Die serbokroatischen Kolonien Süditaliens

Milan Rešetar

 

(B.) Grammatischer Teil.

 

            § 46. — Allgemeines  (Spalte 141)

            § 47. — Aussprache  142

 

I. Laute.

§ 48. — Allgemeines  143

 

   1. Vokale.

§ 49. — Allgemeines  143

§ 50—52. — Vokal ě  144

§ 53. — Vokale o und e  149

§ 54. — „Čakavismen“  150

§ 55. — andere Eigentümlichkeiten  153

§ 56. — unbetonte Vokale  154

§ 57. — kontrahierte und sekundäre Vokale  157

 

   2. Konsonanten.

§ 58. — italienischer Einfluß  158

§ 59. — Gruppen tj—dj  159

§ 60. — Gruppen št—žd; anlautendes v-, va-  162

§ 61. — Liquiden  163

§ 62. — Labiale  165

§ 63. — Gutturale  166

§ 64. — Sibilanten  168

§ 65. — Palatale  169

§ 66. — tönende und tonlose Konsonanten  170

§ 67. — sekundäre Konsonantengruppen  170

§ 68. — Metathese  170

§ 69. — Konsonantenschwund  171

§ 70. — Wortkürzungen  173

§ 71. — sekundäre Konsonanten  173

 

   3. Betonung und Quantität.

§ 72. — Prinzip der Betonung  174

§ 73. — Lage des Akzentes  176

§ 74. — Schwanken der Betonung  177

§ 75. — Verhältnis zur neueren štokav. Betonung  179

§ 76. — Quantität  183

 

 

            § 46. (Allgemeines)

 

In den serbokroatischen Kolonien Süditaliens wird ein štokavisch-ikavischer Dialekt gesprochen, der allerdings auch einige Eigentümlichkeiten aufweist, die sonst nur oder hauptsächlich čakavischen Mundarten eigen sind und die jedenfalls, wie Sp. 86 hervorgehoben, dafür sprechen, daß auch die Urheimat dieser Kolonisten wohl noch auf štokavischem Boden, doch in der unmittelbaren Nachbarschaft des čakavischen Gebietes gelegen war. Zu diesen vorwiegend čakavischen Eigentümlichkeiten sind also zu rechnen:

 

1. die sporadische Wiedergabe der Lautgruppe dj durch einfaches j (vgl. § 59);

 

2. die Erhaltung des urslawischen Halbvokals, bezw. dessen Vertretung durch a in den Formen vazeti, malin, zali (vgl. § 54);

 

3. die Form crikva „Kirche“ gegenüber dem im Štokavischen ausschließlich üblichen crkva (vgl. § 52) ;

 

wie schon erwähnt (vgl. Sp. 87), glaube ich, daß die Kolonisten diese und andere mehr čakavische Eigentümlichkeiten schon aus ihrer dalmatinischen Heimat nach Italien mitgenommen und nicht erst hier sich angeeignet haben infolge etwa einer Vermischung mit einer anderen , rein čakavischen Schicht von Auswanderern, die ebenfalls in derselben Gegend Italiens sich eine neue Heimat gegründet hätte. Diese Annahme spricht dann entschieden dafür, daß eben die Heimat der Kolonisten in der unmittelbarsten Nachbarschaft des čakavischen Gebietes gelegen war, so daß von vornherein eine solche Versetzung ihres Dialektes mit einigen čakavischen Eigentümlichkeiten möglich war. Sonst ist der Dialekt, was die Grammatik anbelangt, rein štokavisch, speziell gehört er zu denjenigen štokavischen Mundarten, die die urslawischen Gruppen st-sk und zd-zg zu št-žd ( und nicht zu šć-žđ palatalisieren (vgl. § 60) und die als ältere Stufe in der Betonung eine einheitliche (einfach fallende) Akzentuation voraussetzen (vgl. § 72).

 

 

Spalte 142

 

Was speziell den Wort schatz und die Phraseologie anbelangt, so ist der Dialekt, wenn man auch von den erst in Italien aufgenommenen Lehnwörtern absieht, entschieden zu den küstenländischen, seit jeher unter dem Einflüsse des Altdalmatinischen und Italienischen stehenden Mundarten zu rechnen (vgl. § 113).

 

 

            § 47. (Aussprache)

 

Was aber diesem Dialekte gegenüber allen anderen štokavischen und auch čakavischen Mundarten des Serbokroatischen ein besonderes Gepräge und eine gesonderte Stellung gibt, ist in erster Reihe seine Aussprache, und zwar nicht nur die Art und Weise, wie die einzelnen Worte, sondern auch diejenige, wie die fertigen Sätze ausgesprochen werden. Wenn man, so besonders in Acquaviva-Collecroce, einen dortigen Slawen zum ersten Male sprechen hört, so wird man durch die eigenartige Aussprache sehr frappiert : man erkennt sogleich, daß es Slawisch, auch daß es Serbokroatisch ist, aber zunächst versteht man nur einzelne Worte, der Zusammenhang entgeht nicht selten und als Resultat ergibt sich, daß man das Gehörte nur mittelmäßig versteht, was besonders einem gebildeten Slavisten auffallen und ihn auch einigermaßen demütigen muß! Dagegen ist es weniger auffallend, daß auch der Molisaner Slawe einen zugereisten Dalmatiner anfänglich ebenfalls ziemlich schwer versteht, denn ihm sind sehr viele unter den rein slawischen Ausdrücken der modernen serbokroatischen Umgangssprache gänzlich unbekannt, während der zugereiste Dalmatiner die meisten vom Kolonisten gebrauchten italienischen Lehnwörter versteht. Die Hauptschwierigkeit für das Verständnis dieses Dialektes liegt eben in dessen Aussprache, die sich zum großen Teile derjenigen der ihn umgebenden süditalienischen Dialekte angepaßt hat: die betonten Vokale werden gegenüber den unbetonten viel stärker hervorgehoben und auch deutlicher ausgesprochen,

 

 

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während die unbetonten besonders in den Auslautsilben vielfach reduziert werden oder miteinander wechseln oder auch gänzlich verstummen (vgl. § 56) wenn man noch hinzunimmt, daß die Kolonisten in ihrer Aussprache in bezug auf den Wort- und Satzakzent die starken Modulationen der süditalienischen Mundarten sowie ihr schnelles Tempo, ferner — was allerdings weniger ins Gewicht fällt — die dem Slawischen ganz fremden langen Konsonanten (vgl. § 58) angenommen haben, so ist der erste Eindruck, den dieser Dialekt auf jeden Serbokroaten machen muß, der, daß er vor sich Italiener zu haben meint, die serbokroatisch radebrechen, — ein Eindruck, der noch mehr bestärkt wird, sobald man ge wahr wird, daß die Kolonisten zum großen Teil auch die Deklination sowie bei Substantiven (und Adjektiven) das Genus neutrum aufgegeben, dafür aber eine Unmasse italienischer Ausdrücke und Redensarten aufgenommen haben. Dagegen wird nur der philologisch Geschulte in der Aussprache der Kolonisten auch ein Merkmal konstatieren, durch welches sich ihr Dialekt einerseits als ein echter serbokroatischer, speziell štokavischer Dialekt zu erkennen gibt, andererseits aber sich von den süditalienischen Mundarten grundsätzlich unterscheidet, ich meine die zweifache — fallende und steigende — Betonung der Silben (vgl. § 72).

 

 

I. Laute.

 

 

            § 48. (Allgemeines)

 

Dagegen, wenn man die Sprache zunächst in bezug auf ihre einfachsten Bestandteile analysiert, so findet man, daß der Lautbestand unseres Dialektes derselbe ist wie in den übrigen štokavischen Mundarten: neu gegenüber den meisten štokavischen Dialekten ist nur die tönende Affrikata dz, die aber fast ausschließlich in italienischen Lehnwörtern vorkommt (vgl. § 58), ferner die Unterscheidung eines zweifachen o und eines dreifachen e (vgl. § 53). In bezug aber auf die Funktion der einzelnen Laute ist hervorzuheben, daß infolge des Verstummens eines auslautenden Vokals eine dem letzteren unmittelbar vorausgehende Liquida oder Nasalis vielfach silbenbildend wird (vgl. § 58), sowie, daß speziell ein n nach süditalienischer Art im Wortanlaute, allerdings — so viel ich konstatieren konnte — nur bei italienischen Lehnwörtern, ebenfalls silbisch sein kann (vgl. § 58).

 

 

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            1. Vokale.

 

 

            § 49. (Allgemeines)

 

Betonte Vokale bleiben in der Regel unverändert, wenn sie zugleich kurz sind; wenn die Silbe dagegen lang ist, werden e und o vielfach enger ausgesprochen (vgl. § 53), während ein langes i wiederum nicht selten zu einem e hinneigt, also wie ie klingt (vgl. § 51). Auf der anderen Seite sind unbetonte Vokale mehrfachen Veränderungen unterworfen, die aber in der Regel nur in kurzen Silben auftreten und nur in vereinzelten Fällen konstant bleiben; zumeist sind aber diese Veränderungen mehr oder weniger willkürlich und zeigen sich bald an der Qualität, bald an der Quantität und Intensität des betreffenden Lautes, indem einerseits kurze unbetonte Vokale in posttonischer Stellung, besonders aber in der Auslautsilbe eine breitere Aussprache annehmen, wonach ein o-u-e-i nach a-o-a-e hinneigen oder direkt zu diesen letzteren Vokalen werden, andererseits aber dieselben Laute unter denselben Bedingungen in verschiedenem Grade bis zum vollständigen Schwund reduziert werden (vgl. § 56).

 

 

            § 50. (Vokal ě)

 

Da bei štokavischen Dialekten die Reflexe für urslaw. ě eine große Rolle spielen, so daß man am besten tut, wenn man nach dem Vorgänge Vuks das Štokavische zunächst auf Grund der Wiedergabe von e in Unterdialekte teilt, so soll vor allem konstatiert werden, daß unser Dialekt ein rein ikavischer ist. Höchst selten tritt daneben für ě ein e auf; zunächst in zwei Fällen, wo das e konstant ist, nämlich in vȅrijat „glauben“ (věrovati) und in ȍbedvi für „beide“ (obědьve) das erste Beispiel ist deswegen wichtig, weil es mir sonst nicht bekannt ist, daß rein ikavische štokavische Dialekte an dieser Stelle e für ě hätten, während dies bei ikavischen oder gemischt ikavisch-ekavischen čakavischen Mundarten, beziehungsweise älteren čakavischen Schriftstellern nicht selten der Fall ist (vgl. Rad B. 134, S. 109. 110. 114);

 

 

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auch dieser Ekavismus verbindet somit unseren Dialekt mit dem Čakavischen und um ihn zu erklären, wäre wohl das allereinfachste, daran zu denken, daß die Heimat unserer Kolonisten zu einer rein oder vorwiegend čakavischen Diözese gehörte, wo auch die Geistlichen in der Regel ča-Sprecher waren, von welchen dann die Vorfahren unserer Kolonisten sowohl diesen vorzüglich religiösen Ausdruck, als auch die Bezeichnung für „Kirche“ in der sonst bei ča-Sprechern gebräuchlichen Form (ver[ovati], crikva) annahmen und damit die sonst bei (ikavischen) što-Sprechern allein übliche Form (virovati, crkva) ersetzten. Eine schöne Parallele dazu habe ich aus dem Dialekte der jekavisch-štokavischen Katholiken im kroatischen Komitate Bjelovar-Križevci angeführt (štok. Dial., Sp. 41), in welchem für „Kirche“ und „Messe“ nicht die štokavischen Formen (crkva und misa), sondern die kajkavischen (cirkva und maša) allein Vorkommen, weil auch diese štokavischen Katholiken zur überwiegend kajkavischen Diözese Agram gehören, in welcher sich bis zur neuesten Zeit die Geistlichkeit fast ausschließlich aus kaj-Sprechern rekrutierte. Man kann füglich auch auf den Umstand hinweisen, daß in dem bosnischen Save-Tale, wo dem ě in langen Silben ein i, in kurzen dagegen ein je entspricht, wohl im allgemeinen vjȅra „Glaube“, aber dȉlo vȉre „das Credo“ gesprochen wird, was ebenfalls darauf zurückzuführen ist, daß die katholische Geistlichkeit dieser Gegend in der Regel aus Franziskanern bestand, die aus den westlichen ikavischen Gegenden stammten (o. c., Sp. 78). Ist diese Annahme richtig, so spricht auch dieses verijat dafür, daß die Kolonisten aus dem der Diözese Spalato angehörenden Narentatale stammen, die bis zum XV. Jahrhundert, mit Ausnahme eben des Narentatales selbst und des Primorje von Makarska, rein čakavisch war; übrigens ist das nicht der einzige Čakavismus in der Sprache der Kolonisten und könnte somit auf dieselbe Weise in ihren Dialekt eingedrungen sein wie die übrigen sonst čakavischen Eigentümlichkeiten desselben.

 

 

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Was aber die andere Form ȍbedvi (aus obědvě) anbelangt, so gehört dieselbe zu denjenigen ekavischen Formen, die seit der ältesten Zeit sowohl in ikavischen, als auch in jekavischen Mundarten mehr oder weniger regelmäßig Vorkommen (vgl. štok. Dial., Sp. 67).

 

Sonst habe ich noch neben sa spovidat sporadisch sa spovédat „beichten“ gehört, was einen Ekavismus darstellt, der čakavischen Schriftstellern nicht unbekannt ist (vgl. Rad B. 134, S. 114). Wahrscheinlich gehört hieher auch óde-odȇkar „hier“, weil das Serbokroatische mit seinen Formen ovdje-ovde-ovdi auf ein älteres gemeinsames ovdě hinweist, obschon man auch an eine dem altslow. kъde entsprechende Form ovьde denken könnte; dasselbe e hat man dann auch in nônde „dort“ (für ononde, vgl. in Ragusa onóndi).

 

 

            § 51. (Vokal ě - 2)

 

In vielen Fällen aber, wo im Molisaner Dialekte dem urslaw. ě ein langes betontes i entspricht, klingt letzteres am Ende nicht selten breiter aus, so daß es den Eindruck eines ie macht; dies ist deswegen auffallend, weil sonst lange betonte Vokale, wenigstens e und o, gewöhnlich enger, selten dagegen breiter ausgesprochen werden (vgl. § 53). Diese Erscheinung hat schon Ascoli konstatiert, indem er in diesem Falle neben einfachem i (sfítja [2], stíne [2] 79, lípa 82) auch îe’ schreibt: lîe’pu, lîe’pa, rîe’ć „Wort“ 81, vielleicht noch einmal rîe’ć 81 in der Bedeutung „sagen“, wenn die Form als rěći (für rěti) aufzufassen ist, wie tatsächlich in den Bocche von Cattaro (jekavisch: rȉjeć) gesprochen wird (štok. Dial., Sp. 204), und nicht für das, wenigstens von mir, gewöhnlich gehörte reć steht. Mit der Bezeichnung îe’ wollte Ascoli höchst wahrscheinlich ein diphthongisches ie bezeichnen, denn den Apostroph nach e verwendet er nur noch bei e’r, womit er ein paarmal das in der Regel auch bei den Kolonisten vokalische r wiedergibt, wo also das e keinen vokalischen Wert hat: sé’rtze (= srce) 79, bé’rnila (= obrnula) 81, neben pérve (= prve), veržîla (= vrgnula) 79, vérnissa (= vrni se) 82. Dagegen haben die späteren Besucher unserer Kolonien, die auch Proben ihrer Sprache mitgeteilt haben, durchwegs ein i auch für langes betontes ě; nur Baudouin hat an einer Stelle lȋep 31 und einmal sogar nijèsu 64.

