Die serbokroatischen Kolonien Süditaliens

Milan Rešetar

 

(B.) Grammatischer Teil.

 

II. Formen.

 

§ 77. — Allgemeines  (Spalte 185)

 

   1. Substantiva.

§ 78. — ъ/o-Stämme  188

§ 79. — Formen des Singularis  189

§ 80. — Formen des Pluralis  190

§ 81. — a-Stämme  194

§ 82. — Ausgleichung des Dat., Acc., Loc. sing.  195

§ 83. — i-Stämme  196

§ 84. — konsonantische Stämme  197

§ 85. — Dualis  199

 

   2. Adjektiva.

§ 86. — bestimmte und unbestimmte Deklination  200

§ 87. — Neutrum  202

§ 88. — Endungen  203

§ 89. — Motion  205

 

   3. Pronomina.

§ 90. — geschlechtliche Pronomina  205

§ 91. — Personalpronomen der 3. Person  208

§ 92. — andere Pronomina  209

§ 93. — ko und što  210

§ 94. — geschlechtlose Pronomina  211

 

   4. Zahlwörter.

§ 95. — die Zahlen 1-4  213

§ 96. — die höheren und die Ordnungszahlen  215

 

   5. Verba.

§ 97. — Allgemeines  216

§ 98. — Präsens  217

§ 99. — Imperativ  219

§ 100. — Imperfekt  220

§ 101. — Gerundium präs.  222

§ 102. — Infinitiv  223

§ 103. — Particip. prät. act.  224

§ 104. — Particip. prät. pass.  225

§ 105. — zusammengesetzte Verbalformen  225

 

III. Aus der Syntax.

§ 106. — Italianismen  225

§ 107. — Čakavismen  228

§ 108. — andere Eigentümlichkeiten  231

§ 109. — Sprachfehler  233

 

 

II. Formen.

 

            § 77. (Allgemeines)

 

Der Bestand an Formen ist im Molisaner Dialekt viel einheitlicher als derjenige an Lauten, denn man kann nicht eine einzige Form anführen, die dem štokavischen Dialekt fremd und dem čakavischen eigen wäre ; dagegen weist auf den innigen Zusammenhang mit den übrigen štokavischen Mundarten der Umstand hin, daß auch in unserem Dialekte im Pluralis der Deklination der Dativ, Instrumental und Lokal eine einheitliche Endung angenommen haben, — eine Entwickelung, die wohl noch im Mutterlande ihren Anfang nahm, aber erst in der neuen Heimat durchgeführt wurde, denn speziell der Loc. pl. wurde bekanntlich im Štokavischen (und auch das nicht durchgehends !) erst im Laufe des XVII. Jahrhunderts mit den übrigen zwei Kasus ausgeglichen. Und wenn wir im Gen. pl. der Substantiva die spezifisch štokavische Endung -ä nicht finden, so kann das nicht als ein „Čakavismus“ bezeichnet werden, denn um die Wende des XV. und XVI. Jahrhunderts waren im Štokavischen die Formen ohne -ā ebenso gewöhnlich wie diejenigen auf -ā. Trotzdem also die Formen des Molisaner Dialektes rein štokavisch sind, weicht er diesbezüglich von den übrigen štokavischen Mundarten nicht unwesentlich ab und zwar erstens infolge des vom Italienischen ausgeübten Einflusses und zweitens infolge der unbestimmten und reduzierten Aussprache kurzer Vokale in den offenen Auslautsilben. Auf italienischen Einfluß ist es zurückzuführen, daß in der Deklination der Voc. sing. der männlichen Substantiva als selbständige Form fast spurlos verschwunden ist, ferner daß der Acc. sing. von lebende Wesen bezeichnenden Substantiven dem Nominativ gleich sein kann, endlich, daß die Substantiva sächlichen Geschlechtes als selbständige Genuskategorie verschwanden, indem sie in syntaktischer Beziehung mit den männlichen Substantiven zusammenschmolzen und auch ihre speziellen Endungen fast gänzlich aufgaben. In der Konjugation äußerte sich wiederum der italienische Einfluß darin, daß das auch in den italienischen Mundarten ganz gut erhaltene Imperfekt sich auch in unserem Dialekte erhalten hat, während der Aorist,

 

 

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welcher dem in denselben Mundarten verloren gegangenen einfachen Perfekt entspricht, auch in unserem Dialekt spurlos verschwunden ist; slawisch ist diese Entwickelung wohl nicht, denn — insoferne sich dies in den slawischen Sprachen kontrollieren läßt — scheint es gewiß zu sein, daß hier früher das Imperfekt und erst später der Aorist verloren geht; für den italienischen Ursprung dieser verschiedenen Entwickelung des Imperfektums und Aoristes spricht entschieden auch die Tatsache, daß auch bei den venezianischen Slowenen wohl das Imperfekt, nicht aber der Aorist vorkommt. Deswegen ist ohne Zweifel auf italienischen Einfluß auch der Umstand zurückzuführen, daß der Molisaner Dialekt wohl das Gerundium der Gegenwart, nicht aber dasjenige der Vergangenheit kennt, weil eben auch das Italienische nur für die Gegenwart eine (einfache) Form besitzt (amando gegenüber dem zusammengesetzten avendo amato für die Vergangenheit), obschon speziell der Verlust des Gerundium praet. auch von selbst sich hätte einstellen können, wie dies vielfach auch in den štokavischen Dialekten der Fall ist (vgl. štok. Dial., Sp. 193).

 

Noch mehr zersetzend wirkte aber die dem Molisaner Dialekte eigene Aussprache der kurzen Vokale in offener Auslautsilbe, denn dadurch wurden einerseits Endungen wie -i und -e, -e und -a, -a und -o, -o und -u miteinander zusammengeworfen, während andererseits durch Reduzierung und Schwund derselben Endungen für verschiedene Kasus eine gemeinsame konsonantisch auslautende Form gewonnen wurde, was Makušev (Записки, S. 52) dazu verleitete, den Satz zu formulieren, daß die Deklination der Substantive im Molisaner Dialekte im allgemeinen verloren gegangen sei. In der Tat ist dies aber nicht der Fall, denn die Kasus, die — so besonders in der pronominal-adjektivischen Deklination — einen Konsonanten oder eine ganze Silbe als Suffix haben, gehen in der Regel nicht verloren; somit wird z. B. der Instr. sing. durch sein Suffix -m immer von den übrigen Kasus strenge unterschieden und der Genetiv oder Dativ plur. wird bei den Pronominen und Adjektiven nie mit dem Nominativ-Akkusativ ausgeglichen.

 

Als Resultat dieser beiden in Betracht kommenden Momente ergibt sich somit ein Verlust an alten Formen,

 

 

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weswegen es auch von vornherein nicht zu erwarten wäre, daß sich in unserem Dialekte neue Formen entwickelt hätten. Nichtsdestoweniger mache ich auf die Endung -hi der Gen. plur. in der pronominal-adjektivischen Deklination und auf die Endung hu der 1. sing. beim Imperfekt aufmerksam. Eine sehr auffallende Neuerung finden wir aber in der Ausgleichung alter Formen : bei den Femininen hat der Acc. sing. den Dativ gänzlich verdrängt, so daß z. B. ovu ženu für beide Kasus gilt; noch auffallender ist es aber, daß bei den Pronominen im geraden Gegenteil der Acc. sing. durch den Dativ ersetzt werden kann, so daß die Formen òvȏj, ńȏj usw. auch die Funktion des Acc. sing. übernehmen, beziehungsweise übernehmen können (vgl. § 90). Dagegen ist der (vorwiegende?) Ersatz des Lokalis durch den Akkusativ etwas, was mit ähnlichen Erscheinungen in štokavischen Mundarten im Zusammenhänge steht.

 

 

1. Substantive.

 

 

            § 78. (ъ/o-Stämme)

 

Die ъ/o-Stämme haben den syntaktischen Unterschied zwischen Substantiven männlichen und sächlichen Geschlechtes ganz aufgegeben, somit sagt man nicht nur òvȋ kōlin (štok. ovo koļeno), òvȋ jȃj (štok. ovo jaje), òvȋ klúpak (štok. ovo klupko) usw., indem Neutra tatsächlich wie männliche Substantive aussehen, was besonders in Fällen wie klupak für klupko sicher steht, da kolin, jaj usw. einfach durch Schwund des auslautenden kurzen Vokals entstanden sein können, — sondern auch in den Fällen, wo die Endung sächlicher Substantive, sei es als ein voller oder als ein reduzierter Vokal erhalten bleibt, wird damit ein pronominales oder adjektivisches Attribut männlichen Geschlechtes verbunden, man sagt somit auch òvȋ gȍzdje, òvȋ grȏzdja, òvȋ díte usw. Formell ist nämlich das Genus neutrum beim Substantiv noch nicht verschwunden und man kann, so besonders bei ursprünglichen je- und t-Stämmen, das auslautende e ziemlich häufig hören, und zwar bald als ein volles oder reduziertes e, bald wiederum (nach § 56) als ein a. Dagegen im Pluralis ist auch der formelle Unterschied nicht mehr vorhanden, indem hier Masculina und Neutra in allen drei in Betracht kommenden Kasus (Nom, Akk., Vok.) gleichmäßig behandelt werden.

 

 

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Schwer ist es zu sagen, ob sich ein Unterschied in der Deklination palataler und nichtpalataler Stämme erhalten habe, denn der Voc. sing., wo dieser Unterschied am deutlichsten hervortreten könnte, ist in unserem Dialekt als selbständiger Kasus verloren gegangen. Im Instr. sing. aber kann sowohl das unbetonte -om der nichtpalatalen Stämme, als auch das -em der palatalen zu einem mehr oder weniger ausgeprägten -am oder -om, -em werden, so daß man selten ein ganz deutliches -om, beziehungsweise -em zu hören bekommt, z. B. s ļȗdem „mit dem Menschen“, spodárem „mit dem Herrn“, s brȁtam „mit dem Bruder“, s nóžem „mit dem Messer“, púteam „unterwegs“; doch da ich andererseits bei palatalen Stämmen ebensowenig ein deutliches -om gehört habe, so möchte ich wohl sagen, daß der Unterschied zwischen beiden Reihen von Stämmen noch nicht ganz verwischt ist, umsomehr, als ich in den äußerst seltenen Fällen, wo im Pluralis der Stamm auf die bekannte Weise erweitert wird, den vorauszusetzenden Unterschied konstatierte: sȉnovei, pȃr vȍlōv (in San Felice), aber Nom. plur. mȕževe.

 

 

            § 79. (Formen des Singularis)

 

In bezug auf die einzelnen Kasus ist zunächst daran zu erinnern, daß die kurzvokalischen Endungen des Gen., bei lebenden Wesen auch des Akk., ferner des Dat. und Lok. auch reduziert sein, beziehungsweise ganz schwinden können, was in allen folgenden Paradigmen dadurch bezeichnet werden soll, daß der betreffende Vokal in Klammern gesetzt wird. Der Akk. kann aber bei solchen männlichen Substantiven, die lebende Wesen bezeichnen, durch den Nom. ersetzt werden, ebenso kann der Lok. mit dem Akk. (Nom.) gleichlautend sein, was nicht, wenigstens nicht immer durch Schwund der Endung -u erklärt werden kann, sondern — wie auch im Plur., wo ein solcher Schwund der Endung nicht eintreten kann, — auch einen vollständigen Ersatz des Lok. durch den Akk. voraussetzt, z. B. vȁzet bȏg na-ȏltar ,kommunizieren' (eigentlich ,Gott am Altar einnehmen'), dànas sa-kúpija jȅna lípi vȏ „heute habe ich gekauft einen schönen Ochsen“, poznáješ tȋ ònȋ dičáļ ? „kennst du jenen Burschen?“ usw.

 

 

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Für den Lokal habe ich mir auch die Form pri ógńie „beim Feuer“ notiert und man kann wohl annehmen, daß bei dieser stehenden Formel sich die Endung -i erhalten habe, welche in älterer Zeit auch im Štokavischen so häufig dem urslaw. -i der palatalen und -ě der nichtpalatalen Stämme entsprach. Der Vok. ist verloren gegangen und wird konsequent durch den Nom. vertreten; die ursprüngliche Form hat sich nur in bȍže „Gott!“ erhalten.

 

 

            § 80. (Formen des Pluralis)

 

Im Pluralis tritt sehr selten die Erweiterung des Stammes durch -ov-, beziehungsweise -ev- ein; ich habe mir nur folgende Beispiele notiert : sȉnovei, (pȃr) vȍlōv (in San Felice), mȕževe. Auch die im Plur. sonst im Štokavischen so häufig ein tretende (zweite) Palatalisierung von Gutturallauten habe ich nur bei rȏg „Horn“, plur. rȍze, vȗk „Wolf“, plur. vȗce gehört, dafür aber geht sie durch den ganzen Pluralis, somit hat man sie auch im Instr. s rȍzami „mit den Hörnern“; dazu kommt noch vrȃg „Teufel“, plur. vrȃzi: ti jìmaš vrȃzi ŭ dòm B. 36. An Endungen hat man nur wenige: eine für den Nom., Akk., Vok., welche drei Kasus bei allen deklinierbaren Stämmen im Pluralis immer gleich sind, dann eine für den Dat., Instr. und Lok., und endlich die dritte für den Gen. Der Lok. kann aber wie auch im Sing, durch den Akk. ersetzt werden und tatsächlich habe ich (vielleicht nur zufällig) für diesen Kasus nur solche Beispiele, wo dieser Ersatz stattgefunden hat; da ich aber bei den a-Stämmen sichere Beispiele dafür habe, daß der Lok., insoferne er nicht durch den Akk. ersetzt wird, dieselbe Endung wie der Dat. und Instr. hat, so können wir ruhig annehmen, daß dasselbe auch bei den ъ/o-Stämmen der Fall ist.

 

Die Endungen des Pluralis sind: a/e für den Nom.-Akk.-Vok., -ami für den Dat.-Instr.-Lok. und -i, beziehungsweise gar keine Endung für den Gen. Die Deutung der ersten Endung ist nicht ganz sicher; man hört (bei männlichen und sächlichen Substantiven) zumeist ein volles oder reduziertes -a, etwas seltener ein ebensolches -e oder -ei, sporadisch auch ein -i, welche Endungen auch vollständigem Schwund platzmachen können. Ist das im Grunde eine und dieselbe Endung, verschieden nuanciert, und von welcher muß man in diesem Falle aus gehen, oder sind das verschiedene Endungen, die miteinander abwechseln?

 

 

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Letzteres wäre wohl möglich, denn es wäre gewiß nichts ungewöhnliches, daß das -e des Acc. masc. auch für den Nom. eine Anwendung fände und daß sich daneben das -i des Nom. masc. (als -i oder -ei) sporadisch erhalten hätte; ebenso könnte man daran denken, daß das -a eigentlich die organische Endung des Nom. Acc. neutr. sei, die auch auf die männlichen Substantive übertragen worden sei. Ich neige aber eher zu der Ansicht hin, daß wir es eigentlich nur mit einer Endung zu tun haben, und zwar mit der einheitlichen Endung -e des Acc. masc. und des Nom. Acc. fem., die auch sonst in der slawischen Deklination die übrigen Endungen verdrängen kann; dafür spricht auch der Umstand, daß auch im Dat.-Instr.(-Lok.) die organische Endung durch diejenige der a-Stämme ersetzt worden ist. Dann hätten wir von dieser einheitlichen Endung -e auszugehen, die nach § 56 im absoluten Auslaute in der Regel eine breitere Aussprache (a), sporadisch auch ein engere (ei-i) annimmt; dadurch erklärt sich auf das ungezwungenste auch die weitere Erscheinung, daß Pronomina und attributivisch gebrauchte Adjektiva in der Regel im Nom. Akk. plur. masc. (et neutr.) auf -e ausgehen, wenn auch das entsprechende Substantiv auf -a ausgeht, man sagt z. B., oder man kann auch sagen, òve dobre ļȗde und òve dobre ļȗda mit -e oder -a heim Substantiv, aber nur mit -e beim Pronomen und dem Adjektiv, und zwar deswegen, weil das substantivische -e kurz, das pronominal-adjektivische dagegen, wenigstens ursprünglich lang ist, weswegen auch letzteres der schwankenden Aussprache der unbetonten Vokale im Wortauslaute nicht oder wenigstens noch nicht unterliegt; noch mehr fällt aber ins Gewicht, daß beim Pronomen ta „dieser“ der Nom. plur. masc. ausschließlich tȇ lautet, z. B. tȇ ļȗda, tȇ kȍńa usw., denn hier haben wir eine akzentuierte lange Endung, wo ein etwa vorhandenes -i unmöglich durch ein -e ersetztwerden könnte, da dies eben nur bei unbetonten kurzen Vokalen möglich ist (vgl. jedoch § 81); nicht weniger wichtig ist es, daß der Nom. plur. masc. „alle“ sve oder se lautet, denn auch hier hätte sich ein betontes -i gewiß erhalten.

