gegenden umfaßte.

 

 

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Es ist aber leicht begreiflich, daß, sobald es dazu kam, daß sich Serbokroaten in Süditalien wirklich niederließen, diese sich zumeist in den an der adriatischen Küste gelegenen Provinzen ansiedelten, da sie eben auf dem Seewege nach Süditalien gelangten. Wann diese Wanderungen ihren Anfang genommen haben, läßt sich nicht sagen; übrigens haben sich auch hier wie auch in Norditalien die ersten Einwanderer ohne Zweifel vereinzelt und in der Regel nur auf einige Zeit niedergelassen und es dauerte gewiß lange, bis ganze Familien über das Meer gingen und in Italien ein neues, ständiges Heim sich gründeten. Makušev (o. c. 67) behauptet im allgemeinen, daß schon im Anfänge des XII. Jahrhunderts Slawen in den neapolitanischen Urkunden als Beamte, Zeugen und Mönche Vorkommen, ohne diese selbst namentlich anzuführen oder die betreffenden Quellen anzugeben.

 

 

            § 10. (in den Abruzzen)

 

Das älteste Zeugnis von slawischen Niederlassungen stammt aber erst aus dem Jahre 1290, in welchem bestimmt wurde, welche Abgaben die Slawen (Slavi cum casalibus) in den Abruzzen zu zahlen hatten. Diese Slawen waren nach den Abruzzen wohl über die Hafenstadt Vasto gelangt, die seit uralter Zeit in Handelsbeziehungen mit Dalmatien stand; deswegen entstand auch in dieser Stadt spätestens im XIV. Jahrhunderte eine slawische Kolonie, die dort eine Kirche erbaute (s. Nicola degli Schiavoni), die im Jahre 1362 erwähnt wird und im Jahre 1638 niedergerissen wurde; im Jahre 1522 gab es aber in Vasto unter 799 Familien über 50 slawische mit einem eigenen Geistlichen. [1] Man sieht somit, daß Slawen in Vasto sich viel früher niedergelassen haben als dies nach einer in Cupello hei Vasto lebenden Tradition geschehen sein soll, nach welcher erst König Alfons I. (1442—1458) 300 Schiffe nach Dalmatien geschickt haben soll, um neue Kolonisten anzuwerben und dadurch die infolge der Türkenverwüstungen entvölkerten Gegenden neu zu bevölkern. [2]

 

 

1. Marchesani L., Storia del Vasto (nach Troilo, S. 120) und S. Razzi, Cronaca vastese, annotata e pubblicata da L. Anelli (Vasto 1897), S. 17, 20.

 

2. Troilo E., Gli Slavi nell’Abruzzo chietino (in Atti della Società romana di antropologia, vol. VI, fasc. II, Roma 1899, S. 120) und Vegezzi-Ruscalla, S. 10.

 

 

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Die Inschrift aber, welche angeblich in „illyrischen“ (d. i. slawischen) Schriftzügen die Ankunft der Slawen in Vasto ins Jahr 1435 versetzt, [1] ist — wie mir Prof. L. Anelli, Direktor des archäologischen Kabinetts in Vasto, schreibt und aus einer mir von ihm mitgeteilten faksimilierten Kopie der Inschrift deutlich hervorgeht — eine plumpe Mystifikation, und zwar eines Conte in Vasto zirka aus dem Jahre 1830, der durch selbsterfundene Schriftzeichen den Ursprung seiner Familie auf dieses Jahr zurückführen wollte. [2] Später kamen auch nach den Abruzzen Slawen, die vor den Türken flüchteten. Der Dominikanerpater Serafino Razzi (der sich in den Jahren 1587 bis 1589 in Ragusa aufhielt und die erste gedruckte Geschichte dieser Stadt in Lucca im Jahre 1595 herausgab), verweilte nämlich in den Jahren 1576 und 1577 in Vasto und besuchte während dieser Zeit auch eine zirka 4 Kilometer von Vasto gelegene slawische Ortschaft, wie er dies im ersten Teile seiner handschriftlich erhaltenen Viaggi erzählt. Da dies die älteste etwas detailliertere Nachricht ist, die sich über die slawischen Siedlungen in Italien erhalten hat und in einer sehr wenig zugänglichen kleineren Schrift publiziert wurde, [3] so empfiehlt es sich wohl, sie hier zu reproduzieren. Razzi erzählt also folgendes:

 

„[S. 18] Il primo Settembre 1577 fui ricerco di andare a una Villa di Schiavoni lontana circa due miglia. Ci andai, vi celebrai la messa e ci feci una predica, stando allo altare, perocché non ci era pergamo . . . Ove, è da notare, come havendo i Turchi, da molti anni in qua presa, e ridotta sotto il [S. 19] dominio loro quasi tutta la Schiavonia fra terra e quasi alla marina dominando, molti popoli per non perder fra loro la fede cristiana, e per non istare sotto gli infedeli, se ne sono venuti passando il mare, in queste parti delli Abruzzi e della Puglia e da i ministri Regii sono per pietà stati assegnati loro varii, e diversi luoghi.

 

 

1. Marchesani, S. 167.

 

2. In den Vorläufigen Berichten XII, S. 3, sprach ich von einer vor kurzem vernichteten echten Inschrift, die sich tatsächlich auf die Einwanderung der Slawen in Vasto bezog; diese Nachricht beruht auf einem Mißverständnisse: es war damit ebenfalls diese falsche Inschrift gemeint.

 

3. Nämlich in der Sp. 24, sub [1] erwähnten Cronaca vastese.

 

 

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Ove fermatisi sono habitati di sotto a capanne di paglia, e sotto frascati. E poscia lavorando la terra, e sementando, et industriandosi hanno incominciato a murare case, e tutta via si vanno argomentando [wohl für augomentando!], et in numero, et in facoltà riconoscendo con certi loro patti, e convenzioni la camera Regia, e coloro, dai quali prima riceverono il luogo per [S. 20] la loro abitazione. E l’istesso molto prima, e specialmente verso la Puglia, come via a loro più diritta, fecero molti altri popoli della Grecia. Questo pertanto Villaggio a cui fummo noi chiamati, fa d’intorno a cento fuochi, et abitavano ancora per la maggior parte, sotto capanne, nelle quali fanno fuochi, hanno camere, cellaro e stalla. E sono benestanti, come quelli che nel sudore del volto loro adoperano bene la terra, e la fanno pure assai fruttare. Mantengono fra loro il favellare Schiavone, chiamando il pane bruca [sic!], la carne mesa, il cacio sire, l’uova iaia, il vino vina, e l’acqua vode. Favellavano ancora i più Italiani [wohl für Italiano] per conto della conversazione, e Raffiche pei mercati di comprare e di vendere. — Hanno la propria chiesa, lontano della Villa, quasi un tiro d’arco, cinta d’intorno da un capevole cimitero, e quello da un fosso. Osservai questa mattina, come le donne qua [S. 21] si tutte venendo alla messa portavano a cintola come sogliano i soldati i pugnali, uno aspersorio con ispogna in cima: et in mano un mazzetto di candele per accenderle a i loro altari et in spalla uno o due conocchie di lino o vero una piccia di pane in grembo per offrire all’altare, essendo la domenica p[rima], del mese. Arrivata alla porta della chiesa tuffano l’aspressorio in una gran pila d’acqua benedetta, e poi con esso girano per lo cimitero intorno dando l’acqua Santa alle sepolture coperte di grossi sassi e pietre, per cagione, credo, che le fieri divoratrici no le scavino. Et il prete bisogna che tenga sempre buona provvisione d’acqua Santa. Sono gli Schiavoni persone robuste e da fatiche. E si governano molto prudentemente in queste loro ville, e quali colonie, tenendoci il macello, le panatterie, et altre officine necessarie. — Danno al prete loro per sua provvisione annuale, oltre alle limosine particolari, et offerte che sono assai, dalle venti alle ventiquattro some

 

 

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di grano, di tanto che sementano [S. 22] in quell’ ampio loro terraggio. Et a i religiosi che ci mandano una volta la settimana ad accattare, fanno amorevolmente la limosina di pane, di vino e di uova ... Non ànno per ancora vigne, ma si proveggono di buon vino qui nel Vasto ...“

 

