Die altchristliche Kunst

Wladimir Sas-Zaloziecky

 

III. Die Malerei

 

1. Sepulkrale Wandmalerei der Katakomben. Dekorationssystem  77

2. Stilistische Unterschiede in den Katakomben  79

3. Darstellungsinhalte der Katakombenmalerei  84

4. Miniaturmalerei  87

5. Die monumentale Wandmalerei. Mosaiken und ihre Thematik  94

6. Die Mosaiken von Santa Maria Maggiore  98

7. Majestas Domini  101

 

 

1. Sepulkrale Wandmalerei der Katakomben. Dekorationssystem

 

Begibt man sich etwa von dem Haus der Livia am Palatin in die unterirdischen Kammern der Katakomben an der Via Appia, ist man von der Verschiedenheit des Dekorationssystems so überrascht, daß man jeden Zusammenhang der Katakombenmalereien mit der antiken Malerei in Abrede stellen möchte.

 

Die Katakombenmalereien erscheinen uns wie eine Verneinung jener auf die antike Architektur zurückgehenden Gesetze, auch jenes barock-antiken Illusionismus der pompejanischen Malerei, zu der das Haus der Livia noch gehört und von dem in den Katakomben jede Spur verlorengegangen ist.

 

Die Katakombendekoration besteht aus weißen oder gelblichen Wandfeldern, die durch grün-rote, breite oder schmälere Linien eingefaßt werden. Im Gegensatz zur pompejanischen Wanddekoration herrscht hier reine Fläche, Linienrahmung und der helllichte Hintergund vor. Die antike gemalte Architektur ist vollkommen verschwunden, bis auf einige spielerische Motive, die jedoch von ihrer ursprünglichen architektonischen Umrahmung los gelöst worden sind (Delphine, Hippokampen, Tauben, Ranken, Girlanden, Blumenmotive, Vasen, Vögel, Köpfe, Putten usw.).

 

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Ebenso sind perspektivische Durchblicke, gemalte Gartenanlagen mit dem Blick ins Freie oder auf den freien Himmelsausschnitt verschwunden. Es ist nichts Greifbares, Reales, konkret Existierendes da, an das man sich anklammern könnte. Nur einzelne Figuren und Szenen, die von den hellen Riesenflächen umflossen werden, nehmen das Auge gefangen. Die Figuren und die äußerst knapp, andeutungsweise geschilderten Szenen heben sich ebenso schattenhaft von den weißen Hintergründen ab wie die schmalen Bodenstreifen, auf denen sie stehen. Aber auch jeder bildhafte Zusammenhang ist zerstört, da der Bodenstreifen ebenso von den weißen Flächen umschlossen wird wie die Figuren.

 

Schattenhaft unwirklich tritt uns die Welt dieser Malereien entgegen. Diese Wirkung wurde ursprünglich durch eine künstliche Beleuchtung gesteigert, so daß im dürftigen, flackernden Lichtschein die Illusion des Unwirklichen noch überboten wurde.

 

Die lineare Wanddekoration beruht zwar auf einander zugekehrten Entsprechungen von Feldern und Motiven, worin man das schattenhafte Fortklingen der Antike beobachten kann, aber die Gesetze der Symmetrie sind nicht immer eingehalten worden. Die Linienführung der Umrahmungen ist unsicher, ja sogar zeichnerisch unkorrekt, oft sind abrupte Unterbrechungen von Linien oder einzelne, horizontale oder vertikale Strichlinien vorhanden, welche »zonenartig« die dekorativen Teile von den bildmäßig gedachten scheiden. All dies widerspricht den architektonisch empfundenen, pompejanischen, gemalten Scheinarchitekturen.

 

Mit diesen Wanddekorationen hängt engstens der Schmuck der Decken zusammen (Flaviergalerie in der Domitilla-Katakombe, Lucina-Katakombe, Sakramentskapelle San Callisto, Cubiculum des Petrus und Marcellinus, Cubiculum im Coemeterium Maius). Die Decken ahmen Kuppeldekorationen nach. Hier ist der letzte Rest eines architektonischen Empfindens noch stärker angedeutet als an den Wänden. Die Kuppelform wird durch zwei Kreise mit betonter Mitte angedeutet, zwei sich kreuzende Diagonalen laufen in »pendentifartig gemalte« Eckfelder aus. Diese Decken sind offensichtlich einer antiken Kuppelform nachempfunden worden, aber sie stehen mit keiner »architektonisch gedachten« Wanddekoration in Zusammenhang. Das Verhältnis von Figuren und Darstellungen zum hellen Hintergrund ist dasselbe wie in den Wanddekorationen.

 

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Alles zusammen wirkt wie schattenhafte, luftige, pergolaartige Gebilde, die sich über alle realen Grundlagen einer architektonisch empfundenen Dekoration hinwegsetzen.

 

Die Ergebnisse der jüngsten Forschungen (Wirth) haben jedoch engste Beziehungen zwischen dem Dekorationssystem der Katakomben und den römischen Wanddekorationen des 3. Jh. aufgedeckt. Ein Blick auf die Wanddekoration eines Wachlokales der 7. Kohorte der Vigiles in Trastevere (Rom) aus den Jahren 210 bis 215, das Columbarium Polimanti in Rom um 200, Fragmente aus dem Palast der Laterani beweisen, daß sich dieser aus grünroten Linien bestehende Stil bereits in den römischen Wandmalereien des 3. Jh., an die sich die Katakomben anlehnten, vorbereitet hat.

 

Die Überwindung des pompejanischen, illusionistischen Stils der gemalten Architekturen erfolgte bereits in der römischen Wandmalerei und wurde von den Katakomben übernommen. Ähnlich wie die Sarkophagplastik, schließt sich auch die altchristliche Wandmalerei der römischen Malerei des 3. Jh. an. Diese neuen Ergebnisse erlauben auch eine Umdatierung der Katakombenmalereien, die schwerlich vor dem 3. Jh. entstanden sein dürften, im Gegensatz zu der älteren Forschung, die ihre früheste Entstehung ins 1. Jh. n. Chr. verlegte.

 

 

2. Stilistische Unterschiede in den Katakomben

 

Die neuen Forschungen haben auch mit der älteren Ansicht aufgeräumt, daß die Katakomben einen einheitlichen Stil aufweisen und aus derselben Zeit stammen. In der Tat verteilt sich die Entstehung der Katakomben auf einige Jahrhunderte, und sie reichen vom 3. bis zum 6. Jh. n. Chr. Allerdings schwanken bis heute die genaueren Festlegungen ihrer Entstehungszeit.

 

Wir können einige Stilgruppen von Katakombenmalereien unterscheiden, obwohl ihre zeitliche Entstehung nicht genau festgestellt werden kann. Einen rot-grünen Linearstil in der Dekoration mit impressionistischen Figuren, der um 250 feststellbar ist (Domitilla-Katakombe, Kammer des Guten Flirten), eine antikisierende Richtung, die sich mit der gallienischen Renaissance deckt (253 bis 268, Lucina-Katakombe mit Daniel in der Löwengrube und die Sakramentskapelle der Gallistus-Katakombe),

 

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und eine Fortsetzung des rot-grünen Linearstils, der die Grundlage der ganzen späteren Entwicklung bildet (späte Kammer der Lucina-Katakombe, nichtchristliche Anlagen in der Unterkirche von San Sebastiano, gnostische Katakombe in Viale Manzoni in Rom).

 

Am Ausgang des 3. und Anfang des 4. Jh. tritt eine Vergröberung des rot-grünen Linearstils, eine Verflachung in der Darstellung der Figuren und eine Verdrängung des Farbenimpressionismus auf. Dieser Stil entspricht der sogenannten tetrarchischen Zeitperiode (280—315, Deckenfresko der Katakombe des Petrus und Marcellinus mit dem Guten Hirten), er setzt sich in der konstantinischen Zeit fort und wird durch einen neuen pastosen Impressionismus und breite Linienumrahmung belebt (Petrus-Marcellinus-Katakombe, Coemeterium Maius).

 

In der nachkonstantinischen Zeit tritt ein neuer antikisierender ,Stil auf, den man als den »schönen Stil« bezeichnen könnte; große Gewandfiguren, plastische Durchbildung sind für diese neue Wendung zur antiken Kunst charakteristisch (Priscilla-Katakombe, Capella Graeca, Praetextatkatakombe Jesus und die Samariterin, Verspottung Christi). Dieser Stil wird im 5. Jh. durch einen monumentalen Stil ersetzt, der bereits unter dem Einfluß der altchristlichen monumentalen Wandmalerei steht (Petrus und Marcellinus, Christus zwischen den Aposteln Petrus und Paulus).