 

Die Endung -ami des Dat.-Instr.(-Lok.) bedarf keiner Erklärung;

 

 

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sie ist ganz einfach die Endung des Instr. plur. der a-Stämme, die auch in anderen štokavischen Mundarten bei den a-Stämmen als gemeinsame Endung dieser drei Kasus gilt (vgl. štok. Dial., Sp. 156); man sagt somit z. B. dȃj tȏ ȍnimi ļȗdami, „gib dies jenen Menschen“, dȃj jȉst vōlami (kōńami) „gib den Ochsen (den Pferden) zu fressen“, je-ga-ùjij zùbami „er hat ihn mit den Zähnen gebissen“, nȍmo ìst s pȑstami „iß nicht mit den Fingern“, jȗnca ubȃdaju s rȍzami „die jungen Rinder stechen mit den Hörnern“, dànas mȁ sa-pȏć štìvatami kȁ je-kȁša „heute muß man mit den Gamaschen ausgehen, weil es kotig ist“ usw.; für den (selten vorkommenden) Lok. habe ich, wie gesagt, keine Beispiele auf -ami, sondern nur solche, wo dieser Kasus durch den Akk. ersetzt ist, z. B. štȍ jȉmaš nā-prsta? „was hast du an den Fingern?“ na-nȁše grada se-žȋvi dóbroa „in unseren Ortschaften lebt man gut“, što jȉmaš ȕ-jūsta? „was hast du im Mund?“ na-tȕna púta je-kȁš „alle Wege sind kotig (auf allen Wegen ist Kot)“ usw. Daneben findet man sowohl für den Dativ, als auch für den Instrumental (vielleicht auch für den Lokal!) eine Form auf -i: čít dōbro òvimi pelegríni „Gutes tun diesen Pilgern“, jȉdemo s ústi (s ȗsti), „wir essen mit dem Mund“, rukávi s pulzȋni „Ärmel mit Manschetten“, s ńégovimi brìjȃni B. 13 „mit seinen Briganten“; man geht kaum irre, wenn man in diesem -i die ältere (serbokroatische) Endung des Instr. plur. der ъ/o-Stämme sieht, die in älterer Zeit infolge der allmählichen Ausgleichung des Dat. und Instr. plur. sporadisch auch für den ersteren Kasus angewendet wurde (vgl. Daničićs Историіа облика, S. 96); gegen diese Annahme würde nur der Umstand sprechen, daß in den übrigens sehr seltenen Fällen von alter oder Doppelbetonung dieses -i lang ist, s jājȋ „mit Eiern“, s ústȋ „mit dem Munde“, während das -i des Instr. plur. im Serbokroatischen (vor allem im Čakavischen, vgl. Nemanić, čakav.-kroat. Studien, Heft I, S. 14, 15ff.) kurz ist. Lang ist dagegen sowohl sonst im Serbokroatischen als auch speziell in unserem Dialekte (wenn betont!) das -i des Gen. plur.; doch glaube ich nicht, daß in Fällen wie s jājȋ usw. ein syntaktischer Ersatz des Instr. durch den Gen. stattgefunden habe:

 

 

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es ist vielmehr nur eine äußere Anlehnung des selten vor kommenden -i des Instr., an das viel häufigere und, wenn betont, lange -i des Gen. eingetreten, denn sonst wird mit der Präposition s (in der Bedeutung „mit“) ausschließlich der Instr. verbunden.

 

Der Gen. geht in der Regel auf ein -i aus, welches, wenn es unter dem alten oder einem Doppelakzent steht, lang ist: kôńi - kȍńi, pȑsti, pȍpi, nȍzi, dȃni, dȑvi „Holz“ usw., beziehungsweise ļūdȋ, zīdȋ, črvȋ „Würmer“, jájȋ, gòštȋ „Jahre“ usw.; diesesist die ursprüngliche Endung der i-Stämme, die sich in allen serbokroatischen, besonders aber in čakavischen Dialekten, von dort aus auch zwischen die ъ/o - Stämme verbreitete. Nichtsdestoweniger möchte ich in der Bevorzugung dieser Endung -i keinen „Čakavismus“ unseres Dialektes erblicken, da eine häufigere Anwendung dieser Endung bei den ъ/o - Stämmen im Čakavischen nur in neuerer Zeit beobachtet werden kann; bis gegen Ende des XV. Jahrhunderts hielten die čakavischen Mundarten an der normalen Endung des Gen. plur. fest. Diese letztere Endung, die der urslawischen Endung -ъ, bezw. -ь entpricht und nach Schwund des Halbvokals konsonantisch auslautet, hat sich sporadisch auch in unserem Dialekt erhalten: nìje pinȇz - pinéz „es gibt kein Geld“, pȕna gríh „voll Sünden“, nȁza vrȃt „hinter der Tür“, do-vrát „von der Tür“; das erste Beispiel, das ich mehrere Male deutlich hörte, steht vollkommen fest und kann nicht durch Schwund eines unbetonten auslautenden Vokals gedeutet werden; abgesehen davon, daß das -i des Gen. plur. ursprünglich lang ist, daher nicht schwindet, würde ein auf -i ausgehender Gen. plur. bei diesem Substantiv ohne Zweifel die Betonung pȉnezi haben.

 

Für die Deklination der ъ/o - Stämme ergibt sich somit folgendes Paradigma :

 

Sing., nom.,  voc. pop

            gen. pop(a)

            dat., loc. pop(u)

            acc. pop(a) - pop

            instr. popom

 

Plur., nom., acc., vok. pop(e/a)

            gen. popi, pinez

            dat., instr. popami, popi

            loc. popami? popi? pop(e/a).

 

 

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            § 81. (a-Stämme)

 

Bei der Deklination der a-Stämme begegnen wir einigen Erscheinungen, die uns schon bekannt sind: so ist auch hier der Vokativ (im Sing, und Plur.) gänzlich geschwunden und durch den Nominativ ersetzt worden, der häufig auch die Stelle des Akkusativs vertritt, wie es sich von selbst versteht, daß die kurzen Endvokale des Nom. sing. usw. reduziert werden, bezw. schwinden können. Im Pluralis finden wir die Endung -ami (vgl. Sp. 191) ganz bestimmt auch für den Lokal, somit nicht nur rȅc’ ònimi žènami „sage jenen Frauen“, dȃj jȉst ōvcami „gib den Schafen zu fressen“, bezw. s mòjimi sèstrami „mit meinen Schwestern“, štōkni škȁrami „schneide mit der Scheere ab“, sondern auch na nȍgami „zu Fuß“, štȍ jȉmaš na rùkiami ? „was hast du in den Händen?“, po hìžami B. 13 „in den Häusern“, štȃp ka-jȉmas rùkami „der Stock, den du in den Händen hast“, ȏn sìdȋ škȁlami „er sitzt auf der Stiege“, wo der Lokal zum Teil ohne Präposition steht (vgl. § 108); es versteht sich aber von selbst, daß auch hier der Lokal durch den Akkusativ ersetzt werden kann, z. B. dži u-rȗk „er hält in den Händen“, sìdȋ nà-škal „er sitzt auf der Stiege“. Auch für den Gen. plur. bestehen die beiden gleichen Endungen: die normale, wie žén, rȗk, nóg, ȍvāc - ovȃc, smȍkav, slȋv „Pflaumen“, bȉčav, lír „Lire“, hȋž, dasȃk „Bretter“ usw., und diejenige der i-Stämme, wie sēstri, fùneštri „Fenster“, crȋkvi „Kirchen“, úrȋ „Stunden“, (pȇt) stȍtini „500“ (in San Felice), lȋri „Lire“ usw. Vereinzelt steht die Form dìcȏv - dicóv als Genitiv zu dìca (neben den normalen dìcȇ); es ist wohl eine Anlehnung an den Gen. pl. sinov nach dem Prinzipe „a potiori fit denominatio', da eben bei „Kindern“ die „Söhne“ die Hauptrolle spielen; diese Form wird als echte Pluralform behandelt, z. B. do tvòjihi dìcȏv, wonach sich auch die normale Form dìcȇ richten kann, z. B. d’ ȍvihi dìcȇ „von diesen Kindern“.

 

Von den ъ/o - Stämmen weichen die a-Stämme in zwei Punkten ab; im Nom., Akk., Vok. plur. sollten wir neben dem organischen -e ebenso häufig wie bei den männlichen (und sächlichen) Substantiven auch ein ea, bezw. volles oder reduziertes a finden, in der Tat aber trifft dies nicht zu und habe ich mir letzteres nur sehr selten notiert,

 

 

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weil ich in der Regel ein volles oder reduziertes -e, bezw. vollständigen Schwund des Vokals zu hören glaubte. Ich muß daher auch hier die Möglichkeit einer Täuschung oder Selbstsuggestion zugeben: ein -ea oder reduziertes a konnte mich bei a-Stämmen gegenüber dem von mir gesprochenen organischen -e weniger befremden, als dies gegenüber dem -i der männlichen Substantive der Fall sein konnte; ist dies aber nicht der Fall und wird bei den ъ/o - Stämmen in diesen drei Kasus vorherschend oder wenigstens sehr häufig neben -e auch -a gesprochen, bei den a-Stämmen dagegen fast ausschließlich -e, so würde uns das wohl zwingen, für diese Endung bei den ъ/o-Stämmen eine andere als die auf Sp. 191 gegebene Erklärung zu suchen; dann müßte man wohl in erster Reihe doch an das -a der Neutra denken.

 

 

            § 82. (Ausgleichung des Dat., Acc., Loc. sing.)

 

Ein Novum gegenüber den ъ/o - Stämmen und überhaupt eine bis jetzt in der slawischen Sprachenwelt nicht beobachtete Erscheinung bildet bei den a-Stämmen die Ausgleichung des Dat. und Lok. sing. mit dem Akk. sing.: ženu ist somit die gemeinsame Form für alle diese drei Kasus und man sagt neben si-vȉdija mòju séstru? auch rȅc’ mòju séstru „sage meiner Schwester“ und rȉbe žȋvu ȕ-vodu „die Fische leben im Wasser“. Das Auffallende dieser Erscheinung wird noch dadurch gehoben, daß bei den Pronomina, wie schon erwähnt, die orthotonische Form des Akk. sing. fem. durch die entsprechende Form des Dativs vertreten werden kann (s. § 90), so daß beide Erscheinungen zusammengenommen ein sehr schwer zu lösendes Rätsel bilden, denn es fehlt an jedem Analogievorbild; das noch am meisten Wahrscheinliche ist aber, daß zunächst der Dativ mit dem Akkusativ ausgeglichen wurde, und zwar durch Anlehnung an die ъ/o - Stämme, die im Dativ sing. die Endung -u haben, wozu wir eine Parallele im Instr. sing. der a-Stämme hätten, die im Štokavischen bekanntlich ihre ursprüngliche Endung -ov zu gunsten der Endung -om der Maskulina und Neutra aufgegeben haben. Nachdem dann auf diese Weise der Dativ die Endung -u annahm, richtete sich nach ihm auch der Lokal, bezw. wurde er, wie auch bei den ъ/o - Stämmen, durch den fertigen Akkusativ ersetzt;

 

 

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dies würde uns erklären, daß beim Lokal teils die ursprüngliche ( Betonung dieses Kasus, teils diejenige des Akkusativs Vorkommen kann; wir hätten somit in Fällen wie na rúku; u rúku „auf der Hand“, na nóg „am Fuße“ eigentlich Beispiele des Lokalis mit der neuen Endung -u, dagegen in Fällen wie ȕ-vodu „im Wasser“, nā-zembļu „am Boden“ Beispiele des echten Akkusativs als Vertreters des Lokalis; doch darf man nicht vergessen, daß die Gesetze der Proklisis in unserem Dialekte nicht so strenge eingehalten werden, so daß auch na rúku, na nóg echte Akkusative sein könnten, die den Akzent des Nominativs beibehalten haben.

 

Als Paradigma für die a-Stämme kann somit aufgestellt werden:

 

Sing.   nom., voc. žen(a)

            gen. žene

            dat., acc., loc. žen(u)

            instr. ženom

Plur.   nom., acc., voc. žen(e)

            gen. žen, sestri

            dat., instr., loc. ženami.

 

 

            § 83. (i-Stämme)

 

Durch diese beiden Paradigmen — das eine für die männlichen (und sächlichen) Substantive, das andere für die weiblichen — ist die substantivische Deklination in unserem Dialekt eigentlich erledigt, denn die dritte Deklination, die sich im Serbokroatischen erhalten hat, nämlich diejenige der weiblichen i-Stämme, ist hier vollständig verloren gegangen, da die wenigen hieher gehörenden Substantive, welche sich in unserem Dialekte erhalten haben, zu einer der beiden ersten Deklinationen übertreten, nämlich zu der a-Deklination, wenn sie als Feminina verbleiben, oder zur ъ/o - Deklination, wenn sie Maskulina werden ; dementsprechend wird stvar „Sache“ zu stvȃra, noć „Nacht“ zu nȏć(a) (z. B. òva nȏuć je-čȕdo dȕga), rěč „Wort“ zu rȋča (na-rȋča „ein Wort“, dvȋ rȋče); dagegen kost „Bein“ wird zu einem Maskulinum kȏst (z. B. òvi kȏst je-tȑd; dȍ kosta „aus Bein“; n. pl. kȍsta; s kōusti se-ne-čìni júh „aus Beinen macht man keine Suppe“, somit ist s kōusti ein Instr. pl. nach § 80), ebenso peć „Ofen“ (z. B. òvi pȇć nìje vȅć dȍbar), kȑv „Blut“ (je mi zèša kèrv B. 47 „es ist mir Blut geronnen“), sol „Salz“ (òvȋ sȏ nìje bȉja „...ist nicht weiß“),

 

 

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pamet „Vernunft“ (ļȗd do pȁmeta). Zu Maskulinen werden auch die ursprünglichen Dualformen oči, uši: ȍko, pl. ōč(a), ȕha, pl. ȕša, mit dem Genitiv ȋ - ȋ (z. B. dòlȗr do-očȋ, dòlȗr do-ušȋ „Augen-, Ohrenschmerzen“) und mit dem (nach § 80) gleichlautenden Instrumental z. B. glȅdamo s očȋ, slȕšamo s ušȋ; ebenso wird aus prsi „Brust“ ein Maskulinum der Einzahl : ȍvi pȑs. Für die Zuweisung zu der einen oder der anderen Deklination war das Genus des entsprechenden italienischen Ausdruckes maßgebend, denn es entsprechen sich: stvȃra fem. und la cosa, nȏć(a) fem. und la notte, rȋča und la parola, dagegen kȏst masc. und l’osso, pȇć m. und il forno, kȑv und il sangue, sȏ und il sale, pȁmet und il giudizio, ȍč(a) masc. und gli occhî, ȕša masc. und gli orecchi, pȑs masc. und sing. und il petto masc. und sing.

 

Fälle, wo sich Spuren der ursprünglichen Deklination erhalten zu haben scheinen, können ungezwungen auch anders gedeutet werden : in do dòbrih čȅļadi ist čeļadi wohl ein Gen. plur., wie auch in sa daju tunami čeļadi Texte Nr. 20 ein alter Instr. pl. in dativischer Funktion vorliegt (vgl. Sp. 192), was sich durch das Beispiel čeļade . . činu Texte Nr. 19 „die Leute tun“ bestätigen läßt, wo sowohl die Endung -e als auch das Verbum auf den Pluralis hinweist; und im Akk. pl. ove rȋči steht wohl die Endung -i nach Sp. 155 für -e.