 

 

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Deswegen ist es mir selbst sehr auffallend, daß ich wenigstens von einigen Individuen in einer ganzen Reihe von Fällen für langes betontes ě ein ie hörte: ete-díeta, ždríeb, crȋekva und críekva (neben crȋkva, kurz nacheinander von derselben Person!), ela, umbrȋet (= umrěti), stríel, vríem, drȋev (= drěvo), cȋev, lȋep, slȋep, sríed (= srijèda), stíen (= stijèna); wenn man nur diese Beispiele berücksichtigt, so wäre man geneigt anzunehmen, daß dieses ie tatsächlich mit einer besonderen Aussprache des ě in langer betonter Silbe im Zusammenhänge stehe; doch habe ich dasselbe ie auch in solchen Fällen gehört, wo es einem etymologischen, beziehungsweise aus y entstandenen i entspricht: sȋen „Sohn“, číet (= činiti), en „Wein“, kuren „Scirocco“, kučȋen(a) — ital. cucina „Küche“, kumbin = ital. confine „Grenze, Gebiet“, pelegríen = ital. pellegrino „Pilger“, Katarȋen „Katharina“, somit steht es fest, daß es sich nicht um eine besondere Aussprache des urslaw. ě, sondern um eine solche des (langen betonten) i handelt. Doch auch in diesem Umfange ist die Erscheinung auffallend, weil in diesem Dialekte lange betonte Vokale, wie schon erwähnt (vgl. § 53), sonst die Neigung haben, sich zu verengen, während wir hier im Gegenteil sehen, daß das lange betonte i eine breitere Aussprache annimmt und dadurch sich eben einem e nähert, wodurch unser Dialekt in bezug auf die Entwicklung des langen betonten i unter allen serbokroatischen Mundarten eine ganz isolierte Stellung einnimmt. Deswegen glaube ich auch, daß diese Erscheinung auf Rechnung des Italienischen zu setzen ist, um so mehr als tatsächlich in einigen benachbarten italienischen Mundarten langes betontes i neben anderen gewöhnlicheren Reflexen auch den Reflex ie (ijэ) zeigt (vgl. G. Rolin in der „Mittheilung Nr. XIV der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen“, Prag 1901, S. 30); ausnahmsweise hat man auf diese Weise ie für i auch in dem Dialekte von Campobasso (vgl. D’Ovidio im Archivio glottol. ital., B. IV, S. 151).

 

Selbständlich sind auch prȉje „früher“ und nìje „ist nicht“ keine jekavischen Beispiele: wenn prije nicht aus der bei den küstenländischen i-Sprechern gewöhnlichen Form prija entstanden ist,

 

 

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indem unbetontes a zu e wurde (vgl. § 56), so ist es wohl auf urslaw. prědje (altslow. prěžde), ebenso wie die in den Bocche und Montenegro üblichen Formen prȅđe-prȉđe zurückzuführen, so daß dann prije eher ein Beispiel abgeben würde, wo in diesem Dialekte der urslaw. Gruppe dj ein j entspricht (vgl. § 59), obschon dem Dialekt auch die speziell serbokroatische Form pri bekannt ist: nȃpri „zuerst“ (= najprije). Die Form nìje wiederum ist ebenso zu erklären wie in bezug auf alle ikavischen (und auch ekavischen) Mundarten, wo sie überhaupt vorkommt: der ursprünglichen ikavischen Form ni, die allein der jekavischen nìje für älteres regelrecht entspricht, wurde nach Analogie der Formen nisam, nisi usw., die als ni + sam, ni + si usw. aufgefaßt wurden, die entsprechende enklitische Form der 3. sing., also je hinzugefügt, so daß ni + je, d. i. nije, entstand ; dem nìje ist dann das nijèsu nachgebildet, das Baudouin einmal (S. 69) hat: ich habe nur nísu gehört.

 

Ebensowenig kann man die Spur einer anderen als der normalen ikavischen Aussprache in den Fällen erblicken, wo in unbetonten Endsilben für urslaw. ě anstatt des zu erwartenden i ein Laut steht, der bald als offenes, einem e sich näherndes i, bald wiederum als ein geschlossenes oder auch als ein gewöhnliches (offenes) e erscheint, z. B. pȍnit „wegtragen (mitnehmen)“, ȗmbriet „sterben“ (= umrijeti), je ùmbre „ist gestorben“ B. 38, je ùmbrela B. 6, 33, žîveit B. 2, denn dasselbe geschieht mit jedem i, ohne Rücksicht auf dessen etymologischen Ursprung (vgl. § 56) ; so läßt sich dann auch die Form smo jèli B. 73 erklären, wo das kurze ě betont ist: da eben infolge dieser Aussprache des unbetonten i häufig Partizipien auf -el- (statt -il-) ausgehen, konnte sich vielleicht nach smo sjìzeali B. 73 mit unbetontem ě auch jeli mit betontem ě richten (ich habe nur jìja-j̀ìla, ìzija-ìzila gehört).

 

 

            § 52. (Vokal ě - 3)

 

Von vereinzelten ein ě enthaltenden Formen sei endlich erwähnt, daß unser Dialekt das ě nicht nur in dem sonst čakavischen crȋkva, sondern auch in der Form drȋv „Holz“ (altslow. drěvo) aufweist, die der Form drvo der Schriftsprache entspricht und auf serbokroatischem Boden

 

 

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noch im Čakavischen (drivo) sowie in einigen südwestlichen jekavischen Mundarten (drijevo in Montenegro und Ragusa) vorkommt. Dagegen habe ich nur sȉst-sȉdem „sich niedersetzen“ gehört, wo bekanntlich im Serbokroatischen das ě des Infinitivs (urslaw. sěsti) auch im Präsensstamm (urslaw. sędą) durchgeführt wurde, während sonst ikavische — čakavische und štokavische — Mundarten vielfach in diesem Falle ein e haben (sesti-sedem), das eher als der Vertreter des nunmehr gleichmäßig durchgeführten ě und nicht etwa als derjenige des ę von sęd- aufzufassen ist. Endlich hat unser Dialekt gegenüber dem òrah „Nuß“ der Schriftsprache die ein ě enthaltende Form órih, die sonst im Čakavischen sowie in allen anderen slawischen Sprachen vorkommt.

 

Zuletzt kann ich noch ein paar Beispiele anführen, wo — wie sonst dies nicht selten in Lehnwörtern geschieht — ein romanisches e ganz so behandelt wird wie ein urslawisches e, somit in unserem Dialekte mit i wiedergegeben wird: rȋna „Sand“ = ital. arena, kȃrdij, -ila „Distelfink“ = ital. cardello, brȉč „Stein“ = ital. breccia.

[[ Zusätze und Berichtigungen: das i von kȃrdij, -ila „Distelfink“ geht auf abruzz. cardille zurück ]]

 

 

            § 53. (Vokale o und e)

 

Eine Beeinflussung von Seite der Phonetik der benachbarten italienischen Dialekte vermute ich auch in der weiteren Erscheinung, daß die Vokale o und e nicht selten eng ausgesprochen worden, so daß sie sich einem u, [1] beziehungsweise i nähern. Etwas Analoges finden wir allerdings auch in den serbokroatischen Dialekten, doch geschieht dies zunächst, so viel bis jetzt bekannt, nur in entschieden čakavischen Mundarten (vom istrianischen Festlande bis zu den mitteldalmatinischen Inseln), ferner nur in langen betonten Silben, dann aber regelmäßig. Dagegen ist in unserem Dialekte die Verengung des o und e weder auf die langen betonten Silben beschränkt, noch tritt sie regelmäßig ein; überhaupt gibt es weder einzelne Wörter, noch einzelne Wortformen, wo die Verengung konstant wäre,

 

 

1. Hanusz ging entschieden zu weit, als er behauptete, daß „der Vokal o oftmals zu u verschoben wird, wie im Polnischen“, wozu er als Beispiele anführte: bȗg, mȗj, zgȗr, nùčъs, pȗt’, prȗt’, mùlim, guzdъje, unumu neben bȏg, moj, nòč (Nacht), pôt’ (= poći), mòlim.

 

 

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viel mehr kann man sie unter ganz denselben Bedingungen und von der einen und derselben Person bald hören, bald wiederum nicht. Ich notierte mir z. B. ein enges o in folgenden Fällen: a) ursprünglich [1] lange betonte Silbe: ȏun, dȏum, nȏus; nȏuž B. 5 (4), pulmȏun (= ital. polmone) B. 6, óuvca B. 18; b) verlängerte betonte Silbe: nȏučes, nȏuhat, prȏusiš; ušt (= godište) B. 20, tri gȏusta B. 22, hȏuš (= hoćeš) B. 22; c) kurze betonte Silben: bȍut (= ital. botta), kȍupaju, urtȗna; d) kurze unbetonte Silben: boutȗn (= ital. bottone); sȁ-smou sei-šȃlil B. 21, hȍmou (= hòdimo) B. 25, na-nou-bȃn (= na onu bandu) B. 41, sȉrouva B. 42.

 

Viel seltener wird ein betontes e verengt: večȇiras „heute abends“; Vȅit (Familienname, ital. Vetta) B. 14, Tȇirmol (Ortsname, ital. Termoli) B. 61 (2), grȅi (= gre < grede „geht“) B. 61, ein paarmal nach Baudouin auch direkt ī für ē: ščȋr (= ȇr als Nom. sing.) B. 39, večȋr (= vȅčēr) B. 31. Betontes e kann aber sporadisch auch zum a hinneigen : do mȇan (= od mene) ; mȅan (= meni dt. sg.) B. 21. 28, mȇan B. 21. 22. 32, mȅani B. 26. 67; tȇab (= tebi) B. 25, tȅab B. 27. 29. sȅab (= sebi) B. 67, žiȇana (= žèna) B. 19, čȇal (= čelo) B. 24, čȅala „penis“ (im Gegensätze zu čȅla „Biene“); höchst wahrscheinlich steht auch dies mit der Phonetik der italienischen Mundarten in Verbindung, die vielfach ein (offenes) e zu ea oder a entwickeln, doch sind die Formen mit ea der geschlechtslosen Pronomina vielleicht darauf zurückzuführen, daß die entsprechenden enklitischen Formen ein reines a aufweisen: ma-ta-sa (vgl. § 94), so daß eine allmähliche Anlehnung der weniger gebräuchlichen orthotonierten Formen an die enklitischen stattfinden würde.

 

 

            § 54. („Čakavismen“)

 

Von anderen Erscheinungen aus dem Gebiete des Vokalismus seien noch einige erwähnt, die unseren Dialekt mit dem Čakavischen verbinden, so vor allem die Vertretung des urslaw. ę nach Palatallauten durch a, die ich nur bei zàjȃt „leihen“ und òjȃt „wegnehmen“ konstatierte,

 

 

1. Selbstverständlich meine ich darunter eine Silbe, die vom serbokroatischen Standpunkte als solche gelten muß.

 

 

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also bei einer Wurzel, wo allerdings a für ę auch in den bosnisch-hercegovinischen Urkunden des XIV. und XV. Jahrhunderts, dann in dem älteren Dialekte von Ragusa vorkommt (vgl. Rad 134, 108); ich habe als Partizip praet. act. auch ȍjela gehört, wo das e nach § 56 für a stehen könnte. — Wie das Čakavische, so hat auch unser Dialekt re für ra in rȇsti „wachsen“, krȅst „stehlen“ und répac „Sperling“, wobei aber nicht vergessen werden darf, daß die Form vrébac heutzutage in ganz Bosnien verbreitet ist (vgl. štokav. Dialekt, Sp. 101).

[[ Zusätze und Berichtigungen: Sp. 151, Z. 13 von oben und ff.: die Aussprache eines anlautenden i- als ji- ist ohne Zweifel süditalienischen Ursprunges; vgl. bei Finamore S. 11. 199, wonach es sich ergibt, daß das Abruzz. eben nur ein ji- im Anlaute kennt. ]]

 

— Als čakavisch könnte ferner die Deckung eines anlautenden i durch j gelten, wobei ich nicht etwa an die sporadischen Fälle denke, wo das i einem urslaw. ě entspricht, wie ìst „essen“, denn hier hat bekanntlich das anlautdeckende j im Slawischen eine sehr große Verbreitung gefunden, sondern ich meine die sehr zahlreichen Fälle mit anlautendem etymologischen i, wo im Serbokroatischen nur das Čakavische ein j- entwickelt hat; der Molisaner Dialekt ist in dieser Beziehung sehr konsequent und hat ji- nicht nur in Fällen wie ìm (= ime), jìmaš, jìgrat; jìnāče B. 58 usw., sondern auch bei der Präposition iz sowie der Konjunktion i, z. B. su-jìzašl (= izašli su), jìskla? (iskla für otkle „woher?“), jìznȋt (= iznijeti) B. 21 (2), jìz-Rim (= iz Rima) B. 56, šȅst úrȋ ì-po (= . . . i pō); jènu ji po B. 28, somit in Fällen, wo das Čakavische nie den vokalischen Anlaut deckt (vgl. Rad B. 136, S. 122). Die Kolonisten sind an dieses ji- so sehr gewöhnt, daß sie es auch dann verwenden, wenn sie italienisch sprechen; ich kann mich noch jetzt lebhaft erinnern, wie eine sehr gebildete Dame aus Acquaviva nicht dazu zu bringen war, anstatt ihres jimperatore das richtige imperatore auszusprechen. Ich glaube aber, daß dieses ji- eher auf Rechnung des Italienischen zu setzen ist, denn in Campobasso und überhaupt in Süditalien wird ein Hiatus sehr häufig, auch von Gebildeten, durch ein sekundäres aufgehoben (vgl. D’Ovidio in Archivio glottol. ital., B. IV, S. 181) und es wäre sehr leicht möglich, daß sich ihn unsere Kolonisten besonders häufig bei einem anlautenden i angeeignet hätten. — Man kann endlich hier ein paar Fälle anführen, wo unser Dialekt, wie das Čakavische, ein sekundäres a (für urslaw. Halbvokal) hat,

 

 

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das im Štokavischen fehlt: zȁli „der schlechte“, wo sich wohl das a der Form zal festgesetzt hat, während das Adverb zlȍ die ursprüngliche Form beibehalten hat (vgl. Rad B. 134, S. 102); mȁlin „Mühle“, wie das Wort in altkroatischen Urkunden, aber auch bei älteren dalmatinischen Schriftstellern (z.B. bei Zoranić, Stari pisci hrv. B. XVI, S.93), dann auch im Slowenischen (neben mlin) heißt. Diese Form ist auch deswegen wichtig, weil sie ein weiteres Beispiel für die noch immer nicht genügend erklärte Erscheinung abgibt, daß im Serbokroatischen in einigen Wortformen ein wurzelhafter Halbvokal bald erhalten bleibt, bald wiederum schwindet, z. B. trȇm - tȁrēm „ich reibe“, šļȇm - šȁļēm „ich schicke“, mnôm - mȁnom „mit mir“ ; die einfachste Erklärung wäre wohl die, daß wir mit verschiedenen Betonungen zu tun haben, daß somit in mlȉn die Suffixsilbe, in mȁlin dagegen die Wurzelsilbe [1] betont war, was den Schwund des Halbvokals im ersten Falle und dessen Erhaltung im zweiten genügend erklären würde. Doch abgesehen davon, daß man mit ähnlichen Doppelbetonungen sehr vorsichtig operieren darf, ferner, daß sie manchmal für eine und dieselbe Gegend, bezw. Mundart vorauszusetzen wären, zeigt uns das Beispiel šȁļēm am besten, daß wir auch mit der sekundären Entwicklung eines Halbvokals rechnen müssen, denn die Palatalisation des s gibt den schlagendsten Beweis dafür, daß speziell bei diesem Verbum auch im Präsens wie im Infinitivstamme der unbetonte und in offener Silbe stehende Halbvokal geschwunden war und erst später, als der Ton von der Endung zurückgezogen wurde, restituiert, bezw. durch ein a ersetzt wurde, sonst müßten wir ja *sȁļem haben, um so mehr, als das s in den Infinitivformen slati usw. eine starke Stütze finden würde.