 

Der rot-grüne Linearstil in der Ornamentik und impressionistische Figuren treten bereits in der Flaviergalerie auf. Aber hier müssen wir zwischen den Deckenmalereien und den Wänden scheiden. Während in den Deckenmalereien kein einziges christliches Symbol erscheint, finden wir an einer Wand die Darstellung Daniels in der Löwengrube. Auch stimmen die Deckenmalereien in ihrem Reichtum an ornamentalen Motiven mit der einfachen linearen Dekoration der Wände nicht überein. Man wird daher hier zwei Stilphasen unterscheiden müssen, eine frühere, noch antike der Deckenmalereien und eine spätere, christliche der Wände.

 

Die antiken Decken sind für die altchristlichen Katakombenmalereien von vorbildlicher Bedeutung, da sie das spätere Gerüst für die Dekoration der Katakomben abgegeben haben.

 


 

Farbtafel V Ravenna. San Vitale. Presbyterium. Nordostwand mit Mosaiken. Im gerahmten Bildfeld: Kaiser Justinian mit Bischof Maximian und Gefolge. 2. Viertel 6. Jh.

 

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Die betonte, in Kreisen eingeschriebene Mitte und die diagonalen Ecklösungen mit sphärischen Ecken ahmen eine Kuppeldekoration nach. Diese antike »illusionistisch« wiedergegebene Kuppeldekoration liegt allen Katakombendekorationen zugrunde.

 

Stilistisch nahe dem Deckenschmuck der Flaviergalerie steht die Kammer des Guten Hirten der Domitilla-Katakombe in Rom (Abb. 17). Dünne Linien umrahmen die einzelnen Felder. Girlanden, Vasenmotive, Ranken und Tauben füllen die einzelnen Felder. Alle diese Motive sind in flottem impressionistischem Stil gemalt. Die Struktur der »illusionistisch« gemalten Kuppel ist noch feststellbar. Aber die Wandmalerei steht in keinem Verhältnis zur Decke. Die Decke ruht nicht mehr auf der Wanddekoration. Die Wand besteht aus bloßen Linienumrahmungen, die jedes klare architektonische Verhältnis zwischen Last (Decke) und Stütze (Wand) vermissen lassen. Es ist das labile, schattenhafte, unreale Verhältnis zwischen Wand und Decke, das sich hier immer stärker bemerkbar macht. Nur die Decke hat ihren architektonischen »Kuppelcharakter« noch nicht ganz eingebüßt.

 

Eine Wandlung ist in der Decke der Lucina-Katakombe mit dem Daniel in der Löwengrube feststellbar. Der architektonische Charakter der Decke ist nun viel stärker hervorgehoben. Die Umrahmungslinien sind breiter und fester, das architektonische Gerüst einprägsamer. Es ist eine klare »illusionistisch« gemalte Kuppeldecke, die uns hier entgegentritt. Das Leichte, Aufgelöste der Domitilladecke ist zurückgetreten. Aber auch das Verhältnis zur Wand ist verschieden. Die Wand besteht nicht aus einem hauchdünnen Netz von Linien, sondern die umrahmenden Streifen sind breiter, es treten Felder auf, die sich übereinanderstafteln und die mit Ornamenten oder figürlichen Darstellungen ausgefüllt sind.

 

Daher ist trotz aller illusionistischen Auflösung, trotz aller Schattenhaftigkeit doch ein etwas klareres Verhältnis zwischen Decke und Wand. Die Wand ist nicht ein bloßes Spiel von Linien. Verschieden sind auch die Figuren. Sie sind rundplastisch durchgebildet und nicht nur illusionistisch »schattenhaft« aufgelöst. Sie sind auffallend schlank, und die Standmotive sind wiedergegeben. Ein antikisierender Zug ist unverkennbar. Da ähnliche antikisierende pseudoklassizistische Tendenzen in der sog. gallienischen Renaissance auftreten, würde dieser Umschwung dieser Zeit am besten entsprechen.

 

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Eine Steigerung des »Linienillusionismus« des rot-grünen Stils kann in der späten Kammer der Lucina-Katakombe oder in dem Raum unter der Sebastiankirche an der Via Appia in Rom beobachtet werden. In diesen Decken verschwimmt der Unterschied in der Dekoration von Wand und Decke immer stärker. Das illusionistische Liniengewirr umspinnt genauso die Wände wie die Decke. Bis zur absoluten Asymmetrie steigert sich dieses Liniengewirr (Lucina-Katakombe, Sebastiankirche). Jede reale Beziehung zur Architektur schwindet. Ein Spiel mit »schattenhaften« Linienspinngeweben und das Auftauchen von Motiven, die sich von den breiten Flächen schwebend abheben, steigern das Gefühl der Unwirklichkeit.

 

Das Schwebende, Labile, Unbegrenzte ist vorherrschend, so als ob man etwas »Unendlich-Unbegrenztes« mit einem bloßen hauchdünnen Liniennetz einfangen möchte. Jede konkrete, begrenzte antike Formgestaltung ist aufgelöst. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß diese in der Spätantike sich vorbereitende Auflösung der antiken Bildstruktur den christlichen, spiritualistischen Tendenzen weitgehendst entsprochen hat und daher von dort übernommen wurde. Neu ist die Erfüllung dieser sich auf lösenden antiken Bildstruktur mit christlichem Inhalt.

 

Eine weitere Wandlung in der Katakombenmalerei am Anfang des 4. Jh. kann am besten an der Decke des Cubiculums des Petrus und Marcellinus beobachtet werden. Der dekorative Reichtum ist stark eingeschränkt. Es fehlen Girlanden, Vasen, Rankenmotive. Die breite Linie als ursprüngliche Umrahmung herrscht vor. Das bloße Linienspiel, das »Linienspinngewebe« ist zurückgetreten. Auch die Wände sind streifenartig geordnet, die Linien breiter, so daß die Illusion der Unwirklichkeit nicht so stark ist. Überaus groß ist der Stilunterschied, wenn wir die Decke der Lucina-Katakombe danebenstellen.

 

Im Vergleich zur Malerei der Lucina-Katakombe wirkt die von Petrus und Marcellinus schwerfällig, plump und wenig gefällig. Die Plastizität, die Schlankheit der Figuren, die harmonischen Proportionen sind durch Abflachung, massige Umrisse und eine blockmäßige Behandlung der Figuren ersetzt worden. Die sinnliche Wirkung der Farbe ist entscheidend zurückgegangen, dafür sind die unmittelbar auftretenden Licht- und Schattenwirkungen sehr stark.

 

Das Schattenartige ist dadurch noch wesentlich gesteigert worden. Man kann auch eine gewisse hieratische Frontalität feststellen, die das Blockmäßige der Figuren erhöht.

 

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Auch ein Zug zur expressiven Hervorhebung der Bewegungen (Hände bei den Oranten, die übergroß gebildet wurden, worin sich eine »sinnvolle Disproportionierung« äußert, die bereits das Mittelalter ansagt) macht sich bemerkbar. Das Blockmäßige, Unorganisch-Harte, Kantige, das Summarische der Umrisse, das Massige spiegelt die Tendenzen der tetrarchischen Kunst wider, die dann teilweise von der konstantinischen Zeit übernommen werden.

 

Zu derselben, aber fortschrittlicheren und bereits in die konstantinische Zeit hinweisenden Richtung gehören die Deckenmalereien des Cubiculums des Coemeterium Maius (Abb. 16). Auffallend ist die Auflösung der architektonischen Struktur der Decke; die Diagonalfelder fehlen, das mittlere Medaillon hat keine architektonischen Stützen und schwebt beziehungslos in der Mitte, die Form des Gratkreuzgewölbes zerschneidet die ganze Dekoration, dafür sind außerordentlich breite umrahmende Linien vorhanden, die sich wirkungsvoll vom weißen Hintergrund abheben. Im Vergleich mit Petrus und Marcellinus ist wiederum ein reicher, antikisierender, ornamentaler Motivenschatz vorhanden.

 

Zum Unterschied von Petrus und Marcellinus sind die Figuren wieder plastischer modelliert, die Flächigkeit und das Lineare sind durch einen pastosen Farbenauftrag überwunden. Der farbige Illusionismus hat sich aus einer duftigen, leichten, beinahe schleierhaft atmosphärisch umflossenen Art in einen solchen mit schweren, massigen Farbenzusammenballungen und kontrastartigem Sichabheben gegenüber den weißen Hintergrundsflächen verwandelt. Dieser Stil entspricht der in Licht und Schatten aufgelösten Reliefbehandlung der römischen Sarkophage der konstantinischen Zeit.