 

 

            § 84. (konsonantische Stämme)

 

Die ursprünglichen konsonantischen Stämme haben im Serbokroatischen schon in der ältesten Zeit ihre besondere Deklination fast gänzlich aufgegeben ; erhalten haben sich nur Spuren davon, die im Molisaner Dialekte noch mehr verwischt sind. Relativ am besten haben sieb die t-Stämme erhalten, obschon auch sie, wie alle Neutra, zu Maskulinen geworden sind: òni díte „jenes Kind“, na-lȋpi téla „ein schönes Kalb“, ȍvi jȁń „dieses Lamm“ usw.; dafür ist aber die ursprüngliche Stammform im Singular in der Regel noch immer vorhanden und man dekliniert nom. (acc. voc.) dít(e), gen. dìtet(a), dat. dìtet(u) usw.; selten richtet sich die Stammform der Casus obliqui nach derjenigen des Nominativs : nom. téla, gen. téla (neben tȅleta), n. pȉ „Küchlein“, g. pȉpļa (neben pȉpļeta), wodurch diese Substantiva vollständig in die Reihe der ъ/o - Stämme übergehen.

 

 

198

 

Nach diesen t-Stämmen, die ursprünglich nur junge lebende Wesen bezeichneten, haben sich dann im Serbokroatischen ziemlich viele andere Ausdrücke (fast ausnahmslos ъ/o - Stämme) gerichtet, einige auch im Molisaner Dialekt, die leblose Dinge bezeichnen; so (wie in vielen anderen Mundarten) vor allem der alte s-Stamm drȋv „Holz“, gen. drȉveta, dann jȃj „Ei“, gen. jȁjeta, ferner brȉč „kleiner Stein, Vogelei“, gen. brȉčeta. Merkwürdig ist hiebei die Pluralbildung; die zuletzt erwähnten Substantive haben ihren normalen Plural nach der ъ/o - Deklination: (dȑva „Brennholz“), jȃja, brìča ; die Ausdrücke aber, die junge lebende Wesen bezeichnen, gehen auf -ȇńa aus, mit Ausnahme von díte, dem als Pluralis dìca entspricht: jȁń - jańȇńa, téla - telȇńa, pȉ - pipļȇna (wegen der Endung -ena für -eńa in diesem einen Falle vgl. Sp. 165), tīč „Vogel“ — tičȇńa, prȃs „junges Schwein“ —prasȇńa, kȍzl „Zicklein“ — kozlȇńa, kȕč „Hündchen“ — kučȇńa, pȕl „junger Esel“ — pulȇńa, mȉš „Maus“ — mišȇńa; dieselbe Pluralbildung haben auch einige Ausdrücke für junge Tiere, trotzdem sie im Singular nicht nach den t-Stämmen gehen : màčić „junge Katze“ — mačȇńa, kȕ „Kaninchen“ — kurčȇńa. Obschon diese Formen als pluralische gefühlt und behandelt werden (z. B. ȍve telȇńa su-tȗste, ȍve prasȇńa su-mȍje, pipļȅna su-ȕšle usw.); daher auch im Genitiv die pluralische Endung -i aufweisen (5 mišȇńi, prasȇńi, kurčȇńi usw.), ist diese Endung -eńa ohne Zweifel auf ein kollektivisches Suffix -eńe (aus -enьje) zurückzuführen, bildet somit eine schöne und neue Parallele zu der gewöhnlichen Pluralbildung dieser Stämme im Serbokroatischen mit Hilfe des Suffixes -ad (tele - telad f.).

 

Von den neutralen «-Stämmen haben sich jȉm(e) „Name“ und vrím(e) „Zeit, Wetter“ erhalten, die auch die normale Stammform aufweisen, z. B. nȋmam vrȉmena „habe keine Zeit“, tȗna jimena na-nȁš grȃd jesu talijȃnske „alle Namen in unserem Ort sind italienisch“.

 

An neutralen s-Stämmen hat das Serbokroatische nur die ursprüngliche Stammform beim Pluralis von čudo, nebo, tělo, kolo, pl. čudesa usw. gerettet; auch diese letzte Spur davon ist im Molisaner Dialekt verschwunden: čudo ist zum Adverb čȕda „sehr viel“ erstarrt, nȅbo hat den Pluralis aufgegeben und tělo sowie kolo sind nicht mehr bekannt.

 

 

199

 

Die beiden r-Stämme haben noch ein paar alte Formen : nom. sing. mȁt und acc. sing. mȁter, das sporadisch auch als Nominativ fungiert, dann nom. acc. sing. šćȇr; sonst sind sie zu gewöhnlichen a-Stämmen geworden : gen. mȁtere, šćèrȇ, instr. s. mȁterom, šćèrȏm usw. ; hiebei könnte es befremden, daß neben dem Nominativ mat(i) nicht auch šći vorkommt: höchst wahrscheinlich liegt der Grund in der Zweisilbigkeit der Form mati, die nach der so gewöhnlichen Aussprache der auslautenden kurzen Vokale in unserem Dialekte den Verlust des zweiten Vokals erleiden konnte, während dies beim einsilbigen *šći selbstverständlich nicht möglich gewesen wäre.

 

 

            § 85. (Dualis)

 

In bezug auf den Dualis, von welchem im Štokavischen sich nur der Nom.-Akk. in unmittelbarer Verbindung mit den Zahlen 2—4 erhalten hat, ist es schwer zu sagen, ob der Molisaner Dialekt auf demselben Standpunkte steht, da es sich hiebei um kurzvokalische unbetonte Endungen in offener Auslautsilbe handelt, so daß nicht unbedingt sicher sein kann, ob ein -a oder ein -e, ein -e oder ein -i vorliegt. Wir können somit nicht wissen, ob im Beispiele ȏn jȉima trȋ sȋna die letztere Form tatsächlich der Dualis und nicht etwa der Pluralis ist, da (nach Sp. 190) sȋna sehr leicht auch der Akkusativ des Pluralis sein kann; wäre nun letzteres der Fall, dann würde unser Dialekt noch auf dem älteren Standpunkte stehen, wonach mit den Zahlen 3—4 nicht der Dualis, sondern logischerweise der Pluralis verbunden wird. Allerdings habe ich mir auch das Beispiel notiert (izgubija je) svȅ trȋ sȋna mit deutlichem (weil betontem) -e bei sve, somit mit offenkundiger Pluralform, doch das hat nicht viel zu bedeuten, denn trotz des pluralischen sve könnte die Form sȋna neben trȋ nichtsdestoweniger eine Dualform sein, denn auch im zetischen Dialekt wird mit der Dualform des Substantivs die Pluralform des Pronomens verbunden und man sagt z. B. u koga si kupila te tri noža? došli su oni dva čoka usw. (vgl. štok. Dial., Sp. 209). Nachdem aber bei den t-Stämmen, die einen deutlichen Unterschied in der Stammform zwischen Singularis und Pluralis machen,

 

 

200

 

mit den Zahlen 2—4 die erstere angewendet wird, so ist wohl so gut wie sicher, [ daß auch unser Dialekt nach štokavischer Art die Dualform anwendet, denn man sagt z. B. : 1 jȃj, 2—4 jȃjet, 5 jájȋ. — Außer dem Nom.-Akk. soll nach Vegezzi-Ruscalla (S. 29) und — wohl daraus — auch nach Makušev (Записки S. 75) der alte Gen.-Lok. Du. bei noguk „der beiden Füße“ und rukuk „der beiden Hände“ erhalten sein — zwei Formen, die ganz unzuverlässig sind und höchst wahrscheinlich schlecht verstanden oder ! vielleicht auch schlecht . . . gelesen wurden!

 

Ebensowenig kann ich mit Sicherheit sagen, ob, bei einem eventuellen Unterschied in der Betonung zwischen Singularis und Pluralis, die Dualform im Molisaner Dialekt, ebenso wie im Štokavischen, bei Femininen die letztere und bei Neutren die erstere Betonung aufweist, entsprechend dem štokavischen rúka, pl. rȗke: 2—4 rȗke, sing. jȃje, pl. jája: 2—4 jȃja ; die mir zur Verfügung stehenden Beispiele sind zu gering und — was noch mehr zu bedeuten hat — die Betonungsverhältnisse sind in unserem Dialekt so verworren, insbesondere das Schwanken zwischen steigendem und fallendem Ton ist, zu stark, als daß man darüber zu sicheren Schlüssen gelangen könnte.

 

 

2. Adjektiva.

 

 

            § 86. (bestimmte und unbestimmte Deklination)

 

Die beiden in der serbokroatischen Literatursprache zumeist durch Betonungs- und Quantitätsunterschiede sich streng scheidenden Deklinationsarten des Adjektivs, nämlich die unbestimmte (nominale) und bestimmte (zusammengesetzte) sind im Molisaner Dialekt fast ganz zusammengefallen, denn bei den schwankenden Betonungs- und Quantitäts-Verhältnissen läßt sich von dieser Seite kaum eine strenge Unterscheidung durchführen. Nichtsdestoweniger kann man nicht sagen, daß dieser Unterschied schon jetzt vollkommen verwischt sei, denn ich habe z. B. von einer und derselben Person unmittelbar nacheinander folgende Beispiele gehört: dùbrav je gústa und odéka bȉše jena dùbrav gȗsta, sowie hȉža je žúta und odéka bȉše jena hȉža žȗta; eine solche Betonung entspricht zwar derjenigen der Literatursprache nicht, denn letztere verlangt in beiden Fällen die unbestimmte Form des Adjektivs,

 

 

201

 

somit auch im zweiten Falle die Betonung . . . gusta dubrava, .... žúta kȕća, dafür entspricht aber eine solche Betonung derjenigen der südwestlichen Mundarten, denn z. B. auch in Ragusa würde man sagen: (ódika je bíla jèdna) gȗsta dùbrava, . . žȗta kȕća, dagegen nur im ersten Falle (in Übereinstimmung mit der Literatursprache): dùbrava je gústa, kȕća je žúta (vgl. štok. Dial., Sp. 217). Von anderer Seite hörte ich wiederum in ganz analoger Weise: óna je-mbláda „sie ist jung“ und jèna dìvȏjk mblȃda, óna je-dóbra und bȉše jena dȍbra žéna; óna je-lípa, óna je-jèna lȋpa žéna; ich habe aber die Sache in dieser Beziehung nicht weiter verfolgt, denn ich wußte, daß ich aus dem oben erwähnten Grunde zu keinen abschließenden und befriedigenden Resultaten gelangen konnte; nur so viel kann ich auf Grund meiner Beobachtungen sagen, nämlich, daß für ein Adjektiv, das sich allein in prädikativer Stellung befindet, von den beiden sonst gleichlautenden Formen diejenige mit kurzem Endvokal, somit die unbestimmte, angewendet wird, denn in dieser Stellung kann der Endvokal reduziert werden, beziehungsweise ganz schwinden, während in attributiver Stellung, wo die bestimmte Form regelmäßig am Platze ist, der Vokal verbleibt, weil er eben ursprünglich lang ist.

 

Viel einfacher ist die Konstatierung der Existenz beider Deklinationsarten, insoferne der Unterschied durch die Anwendung verschiedener Endungen bedingt wird, denn es handelt sich dabei nur um die drei Endungen des Nom.-Akk. sing. masc., dann des Gen. sowie Dat.-Lok. sing. masc. et neutr., die stark voneinander abweichen: dobar-dobri, dobra-dobroga, dobru-dobrom(u/e). Diesbezüglich stört auch die Reduzierung, beziehungsweise der Schwund unbetonter Vokale im Molisaner Dialekt wenig, denn in Beispielen wie òvȋ je ļȗd dōbr kann man unbedenklich die letztere Form auf dobăr und nicht etwa auf dobrī zurückführen, weil ja im letzteren Falle das -i lang ist, somit in der Regel als voller Vokal erhalten bleibt. Alle diese drei Doppelformen besitzt unser Dialekt noch immer, und zwar hört man in der Regel, wie nicht anders zu erwarten, die bestimmten Formen, während die unbestimmten viel seltener Vorkommen mit Ausnahme des Nom. sing. masc.,

 

 

202

 

der im Prädikat, allein oder als Attribut eines Substantivs, ziemlich regelmäßig angewendet wird, z. B. jȃ sa-mȃl „ich bin klein“, mȗž mȏj je-dȍbar ļȕd usw.; doch auch in diesem Falle kann die bestimmte Form erscheinen: ȏn je-mȃli, ȏn je-čȕda zȁli „er ist sehr schlecht“, je-jȃki òcat „es ist ein starker Essig“ usw. Das mächtige Vordringen der bestimmten Formen, das die ganze slawische Sprachenwelt ergriffen hat, ist somit auch in dieser kleinen slawischen Oase zu konstatieren ; daher glaube ich auch, daß in den seltenen Fällen, wo man im Gen. und Dat. sing. masc. et neutr. die Endungen -a, beziehungsweise -u hören kann, wie z. B. poznáješ tȋ mòjega drȃga brȁta oder rȅc’ tvójemu dȍbru tátu, wir eigentlich nicht die ursprünglichen unbestimmten Endungen dieser beiden Kasus vor uns haben. Denn zunächst muß es anffallen, daß sie dort Vorkommen, wo man entschieden die bestimmte Form des Adjektivs erwarten müßte, zweitens habe ich auch solche Verbindungen gehört wie dȃj ȍnimi brȋžnami ļúdami „gib jenen armen Leuten“, wo also das Adjektiv im Dat. plur. die substantivische Endung -ami bekommen hat; man kann somit mit Recht die Ansicht Vorbringen, daß auch in den Fällen, wo Adjektive diese Endungen -a, -u aufweisen, diese letzteren von dem folgenden Substantiv herübergenommen wurden anstatt der adjektivischen -oga, -omu, mit anderen Worten: hier haben sich nicht unbestimmte adjektivische Formen erhalten, sondern adjektivische Formen wurden durch substantivische ersetzt.

 

 

            § 87. (Neutrum)

 

Grundsätzlich unterscheidet sich die Deklination der Adjektiva (und der Pronomina) von derjenigen der Substantiva dadurch, daß im Gegensatz zu diesen letzteren die Kategorie des Genus neutrum sich ganz gut erhalten hat, daher sind Beispiele wie je lȋpo, nìje mi drȃgo, tȏ je slȁko „das ist süß“ gang und gebe; allerdings kann, wie immer, auch hier der auslautende Vokal reduziert werden und ganz ausfallen, z. B. je vȅdr „es ist heiter“, doch das ändert nichts an der Tatsache, daß beim Adjektiv das Neutrum als selbständige syntaktische Kategorie erhalten ist, während sie beim Substantiv verloren gegangen ist. Und der Grund zu dieser verschiedenen Entwicklung liegt auf der Hand:

 

 

203

 

so häufig angewendete Pronominal formen wie što, to, ovo usw.; ferner die den Akk. sing. neutr. repräsentierenden Adverbien auf -o, die ebenfalls so häufig angewendet werden, haben es bewirkt, daß beim Adjektiv das Neutrum sich erhalten hat, obschon hier das Italienische dieselbe Wirkung hätte ausüben können, die es beim Substantiv auch ausgeübt hat. Erhalten hat sich aber das Neutrum beim Adjektiv nur als Prädikat zu einem Pronomen sächlichen Geschlechtes oder als Prädikat in einem subjektlosen Satze, daher auch nur im Singularis, denn in beiden Fällen ist nur die Einzahl möglich.

 

 

            § 88. (Endungen)

 

In bezug auf die einzelnen Endungen ist folgendes zu bemerken: der Gen. und Dat. sing. masc. hat in der Pegel die vollständige Endung -oga, -omu, weswegen auch die Fälle, wo der auslautende Vokal fehlt, nicht mit den in der Literatursprache Vorkommen den gekürzten Endungen -og, -om zu identifizieren, sondern durch den dem Molisaner Dialekte charakteristischen Schwund kurzer auslautender Vokale zu erklären sind. Wie die eigentliche Endung des Lok. sing. masc. sei, konnte ich nicht konstatieren, denn, sobald ein mit einem Adjektiv (oder Pronomen) attributivisch verbundenes Substantiv im Lokativ gestellt werden sollte, wurde immer nach der betreffenden Präposition der Akkusativ genommen; ich kann daher nicht sagen, ob man vielleicht ausnahmsweise oder in früherer Zeit für den Lokalis die ursprüngliche Endung -om oder die mit dem Dativ ausgeglichene Endung -omu anwendet, beziehungsweise anwendete; nur bei Kovačić (S. 324) finde ich (bei einem Pronomen) für diesen Kasus die Endung -omu: na onomu (Ivanu junać’). Der Instrumentalis fügt vielfach der Endung -im ein -e hinzu: dobrime, das ohne Zweifel dem Personalpronomen 3. Person entnommen wurde (s. § 91). Beim Femininum aber hat wie beim Substantiv der Akkusativ den Dativ und daher auch den Lokalis verdrängt.

