Die serbokroatischen Kolonien Süditaliens

Milan Rešetar

 

(C.) Texte.

 

            § 109. Vorbemerkungen  (Spalte 236)

 

I. Erzählungen und Märchen  236

1. Fȁt do-Rušôl. / Prȋča o Rùšōli.

2. Fȁt di Sȃnt Lȅz. / Prȋča o Svȇtome Àleksi.

3. Fȁt di Sȃnta Katarȋn. / Prȋča o Svȇtōj Katàrīni.

4. Fȁt dȏ-jańet. / Prȋča o jȁgńetu.

5. (Das Mädchen mit dem Stern.) / (Djevojka sa zvijezdom.)

6. Fȁt de Sȃnta Česȃrij. / Prȋča o Svȇtoj Cèzāriji.

7. (Der gottlose Herr.) / (Bezbožni gospodin.)

8. Fȁt di Sȃnta Karmentȋna. / Prȋča o Svȇtoj Karmèntīni.

9. (Der gestiefelte Kater.) / (Mačka s čizmama.)

10. (Der Verschwender.) / (Rasipnik.)

11. (Der Fuchs und die Lerche.) / (Lisica i ševa.)

12. (Lisic oš vuk.) / (Lisica i vuk.)

13. (Lisica oš vutura.) / (Lisica i mazga.)

14. (Rak.) / (Rak.)

15. (Nōvè profèt.) / (Noje prorok.)

16. Fat. / Prȋča.

II. Aus dem Volksleben  269

17. Na dan vàn. / Jedan dan ranka.

18. Kruh. / Kruh.

19. Prasa. / Prase.

20. Sti Blaž. / Sveti Blaž.

21. Urèk. / Urok.

22. Dan de tut li muort. / Mrtvi dan.

23. (Виље.) / (Vile.)

 

III. Sprichwörter  275

24. verschiedene

 

IV. Totenklagen  277

25. verschiedene

 

V. Gebete  279

26. Das Kreuzzeichen

27. Der englische Gruß

 

 

            § 109. Vorbemerkungen

 

Zu den von mir aufgezeichneten Texten habe ich die wenigen von anderen veröffentlichten hinzugenommen, da es wohl angezeigt ist, die nicht umfangreichen, dafür aber in mehreren, zum Teil nicht leicht zugänglichen Publikationen zerstreuten Sprachproben des Molisaner Dialektes in einem vereinigt zu haben. Weiß Gott, ob sich bald wieder jemand finden wird, der die Kolonien im Molise zu linguistischen Studienzwecken besuchen wird ; sollte dies aber nicht der Fall sein, so ist es leicht möglich, daß die hier vereinigten Texte auch die letzten aufgezeichneten Sprachenreste der Molisaner Serbokroaten sein werden. Ein weiterer Grund, der mich bestimmte, auch die wenigen fremden Aufzeichnungen hier wieder abzudrucken, ist der, daß sich so die Gelegenheit bot, sie einerseits an mancher Stelle zu erklären, andererseits aber hie und da richtigzustellen. Zur Erleichterung der nicht selten schwer verständlichen Texte habe ich ihnen (in der rechten Spalte der einzelnen Seiten) eine Übersetzung in der modernen serbokroatischen Literatursprache beigegeben, wobei ich, so weit es ging, dieselben Worte anwendete, damit man auf diese Weise sogleich erkennen könne, inwieweit sich der Molisaner Dialekt in bezug auf Laute, Formen und Syntax, insbesondere aber in bezug auf Betonung und Quantität vom gewöhnlichen Štokavischen entfernt hat. Die Texte selbst habe ich nach dem Inhalte gruppiert, nur die von Baudouin de Courtenay mir freundlichst zur Verfügung gestellten Stücke mußten beisammen bleiben, da auf Wunsch Baudouins davon Separatabdrücke herzustellen waren.