 

Auch der »schöne Stil« der nachkonstantinischen Zeit ist in den Katakombenmalereien vertreten. In der Deckenmalerei tritt er uns in der Domitilla-Katakombe entgegen. Zehn nach unten sich verbreiternde Felder gruppieren sich um das mittlere Medaillon. Also eine strenge architektonische Teilung der Felder, wie sie etwa das Neonbaptisterium in Ravenna auf weist. Es wechseln kandelaberartige Rankenornamente mit Feldern ab, in denen Szenen aus dem Alten und Neuen Testament dargestellt wurden (Gerichtsszene, Brotvermehrung, Quellwunder Mosis, Noah in der Arche, die drei Jünglinge im Feuerofen, Opfer Abrahams). Diese Decke dürfte schon um die Wende des 4. zum 5. Jh. entstanden sein. Auch der Figurenstil verändert sich.

 

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Das zeigt sich in den Wandmalereien der Capelia Graeca der Priscilla-Katakombe (Susannaszene), an den Darstellungen der Praetextatkatakombe (Jesus und die Samariterin, Heilung der Blutflüssigen, Verspottung Christi) und in den Wandmalereien von Petrus-Marcellinus (Darstellung eines Märtyrers, Petrus mit der Buchrolle, Guter Hirte, Lazarus, Sündenfall) sowie in anderen Wandmalereien.

 

Ein neuer, schöner Gewandstil, stärkere Beobachtung der Standmotive und Streckung der Proportionen kommt in der Capelia Graeca der Priscilla-Katakombe auf. Die Farben werden spärlicher, ein gelber Farbton überwiegt. In den Darstellungen von Petrus-Marcellinus tritt dieser schöne nachkonstantinische Stil in einer sorgfältigen Gewandbehandlung, organischen Körperwiedergabe und in den schönen, wohlproportionierten Köpfen, z. B. dem Petruskopf, auf. Es sind hier gewisse Ähnlichkeiten mit den Köpfen des Junius-Bassus-Sarkophages vorhanden.

 

Der neue schöne Stil erfaßt auch einige Orantenfiguren und Mariendarstellungen (Thrason-Katakombe). Auch der jugendliche, apollinische Christus begegnet uns öfters (Domitilla-Katakombe). Erst die großen repräsentativen Szenen mit dem thronenden, bärtigen Christus zwischen Petrus und Paulus, dem Lamm Gottes unter dem Thron und den akklamierenden Aposteln verraten einen ins Vulgäre umgesetzten monumentalen altchristlichen Stil, der bereits ins 5. Jh. weist (Petrus-Marcellinus).

 

Was den Bildaufbau der einzelnen Darstellungen betrifft, so unterscheiden sie sich von den Sarkophagen. Meistens haben wir es mit einzelnen, isolierten, von einem neutralen weißen Hintergrund umgebenen Darstellungen zu tun. Eine Aneinanderreihung von Szenen, wie sie im 4. Jh. in den Sarkophagen auftritt, findet sich nur in einigen Ausnahmefällen (Wand des Cubiculums der Vigna Massimo).

 

 

3. Darstellungsinhalte der Katakombenmalerei

 

Wenn wir die Katakombenmalereien mit der altchristlichen Plastik vergleichen, so fällt die große Ähnlichkeit der Themen auf. Es ist hier und dort die altchristliche Rettungssymbolik, die im Mittelpunkt der Darstellungen steht. Wir finden auch einen ähnlichen Verlauf; der Weg geht von den allgemeinen, mehr oder weniger neutralem Darstellungen über die paradiesischen Schilderungen zu der Bevorzugung alt- und neutestamentlicher historischer Szenen.

 

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Aber die Rettungssymbolik herrscht unvermindert vor. Auch in der konstantinischen Zeit kommen keine Passionsdarstellungen auf, schüchtern wagen sich einige Beispiele mit der Majestas-Domini-Darstellung heran (Domitilla-Katakombe, Petrus-Marcellinus mit Christus zwischen Petrus und Paulus, darunter das Lamm und akklamierende Apostel). Seltener treten auch Szenen der Wunder Christi auf, wie überhaupt das christologische Thema etwas zurücktritt.

 

Entscheidend sind paradiesische Darstellungen oder Rettungsszenen. Den Mittelpunkt der ersteren bildet der Gute Hirte, der gewöhnlich die Mitte der Decke einnimmt und in den Cubiculen das ganze Dekorationssystem beherrscht. Zu den paradiesischen Szenen zählen auch Jahreszeitendarstellungen (Krypta des Januarius in der Praetextatkatakombe) und Mahlszenen, in welchen »Speisen der Unsterblichkeit« gereicht werden und die sich in »elysischen Gefilden« abspielen.

 

Eine entscheidende Rolle spielen Rettungsszenen mit ihrer Rettungssymbolik. Die Bedrängnis der menschlichen Seele im Angesicht des Todes und ihre Errettung nach dem Tode, die Aufnahme in paradiesische Gefilde, die Vergänglichkeit des irdischen Lebens stehen im Mittelpunkt dieser Darstellungen. Auch hier berühren sich diese mit der Spätantike, indem sie der zusammenbrechenden Sicherheit und daher Vergänglichkeit des diesseitigen Lebens das Leben nach dem Tode, zu dem die von den irdischen Fesseln befreite anima nun strebt, gegenüberstellen.

 

Aber an Stelle der antiken mythologischen Symbolik tritt uns nun die christliche entgegen. Es ist eine christliche Rettungssymbolik, der nun in folgenden, häufig auftretenden Szenen die christlich gewordene anima in ihrer Bedrängnis und Sehnsucht nach Errettung gegenüber steht: Jonasdarstellungen, Daniel in der Löwengrube, die drei Jünglinge im Feuerofen, Noah in der Arche, Abrahams Opfer, Quellwunder Mosis, Susanna-Darstellungen.

 

Mit guten Gründen hat man diese Darstellungen mit christlichen Gebeten in der Sterbestunde (commendatio animae) oder mit den sog. pseudocyprianischen Gebeten in Zusammenhang gebracht. Obwohl die genaue Entstehurgszeit dieser Gebete unbekannt ist (sie werden ins 4—6. Jh. verlegt), ist es kein Zufall, daß eine Reihe von beliebtesten Stoffen der Katakombenmalereien sich in diesen Gebeten wiederholt.

 

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Der Zusammenhang zwischen diesen Gebeten und der Rettungssehnsucht, die aus ihnen spricht, und den Katakomben kann daher als erwiesen angesehen werden. Es ist auch auffallend, daß diese Rettungssymbolik in den Katakombenmalereien eine viel größere Rolle spielt als in der Sarkophagplastik.

 

Die christologischen Szenen sind seltener und treten erst später auf. Von den evangelischen Szenen kommen die Taufe Christi, die Anbetung der Magier, Christus und die Samariterin, die Heilung des Gichtbrüchigen, die Hämorrhoissa, die Auferweckung des Lazarus und die Brotvermehrung öfters vor, es fehlt aber die reiche Auswahl, wie wir sie in den Sarkophagen finden.

 

In der spätkonstantinischen und nachkonstantinischen Zeit kommen Darstellungen Christi mit Aposteln auf (Petrus und Marcellinus, Decke mit »christologischem Zyklus«; Domitilla-Katakombe). Der jugendliche Christus ist als Lehrer oder Philosoph mit der Buchrolle dargestellt. Erst in der Darstellung des bärtigen thronenden Christus zwischen Petrus und Paulus in der Katakombe des Petrus und Marcellinus hat sich diese Darstellung in eine Majestas Domini unter dem Einfluß der monumentalen Malerei verwandelt.

 

Eine überaus große Rolle spielen in den Katakomben Orantendarstellungen. Ihre Bedeutung wandelt sich. Zuerst werden sie als Personifikationen des Gebetes, der Fürbitte, die zur Errettung nach dem Tode führen soll, aufgefaßt. Später stellen sie die Verstorbenen selbst in paradiesischer Landschaft dar. Am anschaulichsten wird diese zweite Phase in der Darstellung der Oranten in den Wandfresken der San-Callixtus-Katakombe repräsentiert, wo die Oranten je nach Alter, Geschlecht und Tracht bereits differenziert dar gestellt wurden (Neuß, Gerke).