 

 

1. Ob das slawische mlinъ-mlynъ aus althochdeutschem mulīn (aus ital. mulino) entlehnt sei, wie dies Miklosich (Etym. Wtb. s. v. mel-) meint, oder (nach Jagić) zur Wurzel mel-, wie klinъ zu kol-, gehöre, bleibt sich in bezug auf die Lautgestaltung der Wurzelsilbe gleich, denn in beiden Fällen muß man annehmen, daß die Wurzelsilbe einen Halbvokal enthielt. Es ist daher nicht richtig, wenn Belić (Извѣстія der Petersburger Akademie Bd. XIV, S. 188) meint: „mȁlīn вм. обыкновеннаго mlin восходитъ къ заимствованной формъ съ a въ первомъ слогѣ“, denn eine solche Form mit (etymologischem) a gibt es einfach nicht.

 

 

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— Gegenüber dem sȁn-snȁ „Schlaf“ der Literatursprache hat man in unserem Dialekte sȁn-sȁna, das somit ebenfalls hieher gehört, aber keine spezifische čakavische Eigentümlichkeit bildet, weil auch in sonst štokavischen Dialekten das a des einsilbigen Nom. (acc.) sing. sich auch bei den drei letzten Substantiva dieser Art festgesetzt hat, die es in der Literatursprache in den mehrsilbigen Formen nicht haben; man kann nämlich in Norddalmatien pȁs-pàsa und wohl im ganzen Küstenlande auch sȁn-sȁna und šȁv-šȁva hören.

 

 

            § 55. (andere Eigentümlichkeiten)

 

Gegenüber den meisten modernen čakavischen Dialekten, die das vokalische r aufgegeben haben, soll konstatiert werden, daß unser Dialekt, wie alle štokavischen Mundarten, an dessen vokalischer Aussprache festhält, nur ausnahmsweise kann man dafür an betonter Stelle ein er hören: kèrv B. 47, je-vèrga (vr̀ga) „hat geworfen“ B. 52, wohl unter dem Einflüsse der italienischen Aussprache, die ein sonantisches r nicht kennt. Wenn aber svekrva „Schwiegermutter“ hier regelmäßig sȅkarva lautet, so hängt das wohl mit der auch im Štokavischen vorkommenden Entvokalisierung eines unbetonten vokalischen r zusammen in Fällen wie ugarski aus ugrski, jutarńi aus und neben jutrńi usw., wobei man wohl an ein sekundäres a — Halbvokal zu denken hat, obschon man speziell bei Fällen wie ugarski auch an eine Analogiebildung nach den zahlreichen Bildungen von solchen Substantiven denken könnte, die mit dem Suffix -arь gebildet sind, also nach gospodarski, ribarski usw. Unser Dialekt hält ferner auch an dem Quantitätsunterschiede beim vokalischen r fest, so daß letzteres auch lang sein kann: kȓv, mŕtav, mŕtva, dva vŕta B. 29, tȓń (= trńe) B. 44, cȓni B. 64, pŕdi „pedit“ B. 54, während in Süddalmatien das in der Regel nur kurz sein kann (vgl. štok. Dial., Sp. 98). — In einigen Fällen hat man auch sekundäres : tȑ „und“ neben tȅr, prkósutr „übermorgen“, prkȏndan (aus prekoondan) „in drei Tagen“, spȑta „Korb“ aus ital. sporta, pržȗn „Gefängnis“ aus ital. prigione, sfrtunána „unglücklich“ aus ital. sfortunata, sa rkomànat „sich empfehlen“ von ital. raccomandarsi.

 

 

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An vereinzelten Vokaländerungen habe ich folgende registriert: bȉde für bude als Präs. perf. zum Infinitiv bit, dessen Wurzelvokal herübergenommen wurde, — eine Erscheinung, die auch sonst im Štokavischen bekannt ist; ebenso bekannt ist die Wurzelform tep- in tȅpal „lauwarm“ gegenüber der im Štokavischen gewöhnlicheren Form top-. Wohl durch Assimilation der ersten an die folgende Silbe ist das o von nòmo(j) für nemoj „tue nicht“ zu erklären, wobei aber auch die italienische Negation no einen Einfluß ausgeübt haben mag. Die Form vrȅ „schnell“ geht auf das bei älteren Schriftstellern vorkommende ured (mit derselben Bedeutung) zurück, gibt somit ein Beispiel für die Konsonantierung eines anlautenden u, die vor folgendem r besonders leicht eintreten konnte, da vr eine im Slawischen sehr gewöhnliche wortanlautende Konsonantengruppe abgibt. Schwer zu erklären ist das i für u in kòšiļa „Hemd“ in Acquaviva (in San Felice dagegen das normale kòšuļa) und ebenso das u für i in čȕgova „wessen?“ (s. § 93) sowie das u für e in rušéto „Sieb“, denn hier haben wir es nicht mit der sonst so häufigen Änderung unbetonter Vokale zu tun, da in letzterem Falle ein u nie zu i und ebensowenig ein e zu u wird (vgl. § 56).

 

 

            § 56. (unbetonte Vokale)

 

Besonders charakteristisch für unseren Dialekt ist die Art und Weise, wie unbetonte Vokale ausgesprochen werden. Im Serbokroatischen, so besonders im Štokavischen, werden bekanntlich unbetonte Vokale ebenso rein und deutlich ausgesprochen wie die betonten, so daß man nie im Zweifel sein kann, ob in einem bestimmten Falle ein Vokal, und dann welcher, ausgesprochen werde. Ganz anders in unserem Dialekte! Der betonte Vokal wird gegenüber den unbetonten so sehr hervorgehoben, daß letztere, insbesondere in nachtoniger Stellung, sowohl an Klang, als auch an Stärke und Dauer stark reduziert erscheinen: man ist vielfach im Zweifel, ob an einer bestimmten Stelle, so insbesondere im Wortauslaute, überhaupt ein volcalisches Element noch vorhanden sei und wie man es zu bezeichnen habe; ich habe in diesen Fällen (in den Beispielen und in den Texten) in der Regel den etymologisch berechtigten Vokal mit kleinerer Type über der Zeile geschrieben

 

 

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oder auch in Klammern hinzugefugt, [1] was um so mehr berechtigt ist, als vielfach die entsprechende Mundstellung beibehalten wird. Diese Reduzierung der unbetonten Vokale ist ebenfalls italienischen Ursprunges (man vergleiche, was Rolin in dem auf Sp. 147 zitierten Aufsatze, S. 13. 21, über ähnliche Erscheinungen in den abruzzesischen Mundarten sagt), kommt daher (ebenso wie der sogleich zu erwähnende vollständige Schwund von Vokalen) viel mehr in Acquaviva als in den beiden anderen Kolonien zur Geltung, da die letzteren dem Einflüsse des Italienischen weniger ausgesetzt sind als Acquaviva.

 

Im Zusammenhänge damit steht auch die weitere Erscheinung, daß unbetonte Vokale eine mehr offene Aussprache annehmen, so daß einerseits enge Laute an Spannung der Zunge, andererseits gerundete an Rundung der Lippen verlieren. Daher kommt es, daß an unbetonter Stelle ein i sehr oft einem e, ein e wiederum einem a sich nähert, während auf der anderen Seite ein u in der Richtung zu einem o und ein o sich zu einem a oder auch e verschiebt; diese Eigentümlichkeit bei der Aussprache unbetonter Vokale ist besonders deswegen wichtig, weil — wie Sp. 148 erwähnt wurde — dadurch auch ein unbetontes urslaw. ě vielfach wie ein ei oder ie, bezw. wie ein (offenes) e lautet, so daß man darunter eine Spur jekavischer Aussprache vermuten könnte;

 

            Beispiele für i: kȍbeila “ Stute“, pȁučein „Nebel vor den Augen“ (= pȁučina „Spinnengewebe“), (su ga)ùbeil („man hat ihn) getötet“, (žèna s’)òbabela SF „(die Frau hat) geboren“; (fàt)ìstein „wahre (Begebenheit)“ B. 2, (je)ùmbrela „(sie ist) gestorben“ B. 6. 33, četeir „vier“ B. 18, gòvorem „ich spreche“ B.27, vídet „sehen“ B.68, žìvet „leben“ B. 71, govóreš „du sprichst“ B. 73, (dvȃ) ȏreha „(zwei) Nüsse“ B. 73 usw. ;

 

            für e : mȉseačina „Mondschein“, stȅpļeana „gewärmt“, jȍpa „wieder“ (= opet), sa zȏva „heißt“ B. 2. sea zóvea B. 4L 42, sa zóvea B. 42, jìmma „Name“ B. 2, mìsac „Monat“, bìššea „war“ B. 2, bìša B. 12, jìmata „ihr habt“, bòžža mòj „mein Gott!“ B. 65 usw.;

 

 

1. Baudouin hatte in seinen Texten dafür den entsprechenden Vokal mit Kürzezeichen, z. B. juště 5, dèbȅalea 44.

 

 

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            für u: kopȋna „Brombeerstrauch“, tìjăho „sie wollten“ B. 11, so (pàli) „sie sind (gefallen)“ B. 22. 24, grèdo „sie gehen“ B. 32, vrȃgo (ga däj) „(gib ihn) dem Teufel“ B. 82 usw. ;

 

            für o: sma(-rȅkli) „wir haben (gesagt)“, jùtarak „Dienstag“, čèma (vàze) „wir werden (nehmen)“ B. 20, do naga pvaga „von jenem ersten“ B. 34, kàka „wie“ B. 53, štȃpam „mit dem Stocke“ B. 63, bima(pȏl) „wir würden (gehen)“ B. 64, paláka „langsam“ B. 72 usw.

 

Dieses Schwanken zwischen i-e, e-a, u-o und o-a bringt es mit sich, daß die ausgleichende Bewegung auch in entgegengesetzter Richtung sich entwickeln kann, wobei gewiß auch der Umstand mitbestimmend ist, daß überhaupt unbetonte Vokale, wie schon erwähnt, stark reduziert werden, somit auch ihren eigenen Klang verlieren und mit nahestehenden Vokalen wechseln können; so lautet besonders häufigem a wie ein breites ea oder wie ein gewöhnliches (offenes) e: nȃzeańi „der letzte“ (= najzadńi); síjeat „säen“ B. 3, účereaj „gestern“ B. 18, nòčes (= noćas) B. 48 usw.; [1] dadurch ist es ferner zu erklären, daß auch ein solches a zum e werden kann, das an Stelle eines o steht: gratáme 1. plur. „wir reiben“, súteań „Dämmerung“, bèzeń „Bedürfnis“ (vom ital. bisogno), kàke-ste? „wie geht’s euch?“ B. 22, čùde stȗpi „viele Bäume“ B. 29, gòvorime „wir sprechen“ B. 62 usw. Auf analoge Weise sind wohl auch folgende Formen entstanden: doléko „weit“ (neben dalȇk B. 60), skùpo „zusammen“ B. 13, je-vàzila „sie hat genommen“ B. 19, vičéras „heute abends“ B. 30, vìčȇras B. 58; dagegen beruht žùtanica „Zichorie“ nicht auf *zutinica (aus žutěnica, vgl. in Ragusa zùćenica), sondern hat dieselbe Suffixbildung wie das im Serbokroatischen gewöhnliche žùćanica.

 

Der Umstand, daß unbetonte Vokale in unserem Dialekte so stark reduziert werden, begünstigt sehr auch deren vollständiges Schwinden ; doch diesbezüglich muß genau unterschieden werden zwischen solchen Fällen,

 

 

1. So erklärt sich wohl auch die Form ìzeša B. 59 für izašao, während das bei B. 47 zweimal verzeiehnete zèša (mi je zèša kèrv) ein unvollständig ausgesprochenes, daher auch weniger richtig aufgeschriebenes izeša sein dürfte; nach einem proklitischen je kann man ein i leicht überhören.

 

 

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wo der unbetonte Vokal bald spurlos verloren geht, bald wieder (auch in der Sprache desselben Individuums!), wenn auch stark reduziert, erhalten bleibt, und zwischen solchen Fällen, wo regelmäßig ein Vokal nicht mehr gesprochen wird. Zu diesen letzteren kann man rechnen: váko „so“ (= ovako); vȃko B. 6; nȏnda „damals“ für *ononda (= onda), nónde „dort“ für *ononde (= ondje), dȍvica „Witwe“ (= udovica), gúsca „podex“ (= guzica), tvórit „öffnen“ (= otvoriti), zrènit „austreiben“ aus *izrenuti, auch nè-mrem usw. „ich kann nicht“ (häufig neben nè-morem), òskrȗška „Mispel“ für oskoruška u. ä.; besonders charakteristisch ist der Unterschied in der Bedeutung zwischen dem vollständigen jȉmam usw. „ich habe, besitze“ und dem abgekürzten mȁm usw. „ich muß“. Uber den Ausfall ganzer Silben, beziehungsweise über die auf Vokale und Konsonanten sich erstreckenden Kürzungen einzelner Wortformen vgl. § 70.

 

Wie aber aus den angeführten Beispielen mit Evidenz hervorgeht, betrifft diese Reduzierung und schwankende Aussprache, beziehungsweise auch vollständiges Schwinden in der Regel nur kurze Vokale, was an und für sich leicht begreiflich ist, da die gewichtigeren langen Vokale selbstverständlich ihre „Individualität“ besser wahren, doch, da auch sie vielfach gekürzt werden, so nehmen sie ausnahmsweise ebenfalls an dieser Entwicklung teil : drùgo (vȏt) B. 67 „ein anderes Mal“ (für drugū), òna je Filȋč, B. 44 „jenes ist San Felice“ (für onō), čìne vrȗč’e B. 43 „es ist warm“ (für činī), s Pàlȃti B. 63 „von Palata“ (für s Palatē), màt do dìce ȏv B. 69 „die Mutter dieser Kinder“ (für ovē), òve nàš bràt B. 49 „das ist . . .“ (für ovō), štò si rèk? B. 58 „was hast du gesagt?“ (für rekā).

 

 

            § 57. (kontrahierte und sekundäre Vokale)

 

Kontraktionen von zwei aufeinander folgenden Vokalen sind selten, wenn man von den sehr zahlreichen Fällen absieht, wo al durch ao ein ā ergibt: dal > dao > dȃ, zalva > zaova > zȃva „Schwägerin“ (vgl. § 61); bei den Zahlwörtern wird regelmäßig -ae- zu -a- zusammengezogen: dvȃnast, trȋnast usw. (aus dvanaest usw., vgl. § 96), während in den meisten štokavischen Mundarten daraus ein -e- wird: dvanest usw.;

 

 

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eine Kontraktion von einem a und einem etymologischen o haben wir aber in Fällen wie nȃ-vi grȃd „in diesem Ort“, na vi grȃd mȏj B. 2, na ni drùggi svȋt B. 6, denn die Länge des a ist wohl nur als das Resultat einer Kontraktion erklärlich ; dagegen kann man eine solche bei sa-nabláčit, sa-nàblȃči „sich um wölken“ nicht voraussetzen, weil eben das a der Präposition seine Kürze behält: hier muß man an eine Zusammensetzung mit blačit denken, wie denn auch für das gewöhnliche „anziehen“ vielfach bȗć-bučem gesprochen wird.