 

Im Pluralis haben wir zunächst für den Nominativ und Akkusativ männlichen und weib-Geschlechtes nur eine Endung, und zwar in der Regel -e mit der gewöhnlichen eventuellen Reduktion oder dem Schwund des -e; hie und da habe ich mir auch ein reduziertes -i notiert, dagegen nicht ein volles oder reduziertes -a,

 

 

204

 

weswegen ich auch glaube, daß diese Endung zweifachen Ursprunges sein dürfte : in attributiver Stellung, wo sich die Endung -e besonders gut erhält, ist sie wohl das lange -e des Akk. plur. masc. sowie Nom. Akk. plur. fem. der demonstrativen Pronomina tȇ, òvȇ, ònȇ; dagegen in prädikativer Stellung, wo der auslautende Vokal ohneweiters reduziert werden oder schwinden kann, hat sich die ursprüngliche unbestimmte adjektivische Endung erhalten, die, wie beim Substantiv, für das Maskulinum zwischen dem regelmäßigen -e des Akkusativs und dem weniger gebräuchlichen -i des Nominativs schwankt.

 

— Neue Endungen weisen die übrigen Kasus des Pluralis auf: der Dativ und Instrumental gehen regelmäßig auf -imi aus; ob auch der Lokal, kann ich nicht sagen, da auch beim Pluralis dieser Kasus regelmäßig, soviel ich hörte, durch den Akkusativ ersetzt wird; die Endung -imi selbst ist ohne Zweifel, wie beim Substantiv, die ursprüngliche Endung des Instr. plur., die auch für den Dativ angenommen wurde. Ebenso regelmäßig hat der Genitiv die Endung -ihi, in bezug auf welche ich bei meiner in Rad, B. 134, S. 158/159 begründeten Ansicht verbleibe, daß dadurch die ursprüngliche Genitivendung -ih an die Endung -imi ausgeglichen wurde. Der Unterschied zwischen „harten“ und „weichen“ Stämmen ist mit Ausnahme des häufig verwendeten Nom. Akk. sing. neutr. so gut wie vollständig geschwunden, indem sich die sporadisch erhaltenen palatalen Stämme, zu welchen bekanntlich vor allem die im Molisaner Dialekt so spärlich erhaltenen Komparative gehören (vgl. Sp. 205), nach der großen Masse der nichtpalatalen Stämme gerichtet haben. Man hat somit wohl bȍļe, gȍre, aber bȍļoga usw.

 

Alles in allem haben wir also beim Adjektiv folgende Endungen:

 

    a) bestimmt

 

Sing.:

            masc.  fem.

nom. acc. lipi lipa

gen. lipog(a) lipe

dat. lipom(u) lipu

acc. lipi, lipog(a) lipu

instr. lipim(e) lipom

loc. = acc. lipu  

 

Plur.:

            m. et f.

nom. acc. lipe

gen. lipih(i)

dat. instr. lipim(i)

loc. = acc.

 

 

205

 

    b) unbestimmt

 

Sing.:

            masc. fem. neutr.

nom.   lip lip(a) lip(o)

 

Plur.:

            masc. fem.

nom. lip(e/i) lip(e)

 

 

            § 89. (Motion)

 

Im Anschlüsse an die Deklination der Adjektiva kann man auch deren Motion durchnehmen, die mit wenigen Worten absolviert werden kann, da es sich dabei um die letzten Trümmer der slawischen Motionsfähigkeit handelt; ich habe nämlich nur folgende Komparative gehört: bȍļe, gȍre und in San Felice lȉepše und die entsprechenden Superlative nȃjboļi - nȃboļi, nȃjgori, wozu noch nȃzaeńi (für najzadní) „der letzte“ hinzukommt. In der Regel aber wird nach italienischer Art der Komparativ mit Hilfe von vȅće, der Superlativ von nȃ(j)vece gebildet: ȏn je-vȅće dȍbar do-téb, ȏn je-vȅće zȁli d’òvihi dvȃhi „von diesen zweien ist er der schlechtere“, ȏn je-nȃveće bògati čeļáde ȗtra nȁš grȃd „er ist der reichste Mann in unserem Orte". Also ein paar der allergebräuchlichsten Komparative und Superlative ist alles, was in dieser Beziehung noch slawisch ist! Aber da man im Italienischen neben migliore - peggiore auch più buono - più cattivo hat, so hat sich neben boļi - gori auch ein veće dȍbar - veće zȁli entwickelt.

 

 

3. Pronomina.

 

 

            § 90. (geschlechtliche Pronomina)

 

Wie Sp. 202 erwähnt, haben (nebst den Adjektiven) die geschlechtlichen Pronomina das Neutrum (im Singularis) gut erhalten; gut hat sich auch die Scheidung zwischen nichtpalatalen und palatalen Stämmen im Nom. Akk. sing. neutr. erhalten: tȏ, òvȏsvȅ, mòje. Dagegen im Gen. Dat. sing. masc. et neutr. schwankt schon bei den palatalen Stämmen der Gebrauch : mòjega, nȁšega neben kòjoga, vȁšoga usw.; die Demonstrativpronomina behalten aber durchwegs die normalen „harten“ Endungen òvoga, tȍga, ònoga usw. Letzteres ist deswegen hervorzuheben, weil die Demonstrativpronomina im Küstenlande ziemlich früh die „harten“ Endungen -oga usw. durch die „weichen“ -ega usw. zu ersetzen anfingen; im Molisaner Dialekt gibt es also kein tega, ovega usw.

 

 

206

 

Die Deklination dieser Pronomina ist mit derjenigen der bestimmten Adjektive so gut wie identisch, weil letztere ja im Serbokroatischen den ersteren sich fast vollständig assimiliert, bezw. ihnen zum Teil die Endung -i für den Nom. sing. masc. und die Länge vieler Endsilben mitgeteilt haben. Nur in einem Punkte finden wir eine prinzipielle Divergenz: der Dativ sing. fem. hat zum Teile nicht nur seine ursprüngliche Endung beibehalten, sondern sogar umgekehrt den Akkusativ verdrängt! Während nämlich die im Dativ immer mit Substantiven attributivisch verbundenen Adjektive, ebenso wie die Substantive selbst, in diesem Kasus ihre ursprüngliche Endung aufgegeben und durch diejenige des Akkusativs ersetzt haben, ist der Dativ bei den Pronomina noch vorhanden, und zwar dann, wenn letztere allein stehen und nicht als Attribute zu Substantiven dienen oder sich auf ein vorausgehendes Substantiv beziehen. Man hat also auch bei Pronomina den Ersatz des Dativs durch den Akkusativ in Fällen wie dȃj ònu žénu, „gib jener Frau“, rȅc’ mòju séstru „sage meiner Schwester“, aber sobald das Pronomen allein steht, finden wir im geraden Gegenteil die Dativendung für beide Kasus, den Dativ und Akkusativ, z. B. mȁm dȁt ńȅmu ȍl’ ńȏj ? „soll ich es ihm oder ihr geben?“, si-vȉdija prȍprjo ńȏj ? „hast du gerade sie gesehen?“ kȍju žénu mȁm dȁt ? òvȏj oľ ònȏj ? „welcher Frau soll ich geben? dieser oder jener?“ Ob in einem solchen Falle auch der Lokalis die Endung -oj hat, kann ich nicht sagen, denn es ist mir nicht gelungen, ein entsprechendes Beispiel zu hören, und auf direktes Befragen lauteten die Antworten zu unsicher.

 

Es ist eine recht auffallende Erscheinung, die uns da vorliegt; sie bestätigt aber die auf Sp. 195 ausgesprochene Meinung, daß die Substantive, und wohl nach ihrem Vorbilde auch die Adjektive weiblichen Geschlechtes die ursprüngliche Dativendung zu Gunsten der Akkusativendung deswegen aufgegeben haben, um im Dativ dieselbe Endung -u zu erhalten, die auch die Substantive (und Adjektive) männlichen Geschlechtes haben, denn sobald ein Pronomen mit einem Substantiv nicht verbun den ist, behält der Dativ sing. fem. seine ursprüngliche Endung.

 

 

207

 

Wenn aber die Pronomina in selbständiger Stellung den Akk. sing. fem. durch den Dativ ersetzen, so erklärt sich dies wohl folgendermaßen: beim Substantiv hat sich in unserem Dialekte eine Endung für Dat. und Akk. sing. entwickelt und diesem Beispiele folgten auch die Adjektive und die mit Substantiven attributivisch verbundenen Pronomina, in selbständiger Stellung behielten aber letztere die ursprüngliche Dativendung, doch entwickelte sich auch in diesem speziellen Falle nach Analogie aller übrigen Feminina eine ausgleichende Bewegung zwischen Dativ und Akkusativ, die allerdings die entgegengesetzte Richtung nahm und den Akkusativ durch den Dativ verdrängte. Jedenfalls wurde dadurch ein vollkommen paralleles Resultat erreicht: auf der einen Seite onu brižnu ženu für „jener armen Frau" (Dat.) und „jene arme Frau“ (Akk.), auf der anderen ńoj für „ihr“ (Dat.) und „sie“ (Akk.). Nichtsdestoweniger bleibt es doch einigermaßen befremdend, daß bei den Pronomina in selbständiger Stellung diese Ausgleichsbewegung die entgegengesetzte Richtung genommen hat, denn auch in diesem Falle kann man in der gewöhnlichen Umgangssprache gewiß häutiger den Akkusativ als den Dativ hören; ich glaube daher, daß hier das Personalpronomen 3. Person maßgebend war, weil dies das einzige Pronomen ist, das wegen seiner ausschließlich substantivischen Funktion nie attributivisch verwendet werden kann; und gerade dieses Pronomen nimmt in diesem Punkte eine besondere Stellung ein! Wir würden nämlich erwarten, daß nach der (orthotonierten) Form noj, die auf die soeben gezeigte Weise neben der Funktion des Dativs auch diejenige des Akkusativs übernommen hat, vor allen anderen Pronominalformen sich die ihr entsprechende enklitische Form richten, somit dem ńȏj ein joj entsprechen sollte. Wir finden nun allerdings auch in der Enklise eine Form für diese beiden Kasus, aber diese ist keineswegs joj, sondern ju, z. B. si-ju-vȉdija ? „hast du sie gesehen?“, si-ju-dȃ ? „hast du ihr gegeben?“; besonders interessant sind die Beispiele, wo in demselben Satze die beiden Formen nebeneinander Vorkommen: ònoj mȁše ju-priséć „jene hatte er (sie) zu heiraten“, ju-je-bȕsila ńȏj „sie hat (sie) geworfen sie“.

 

 

208

 

Somit hat beim Personalpronomen der 3. Person die orthotonische Form dieselbe Entwickelung genommen wie alle übrigen Pronomina in selbständiger Stellung, dagegen ist die enklitische Form, trotzdem sie selbstverständlich ebensowenig attributivisch gebraucht werden kann wie die orthotonische, den attributivisch verwendeten Pronominalformen und Adjektiven gefolgt, eine Inkonsequenz, die schwer zu erklären ist, es sei denn, daß man sagt, daß für die Anwendung des ju auch im Dativ die so gewöhnliche Form mu maßgebend war.

 

Deklinationsschema der geschlechtlichen Pronomina.

 

 

 

            § 91. (Personalpronomen der 3. Person)

 

Das Personalpronomen 3. Person hat selbstverständlich das Neutrum eingebüßt; die Formen des Maskulinum und Femininum entsprechen genau den gewöhnlichen serbokroatischen mit den nach dem obigen Schema sich ergebenden Abweichungen. Auch die enklitischen Formen — insoferne erhalten, bezw. von mir konstatiert — weichen von denjenigen der Literatursprache nur beim Dativ plur. mit einem unbetonten ńimi (im habe ich nie gehört!), sowie beim Akk. pl., für welchen regelmäßig die (durch Metathesis aus ih entstandene) Form hi erscheint. Dieses Pronomen hat somit folgende Formen:

 

 

209

 

 

 

            § 92. (andere Pronomina)

 

Von den Demonstrativpronomina haben im Nom. (Akk.) sing.masc. òvȋ und ònȋ regelmäßig die Endung der bestimmten Deklination, dagegen tȃ „dieser da“ die ursprüngliche Form mit Erhaltung des Halbvokals, beziehungsweise Entwicklung desselben zu vollem a; die neueren Formen taj, ovaj, onaj habe ich nie gehört. Von den Possessivpronomina sind die der 1. und 2. Person ganz normal, nicht so diejenigen der dritten: ńègov und mit Metathese ńèvog gilt sowohl für das Maskulinum als auch für das Femininum, somit ist ńègov (ńèvog) brȁt sowohl „sein Bruder“ als auch „ihr Bruder“, ferner ersetzt ńègov auch das reflexive Pronomen svoj — alles nach Vorbild des italienischen suo, das „sein“, „ihr“ und „sein eigenes (svoj)” ist; dieses ńègov wird auch als Gen. Akk. eines *ńev aufgefaßt, zu welchem dann auch ein instr. ńèvime gebildet wird. Für den Pluralis hat man neben dem normalen ńȉhov auch ein ńȉfog, dessen Endung -og wohl der Form ńevog nachgebildet ist; schwer zu erklären ist das f, denn im Molisaner Dialekt wird auslautendes v nicht als f ausgesprochen, man kann somit nicht von einem *ńihof ausgehen. — Das Pronomen kòjȋ - kòjȃ - kòjȇ wird nur als interrogatives und indefinites Pronomen verwendet, z. B. kòju žénu mȁm dȁt ? „welcher Frau soll ich geben?“, si dȃjeaš kȍjomu brȋžnomu krȕh „wenn du einem Armen Brot gibst“; als indefinites Pronomen kann es aber auch die älteren (unerweiterten) Formen haben, z. B. se-rȅčemo kȗ klȇtvu „wenn wir irgend einen Fluch aussprechen“.

 

 

210

 

Zu den letzteren ist wohl auch die indeklinable Form kȋ zu zählen, die in interrogativen und exklamativen Sätzen verwendet wird, z. B. kȋ grȃcij(u) mi-prȏsiš „was für eine Gnade verlangst du von mir?“, kȋ lȋpa dìvȏjka! „was für ein schönes Mädchen!“; auch hier war für die Erstarrung der nominativischen und maskulinen Form ki gewiß das italienische che bestimmend, das ebenfalls unverändert bleibt (che grazia . . .? che bella . . .!). Als Relativpronomen wird aber koji nicht gebraucht, sondern durch das italienische che ersetzt, das, weil es im Molisaner Dialekt in der Regel unbetont ist, bald als ke, bald als ka ausgesprochen wird.

[[ Zusätze und Berichtigungen: die Form ka ist auf südital. ca zurückzuführen (s. im Wörterverzeichnis). ]]

 

— Das Pronomen vas - sva - svȅ wird selten gebraucht und in der Regel durch das zumeist undeklinierbare tȕna (tȗna) ersetzt, z. B. do tȕna brȋžnih „von allen Armen“, doch vgl. sa daju tunami čeļadi Texte Nr. 20 „sie werden allen Leuten gegeben“. Vereinzelt steht die Form ùsri tòrkohi grȃdi B. 12 „unter so vielen Städten“, somit eine Form des Gen. plur. zu tòrko (aus toliko, vgl. Sp. 165) „soviel“, die eine mechanische Zusammenstellung des Neutr. sing. torko mit dem Suffix -hi des Gen. plur. darstellt und anstatt welcher wir (dem tolikih der Literatursprache entsprechend) ein *torkihi erwarten würden.