 

 

I. Erzählungen und Märchen.

 

Wie Sp. 129 bemerkt, sind sie durchwegs italienischen Ursprunges. Nr. 1—7 habe ich aufgezeichnet aus dem Munde der Concetta Di Paola, einer im Jahre 1861 in Casacalenda (Provinz Campobasso) geborenen Italienerin, die aber, von den Eltern verlassen, als kleines Kind nach San Felice und dann nach Acquaviva kam, wo sie sich vollständig slawisierte und später heiratete. Sie hat diese Erzählungen von einer alten Frau aus Acquaviva gelernt und ich habe sie selbstverständlich so aufgezeichnet, wie ich sie gehört habe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Nummern 8—10 rühren von Frl. Concertina Giorgetti her, und zwar habe ich Nr. 8 und 9 aufgezeichnet, wie ich sie von ihr erzählen hörte, während Nr. 10 von ihr selbst geschrieben  wurde ; in der letzteren Nummer, sowie in Nr. 17—22, die ebenfalls von demselben Fräulein aufgezeichnet wurden, habe ich nur die Graphik (nicht aber die Orthographie!) zum Teil geändert, sonst aber alles genau so gelassen, wie es in der Originalhandschrift stand, damit man aus diesen Texten ersehen könne, wie die Molisaner Slawen selbst ihren Dialekt hören und schreiben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

II. Aus dem Volksleben.

 

Nr. 17—22 wurden von Fräulein Concettina Giorgetti aufgezeichnet (s. Vorbemerkung zu Nr. 8—10).

 

 

 

 

 

 

1. Sollte heißen vot.            2. Für fundic(u).

3. Wohl für bila sa(m).            4. Sollte eher čila (= činila) heißen.

 


 

III. Sprichwörter.

 

 

            24. Von den wenigen gebräuchlichen Sprichwörtern ist wohl am meisten dasjenige bekannt, welches zuerst von Ascoli (S. 47) veröffentlicht wurde und das gewöhnlich lautet : Kȍ ȉma jȅna prȃs, ga réste tȗst; kȍ ȉma jȅna sȋn, ga réste pȗst, d. i. „Wer ein Schwein aufzieht, zieht es fett auf; wer einen Sohn erzieht, erzieht ihn ausgelassen“, d. i. wer ein einziges Schwein hat, sorgt gut für dasselbe, wer dagegen nur einen Sohn hat, verdirbt ihn. Anstatt réste habe ich auch lȇva gehört; Kovačić (S. 330) hat den etwas abweichenden Text: Ко им’ на прȃс, | Га рест’ туст; | Ко им’ на син’ | Га рест пуст’; Makušev (Записки , S. 46) hat wiederum єна (d. i. ena) прасъ neben ена (d. i. jena) синъ, während Rolando (S. 11) jena sina bietet — alles ganz gut möglich. Sehr häufig hört man auch das zuerst von Makušev (Записки, S. 46) mitgeteilte Sprichwort Како Мара преда, нако греда „Wie Mara spinnt, so geht sie“,

 

 

276

 

d. i. eine Frau, die träge beim Spinnen ist, ist überhaupt eine schlechte Arbeiterin. Mit dieser Wortfolge verzeichnet das Sprichwort auch Kovačić (S. 330), ich aber hörte káko Mára gréde, náko préde (so auch bei Rolando, S. 11, und Smodlaka, Posjet, S. 44), was wohl besser entspricht: „eine Frau, die träge geht, ist auch beim Spinnen (bei der Arbeit) faul.“ Die Unbeständigkeit des menschlichen Glückes wird häufig durch die Worte ausgedrückt: Kȍ dànas je-lȋp, sȕtra je slȋp (zuerst bei Makušev, Записки, S. 46) mit der Variante . . . sȕtra je-grȗb, bei welch letzterer allerdings der Reim verloren geht; außerdem notierte ich mir: svȕd pȏćdȍma dȏć „(es ist schön), überallhin zu gehen, (aber doch das schönste), nach Hause zu kommen“ (schon bei Smodlaka, Posjet, S. 17), ferner vóda téč — kȑv stȋska „das Wasser fließt — das Blut zieht zusammen“, d.i. bei Unglücksfällen gehen Fremde vorüber, Verwandte dagegen eilen zur Hilfe.

  

 

277

 