 

Sekundäre Vokale sind selbstverständlich äußerst seltene Erscheinungen; doch als Beispiele dafür kann ich aus unserem Dialekte anführen: ručinȋk „(Kopf)tuch“ (aus ručnik), sìrȋš „Weinstein“ (= sriješ); der erste Fall läßt sich mit čiļȃn und ličińȃk (für čļan und ličńak) in den Bocche von Cattaro vergleichen (štok. Dial., Sp. 114), dagegen dürfte beim zweiten eine Verwechslung, beziehungsweise Vermengung mit sȉrišt „Käselab“ vorliegen, denn von mancher Seite wurde mir die eine Form sirišt für beide Bedeutungen angegeben.

 

 

2. Konsonanten.

 

 

            § 58. (italienischer Einfluß)

 

Während im Vokalismus der Einfluß des Italienischen ziemlich stark ist, läßt sich beim Konsonantismus ein solcher nur in ganz vereinzelten Fällen konstatieren, und zwar zunächst darin, daß Konsonanten nach kurzen Vokalen nach italienischer Art lang ausgesprochen werden können. Diesbezüglich konnte ich aber keine festen Gesetze finden, vielmehr hörte ich von einer und derselben Person eine und dieselbe Form bald mit kurzem („einfachem“), bald mit langem („doppeltem“) Konsonanten aussprechen, weswegen ich auch in meinen Aufzeichnungen eine eventuelle Länge von Konsonanten gar nicht berücksichtigte, da ich darin nur eine unbeständige und wechselnde Nachahmung der italienischen Aussprache sah. Aber auch in den Texten Baudouins finde ich die Länge eines Konsonanten (bald durch Verdoppelung des Buchstabens, bald durch unterlegtes Längezeichen ausgedrückt) ganz willkürlich angesetzt: u 2, òppedva 2. 4. 6, z vèrram 19, čùa 32, jìđđeš 53, tòvvear 54 usw., also in Fällen, wo auch bei Baudouin regelmäßig der kurze Konsonant erscheint.

 

 

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Direkt italienischen Ursprunges sind aber die anlautende silbenbildende Nasalis (gewöhnlich n, seltener m, ) sowie die tönende Affrikata dz, denn beide kommen in der Regel nur in italienischen Lehnwörtern vor: nǵińȋr „Ingenieur“, ȉk „Franz“, ndzȁkat „einstecken“ (ital. insaccare), Ndrèj „Andreas“ B. 2, mbȁča „gegenüber, bei“ (ital. in faccia), sa-gárgat „sich kümmern“ (ital. incaricarsi), gànna „betrügen“ (ital. ingannare) B. 28 usw., beziehungsweise ndzȁkat (s. oben), zgȁrdzat „ritzen“ (ital. garzare), gàrdzȗn „Bursche“ (ital. garzone), aber auch beim schallnachahmenden dzȕjeit „summen“ (= zujati). Es ist ferner eine Folge der durch die italienische Aussprache verursachten Reduktion, beziehungsweise des Schwundes auslautender Vokale (vgl. Sp. 154), daß im Wortauslaute Liquiden sehr leicht silbenbildend werden : sȕtr (= sutra), sȇstr (= sestra), su-jīzašl (= su izašle), -zemļ (= na zemļu), je obúkl (= je obukla), bìhu brȋž B. 2, nàbb dò-nas „abseits von uns“ (für na banu, wo bana = ital. banda, dial. banna) B. 22, kàkn B. 31, zemļ B. 43 usw. Endlich ist es ein phonetischer Zug der süditalienischen Dialekte, daß zwischen m und r-l ein b sich entwickelt, wie in mblȃd, mbrȉža (vgl. § 67).

 

 

            § 59. (Gruppen tj — dj)

 

Dagegen läßt sich aus dem Konsonantismus kaum etwas anführen, das als čakavisch bezeichnet werden könnte. Die urslawischen Gruppen tj - dj ergeben zunächst in der Regel č - ǵ, somit Laute, die den štokavischen Reflexen ć - đ entschieden näher stehen als den čakavischen ť - j. Übrigens ist auch die gewöhnliche štokavische Aussprache mit ć - đ nicht unbekannt, weswegen ich auch in meinen Texten die normalen Zeichen ć - đ verwende, obschon sie fast immer den Lautwert von č - ǵ haben. Nur in zwei Fällen habe ich für primäres dj nach sonst čakavischer Art j gefunden, nämlich bei prȅja „Garn“ und tuj „fremd“, was meiner Ansicht nach nicht ohneweiters als „Čakavismus“ erklärt werden soll, sondern auf ursprüngliches Schwanken in diesem Dialekte bei der Entwicklung dieser urslawischen Gruppen zurückgeführt werden kann, — ein Schwanken, das bekanntlich auch in anderen štokavischen Mundarten konstatiert wurde und das allerdings nicht leicht zu erklären ist,

 

 

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jedenfalls aber nicht schwerer zu begreifen ist als die „Erklärung“, daß in diesem Dialekte das (ältere) štokavische đ nur in diesen zwei Fällen durch das (neuere) čakavische j verdrängt wurde, bzw. (wenn man einen umgekehrten Entwicklungsgang annimmt), daß nur in diesen zwei Fällen das (altererbte) čakavische j dem später eingedrungenen đ Widerstand geleistet habe. Leichter kann man dagegen begreifen, daß auch bei den Namen (vgl. Sp. 137) Jureša („Jurescia“) und Jurić („Jurizzi“) ebenfalls dem fremdsprachigen đ (ǵ) (Georgius, Giorgio) ein j entspricht, denn diese ursprünglich čakavische Form kann auf den Einfluß der čakavischen Geistlichkeit ebenso gut zurückgeführt werden wie die Form crikva (vgl. Sp. 145). Erst in Italien wurde dann aus italienischem ǵ in einigen Lehnwörtern ein j: frȉjit „backen“ (ital. friggere, abruzzesisch frijje’), lȅjit „lesen“ (ital. leggere), wie dies vielfach auch in Campobasso geschieht (vgl. D’Ovidio, S. 173), beziehungsweise stammt ein solches j für toskanisches ǵ aus der italienischen Volkssprache, die in diesem Falle das lateinische j beibehalten hat (D’Ovidio, S. 159), so z. B. in jȏkat „spielen“ (ital. giocare, abruzz. jucá’). Der Umstand, daß im Molisaner Dialekt in den einheimischen Worten die Laute ć - đ durch č - ǵ ersetzt werden, ist um so auffallender, als sehr ähnliche Laute in den benachbarten italienischen Dialekten vorhanden sind (vgl. G. Finamore, Vocabolario dell’ uso abruzzese2, S. 13) und dann in den daraus entlehnten Worten auch beibehalten werden, z. B. ćȍp „Pappel“, kȍća „Paar“ usw.

 

Ebensowenig kann man die merkwürdige Aussprache der sekundären Gruppen dj - tj bei dem Verbum iti - idem und dessen Compositis als Čakavismus in dem soeben erwähnten Sinne zugeben: in der Regel nämlich haben wir hier in unserem Dialekte keine Affrikaten, also auch nicht die gewöhnlichen štokavischen alveolaren Affrikaten đ - ć, sondern palatale Dentallaute ď̄, z. B. izȃď̄u, ȉď̄u, dȏť, pȏť usw., von welchen der zweite als Vertreter der urslawischen Gruppe tj in čakavischen Dialekten sehr gewöhnlich, ja vielleicht vorwiegend ist, während das ď̄ für urslawisches oder auch sekundäres dj im Čakavischen heutzutage nicht unbekannt ist und in einzelnen čakavischen Mundarten höchst wahrscheinlich seit jeher regelmäßig vorkam (vgl. Rad B. 136, S. 97 ff.).

 

 

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Die Übereinstimmung zwischen unserem Dialekte und dem Čakavischen erstreckt sich in diesem Punkte jedoch nur auf die Gleichheit der Laute, nicht aber auch auf deren Anwendung, denn, während im Čakavischen die Laute ď̄ in allen Fällen auftreten, bezw. auftreten können, wo d und t palatalisiert werden, findet dies in unserem Dialekte nur bei iti und dessen Compositis statt. Ich glaube daher, daß sich das ď̄ unseres Dialektes unabhängig von den gleichen čakavischen Lauten entwickelt hat und vielmehr diejenige Übergangsstufe zwischen jd - jt von pojdem - pojti usw. und dem gegenwärtigen štokavischen đ - ć von pođem - poći usw. bildet, die ohneweiters für das Štokavische im allgemeinen vorausgesetzt werden muß. Man kann sich somit denken, — und das stimmt ganz gut mit der für die Auswanderung unserer Kolonisten angenommenen Zeit überein — daß sie in der Heimat — zusammen mit den übrigen štokavischen Mundarten — diese Mittelstufe ď̄ entwickelt hatten, die sich bei ihnen erhielt, daher auch nicht wie primäres dj - tj regelmäßig zu ǵ - č wurde, während sonst im Štokavischen auch dieses sekundäre ď̄ ein đ - ć ergab. [1]

 

In denselben Fällen aber, wo sekundäres jd - jt zu d - t wird, kann man in unserem Dialekte auch ein einfaches j hören : dȏju, ȉjem usw. ; diese Erscheinung läßt sich schon bei einigen ragusanischen Schriftstellern aus dem Ende des XV. und Anfang des XVI. Jahrhunderts, die sonst für primäres dj - tj regelmäßig đ - ć haben, ferner in einigen modernen sonst rein štokavischen Mundarten konstatieren (vgl. štok. Dial., Sp. 137. 138), so daß auch in bezug auf dieses j kaum eine Beeinflussung von Seite des Čakavischen vorliegen kann, da bekanntlich letzteres in diesem Falle in der Regel bei den ursprünglichen Lautgruppen jd - jt geblieben ist; es ist daher wohl an der (štok. Dial., Sp. 138) gegebenen Erklärung festzuhalten,

 

 

1. Palatales t, beziehungsweise k hat Baudouin beim Verbum k’ik'erèat (t’it’erèat) 74 „schwätzen“, kàko sea kikeríja 66, vom ital. chiacchierare verzeichnet; ich hörte die Form ćaćerȃse mit deutlichem ć.

 

 

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daß dojem usw. eine neue Präsensbildung vom Infinitiv dojti nach Analogie von tres-ti : tres-em usw. ist.

 

Endlich ist auch das j gegenüber dem gewöhnlichen štokavischen đ anders zu erklären, das in unserem Dialekte wie in einigen südwestlichen štokavischen Mundarten bei diesen Formen auch im Wortauslaute stehen kann: pȍj „geh’!“, nȁj „finde!“, was wohl von den Fällen ausgegangen ist, wo nach einer solchen Verbalform eine konsonantisch anlautende Enklitik folgt, so daß das đ (ď̄) eigentlich im Inlaute vor einem Konsonanten steht, in welcher Stellung ein đ - ć auch sonst im Štokavischen, zum Zwecke der Erleichterung der dadurch entstehenden Konsonantengruppe, zu einem einfachen j werden kann (vgl. štok. Dial., Sp. 138); höchst wahrscheinlich dürfte unter denselben Bedingungen in unserem Dialekte auch ć zu j werden, doch habe ich keine Beispiele hiefür. Wenn aber die kürzere Form der 2. sing. praes. von hotjeti anstatt hoć in unserem Dialekte hȍš lautet, so ist hier nicht das ć zu š geworden, sondern es wurde durch das normale Suffix -š der 2. sing. praes. ersetzt.

[[ Zusätze und Berichtigungen: zur Form hȍš vgl. die auf Sp. 219 besprochenen gekürzten Formen š, šmo, šte. ]]

 

 

            § 60. (Gruppen št — žd; anlautendes v-, va-)

 

Streng auf štokavischem Standpunkte steht aber unser Dialekt in bezug auf die Wiedergabe der palatalisierten urslawischen Gruppen st - zd sowie sk - zg, somit finden wir nur št, bezw. žd : plȃšt, prȋšt, gȕšteric(a), vȉštic, sìrȋšt, gòdišt, auch štȃp usw., dann mȍždane, dàždȋ, zvȋždat. Auffallend ist daher, daß dem štokav. ništa „nichts“ ein nȉšće gegenübersteht, da man diese letztere Form, die sonst nur im Čakavischen anzutreffen ist, nicht anders erklären kann als aus ničьto durch Umwandlung einer sekundären Gruppe št (aus čьt) in šć und darauffolgenden Umlaut des -o nach der palatalen Gruppe šć in e, — ein Prozeß, der nur vom čakavischen Standpunkte aus erklärlich ist, nach welchem z. B. auch in šćap „Stab“ aus althochdeutsch. stap gegenüber štokav. štap die ungeliebte Gruppe št in šć umgewandelt wurde. Dann ist aber nȉšće in unserem Dialekte ein Čakavismus, d. i. eine Entlehnung aus dem Čakavischen, was bei einem so gewöhnlichen Begriffe wie „nichts“ höchst merkwürdig ist (vgl.  § 93).

 

Man kann füglich hier auch die Behandlung der Gruppe v + Halbvokal im Wortanlaute erwähnen,

 

 

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die im Štokavischen in den seltenen Fällen, wo der Halbvokal betont ist, za va- (vȁzda „immer“), sonst aber nach Verstummen des Halbvokals und Vokalisierung des v zu u- führt (ùnuk < unȕk „Enkel“), während im Čakavischen ursprünglich daraus im ersten Falle nur va-, im zweiten dagegen voder va- wurde (vnȕk, vazȇti). Unser Dialekt steht diesbezüglich auf štokavischer Grundlage, hat somit u- auch in zwei Beispielen, die heutzutage in štokavischen Mundarten entweder nicht mehr oder sehr selten gehört werden können, nämlich ȗzma „Ostern“ (d. i. *vъzьmъ) und upíjat - ȗpijat „schreien“ (altslov. vъpiti -*vъpijati), welche beide auch in älteren štokavischen Sprachdenkmälern Vorkommen, die zweite speziell als ùpiti-upíjati von Vuk in seinem Wörterbuch für Montenegro bezeugt wurde, der auch vàzam „Ostern“ in Kroatien und Dalmatien registrierte. Diese Betonungen (mit ursprünglicher Tonlosigkeit der ersten Silbe) erklären uns auch zur Genüge das u- von uzma und upijat. Daneben aber hat unser Dialekt allerdings auch vàzȇt und vàzimat, während das Štokavische hier in der Regel ebenfalls ein u- (uzeti, uzimati) hat; das va- in diesem Falle ist ohne Zweifel auf die Präsensform *vъzmem (štok. ȕzmēm) zurückzuführen, die den Akzent auf der ersten Silbe hatte und dann auch auf die übrigen nicht anfangsbetonten Formen einwirkte, während umgekehrt im Štokavischen das u- des Infinitivs uzȇti auch in das Präsens übertragen wurde ; nichtsdestoweniger muß zugegeben werden, daß die Form vazeti nur in solchen sonst štokavischen Mundarten vorkommt, die unmittelbar an das Čakavische grenzen, weswegen sie wohl auf Beeinflussung des letzteren zurückzuführen ist.