Razzi nennt diese Ortschaft in der Nähe von Vasto nicht, doch der Herausgeber dieses Teiles seiner „Reisen“, Prof. L. Anelli in Vasto, ein genauer Kenner der dortigen Verhältnisse, behauptet (Cronaca vastese, S. 18), es sei dies Cupello, und wir können es ihm ohneweiters glauben. Ebensowenig sagt uns Razzi, woher und zu welcher Zeit diese Kolonisten nach Italien gekommen seien; seine Behauptung, daß es Slawen gewesen seien, würde noch nicht genügen, denn er hätte, ebenso gut wie andere Italiener, Slawen und Albanesen verwechseln können; doch die wenigen Worte, die er aus ihrer Sprache anführt (bruca, d. i. cruca ,Brot', mesa ,Fleisch', sire ,Käse', iaia ,Eier', vina ,Wein', vode ,Wasser'), beweisen zur Genüge, daß sie wirklich Slawen waren, und zwar Serbokroaten. Was aber die Zeit ihrer Einwanderung anbelangt, so ist es höchst wahrscheinlich, daß diese nicht kurz vorher stattgefunden hatte, denn sonst hätte Razzi dies wohl erwähnt; da er aber andererseits sagt, daß, nachdem „vor vielen Jahren“ (da molti anni in qua) die Türken fast ganz „Slawonien“ erobert hatten, viele Leute nach den Abruzzen und nach Apulien flüchteten, so folgt daraus, daß diese Slawen von Cupello eben vor den Türken, etwa Ende des XV. Jahrhunderts, nach Italien geflüchtet waren, weil sie noch immer zumeist in Hütten und nicht in gemauerten Häusern wohnten. Daß es aber schon um diese Zeit auch in den Abruzzen slawische Flüchtlinge gab, ersieht man daraus, daß speziell in Lanciano in der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts die Behörden häufig gegen Slawen vorgehen mußten und im Jahre 1488 König Ferdinand II. direkt befahl, sie aus der Stadt hinauszutreiben (Troilo, S. 123).

 

Gegenüber den eingehenderen und bestimmten Angaben Razzis ist eigentlich sehr dürftig, was uns über die Slawen in den Abruzzen D. Antonio Lodovico Antinori, Erzbischof von Matera,

 

 

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in seinen Raccolta di memorie storiche delle tre provincie degli Abruzzi (Neapel 1782) mitteilt; im III. Bande auf S. 477-478 erzählt er nämlich, daß, als im Jahre 1464 die Türken zum ersten Male Skutari, „città dell’ Albania in Dalmazia“ angriffen, viele nach Italien, und zwar nach dem Molise und den Abruzzen flüchteten, wo sie sich zwischen den Flüssen Senella und Sangro niederließen;

„insorsero per tale occasione le ville Cupella ed Alfonsina; e nel territorio di Lanciano Stanazzo, S. Maria in Bari e Scorciosa, come pure in quello di Ortona Caldara. Furono loro concedute quelle, ed altre ville, perchè venissero ripopolate come avvenne. Quei nuovi ospiti, e le ville stesse, furono dal volgo denominate degli Albanesi, o pure degli Schiavoni“.

Antinori erzählt weiter, daß diese „Albanesen“ zuerst in Hütten lebten und erst allmählich sich steinerne Häuser bauten und daß diejenigen unter ihnen, die dem griechisch-orientalischen Ritus angehörten, sogleich zum lateinischen übergingen. Antinori macht also keinen strengen Unterschied zwischen „Albanesi" und „Schiavoni“ . und, was die Hauptsache ist, er weiß uns nicht zu berichten, ob es zu seiner Zeit in den Abruzzen Ortschaften gab, wo albanesisch oder slawisch gesprochen wurde.

 

Speziell mit den Slawen in der Provinz Chieti (dem ehemaligen Abruzzo ceteriore) beschäftigt sich E. Troilo in dem Sp. 24, Anm. 2 erwähnten Aufsatze. Leider wird auch hier sehr wenig geboten, denn was der Autor uns aus Eigenem gibt, beschränkt sich eigentlich auf ein auf S. 118 aufgestelltes Verzeichnis von Ortschaften, in bezug auf welche „auf Grund von Volksüberlieferungen nicht gezweifelt werden kann“, daß sie einst slawische Kolonien waren oder daß deren Bevölkerung mit Slawen versetzt wurde. Troilo trennt diese Ortschaften in drei Gruppen, und zwar:

 

            1. im Kreise von Vasto: Cupello (mit 3285 Einw.), Monteodorisio (mit 2393 Einw.), Schiavi d’Abruzzo (mit 3845 Einw.);

            2. im Kreise von Lanciano: Mozzagrogna samt Fraktion (mit 3430 Einw.), Scorciosa (eine Fraktion von Fossacesia mit 368 Einw.), S. Apollinare (eine Fraktion von S. Vito mit 808 Einw.), Treglio (mit 658 Einw.) und mehrere jetzt vernichtete Ortschaften, wie Stanazzo, Canaparo, Lazzaro e Cotellessa;

 

 

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            3. ira Kreise von Chieti: Abbateggio (mit 1007 Einw.), Forcabobolina (mit 2235 Einw.), Casacanditella mit Fraktion (mit 1633 Einw.), Vacri (mit 1633 Einw.), wozu (nach L. Anelli in Razzis Cronaca vastese, S. 19) noch S. Silvestro und Francavilla a mare, sowie (nach Baldacci, S. 45) Scanno hinzukommen. [1]

 

Die altansässige italienische Bevölkerung nennt noch heutzutage die Bewohner aller dieser Ortschaften „Slawen“ (im Ortsdialekte Schiavune) — ein Name, der in einem gewissen verächtlichen Sinne gebraucht wird, weswegen nach einer in S. Apollinare lebenden Überlieferung die Führer der Slawen, die sich zwischen S. Vito und Lanciano niedergelassen hatten, „den von ihnen bewohnten Weilern ihre Eigennamen gaben, und zwar S. Apollinare, Treglio, Mozzagrogna, damit sie nicht den allgemeinen Namen Slawen erhielten“. Insbesondere aber werden nach Troilo von den Abruzzesen die Bewohner einiger Ortschaften um Chieti und Lanciano als „Slawen“ bezeichnet und man unterscheidet eben Slawen von Chieti und Slawen von Lanciano, ja die Ortschaft Mozzagrogna wird direkt Schiavoni di Lanciano genannt (Troilo, S. 123); echte slawische Kolonien sind aber nur „Cupello, Mozzagrogna, Scorciosa usw.“, die von den Slawen entweder ganz neu gegründet oder neu bevölkert wurden.

 

Es ist aber sehr fraglich, ob wirklich die Bevölkerung aller dieser Ortschaften, wenn auch nur zum Teile, slawischen Ursprunges gewesen sei, denn, wenn die Gebildeten zwischen Slawen und Albanesen keinen strengen Unterschied zu machen verstanden, so ist es noch leichter möglich, daß auch das ungebildete Volk dasselbe getan habe; es kann somit der Ausdruck „Schiavune“ die allgemeine Bedeutung „Fremdlinge“ angenommen haben, so daß damit nicht nur Slawen, sondern auch Albanesen bezeichnet werden konnten.

 

 

1. Vegezzi-Ruscalla (S. 15) zählt zu den slawischen Kolonien in Italien auch Cologna, womit er höchstwahrscheinlich die gleichnamige Fraktion der Gemeinde Montepagano in der abruzzesischen Provinz Teramo und nicht etwa das nach Giustiniani (Bd. IV, S. 99) in Principato ulteriore (der gegenwärtigen Provinz Avellino) gelegene Dorf dieses Namens meinte.

 

 

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Am sichersten ist jedenfalls in den Abruzzen die Slavizität von Cupello bezeugt; denn außer den von Razzi erwähnten Wörtern spricht auch der von Kovačić (S. 332) hervorgehobene Umstand dafür, daß in der Nähe von Cupello ein Hügel den echt slawischen Namen Gradina trägt; dagegen kann ich die von Kovačić vorgebrachte Meinung nicht teilen, daß auch der Name Cupello mit dem serbokroatischen Kupel, ,Bad, Badeplatz' im Zusammenhänge stehe. Eher könnte Stanazzo das serbokroatische stanac sein. In bezug auf Cupello ist aber die von Troilo (S. 122) registrierte Volkstradition zu erwähnen, daß die aus 39 Familien bestehende slawische Kolonie sich zuerst im Gebiete des nahe gelegenen Monteodorisio niedergelassen hatte und erst um das Jahr 1500, da sie an Zahl gewachsen war und von der Nachbarbevölkerung belästigt wurde, das gegenwärtige Cupello gründete.