 

 

            § 93. (ko und što)

 

Das interrogative ko hat dieselben Formen wie in der Literatursprache: Nom. kȍ, Gen. Akk. kòga, Dat. kòmu, Instr. kȉme (Lok. unbelegt). Dagegen hat što nur den Nom. Akk. štȍ (nie šta !) gerettet, welche Form auch dort eine Anwendung findet, wo der Genetiv erscheinen müßte, z. B. dȍ-što je-tó? „aus was ist das?“; für den Instrumental dient die entsprechende Form von ko, z. B. s kȉme su-ga ūbil ? „womit haben sie ihn erschlagen?“. Merkwürdig sind auch die negativen Formen dieser beiden Pronomina: „Niemand“ heißt nȉkor und wird dekliniert: Gen. Akk. nȉkroga, Dat. nȉkromu, Instr. nȉkrim; wie Sp. 174 gesagt, dürften die letzteren Formen aus nikogar, nikomur (aus nikoga + re, nikomu + re) durch Metathese des r entstanden sein. Für „Nichts“ hat man aber nicht das zu erwartende ništa (ništo), sondern nur nȉšć(e) oder mit Anlehnung an die harten Stämme nȉšć(o), beziehungsweise nȉšća, das so gut wie undeklinierbar ist; ich habe mir nur einmal notiert s nȉšćim „mit Nichts“.

 

 

211

 

Diese Form nišće ist höchst auffallend, denn sie kommt sonst nur in solchen Mundarten vor, welche die palatalisierten primären Gruppen st - sk zu šć werden lassen und dann auch das sekundäre št von ništo < ničьto ebenso behandeln; in unserem Dialekt aber hat man sonst nie die Gruppe šć (vgl. Sp. 162) und deswegen ist es eben so auffallend, daß sie in dieser einen Form auftritt. Ein Entlehnungstheoretiker würde ganz einfach sagen: die Form ist aus einem benachbarten čakavischen Dialekt entlehnt, beziehungsweise von einem Teile unserer Kolonisten importiert worden, die čakavischer Herkunft waren; aber genügt dies, um die höchst merkwürdige Erscheinung zu erklären, daß die Vorfahren unserer Kolonisten für einen so gewöhnlichen Begriff wie „Nichts“ ihre heimische Form (ništo) durch eine fremde (nišće) ersetzten, beziehungsweise (wenn man voraussetzt, daß unsere Kolonisten eine Mischung von što- und ča-Sprechern darstellen), daß die štokavische Majorität bei einem so gewöhnlichen Worte sich der čakavischen Minorität fügte? Est grammatici quaedam nescire! — Sehr auffallend ist das Pron. possess. zu ko mit seiner indeklinablen Form čȕvoga, z.B. cȕvoga je ȍvi štȃp ? „wessen ist dieser Stock?“, ćȕvoga su-tȇ kóńa ? „wessen sind diese Pferde?“. Die Form geht wohl auf čigov zurück: es hat zunächst dieselbe Metathese stattgefunden wie bei ńevog < ńegov (s. Sp. 170), dann ist in *čivog das i zu u geworden, was schon schwer zu erklären ist, wozu dann noch die Erstarrung der anscheinend femininen Form des Nom. sing. hinzukommt; letzteres aber ist wohl als eine Anlehnung an koga? aufzufassen, die durch die entsprechende italienische Form (di chi?) veranlaßt wurde.

 

 

            § 94. (geschlechtlose Pronomina)

 

Die Deklination der geschlechtlosen Pronomina hat sich ganz gut erhalten; es fehlt nur der Lokalis, der — wie wir gesehen haben — in allen Deklinationsreihen sehr selten anzutreffen ist und höchst wahrscheinlich auch hier — ich habe allerdings keine Beispiele hiefür! — durch den Akkusativ ersetzt werden dürfte. Die orthotonierten Formen bieten sonst fast keine Abweichungen, denn es versteht sich von selbst, daß der Dativ und Instrum. plur. — wie sonst überall — zusammen gefallen sind und das Suffix -mi haben;

 

 

212

 

im Instr. sing. sind aber die in bezug auf den Wurzelvokal nach dem Gen., Akk. und Dat. umgebildeten Formen menom tebom (nach meni, tebi usw.) schon aus anderen Dialekten bekannt; ob dasselbe auch beim Reflexivpronomen geschieht, ob also ein sebom existiert, kann ich nicht sagen, da orthotonierte Formen dieses letzteren Pronomens äußert selten sind : ich habe nur das sprichwörtliche Beispiel svȁk sȅb „ein jeder für sich“ gehört. Unter den enklitischen Formen finden wir für den Dat. plur., wie beim Personalpronomen 3. Person, mit den orthotonierten auch gleichlautende Formen, nur daß letztere eben akzentlos sind; die enklitischen Formen des Akkusativs weichen von denjenigen der Literatursprache sowohl im Sing, als auch im Plur. ab: für me - te - se hat unser Dialekt ma - ta - sa und für nas - vas hat er nasa - vasa. In bezug auf ma - ta - sa glaube ich, daß wir es ganz einfach mit einer breiten Aussprache des ursprünglichen immer unbetonten -e zu tun haben, die sich infolge des so häufigen Gebrauches festsetzte und allmählich zu einem vollen und konstant gewordenen -a führte; nasa - vasa haben wiederum höchst wahrscheinlich das -a des (Nom.) acc. plur. männlicher Substantive angenommen und es bliebe nur die Frage zu beantworten, warum dies auch bei den orthotonierten Formen nicht eingetreten ist, eine Frage, die leichter aufzustellen als zu beantworten wäre!

 

Für die geschlechtlosen Pronomina bekommen wir also folgendes Paradigma:

 

 

 

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4. Zahlwörter.

 

 

            § 95. (die Zahlen 1-4)

 

Trotzdem die slawischen Zahlwörter schon sehr stark durch die entsprechenden italienischen verdrängt werden (vgl. Sp. 133), ist ihre Deklination — insoferne sich diese im Serbokroatischen überhaupt erhalten hat! — noch immer vorhanden, da dabei die kleinsten Zahlen in Betracht kommen, die sich in jeder Sprache am zähesten halten.

 

Für „eins“ hat man die Form jēna oder abgekürzt und proklitisch na, die im Nominativ für beide Geschlechter gebraucht wird; in Verbindung mit männlichen Substantiven gilt sie auch für den Akkusativ, dagegen in Verbindung mit weiblichen bekommt sie die normale Endung -u, z. B. jȅna nȏž oder na-dȃn als Nom. und Akk., aber jȅna mȁčka oder na-žéna als Nom. und jȅnu mȁčku, nu-vȏtu „einmal“ als Akk. Die Form selbst ist als feminine Form leicht zu erklären: aus jedna - jednu ist durch Vereinfachung der Konsonantengruppe (vgl. Sp. 172) die Form jena - jenu entstanden, die durch rhetorische Kürzung die Form na - nu ergab; weniger einfach ist die Entstehung des jena-na als männliche Form, denn aus jedan gelangt man schwer dazu, weswegen wohl daran zu denken ist, daß ganz einfach die feminine Form auch auf das Maskulinum übertragen wurde, wo sie dann nicht nur für den Nom., sondern auch für den bei den Maskulinen mit dem Nominativ so oft gleichlautenden Akkusativ eine Verwendung finden mußte, da selbstverständlich die entsprechende feminine Form des Akk. (jenu-nu) für das Maskulinum unbrauchbar war. Sonst geht aber jena nach der pronominal-adjektivischen Deklination, wobei es auch das anlautende j-verlieren kann (vgl. Sp. 171), z.B. je-òstȃ s jènime sȋnem i s jènȏm šćèrȏm, si-gȍri d’ȇn(o)ga kučka „du bist ärger als ein Hund“.

 

Die Zahl „zwei“ hat ihre ursprüngliche dualische Deklination nur in der Form des Nom. Akk. dvȃ masc., dvȋ fem. erhalten, sonst nimmt sie die pluralischen Endungen der pronominal-adjektivischen Deklination an: ȏn je-vȅće zȁli d’òvihi dvȃhi „er ist der schlechtere von diesen zweien“, vȅće do-dvȃhi „mehr als zwei“, je-dȃ dvȁmi sȋnami, kòja d’ònihi dvȋhi je-tvója séstra ? vȁmi s dvȉmi rùkami „nimm mit zwei Händen“,

 

 

214

 

wobei zu bemerken ist, daß die unorganischen Formen dvȃhi - dvȁmi aus dem Nom.-Akk. dvȃ durch mechanische Anfügung des pluralischen Suffixes -hi, beziehungsweise -mi, auf dieselbe Weise gebildet wurden wie das dvaju der Literatursprache durch Anfügung des dualischen Suffixes -ju. Nach „zwei“ richtet sich auch der zusammengesetzte Ausdruck für „beide“: ȍbedva masc., ȍbedvi fern., bei welchem beide Teile dekliniert werden, wenn kein Substantiv dabei ist, sonst aber nur der zweite: su-hi-vȅzal ȍbihi dvȃhi „man hat sie beide gefesselt“, je-pòšȃ s ȍbedvami sȋnami i s ȍbedvimi šćèrami. Die Form ȍbedva hat sich in bezug auf die Endung des ersten Teiles an die weibliche Form ȍbedvi angelehnt, denn das e ist natürlich der Vertreter eines urslaw. ě (s. Sp. 146); daß aber die ursprüngliche männliche Form (obadva) teilweise zugunsten der weiblichen (obědvě) aufgegeben wurde, ist wohl daraus zu erkären, daß alle paarweise vorhandenen Körperteile, in bezug auf welche wohl am häufigsten der Ausdruck „beide“ angewendet wird, im Slawischen lauter Feminina sind: obe ruke - noge - oči - uši. Durch den Ersatz von oba- durch obě- erklärt sich auch die Form ȍbihi gegenüber dvȃhi: die erstere konnte im Gen. plur. auch den Stammauslaut der pronominaladjektivischen Deklination deswegen annehmen, wreil eben im Nom.-Akk. obedva kein -a vorlag, wie dies bei dva der Fall ist.

 

Wie „zwei“ und „beide“ ihre ursprüngliche dualische Deklination, so haben auch „drei“ trȋ und „vier“ čȅter ihre ursprüngliche substantivische Biegung und auf dieselbe Weise ersetzt: svȉhi trȋhi su-hi-rèštali „man hat sie alle drei arretiert“, zdola trihi butali Texte Nr. 21 „unter drei Schwibbogen“, sa-učìnila svȉmi trȉmi hȉžu „ich habe allen dreien (Söhnen) ein Haus gebaut“, je-dȃ dvȁmi sȋnami ònȏ ka mȁšea dȁti čèterimi „er hat zweien Söhnen gegeben, was er vieren hätte geben sollen“.

 

In bezug auf die Deklination der Zahlen 2—4 hat also der Molisaner Dialekt denselben Weg eingeschlagen, dem auch die nordwestlichen, insbesondere die čakavischen Mundarten des Serbokroatischen im allgemeinen gefolgt sind, während die meisten štokavischen Dialekte wenigstens die dualischen Endungen -ju und -ma bewahrt und sie sogar auf die Zahlen „drei“ und „vier“ übertragen haben.

 

 

215

 

Wie in den übrigen Dialekten kann aber die Zahl nach einer Präposition auch unverändert bleiben: jȉma s ńíme dìcu do dvȃ sȋna e do dvȋ šćère, vèčč’e do trì stòtini ļȗdi B. 12 (stotini wohl nach Sp. 155 mit -i für -e).

 

 

            § 96. (die höheren und die Ordnungszahlen)

 

Die höheren Zahlen sind wie sonst im Štokavischen undeklinierbar und haben mit geringen Abweichungen auch dieselben Formen:

 

5 pȇt, 6 šȇst, 7 sēdam, 8 ōsam, 9 dēvet, 10 dēset, 11 jedȁnast-jȇnast, 12 dvȃnast, 13 trȋnast, 14 četȑnast, 14 pētnast, 16 šȇsnast, 17 sedȁmnast, 18 osȁmnast, 19 devȅtnast, 20 dvȃjaseat, 30 trȋjaset, 40 čȅtr-desȇt, 50 pedesȇt, 60 šezdesȇt, 70 sȅdam-desȇt, 80 ȍsem-desȇt, 90 dȅveat-desȇt, 100 stȏ oder stȍtina.

 

In San Felice habe ich die Zahlen 11—19 auch ohne auslautendes -t gehört : jȇnas, dvȃnas, trȋnas, pètnas (vgl. Sp. 173). Für „Tausend“ hat man nur das italienische miļȃr, das selbstverständlich ebenso wie stotina wie ein gewöhnliches Substantiv dekliniert wird; daß aber speziell der slawische Ausdruck für „Tausend“ (tisuća) gänzlich geschwunden ist, hat nichts Auffälliges an sich, da auch die meisten serbokroatischen Dialekte, bei denen das slawische Zahlensystem sonst intakt geblieben ist, diesen Ausdruck durch einen fremdsprachigen ersetzt haben, und zwar die meisten štokavischen und die torlakischen (wie auch das Bulgarische) durch das griechische hiļada, viele čakavische durch dasselbe italienische miļar, die kajkavischen durch das magyarische jȅzero (welch letzteres auch im Slowenischen neben dem deutschen tavžend vorkommt), — diese Erscheinung, die fast das ganze Südslawentum ergriffen hat, läßt sich nur so erklären, daß hier mit Tausendern hauptsächlich die fremden (griechischen usw.) Kaufleute, beziehungsweise die entnationalisierten Bürger und Adeligen operierten.

 

Fast ganz geschwunden sind die Ordnungszahlen: pȑvi und drȕgi, die normal dekliniert werden, haben sich allein gerettet! schon der „dritte“ ist italienisch und man sagt z. B. ȏn je mȏj tȇrc dít „er ist mein drittes Kind“. Außerdem werden wohl hie und da auch die niedrigsten neutralen Zahlwörter verwendet; so habe ich gehört dvȍje - trȍje - čȅtvero dȉce „zwei - drei - vier Kinder“.

 

 

216

 

 

5. Verba.

 

 

            § 97. (Allgemeines)

 

Die Flexion des Verbums hat sich im allgemeinen noch besser erhalten als diejenige der übrigen flektierbaren Wörter, da mit Ausnahme des Aoristes und des Gerundium praet. noch alle Formen vorhanden sind, die sich überhaupt im Serbokroatischen erhalten haben. Wie aber schon auf Sp. 186/7 hervorgehoben wurde, ist es wohl dem immer stärker werdenden Einflüsse der benachbarten italienischen Mundarten zuzuschreiben, daß Aorist und Gerundium praet. — zwei diesen Mundarten fehlende Verbalformen [1] — verloren gegangen sind. Dafür und aus demselben Grunde hat unser Dialekt — wie vielleicht kein zweiter auf serbokroatischem, ja auf slawischem Gebiete überhaupt! — das Imperfektum bewahrt und ich habe in der kurzen Zeit, während welcher ich unter unseren Kolonisten weilte, viel mehr Beispiele des Imperfektums gehört, als mir dies im Laufe einiger Dezennien im Verkehre mit dem Volke und mit Gebildeten in, bezw. aus den verschiedensten serbokroatischen Gegenden zu teil wurde. Noch wichtiger ist es jedoch, daß in dieser kleinen Kolonie die letzten Spuren des Imperfektums perfektiver Verba im Serbokroatischen anzutreffen sind: jena-dȉd stȃri rȅčaše „pater“ nā-naš „ein alter Greis pflegte das Pater in unserer Sprache herzusagen“, sȁki pȃr úrȋ dȏđahu žéne ka-donèsȃhu grȏzdje „nach je ein paar Stunden kamen Frauen, die Weintrauben brachten“, je-čȅkal nónd ka-dȏđahu tičȇeńa „sie (die Katze) wartete dort, als die Vögel (allmählich, nicht auf einmal!) kamen“, di mòrrahu ùlist nà jĭna grȃd, ùlȋzahu B. 12 „wo sie in einen Ort eindringen konnten, drangen sie (jedes Mal!) ein“, naše stare ga (die Wurst) činahu s mištikotam, a s ńime napunahu (gewöhnlich!) čriva debele Texte Nr. 20; wir finden also das Imperfektum perfektiver Verba in Sätzen, die nicht die Dauer einer einzelnen Handlung in der Vergangenheit schildern, sondern die Wiederholung derselben Handlung in der Vergangenheit ausdrücken,

 

 

1. Der Dialekt von Campobasso hat allerdings den Aorist intakt erhalten (vgl. D’Ovidio, S. 155), aber schon derjenige von Vasto hat ihn ganz aufgegeben (vgl. L. Anelli, o. c., S. XVIII).