 

 

            § 61. (Liquiden)

 

Liquidae. Charakteristisch für die Mundart ist die Behandlung des silbenschließenden l: nach a und o ist es spurlos geschwunden, z. B. kòtȃ „Kessel“, zȃva „des Mannes Schwester“, dȃ, rȅka, čȅka, tȅka, vȏ „Ochs“, pòstȏ (pl. postóle) „Schuh“, marijȏ (gen. marijóla) „Dieb“ vom ital. mariuolo, sȏ „Salz“ usw. ; doch gȍja „nackt“, ȕboja „gestochen“ (von ubosti)-, nach den übrigen Vokalen wird es durch ein -ja, bezw. nach dem Schwunde des unbetonten auslautenden Vokals durch ein einfaches -j vertreten,

 

 

164

 

z. B. pȍčeja „angefangen“, ȃnǵej (gen. ȃnǵela) „Engel“, màrtej (gen. màrtela) „Hammer“ (ital. martello), dȅbej (fem. debȇla) „dick“, Kàšteja (gen. Káštela) „Ortsname“ (ital. castello), bȉja-bíla „weiß“, vȉdija (fem. vȉdila), čìnija (fem. čìnila), mȕja (gen. múla) „Maultier“ (ital. mulo), Pȁvuj (gen. Pȁvula) „Paul“, žmȕja (gen. žmúla) „Trinkglas“, čȕja (fem. čȕla) usw. usw. Daß -ō und -ā für -ol, -al einfach dadurch entstanden ist, daß das auslautende l zunächst vokalisiert und dann mit dem vorausgehenden Vokal zusammengezogen wurde, ist wohl kaum zweifelhaft; als ebenso sicher kann ferner gelten, daß das -ja nach den Vokalen e-i-u eine Analogiebildung nach den so häufigen Beispielen wie reka, da ist; es sind somit als ältere Formen debeo-vidio-čuo anzunehmen, bei denen das -o durch das einstweilen durch Kontraktion entstandene -a der Verba der I., III., V. und VI. Klasse (reka, leža, da, kupova) ersetzt wurde, worauf sich zwischen beiden Vokalen — zuerst in den Fällen, wo dem -a ein i vorausging (*vidi-a, *čini-a) — ein den Hiatus aufhebender Gleitlaut j entwickelte. Ganz dieselbe Entwicklung finden wir im nordwestlichen Teile des štokavischen Gebietes; vgl. štok. Dial., Sp. 109—111, wo auch einige merkwürdige Erscheinungen aus älteren štokavischen Sprachdenkmälern sowie ein sehr wenig wahrscheinlicher Erklärungsversuch Belićs besprochen wird. Wenn aber nach einem -o das -ja nur bei Adjektiven (gȍja) und Partizipien (ȕboja), nicht aber bei Substantiven (vȏ, pòstȏ, marijȏ) auftritt, so hat dies seinen Grund darin, daß das in der Sprache nicht häufig verwendete prädikativische Adjektiv gdja und das Partizip ȕboja sich wohl nach den übrigen prädikativisch gebrauchten Partizipien richteten, nicht aber auch die Kraft besaßen, die auf -ō ausgehenden Substantive nach sich zu ziehen, während das so gewöhnliche čuja (aus čuo) vollkommen genügte, um auch bei den gleich auslautenden Substantiven wie mȕja, zmȕja das vorauszusetzende -uo (muo, žmuo) zu -uja werden zu lassen.

 

Dagegen nimmt die Mundart an dem in čakavischen und štokavischen Dialekten ziemlich häufig eintretenden Ersätze des ļ durch j sowie eines silbenschließenden m durch n (vgl. štok. Dial., Sp. 123—126) keinen Anteil,

 

 

165

 

somit haben wir hier nur ļȗd, pȉļuh, pȍsteļa, hȁļa usw., bezw. dȋm, gòvorim, vȉdim, dȉmbok, bȗmblica, bambȉnica usw.

 

Erhalten hat sich das ursprüngliche l in slȉva „Pflaume“ gegenüber dem gewöhnlichen štokav. šļȉva sowie in dȉlat „schnitzeln“ gegenüber djeļati; dagegen sekundäre Palatalisierung der Liquida haben wir in žȅļud „Eichel“ (vgl. in Norddalmatien žèļudac „Magen“) und sútoań „Abenddämmerung“ gegenüber suton. Speziell das n wird nicht selten vor einem i palatalisiert: ńjè (= nije) B. 43. 51; je rispȕńeľ „sie antwortete“, sa-bńeľ „sie wendete sich“, smopòńeli „wir brachten“, je ìzńeľ B. 5 „sie nahm heraus“; ich fasse nämlich diese letzten Beispiele, wo Partizipien vorliegen, als Formen auf, bei welchen in der Auslautsilbe ein unbetontes i durch ein e ersetzt wurde (vgl. Sp. 155), die somit mit der ie-Aussprache eines langen i nichts zu tun haben (vgl. Sp. 146). — Für die schon bekannte Tatsache, daß nach Gutturallauten die Liquiden l und n gerne palatalisiert werden, liefert auch unser Dialekt einige Beispiele: kļíśte (neben klíšte), ȕh B. 32 (neben glȗh), ńȏj (für gńoj) „Mist“; dagegen ist *pipļeńa „Küchlein“ (vgl. § 84) durch Dissimilation zu pipļȇna geworden. — Einen sonst mir nicht bekannten Ersatz eines l durch r haben wir in kȍrko (für kol[i]ko) „wie viel“ und tȍrko (für tol[i]ko) „so viel“.

 

 

            § 62. (Labiale)

 

Labiales. Unser Dialekt hat vielleicht Spuren einer Erscheinung beibehalten, die bis jetzt nur aus älteren serbokroatischen Sprachdenkmälern bekannt war und erst in Rad Bd. 136, S. 110 ihre richtige Deutung gefunden hat, ich meine die Erscheinung, daß unter bestimmten Bedingungen die tönende Spirans v durch die tonlose f ersetzt wird; dies geschieht in unserem Dialekte vielfach nach einem tonlosen s: sfȋt „Welt“, sfȁki „jeder“, sfitlȃše „es glänzte“, sfȋt (neben cvȋt) „Blume“, (pȍj)s-frȃgom „geh’ zum Teufel!“ usw.; dagegen habe ich kein Beispiel dafür, daß derselbe Ersatz vor einem Konsonanten (mit Ausnahme von r) oder im Wortauslaute, wie in älteren küstenländischen Sprachdenkmälern, eintreten würde. Daher kann man wenigstens fragen, ob für unseren Dialekt nicht auch eine andere Erklärung möglich wäre;

 

 

166

 

wenn man nämlich bedenkt, daß im Italienischen die Lautfolge sv unmöglich, dagegen die Gruppe sf gar nicht ungewöhnlich ist, so könnte man auch dieses sf für sv in unserem Dialekt ebenso gut auf Rechnung der italienischen Aussprache setzen, was um so eher begründet sein dürfte, als auch die Fälle, wo umgekehrt ein ursprüngliches s in unserem Dialekte vor Liquiden tönend wird, ebenfalls wohl als eine Beeinflussung von Seite des Italienischen anzusehen ist (vgl. Sp. 169).

 

Mit der genügend bekannten Tatsache, daß in älterer Zeit in Lehnwörtern die im Slawischen nicht vorhandene labiale Spirans f durch eine labiale Explosiva (in der Regel p, seltener b) ersetzt wird, steht die Erscheinung in keinem Zusammenhänge, daß einem italienischen nf im Molisaner Dialekt ein mb entspricht ; vielmehr geschieht dies schon in den benachbarten italienischen Dialekten : mbȁča „gegenüber, in“ = ital. in faccia, ’mbacce in den Abruzzen (Finamore s. v.), in Campobasso ’m paccia, D’Ovidio, S. 166) ; kùmbet „Konfekt“ = ital. confetto, in den Abruzzen cumbètte (Finamore s. v.), cumbàtte, pl. cumbitt’ in Vasto (Agnelli s. v.); limbȇrn „Hölle“ = ital. l’inferno, in den Abruzzen ’mberne (Finamore s. v. inferno), wo der italienische Artikel als Bestandteil des Wortes aufgefaßt wurde; kùmbȋna „Grenze“ = ital. confine, in Vasto cumbëine (Agnelli s. v.).

 

Anstatt v schreibt bei tovar Baudouin hie und da konsonantisches u : er 54, u̯u̯er - tòvar - tòvvar (-> vear) 62, was wohl durch das dem v vorausgehende o veranlaßt wurde, indem die Lippenrundung des o auf den folgenden Konsonanten übertragen wurde. Aus fremdsprachigem anlautenden v wird aber, wie auch sonst nicht selten, ein b in bíjat „schicken“ = ital. inviare, bàlȗn „Bach“ = ital. vallone, doch geschieht dies auch in den süditalienischen Dialekten (D’Ovidio, S. 165).

 

 

            § 63. (Gutturale)

 

Gutturales. Das h, das in den štokavischen Mundarten zumeist verloren gegangen ist, hat sich in unserem Dialekte sehr gut und konsequent erhalten mit alleiniger Ausnahme des Verbums hotěti, das in den vollständigen Präsensformen das h ebenfalls regelmäßig behält: hȍćem usw., daneben aber in den gekürzten Infinitivformen das h nicht hat: tȉja - tȉla.

 

 

167

 

Da auch in den küstenländischen Sprachdenkmälern des XV. Jahrhunderts das h nur bei diesem Verbum fehlen kann, so ist wohl daran festzuhalten, daß diese letzteren Formen auch in unserem Dialekt eigentlich durch Kürzung der so häufig gebrauchten Verbalformen entstanden sind, wobei eine Anlehnung an die Formen ćeš - će usw. stattgefunden haben mag (vgl. Rad, Bd. 136, S. 111). Es ist aber sehr leicht möglich, daß in unserem Dialekte das h von *htija - htila usw. einfach infolge der Abneigung unseres Dialektes gegen Konsonantengruppen (vgl. § 169) abgeworfen wurde, so daß dann diese Formen ohne h gar nicht als das einzige Beispiel des Verstummens des Lautes h angeführt werden sollten und überhaupt mit den oben erwähnten gleichen Beispielen aus den küstenländischen Mundarten des XV. Jahrhunderts gar nichts zu tun hätten.

 

Vereinzelt wird ein h durch andere Laute ersetzt: zwei alte Frauen, die sich noch serbokroatisch zu bekreuzigen wußten, sprachen dȕg (sveti) anstatt duh (sveti) (vgl. Texte Nr. 26); höchst wahrscheinlich haben sie das Wort duh, das im Dialekte sonst gar nicht existiert, nicht mehr verstanden und es mit dug „Schuld“ verwechselt. Allgemein üblich ist aber šćȇr „Tochter“ für *hćer mit der im Štokavischen so gewöhnlichen Palatalisation des h vor ć.

 

In nȍhat, pl. nȍhta „Fingernagel“ ist gegenüber dem štokav. nȍkat - nȍkta (aus urslaw. nogъtь) die Explosiva k vor einer zweiten Explosiva zur Spirans h geworden, wodurch — wie sonst in küstenländischen Mundarten— die Aussprache erleichtert wurde (vgl. Rad, Bd. 136, S. 111); der Nom. Acc. sing. nokat, wo die beiden Explosivlaute durch ein a getrennt sind, hat sich, selbstverständlich, nach den übrigen Kasus gerichtet. Dagegen in pȉļuh „Sperber“ gegenüber sonst štokavischem piļuga hat wohl eine Suffixverwechslung stattgefunden, denn auch im Slowenischen hat man dieselbe Form mit -h. Baudouin hat auch zweimal h für auslautendes g notiert: ùboh, bȏh 50 — eine Aussprache, die mir aus istro-čakavischen Mundarten bekannt ist, die ich aber in bezug auf unseren Dialekt nicht bestätigen kann, die man aber auch bei De Rubertis findet: uboh Texte Nr. 38, Vers 9.

 

 

168

 

Dafür habe ich eine tönende gutturale Spirans (Sievers ʒ, beziehungsweise neugriechisches γ vor gutturalen Vokalen) konsequent in saγȃtra (aus sega utra) „heute früh“, dann sporadisch in pušeγȁčić „Art Gesträuch“ gehört, was um so auffallender ist, als dieser Laut weder sonst in küstenländischen Mundarten, noch in den benachbarten italienischen Dialekten vorkommt, welch’ letztere, z. B. der der Abruzzen (vgl. Finamore, S. 13) und speziell der von Vasto (vgl. L. Anelli, Vocabolario vastese [Vasto 1901], S. 1 des Prospetto tonico) wohl ein h haben, aber, wie es sicher scheint, nur in dem Werte eines Spiritus asper ; dies ist wohl die Zwischenstufe in der Aussprache des Gutturals, die dem auch sonst vorkommenden vollständigen Schwund des letzteren (vgl. Sp. 171) vorausgeht. — In bríjȃni B. 13, bríȃnti (neben brigȃnt) B. 14 hat man nicht etwa einen Ersatz des ital. g durch ein j, sondern eine italienische dialektische Form: vgl. bbre̥j̈and in Campobasso (D’Ovidio, S. 177); einen solchen sehr auffallenden Ersatz hätten wir erst in drùji (jèzik) B. 60 für drugi (jezik), . . . wenn es sich nicht um eine einfache Verschreibung durch Antizipierung des j von jezik handelt !

 

Von der sogenannten zweiten Palatalisation der Gutturallaute hat unser Dialekt sehr wenig erhalten; doch der Nom. pl. von vȗk, rȏg und vrȃg lautet vȗce - rȍze - vrȃzi, beziehungweise der Instr. pl. s rȍzami; ferner hat sie sich erhalten beim Imperativ der Verba I. 4: pomòzi! „hilf!“, tȅc’ „laufe!“, rȅc’ „sage“.

 

 

            § 64. (Sibilanten)

 

Sibilantes. Das Vorkommen der tönenden Affrikata dz wurde schon erwähnt (Sp. 159). Es kann ferner erwähnt werden, daß das c im Beispiele ócat, gen. ócta „Essig“ vor t unverändert bleibt und nicht (wie in Ragusa) zu s wird, obschon sonst der Dialekt schwere Konsonantengruppen nicht liebt; daher glaube ich auch, daß in svȋt „Blume“ (neben cvȋt) eher eine volksetymologische Anlehnung an die Wurzel svit- „glänzen“ vorliege, als daß die Gruppe cv zu sv erleichtert worden sei. Erhalten ist die etymologische Sibilans in den Beispielen (bȕra) pùļȋska „Nordost-Wind“ (eigentlich „apulischer Wind“), bȕra majèlȋska „Nordwest-Wind“ eigentlich „Wind vom Berge Majella“), kȁškavùnȋsk (s. Sp. 118), wo die Literatursprache nach Analogie der vielen auf -ški ausgehenden Adjektive die Endung -iški (pùļīškī) hat,

 

 

169

 

beziehungsweise haben würde, wenn nicht ganz einfach die Endung -isco für -esco der benachbarten italienischen Mundarten vorliegt (bezeugt für Campobasso von D’Ovidio, S. 152). In škrȉńa „Truhe“ ist auch in unserem Dialekt, wie vielfach im Štokavischen, das anlautende s vor kr palatalisiert worden. — Ìš hiži B. 13 „aus den Häusern“ dürfte verschrieben sein, denn es liegt kein Grund für die Palatalisation der Spirans vor.