 

Über die weiteren Schicksale dieser abruzzesischen Slawen wissen wir gar nichts, aber nach den Worten Antinoris sollte man glauben, daß sie spätestens zu seiner Zeit, also Ende des XVIII. Jahrhunderts schon italianisiert waren. Troilo hatte am Schlüsse seines Aufsatzes versprochen, die anthropologischen und psychologischen Merkmale, die Bräuche und Überlieferungen sowie eventuell voihandene slawische Spuren in den betreffenden Ortsmundarten der abruzzesischen „Slawen“ untersuchen zu wollen, leider hat er dies nicht getan! Sonst kann mau einstweilen nur an eine Erscheinung hinweisen, die vielleicht auf Rechnung dieser slawischen Kolonisten zu setzen ist, nämlich auf die von einem italienischen Forscher in den Bezirken von Chieti und Lanciano konstatierte starke Brachykephalie, die mit der Dolichokephalie der ursprünglichen Bewohner dieser Gegenden im Widerspruche steht (Troilo, S. 117).

 

Südlich von den Abirazzen liegt die Provinz Campobasso, die ehemalige Grafschaft Molise (contado di Molise), wo die einzigen drei Ortschaften liegen, in welchen bis auf den heutigen Tag slawisch (serbokroatisch) gesprochen wird und wo sich ebenfalls spätestens in den ersten Jahren des XIV. Jahrhunderts slawische Kolonisten befanden;

 

 

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die Frage über die slawischen Siedlungen in dieser Gegend soll aber später besonders erörtert werden, somit wollen wir die Übersicht der slawischen Siedlungen in Italien nach Umgehung des Molise weiter verfolgen.

 

 

            § 11. (in Apulien)

 

Den südlichsten Teil der adriatischen Küste Italiens nimmt Apulien ein, das heutzutage in die drei Provinzen von Foggia, Bari und Lecce eingeteilt ist; von diesen hieß früher die erste Capitanata, die zweite Terra di Bari und die dritte Terra d’Otranto (nach der in derselben gelegenen Stadt Otranto, dem alten Hydruntum). Wie wir gesehen haben (Sp. 22), weist die älteste Erwähnung von Slawen in Süditalien nach Apulien, speziell nach der Capitanata hin, wohin im Jahre 642 eine Schar Slawen auf ihren Schiffen gelangte und bei Siponto (unweit von Manfredonia) landete. Erfolgreicher war aber der vom „slawischen König Michael“ im Jahre 926 unternommene Zug, der zur Eroberung der Stadt Siponto führte; dieser „slawische König“ war der aus anderen Denkmälern gut bekannte Herrscher (dux) von Zachulmien (Nordherzegowina; vgl. Monumenta Slavorum meridion., Bd. VII, S. 393). In der Terra d’Otranto gab es aber spätestens im Jahre 1294 angesiedelte Slawen, denn Makušev Сборникъ, S. 68) erwähnt aus diesem Jahre, was für eine Abgabe die in dieser Gegend lebenden „Sciavi cum casalibus“ zu zahlen hatten. Bald darauf gab es auch ganze Ortschaften, die das Attribut „de Sclavis“ führten, weil eben ihre Bevölkerung aus Slawen bestand, so zunächst im Jahre 1305 Castellucium de Sclavis in der Capitanata (Makušev l. c.); im Jahre 1461 wurden dann dort 60 Slawen (Schiavoni) angesiedelt, die ein albanesischer Führer in den Dienst König Ferdinands I. geführt hatte; [1] heutzutage heißt die Ortschaft Castelluccio de’ Sauri und es hat sich im Orte, wie mir von dort mit geteilt wurde, weder eine Spur noch eine Tradition von der einstigen slawischen Bevölkerung erhalten.

 

 

1. Makušev (Сборникъ, S. 73) nennt die Ortschaft fälschlich Castellucero degli Schiavi und beruft sich dabei auf die mir nicht zugänglich gewesene Schrift des Tommaso Morelli, Cenni storici sulla venuta degli Albanesi nel regno delle Due Sicilie (Neapel 1842), S. 11; aus G. Gattinis Note storiche della Città di Matera (Neapel 1882), S. 201—202, ersehe ich aber, daß sich diese Notiz tatsächlich auf das heutige Castelluccio de’ Sauri bezieht.

 

 

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Aus dem Werke GD. Magliano, Larino (Campobasso 1895), S. 240, Note a, ist ferner zu entnehmen, daß das gegenwärtige Castelnuovo della Daunia einst Castrum Sclavorum genannt wurde; wie ich erfahren habe, ist auch dort nicht einmal die Erinnerung an die früher dort lebenden Slawen erhalten. Eine starke slawische Kolonie in der Terra di Bari bildete nach Baldacci (S. 48) Giovinazzo:

 

„Die dalmatinisch-schiavonische Kolonie von Giovinazzo ist nicht eine vereinzelte Gruppe schweifender Abenteurer oder betriebsamer Kaufleute, sondern ein lebenskräftiges und volkreiches Zentrum einer Bevölkerung, die sich nicht nur diesseits der Adria festsetzte, sondern sich auch eine sehr bemerkenswerte bürgerliche und soziale Stellung schuf.“ [1]

 

Eine slawische Ortschaft in der Terra d’ Otranto war Sanctus Vitus de Sclavonibus, das unter diesem Namen schon im Jahre 1313 erwähnt wird (Makušev, Сборникъ, S. 68); italienisch hieß der Ort Sanvito oder Santovito degli Schiavi, bis er im Jahre 1863 den Namen San Vito dei Normanni annahm, weil er angeblich von den Normannen im XI. Jahrhunderte gegründet worden war; [2] slawische Spuren sind gar keine vorhanden. Viele Slawen hatten sich dann, gewiß schon sehr früh, auch in der altberühmten Handelsstadt Brindisi niedergelassen, was dadurch bewiesen wird, daß in dem im Jahre 1485 ihr verliehenen Statut ausdrücklich vorgeschrieben wurde, daß von den 15 Stadtvertretern zwei „della natione Greca, ò Albanese, ò Schiauona“ sein müßten; [3] noch mehr spricht dafür der Umstand, daß noch um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts ein Bezirk der Stadt S. Pietro degli Schiavoni hieß (Kulculjević, Izvjestje o putovanju . . ., S. 43);

 

 

1. Baldacci hat diese Nachricht ohne Zweifel aus dem zweiten Bande von F. Carabellese, La Puglia nel secolo XV, der leider in Wien nicht aufzutreiben war.

 

2. Vgl. cav. Giacomo Leo, S. Vito de’ Normanni già Santovito degli Schiavi o Sciavi (Neapel 1904), S. 10.

 

3. Vgl. Andrea della Monaca, Memoria historica . . . di Brindisi (Lecce 1674), S. 459, wobei zu bemerken ist, daß der Autor darunter drei verschiedene Nationen meint.

 

 

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wenn aber Kukuljević an derselben Stelle behauptet, daß die slawische Sprache in Brindisi ,in neuerer Zeit' ausgestorben sei, so ist dies, glaube ich, eine von ihm vorgebrachte Meinung, für die er kaum sichere Argumente hatte. Höchstwahrscheinlich hatten sich auch in den übrigen apulischen Hafenstädten (Bari, Molfetta, Trani, Barletta usw.) Slawen niedergelassen, da diese Städte mit der süddalmatinischen Küste, insbesondere aber mit Ragusa, in sehr regem Verkehre standen, doch habe ich keine sicheren Notizen darüber. — Eine jüngere Schicht slawischer Ansiedler bildeten dann auch in Apulien solche Slawen, die vor den Türken über das Meer flüchteten; wie auf Sp. 22 erwähnt wurde, flohen in dem Jahre 1525, dann um das Jahr 1541 viele Bewohner aus dem Bezirke von Zara nach den Marken und nach Apulien, von welchen allerdings ein Teil nach einigen Jahren in die Heimat zurückkehrte.