 

Was die Frage der geschichtlichen Entstehung der Katakombenmalereien betrifft, so ist die alte Auffassung, wonach dieselben aus dem hellenistischen Osten (Alexandrien) stammen, von wo sie durch die jüdische Diaspora nach dem Westen verbreitet wurden, unhaltbar (O. Wulff). Stilistisch, hagiographisch und der Erhaltung der Denkmäler nach zu schließen, sind sie in Rom in enger Stilverwandtschaft mit der Entwicklung der spätantiken Malerei entstanden.

 

Im Osten haben wir diesem großen Denkmälerbestand nichts Ähnliches gegenüberzustellen. Die Fresken des Heiligtums in Dura-Europos lehnen sich im Stil an die Katakombenmalereien an; die Katakombe Wesher in Alexandria hat sich nur in Zeichnung erhalten, aber ihrem Stil nach ist sie kaum vor dem 6. Jh. entstanden und schließt sich inhaltlich (Mahlszenen, Brotvermehrung) den Katakombenmalereien an.

 

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Dasselbe gilt von den alt- und neutestamentlichen Szenen in dem Mausoleum von El Bagauat in Ägypten. Auch dieser reichhaltige Zyklus ist nach den frühen römischen Katakomben in verschiedenen Perioden und wohl nicht ohne Zusammenhang mit der Malerei von Konstantinopel entstanden.

 

 

4. Miniaturmalerei

 

Im Gegensatz zur Wandmalerei hängt die Buchmalerei viel enger mit dem Text zusammen. Text und Bild treten in engem Verhältnis zueinander auf, daher ist die Form, in der die Miniaturen in den Text einbezogen sind, von großer Bedeutung für die Buchmalerei.

 

In der antiken Malerei vollzog sich der Übergang von der Rolle, als der älteren, zum Codex, als der jüngeren Form, allmählich, wahrscheinlich in der spätantiken Kunst und wurde von der altchristlichen übernommen; er war von großer Bedeutung für die Ausbildung der altchristlichen Miniaturmalerei.

 

Die ältesten altchristlichen Miniaturmalereien haben sich höchstwahrscheinlich in der Rollenform erhalten (Josuarolle in der Vaticana), später tritt der Codex auf (Italafragmente in Quedlinburg, Wiener Genesis usw.).

 

Diese Tatsache ist für die altchristliche Miniaturmalerei insoweit von größter Bedeutung, als durch die Rollenform die fortschreitende (kontinuierliche) Erzählungsart in die Buchmalerei eindringt und wohl erst später durch das Einzelbild, d. h. die trennende (distinguierende) Darstellungsart ersetzt wird. Daß dieser Übergang sich in der altchristlichen Malerei zu vollziehen begonnen hat, beweisen Miniaturen, bei denen die fortschreitende Erzählungsart noch nachklingt, obwohl sich bereits die Tendenz zur Gestaltung des Einzelbildes durchgesetzt hat (Wiener Genesis, spätere Psalterdarstellungen).

 

Daß der erzählend fortlaufende Stil sich in der römischen Kunst ausgebildet hat, beweist, trotz gegenteiliger Ansichten (die ihn aus der griechisch-hellenistischen Kunst ableiten), die Tatsache, daß er sowohl in der monumentalen Malerei Roms (Schlachtendarstellungen) als in Pompeji und in der monumentalen Skulptur (Triumphsäulen) sich erhalten und so sich zu einem ausgesprochen römischen Stil ausgebildet hat.

 

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Am anschaulichsten tritt uns dieser fortlaufend-erzählende Stil in der Josuarolle der Vaticana, einer Handschrift des io. Jh., die eine Kopie einer verlorengegangenen altchristlichen Handschrift aus dem Ende des 5. Jh. bildet, entgegen (Abb. 18). Die Pergamentrolle in einer Länge von 10 m erzählt fortlaufend, ohne jede bildliche Umrahmung oder Unterbrechung, ähnlich wie die Windungen der Trajanssäule, die heroischen Taten des alttestamentlichen Helden. Ähnlich wie der römische Kaiser wird Josua immer wieder, ohne irgendwelche Rücksichten auf zeitliche und räumliche Trennung, dargestellt.

 

Wie sich der Künstler über jede klassisch-antike Bildgeschlossenheit hinwegsetzt, beweist die Szene, wo ein Engel dem Josua vor Jericho erscheint. In dieser Szene ist Josua zweimal dar gestellt, einmal stehend vor dem Engel, das zweite Mal kniend. Der Stil ist ausgesprochen zeichnerisch-illusionistisch, mit verschwimmenden Konturen der Landschaft, der skizzenhaften Stadtansichten, der malerisch auf gelockerten Baumkronen. Gleichzeitig aber ist eine volle Beherrschung des Körpers, seiner Bewegungen, der Standund Sitzmotive feststellbar, die auf eine antikisierende Tendenz hinweist, die sich im 5. Jh. wieder bemerkbar macht. Allerdings beweisen einige Verzeichnungen und Härten, daß wir es mit einer byzantinischen Kopie des 10. Jh. zu tun haben.

 

Im Gegensatz zur Josuarolle finden wir in den sog. Italafragmenten in Quedlinburg gerahmte Einzelbilder (Saul am Grabe Rahels, sein Zusammentreffen mit dem Propheten, Samuel besucht den opfernden Saul, Gebet der beiden und Herbeiführung Agags). Diese Darstellungen gehen auf das 4. Jh. zurück. Es überrascht der stark antike Charakter der Darstellungen, die an den Vatikanischen Vergil (codex vaticanus latinus 3225) erinnern. Die streifenartige Reihung der Figuren, die frontale Haltung und die starken Lichtund Schattenwirkungen würden für die Entstehung in der nachkonstantinischen Epoche sprechen.

 

Entscheidend ist die Tatsache, daß sich die christliche Miniaturmalerei hier der Buchform (Codexform) und des geschlossenen Einzelbildes bemächtigt. Dieselbe geschlossene Bildform hatten ursprünglich die Miniaturen der Cottonbibel im Britischen Museum. Von den zweihundertfünfzig Bildern haben sich leider nur zwei Kopien von Miniaturen erhalten (die Erschaffung der Pflanzenwelt und Gott erscheint vor Abraham). Auch hier sind die Szenen in sich geschlossen und gerahmt.

 

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Der Figurenstil, vor allem der jugendliche Christus mit dem Kreuzstab, die illusionistische Landschaft, würden für das Ende des 5. Jh. sprechen.

 

Von den späteren Miniaturen des 6. Jh. sind der Wiener Dioskurides, die Wiener Genesis und der Codex von Rossano zu erwähnen. Der Wiener Dioskurides ist um 520 zu Ehren der Prinzessin Juliana Anicia im Auftrag der Bewohner der Stadt Honorate (Pera) in Konstantinopel gemalt worden. Der Codex enthält vierhundert Illustrationen von Pflanzen, vier Autorenbilder und ein Widmungsbild. Für die Beurteilung des Stiles der Miniaturen ist die Darstellung des Dioskurides mit einem Maler, der die Alraune malt, und das Widmungsbild wichtig. Das Dioskuridesbild entspricht noch ganz der spätantiken illusionistischen Malweise und ist als Autorenbild für die Darstellung der Evangelisten vorbildlich gewesen. Das Widmungsbild zeigt die thronende Prinzessin Juliana Anicia in oströmischer Hoftracht und hieratischer Frontalität.

 

Die Wiener Genesis gehört zu den prachtvoll ausgestatteten Purpurhandschriften des 6. Jh. Die Wiener Genesis bildet die reichste und älteste Bibelillustration, die sich aus der altchristlichen Zeit erhalten hat, leider nicht im ursprünglichen Zustand. Aus dem alten Bestände sind nur vierundzwanzig Blätter mit achtundvierzig Miniaturen, die Darstellungen von dem Sündenfall der Stammeltern bis zum Tode Jakobs beinhalten, auf uns gekommen. Die prachtvolle Ausstattung der Handschrift tritt sowohl in der unzialen goldenen oder silbernen Schrift, die sich vom Purpurhintergrund abhebt, als auch in den Miniaturen zutage. An den Miniaturen sind mehrere Hände feststellbar.