 

 

217

 

somit entsprechen auch diese aus einer lebendigen serbokroatischen Mundart geschöpften Beispiele dem von Jagić im Nachworte zu seiner Ausgabe des Marien-Evangeliums (S. 458/459) ausgesprochenen Satze, welchen er auf Grund der hieher gehörenden Beispiele aus älteren slawischen Sprachdenkmälern formulierte „daß man überall fühle, wie das perfektive Verbum im Imperfekt die Möglichkeit der Wiederholung einer bestimmten Handlung in der Vergangenheit ausdrückt“. Außer dem Molisaner Dialekt hat sich das Imperfektum perfektiver Verba bekanntlich nur noch im Bulgarischen erhalten (vgl. am besten Weigand, Bulgar. Grammatik, S. 120—121).

 

 

            § 98. (Präsens)

 

Präsens. Unorganische Stammformen im Präsens bieten folgende Verba: bȉt „sein“ — präs. bȉdem mit dem i des Infinitivs in der Wurzelsilbe, so auch in Bosnien und der Hercegovina (vgl. štok. Dial., Sp. 202) ; vàzȇt „nehmen“ — präs. vȁmem aus vazmem durch Erleichterung der Konsonantengruppe (vgl. Sp. 171); kȁt „weben“ — präs. kȁjem (anstatt čem). nach dem Infinitivstamm, ebenso auch snōvat „anzetteln“ — präs. snōvam (anstatt snujem), sowie klȇt „fluchen“ — präs. kléjem (anstatt kunem). Man kann hier auch erwähnen, daß nach pȏđem usw. auch im Molisaner Dialekte die Form ȉđem (für idem) entstanden ist, ferner, daß bei den Verben der Klasse I. 4 das č - ž der meisten Personen auch in der 3. plur. durchgedrungen ist: rȅču, pèču, strížu. Die Formen ùmijem (neben ùmȋm) zu ùmit und zàspijem zu zàspat „einschlafen“ sind nach der Klasse I. 6 gebildet und umi-jem, zaspi-jem zu trennen ; sie können somit mit der Form umijem (= uměm) der jekavischen Mundarten nicht auf eine Stufe gestellt werden, sondern mit Formen wie slomiti präs. slomijem, sniti präs. snijem (vgl. štok. Dial., Sp. 207).

 

Die Endungen des Präsens sind genau dieselben wie in der Literatursprache, wenn man von der unvermeidlichen Reduzierung und dem Schwanken, bezw. Schwunde unbetonter Vokale in den Endsilben absieht. Nur die Verba auf -im haben in der 3. plur. ausnahmslos schon die Endung -u durchgeführt: bròjȗ, bȍlu, stòjȗ, čìnȗ, nȍsu usw., dementsprechend auch hȍću zu ho dem „ich will“, doch hat sich bei diesem letzten Verbum noch die ursprüngliche Form erhalten :

 

 

218

 

hȍte, hote B. 31 (2), bezw. neben der neueren enklitischen Form ću auch die ältere te. Auch die Endung -u der 1. sing. hat sich bei hȍću nur selten und bei mogu gar nicht erhalten, denn diese Formen lauten in der Regel hȍčem - nȇćem, bezw. mȍrem „kann“ und pòmožem „helfe“; nur die abgekürzte Form ću als Hilfszeitwort bei der Futurbildung hat sich infolge des so häufigen Gebrauches gerettet und wird noch immer durchgehends angewendet; außerdem kommt in den Mai-Liedern (vgl. Texte Nr. 29) die Form vȉđu „ich sehe“ vor, die ich aber in der gewöhnlichen Rede nicht gehört habe. Sporadisch kann die 3. plur. nach V, 1 gebildet werden: hȍćeju „sie wollen“, hòčeju B. 69, rȉžaju (neben rȉžu) „sie schneiden“.

 

Von den themavokallosen Präsensformen bietet das Verbum substantivum die beiden Reihen der vollständigen (orthotonierten) und der gekürzten (tonlosen) Formen, die ebenfalls vollständig normal sind, mit Ausnahme der 1. sing. jèsa - nísa, enkl. sa, welche nie das Suffix -m hat; höchst wahrscheinlich ging dies — wie auf Sp. 172 gesagt wurde — von der gekürzten Form (sam) aus, die im Molisaner Dialekte in der Regel proklitisch verwendet wird, sich daher auch zumeist vor einem konsonantischen Anlaut befand, weswegen dann, um die dadurch entstandene Konsonantenanhäufung zu vermeiden, das -m ganz einfach ausgestoßen wurde. Dȃm und jȋm „ich esse“ haben sich auch hier den anderen Verben auf -am, bezw. -im angepaßt und nur das letztere Verbum hat noch in der 3. plur jȉdu eine Spur der ursprünglichen Stammbildung erhalten, während dam ein dáju entwickelt hat; hieher gehört auch die neuere Bildung grem „ich gehe“, die ich nur im Sing. (1. grȇm, 2. grȇš, 3, grȇ neben grédem usw.) neben dem normalen Plural grédemo usw. gehört habe. Für sich steht die Form hȍš „willst du?“, bezw. nȇš „willst du nicht?“; sie dürfte von der uralten Form hoć durch Anpassung des Auslautes an die gewöhnliche Endung der 2. sing. entstanden sein; als abgekürzte und tonlose Form dazu dient ein einfaches š, z. B. š-pȏ ? „willst du gehen?“, von welchem widerum durch mechanische Anfügung der Pluralsuffixe -mo, -te auch Plural formen (1. šmo, 2. šte) entstehen, z. B. šta-si-ga-dȏ dȏm ? „werdet ihr nach Hause kommen?“.

 

 

219

 

 

            § 99. (Imperativ)

 

Der Imperativ ist sowohl in bezug auf die Form des Stammes, als auch auf die Endungen normal, nur daß auch im Molisaner Dialekte in der 2. sing. auf -i letzterer Laut abgeworfen werden kann: sȉd! múč! príd! usw., was hier noch leichter und noch häufiger geschieht, weil ja das -i unbetont und kurz ist. Normal ist speziell auch die Bildung bei den Verben der Klasse I. 4: rȅc(i), tēc(i) „laufe!“, pomòzi „hilf“. Dagegen habe ich mir nur zu den Infinitiven vézat und písat die nach ihnen gebildeten Imperative vèzȃjte und pȋšajte notiert, während ich beim Präsens (vȇžem, pȋšem) diese Stammausgleichung nicht konstatieren konnte. Es ist ferner nichts Ungewöhnliches, daß von Imperativformen mit dem Stammauslaute -j- dieses j verstummt ; letzteres ist, wenn dem j ein i vorausgeht, etwas ganz Gewöhnliches, was in vielen Mundarten vorkommt (vgl. štok. Dial., Sp. ,194), wir verstehen somit ganz gut das Nebeneinandersein von pȋjmo - pȋjte usw. und jȋmo - jȋte usw.; ebenso finden wir Parallelen für den Schwund des nach einem a: glȅdate! kȍupate! dȃ! dȃte! usw. (ibid.). Neu ist aber, daß Formen der 2. sing., die auf diese Weise durch Schwund des j oder durch sonstige Kürzung einsilbig sind und vokalisch auslauten, immer kurzvokalisch sind: „iß“, pȉ „trinke“; čȕ „höre“, vȉ „siehe“, hȍ „komme“; vielleicht ist dies damit in Verbindung zu bringen, daß auch einsilbige, vokalisch auslautende Partizipien und Infinitive ebenfalls kurzvokalisch sind ohne Rücksicht auf die ursprüngliche Quantität des Wurzelvokals (vgl. Sp. 186). Jedenfalls ist dies eine auffallende Erscheinung, denn neben jȋmo - jȋte, pȋjmo - pȋjte würde man entschieden auch ein - mit langem i erwarten; es wäre auch nicht angezeigt, hier die Kürze des i von jȉ - pȉ als eine Anlehnung an die gewöhnliche kurzvokalische Imperativendung -i (činĭ, letĭ) zu betrachten, was in bezug auf al direkt unstatthaft wäre, da es sonst eine kurzvokalische Imperativendung -u ganz einfach nicht gibt. — Die Formen vȉ! hȍ! wurden wohl aus den gekürzten Pluralformen vite (aus vidte - vidite), bezw. hȍmo - hȍte (aus hodmo - hodimo) gebildet.

 

 

220

 

Auf eine merkwürdige Art wird, beziehungsweise kann ein Wunsch oder Befehl in bezug auf die erste Person ausgedrückt werden. Für die 1. sing., für welche der Imperativ keine eigene Form besitzt, wird die imperativische Partikel neka genommen und mit dem Infinitiv des betreffenden Verbums verbunden, z. B. nȅka rȅć jȃ jȉstin! „ich soll die Wahrheit sagen!“, nȅka pȗr jȃ ćít „ich soll auch tun!“; dieselbe Wendung kann auch für die 1. plur., trotzdem diese ihre normale Form besitzt, mit der Abweichung angewendet werden, daß der gekürzten Partikel das Suffix -mo der 1. plur. angehängt wird: nȅkma sȉst nȃpri mȋ! „wir sollen uns zuerst niedersetzen!“; dagegen habe ich für die zweite Person weder im Sing, noch im Plur. diese Ausdrucksweise, sondern nur den echten Imperativ gehört. Diese Verbindung des neka mit dem Infinitiv ist kaum italienischen Ursprungs; wahrscheinlich ist sie durch syntaktische Verrenkung aus Satzgefügen wie neka je meni reći istinu, neka je nama najprije sjesti entstanden. Es ist aber auch möglich, daß irgendeine italienische Neubildung als Vorbild diente; in Campobasso wird auf ähnliche Weise die 1. sing. durch Verbindung des Imperativs lassa „laß“ und des Infinitivs gebildet (D’Ovidio, S. 168, Note 1).

 

 

            § 100. (Imperfekt)

 

Das Imperfekt wird ausnahmslos [ vom Präsensstamme gebildet, daher auch slȁti - sȁlem: šȁļaše, brȁti - bȅrem: berȁše, zvȁti - zòvem: zováše, kupòvat - kùpujem: kùpujaše usw. Der Imperfektstamm geht in der Regel auf ein einfaches -a- aus und ich habe kein einziges Beispiel konstatieren können, bei welchem der Stamm auf -ija- (pletijaše) oder auf -ja- (moļaše) ausgehen würde, mit Ausnahme etwa von tijaše „er wollte“ (s. Sp. 222); man hat somit in der Regel diesen Stammauslaut nicht nur bei den auf -am ausgehenden Präsentia, z. B. pȁdase, jȉmaše, nímaše, ndzàkīvaše usw., sondern auch bei denjenigen auf -em und -im, z. B. berem - berȃše, rečem - rȅčaše, zovem - zovȃše, zȋbļem - zȋbļaše, kredem „stehle“ - krȅdaše, dođem - dȏđaše, dubem - dùbȃše, pečem - pečȃše, vučem - vučȃše, restem „wachse“ - rèstȃše usw., auch grem gredemo - gredȃše, jim jidu - jidȃše; wobei die Imperfekte von auf -im ausgehenden Präsentia, eben weil i sie diesen Stammauslaut -a- haben, den dem letzteren vorausgehenden Konsonanten nicht erweichen,

 

 

221

 

z. B. činim - čìnaše, vidim - vȉdaše, nosim - nȍsaše, molim - mȍlaše, vodim - vȍdaše usw. auch umim - ùmȃše, razumim - razumȃše. Dieses imperfektivische -a- ist in der Regel — wie in der Literatursprache — lang, nur wenn ihm eine fallend betonte Silbe vorausgeht, ist es nach Sp. 184 kurz, z. B. rȅčaše, krȅdaše, zȋbļaše, dȏđaše, čȉnaše (aber čìnȃše), zvȍnaše (aber zvonáše) usw. Es hat sich somit in unserem Dialekte das Imperfektum wohl erst in späterer Zeit in bezug auf seine Formation regelmäßig einerseits nach dem Präsens, andererseits nach den Verben der V. Klasse gerichtet, denn die ausgleichende Bewegung betreffs der regelmäßigen Anwendung der Endungen mit dem Stammauslaute -a- ging selbstverständlich von den im Präs. auf -am usw., im Imperf. auf -ah usw. ausgehenden Verben dieser Klasse aus.

 

Ausnahmsweise wird aber der Stamm des Imperfekts auf andere Weise gebildet: iđem - ȉđeše, morem „kann“ - mȍreše, nečem „ich will nicht“ - nȇćeše, mećem - mèčeše B. 3, nosim - nȍsiše. Die letzte Form gibt auch die richtige Erklärung: es ist eine noch stärkere Anlehnung an das Präsens, die uns hier vorliegt und die sich eben darin zeigt, daß für das Imperfekt der unveränderte Präsensstamm in Anwendung kommt; es ist daher nicht notwendig, speziell in bezug auf die Imperfekta mit dem Stammauslaute -e- daran zu denken, daß an unbetonter Stelle das a von *moraše durch ein e ersetzt wurde. Ebensowenig ist es wahrscheinlich, daß dieses -e- einem urslaw. ě entspreche; Imperfekta mit dem Stammauslaute -ě- waren im Serbokroatischen in älterer Zeit eine sehr gewöhnliche Erscheinung, z. B. ikavisch kuniše, jekavisch kuniješe (vgl. Rad B.136, S. 167), und es wäre nicht unmöglich, daß auch in dieser Endung ein Beispiel der ekavischen Aussprache im Molisaner Dialekt vorliege, die in einigen Fällen tatsächlich vorkommt (vgl. Sp. 144), umsomehr, als ich mir auch die Form tȅše „wollte“ notiert habe, die kaum anders erklärt werden kann. Trotz alledem aber glaube ich, daß es der allgemeinen Entwicklung des Imperfekts in unserem Dialekte besser entspricht, wenn wir annehmen, daß die Beispiele wie ȉđeše usw. den Stammauslaut des Präsens beibehalten haben.

 

 

222

 

Dagegen ist es leicht erklärlich, daß ein so gewöhnliches Verbum wie „wollen“ die ältere Bildung tȅše ebenso beibehalten habe, wie dies bei bȉše „war“ der Fall ist; auffallend ist es nur, daß nicht auch im ersten Falle aus dem älteren ě (hъtěše) ein i sich entwickelt hat wie im zweiten (běše) — an eine Anlehnung an den Stamm des Präsens hoćem ist kaum zu denken, da die beiden Formen lautlich allzuweit voneinander stehen. Überhaupt macht das Imperfekt des letzteren Verbums Schwierigkeiten, denn gewöhnlich lautet es tȉjah, beziehungsweise mit e für a an unbetonter Stelle tijeh: tìjeăho B. 11, nè tijahu 11, tìjehu 12, tìješe 13, so daß dies der einzige Fall wäre, wo sich die Stammbildung auf -ija- erhalten hat; dies konnte aber deswegen der Fall sein, weil das Imperfektum tijah sich nicht leicht an das Präsens hoću anpassen konnte.

 

Das Imperfekt hat im Molisaner Dialekte folgende Endungen:

 

Sing.

1. grèdȃhu

2. grèdȃše

3. grèdȃse

 

Plur.

1. grèdȃhmo

2. grèdȃhte

3. grèdȃhu

 

Da aber alle Formen auf unbetonte Vokale ausgehen, so können letztere auf die bekannte Weise reduziert werden, beziehungsweise schwinden. Anormal ist sonst nur das Suffix der 1. sing., wo wir nur ein einfaches -h erwarten würden; höchst wahrscheinlich hat eine Ausgleichung mit der 3. plur. stattgefunden, die dadurch veranlaßt und erleichtert wurde, daß eben infolge der unserem Dialekte spezifischen Aussprache der unbetonten Vokale auch die 3. plur. sehr oft auf ein einfaches -h ausgeht, so daß man dann dieses Schwanken zwischen -hu und -h aus der 3. plur. in die 1. sing. hinübertrug. Die Suffixe -hmo und -hte, welche die für das Serbokroatische organischen Endungen -homo, -ste verdrängt haben und von welchen die erstere auch in anderen Mundarten im Osten des serbokroatischen Sprachgebietes Vorkommen (vgl. Belić, Дијалекти, S. 551), sind jüngere Analogiebildungen nach der 1. sing., beziehungsweise 3. plur.