 

 

            § 12. (in der Basilicata und in Kalabrien)

 

Wahrscheinlich aus Apulien verbreiteten sich slawische Flüchtlinge auch nach der benachbarten, am Golfe von Taranto gelegenen Basilicata (jetzt Provinz Potenza); wenigstens behauptet dies Gr. Racioppi in seiner Storia dei popoli della Lucania e della Basilicata, Rom 1902, Bd. II, S. 141: aus Apulien sollen Slawen zunächst nach Matera gekommen sein, dann gegen Ende des XV. Jahrhunderts nach Spinazzola (in der Provinz Bari), um das Jahr 1511 nach Ruoti, ferner nach Montescaglioso und Pomarico und endlich in die kleine Ortschaft Monte-San-Giacomo bei Tegiano. Nach Kovačić (S. 338) soll es ziemlich viel Spuren von slawischen Kolonisten auch in S. Costantino bei Potenza geben, wo die Slawen von den Albanesen als „Vandalen“ bezeichnet werden sollen! Von zwei Seiten — unabhängig voneinander — wurde mir aber aus diesem Orte beides in Abrede gestellt: es leben dort nur Albanesen und von „Vandalen“ ist keine Spur. Etwas detailliertere Nachrichten haben wir aber nur in bezug auf die Slawen in Matera: Francesco Paolo Volpe hat auf S. 35 seiner Memorie storiche, profane e religiose su la città di Matera (Neapel 1818), wie mir mein junger Freund G. Spatocco mitteilte, die Notiz, daß die in der Vorstadt Casal Nuovo wohnenden Slawen und Albanesen im XV. Jahrhunderte noch immer als Fremdlinge betrachtet und behandelt wurden,

 

 

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weswegen auch im Jahre 1493 ein gewisser Pietro di Michele nicht zum Geistlichen der Kathedralkirche geweiht wurde, weil er der Sohn eines Slawen war. Derselbe Autor hat den Slawen von Matera auch eine ganze kleine Schrift gewidmet: Saggio intorno agli Schiavoni stabiliti in Matera nel secolo XV (Neapel 1852, 8°, 31 S. mit einer lithographierten Tafel), doch fand ich in dem Büchlein, das ich durch freundliche Vermittlung des Herrn Dr. Raffaele Sarra in Matera zur Durchsicht bekam, in bezug auf die in Matera angesiedelten Slawen fast nur das, was schon in dem zuerst erwähnten Werke des Volpe zu lesen ist; im Saggio aber wird auf S. 5—7 erzählt, daß der Slawensohn, der zum Geistlichen nicht geweiht wurde, Donato hieß und daß sein Gesuch, trotzdem sich für ihn auch König Ferdinand mit einem vom 29. März 1493 datierten Briefe eingesetzt hatte, deswegen abgewiesen wurde, weil kein Slawe oder Sohn eines Slawen bis zu der Zeit zum Geistlichen der Kathedralkirche geweiht worden war. Auf der beigegebenen Tafel ist das Bild „zweier angeblich slawischen Eheleute“ reproduziert, wie dies Volpe auf S. 4 sagt (una coppia conjugale di voluti Schiavoni); das Bild befindet sich, wie Gattini auf S. 201 seines auf Sp. 31, Note 1 zitierten Werkes mitteilt, auf dem unteren Teile eines die heil. Dreifaltigkeit darstellenden Bildes aus dem XVI. Jahrhunderte, das in der Kirche S. Pietro Caveoso aufbewahrt wird und von dem Ehepaare gespendet worden war. Trotzdem nun Gattini nicht mehr so vorsichtig ist, von „angeblichen“ Slawen zu sprechen, sondern direkt behauptet, daß die Spender Slawen waren, muß ich sagen, daß die Sache mir doch wenig wahrscheinlich erscheint, weil die beiden „Slawen“ das Kostüm der damaligen italienischen Kavaliere und Damen tragen.

 

Von Dr. Sarra, der sich eifrig mit der Geschichte der fremden Kolonien in dieser Gegend beschäftigt, erhielt ich ferner eine ganze Reihe von Namen von Slawen (und Albanesen), die er in den Notariatsprotokollen von Matera aus dem XV. und XVI. Jahrhunderte gefunden hat und die ich hier veröffentliche, wie sie mir mitgeteilt wurden:

 

 

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Radibone donati, Joannes georgi longi, Nicolaus di scomussa, Damianus de vera, Petrus de grandis, Angelus luce de georgio, Raduanus materula, Narro Joannis Veghi, Nicolaus cathera, Luca de falconibus, Ghura, Grimianus, Vyolante, Radithy, Boni, Pitghi, Nicolaus di domitro, Petrus vulpis, Rada, Pascarellus, Franciscus di agnesa, Leca di giorgio, Nicolaus pitrisino, Pascarellus dalmatus, Buccasini di luca, Leessia, Nicolaus di stanissia, Antonius di leca, Leca georgii, Vilecta, Miliaza di yela, Luca di scaysetti, Luca mirza, Luca capitis di ferro, Radovanus, Luca rusy, Carvoctellus, Joannes de luca de mele, Mamariy, Prori, Radovanus de fornello, Scaria pauli di violanti, Joannes di bove, Stephanus pizolilli, Laicus de rado, Donatello Valesti di alligretti, Vulesco luce, Thomasius bovi zoppi, Scana luce grossi, Joannes de reāni, Laychus, Paulussia di vera, Rado nicoli patrovize, Dominicus de clara, Vuergho, Coque, Pascarellus radi rossi, Boiys, Joannes de vilecta, Petras di menza, Dyano de vollesci, Bulecta, Evangelista de cilamaro, Nicolaus Veghyo, Pitrghy, Lachizi, Nicolaus Dobves, Scarolla di bove, Scana de lago richyo, Vuccasinus di prando, Jo͞ella petri di grafta dey, Layci, Pitrigho grafie dey, Palma, Radongha, Radonio pr̄adonigho, Nicolaus domitrus, Nicolaus di strua, Nicolaus di scanezza, Mara nicoli, Marinus de rado, Domitrus, Vera dominici, Luca di radolla, Margarita de radonghya, Lalicius, Marianus di vaba, Mannorivi, Lulla radi, Vucighi, Joannes di renne, Nardus georgii di blasio, Dominicus nicoli de domitro, Dedi, Radus, Joannes sc. vuci, Petrus boze, Luca di miliza, Radonghya preradoviza, Layco preradovize, Radus nicoli potroviza, Nicolaus di rado, Luca fristanti, Veghe greti, Marianus radi russi, Dominicus de bove, Andriza, Nardus di dante, Letha di penna, Matteus di mira, Eustasius guentii, Petrus nicoli bossini, Antonius leche, Petrus matoracii, Palma michia, Marianus di rado, Georgius radithy, Marianus di rago, Stana, Nicolaus bossini, Margarita qm boccosavi (?) baroni, Layco prādo, Dyana paracampi, Luca gallinella, Laya, Berardinus nicoli stitici, nicolaus di monte alto, Radovitus, Andreas di Uza, Dragi, Petrus prioria, Radichus de vera.

 

 

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Radi de hora michael, Liza dominici de priore, Stana raghi, Caterina layci de Scavonia, Sabecta de bucicchio, Radicchio de raglio, Petrus dominici tvrchi, Sabecta dominici de tvrcho.