 

Aber wichtiger noch ist eine stilistische Wandlung, die sich hier vollzieht, und zwar kann man beobachten, wie die erzählend-kontinuierliche Darstellungsart, die auf die Rolle zurückgeführt werden kann, mit der auf das Einzelbild eingestellten, bildlichen Form um die Vorherrschaft ringt (Abb. 19). Am häufigsten jedoch kommen Mischformen vor. Es gibt Darstellungen, bei denen ein geschlossenes und mit farbigem Rahmen versehenes Einzelbild uns entgegentritt (Genesisdarstellungen), oder Einzeldarstellungen, die sich vom Purpurhintergrund abheben und eine optische Einheit bilden, ohne Rahmen zu besitzen (Jakob weissagt seinen Söhnen ihre Schicksale). Diese Darstellung bildet auch eine zeitliche und räumliche Einheit.

 

Andere Darstellungen verraten wieder den Übergang vom Einzelbild zur erzählend-fortlaufenden Darstellungsweise.

 

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So ist z. B. im Traum des Pharao eine bildlich-optische Einheit angestrebt, aber es sind zeitlich und räumlich verschiedene Szenen (Traum Pharaos und die Auslegung des Traumes durch Josef) wiedergegeben worden. Pharao wird zweimal nacheinander dargestellt, so daß wir es mit einem Nachwirken der erzählend-fortlaufenden Darstellungsweise zu tun haben.

 

Bei anderen Darstellungen ist ebenfalls die erzählend-fortlaufende Darstellungsweise mit der Wiederholung der Hauptfigur angewendet worden, wobei die sich anbahnende, streifenförmige Darstellungsart durch Brücken (Jakob führt die Seinen über das Wasser und ringt mit dem Engel) oder Straßenkurven (Eliezer und Rebekka) gemildert wird. Daneben gibt es bereits reine streifenartige Kompositionen, die unverbunden Übereinanderstehen und ebenfalls die erzählend-fortlaufende Darstellungsart anwenden (Potipharund Josefszenen, Josef nimmt Abschied von seinem Vater).

 

Wir können auch das Nachlassen der optisch-malerischen Einheit der Bildstruktur beobachten. In einigen Darstellungen ist durch illusionistische Mittel die Einheit noch gewahrt (Jakob weissagt seinen Söhnen ihre Schicksale, Gastmahl Pharaos), bei anderen Darstellungen, wie beim Traum Josefs, ist die Einheit gelockert, bei den streifenartigen Szenen sehen wir nur mehr einen schmalen Bodenstreifen, auf dem sich die Figuren bewegen, wobei der Purpurhintergrund die ideale Folie bildet, von der sie sich abheben. Hier tritt uns bereits die Auflösung des einheitlichen Raumzusammenhanges entgegen und wird eine zusammenhanglose, abstrakte Malweise vorbereitet, die die Grundlage des mittelalterlichen Bildaufbaues bildet.

 

Auch in den Kompositionen sind tiefe Wandlungen feststellbar. Im Traum des Pharao sind die vorderen Figuren kleiner als die rückwärtigen. Es ist eine Art von verkehrter Perspektive angewendet worden. Dafür sind die Hauptfiguren übergroß dargestellt. Die »sinnvolle Disproportionierung« in der Figurenwiedergabe, die auf die Zukunft weist, bereitet sich gleichfalls hier vor. Das Hauptgewicht verschiebt sich aus einem, den natürlichen Verhältnissen angepaßten, geschlossenen Bildaufbau zu der Überbetonung des Inhaltlichen, des Gedanklichen, des Abstrakten. Hier liegen die Wurzeln für das, was man mit Recht als »Gedankenbild« bezeichnen könnte und das später die Basis der mittelalterlichen Bildstruktur gebildet hat.

 

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Aber der Malstil ist noch immer ausgesprochen illusionistisch. Flott skizziert, weich in der Farbgebung und in den Übergängen zur Atmosphäre (Gastmahl Pharaos) sind die Figuren, die Land™ Schaft duftig, mit dem Horizont verschwimmend, beinahe stimmungsvoll, wenn dieser moderne Ausdruck hier angewendet werden dürfte (Jakob weissagt seinen Söhnen ihre Schicksale). Daneben finden sich auch wiederum Darstellungen von Architekturen, die die Situation bloß andeuten, oder Bäume, die verkümmert wie Pilze aussehen; auch diese Verallgemeinerungen nehmen die zukünftige mittelalterliche Entwicklung vorweg. Die Bewegungen der Figuren, ihre Körperwiedergabe, das Verhältnis der Gewandung zum Körper sind im antiken Sinn noch weitgehendst souverän beherrscht, eine hieratische Frontalität ist noch kaum fühlbar.

 

Entgegen neuerer Ansichten (Gerstinger, BÜberl), die die Hand;,f schrift nach Antiochien verlegen, spricht vieles für ihren Ursprung aus Konstantinopel. Die Prachtausstattung, die griechische Schrift, der ungebrochene Illusionismus als direkte Fortsetzung des weströmischen Illusionismus (Katakombenmalereien, altchristliche Mosaiken), die hohe Qualität, die Hoftracht (Potipharszenen) würden am ehesten für eine solche Entstehung sprechen. Auch der stilistisch nah verwandte Dioskurides ist ein weiterer Wegweiser für die Lokalisierung der Wiener Genesis in Konstantinopel. Ein Vergleich mit anderen weströmischen Denkmälern der Malerei, etwa mit den Mosaiken von Santa Maria Maggiore einerseits und mit den frühravennatischen Mosaiken anderseits (Sant’ Apollinare Nuovo in Ravenna), würde die Datierung der Wiener Genesis um das Jahr 500 rechtfertigen.

 

Zur Stilgruppe der prachtvoll ausgestatteten Purpurhandschriften gehört auch der Codex von Rossano. Er enthält den ältesten evangelischen Zyklus in der altchristlichen Malerei. Erhalten haben sich sieben Darstellungen (Autorenbildnis des hl. Markus, Auferweckung des Lazarus, Kommunion der Apostel, Parabel über den Samariter, Einzug in Jerusalem, Gethsemaneszene, Parabel über die klugen und törichten Jungfrauen). Die einzelnen Darstellungen bestehen aus alttestamentlichen Propheten, die nach oben weisen, und aus den evangelischen Szenen. Obwohl dem Stil nach der Illusionismus noch immer vorherrschend ist, unterscheiden sich die Darstellungen stilistisch doch von denen der Wiener Genesis.

 

Den Hintergrund bildet die einheitliche Purpurfarbe; es ist derselbe ideale Hintergrund wie der Goldhintergrund in der monumentalen Mosaikmalerei.

 

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Die Figuren bewegen sich auf einem hauchdünnen Bodenstreifen. In den einzelnen Szenen fehlt jede nähere Situationsangabe, bzw. wird das szenische Requisit auf das Notwendigste eingeschränkt. Die konkrete Raumwiedergabe der Antike schrumpft ein, an ihre Stelle tritt ein idealer Raumhintergrund.

 

Die Vorgänge der heiligen Geschichte werden in diesen Raum hineingerückt. Besonders eindrucksvoll ist die Wiedergabe des Raumes und der Landschaft in der Gethsemaneszene, wo Christus wiederum, wie in der Wiener Genesis, zweimal dargestellt ist. Die felsige Landschaft besteht aus einzelnen Felsblöcken, darüber erhebt sich ein schmaler dunkler Streifen, der sich dumpf, beinahe grauenerregend über die Szenerie legt; ein zweiter, noch schmälerer Streifen darüber, mit symmetrisch in Dreiecken dargestellten Sternen und Mond, die ein fahles bläuliches Licht verbreiten, ist scharf vom unteren getrennt. Also auch hier ist der Illusionismus abstrakter, in Streifen aufgelöst worden, das »Stimmungsmäßige« aber ist beibehalten.

 

Eine neue Raumgestaltung tritt auch in den Pilatusszenen in Erscheinung (Färb taf. II). Es sind größere Kompositionen (Christus und Bar abbas vor Pilatus), die jedoch nach einem neuen Kompositionsprinzip gestaltet wurden. Das Bild ist nicht mehr einheitlich, sondern wurde in zwei Teile zerschnitten. Oben sitzt Pilatus auf einem erhöhten Thronsessel und diktiert einem Schreiber Befehle, im Halbkreis sind Beamte dargestellt. Die ganze Szene ist nur durch einen dünnen Bodenstreifen von der unteren getrennt. Die im Kreis stehenden Beamten sind übereinander im freien Raum »schwebend« dargestellt, nur ein dünner blauer Halbkreis ist als verbindender Raumzusammenhang übriggeblieben. Die untere Szene besteht aus Christus zwischen zwei mit Togen bekleideten Würdenträgern und der Fesselung des Bar abbas.