Außerdem verzeichnete Makušev (Записки, S. 46) Кучакъ лае, вишаръ носи „das Gebell des Hundes trägt der Wind weiter“ und (S. 47) Рибъ великъ зънда (nach S. 52 Druckfehler für зъида „frißt“) рибу малу, dazu noch ein paar Redensarten, die er irrtümlich als Sprichwörter auffaßte. Zwei neue Sprichwörter brachte Rolando (S. 11) und dann Kovačić (S. 330): Ко вело проси (bei Rolando irrtümlicherweise nosi), нишће носи „wer viel verlangt, bekommt nichts“, und бог сије даж, чељад сију лаж „Gott gibt den Regen, die Menschen verbreiten Lügen“; Kovačić (l. 1.) hat noch dazu folgende zwei: ко боље учини постељу, боље леже und са кара зеба на туја прос „der Fink zankt um fremde Hirse“. Bei Smodlaka (Posjet, S. 44) und nach ihm auch bei Barač (S. XIII) findet sich dann das Sprichwort di sila gospodi, razlog ne hodi, der erstere (l. 1.) registrierte auch den Spruch : smijem se kano spuž u ogań „ich lache wie eine Schnecke im Feuer“, der mit bitterer Ironie von jemand angewendet wird, dem es herzlich schlecht geht. Man kann hier endlich auch den bei Barač (S. XIV) vorkommenden Satz : Si jimaš vruć’, | poj sa svuć’, | Si jimas zim’, | poj sa svinj’, sowie folgenden von mir gehörten anführen : Nu vȏt bȉše na-vȗk : je skȍka frȁtsi zgȁrdza brȁt „es gab einmal einen Wolf: er sprang über den Zaun und ritzte sich den Penis“. — Vgl. noch einige Sprichwörter auch unter den Texten Baudouins (sub Nr. 50).

 

 

278

 

 

IV. Totenklagen.

 

 

            25. De Rubertis teilte in seinen Lettere (S. 11) die Klagen der Schwester und der Mutter eines verstorbenen Mädchens mit, die ich hier in moderner Transkription wieder zum Abdruck bringe; die Schwester richtete ihre Klage an den ebenfalls verstorbenen Bruder: Brate moj, zađe prid našu divojka, ponesi ju u nebe prid bog, učini ju put! ti znaš („znasce”) ka naša divojka je mala; die Mutter aber klagte: Ružica moja, di si pola ? Bože moj, whit’ za vlase ova moja šćer („sçura“), drži ju svazdan [1] krajem tebe ! zašto nis vazej men ? bože moj, bože moj ! Dieselben Klagen mit „verbessertem“ Text hat auch Makušev (Записки, S. 47), ausgebessert ist aber eigentlich nur der Druckfehler sçur für sçer (= šćer). Ascoli (S. 82) veröffentlichte dann ein „Klagelied“ eines Kindes nach der Mutter : Lípa moja mat | di sa nas òstala (= ostavila) | u sri pût | vérnissa mat | rétzemi štókodi | koje pût mam vazt | ja sénze níkrog; das ist aber absolut kein Lied, das etwa gesungen wird, weswegen auch die von Ascoli durchgeführte Einteilung in „Verse“ vollkommen überflüssig ist; auch diese Klage hat Makušev (l. 1.) mit einigen „Ausbesserungen“, die gar nicht notwendig waren, wieder abgedruckt. Von zwei alten Frauen hat Kovačić (S. 325—327) folgende drei Totenklagen aufgezeichnet, die — wie sie wenigstens von Kovačić abgedruckt wurden — tatsächlich einen metrischen Bau aufweisen :

 

Липа моја мат, липа !

Ди с’ м остала (= ostavila)

Усре пут’ ?

Ди ћу те ви, ди [2] веће ?

Ка ш до, ма, [3] каст

Ди си са’ ?

Дођ’, за Ста Микел’ !

Дој ми казат’

Како се проодиш [4] ?

______

 

Мале, мале ! мат моја, мат !

Како ћу без теб’

Како с ма остал’

Усренга [5] пут’ !

Мале, мале ! мат моја, мат !

Са ко ћ’ ма учит’,

Ка ја сам мала,

Не умим нишћ’ !

Мале, мале ! мат моја, мат !

Како ћу без теб’

Мол’ са Бог’, мале,

Да ваме пур мен!

 

 

1. Wohl zu trennen s’ vazdan (= drži ju si vazdan . . .).            2. ви, ди falsch für vidi (= vidjeti).

3. Wohl falsch anstatt mi : ka ’š do mi kast (= kada ćeš doći mi kazati).

4. Falsch für prohodaš.            5. Ist zu trennen: usr enga (= usred jednoga).

 

 

279-280

 

Dieser zweiten Klage nähert sich am meisten folgende, die ich von einer alten Frau gehört habe: Mȁt mȍja, dȉ s-ma-ōstala usri-púta ? Kȁko-ću jȃ čìnit ? vni-sa dȏm, mȁt mȏj, rèce mi štȍkodi! tȋ mól’ bȍga za mén, nȅka ma-vȁme pȕr mȅne bóg!