 

Aus diesem Verzeichnisse von Namen, welche von slawischen Einwohnern Materas im XV. und XVI. Jahrhunderte geführt wurden, ersieht man zunächst, daß ihre Zahl eine ziemlich bedeutende gewesen sein dürfte; jedenfalls eine viel größere als die Zahl der Albanesen, denn unter den mir von Dr. Sarra mitgeteilten Personennamen sind diejenigen, die in den Dokumenten als Albanesen bezeichnet werden, in der entschiedenen Minorität. Was aber die Namen selbst anbetrifft, so sind sie zumeist der allgemein christlichen Terminologie entnommen; einige wiederum sind rein italienischen Ursprunges (longi, de grandis, de falconibus, vulpis, capitis di ferro usw.) und wurden ohne Zweifel erst in Matera von den slawischen Kolonisten angenommen, beziehungsweise ihnen beigegeben. Nichtsdestoweniger bleiben noch so viele Namen, die vollkommen sicher slawischen Ursprunges sind, daß dadurch auch die Slawizität aller dieser als „Slawen“ bezeichneten Bewohner Materas mehr als hinlänglich bezeugt wird; hieher rechne ich:

 

Raduanus — Radovanus (Radovan),

Radithy — Radicchio — Radichus (Radio),

Rada — rado (Rado),

Buccasini — Vuccasinus (Vukašin),

stanissia (Stanila),

mirza (Mirča),

Paulussia (Pavluša),

patrovize — potroviza (Petrović),

Radongha — Radonio — radonghya (Radońa),

prado (Prerad),

preradoviza — preradovize — pr̄adonigho (Preradović),

radolla (Radul),

Lalicius (Lalić),

Vucighy — bucicchio (Vučić),

vuci (Vuk),

miliza (Milica),

Andriza (Andrica),

Stana (Stana),

boccosavi (Vukosav),

Radovitus (Radović),

tvrchi — tvrcho (Tvrtko? Turco?),

 

wohl noch einige Namen, die aber weniger sicher sind. Daß die Träger dieser Namen, die durchwegs als Slawen (Schiavoni, Scavoni) bezeichnet werden, wirklich Slawen oder wenigstens slawischen Ursprunges waren, wird indirekt auch dadurch bestätigt, daß unter den als „Albanesen“ bezeichneten Personen keine einzige vorkommt, die einen echt slawischen Namen tragen würde,

 

 

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wie es sich umgekehrt unter den „Slawen“ kaum ein sicher albanesischer Name finden dürfte; [1] eine Ausnahme macht auf slawischer Seite der Name Leca — leca — Leche, der wohl albanesisch sein dürfte (das bekannte Lȅka der serbokroatischen Volkslieder) und auf albanesischer Seite vielleicht Coleni, wenn man es mit KulěnKulin in Verbindung bringen darf. Nichtsdestoweniger geht aus diesem Namensverzeichnisse hervor, daß in Matera im XV. und XVI. Jahrhunderte zwischen Slawen und Albanesen richtig unterschieden wurde. Die Namen der Slawen erlauben uns aber kaum, einen Schluß über ihre ursprüngliche Heimat zu ziehen : der allgemeine Zusatz de Scavonia hilft gar nicht und nur Pascarellus Dalmatus weist mit Bestimmtheit nach Dalmatien hin, noch mehr Nicolaus cathera, wenn man den letzten Namen als Cattaro auffassen darf; unter den slawischen Namen hebe ich aber besonders Vukašin hervor, weil der Name nur in den südöstlichen Gegenden gewöhnlich war. Ebensowenig kann man nach diesen slawischen Namen über den Dialekt der Serbokroaten von Matera urteilen: Preradović — das einzige sichere Beispiel mit einem urslawischen ě — muß gar nicht ein Ekavismus sein, denn pre — für prě — kann sowohl in ikavischen als auch in jekavischen Mundarten Vorkommen; es ist aber zweifelhaft, ob das einige Male vorkommende Vera wirklich das urslawische věra sei, denn als Personenname scheint es bei den Serbokroaten nie in Gebrauch gewesen zu sein, jedenfalls haben bekanntlich auch i-Sprecher hier vielfach ein e und kein i ;

 

 

1. Als Albanesen erscheinen im Verzeichnisse von Dr. Sarra:

 

Angelus de Antona, Andreas nicoli Zabol, Petrus di Alexio, Tolla denuto amansio, Vincentius georgii, Ghonnus, Alexius de donato bianco, Nicolaus de duraza, Nicolaus musayghy, Joannes miseros, Augustinus Toathy, Lessia martini, Coleni, Petrus de ghonno spati, Caterina martini secundi, Lessia martini secundi, Maramansi, Joannes rotundi, Joannes di georgio di snusio, Augustinus tribazo, Petrus mati amansii, Georgius de hynzano, Ghynesius, Alexius viana, Musaghy, Alexius mara, Nicolaus musaghyus, Donatellus di blasio, Vanni andree, Nardus di georgio, Raphael angiliberti, Franciscus petri angori, Alexius domitri vianthy, Nicolaus de martino, Donatellus dededo, Nicolaus monsii, Angelus di hinzano, Lucia domitri bianthy, Calya georgii Tribadi, Tolla nicoli monsii, Angelus nii, Andreas Julii miseros de summala, Cassanensus, Amgarius, Cyanfirus, Nicolaus Joannis orse, Nicolaus emę.

 

 

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noch weniger sicher ist Dedi für urslawisch dědъ: man vergleiche auch unter den albanesischen Namen einen Donatellus dededo (vielleicht für de dedo). Sicher ist es dagegen, daß diese Slawen aus einer Gegend stammten, wo das silbenbildende l schon zu u geworden war, wie dies die Namen Vuk, Vukčić, Vukašin beweisen. Von allen diesen slawischen Namen hat sich, wie mir Dr. Sarra mitteilt, neben Schiavone nur noch Radogna erhalten.

 

Da in Süditalien Slawen, Albanesen und Griechen vielfach verwechselt werden, will ich auch erwähnen, daß Herr Ettore D’Orazio, Advokat in Rom, mir im Jahre 1908 mitteilte, er habe einen aus Barile in der Basilicata gebürtigen Geistlichen kennen gelernt, der sich für Altertümer sehr viel interessierte und ihm erzählte, die Ortschaft sei slawischen Ursprunges und erst „in diesen letzten Jahren“ sei Tracht und Sprache „fast ganz“ italianisiert worden, so daß nur noch eine einzige Greisin die slawische Tracht beibehalten hätte. Es ist aber sehr leicht möglich, daß eine Verwechslung mit Albanesen und Griechen stattgefunden hat, denn nach L. Giustinianis Dizionario geografico-ragionato del regno di Napoli, Bd. II (Neapel 1797), S. 195, soli Barile, man weiß nicht wann, „von Griechen aus Skutari“ gegründet worden sein, wozu dann in den Jahren 1534 und 1647 Griechen aus der Morea hinzukamen, die um die Mitte des XVII. Jahrhunderts den lateinischen Ritus annahmen. Doch auch Giustiniani verwechselt, wie wir sehen werden, diese drei Völker miteinander.

 

Wahrscheinlich aus der Basilicata gelangten Slawen auch nach Kalabrien, und zwar nach der Provinz Cosenza (bis 1871 Calabria citeriore), wo nach Kovačić, S. 338, bei Corigliano (bei ihm irrtümlicherweise Conigliano!), südlich von Sibari, Spuren slawischer Siedlungen vorhanden sein sollen; ich habe aber nur in Erfahrung gebracht, daß an der Meeresküste bei Corigliano der Baron Compagna eine reiche Kirche besitzt, die der „Madonna della Schiavonia“ geweiht ist. Slawen in Kalabrien werden auch in einem Gesuche des Magistrats von Cosenza aus dem Jahre 1509 erwähnt, womit um Polizeimaßregeln gegen „Albanesi, Greci e Schiavoni“ gebeten wurde

 

 

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(Baldacci im römischen Journal La Vita, Jahrg. III, Nr. 348 vom 16. Dezember 1907). Wenn sich aber diese Slawen, wie wahrscheinlich, nicht unweit von Cosenza auf hielten, so hätten wir schon da mit Slawen zu tun, die sich auch in den westlich von den Apenninen gelegenen neapolitanischen Gegenden umhertrieben.