 

Einige Male hat Baudouin z statt der Präposition s: z nóužem 5, z nàmi 75, z verram 19; solche Beispiele habe ich nicht gehört, will aber damit die Richtigkeit der Aufzeichnungen Baudouins nicht in Zweifel ziehen, um so mehr, als die Erscheinung auf der genügend bekannten Eigentümlichkeit der nordčakavischen Dialekte beruhen könnte; vielleicht ist aber dabei auch die italienische Aussprache im Spiele, die vor den Lauten v, n (l, r, m) keine tonlose Spirans duldet. Bei den Beispielen dagegen wie z one bȃne B. 42. 61, z Amérika B. 70 liegt nicht die Präposition s, sondern ein abgekürztes z (für iz) vor, mit Schwund des anlautenden kurzen unbetonten Vokals (vgl. Sp. 157).

 

 

            § 65. (Palatale)

 

Palatales. Unser Dialekt hat — wie die meisten čakavischen Mundarten — die Gruppe čr fast immer unverändert erhalten, während die štokavischen Mundarten durch Annäherung der Artikulationsstellen der Affrikata an diejenige des alveolaren r daraus ein cr mit alveolarem c gebildet haben: črčȃk „Grille“ (für čvrčak), črȉšńa „Kirsche“, črȋva „Eingeweide“, čȑv „Wurm“, doch daneben regelmäßig cn „schwarz“, cńeja „rot“; wenn aber die neuere Aussprache mit cr wirklich nur bei crn (und crńeja) vorkommt, so würde das dafür sprechen, daß sie zunächst bei diesem wohl am häufigsten verwendeten Ausdrucke durchdrang und (in den übrigen štokavischen Dialekten) von hier aus die übrigen mit der Gruppe čr- anlautenden Ausdrücke ergriff. — Wie sonst vielfach im Štokavischen wurde auch hier das z im Präsens von moći zu r : mȍrem usw., und zwar so, daß Formen mit ž gar nicht gebräuchlich sind. — Vor der Explosiva k sinkt die Affrikata č zur Spirans š nicht herab: mȁčka „Katze“, wie auch c vor t unverändert bleibt (s. Sp. 168).

 

 

170

 

— Schwer zu erklären ist der Ersatz des ž durch z in zlȉca „Löffel“; an eine Anlehnung an das Adjektiv zla usw., das in unserem Dialekte übrigens zȁli lautet (vgl. Sp. 152), ist natürlich nicht zu denken.

 

 

            § 66. (tönende und tonlose Konsonanten)

 

Tönende und tonlose Konsonanten. In vereinzelten Fällen kann man einen Wechsel zwischen diesen beiden Reihen konstatieren; so mit Muta anstatt der entsprechenden Tenuis štȍkodi „etwas“ für und neben štȍgodi, ȍpedva „beide“ neben ȍbedva, dann bȁtńak „Weihnachtsklotz“ neben bȁdńak, kȍlubar „Taube“ in Montemitro (in Acquaviva: pičȗn, vom ital. piccione), vielleicht mit Anlehnung an das ital. colombo; umgekehrt mit Tenuis anstatt der entsprechenden Muta: šíbak neben šípak „Granatapfel“, zbrȋda „vor“ neben sprȋda, zbrída B. 81 ; kàmbań B. 12 „Grundbesitz“ aus ital. campagna ist dagegen italienischen Ursprungs, denn in Campobasso wird regelmäßig jedes -mp- zu mb (D’Oridio, S. 177).

 

Im Wortauslaute habe ich regelmäßig die tönenden Konsonanten unverändert gehört, so auch Baudouin, der nur ausnahmsweise dafür die entsprechende Muta setzt: grȃt 29 „Ort“, nazzat 2 „zurück“, rázlok 77 „Grund“, wozu noch die Fälle hinzukommen, wo er im Wortauslaute h anstatt g hat (s. Sp. 167).

 

 

            § 67. (sekundäre Konsonantengruppen)

 

Sekundäre Konsonantengruppen vor einem j, d. i. solche, die durch den Ausfall eines urslaw. ь vor dem j entstanden sind, weichen von der Entwicklung, die sie in der Literatursprache genommen haben, insoferne ab, als die Gruppen „ Dentalis +j” unverändert bleiben, somit nicht wie die gleichen primären Gruppen zu ć - đ werden: brȁtja „Brüder“, gȍzdje „Eisen“, grȏzdja „Trauben“, svȋtja „Blumen“; nur scheint mir die Dentalis etwas palatalisiert zu sein. Außerdem notierte ich mir: (kȍza) dìvija „Gemse“, also in einem Falle, wo auch sonst im Štokavischen das urslaw. ь zu i werden kann (vgl. božiji, čiji usw.), so daß die sekundäre Konsonantengruppe gar nicht entsteht.

 

 

            § 68. (Metathese)

 

 Für die Metathese von Konsonanten gibt hi für ih ein bekanntes Beispiel (štok. Dial., Sp. 148 und Archiv f. slaw. Phil., Bd. XII, S. 320) ab; neu sind hingegen bònȏć für obnoć (oder po noći?) und ńèvog für und neben ńègov,

 

 

171

 

cńeja - cńela „rot“ für crļeni, do „von“ für od, wohl nach Vorbild des ital. de, ferner in Lehnwörtern: grȃbeše „Hosen“ aus venez. bragesse, skorčàkrȃp „Nord-Nordost-Wind“ aus ital. scorciacapre (s. Wörterverzeichnis s. v.), frȇba „Fieber“ aus ital. febbre (doch auch in Campobasso frea, D’Ovidio 114, und in den Abruzzen fréve).

[[ Zusätze und Berichtigungen: die Metathese in skorčàkrȃp ist italienischen Ursprunges (s. im Wörterverzeichnis). ]]

 

 

            § 69. (Konsonantenschwund)

 

Konsonantenschwund ist eine in unserem Dialekte sehr gewöhnliche Erscheinung, die aber zumeist bei Konsonantengruppen eintritt, wodurch eben diese letzteren erleichtert werden. Einzeln stehende Konsonanten schwinden sehr selten : so fehlt im Anlaute ein j in ȅzik neben jȅzik, dann regelmäßig in ȍš, da man wohl annehmen kann, daß es aus dem gewöhnlichen serbokroat. još entstanden ist und nicht die vorauszusetzende Vorstufe des letzteren bildet. Für den Schwund eines einzelstehenden Konsonanten im Inlaute habe ich nur folgende Beispiele: ńèov neben den gewöhnlichen ńègov - ńèvog, bòat neben bògat „reich“, wohl auch pòvača „Brotlaib“ aus pogača mit sekundärem v, um den Hiatus aufzuheben, lauter Beispiele für den Schwund eines intervokalischen g, was auch im Dialekte von Campobasso regelmäßig geschieht (D’Ovidio, S. 173); für den Auslaut kann ich anführen ; jȍpe aus jopet - opet „wieder“, sȁ aus sad „jetzt“, vrȅ aus ured „schnell“, dann ziemlich häufig beim Infinitiv: vàzē, pònī, hȉti usw. für vazet(i) usw., dȍ - dō, prȏ, nȁ usw. für doć(i) usw., was kaum mit der Futurbildung im Zusammenhänge steht (važeću, do-ću usw.), da im Molisaner Dialekte beim Futurum das Hilfszeitwort dem Infinitiv in der Regel vorausgeht: ću vazet, ću doć usw. Die meisten Beispiele geben, wie gesagt, die Konsonantengruppen: geschwunden ist auf diese Weise im Wortanlaute je ein Konsonant in den schon aus anderen štokavischen Mundarten bekannten Beispielen dȉ (= gdje), tȉć (= ptić), čȅla (= pčela), kȁt - kȁjem (tkati, čem), eventuell auch in den auf Sp. 166 besprochenen Formen tȉja usw. für htio usw.; auf gleiche Weise ist ferner ein g in folgenden Beispielen geschwunden: ńȏj (= gńoj), ńȁt (= gńat „Schienbein“), ńȉla (= gńila), ńíjat (= gńeti „morschen“). Noch häufiger aber tritt dieser Schwund im Inlaute ein:

 

 

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Beispiele wie ȏd-odȇkar (= ovdje), gȍzdje (= gvozdje), sȅkar neben svȅkar, sȅkarva (= svekrva), tȑd (= tvrd), čettak (= četvrtak), sȁki neben svȁki, lȍka (in Acquaviva) neben lȍkva (in San Felice), wo die betreffende Konsonantengruppe durch den Schwund eines v erleichtert wird, oder wie nȃpri (= najprije), nabȍļi (= najboļi) usw., wo ein j schwindet, sind schon genügend bekannt (vgl. štok. Dial., Sp. 149—150); in unserem Dialekt greift aber die Erscheinung noch weiter: pȍla, prȍla usw., dann vȑla lautet die Femininform zum Partizip pòšȃ, pròšȃ usw., beziehungsweise vȑga; das „Zahnfleisch“ heißt dȇsa (aus desni), die „Spanne“ péļa (aus pedaļ - pedļa), die „Flinte“ pȕša, was ich aber eher an die ältere Form pukša zurückführen möchte, da sonst die Gruppe šk (der neueren Form puška) sich ganz gut erhält; aus slatka „süß“ ist slȁka geworden; neben bȁdńak hat Smodlaka, Posjet S. 34, auch ba’ńak; zu vàzȇt „nehmen“ lautet das Präsens vȁmem für vazmem usw.

 

In einzelnen Fällen geht so ein Konsonant auch in solchen Fällen verloren, wo er erst durch die Zusammenrückung zweier Worte zum Bestandteile einer Konsonantengruppe werden sollte; so sagt man z. B. wohl pȇt, aber pe-lȋri „fünf Lire“ und dem Präsens znȃm - znáem entspricht die negierte Form ne nȁdem, beziehungsweise die fragende kȍ-na? „wer weiß?“, die auch als Abverb in der Bedeutung „vielleicht“ gebraucht wird (kȍ-na sivȉdija „vielleicht hast du gesehen“); man sagt wohl in der Regel kȁd „wann?“, aber z. B. kȁ-si-nȉkla? „wann bist du geboren?“; so erklärt es sich auch, daß für usrěd „inmitten“ in der Regel nur usri gehört wird, z. B. usri-púta, da diese Präposition so gut wie nie selbständig verwendet wird. Diese Erleichterung der Konsonantengruppen gibt uns auch höchst wahrscheinlich die Erklärung dafür, daß die enklitische Form der 1. sing. des Verbums biti „sein“ immer sa lautet: diese Form wird nämlich mit dem folgenden, in der Regel konsonantisch anlautenden Worte eng verbunden ; nach sa hat sich dann auch die orthotonische Form jèsa sowie die verneinende Form nísa gerichtet.

 

Gegenüber dieser Abneigung des Dialektes für Konsonantengruppen ist es zunächst auffallend, daß die Gruppe skn, welche im Štokavischen sonst verloren gegangen ist,

 

 

173

 

sich hier erhalten hat: stȉsknit „zusammendrücken“ (= stisnuti) ; noch mehr auffallend ist es aber, daß die so wenig zahlreichen Konsonantengruppen, die im Štokavischen im Wortauslaute überhaupt möglich sind und in den Volksdialekten vielfach durch Aufgeben des letzten Konsonanten gemieden werden (kos, daž, groz für kost, dažd, grozd), in unserem Dialekt anstandslos geduldet werden : hrȃst, kȏst, plȃšt usw. ; nur in San Felice hörte ich zählen : jȇnas - dvȃnas - trȋnas „11-12-13“ (vgl. § 96), was wohl so zu erklären ist, daß die auf diese Konsonantengruppen auslautenden Substantive in den vokalisch auslautenden Casus obliqui eine Stütze für die Konsonantengruppen finden, die den Zahlwörtern fehlt. Dadurch aber, daß wortauslautende Vokale häufig verstummen, entstehen im Molisaner Dialekt im Auslaute nicht selten auch solche Konsonantengruppen, die sonst im Serbokroatischen unmöglich sind : dìvȏjk, fȗrt (für furnit), ȕ bačv (= u bačvu), stólc (= stolica) usw.

 

 

            § 70. (Wortkürzungen)

 

Anknüpfend an den Konsonantenschwund sollen einige Wortkürzungen erwähnt werden, die sonst im Serbokroatischen gar nicht bekannt sind: vȉt „sehen“ für vidȅti, čít „tun“ für činiti (und dementsprechend das Partizip part. act. II čȉja - čȋla.) ; fȗrt (Präsens fûrnim) „beendigen“ aus ital. fornire; na „ein“ für jedan; néļa „Sonntag“ neben nèdiļa; omblȃni „vor zwei Jahren“ für onomlani (mit eingeschobenem b, s. Sp. 174); óstat „lassen“ für ostaviti ; spòdȃr, spodàrica „Herr, Herrin“ für gospodar, gospodarica; sutrȋstra „morgen früh“, wohl für sutra iz jutra; ȗtra „drinnen, in“ (Acquaviva) für und neben ùnȗtra (S. Felice); vogóšt „heuer“ für ovo godište; vȏš-ki-grȇ „nächstes Jahr“ für ovo godište ki gre.

 

 

            § 71. (sekundäre Konsonanten)

 

Sekundäre Konsonanten sind immer eine ziemlich seltene Erscheinung, doch finden wir auch in unserem Dialekte einige Beispiele dafür. Vor allem wird auch hier ein vokalischer Anlaut durch ein j gedeckt: jȍpea „wieder“ aus opet, jùtoarak „Dienstag“, Jȃ = ital. Arcangelo, jápan „Kalk“ (so auch im Küstenlande) aus *apan, dann die vielen Beispiele mit ji- für i-; dieses j hat sich ursprünglich dann entwickelt, wenn dem vokalisch anlautenden Worte eine vokalisch auslautende Form vorausging,

 

 

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war somit seinem Ursprünge nach ein den Hiatus trennender Laut, daher hat auch der Molisaner Dialekt ȁjer „Luft“ von latein. aer, dvȃjaset „20“, trȋjaset „30“ aus dvaeset, trieset und regelmäßig ȗsta „Mund“, ȍgań „Feuer“, aber ȕ-jȗsta „in den Mund“, u jogań „ins Feuer“ (doch vgl. Sp. 151). In ähnlicher Weise hat sich wohl pòvača „Brotlaib“ aus *poača - pogača sowie Pȁvuj (s. Sp.171) aus Paulus entwickelt.

[[ Zusätze und Berichtigungen: das j in ajer ist ebenfalls italienischen Ursprunges (s. im Wörterverzeichnis). ]]

 

Wie schon Sp. 159 erwähnt, ist italienischen Ursprunges und für den Molisaner Dialekt besonders charakteristisch die Entwicklung eines b zwischen einem m und einem l oder r: mblîko „Milch“, mbrȃv „Ameise“, mblȃd „jung“, mblȃtat „dreschen“, mbrȋža „Netz“, omblȃni „vor zwei Jahren“ (s. Sp. 173), ȗmbriet „sterben“ und dazu ȕmbrala neben ȕmrla, zȅmbļa „Erde“ usw.