 

 

            § 101. (Gerundium präs.)

 

Wie bei der 3. plur. praes., so haben sich auch beim Gerundium praes. die Verba der III. und IV. Klasse nach den übrigen gerichtet und ihren eigenen Stammauslaut -e- (leteći, čineći) durch das -u- der letzteren ersetzt;

 

 

223

 

nach jȉduć, prеduć, jȁšuć, plȁčuć, glȅdajuć usw. richteten sich also auch lètȗć „fliegend“, brójȗć „zählend“, nȍsuć „tragend“, vȉduć „sehend“ usw. Als Endung habe ich immer -ć gehört, daher glaube ich nicht, daß man ein erst nach der Aussprache unseres Dialektes geschwundenes -i zu ergänzen hat: *jiduć(i); vielmehr haben wir hier die seit dem XIV. Jahrhundert im Serbokroatischen vorkommende Endung -ć vor uns, die allerdings höchst wahrscheinlich von der volleren Endung -ći durch Abfall des i entstanden ist, aber schon im Mutterlande und nicht erst in der neuen Heimat.

 

 

            § 102. (Infinitiv)

 

Den Infinitiv kann man noch sporadisch hören mit vollem oder wenigstens reduziertem -i im Auslaute, doch in der Regel schwindet letzteres wie zumeist in den küstenländischen Dialekten gänzlich; ja, es kann sogar die ganze Endsilbe (-ti, -ći) abfallen, was nicht auf Rechnung des Futurums gesetzt werden kann (daću, činiću), weil in unserem Dialekte auch beim Futurum das enklitische Hilfszeitwort dem Infinitiv vorausgeht (ću dat, vgl. § 105) : pònī (= poněti), jȏka ( = jokati „spielen“), vàzȇ „nehmen“ usw.; Formen, die dadurch einsilbig werden, können den Vokal verkürzen: dȍ (= doći), nȁ (= naći) neben dȏ, prȏ (= proći), mȁm ga-pȏ nȁ (= imam ga poći naći), worüber Sp. 219 zu vergleichen ist. Es kann aber hie und da auch eine Mittelsilbe schwinden: čit (regelmäßig für činiti), hót (= hoditi), vgl. Sp. 173.

 

Von den beiden speziell serbokroatischen Infinitivbildungen -něti „tragen“ und rěti „sagen“ hat der Molisaner Dialekt nur die erste pònȋt; anstatt der zweiten kommt nur die organische Form rȅć vor. Dagegen hat er, wie mancher serbokroatische Dialekt im Küstenlande (und regelmäßig das Slowenische), bei den Verben der II. Klasse die Endung -uti konsequent durch diejenige der IV. Klasse ersetzt: klȅknit, skȉnit, sa-bnit (= obrnuti se), zrènit (= izrenuti [= izgnati nach dem Präsens izrenem]), pȕknit usw.; dasselbe geschieht auch im Part. praet. act., weil auch hier die Unzahl der Formen auf -il, -ila usw. die geringe Zahl derjenigen auf -ul, -ula verdrängt hat : pȕknija, skȉnija usw.;

 

 

224

 

wenn aber dies beim Präsens nicht eintritt, so geschieht dies wohl deswegen, weil die Präsensendung -nem der Verba der II. Klasse in den vielen Präsensformen auf -em, -jem eine Stütze fand, so daß sich neben den neuen Endungen -niti, -nil, -nila ganz gut die alte Endung -nem erhalten konnte; dann begreifen wir auch, warum auch beim Part, praet. pass, die normale Endung -nut, -nuta sich erhalten konnte (s. § 104): die Verba der IV. Klasse haben nämlich die Endung -jen, -jena, welche der ersteren (-nut) allzu ferne liegt.

 

 

            § 103. (Particip. prät. act.)

 

Das Partizip praet. act. weist wegen seiner einfachen Bildung in allen štokavischen Mundarten nur sehr geringe Abweichungen auf, wenn man von der Endung des Sing. masc. i absieht, die infolge der Vokalisierung des auslautenden -l ziemlich voneinander abweichende Endungen haben kann. Wie sich in diesem Punkte der Molisaner Dialekt verhält, wurde auf Sp. 163/4 gezeigt, wonach es sich ergibt, daß im Sing. masc. alle Partizipien auf -a, beziehungsweise -ja ausgehen: rȅka, ȕboja, pȍčeja, čȕja, vȉdija usw.; es wurde ferner auf Sp. 186 die merkwürdige Erscheinung erwähnt, daß bei einsilbigen Formen dann der Vokal a durchwegs kurz ist: dȁ-znȁ, spȁ usw. Sonst wäre noch zu erwähnen, daß das Verbum umrěti (und wahrscheinlich auch die anderen primären Verba auf -rěti) nach dem Sing. masc. die übrigen Formen dieses Partizips bilden können: nach ȕmbra (= umro mit eingeschaltetem b, vgl. Sp. 174) hat man neben dem normalen ȕmrla auch ȕmbrala; Baudouin verzeichnet dagegen die Formen je ùmbre 38, je ùmbrela 6. 33, su ȕmbrel 14, welche nach dem Infinitiv gebildet sind (und nach Sp. 155 e für i haben), wie ȍdrila, rȁzdrila von odriti, razdriti. Dagegen hat sich sa vàmij B. 73 (neben sa vàzija 75) „ich habe genommen“ nach dem Präsens vamem gerichtet. Eine an sich vollkommen normale Form, die aber sonst im Serbokroatischen nicht vorkommt, ist sing. masc. skȍka von skȍknit „springen“ (= skoknuti); sie ist wie digao usw. von dignuti usw. gebildet. Eine auffallende Kürzung kann das Part. prät. von biti „sein“ erfahren, es kann nämlich zu einem bi werden, das für alle Genera und Numeri dient: bi prola (= je bila prošla) B. 6, z bi sa razdílel (= su bili se razdilili) B. 4,

 

 

225

 

z bi prìsȇgl (= su bili prisegli) B. 2, volār su bi napòjili vōla Texte Nr. 17 (= volari su bili napojili volove).

 

 

            § 104. (Particip. prät. pass.)

 

Das Gerundium praet. ist, wie schon erwähnt, vollständig geschwunden und auch das Part. praet. pass. wird ziemlich selten angewendet. Diese letztere Form ist dann zumeist normal: pēčen, štōknut, bȁdnut, vāren, kȗpļen, plȃćen, òbišen, prȍdan usw.; es fehlt aber auch an Neubildungen nicht: rȃzbļen zu razbiti, ȗbļen (neben ubìjen B. 14) zu ubiti sind Analogiebildungen nach den Verben der IV. Klasse, zu welchen man ȗšjen zu ušiti und ùkređen zu ukresti (mit der Bedeutung „gestohlen“ und „beraubt“: sa-bȉja ùkređen) rechnen kann; andererseits können Verba der III. und IV. Klasse die Stammform dieses Partizips derjenigen des Infinitivs näher bringen: kȑsten (anstatt kršten) zu krstiti, vȉden (statt viđen) zu viděti.

 

 

            § 105. (zusammengesetzte Verbalformen)

 

An zusammengesetzten Verbalformen besitzt der Molisaner Dialekt die auch sonst im štokavischen üblichen. Das Perfekt, welches den vollständig fehlenden Aorist ersetzt, weicht von der gewöhnlichen Form nur insoferne ab, als das Hilfszeitwort immer dem Partizip vorausgeht: sa reka (für rekao sam), vgl. Sp. 229. Letzteres wiederholt sich beim Futurum, das somit immer ću dat, ćeš dat usw. lautet, auch im Anfänge eines Satzes; außerdem verwendet man im Pluralis gerne die vollständigen Formen des Hilfszeitwortes hȍćemo usw., vielleicht häufiger als die abgekürzten ćemo usw., was wohl damit im Zusammenhänge steht, daß die Pluralformen doch seltener gebraucht werden als diejenigen des Singulars; als Parallele dazu könnte man auf das Präsens grem hinweisen, das ebenfalls regelmäßig im Singular die abgekürzten, im Pluralis dagegen die vollen gredemo usw. aufweist. Sehr gewöhnlich wird aber das Futurum durch die Verbindung des Infinitivs mit dem abgekürzten Präsens mȁm, mȁs usw. (von jimam „ich habe“ usw., s. Sp. 157), z. B. mȁm ti-dȁt „ich werde dir geben“ ; selbstverständlich ist an irgendeinen Zusammenhang mit der gleichen, schon in dem ältesten Kirchenslawischen vorkommenden Verbindung absolut nicht zu denken, denn sie war dem Serbokroatischen seit der ältesten Zeit vollkommen fremd, vielmehr liegt eine Nachahmung der benachbarten italienischen Mundarten, die regelmäßig auf dieselbe Weise das Futurum durch die Verbindung des Präsens habeo mit dem betreffenden Infinitiv ersetzen (vgl. D’Ovidio, S. 183, Note 6). Der Konditional wird wie gewöhnlich im Serbokroatischen gebildet, nur die Formen des Hilfszeitwortes weichen etwas ab : ja bi, ti bi, on bi, mi bimo (auch mi bismo ?), vi biste oder vi bite, oni bi; die 1. sing. hat sich also der 2. und 3. sing. sowie 3. plur. ausgeglichen, während die 1. und 2. plur. die Endung des Präsens angenommen hat, beziehungsweise annehmen kann.

 

 

226

 

 

III. Aus der Syntax.

 

 

            § 106. (Italianismen)

 

Wenn auch die Syntax derjenige Teil der Sprache ist, der sich am wenigsten und am spätesten fremden Einflüssen unterwirft, so ist doch die Lage unserer Kolonisten eine solche, daß sie der immer stärker und tiefer eindringenden italienischen Sprache auch auf diesem Gebiete haben Konzessionen machen müssen. So wurde schon bei der Besprechung der Formen erwähnt, daß das Genus neutrum als eine genau abgegrenzte syntaktische Kategorie beim Substantiv verloren gegangen ist (vgl. Sp. 188); höchst wahrscheinlich gehört hieher auch der Verlust des Aoristes und des Gerund. praes., obschon letzterer auch von selbst — wie in den meisten Mundarten des serbokroatischen Küstenlandes — hätte eintreten können, während im Gegenteil die Erhaltung des Imperfekts ganz gewiß dem Einflüsse des Italienischen zu verdanken ist (vgl. Sp. 187). Es wurde ferner gezeigt, daß die weiblichen i - Stämme teils zu den weiblichen a - Stämmen, teils zu den männlichen ъ - Stämmen übergegangen sind, je nachdem der entsprechende italienische Ausdruck weiblichen oder männlichen Geschlechtes ist (vgl. Sp. 197).

 

 

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Italienischen Ursprunges ist ohne Zweifel auch der ausnahmslose Gebrauch des Instrumentalis mit der Präposition s zur Bezeichnung des Mittels oder Werkzeuges, so daß dieser Kasus ohne Präposition gar nicht angewendet werden kann, wie dies z. B. auch in Ragusa und in anderen küstenländischen Dialekten der Fall ist, die ebenfalls unter dem Einflüsse des Italienischen stehen, das in diesem Falle die Präposition (con) gebrauchen muß. Und weil das Italienische, um das Genetivverhältnis auszudrücken, die Präposition di (de) braucht, hat auch unser Dialekt dem nach dieser italienischen Präposition aus od umgewandelten do ein viel weiteres Feld eingeräumt, indem er dem Genitivus possessivus regelmäßig dieses do voraussetzt, z.B. fěšt do stȍga Mikél „Fest des hl. M.“, mȗz d’ònȇ žèńe, kļȗč do vrát usw. Einem Genit. partitivus wird dagegen dieses do nicht hinzugefügt, z. B. pȇt slȋv, čȕda ļúdȋ, wohl deswegen, weil der Genit. part. mit dem Rektionswort immer einen syntaktisch und logisch einheitlichen Begriff bildet, während der Genit. possess. vielfach als Prädikat, somit als selbständiger Begriff, auftritt. Da ferner das Italienische ein Reflexivpronomen nach Art des slawischen sebe - svoj nicht kennt, hat auch unser Dialekt das letztere zum großen Teile aufgegeben und ersetzt es regelmäßig durch das entsprechende Personalpronomen; die enklitischen Formen si und besonders sa sind allerdings ganz gewöhnlich, aber die orthotonierten Formen werden selten gebraucht, auch in Fällen, wo das Subjekt in der 3. Person steht, und werden regelmäßig durch die Kasus von on ersetzt, z. B. džȃš zdòla ńȇg B. 12 „er hielt unter sich“, žna mìslaše zà ńe e mȗž mìslaše zà ńȇg B. 4 „die Frau dachte an sich und der Mann dachte an sich“, sogar je-pòšȃ dȍma ńég „er ist gegangen zu sich nach Hause“; was bekanntlich bald in weiterem, bald in engerem Umfange auch in allen serbokroatischen Mundarten geschieht, doch nicht so, daß das Pronomen svoj ganz verschwinden würde; ebenso wurde nach Vorbild des Italienischen, welches für Maskulinum und Femininum nur ein Possessivpronomen der 3. Person besitzt — suo —, das slawische ńegov auch auf das Femininum übertragen, so daß z. B. nach dem italienischen la sua casa,

 

 

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das sowohl „sein Haus“, als auch „ihr Haus“ bedeuten kann, auch ńègova hȉža diese doppelte Bedeutung erhielt; somit fehlt das Pronomen ńen oder ńezin ganz und, wenn dasselbe nicht — wie vielfach in den küstenländischen Dialekten — durch den Gen. possess. vertreten ist, wird es durchwegs durch ńegov ersetzt, denn man kann wohl voraussetzen, daß der Molisaner Dialekt neben ńegov und ńihov auch die dritte Neubildung ńen - ńezin besaß, obschon es auch möglich wäre, daß er auf derjenigen Stufe verblieb, die von den küstenländischen Dialekten gegen Ende des XV. Jahrhunderts erreicht worden war, auf welcher es wohl ein ńegov und ńihov, aber noch kein ńen - ńezin gab (vgl. Rad B. 136, S. 191). Ebenso hat man in Nachahmung des Italienischen den Pluralis in Fällen wie jèsu-hi „es gibt deren“ (ital. ce ne sono), jesu màlo tȇge B. 71 „es gibt wenig Arbeit“ (ital. ci sono pochi lavori). Doch alle diese Italianismen betreffen den Gebrauch, bezw. die Bedeutung einzelner Wortkategorien und Wortformen, dagegen ist die Bildung der Sätze und das Satzgefüge noch immer vollständig slawisch, somit mit dem gewöhnlichen štokavischen Sprachgebrauch übereinstimmend; von dieser Seite könnte ich als Italianismus nur die aus küstenländischen Dialekten genügend bekannte Verbindung des Infinitivs mit der Präposition za als Ersatz eines Finalsatzes anführen, z. B. si bìja mìtȃn za jìst B. 61 „bist eingeladen worden zu essen“. Ebenso gehört auch hieher der häufige Ersatz des Futurums durch die entsprechende Person des gekürzten Präsens mȁm (aus imam) und den betreffenden Infinitiv (vgl. Sp. 226).

 

 

            § 107. (Čakavismen)

 

Čakavisches findet sich auf syntaktischem Gebiete im Molisaner Dialekt sehr wenig, so speziell fehlt die betreffende Haupteigentümlichkeit des Čakavischen, nämlich der Gebrauch des Präsens perfectivum in Futurbedeutung in Hauptsätzen ; [1]

 

 

1. In dem Satze čèma vaze mȋ, sùtră vàzeš tȋ B. 20 „(heute) werden wir (den Wein) nehmen (bestellen), morgen wirst du ihn nehmen“ ist vazeš scheinbar eine Form des Präs. perf. in futurischer Bedeutung; eigentlich ist dies aber in vaze-š zu trennen, d. i. dem gekürzten Infinitiv vaze folgt die gekürzte Form š für ćeš (s. Sp.218); wir würden allerdings die Wortfolge sutra š vaze ti erwarten.