 

 

            § 13. (in der Terra di Lavoro und im Principato ulteriore)

 

Dagegen kamen wahrscheinlich aus dem Molise (Provinz Campobasso) und der Capitanata (Provinz Foggia) die Slawen, die sich in den benachbarten, ebenfalls westlich von den Apenninen gelegenen drei Provinzen Caserta (früher Terra di Lavoro), Benevento und Avellino (früher Principato ulteriore) niederließen. Doch ist das Vorkommen von Slawen in der ersten Provinz nicht vollkommen gesichert, denn Makušev (Сборникъ, S. 68) erwähnt nur im allgemeinen Abgaben von Slawen aus dem Justiciariatus Terre Laboris et Comitatus Molisii aus den Jahren 1294, 1305 und 1306, so daß sich diese Angaben auch nur auf die Slawen im Molise beziehen könnten; somit bilden die einzigen ziemlich sicheren Spuren von Slawen in dieser Provinz einige Ortsnamen: Castello degli Schiavi oder (nach Giustiniani, Bd. III, S. 334) in den Jahren 1532 bis 1669 einfach Schiavi (seit dem Jahre 1862 Liberi di Formicola im Gerichtsbezirke Formicola) mit dem dazugehörigen Dorfe Villa degli Schiavi, das heutzutage einfach Villa heißt, ferner Schiava (in der Gemeinde Bufino); in bezug auf den letzteren Ort teilte mir der dortige Pfarrer mit, daß keine Spur und auch keine Tradition einer ehemaligen slawischen Bevölkerung vorhanden sei und daß sich die Einwohner die Entstehung des Namens so erklären, daß in alter Zeit im Orte ein Fürst lebte, der eine Sklavin (schiava) bei sich hatte. Ebenso gibt es auch in der Provinz Benevento eine Ortschaft, die noch heutzutage den Namen Ginestra degli Schiavoni trägt, in bezug auf die Vitale (in der sogleich zu erwähnenden Schrift, S. 320) und Giustiniani (Dizionario V, 79) nur die Vermutung aussprechen, daß sie — wegen des Namens — eine slawische Kolonie gewesen sein dürfte; Vitale erwähnt tatsächlich aus dieser Ortschaft einen „Giovanni Bigotta della Ginestra Dalmatino“, also einen Slawen, wie dies auch der Name Bigotta, d. i. Bigota beweist,

 

 

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der ohne Zweifel auf urslawisch begota zurückzuführen ist (in einer serbischen Urkunde aus dem Anfänge des XIII. Jahrhunderts kommt der Name Běgota zweimal vor). Besonders stark scheint westlich von den Apenninen die slawische Kolonisation in der Umgebung der Stadt Ariano (in der Provinz Avellino) gewesen zu sein. In Ariano selbst werden Slawen zuerst im Jahre 1491 erwähnt, als der Magistrat darum bat, daß die dort lebenden Albanisi et Scavuni zu denselben Zahlungen verhalten würden wie die übrigen Bürger (Tommaso Vitale, Storia della regia città di Ariano e sua diocesi, Rom 1794, S. 408); und im Jahre 1498 verlangte der Feudalherr von Ariano, daß alle in Ariano wohnenden Albanise et Scavuni seine Weingärten wie früher bebauen sollten, ein Verlangen, dem der Magistrat willfahrte, nachdem er davon 4 Albanesen und 2 Slawen (Stefano Scavone, Minicо de Rato Scavone) ausgenommen hatte, die als Bürger der Stadt aufgenommen worden waren (o. c. 112). In der nächsten Umgebung von Ariano wurden aber zwei ganze Ortschaften von Slawen bevölkert, nämlich Montemale (jetzt S. Arcangelo Trimonte) und Polcarino (jetzt Villanova del Battista); [1] für den ersteren Ort bezeugt Vitale (o. c. 336), daß „Montemalo oder volkstümlich Montemale früher von Slawen bewohnt war, die sehr abergläubisch waren“, und beruft sich diesbezüglich auf einen Visitationsbericht des Bischofs von Ariano Monsignor Ferrera aus dem Jahre 1591. Aus demselben Berichte folgt aber nach Vitale (o. c. 338), daß auch Polcarino (Villanova) in demselben Jahre ebenfalls von Slawen bewohnt war, wie denn noch im Jahre 1620 die Ortschaft Polcarino degli Schiavoni hieß. Weiter erzählt Vitale auf Grund eines Notariatsaktes vom 26. Januar 1584, daß sich in diesem Jahre die Università (Gemeindevertretung) der Ernennung eines Italieners zum Arciprete (Erzpriester = Pfarrer) im Orte widersetzte und verlangte, daß man dieses Amt einem Geistlichen slawischer oder dalmatinischer Nation verleihe, wie dies seit alter Zeit der Fall war.

 

 

1. Der alte Name hat sich jedoch im Volksmunde selbstverständlich erhalten, ja sogar den vollen Namen Polcarino degli Schiavoni finde ich in einem Lokaljournal aus dem Jahre 1909.

 

 

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Seit welcher Zeit in Polcarino slawische Geistliche die dortige Pfarrkirche versahen, läßt sich leider nach Vitale nicht konstatieren; ich finde nur (auf S. 340), daß im Jahre 1549 als Arciprete ein Fra Marco de Dragonitiis (wohl Dragońić oder noch eher Draganić) erwähnt wird. Dieser Streit um die Pfarrstelle in Polcarino ist aber in mancher Beziehung interessant: erstens ersehen wir daraus, daß die Bevölkerung von Polcarino zu dieser Zeit ausschließlich oder wenigstens zum größten Teile aus Slawen bestand; zweitens folgt daraus, daß diese Slawen ganz gut wußten, woher sie nach Italien gekommen waren, sobald sie einen „slawischen oder dalmatinischen“ Geistlichen verlangten; endlich ist der Streit an und für sich interessant, weil — so viel mir bekannt — dies der einzige Fall ist, daß die nach Italien eingewanderten Slawen einen (natürlich nicht durch National-, sondern durch Lokalpatriotismus veranlaßten) Antagonismus gegenüber den Italienern zeigten. Es wäre aber immerhin möglich, daß dieser Streit auch mit der in der Kirche von Polcarino angewendeten Sprache im Zusammenhänge stehe: es wäre nämlich sehr leicht denkbar, daß die dortigen Slawen einen oder auch mehrere Geistliche aus der Heimat mitgenommen hätten; da sie aber ohne Zweifel aus dem dalmatinischen Küstenlande stammten, und zwar gewiß nicht aus den geschützten, geschlossenen Städten, wo zumeist der lateinische Kirchendienst herrschte, sondern von dem den türkischen Anfällen so sehr ausgesetzten flachen Lande, wo zumeist die altslawische (glagolitische) Liturgie im Gebrauche war, so wäre es gar nicht unmöglich, daß die Kolonisten von Polcarino, wenn nicht gerade den altslawischen Kirchendienst, so doch wenigstens, wie in Dalmatien, auch in der neuen Heimat die eigene Volkssprache in der Kirche vielfach anwendeten (beim Vorlesen des Evangeliums und der Epistel während der Messe, bei Erteilung der Sakramente, bei Gebeten usw.). Dies würde uns jedenfalls den Widerstand der Einwohner von Polcarino gegen die Einsetzung eines italienischen Pfarrers viel plausibler erscheinen lassen!

 

 

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Heutzutage hat sich in Polcarino nur noch die Erinnerung an die frühere slawische Nationalität der Bevölkerung erhalten dank den Bemühungen eines dortigen Lehrers, Giuseppe Jorizzo, der sich für die Geschichte seiner Vaterstadt interessiert. Als Kuriosum will ich erwähnen, daß nach diesem Herrn sogar die alten Götternamen Belbog und Zernebog im Lokaldialekte erhalten und der Name Polcarino von НОВИ КРАЙ herstammen soll! Die sonstigen angeblichen Überreste des Slawischen im Ortsdialekte erwiesen sich leider als neapolitanische Idiotismen, die mit dem Slawischen absolut nichts zu tun haben.

 

Herr Advokat D'Orazio hat mir auch in bezug auf die Ortschaft Greci mitgeteilt, daß — wie er sich an Ort und Stelle überzeugte — deren Bewohner von denjenigen des benachbarten Bovino Schiavoni genannt werden. Giustiniani dagegen (Dizionario V, 114) glaubt, daß der Ende des XVI. Jahrhunderts fast verlassene Ort von Albanesen neubevölkert worden sei, was mir vom Bürgermeister von Bovino tatsächlich bestätigt wurde, der die Einwohner des Ortes als Albanesen bezeichnet und die Angabe, daß sie in Bovino Schiavoni genannt werden, in Abrede stellt.