 

Der dritte Klaggesang (S. 326—327) lautet, wie folgt:

 

Шћер моја ! Шћер моја !

   Ка ће мат забит

Те рук’?!

Мат ће отворит

   Твој шкрин,

Видит ће туна

   Твој тег;

Шћер моја ! шћер моја !

   Ка ће мат забит

Те рук’ ?!

 

Es darf aber nicht unerwähnt bleiben, daß alle diese hier (mit Ausnahme der von De Rubertis) verzeichneten Klagen nicht etwa während eines Leichenbegängnisses gesprochen, sondern zu Sammelzwecken hergesagt wurden. Das Auffallende dabei ist es, daß sie zum nicht geringen Teil miteinander übereinstimmen, was darauf hin weisen würde, daß es, zum Teil wenigstens, stehende Formeln gibt, die dann im Bedarfsfälle angewendet werden.

 


 

V. Gebete.

 

Infolge des auf Sp. 134 erwähnten Umstandes, daß heutzutage die serbokroatische Sprache aus der Kirche gänzlich verbannt ist, gibt es gegenwärtig nur einzelne alte Leute, die in serbokroatischer Sprache sich bekreuzigen oder den englischen Gruß hersagen können, sonst werden entweder die dem Volke fast ganz unverständlichen lateinischen oder die italienischen Gebete und Formeln gebraucht, während es seltener geschieht, daß jemand je nach Umständen seine Gebete sich selbst frei in serbokroatischer Sprache zusammenstellt.

 

 

            26. Das Kreuzzeichen.

 

Ich habe es nur von drei alten Frauen gehört ; die eine bekreuzigte sich mit den Worten: Ȉme oć — i sȋn — ȉ-dug ȁmen bȍžji!, die zweite sagte: Ȉma oć — ȉ-sfit ȉ-dug — náko, bȍže, bȋl !, während die dritte nur ganz unvollständig hersagen konnte: Jȉ-duk — jȉ-sin — svȇti — sèmȃj, bȍže, bíl ! Barač (S. VIII) hat in Montemitro folgende Formel registriert : U ’me oca, u ’me sina, duha svetoga. Amen, und in Acquaviva (S. IX): Jime oc’, ji sin’, ji duha svetog; ’nako Bože bilo; mit der ersten dieser beiden Formeln ist diejenige bei Smodlaka (Posjet, S. 35) fast gleichlautend : U’ ime oca, u’ ime sina, duha svetoga. Nako bože bilo. Besonders interessant sind gerade die von mir verzeicheten fehlerhaften Formeln mit dug-duk für duh, sowie i-sfit als Kontamination von sin und (duh) sfeti, denn sie beweisen, daß keine für den augenblicklichen Gebrauch hergestellten Übersetzungen aus dem Italienischen vorliegen, sondern daß es sich dabei um alte, nicht mehr gebrauchte, daher auch halb vergessene Formeln handelt; was aber speziell die Worte nako, bože, bilo anbelangt, die wohl eine Übersetzung des italienischen così sia sein dürften, verweise ich auf Sp. 135.—Vgl. auch unter den Texten Baudouins (sub Nr. 49).

 

 

            27. Der englische Gruß.

 

Dr. Smodlaka (Posjet, S. 34) sagt, daß einige von De Rubertis das Vaterunser und den englischen Gruß gelernt hatten, aber daß sich heutzutage wenige daran erinnern; seine Tochter habe nur den ersten Teil des englischen Grußes im Gedächtnisse behalten. Von ihr habe ich ihn auch notiert, aber sie hat ihn nicht etwa von ihrem Vater, sondern von ihrer Großmutter gelernt, somit beweist auch dies, daß einst in unseren Kolonien serbokroatisch gebetet wurde. Von einer anderen Frau wurde mir aber bestätigt, daß sie einen Greis kannte, der das Vaterunser nā-naš, d. i. in serbokroatischer Sprache herzusagen pflegte.

 

 

281-282

 

Der englische Gruß, wie ich ihn von Frl. De Rubertis hörte, lautet wie folgt : Zdrȁva Màrija, mȉlosti pȕnae, gospōdin s tȅbom, blȃgo jes-tȋ usri-žȇn, blȃgo ùtrobica tvóje. Náko, bože, bȋl !, worauf sie mit wehmütigem Akzent hinzufügte: Ne-ùmȋm vȅć ! — Vgl. auch unter den Texten Baudouins (sub Nr. 49).

 

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