 

Die obere und die untere Szene gehören zusammen, der reale Raumzusammenhang aber ist zerrissen. Die vorderen Figuren sind größer als die hinteren, wiederum sind das Gesetz der umgekehrten Perspektive und die »sinnvolle Disproportionierung« festzustellen, die eine abstrakte Umsetzung des antiken Raumzusammenhanges in die Wege leiten. Die Wahl der evangelischen Szenen, die sich aus den sog. Festen zusammensetzen, die Kommunion der Apostel und die großangelegte Pilatusszene würden für einen Einfluß der monumentalen Malerei sprechen.

 

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Diese Tatsachen und stilgeschichtliche Kriterien, wie etwa die Zunahme des »Graphismus«, d. h. der linearen Behandlung der Gewandung, weisen eher auf eine spätere Entstehung als im 6. Jh. hin. Die prachtvolle Ausstattung der Miniaturen, die höfischen Trachten, der vorherrschende Illusionismus sprechen für eine Entstehung in Konstantinopel.

 

Einen Schritt weiter in der Auflösung des Raumes und der Einschränkung der Darstellungsmittel gehen die sog. Fragmente des Evangeliars aus Sinope (Pariser Nationalbibliothek). In der Darstellung der Figuren und der Hervorhebung des Gesichtsausdruckes durch Betonung der Blickrichtung sind hier stärkere Nachwirkungen der Wiener Genesis vorhanden.

 

Wie lange sich der spätantike illusionistische Stil in den Ostprovinzen des Reiches hält, beweist das sog. Rabula-Evangeliar, das 584 durch den Mönch Rabula im Kloster Zagba in Mesopotamien illuminiert wurde. Wir haben es hier mit ganzseitigen, geschlossenen Darstellungen (Kreuzigung, Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingstfest, Apostelvereinigung und Marginalien, d. h. Randszenen, die an den Seiten der Kanonesbogen oder architektonischen Darstellungen angebracht wurden) zu tun. Diese letzte skizzenartige Darstellungsart hat sich dann in östlichen Psaltern (sog. Chludoff-Psalter in Moskau) fortgesetzt. Die ganzseitigen Darstellungen sind für sich geschlossen und umrahmt, so daß sie, im Gegensatz zu dem Codex von Rossano oder den Sinope-Fragmenten, wiederum den antiken geschlossenen optischen Raum einführen.

 

Der Illusionismus bemächtigt sich nicht nur der Figuren und des Raumes, sondern er gibt sogar atmosphärische Veränderungen wieder, wie z. B. im bläulichen Dämmer verschwimmende ferne Bergumrisse, rosafarbige Reflexe von Sonnenstrahlen oder das silbrige Halbdämmer einer Mondbeleuchtung. Die monumentalen Kompositionen schließen sich an sog. Festdarstellungen des Kirchenjahres an (wie z. B. die Kreuzigung, die Auferstehung, die Himmelfahrt). Gerade diese Darstellungen sprechen dafür, daß wir es hier mit einer Anlehnung an byzantinische, hauptstädtische Vorbilder zu tun haben. Wir können daraus entnehmen, daß sich die streng dogmatisch gebundenen Darstellungen bereits vor dem Bilderstreit in der byzantinischen Hauptstadt herausgebildet und in den östlichen Provinzen des Reiches verbreitet haben. In der Auflösung der Architektur und in den Randskizzen spiegeln sich gewisse lokale Maltraditionen.

 

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Für die Geschichte der Miniaturmalerei ist entscheidend, daß sie auch in der östlichen Reichshälfte bis zum Ikonoklastenstreit die illusionistischen Grundlagen der spätantiken und altchristlichen Malerei beibehält.

 

 

5. Die monumentale Wandmalerei. Mosaiken und ihre Thematik

 

Im Vergleich zur Katakombenmalerei ist in der monumentalen Wandmalerei eine tiefe Wandlung eingetreten. Diese war durch neue entscheidende Umstände bedingt, und zwar durch die Liturgie, die altchristliche Architektur und das neue Verhältnis zur Antike.

 

Die monumentale Wandmalerei tritt uns erst in der konstantinischen Periode entgegen. Sie hängt mit den neuen altchristlichen Kultbauten, d. h. mit der altchristlichen Basilika, den Baptisterien, Memorialund Grabanlagen zusammen. Diese neue Malerei ist nun vom neuen Kult und der Liturgie abhängig.

 

Die neue Malerei emanzipiert sich weitgehendst von dem sepulkralen Charakter der frühchristlichen Malerei der Katakomben. Es ist nicht die Rettungssymbolik und die Projektion der übernatürlichen Welt in paradiesisch-elysische Darstellungen verschiedener Art maßgebend, sondern die Tatsache der Anerkennung der sichtbaren Kirche, die nun im offiziellen Kult und in der offiziellen Lehre sich voll entfalten kann. Die altchristliche Kunst braucht nunmehr nicht länger das volle Tageslicht zu scheuen und sich in künstlich erleuchteten, unterirdischen Grabkammern zu verbergen, sondern sie tritt an Stelle des antiken römischen Kultes ins volle Rampenlicht.

 

Mit dieser Wandlung schwindet der schattenhaft-unwirkliche Charakter der Katakombenmalerei, und an ihrer Stelle tritt uns eine »wirklichkeitsnähere« Malerei entgegen, die sich stärker an die antike Malerei anlehnt, gleichzeitig aber den neuen christlichen Aufgaben dient. Vorherrschend ist die Mosaikmalerei. Auch das ist kein Zufall; wir haben bereits in der altchristlichen Basilika Tendenzen festgestellt, die die sinnliche Schönheit eines substantial geschlossenen Raumes durch rhythmische Bewegung in die Tiefe auflösten und die Bedeckung dieser Räume durch Holzdecken ausführten.

 

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Fig. 24 Rom. Santa Costanza. Grabmal der Constantina (gest. 354), Tochter Konstantin des Großen, und anderer Angehöriger der kaiserlichen Familie. Schnitt mit Andeutung des nicht mehr vorhandenen Mosaikschmucks der Kuppel und des Tambours

 

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Diesen Entstofflichungstendenzen der Architektur mußte sich die Malerei anpassen, d. h. sie mußte die stoffliche Begrenzung der Wand auflösen. Nichts eignete sich dazu besser als das Mosaik, das bereits in der antiken Kunst schwerlastende Decken und Gewölbe farbig (koloristisch) auflöste.

 

Auch thematisch hatte sich die altchristliche Malerei nun zu wandeln; sie mußte, dem christlichen Kult und der christlichen Lehre angepaßt, über bloße Andeutungen und Symbole hinaus alttestamentliche und christologische Themen auf greifen. Erzählung, Handlung, Geschehen waren zu schildern, und hierbei mußte sich die altchristliche Malerei wieder enger an die antike Malerei anschließen und diese ins Christliche umsetzen. Dazu kommt noch ein neuer Zug dieser Malerei: sie diente nun der siegreich hervorgegangenen christlichen Religion. Das Siegreiche und Triumphale ist es, das nun im Mittelpunkt steht und das sich des Triumphbogens und der Apsis der altchristlichen Basilika bemächtigt.

 

Unzählige Inschriften stellen diesen neuen Charakter der altchristlichen Malerei unter Beweis. In den Briefen des Paulinus von Nola tritt uns noch stark der symbolische Charakter der altchristlichen Apsisausschmückung entgegen, der in der Herrlichkeit des Kreuzes besteht. In anderen Inschriften, z. B. in Cosma und Damiano in Rom, wird der strahlende Glanz der Mosaiken in den blendenden Hallen Gottes hervorgehoben, in denen der Glaube und das kostbare Licht schimmern (Aula Dei radiat speciosa metallis, in qua plus fidei lux pretiosa micat).

 

In den frühen konstantinischen Mosaikausschmückungen können wir noch die Nachwirkungen der altchristlichen Sepulkralmalerei feststellen. So in den Umgängen des kaiserlichen Mausoleums von Santa Costanza in Rom (Fig. 24) und in dem Fußbodenmosaik der Basilika in Aquileja.

 

In den Umgängen von Santa Costanza sind Weinleseszenen in rankengeschmückten Feldern dargestellt worden, die die geläufige Jahreszeitensymbolik wiedergeben (Abb. 20).

 


 

Farbtafel VI Ravenna. Sanf Apollinare in Classe. Apsismosaiken. Obere Kuppelzone: Elias, Moses, Christus als Kreuz und die drei Lämmer. Darunter: hl. Apollinarius mit zwölf Lämmern. Mitte 6. Jh.