 

Vereinzelte Fälle eines sekundären Konsonanten sind: dȉmbok „tief“ aus dibok, wo sich die labiale Spirans vor der labialen Explosiva entwickelte, ebenso in bȗmblice neben bȕblice; prȍstrit „verzeihen“ aus prostiti durch Assimilation der zweiten Konsonantengruppe an die erste und (brȉstar-) brȉstra „hell; nüchtern“ durch Assimilation der ersten an die zweite Konsonantengruppe ; nȉkor „niemand“ mit Einschub des r in die Casus obliqui : gen. nȉkrog, dat. nȉkrom usw. oder vielleicht durch Metathesis aus nikogar(e), nikomur(e); schwer zu erklären sind aber die Formen ȕbica „Veilchen“ für ļubica und lȃvdica „Weberschiffchen“ für lađica; die letztere könnte durch Metathesis aus *ladvica entstanden sein, das zu lađa (urslaw. *ladja) in demselben Verhältnisse stehen würde wie etwa urslaw. * lędvьja „Rücken“ (russ. лядвія) zu *lędja (serbokroat. leđa).

 

 

3. Betonung und Quantität.

 

 

            § 72. (Prinzip der Betonung)

 

Wenn man an der im Archiv für slaw. Phil. Bd. XXX, S. 620 begründeten Ansicht festhält, daß die štokavische Betonung ursprüglich nur einen kurzen ( ̏ ) und einen langen ( ̑ ) fallenden Akzent hatte, während die čakavische (und kajkavische) außerdem noch einen langen steigenden ( ́ ) Akzent besaß, so ist es höchst wahrscheinlich, daß der Molisaner Dialekt auch seiner Betonung nach dem Štokavischen angehört,

 

 

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weil die allerdings sehr häufig vorkommenden steigenden Akzente in der Regel, wie im Štokavischen überhaupt, sekundären Ursprunges sind, d. i. sich vor älteren fallenden Akzenten auf der vorausgehenden Silbe entwickelt haben. Der Molisaner Dialekt hat nämlich, wie die meisten štokavischen Mundarten, die ursprüngliche („ältere“), auf dem oben erwähnten Grundsätze beruhende (štokavische) Betonung zum großen Teil durch die „neuere“ ersetzt, die fallende Akzente nur auf der ersten Silbe mehrsilbiger Wörter duldet. Unser Dialekt hat somit in den Fällen, wo das Štokavische den Akzent  ̑  hat oder voraussetzt, das Čakavische dagegen den Akzent  ́ , in der Regel den ersteren, z. B. pȗt, krȃļ, Krȗč, Rȋm, krȋž, klobȗk, kužitȗr, trdȗn: crȋkva, žȇđa; grȃńe, svȋtje, grȏzdje; stȃri, mblȃdi, lȋpi, žȗti; 3 sing. pȗše, vȃri, vȋče usw. usw. Allerdings kann man hie und da in' diesen Fällen auch steigende Akzente hören: críkva, príšt, lúg „Asche“, nóž usw., doch möchte ich diesem Umstande keine allzugroße Bedeutung beilegen, denn man kann den Akzent  ́  (besonders in Endsilben, bezw. auf einsilbigen Wörtern) auch in solchen Fällen hören, wo das Čakavische nicht diesen Akzent, sondern in Übereinstimmung mit dem Štokavischen den Akzent  ̑  hat, beziehungsweise haben würde, z. B. ļúd „Mensch“, dán „Tag“, šćér „Tochter“, sfrtunán(a) „unglücklich“, némaš „du hast nicht“, kvás „Hefe“ usw. Ich glaube daher, daß diese und ähnliche Fälle nicht als eine Spur der čakavischen Betonung aufzufassen sind, sondern als Beispiele des sogleich zu besprechenden Wechsels zwischen steigender und fallender Betonung, der im Molisaner Dialekte sehr häufig eintritt; denn ich habe weder bestimmte Kategorien von Formen, beziehungsweise Endungen, noch einzelne Wörter absondern können, wo allgemein und regelmäßig anstatt eines štokavischen fallenden langen Akzentes der čakavische lange steigende Akzent zu hören wäre; im Gegenteil in allen Fällen, wo das Štokavische den Akzent  ̑  hat, habe ich ihn auch im Molisaner Dialekt gehört und fand ihn nur ausnahmsweise durch  ́  ersetzt.

 

In bezug aber auf das Vorkommen des Akzentes ' unterscheidet sich der Molisaner Dialekt grundsätzlich vom gewöhnlichen Štokavischen auch dadurch,

 

 

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daß bei Wortformen, die auf der vorletzten Silbe diesen Akzent tragen, dieser im Molisaner Dialekt ohneweiters auch dann verbleibt, wenn die letzte Silbe offen ist und ihren Vokal verliert, so daß dann der Akzent ' wiederum auf die letzte Silbe, beziehungsweise auf einsilbige Wortformen zu stehen kommt, was bekanntlich sonst im Štokavischen nicht möglich ist ; so hat man gegenüber den normalen Formen tráva, gláva, zmíja, dála, zvála usw. im Molisaner Dialekt ganz gewöhnlich tráv, gláv, zmíj, dál, zvál usw., ebenso können die normalen Formen do kráļa, s Krúča, za spodára usw. ohneweiters lauten do kráļ, s Krúč, za spodár usw.

 

 

            § 73. (Lage des Akzentes)

 

Die Betonung des Molisaner Dialektes ist also in ihrem Grunde štokavisch ; sie steht aber auch der neueren štokavischen Betonung insoferne am nächsten, als in der Regel auch im Molisaner Dialekt diejenige Silbe betont ist, welche nach der neueren štokavischen Betonung den Akzent trägt, somit bleiben auch hier die älteren Akzente nur auf der ersten Silbe erhalten und werden von Inlautsilben auf die vorausgehende zurückgezogen. Diese Zurückziehung ist aber nicht vollständig durchgeführt, vielmehr hört man sehr oft die Übergangsstufe zwischen der älteren und der neueren Betonung, die darin besteht, daß die ursprünglich betonte Silbe den stärkeren, die vorausgehende dagegen den höheren (steigenden) Ton trägt, und die am zweckmäßigsten auf die Weise bezeichnet wird, daß man beide Silben mit den entsprechenden Akzentzeichen versieht (vgl. Betonung, Sp. 11). Besonders häufig hat man diese Doppelbetonung in den Fällen, wo die ursprünglich betonte Silbe lang, die vorausgehende dagegen kurz ist: bàlȗn, čìnȋmo, brìžńák, dàždȋ, dìvȏjka, pvȋ usw. usw. ; in diesem speziellen Falle hört man aber — wie vielfach noch in sonst gut štokavischen Mundarten i (vgl. Betonung, Sp. 13—14) — ebenso häufig, vielleicht auch noch häufiger die alte Betonung: bukȋr, berȃše, dasȃk, divȏjka, frabikatȗr, iznȗtra, kučȋna, laskȋta usw. usw. ; am seltensten kommen daneben neuere Betonungen vor: čìnī, dàždī, fùrńīva, g, nà kārt, pȍnīt (= ponijeti), tèčēm usw.

 

 

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Geht aber der ursprünglich langbetonten Silbe eine ebenfalls lange Silbe voraus, so tritt die ältere Betonung fast gar nicht und auch diese Doppelbetonung nur sporadisch auf : do zīdȋ, s rūkȏm, bzw. kípȋm, júhȇ, tétȇ usw.

 

In allen Fällen aber, wo die ursprünglich betonte Inlautsilbe kurz ist, tritt sie regelmäßig den Akzent der vorausgehenden Silbe ab und man kann nur selten eine ähnliche Doppelbetonung oder gar den alten Akzent hören: jèlȉtic, karìtȁ, mùstȁć, màčȉć, frátrȉc, óvȁn, krédȅam, rábȉt, kázȁla, bezw. crńȅli, popuļȉca, jūnȁc, rēpȁc, ndrńȅl B. 44, ognìšta B. 82. Jedenfalls sind aber diese letzteren Beispiele gegenüber der großen Masse der Fälle, wo der ursprüngliche Akzent von den Inlautsilben zurückgezogen wird, so selten, daß die Betonung unseres Dialektes, wenn man allerdings von den sehr häufigen Fällen mit dem Doppelakzent  ̀  ̑  absieht, entschieden als eine solche zu bezeichnen ist, die — was die Lage des Akzentes anbelangt — auf dem Prinzipe der neueren štokavischen Betonung beruht.

 

 

            § 74. (Schwanken der Betonung)

 

Die Bestimmung der Lage des Akzentes bietet somit in unserem Dialekte keine besonderen Schwierigkeiten, dagegen ist es oft nicht leicht zu sagen, welchen Akzent eigentlich die betreffende Silbe trägt. Vielfach ist nämlich der Akzent sowohl in bezug auf die Qualität, als auch in bezug auf die Quantität sehr schwankend und unbestimmt, so daß man von einer und derselben Person und bei einer und derselben Wortform bald einen steigenden, bald einen fallenden und dann wiederum auch einen sehr mäßig steigenden, fast ebenen Akzent zu hören bekommt; ebenso schwankt oft auch die Quantität der betonten Silbe und, während man einmal eine ausgesprochene Länge hört, hört man ein anderes Mal eine ebenso deutliche Kürze, um ein drittes Mal wiederum eine Mittellänge zu Gehör zu bekommen. Doch auch dieses Schwanken bewegt sich in bestimmten Grenzen: zunächst sind (primär oder sekundär) betonte Längen in der Regel nur einem Schwanken in bezug auf die Akzentqualität unterworfen: die Fälle, wo im Molisaner Dialekt der Akzent  ́  anstatt des nach dem Prinzipe der štokavischen Betonung zu erwartenden  ̑  erscheint, wurden schon Sp. 175 erwähnt ;

 

 

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aber es kommt auch die entgegengesetzte Erscheinung vor, nämlich, daß wir ein  ̑  an Stellen finden, wo nach demselben Prinzipe nur  ́  berechtigt wäre: pȋtaľ (für pítala), glȃva, dvȃjaset (für dvádeset), Blȃženica (zu blážen), stȋna (für stijèna), jȗnac, mblȋko (für mlijèko), pȏdne, pȋvac (für pijèvac) usw. usw. ; I aber auch in diesen Fällen hört man — analog den Fällen, wo  ́  für das zu erwartende  ̑  steht — den normal-štokavischen Akzent  ́  , so daß auch von dieser Seite die Ansicht bestätigt wird, daß es sich nicht um ein Schwanken zwischen čakavischer und štokavischer, sondern um ein solches zwischen steigender und fallender Betonung handelt. [1]

 

Kurzbetonte Silben sind dagegen in beiderlei Beziehung Schwankungen unterworfen, und zwar können sie kurz bleiben oder lang werden, den (nach der neueren štokavischen Betonung) normalen Akzent beibehalten oder an seine Ì Stelle den entgegengesetzten treten lassen, endlich können sie beide normale Akzente durch den neutralen ebenen und mittellangen ersetzen. [2] Es können somit folgende Änderungen eintreten:

1.  ̏  wird zu  ̑ , krȃv (krȁva), dȏm „zu Hause“ (dȍma), vȃn „hinaus“ (neben vȁn), do prȇj (od prȅđē), kȃka (kȁko), prȏs (prȍso), ȗmbrala (ȕmla), sȇam (sȅdam) usw.;

2.  ̏  wird zu  ̀ , nàpija (= nȁpio), rèka (rȅkao), pònij (pȍnio), kàka (kȁko) usw.;

 

 

1. Während ich langbetonte Silben regelmäßig als Längen vernahm (ich habe mir nur lȉpa für lijèpa, vȅzal für vézali und brāda für bráda notiert), bezeichnet sie Baudouin ziemlich häufig mit seinem einheitlichen kurzen Akzent   ̀ : zgùlija 5, grùbbi 12, trì 12. 13. 14, dvàjeset 14, su bìl „sie waren“ 14, su potèzal 14, kàzat 26, 26, plàćat 27 usw. ; es dürfte sich um mittellange Silben handeln, die ihm den normallangen gegenüber als kurz erschienen und die ich wiederum von den letzteren nicht unterschied.

 

2. Baudouin hat allerdings in seinen Texten nur einen kurzen Akzent, nämlich  ̀ , womit er augenscheinlich den kurzen fallenden Akzent bezeichnen will, ebenso hat er nur lange oder kurze und keine mittellangen betonten Silben; nur hie und da bezeichnet er unbetonte Silben mit dem Doppelzeichen , was wohl so viel zu bedeuten hat, daß die Silbe mittellang ist. Nichtsdestoweniger kann ich mit voller Bestimmtheit behaupten, daß es in unserem Dialekt tatsächlich auch fallend und steigend betonte Kürzen gibt, wie es (auch nach Baudouin) fallend und steigend betonte Längen gibt, ferner, daß man vielfach auch „eben betonte Mittellängen“ hört.

 

 

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3.  ̏  wird zu  ́  , prést (prȅsti), téb (tȅbe [im Küstenland]), um (dȍma), síjeat (= sijati) B. 3, níščo níšč (= nȉšta) B. 3 usw.

4.  ̏  wird zu  ̄  (mit  ̄  bezeichne ich aus typographischen Gründen den mittellangen ebenen Ton), jōpa (ȍpēt), vīt (vȉdjeti), krāv (krȁva), jīst (jȅsti), nā dug (nȁ dugo), māt (mȁti), sēkarv (svȅkrva) usw.; zumeist bleibt aber der kurze fallende Akzent — wie man aus meinen akzentuierten Texten ersehen kann — unverändert. Ganz anders steht es mit dem kurzen steigenden Akzent, der nur in dem Falle sich regelmäßig als solcher hält, wenn ihm eine lange Silbe folgt, also in Beispielen wie dìčȃļ, činȃše, dìvȏjk, vàsȇt oder čìnī, dàždī, fùrńīva usw., sonst aber wird der kurze steigende Akzent sehr häufig, besonders aber in (vollständigen oder abgekürzten) zweisilbigen Wortformen durch irgendeinen der übrigen Akzente ersetzt, nämlich:

 

1. durch  ̄  , hōt (= hòditi), jīgraju, ūbit (= ùbiti), nā mis (nà misu), dōmislil (= dòmislila);

2. durch  ́  , žén (= žènu), mója, óna, úbit (= ùbiti), stólic (= stòlicu), žénit (= žèniti), kóga, réc’ (= rèci), tvóril (= otvòrila), jés (= jèsi);

3. durch  ̏  , čȉn’ (= čìni), rȅkla (= rèkla), pȍla (= pòšla), stȅńat (= stèńati), gȍvoraše, ȕ bačvu ;

4. durch  ̑ , jȇna (= jèdan), sȇstr (= sèstra), mȃrtelom „mit dem Hammer“ (für màrtelom zu nom. martȇj), žȇn (= žèna) B. 2, usw. usw.

Seltener treten diese Akzentwechsel dann ein, wenn dem vorauszusetzenden  ̀  eine lange Silbe folgt: nāpri (= nàprijed), póša (= pòšȃ für pòšao), váka (= ovàkō), óva (= òvā), nȁpri (= nàprijed), nȍmo (= nèmōj), ȍve (= òvē), ȏsta (= òsta für òstao), sa zȏva B. 2 (= zòvē se) usw.

 

 

            § 75. (Verhältnis zur neueren štokav. Betonung)

 

Tatsächlich weicht also die Betonung des Molisaner Dialektes sehr häufig von derjenigen der Literatursprache ab, und zwar sind diese Abweichungen auf zwei Momente zurückzuführen: erstens hat sich bei ursprünglich langbetonten Silben zum Teil die ältere štokavische Betonung (divȏjka), beziehungsweise bei denselben, seltener auch bei ursprünglich kurzbetonten Silben die Mittelstufe (Zweisilben-Akzent) erhalten (dìvȏjka), die den Übergang von der älteren zur neueren Betonung (dìvōjka) vermittelt. Von dieser Seite befindet sich somit unser Dialekt auf derselben Entwicklungsstufe, die gegenwärtig auch mancher štokavische und čakavische Dialekt aufweist.