 

 

            § 14. (auf Sizilien)

 

Während für alle bis jetzt erwähnten slawischen Kolonien in Italien außer Zweifel steht, daß es sich dabei um Serbokroaten handelte, da als ihr Mutterland ausdrücklich Dalmatien, seltener Montenegro bezeugt ist, kann man nur vermuten, daß wenigstens zum Teile auch diejenigen Slawen Serbokroaten waren, die schon im X. Jahrhunderte im Dienste der afrikanischen Sarazenen nach Sizilien zogen und sich in Palermo niederließen: im Jahre 927 zog nämlich eine Flotte von 44 Schiffen, die unter der Führung des Slawen Sâin standen und mit Slawen bemannt waren, aus Afrika nach Sizilien und plünderte von dort aus die süditalienischen Küsten; zuletzt eroberte Sâin im Oktober oder November 929 die Hafenstadt Termoli am Adriatischen Meere und kehrte dann nach Afrika zurück, während ein Teil seiner Slawen wahrscheinlich in Palermo (der Hauptstadt auch des sarazenischen Siziliens) sich niederließ und in der Nähe des Hafens einen eigenen Stadtteil gründete, der noch in den Jahren 972/973, als der arabische Reisende Ibn-Haukal Palermo besuchte,

 

 

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 „der Stadtteil der Slawen“ hieß und gegenwärtig Quartier del capo genannt wird (M. Amari, Storia dei Musulmani di Sicilia, Florenz 1858, II. Bd., S. 176—179 und 297). Es ist aber schwer zu sagen, ob mit diesen panormitanischen Slawen des X. Jahrhunderts diejenigen Sciavi de Panormo im Zusammenhänge stehen, die Ende des XIII. Jahrhunderts erwähnt werden: Gilbertus Sclavus et socii de Panormo a. 1270, Rogerius Sclavus de Panormo a. 1273 (Makušev, Сборникъ VIII, S. 70); wahrscheinlich ist das nicht der Fall.

 

 

            § 15. (Bulgaren in Italien)

 

Daß aber diese Slawen des Sâin, beziehungsweise daß die in Palermo lebenden Slawen zumeist Serbokroaten gewesen sein dürften, kann man wohl deswegen vermuten, weil die afrikanischen Sarazenen diese slawischen Sklaven (um solche handelte es sich ja!) am leichtesten aus den von Serbokroaten bewohnten Küstengegenden und Inseln des Adriatischen Meeres haben konnten. Allerdings konnten sie auch Bulgaren aus den südmazedonischen und thrakischen Küstengebieten haben, so daß die ethnographische Zugehörigkeit dieser sizilianischen Slawen nicht ganz sicher ist. Wir müssen aber dabei auch an Bulgaren um so eher denken, als tatsächlich auch sonst Bulgaren in Süditalien ebenfalls erwähnt werden. Nach Paulus Diaconus, wie dies De Rubertis (S. 42) hervorhob, rief im Jahre 667 der langobardische Herzog von Benevento Grimoaldus eine große Schar von Bulgaren gegen die Griechen zu Hilfe, denen er als Belohnung für die wirksame Hilfeleistung die drei entvölkerten Städte Isernia, Bojano und Sepino (in der gegenwärtigen Provinz Campobasso) zur Besiedlung übergab; in bezug auf diese Bulgaren behauptet aber Paulus Diaconus, daß sie noch zu seiner Zeit, also gegen Ende des VIII. Jahrhunderts, noch immer ihre eigene Sprache gesprochen haben: qui usque hodie, quamquam et latine loquantur, linguae tamen propriae usum minime amiserunt. Doch diese Bulgaren kommen bei der Frage von slawischen Siedlungen in Italien gar nicht in Betracht, denn zu dieser Zeit waren die Bulgaren noch echte Türken; bekanntlich gingen sie erst im Jahre 679 über die Donau und erst seit dieser Zeit entwickelte sich allmählich der neue ethnische Typus der slawischen Bulgaren.

 

 

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Dagegen dürften wohl slawische Bulgaren diejenigen Bulgari gewesen sein, die Ende des XIII. und anfangs des XIV. Jahrhunderts in verschiedenen neapolitanischen Ortschaften, besonders aber auf der Insel Ischia erwähnt werden (Makušev, Сборникъ VIII, S. 70—71). Endlich hat wohl von slawischen Bulgaren die Ortschaft Castropignano dei Bulgari (in der Provinz Campobasso) ihr Prädikat erhalten, obschon die ganz sporadischen Spuren der einst dort gesprochenen slawischen Sprache eher auf das Serbokroatische hinweisen (vgl. § 22).

 

 

            § 16. (Entstehung und Verteilung der Kolonien)

 

Wenn wir die Entstehung und Verteilung serbokroatischer Kolonien in Italien überblicken, so stellt es sich heraus, daß man dabei zwei in bezug auf Zeit und Veranlassung der Niederlassungen streng zu scheidende Perioden zu unterscheiden hat. Die ältesten Kolonien wurden gewiß von Serbokroaten gegründet, die aus Dalmatien nach den an der Westküste des Adriatischen Meeres gelegenen Hafenstädten zogen, um dort Handel und Gewerbe zu treiben; so entstanden hier die „slawischen“ Gemeinden, die besonders im XIV. und XV. Jahrhunderte blühten und juristische Personen bildeten, die von den Ortsbehörden anerkannt und deren Mitglieder gelegentlich (wie in Ancona) in Schutz genommen oder (wie in Brindisi) den übrigen Bürgern gleichgestellt und mit gewissen Privilegien ausgestattet wurden. Seit dem XVI. Jahrhunderte begannen diese Kolonien allmählich zu verschwinden: der Handel Dalmatiens — mit Ausnahme desjenigen von Ragusa —wurde von Venedig monopolisiert, während Ragusa sich besonders auf den Handel im türkischen Reiche verlegte, wo ihm weitgehende Privilegien erteilt worden waren, so daß der Zuzug von Handelsund Gewerbeleuten nach der italienischen Küste allmählich aufhörte und die bis zu dieser Zeit an verschiedenen Punkten blühenden serbokroatischen Kolonien sich der italienischen Bevölkerung assimilierten. Nur Venedig behielt als das politische und kulturelle Zentrum von ganz Dalmatien seine Anziehungskraft, weswegen sich auch dort bis auf den heutigen Tag die Scuola dalmata erhalten hat.

 

 

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Neben diesen Niederlassungen in den Hafenstädten an der Westküste der Adria finden wir aber speziell im Königreiche Neapel, spätestens Ende des 13. Jahrhunderts, auch slawische Niederlassungen auf dem flachen Lande in den Provinzen Abruzzi, Molise, Capitanata und Terra d’ Otranto, wo die Slawen selbständige Weiler bewohnten, aber auch ganze Ortschaften gründeten oder neu bevölkerten, als welche zuerst im Jahre 1305 Castellucium de Sclavis in der Capitanata erwähnt wird. Wie diese letzteren Kolonien entstanden sind, ist schwer zu sagen, doch handelt es sich höchstwahrscheinlich um friedliche Kolonisten, die die Anjous (oder vielleicht schon die früheren Herrscher von Neapel) an der Ostküste des Adriatischen Meeres an warben (etwa durch Vermittlung der in den Hafenstädten lebenden Dalmatiner), um die durch die vielen Kriege sehr gelichtete Bevölkerung zu verstärken.

 

Es kam dann im westlichen Teile der Balkanhalbinsel die große Türkennot des XV. Jahrhunderts, als die Türken Albanien, darauf Serbien, Bosnien, die Herzegowina und die Zeta nacheinander niederrangen und auch ganze Teile von Dalmatien und Kroatien an sich rissen. Was sich unter das schwere Joch der wilden Eroberer nicht beugen wollte und dem Meere nahe genug gelegen war, um über dasselbe Rettung suchen zu können, floh in hellen Scharen nach Italien. Früher und in viel größerer Zahl als die Slawen schlugen diesen Weg die Albanesen ein, da sie zuerst den wilden Angriffen der Türken ausgesetzt und zwischen dem vordringenden Feinde und dem Meere gewissermaßen eingekeilt waren; wir begreifen somit, daß die Zahl der nach Italien ausgewanderten Albanesen eine so beträchtliche war, daß diese noch heutzutage (hauptsächlich in Kalabrien und auf Sizilien) über 100.000 Köpfe zählen. Höchstwahrscheinlich aber zogen ungefähr um dieselbe Zeit mit den aus Nordalbanien geflüchteten Albanesen auch Serbokroaten (deren es in Nordalbanien im Mittelalter viel mehr gab als heutzutage!), sowie aus der benachbarten Zeta aus; jedenfalls verbindet die Tradition in Italien Albanesen und Slawen miteinander, indem sie die von diesen beiden Völkern in Italien gegründeten Kolonien an den Namen des albanesischen Helden Georg Kastriota Skanderbeg knüpft.