 

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Im Kuppelmosaik, das wir nur aus Zeichnungen Francesco d’Ollandas aus dem 16. Jh. und anderer Zeichner kennen, waren unten fischende Eroten dargestellt, ein beliebtes Thema der altchristlichen Malerei, das sich auch in Aquileja wiederholt. Erst in den Kuppelfeldern, die von Kandelabern umrahmt werden, waren altund neutestamentliche Szenen einander gegenübergestellt (sog. Konkordanz des Alten und Neuen Testamentes). In den alttestamentlichen Szenen fanden sich Motive, die aus der Katakombenmalerei entlehnt waren (Susannaszenen, Tobias usw.). Soweit man aber aus den Zeichnungen entnehmen kann, ist der neutrale weiße Hintergrund der Katakomben, der in den Umgängen noch herrschte, durch einen blauen, und die knappe Schilderungsart durch eine ausführlichere Schilderung ersetzt worden.

 

In Aquileja tritt auch noch sepulkrale Symbolik auf (z. B. der Gute Hirte), aber die ganze Dekorationsart ist tiefer vom christlichen Geist durchdrungen als die Dekoration von Santa Costanza und paßt sich den liturgischen Bedürfnissen des Raumes an.

 

Einwirkungen der Katakombenmalereien auf frühe Kuppeldekorationen lassen sich in San Giovanni in Fonte aus dem Ende des 4. oder Anfang des 5. Jh. feststellen, und zwar sowohl in dem gedämpften Kolorit als auch im Gegenständlichen (in den Szenen: Christus und die Samariterin, Weinwunder und Wunderbarer Fischfang).

 

Eine entscheidende Rolle kommt der Ausschmückung der Schiffswände und der Apsiden der altchristlichen Basiliken zu. Man kann hier bereits von großen monumentalen Zyklen sprechen. Den zyklisch fortlaufenden Erzählungen aus dem Alten und Neuen Testament waren die Schiffswände gewidmet, während der Triumphbogen und die Apsis dem triumphalen Gedanken der siegreichen Kirche Vorbehalten blieben. Den Gipfelpunkt dieser Verherrlichung bildete die Apsis mit der Darstellung der Majestas Domini, mit der Gesetzesübergabe an Petrus, die der weströmischen Primatidee entgegenkam.

 

Leider haben sich die Ausschmückungen der bedeutendsten altchristlichen Basiliken in Rom, und zwar der Petersund der Paulsbasilika, nicht in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten. Wir können das Aussehen dieser großen zyklischen Darstellungen nur aus späteren Zeichnungen des Barberini-Codex rekonstruieren.

 

Für den Inhalt ist die Gegenüberstellung des Alten und Neuen Testamentes, die historisch sich ab wickelnde Erzählung und der universale Gedanke entscheidend,

 

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der eine kosmisch-christliche Weltordnung von der Entstehung der Welt bis zum Jüngsten Gericht bzw. der zweiten Ankunft Christi (secundus adventus) schildert.

 

 

6. Die Mosaiken von Santa Maria Maggiore

 

Aus der frühen Zeit hat sich verhältnismäßig am besten der große Mosaikzyklus in Santa Maria Maggiore in Rom erhalten. Doch haben wir es hier nicht mit der Gegenüberstellung des Alten und Neuen Testamentes zu tun, sondern mit Szenen aus der Geschichte Abrahams, Isaaks und Jakobs auf der linken Wand und mit Szenen aus dem Leben Moses, und Josuas auf der rechten.

 

Der Triumphbogen, der gewöhnlich (Paulsbasilika in Rom) apokalyptische Darstellungen aufwies, ist mit einem monumentalen Zyklus aus dem Leben Marias geschmückt. Eingefaßt wird dieser bedeutende Zyklus aus der Geschichte Marias oben durch die Darstellung des leeren Thrones mit der versiegelten Rolle und den beiden den Thron flankierenden Apostelfürsten in der Mitte und Evangelistensymbolen dazwischen. Unten am Fuße des Triumphbogens sind Bethlehem und Jerusalem mit Lämmern dargestellt. Die zweite Ankunft Christi ist in dieser apokalyptischen Symbolik angedeutet (Abb. 23).

 

Die Apsis war vor der Veränderung durch Torriti mit üppigen, sich einrollenden Akanthusranken und am unteren Rande mit einer paradiesischen Flußlandschaft geschmückt. Oben endete diese Ausschmückung in einem halbkreisartigen Zelt mit einem perlengeschmückten Märtyrerkranz.

 

Diese Apsisausschmückung, die wir auch in der den hll. Rufina und Seconda geweihten Kapelle des Lateranbaptisteriums aus dem 4. Jh. finden, entspricht noch einer älteren Auffassung, die dann durch die Majestasdarstellung verdrängt wird. In den Akanthusranken, die sich vom blauen oder goldenen Hintergrund abheben, kommt noch die alte idyllische Darstellung des christlichen paradiesischen Empyreums zum Ausdruck. Die idyllische Flußlandschaft unten, die auf antike Bilderbeschreibungen Philostrats zurückgeht und die als Jordanfluß bezeichnet wird, schließt sich dem allgemeinen, paradiesischen Charakter der Apsis an.

 

Die Mosaiken von Santa Maria Maggiore sind in zwei Epochen entstanden.

 

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Die Darstellungen der Schiffswände stammen aus der Zeit des Papstes Liberins (352—366), die des Triumphbogens mit der Inschrift des Papstes Sixtus III. aus den Jahren 432—440. Stilistisch und inhaltlich läßt sich dieser zeitliche Unterschied rechtfertigen.

 

Der Stil der Mosaiken von Santa Maria Maggiore entspricht der nachkonstantinischen Renaissance. Nirgends kann man diese Wandlung so gut beobachten wie hier. Im Gegensatz zur Katakombenmalerei ist der flüchtige, skizzen- und schattenhafte Illusionismus überwunden worden. Der neutrale weiße Hintergrund ist durch eine koloristische Wiedergabe des Hintergrundes ersetzt, die Figuren sind plastisch dargestellt und überwinden das Flächige, antike Gewänder, freie Bewegungen, sichere Standmotive verraten den Anschluß an die antike Malerei. In den Darstellungen der Gewänder, der Gesichter, der Landschaft und der atmosphärischen Erscheinungen macht sich ein koloristischer Impressionismus bemerkbar, der an Pompeji erinnert (Farbtafel III).

 

Noch nie hatte sich die altchristliche Kunst so stark der antiken genähert wie in diesen Darstellungen. Es ist tatsächlich christlicher Inhalt in antikem Gewände, der uns hier entgegentritt. Besonders intensiv ist die Behandlung der Farben, die Bodenstreifen sind hellgrün, dann folgt ein hellgelber Streifen, über den Figuren erscheint der Himmel in einigen verdämmernden Streifen. Oft sind rote oder rosafarbige Wolken dargestellt (Opfer Melchisedechs). In den Szenen aus dem Leben Moses’ (Tod des Moses) ist alles farbig aufgelöst, sogar die Felsen. Es herrscht ein weicher pastellartiger Gesamtton.

 

Vielfach dienen dunkle Hintergrundfiguren als »repoussoir« gegenüber den hellen vorderen (Trennung Lots von Abraham). Kühn impressionistisch nuanciert, mit verschiedenen Intensivierungen der blauen Farbe, ist die Erscheinung der drei Engel vor Abraham; Farbton gegen Farbton entscheidet. Häufig werden Figuren von breiten farbigen Linien umrissen. In der Verlobung der Sephora mit Moses erglänzt das Zelt in goldener und kupferroter Farbe. Auch Ansätze zu einer farbigen Luftperspektive sind in mehreren Darstellungen vorhanden.

 

Aber neben diesem impressionistischen Gesamtcharakter der Darstellungen treten Darstellungsmittel auf, die in die Zukunft weisen, so z. B. der goldene Hintergrund. Er schiebt sich zwar zwischen die Bodenfläche und den Himmel ein, er wird stärker oder schwächer betont, aber er begleitet fast alle Darstellungen.

 

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Selten ist die Darstellung rein farbig impressionistisch (Drei Engel erscheinen Abraham). Auch bei hervorragenden Personen finden wir Goldstreifen in den Gewändern (Hoftrachten).