 

 

229

 

nichts damit zu tun hat aber die Erscheinung, daß nicht selten das Futurum durch das Präsens ersetzt wird, z. B. nòmo sa-krívit, ka prédem jȃ... „schreie nicht, denn ich werde spinnen“ Sp. 237,7: das ist eine Beeinflussung von Seite des Italienischen, wo ein solcher Ersatz sehr gewöhnlich ist. Dagegen stimmt unser Dialekt mit dem Čakavischen in einem nicht weniger charakteristischen Punkte überein, und zwar in bezug auf den Platz, den die enklitischen Verbal- und Pronominalformen im Satze einnehmen ; im Štokavischen kann nämlich eine solche Enklitik unmöglich an der ersten Stelle im Satze stehen, während sie im Čakavischen immer dem Verbum vorausgeht, daher auch die erste Stelle einnimmt; also štokavisch rekla-sam-ti, daću-ti, jesi-li-mu dala?, čakavisch sam-ti-rekla, ću-ti-dat, si-mu-dala ? ich verweise diesbezüglich auf die Texte, wo unzählige Beispiele hiefür Vorkommen; dagegen möchte ich hier hervorheben, daß, wenn ein Fragesatz bloß aus einem Fragewort und einer enklitischen Verbalform bestehen sollte und im Štokavischen auch tatsächlich besteht; z. B. otkle-si?, unser Dialekt im Gegenteil die orthotonierte Form des Verbums gebrauchen kann : ȉskle jési?, weil die Frage doch mit dem Fragewort anfangen muß und dann die enklitische Form kein Wort nach sich hat, auf welches sie sich proklitisch anlehnen könnte. Wenn aber zwei Enklitiken aufeinander folgen, hat unser Dialekt die neuere Reihenfolge konsequent durchgeführt. Wie ich im Rad B. 136, S. 190 ff. gezeigt habe, ging in diesem Falle in älterer Zeit eine pronominale Enklitik einer verbalen voraus, während später die beiden Enklitiken ihren Platz wechselten, also früher hatte man z. B. rekla ti sam, jetzt hat man rekla sam ti ; dort habe ich auch zu erklären versucht, wie es dazu kam und warum im Štokavischen in der Regel (daher auch in der modernen Literatursprache) nur die 3. sing. je eine Ausnahme macht und die alte Stelle beibehalten hat: rekla ti je und kein *reklaje ti. [1]

 

 

1. In Rad B. 136, S. 191 hatte ich die Vermutung ausgesprochen, daß je vielleicht deswegen seine Ursprung' liehe Stellung beibehalten habe, weil es wahrscheinlich die jüngste enklitische Form vom Präsens jesam sei, da von den orthotonierten Formen des letzteren nur die 3. sing. (jest) ebenso einsilbig sei wie die enklitische, während alle übrigen zweisilbig seien, daher wohl früher gekürzt worden seien als das einsilbige jest. Ich glaube aber, daß vielleicht noch ein anderes Moment zu berücksichtigen ist: nachdem den Verbalenklitiken der erste Platz eingeräumt werden sollte, ergab es sich, daß bei den so häufig angewendeten Reflexivverben an erster Stelle bei allen Personen mit Ausnahme der 3. sing. eine mit s anlautende Form den ersten Platz hatte : ja sam se ..., ti si se . . . usvv., und eine ebenfalls mit s anlautende Form ergibt sich bei Beibehaltung der älteren Reihenfolge on se je . . Selbstverständlich, in der lebenden Sprache wird nicht konjugiert: „erste Person des Singularis ja sam se, zweite Person usw.“, dennoch konnte sich das Bestreben nach diesem gleichen Anlaut geltend machen, welches dazu führte, daß sich die Reihenfolge se je bei den Reflexivverben erhielt und dadurch auch bei den übrigen Verben (on ga je vidio gegenüber ja sam ga vidio usw.) aufkam. Eine Bestätigung für diese Annahme ergibt sich, glaube ich, aus dem Verhalten der enklitischen Formen des Verbums hotjeti: hier hat auch die 3. sing. die neuere Stellung eingenommen: on će ti, weil alle Formen gleichmäßig mit ć anlauten und auch alle von zweisilbigen orthotonierten Formen hervorgegangen sind.

 

 

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Diese letztere, im Štokavischen nicht nachweisbare Reihenfolge hat unser Dialekt auch bei je durchgeführt: kȍ je-ti prej? „wer hat dir gesponnen?“ Sp. 237,10, vgl. ferner die Beispiele bei G. Texte Nr. 17: svak je si vazeja, je ńimi verga, je ga ferma, je hi pomuza, je ga verga, je mu verga, je sa usirija, je ju skupija, je ju verga, je sa smrkla.

 

Wichtig ist es ferner, daß unser Dialekt, wiederum wie das Čakavische, bei Fragen, die kein bestimmtes Fragewort enthalten, die Fragepartikel li nicht gebraucht, die im Štokavischen nicht fehlen darf: čakavisch si-bila?, štokavisch jesi-li bila? Auch dafür liefern die Texte sehr viele Beispiele. In bezug also auf die von den enklitischen Verbal- und Pronominalformen im Satze eingenommene Stelle, sowie in bezug auf die Formulierung von Fragen ohne bestimmtes Fragewort, somit in zwei seinwichtigen Punkten, welche sich ungemein häufig in der lebenden Sprache äußern, daher auch als sehr charakteristische Abweichung allgemein gefühlt werden, stimmt unser Dialekt mit dem Čakavischen überein, so daß diese Erscheinung für unseren Dialekt wohl als ein „Čakavismus“ zu bezeichnen ist. [1]

 

 

1. In Ragusa wirkte vor Jahren als Gymnasialprofessor ein geborner ča-Sprecher, der durch die ihm angeborene Stellung der Enklitiken sehr oft zur Erheiterung der hochlöblichen štokavischen Schuljugend beitrug; jedesmal nämlich, wenn er am Anfänge einer Stunde sich mit einem čakavisch formulierten ste-svȉ? darüber informieren wollte, ob die kleinen Spitzbuben alle in der Klasse wären, antworteten letztere zum allgemeinen Gaudium mit einem kräftigen: smȍ !

 

 

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Ganz sicher ist die Sache allerdings nicht, denn es wäre auch möglich, daß unser Dialekt erst in der neuen Heimat dazu gelangt sei, unter dem Einflüsse des Italienischen, das das Pronomen und das Hilfszeitwort dem Verbum (Partizip) vorausgehen läßt und keine Fragepartikel nach Art des slawischen li hat. Überhaupt könnte diese merkwürdige Stellung der Enklitiken fremdsprachigen (italienischen, bezw. deutschen) Ursprunges sein, da sie unter allen slawischen Sprachen nur im Čakavischen und im Slowenischen vorkommt. Wie es endlich in früherer Zeit im Čakavischen und im Štokavischen gebräuchlich war (vgl. Rad B. 136, S. 187), heutzutage aber nur im ersteren der Fall ist, verwendet der Molisaner Dialekt bei männlichen Pronomina usw., die sich auf lebende Wesen beziehen, den Genitiv anstatt des Akkusativs auch im Pluralis: su-hi-vȅzal ȍbihi dvȃhi „man hat sie beide gefesselt“, svȉhi trȋhi su-hi-rèštali „man hat sie alle drei arretiert“.

 

 

            § 108. (andere Eigentümlichkeiten)

 

In anderen Punkten wiederum zeigt der Molisaner Dialekt eine eigene Entwicklung. Hie und da trifft man einen Akkusativ und, was noch auffallender ist, einen Lokalis ohne Präposition, wo man entschieden eine Präposition erwarten würde: so ist vȅčer „abends“ (anstatt u večer) sehr gewöhnlich, aber man hört auch solche Beispiele: je-pòšȃ Lamȅrik „er ist nach Amerika gefahren“ (Lamerika ist eine synkretische Form aus dem ital. l’America), je-pòšȃ kȁč „er ist jagen gegangen“ (eigentlich „auf Jagd“; kȁč(a) = ital. caccia), štap kajȉmaš rùkami „der Stock, den du in den Händen hast“, ȏn sìdi škȁlami „er sitzt auf der Stiege“. Für diese und ähnliche Beispiele wäre es am leichtesten, die Erklärung anzuwenden, die Belić mit vollem Recht für eine ähnliche Erscheinung in dem čakavischen Dialekt von Novi gegeben hat: in diesem letzteren nämlich schwindet sehr oft die Präposition v „in“ vor einem konsonantisch anlautenden Worte:

 

 

232

 

crikvu „in die Kirche“, mori „im Meere“ usw. (Извѣстія der St. Petersb. Akad. B. XIV, S. 196). Es ist aber sehr zweifelhaft, ob diese Erklärung auch für den Molisaner Dialekt passen würde, denn einerseits sind die betreffenden Beispiele allzu selten, andererseits steht dagegen die Form u für die Präposition „in“ allzu fest und endlich in Beispielen wie ȏn sìdi škȁlami ist nicht ein u, sondern ein na geschwunden; deswegen ist es mir wahrscheinlicher, daß hier zumeist syntaktische Verrenkungen vorliegen, indem etwa nach Vorbild von poć dom(a) auch die Beispiele wie poć kač oder Lamerik gebildet wurden, nach welchen sich auch andere Auslassungen von Präpositionen einstellen konnten; einen phonetischen Vorgang möchte ich noch am ehesten bei dem sehr häufig gebrauchten vȅčer „abends“ zugeben, da hier vor dem v- die Präposition u (welche deswegen gar nicht die Lautstufe v aufweisen müßte!) leicht verstummen konnte.

 

Charakteristisch für unseren Dialekt ist die Anwendung der Possessivadjektive auf -in; diese werden im Serbokroatischen in der Regel nur von weiblichen Substantiven gebildet (die einzige Ausnahme očin „des Vaters“ ist eine leicht begreifliche Analogie nach majčin), in unserem Dialekte regelmäßig auch von männlichen: dìvȏjk ka bȉše mȗžien „das Mädchen, welches (eine Tochter) des (zweiten) Mannes war“, sȋn kráļen „der Sohn des Königs“, tȑsje sińúrin „der Weinberg des Herrn“, čeļȃda bȍgin „ehrenhafter Mensch“ (eigentlich „Gottesmensch“), bìššea a mȗzin B. 2 „war der Name des Mannes“, grad Kovačíčen jè Dalmȃcja „die Heimat des Kovačić ist Dalmatien“ B. 60, sogar je-pȍla dȏuma kráļen „sie ist gegangen in das Haus des Königs“, wo das Possessivadjektiv mit einem Adverb verbunden ist, weil der substantivische Begriff „Haus“ vorschwebt.

 

Eine ungewöhnliche Verwendung des Gerundiums liegt in folgenden Fällen vor: bȅštij je-òno ka-grȇš jȁšuć, „bȅštij heißt das, worauf du reitest“ (eigentlich „gehst reitend“), vž sea jášuć B. 66, „besteige das Pferd“ (eigentlich „stelle dich reitend“); da sowohl ich als auch Baudouin nur dieses eine Beispiel jašuć haben, so ist dies wohl eine isolierte Erscheinung, die dadurch zu erklären ist,

 

 

233

 

daß das Wort jašuć zu einem rein adverbialen Ausdruck geworden ist wie das ital. a cavallo, dem es in beiden Sätzen genau entspricht (. . . sulla quale vai a cavallo; mettiti a cavallo). Ebenso ungewöhnlich ist die Anwendung des Imperfekts in irrealen Bedingungssätzen, denn sonst wird im Serbokroatischen in diesem Falle wohl der Aorist (aber auch das in sehr engen Grenzen) verwendet, während im Molisaner Dialekt das so gewöhnliche Imperfekt auch in diesem Falle gebraucht wird, z. B. si pȁdaše vín, bȉše vȅće vèsȇļ „wenn es Wein geregnet hätte, wäre die Freude größer gewesen“.

 

Ziemlich häufig wird im Satze ein durch ein Pronomen ausgedrücktes Objekt wiederholt, indem neben einer vollen Form auch eine enklitische erscheint: ńȅga su-ga-ȕbil; ònȏj mȁše ju-priséć, ju-je-bȕsila ńȏj (vgl. Sp. 206); ani je mi drȃg za jȋst smòkvu, sȋir krȗh B. 26, was auf italienischen Einfluß zurückzuführen ist (vgl. bei Finamore S. 22). Ein sonderbares Wortgefüge ergibt sich beim Verbum „wollen“: in positiven Sätzen folgt ihm, wie gewöhnlich in den küstenländischen Dialekten, der Infinitiv, z. B. hȍće rȅć, hȍćeš dȁt? Dagegen folgt in negativen Sätzen das Präsens, aber ohne Konjunktion da, z. B. nȇće gré, nȇće ōstane „er will nicht lassen“, nȇće čȕje, — eine merkwürdige Verbindung, die weder sonst im Serbokroatischen bis jetzt nachgewiesen wurde, noch aus dem Italienischen sich erklären läßt.

 

 

            § 109. (Sprachfehler)

 

Doch, alles in allem genommen, ist die Syntax, wie gesagt, noch dasjenige Gebiet in der Sprache unserer Kolonisten, auf welchem sich diese relativ am reinsten erhalten hat. Selbstverständlich hängt auch hier sehr viel von dem Sprachgefühl und den Sprachkenntnissen des einzelnen Individuums ab; besonders das letztere fällt sehr stark ins Gewicht, denn ein halb italianisierter junger Mann, der einige Jahre fern von der Heimat etwa in einem italienischen Regiment gedient hat, wird sich manches erlauben, was ein altes Mütterchen, das sein Haus nie verlassen hat, nie sagen würde.

 

 

234

 

Allerdings gewinnen diese anfänglich individuellen Sprachfehler, dem nicht aufzuhaltenden Italianisierungsprozesse entsprechend, immer mehr an Boden und erlangen allmählich das Bürgerrecht. So ist es wohl zu erklären, daß Baudouin manches aufzeichnete, was ich nicht gehört habe: er hat fast ausschließlich Gewährsmänner, ich dagegen fast ausschließlich „Gewährsfrauen“ gehabt! Ich registriere daher, als Beispiele solcher von Männern verbrochenen Sprachfehler, folgende Sätze bei Baudouin: dívōjk vàša grȃd (pur se hote ùdat) 31 „die Mädchen in eueren Ortschaften . . .“, mi língva nàša zòveamo (vriću) sàk 63 „wir in unserer Sprache ...“, doch verweise ich auf die Sp. 231 besprochenen Fälle, wo ebenfalls eine Präposition ausgelassen worden zu sein scheint; eine sehr verzwickte Verbindung hat man im Satze vàmi njè hi kòńe vèlke? 66 „ihr habt keine großen Pferde?“; auf ein schwindendes Gefühl für die Deklination weisen folgende Beispiele hin: čùde stȗpi do smokvi biȋl 29 „viele Bäume weißer Feigen“, nìšč do no (d. i. d’ono) 50 „nichts von jenem“, z Amérika dáždi sváki dȃn 70 „in Amerika . . .“, ne čìnu dìca 61 „sie machen keine Kinder“, si písa mòja dìca? 63 „hast du meine Kinder aufgeschrieben ?“, wenn in diesen beiden Beispielen dìca nicht als männliche pluralische Form aufzufassen ist (vgl. den Genitiv dìcȏv, Sp. 194), in welchem Falle sie auch für den Akkusativ stehen könnte; vgl. auch bei G. : povaće sa moru čit . . . s uļam oš papar Texte Nr. 18 (anstatt s papram), s črivami tisni . . . s črivami gušńi Texte Nr. 19 (anstatt tisnimi . . . gušńimi), ferner vami čini ’spodarica saki dan lipi jist „ . . . ein gutes Essen“ nach dem ital. un buon mangiare bei Smođlaka, Posjet S. 36. Am meisten aber frappiert der Satz: da mi kàze le pȏu (pȗ) B. 75 „damit er mir die Wege zeige“, wo sogar ein italienischer Artikel paradiert, — ein deutliches Fingerzeichen, wie weit bei einzelnen Individuen auch auf syntaktischem Gebiete der vom Italienischen hervorgerufene Zersetzungsprozeß gehen kann!

 

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