 

 

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Danach soll die Einwanderung der Albanesen und Slawen vorzüglich seit dem (im Jahre 1468 erfolgten) Tode des Skanderbeg, zum Teile noch zu dessen Lebzeiten erfolgt sein; Skanderbeg unterstützte nämlich seinen Freund Ferdinand von Neapel gegen den unbotmäßigen Adel mit albanesischen Hilfstruppen, von denen ein Teil im Lande verblieben sein soll, während weitere Nachschübe folgten, als nach dem Tode Skanderbegs Albanien von den Türken wieder bedrängt wurde. Höchstwahrscheinlich fanden aber die ersten albanesischen Auswanderungen schon vor der Zeit Skanderbegs (1443—1468) statt, nämlich bald nachdem die Türken, als sie sich im Jahre 1371 Mazedonien unterwarfen, die unmittelbaren Nachbarn der Albanesen wurden; jedenfalls haben wir gesehen, daß schon im Jahre 1437 albanesische Flüchtlinge in der Umgebung der Stadt Recanati in den Marken erwähnt wurden (vgl. Sp. 21). Doch in größerem Maße dürften Albanesen erst nach der ersten im Jahre 1442 stattgefundenen Besitzergreifung Albaniens durch die Türken und während der fast ununterbrochenen Kämpfe unter Skanderbeg nach Italien ausgewandert sein, noch mehr aber, als im Jahre 1479 Albanien endgültig von den Türken erobert wurde. Es ist somit wahrscheinlich, daß aus Nordalbanien Serbokroaten ebenfalls gleich nach dem Jahre 1442 nach Italien auswanderten, und hieher sind vielleicht diejenigen Slawen zu rechnen, die im Jahre 1456, wiederum bei Recanati, neben Albanesen Vorkommen; doch glaube ich, daß die Mehrzahl der nach Italien geflüchteten Serbokroaten erst nach der Eroberung Bosniens durch die Türken, also nach dem Jahre 1463 ihr Vaterland verließ, denn erst nach dieser Zeit fingen die Türken an, das serbokroatische Küstenland zu bedrängen. Eine Tatsache ist es jedenfalls, daß vor der Mitte des XV. Jahrhunderts keine sichere Notiz über nach Italien geflüchtete Serbokroaten bis auf uns gelangt ist.

 

Während also die älteren serbokroatischen Kolonisten sich in der Regel in größeren, vorzugsweise Hafenstädten niederließen, da sie durchwegs Handels- und Gewerbetreibende waren, wurden die seit der Mitte des XV. Jahrhunderts in Italien aufgenommenen Flüchtlinge,

 

 

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die wohl vorwiegend Bauern waren, zumeist auf dem flachen Lande, beziehungsweise in kleineren geschlossenen Ortschaften angesiedelt, deren Bevölkerung ebenfalls, wie es nicht selten noch heutzutage in Süditalien der Fall ist, hauptsächlich aus Bauern bestand. Es fällt dabei ins Auge, daß diese Flüchtlinge auf sehr vielen Punkten zerstreut auftreten: dafür war gewiß vor allem der Umstand maßgebend, daß sie eben, wie sich ihnen die Gelegenheit zur Überfahrt bot, an verschiedenen Punkten der Ostküste Italiens landeten und sich zunächst nicht unweit von dem Landungsplätze aufhielten, bis ein geeigneter Platz für ihre ständige Niederlassung ihnen zugewiesen wurde. In dieser letzteren Beziehung war aber der momentane Bedarf an Arbeitskräften, beziehungsweise das Vorhandensein unbebauten Kulturlandes entscheidend; deswegen sehen wir auch, daß diese Flüchtlinge nicht nur in den an der Ostküste gelegenen Gegenden, sondern auch nach der Basilicata am Golfe von Tarent sowie westlich von den Apenninen nach Kalabrien, Terra di Lavoro und Principato ulteriore gelangten, beziehungsweise geschoben wurden. Diese Zerstreuung der serbokroatischen Flüchtlinge, die nirgends eine zusammenhängende, kompakte Masse bildeten, brachte es auch mit sich, daß sie sich überall — mit Ausnahme des Molise — wie es scheint, recht bald der sie umgebenden italienischen Bevölkerung assimilierten.

 

 

            § 17. (Verwechslung der Slawen mit Albanesen und Griechen)

 

Es muß aber auch die Tatsache hervorgehoben werden, daß diese serbokroatischen Flüchtlinge zumeist gleichzeitig und zusammen mit Albanesen erwähnt werden; da nun alle diese Fremdlinge von der Italien gegenüberliegenden Küste der Balkanhalbinsel stammten, ungefähr zu gleicher Zeit und aus demselben Grunde (vor den Türken!) nach Italien flüchteten, da sie ferner — insoferne sie aus Nordalbanien stammten — vielleicht manchmals miteinander vermischt nach Italien gelangten, jedenfalls aber einer den Italienern gleichmäßig unverständlichen Sprache sich bedienten, so ist es leicht' erklärlich, daß — höchstwahrscheinlich gleich von allem Anfänge an — in den betreffenden italienischen Gegenden zwischen Serbokroaten (Slawen) und Albanesen

 

 

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kein strenger Unterschied gemacht wurde und vielfach unter dem einen Namen Angehörige beider Völker oder auch Albanesen als Slawen und umgekehrt Slawen als Albanesen bezeichnet wurden. Jedenfalls steht es fest, daß noch alle älteren italienischen Autoren, die überhaupt die slawischen und albanesischen Kolonien Italiens erwähnen, nicht selten diese beiden Völker verwechseln: einige Beispiele hiefür habe ich schon (Sp. 28) beigebracht, noch andere sollen sogleich bei Besprechung der slawischen Siedlungen im Molise folgen. Wenn also bei einem älteren italienischen Schriftsteller irgendeine Ortschaft als eine slawische oder als eine albanesische Kolonie bezeichnet wird, so ist — die Richtigkeit des fremden Ursprunges der Bevölkerung vorausgesetzt — damit noch gar nicht bewiesen, daß es sich dabei wirklich um Slawen, beziehungsweise um Albanesen und nicht umgekehrt handle; in dieser Beziehung können selbstverständlich nur die Sprachreste entscheidend sein, die sich in Personen- und Ortsnamen, eventuell — wohl viel seltener — in dem Dialekt der betreffenden einstweilen italianisierten Ortschaft erhalten haben. Die genaue Scheidung wird ferner auch dadurch erschwert, daß neben den beiden Volksnamen auch der Ausdruck Greci ,Griechen’ angewendet wird, der aber nicht nur für echte Griechen, sondern auch für Angehörige des griechischen Ritus gebraucht wird: unter Greci können somit auch orthodoxe Albanesen oder Slawen gemeint sein, während die Molisaner Serbokroaten mit diesem Namen (Grci) überhaupt alle, auch die ihnen benachbarten römisch-katholischen Albanesen bezeichnen. Ein typisches Beispiel hiefür haben wir bei der (Sp. 42) schon erwähnten Ortschaft Greci, deren Bewohner aber von den Nachbarn noch immer ,Slawen’ genannt werden sollen; für die Ortschaft Badessa in der Provinz Chieti (Abruzzen) behauptet aber Galanti (Dizionario I, 1), sie sei von Albanesen gegründet worden und es werde dort ein ,verdorbenes Griechisch’ gesprochen, während mir ein guter Kenner des Volkslebens in den Abruzzen (Finamore) meldete, der Ort sei eigentlich eine slawisch-dalmatinische Gründung!

 

 

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In der Tat hat aber Badessa weder mit Griechen, noch mit Slawen was zu tun, vielmehr sind die Bewohner noch heutzutage griechisch-unierte Albanesen. Bei dem Umstande somit, daß in Italien bis auf den heutigen Tag Slawen mit Albanesen sowie Albanesen mit Griechen und umgekehrt verwechselt werden, ist bei der Feststellung der von einem jeden dieser drei Völker in Süditalien gegründeten Kolonien mit großer Vorsicht vorzugehen und man darf sich auf die Angaben älterer und neuerer Gewährsmänner nicht ohneweiters verlassen, insoferne dieselben nicht auf unzweifelhaften historischen Notizen über die Provenienz der Kolonisten oder auf sicheren sprachlichen Merkmalen beruhen.

 

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