 

Diese Verwendung von Gold in der Raumdarstellung zerreißt den natürlichen Raumzusammenhang. Es ist ein Stück eines idealen Hintergrundes, der sich hier einschiebt und dadurch das ganze Geschehen aus der naturgegebenen Wirklichkeit heraushebt. Hier zeichnen sich Tendenzen ab, die bereits die reife altchristliche Kunst, wie sie im Westen in Ravenna und im Osten in Byzanz in den folgenden Jahrhunderten ihren Niederschlag gefunden hat, vorbereiten. Auch die »höhere Lenkung« der natürlichen Begebenheiten durch die Halbfigur Gottes, die an antike Götter erinnert, wird immer häufiger durch die bloße Hand Gottes ersetzt. In der Darstellung der Dreieinigkeit, die Abraham erscheint, ist der mittlere Engel in Anrede dargestellt, wodurch er als Gottvater charakterisiert erscheint. Der Bildaufbau ist ungleich. In einigen wenigen Darstellungen ist ein ganzer geschlossener Bildaufbau vorhanden (Opfer Melchisedechs, Übergang über das Rote Meer, Schlacht mit den Amalekitern). In den meisten Feldern sind je zwei Szenen übereinander dargesteilt worden. In den Josuadarstellungen ist die fortlaufend erzählende Schilderungsart spürbar. Hier hat eine Josuarolle als Vorbild gedient.

 

Stark spiegeln sich antike Kompositionsgesetze in der monumentalsten aller Darstellungen, der Trennung Lots von Abraham. Beharren und Sichentfernen, Stehen und Schreiten ist durch rhythmische Bewegungen, Gesichtsausdruck und Gesten dramatisch wiedergegeben. Alle begleitenden Figuren sind seelisch am Vorgang beteiligt. Ein tiefer Riß geht durch die Darstellung, so als ob sich eine Welt in zwei Teile spalten würde. Diese Spaltung ist durch Farben, Figuren, Bewegungen, Umrisse und seelische Spannung hervorgerufen worden.

 

Ein anderes Stadium repräsentieren die Mosaiken des Triumphbogens (Abb. 23). Es sind Szenen aus dem Leben Marias und der Kindheitsgeschichte Christi, die hier dargestellt wurden. Sie bestehen aus der Verkündigung, dem Gespräch zwischen Josef und dem Engel, der Darbringung im Tempel, Befehl zur Flucht in der obersten Zone; aus der Huldigung der Magier, der Begrüßung Christi durch den König Aphrodisius in der zweiten Zone, dem bethlehemitischen Kindermord und den drei Königen bei Herodes in der untersten Zone.

 

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Die ganze Darstellung hat im Gegensatz zu den alttestamentlichen Darstellungen der Schiffswände einen dogmatischen Charakter und wird allgemein mit dem Konzil von Ephesos vom Jahre 431 in Zusammenhang gebracht, wo die Muttergottes nicht nur als Christus-, sondern auch als Gottesgebärerin proklamiert worden ist. Die Muttergottes ist in prachtvoller, höfischer Tracht wie eine Kaiserin dar gestellt. Auffallenderweise fehlt die Geburtsszene.

 

Der Stil ist durchaus impressionistisch, aber der goldene Hintergrund tritt stärker hervor. Neu sind die Monumentalität der dargestellten Figuren und gewisse Ansätze von hieratischer Frontalität und Unbeweglichkeit im Gegensatz zu den bewegten, meist kleinfigurigen Szenen der Schiffswände.

 

Im Zusammenhang mit der ganzen Geschichte der altchristlichen Malerei wäre noch hervorzuheben, daß wir es in den beiden Zyklen von Santa Maria Maggiore mit dem Niederschlag einer impressionistischen Malweise zu tun haben, die sich dann sowohl in der ravennatischen Malerei des Westens wie auch in der frühbyzantinischen und mittelbyzantinischen Malerei fortsetzt.

 

 

7. Majestas Domini

 

Während die Schiffswände der altchristlichen Basilika mit fortlaufend-erzählenden Zyklen aus dem Alten und Neuen Testament ausgeschmückt gewesen sind, war die Apsis dem Siegesund Triumphgedanken des Christentums gewidmet. In den früheren Darstellungen stand das Symbol des Kreuzes mit von Ranken erfülltem Hintergrund und die mystische Bedeutung des Lammes mit den vier evangelischen Strömen und dem Jordanfluß im Vordergrund (Santa Maria Maggiore, San Giovanni in Laterano, Beschreibungen des Paulinus von Nola), später wird der ideale, von Ranken erfüllte Hintergrund durch die Darstellung der Majestas Domini ersetzt.

 

Die Darstellung des thronenden Christus bildet den Gipfelpunkt des hierarchischen Gedankens. Es ist die kosmische Herrschaft Christi in verschiedenen Abwandlungen, die hier in der nachkonstantinischen Zeit, ähnlich wie in der Sarkophagplastik, ihren Niederschlag findet.

 

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Eine der frühesten Darstellungen dieses Typus finden wir in Santa Pudentiana in Rom, die um 400 entstanden sein dürfte. Leider hat sich das Mosaik nicht in seinem ursprünglichen Zustand erhalten, es wurde mehrmals restauriert (im 5. Jh., im 8. Jh., 1588 und 1829—1832). Unten und oben ist das Mosaik beschnitten worden, die einzelnen Apostel wurden sehr verändert. Das Verhältnis Christi zu den Aposteln ist unmotiviert, und auch Christus ist von der Restaurierung nicht verschont geblieben (Abb. 22).

 

Dargestellt ist der thronende bärtige Christus, hinter ihm erhebt sich ein Felsen mit einem perlengeschmückten Kreuz (crux gemmata), rechts und links befinden sich, einen Halbkreis bildend, die Apostel, hinter diesen zwei Frauen (Pudentiana und Praxedis), Christus Märtyrerkränze darreichend. Dem Halbkreis der Figuren schließt sich der Halbkreis eines großen Portikus an, hinter dem antike Gebäude emporragen. Man hat diese Stadt mit Jerusalem in Verbindung gebracht. Die ganze Hintergrundarchitektur erinnert an die Stadttorsarkophage. Über der Stadt ist ein illusionistisch aufgelöster Himmel mit Evangelistensymbolen dargestellt.

 

Auffallend ist die freie Gruppierung der Apostel um den Thron Christi. Wir spüren noch keine Anzeichen von strenger Hieratik, dafür wird die ganze Komposition von dem etwas unförmigen Thron Christi, von Christus und von der Vertikalachse des Kreuzes beherrscht. Die mangelnde Verbindung zwischen Christus und den Aposteln könnte sowohl auf tastende Versuche, eine solch großartig gestaltete Komposition zu projizieren, als auch auf spätere Restaurierungen zurückgeführt werden. Es ist auch fraglich, ob die Figur Christi nicht weitgehendst verändert wurde.

 

Wie verschieden diese Darstellung in der Auffassung von einer früheren desselben Themas ist, beweist der Vergleich mit dem Mosaik von Sant' Aquilino in San Lorenzo in Mailand (Fig. 24), wo Christus nicht als Herrscher, sondern als jugendlicher Lehrer unter den Aposteln dargestellt wurde. Es fehlt in dieser Darstellung die Freiheit der Bewegungen. Wenn wir es hier auch mit einem goldenen Hintergrund zu tun haben, so ist die Auffassung Christi als evangelischer Lehrer im Vergleich zur Darstellung Christi als Herrscher in dem Mosaik von Santa Pudentiana, die in die Zukunft weist, der älteren Darstellungsweise entsprechend wieder gegeben, es dürfte daher noch aus dem 4. Jh. stammen (Abb. 22).

 

Eine weitere Hierarchisierung der Majestas-Domini-Darstellung im Westen ist durch die Gesetzesübergabe (traditio legis) bestimmt worden.

 

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Der römische Charakter dieser Darstellung ist unverkennbar. Die Bedeutung des Gesetzes und seine Übergabe an Petrus konnte nur dem römischen Bereich der bildenden Kunst entspringen, und es wäre möglich, daß diese Darstellung in der Peterskirche in Rom vorbildlich geworden ist. Leider jedoch hat sich das ursprüngliche Apsismosaik nicht erhalten, es wurde unter Innozenz III. (1216) gründlich restauriert, und wir sind darüber nur durch eine Zeichnung unterrichtet, die jedoch das oben Gesagte zu bestätigen scheint.

 

Weitere Beispiele einer Gesetzesübergabe an Petrus haben sich in den Nischenmosaiken von Santa Costanza in Rom aus dem 5. Jh. und in dem Mosaik von San Giovanni in Fonte in Neapel, aus dem frühen 5. Jh., erhalten. In den letzten Darstellungen ist Christus als Weltbeherrscher (Kosmokrator) auf einer Weltkugel dargestellt worden.

 

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