 

 

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Höchst wahrscheinlich haben diese Übergangsstufen alle serbokroatischen Mundarten durchgemacht, welche die neuere Betonung angenommen haben, wie es auch sehr wahrscheinlich ist, daß sich der Verjüngungsprozeß der štokavischen Betonung auf irgendeinem Punkte des štokavischen Sprachgebietes zu entwickeln begann (wohl in der jekavischen südlichen Herzegowina, wo er, wie es scheint, zuerst und jedenfalls am konsequentesten durchgeführt wurde) und von hier aus sich allmählich nach allen Seiten des štokavischen Gebietes verbreitete ; wenigstens lassen sieb keine stichhältigen Argumente gegen die Annahme einer solchen einheitlichen Bewegung in bezug auf das Štokavische anführen. Allerdings darf man andererseits nicht alle ähnlichen Erscheinungen auf Rechnung des Štokavischen setzen — ich meine, man darf nicht alle Erscheinungen, die äußerlich mit der neueren štokavischen Betonung mehr oder weniger übereinstimmen, auch in einen inneren Zusammenhang mit ihr bringen wollen; daher ist es wenigstens fraglich, ob man die teilweise verjüngte Betonung der übrigen serbokroatischen Hauptdialekte als eine Beeinflussung von Seite oder einfach als eine Annahme der neueren štokavischen Betonung erklären darf, denn dann könnte, beziehungsweise müßte man auch die zum Teil mit der neueren štokavischen Betonung übereinstimmende slowenische Akzentuation als eine „štokavische Beeinflussung“ erklären — und so weit dürfte, glaube ich, auch der enragierteste Verfechter der Entlehnungstheorie nicht gehen. Man kann es ja nicht genug oft wiederholen: genau dieselben sprachlichen Erscheinungen können sich vollkommen unabhängig voneinander auf verschiedenen Punkten eines und desselben Sprachgebietes (selbstverständlich noch leichter auf ganz verschiedenen Sprachgebieten !) entwickeln. Ein schönes Beispiel hiefür finden wir gerade auch in bezug auf die serbokroatische Betonung, von der jetzt die Rede ist: auf drei voneinander vollkommen getrennten Punkten, nämlich in Ragusa, dann in Trau und Umgebung und endlich in der sogenannten kano-Mundart in Zentral-Serbien finden wir,

 

 

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daß aus zwei kurzen Silben bestehende, ursprünglich endbetonte Wortformen auf der ersten Silbe den Akzent tragen: žéna, vóda, jézik, únuk; es wird nun niemand behaupten wollen, daß da ein innerer Zusammenhang bestehe, oder daß die eine Gegend auf die andere einen Einfluß ausgeübt habe, denn ein solcher ist ganz ausgeschlossen !

 

Wenn wir aber wenigstens in bezug auf das Štokavische an der allgemeinen Einheitlichkeit des Verjüngungsprozesses auf dem Gebiete der Akzentuation festhalten und an dieser allgemein štokavischen Bewegung auch den Molisaner Dialekt teilnehmen lassen, so folgt daraus, daß spätestens mit Ende des XV. Jahrhunderts in der ikavischen Gegend, aus welcher die Vorfahren unserer Kolonisten kamen, wenigstens der Anstoß zur Verjüngung der Betonung gegeben worden war, die möglicherweise erst in der neuen Heimat dem gegebenen Impulse entsprechend sich weiter entwickelte und zu dem gegenwärtigen Resultate führte.

 

Das zweite Moment, das bei der Entwicklung der Betonung im Molisaner Dialekte berücksichtigt werden muß, ist die italienische Aussprache, die, wie wir gesehen haben, überhaupt in bezug auf die Aussprache unseres Dialektes eine so große Rolle spielt: es hat sich also wohl die für das Serbokroatische, beziehungsweise für die neuere štokavische Betonung so sehr charakteristische Unterscheidung fallender und steigender Akzente erhalten, doch die einheitliche (fallende) Akzentuation des Italienischen wirkt zersetzend und wird es — wenn die Kolonisten ihre Sprache so lange erhalten werden! — mit der Zeit wohl dazu bringen, daß die steigenden Akzente durch die fallenden ganz verdrängt werden. Einstweilen ist es wohl diesem Umstande zuzuschreiben, daß die beiden Kategorien von Akzenten nicht mehr strenge und genau unterschieden werden, vielmehr sich gegenseitig ersetzen können, wobei, wie es scheint, schon jetzt häufiger steigende Akzente durch fallende ersetzt werden, als umgekehrt.

 

Warum aber ursprünglich kurzbetonte Silben in unserem Dialekte so häufig zu Mittellängen oder ausgesprochenen Längen werden, ist schwieriger zu sagen: mit der Entwicklung der neueren štokavischen Betonung steht das in keinem Zusammenhänge,

 

 

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ebensowenig kommen diesbezüglich die süditalienischen Dialekte in Betracht, da diese betonte Kürzen in der Regel unverändert erhalten. Es ist daher möglich, daß schon vor der Auswanderung aus der alten Heimat dort dieselbe Neigung vorhanden war, unter bestimmten Bedingungen kurzbetonte Silben zu verlängern, deren Folgen in küstenländischen Mundarten heutzutage konstatiert werden können, wie z. B. die früher (Sp. 181) erwähnte Verlängerung von Wortformen des Typus ženȁ zu žéna, die im Küstenstrich zwischen Traù und Sebenico auch mehr als zweisilbige Wortformen ergreift, z. B. zeléna, visóka, učínit (vgl. Betonung, Sp. 28), und überhaupt im Čakavischen aus ȁ ein mittellanges a mit „ebenem“ Akzent werden läßt (vgl. Archiv f. slaw. Phil., B. XVII, S. 195). Außerdem kann man wohl auch auf die starke Hervorhebung der betonten sowie den Schwund der unbetonten Vokale in den Auslautsilben hinweisen, die ebenfalls in der Richtung wirkten, daß die betonten kurzen Vokale an Gewicht, sowie durch eine Art Ersatzdehnung auch an Dauer gewannen.

 

Daß bei einer so schwankenden Akzentuation, wie sie der Molisaner Dialekt bietet, ein Vergleich mit der neueren štokavischen Betonung in bezug auf die einzelnen Wörter schwer durchzuführen ist, ergibt sich von selbst. Prinzipielle Unterschiede, die etwa ganze Kategorien von Fällen oder Wortformen umfassen würden, habe ich nicht konstatiert; aber auch im Detail können nur ganz vereinzelte Fälle angeführt werden, wo die Nichtübereinstimmung nicht durch das gezeigte Schwanken zwischen älterer und neuerer Betonung, bezw. zwischen fallend und steigend betonten, langen und kurzen Silben erklärt werden könnte; als solche können etwa gelten: jìziša = štok. izàšao, dann bei Baudouin: ulíza 44 = štok. ùļezao, pòsadi 45 = štok. posáditi, pòmozi 51 = štok. pomòzi, pròmīnit 56 = štok. promijèniti, nè grede 57 = ne grèdē, vìčȇras 58 = štok. večèras, ìzešă 59 = štok. izàšao, glávaru 66 = štok. glaváru, ù ogań 72 = štok. u ògań, — lauter Beispiele, wo in unserem Dialekt der Akzent auf die erste Silbe zurückgezogen wird; ausnahmsweise auch govóreš 73 = štok. gòvorīš.

 

 

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            § 76. (Quantität)

 

Da die Quantität der betonten Silben im Zusammenhänge mit deren Betonung erörtert wurde, so haben wir uns noch mit der Quantität der unbetonten Silben zu befassen. Hier lassen sich in bezug auf den Molisaner Dialekt folgende drei Prinzipien aufstellen :

 

    1. unbetonte Kürzen werden nie verlängert;

    2. unbetonte Längen können sich nur in der dem Akzente unmittelbar folgenden Silbe erhalten, daher weder vor der betonten Silbe, noch in einer ihr um mehr als eine Stelle folgenden Silbe ; ich habe mir allerdings einige Male auch Beispiele wie do zīdȋ, s rūkȏm, jūnȁc, rēpȁc (vgl. Sp. 177) notiert, doch will ich aufrichtig gestehen, daß es nicht unmöglich ist, daß ich mich geirrt habe und daß sie eher mit Doppelbetonung hätten bezeichnet werden sollen, also wie do zídȋ, s rúkȏm usw. Dagegen habe ich kein einziges Mal eine unbetonte Länge um mehr als eine Silbe hinter dem Akzente gehört ; allerdings sind die Fälle, wo eine solche Betonung möglich wäre, bei der starken Reduzierung der auslautenden Vokale in unserem Dialekte sehr selten; immerhin, wo sich ein solcher Fall ergibt, geht die Länge der unbetonten Silbe verloren: gòvoraše, gȍvoraše, zàhodaš(e), pògleda (3. sing. präs.) usw. [1]

    3. Möglich ist somit die Erhaltung einer unbetonten Länge nur an der ersten Stelle nach der betonten Silbe, aber auch hier nur in sehr beschränktem Umfange, nämlich in der Regel nur dann, wenn die betonte Silbe den kurzen steigenden Akzent trägt, also in Fällen wie čìnī, dàždī, tèčē usw., zu welchen ferner auch diejenigen hinzugerechnet werden können, wo die lange Silbe den stärkeren Ton beibehalten hat, also die Fälle mit Doppelakzent wie brìžńȃk, dàždȋ, pìvȋ usw., und endlich diejenigen, wo der normale steigende Akzent in unserem Dialekt durch den fallenden ersetzt wird: gȑ, ȕ-jūsta. [2]

 

 

1. Baudouin hat ein paar Beispiele, die davon abweichen: sèkolȋk 12. 13, sòpranȏm (= ital. sopranome) 62. 63, s kátinōm 45; in den beiden ersten Fällen hat wahrscheinlich der Sprechende die beiden Bestandteile des Kompositums etwas auseinandergehalten, daher bei Baudouin zwei Akzente; das dritte Beispiel ist mir dagegen verdächtig; sollte es nicht s kàtȋnom heißen?

 

2. Für diese Verbindung (gegenüber ústa) setze ich als normal die Betonung *ù-jūsta, entsprechend dem štokavischen nà vrāta gegenüber vráta.

 

 

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Geht aber der unbetonten Länge eine langbetonte oder eine kurze fallendbetonte Silbe voraus, so geht die unbetonte Länge in der Regel verloren: in ersterer Beziehung habe ich keine Ausnahmen konstatiert, denn Fälle wie kípȋm, s ústȋ (vrgl. Sp. 177) haben eigentlich Doppelbetonung, wo man von unbetonten Längen im eigentlichen Sinne des Wortes nicht sprechen kann. Besonders wichtig aber ist es, daß nach dem (primären) Akzent  ̏  die unbetonte Länge in der Regel gekürzt ist: vȅčer, pȍnila, zȁspal (= zȁspala), pȍčela, sȉnoć, jȁs̀ usav.; besonders deutlich tritt dies bei der Proklisis zum Vorschein: glávanȁ glavu, hlȃd ȕ hlad, mȏre ȕ moru, Rȋm ȕ Rim, Krȗč ȕ Kruč usw.; sporadisch aber habe ich auch die Länge erhalten gefunden : šȁļȁše, pȍnīla, krȉjūć, dann bei Baudouin : piìnēz g. pl. 30, piìnēze 33, pìnēze 69, dònīj 45 = štok. dȍnio für dȍnīl, šùrjākŭ 45, wozu auch diejenigen Fälle gerechnet werden können, wo Baudouin nach seinem  ̀  für štok.  ̏  eine unbetonte Länge nach Vuks Vorbild durch  ̑  bezeichnete: čèļȃd 23, ù grȃd 41, jìnȃče 58.

 

Daß die unbetonten Längen nach langbetonten Silben, sowie in den Fällen, wo sie um mehr als eine Stelle hinter der betonten Silbe stehen, verloren gehen, läßt sich leicht begreifen, denn in beiden Fällen mußten sie in unserem Dialekte gegenüber der stark hervorgehobenen betonten Silbe noch mehr zurücktreten; ebenso können wir leicht begreifen, daß sie sich unmittelbar hinter einer steigend betonten kurzen Silbe sehr gut erhalten haben: in diesem Falle nämlich haben wir es — wie schon gezeigt — zumeist mit einer Doppelbetonung zu tun, die eben der langen Silbe ihre Vollwertigkeit läßt, so daß hier eine allgemeine Kürzung der langen Silbe erst dann eintreten dürfte, wenn der Akzent   ̀  auf der vorausgehenden Silbe endgiltig auch den stärkeren Ton an sich reißen wird. Wo aber seit altersher die vorausgehende Silbe nicht nur den höheren, sondern auch den stärkeren Ton hatte, also in den Fällen, wo der unbetonten Länge ein (primärer) fallender Akzent vorausging, da wurde die Kürzung der unbetonten Längen schon fast konsequent durchgeführt. Vielleicht kam letzteres erst in der neuen Heimat unter dem Einflüsse des Italienischen zu stände,

 

 

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das bekanntlich unbetonte Längen nicht kennt, aber es ist auch leicht möglich, daß diese Eigentümlichkeit die Auswanderer aus ihrer Heimat mitbrachten, denn gerade in den südlichen čakavischen Dialekten gilt das Gesetz, daß nach dem Akzente unbetonte Längen gekürzt werden; es wäre somit nichts auffallendes, wenn auch in diesem Punkte der Molisaner Dialekt auf dem Standpunkte des Čakavischen stehen würde.

 

Bei den zerrütteten Quantitätsverhältnissen, die im Molisaner Dialekte herrschen, ist es sehr schwer, letzteren auch in dieser Beziehung mit der serbokroatischen Literatursprache zu vergleichen. Ich will daher nur folgende zwei Punkte berühren: erstens zeigen die Beispiele wie gȍzdje, gòdišr, sȉrišt, ògnište, daß unser Dialekt zu denjenigen in der Regel küstenländischen Mundarten gehört, in welchen bei den mit dem Suffix -ьje gebildeten Substantiven die Wurzelsilbe kurz bleiben, beziehungsweise das i des Suffixes -ište kurz sein kann (gvȍžđe, ògńište gegenüber gvȏžđe, ògńīšte) ; doch habe ich mir in letzterer Beziehung auch sirȋšt notiert und bei Baudouin finde ich strnȋšt 45. Zweitens ist es sehr auffallend, daß die gekürzten Infinitivformen do, pro, na usw. für doći, proći, naći usw. kurz sein können: dȍ, nȁ neben dȏ, prȏ usw., ferner, daß einsilbige auf -a für -ao ausgehende Partizipien m. sing. ebenfalls ein kurzes -a haben: pȁ „gefallen“, zvȁ „gerufen“, znȁ „gewußt“, spȁ „geschlafen“, šà B. 56 „gegangen“, stà B. 60. 61 „gestanden“; in bezug auf die ersteren kann man kaum an den sonst tatsächlich nicht selten eintretenden Quantitätswechsel denken, denn ein solcher tritt nur in der Richtung ein, daß von betonten Silben kurze gerne verlängert werden, nicht aber auch umgekehrt; was speziell die Partizipien pȁ usw. anbelangt, könnte man sagen, daß sie sich nach der Masse der übrigen Formen gerichtet haben, bei welchen das auslautende -a gekürzt wurde.

 

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